Studien und Ideen Ursprung, Wesen und Sti oRNAMENTs Zeichenlehrer, Kunsthandwerker, Kunstfreun” und Künstler. Von J. Häuselmann , Lehrer des Kunst- und Technischzeichnens am Progymnasium Biel- Mit über 8o Illustration en. Zweite, verbesserte und vermehrte Auflage. Rechte YOr Oehalten. Zürich & Leipzig, Druck und Verlag von ORELL FÜSSLI & Co- A H InhaltS-Verzeichnis. Einleitung - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 1. Wo und wann ist das Ornament entstanden? 2. Wie ist das Ornament entstanden? ... ... ... - - - - - - - - - - - 3. Die geometrische Form ist der Ursprung des Ornaments 4. Wie mochten sich die Typen weiter entwickelt haben? 5. Wer hat die ersten Typen des Pflanzenornaments erfunden? 6. Wem verdankt das Ornament seine künstlerische Durchbildung? 7. Welches ist der Stilgedanke griechischer Plastik? ... ... ... 8. Über Stil und Naturalismus im allgemeinen ... ... ... ... ... 9. Verschiedene Grade der Stilisierung sind möglich ... ... ... 10. Das Flachornament nach antiker Auffassung ist fortgesetzter Pflege würdig - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 11. Weiteres über den Stilgedanken der Tektonik . . . . . . . . . . . . 12. Über das Stilisierungsverfahren - - - - - - 13. Wie hat die alte Kunst slilisiert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Wie dekorieren die Orientalen die Textilstoffe? Wie die Europäer ? 15. Nach welchem Prinzip ist die dekorative Plastik zu beurteilen? 16. Das Ornament im Kampf mit der Mode ... ... ... ... 17. Die Konturen des Ornaments ... ... ... ... ... ... . . . . . . . . . 18. Ornamentzeichnen und perspektivisches Zeichnen als Ausgangs- punkt für den Schul-Zeichenuntericht ... ... ... - - - - - - - - - 19. Ist das Ornamentzeichnen nach Vorlagen gleichbedeutend mit - «gedankenlosem Kopieren»? - - 20. Über die ornamentalen Grundgesetze ... .. - - - - - - - - - - - - 21. Über die Ästhetik der Regel vom goldenen Schnitt - - - - - 22. Die Kunst als Bestandteil allgemeiner Bildung ... ::: --- Anhang. Leitende Grundsätze ... ... - - - - - - Projekt. Stufengang und Stoffverteilung ::::::::::::: – #3 ZE: - S4 92 1O1 11 () 11 7 122 S Vorwort zur zweiten Auflage, Die erste Auflage vorliegender Schrift entstand an- lässlich des in Biel diesen Sommer stattgehabten, staatlich angeordneten Kurses für Zeichenlehrer. Die gleich darauf erfolgte lebhafte Nachfrage erschöpfte rasch den Vorrat der vorhandenen Exemplare. Aus dieser Tatsache durfte ich neuerdings entnehmen, dass meine bescheidenen Publikationen aus dem Gebiete der bilden- den Kunst im allgemeinen mit regem Interesse entgegen genommen werden. Nicht, dass ich freundlicher Nach- sicht nicht bedürfte – es irrt der Mensch, so lang er strebt – habe ich daher mit neuer Freudigkeit und bei besserer Musse die Durchsicht und Erweiterung des mir selber sympathisch gewordenen Buches zur Hand nehmen können, und der stets willfährige Verlag hatte die Freundlichkeit, es durch viele Illustrationen zu be- reichern. In dieser Gestalt wird es nunmehr einem weiteren Publikum zugänglich gemacht. Möge es die Früchte zeitigen helfen, welche mit mir alle Freunde * Zeichnens und des Kunstgewerbes herbeiwünschen: Biel, auf Neujahr 1889. Der Verfasser. 4 Bergen von Schutt die Trümmer jahrtausend alter Pracht ans Licht gezogen. Nur dem Volke, das sich das stille Nildelta zu seinen Ansiedelungen ausersah, den Ägyptern, war es vergönnt, das Erbteil der Kultur aus der alten Heimat ohne durchgreifende Störung und fremde Ein- mischung eigenartig zu entwickeln; denn die Indier, welche ausserhalb des gemeinsamen Völkerlebens des orientalischen Altertums stehen, fallen für uns nicht in Betracht. Jahr- tausende früher als die Zeit, welcher z. B. die in Europa gefundenen Stein- und Bronzearbeiten angehören, machte in Ägypten die Töpferscheibe die Thongefässe rund, und in farbigem Glasfluss wurden mit der Pfeife die Gefässe in Formen geblasen. Die ersten Völker, von welchen uns die Geschichte zu melden weiss, hatten ihre Kinderschuhe längstens ausgetragen: ein Beweis einer langen voraus- gegangenen Zeit des Strebens und der Arbeit. Wie wir bei jedem einzelnen Menschen einen seiner selbst nicht klar bewussten Zustand als die Zeit der Kind- heit bezeichnen, so müssen wir auch die Zeit des orien- talischen Altertums als die Zeit der geistigen Unfreiheit und Abhängigkeit von der materiellen Natur, als die Zeit der Kindheit der Menschheit ansehen. 2. Wie ist das Ornament entstanden? Da uns die Kulturgeschichte über die ersten Anfänge der Kunstübung ohne Auskunft lässt, so ist der Kunst- historiker darauf angewiesen, uns aus den Funden der 5 prähistorischen Zeit im Vergleich mit den Erzeugnisse" derjenigen Völkerstämme, welche sich noch heute im ?" stande der Kindheit befinden, die nötige Belehrung ” vermitteln. Wenn wir bei der Vergleichung dieser Kunst- leistungen eine Übereinstimmung wahrnehmen, wº * 111 der That der Fall ist, so dürfen wir Schlüsse folge" deren Richtigkeit nicht bezweifelt werden kann. Das Bedürfnis des Menschen, alles, um sich hat, zu verschönern, ist bei allen Völker" ZU. beobachten, und schon bei den Pfahlbauten-Bewohnern finden wir Instrumente, die mit Verzierungen aller Art, welch' letztere mit spitzen Steinen eingraviert wurden, geschmückt sind. In ähnlicher Weise statten die Eskimos ihre Gerätschaften aus, und die Schnitzereien der Neger die Malereien der Buschmänner, die mit Figuren V y - - - Ör- zierten Boote der Nordküstenbewohner von Guinea, d mit Muscheln und F edern und Pelzstücken geschmücÄ Kleider der Indianer, die kunstreichen Flechtereien j den Südseeinsulanern, sie alle geben den Beweis, dº das Kunstbedürfnis nicht etwa die Folge erreichter hoher Kultur ist, sondern das der Kunstdrang ein 4/5/rünglic/e- und natürlicher und daher so alt ist, wie die Menschheit selber. Aber nicht minder interessant und lehrreich ist die weitere Wahrnehmung, dass jene künstlerische Be- thätigung keineswegs die Darstellung des Naturschönen Q/2 Szc/º sich zum Ausgangspunkte nimmt – der ursprüng- liche Mensch kennt die Natur zumeist nur in ihren Schreck- nissen. Dagegen ist die naivste und ursprünglichste Mani- festation, die zum künstlerischen Genusse erfreut, in ihren kleinen Kunstwerken « das Gesetz der bildnerischen Natur, wie es in der Realität durch die Regelmässigkeit. Vero&R- Was ex AA wwè 7 Obdach hervorgerufen. Es war also zunächst die zertie Kunst (Flechten, Nähen, Stricken etc.) und die keramische Kunst oder schlechtweg die Kleinkunst (Gefässe, Geräte, Waffen etc.). Der instinktive Trieb zur Verschönerung dieser Gebrauchsgegenstände führte zur weitern Entwick- lung jener primitiven Kunstthätigkeit. Der Zeppic/ aus Riemen vom Tierfell oder dem Bast der Baumrinde, wurde zum Schutzmittel für die Füsse gegen Feuchtigkeit und Kälte, als Dach schützte er gegen Hitze, Regen oder VWind, und raumabschliessend erscheint er als Wand. Der Teppich ist somit nicht nur als das Grundmotiv der Textil- kunst zu betrachten, sondern er führte zugleich zur weitern Urkunst, zur Architektur, wobei ihm in der Eigenschaft als konstruktiv-dekoratives Füllungsornament eine inte- grierende Bedeutung und Wichtigkeit zukommt. Aus der gleichzeitigen Verknüpfung und Wechselbeziehung dieser dem 16. Jahrhundert datiert eine Ausscheidung. Nach modernen Begriffen lässt sich die Kunst als Allgemeinbegriff aller im Dienste der Schönheit stehenden Thätigkeit des Menschen in folgende Gliederung einfügen: A. Die hohe oder freie Kunst oder die sog. schönen Künste a) Die zeit/ichen. Musik, Poesie und Mimik. Z) Die räumlichen, oder die sogenannten bildenden Künste - *** - tektur, Skulptur, Malerei. Im engsten Zusammenhang mit der bildenden (freien) Kun** jene grosse Gruppe: B. Die dienende oder ornamentale Kunst geheissen. Also: - 1. Keramik, Kleinkunst (Gefässe, Werkzeuge, Waf°°°): 2. Die Textilkunst: Kleidung, der Teppich und A"end". * Teppichs als Zelt, also der Übergang zur primitiven 3. Baukunst: Wohnung oder das Zelt mit Gerüste, Bedachung und razzzzzaösch/iessenden Wändezz. 9 dem verschiedenfarbigen Bast der Pflanzen entstund das Dessin des Teppichs, aus dem verzierten Teppich ergab sich die geschmückte Wand etc. Es ist erwiesen, dass das geometrische Muster sich weit früher ausgebildet hat, als das pflanzliche Muster. Das ist ja auch ganz natürlich, denn jenes setzt einen viel geringeren Grad geistiger Ent- wicklung und Naturbeobachtung voraus, als dieses. «In der Wahl tritt ein wichtiges und erstes Axiom der Kunstpraxis in ihrem einfachsten, ursprünglichsten Aus- drucke auf – das Gesetz nämlich, aus der AWoz (Naht) eine Zugend zu machen, welches uns lehrt, dasjenige, was wegen der Unzulänglichkeit des Stoffes und der Mittel, die uns zu dessen Bewältigung zu Gebote stehen, naturgemäss Stückwerk ist und sein muss, auch nicht anders erscheinen lassen zu wollen, sondern vielmehr das ursprünglich Geteilte durch das ausdrückliche und ab- sichtliche Hervorheben seiner Verknüpfung und Ver- schlingung zu einem gemeinsamen Zwecke nicht als Eines und Ungeteiltes, wohl aber um so sprechender als Einheitliches und zu Einem Verbundenes zu charakter- sieren.» (Semper, Der Stil.) Die Naht ist somit nichts anderes als ein Notbehelf, der erfunden ward, um Stücke homogener Art, und zwar Flächen, zu einem Ganzen zu verbinden und der, ur- sprünglich auf Gewänder und Decken angewendet, durch uralte Begriffsverknüpfung das allgemeine Analogon und Symbol jeder Zusammenfügung ursprünglich geteilter Flächen zu einem festen Zusammenhang geworden ist 10 4. Wie mochten die Typen sich weiterentwickelt haben?*) Die Naht, welche die Stoffteile nicht allein nach der Hauptrichtung verbindet, wie das Band, sondern ihre Funktion gleichsam in Zickzack ausübt, erscheint in ornamentaler Versinnlichung als eine einfache Linie; aber als Eurhythme (Wiederholung) muss sie mindestens in zwei parallelen Linien repräsentiert sein (Fig. 3). In dieser Fig. 3. Die Versinnlichung der doppelten AWahz oder des Saumes. Form erscheint die Naht schon als Saum oder Schmuk. Als Schraffierung begrenzter Flächen erscheinen Parallellinien seit ältester Zeit wie namentlich auch heute in ornamentalemSinne (Fig.4). Aus parallelen Linien ent- stunden paralle/e Winkel, eine Schmuckform, welche nicht nur bei den alten ägyptischen Male- reien häufig vorkommt, sondern Fig. 4. in Tausenden von gefundenen trojanischen Spinnwirteln anzutreffen ist (Fig. 5). > Fig. 5. *) Diesem Teil vorliegender Arbeit wurde wesentlich die sehr ver- dienstvolle Abhandlung zugrunde gelegt, welche Hr. Dr. A. Claus in Breslau in Nr. 5, 6 und 7 dieses Jahrgangs « Zeitschrift des Vereins deutscher Zeichenlehrer» zur Veröffentlichung brachte. Einer freund- lichen Mitteilung zufolge, wird uns der verehrte Herr Kollege in seiner Doppelnatur als Philologe und diplomirter Zeichenlehrer noch mit weitern ähnlichen Gaben erfreuen. 13 Eine weitere kulturgeschichtliche Kreuzesform ist d sogenannte Swastikakreuz (Fig. 14). | | D- Fig. I4. Bei Wiederholung des liegenden oder schräge Kreuzes ergiebt sich ein geschmücktes Band oder dº Rautenstaô. (Fig. I 5.) >< Fig. 15. Zu den beliebtesten Raumfüllungsornamenten – di alten Völker hatten einen wahren Schreck vor dem leerer Raum – zählt das Quadraz. (Fig. 16.) T- Den Griechen gereicht es zum un- sterblichen Ruhme, aus dem Swastikakreuz jenes herrliche Ornament erfunden zu haben, das uns heute unter dem Namen gebrochener Stab – fälschlich Mäander geheissen – bekannt ist (Fig. 17, 18 und 19). TE TE TE- | E. Fig. I7. Fig. 16. Unter den krummlinigen 9rnamenten erscheint ZU- nächst die regelmässigste Figur, der Kreis. Die Sonne und der Mond mögen hiezu das Urbild gegeben haben, doch kann er auch aus der Beobachtung entstanden sein, dass er sich ergiebt aus der Drehung eines Stabes oder einer Schnur um einen der End- Punkte. Diese Verzierungs- Fig. 22. form, welcher bei einzelnen Völkern eine religiös-symbo- lische Bedeutung zukommt, ist jedenfalls schon Sehr alt. (Fig. 22.) Die nächstfolgende Fortbildung des Ornaments ist die Verwendung mehrerer konzentrischer Kreise (Fig. 2 3). Auf vielen Gefässen aus Cypern (z. B. bei Cesnola Tafel 86) sind diese Parallelkreise wie Scheiben auf den Bauch derselben All- gebracht. Aus Parallelkreisen ergaben sich Parallelbogen für Flächenmuster wie für Bandmuster als Bogenreihe (Fig. 24). Selbst STWSTS Fig. 24. Fig. 23. auf Gerätformen, z. B. auf trojanischen Thonwirteln und bei dem bekannten siebenarmigen Leuch- ter im Tempel zu Jerusalem erscheinen Parallelbogen als Schmuckform Fig. 25). Weit *hºner sind die nebeneinander gereihten Kreisbogen. Wurden sie un- mittelbar aneinander angeschlossen, so Fig. 25. 17 Fig. 3o.) Die Griechen gaben aber dem Halbkreise gar bald eine längliche Form. Um mehr Abwechslung zu haben, wurde die aus zwei spitz zusammentreffenden Fig. 30. Kreisbogen gebildete sogenannte Drachenzunge einge- schoben, und das Ganze plastisch herausgearbeitet. Diese Form wurde im korinthischen Stil weiter ausgebildet, in- dem man am Platze der einfachen Kurve eine doppelt gekrümmte setzte und so eine blattähnliche Form heraus- brachte (Fig. 3 I.) Aber der Anfang dieser Gestaltung Fig. 31. liegt stets im geometrischen Ornament; er bestund darin, dass der verzierende Handwerker einen Streifen senkrechter Parallelen nach oben zu einem bogenförmigen oder auch bloss die Ecken abrundenden Abschluss gab, wie die dorische Blattwelle zeigt. Bei der Flächendekoration führte die wiederholte Verwendung des Bogens zu dem bekannten Fisch- schuppendessin. Ein sehr kleiner Kreis wird zu einem Punkt; auch dieser ist, wiederholt oder reihenförmig verwendet, eine sehr brauchbare Zierform. Einfache und mehrfache Punkt- 2 18 reihen sind seit unbestimmter Vorzeit ein beliebtes Muster. Auf uralten Vasen fehlen die Punktreihen, namentlich als seitliche Begleiter gerader und krummer Linien, nicht. Auch die Dreieckstellung der Punkte e ist dabei uralt. Eine besonders beliebte Form war die Stellung der Punkte - im Viereck mit Angabe des Mittelpunktes. Eine vortreffliche Verwendung der Punkt- reihen hat in der griechischen Architektur bei der SOgen. Perlenschnur stattgefunden. Der rhythmische Wechsel von zwei oder drei verschiedenen Formen verleiht dieser Bildung ihre kanonische Schönheit, obschon auch die einfache Reihe eine edle Wirkung hervorbringt (Fig. 52). Nächst dem Kreis und der Bogenlinie ist eins der ältesten krummlinigen Ornamente die Schneckenlinie oder die Spirale. Ihre Bildung mag ebenfalls geometrischen Ursprungs sein. Es ist ja möglich, dass ein verzierender Künstler, der einen Kreis aus freier Hand zeichnen wollte, die Krümmung ungleichmässig zog und sich dem Mittel- punkte mehr und mehr näherte und so eine Spirale er- hielt. Vielleicht hat ein sich einrollender Span oder die Windungen der Ranke einer Pflanze den Menschen zur Zeichnung dieser Kurve geführt. Bei den Ägyptern hat die Spirale nicht grosse An- wendung gefunden, dagegen war sie in Assyrien eine bevorzugte Form in Verbindung mit andern kunstvollen Ornamenten. Aus den trojanischen Funden lässt sich ihre Entwicklung erkennen und in den Zieraten aus den Heroengräbern von Mykenä ist ihr Vorkommen geradezu dominierend, während die klassische Zeit Griechenlands sie zwar zurückdrängt, aber dadurch in um so schönerem Ebenmass mit den übrigen Formen hineinbringt. 23 schmücken, oder womit man sich bekränzte (Fig. 42 und 43), wie diejenigen, welche der Gottheit Aa zum Opfer gebracht werden (Fig-41), und die Pflanzen, welche aus --- 2< ſ SHS - Fig. 43. dem Wasser emporwachsen samt den Wellen, erscheinen stilisiert, d. h. regelmässig und charakteristisch gezeichnet (Fig-2). Die uns bestbekannten zarten, fächerartigen Gestal- tungen der herrlichen Palmettengebilde, welche meist mit Sz P *- X- Fig. 44 Spiralen in Verbindung gebracht wurden (Fig. 44 und 45), verdanken wir wieder dem hohen Kunstsinn der Henen, welche die Kunst mit einer ganzen Anzahl neuer, der Natur näherstehender Motive, (vor allem der berühmte Akanthus 26 darstellte und verwendete (Fig, 48), nicht weil sie die wirkliche Natur nicht wiederzugeben vermochten – wer es in der Porträtzeichnung ) und im Bronzeguss bereits zur vollendeten Naturwahrheit gebracht hat, wie die alten Ägypter, dem konnte es an dem nötigen Geschick keines- wegs fehlen – sondern man hat die Natur vereinfacht, stilisirt, weil man Kunstgefühl genug besass, zu empfinden, Fig. 48. Agyptisches Ornament aus Blumen und Knospen des Lotos. dass die Schmuckform sowohl der Bestimmung des zu schmückenden Gegenstandes, wie dem Materiale, aus dem - *) Theodor Graf in Wien, dem wir so viele für Kunst und Ge- schichte wichtigen Entdeckungen verdanken, wie z. B. den Papyrus- fund von El Tayum und die textilen Funde aus den Gräbern vom dritten Jahrhundert an – demselben ist es auch geglückt, in Ägypten die grösste bisher bekannt gewordene Sammlung von antiken auf Holztafeln oder Leinwand gemalten Bildnissen zu erwerben. Diese Porträte zeigen eine ungeahnte Vollendung der künstlerischen Form und verbreiten Licht über die verschiedenen, meist misskannten antiken Techniken. Es findet sich in dieser Galerie allerdings kein Werk, der von den alten Schriftstellern gepriesenen Meister der Portrait- malerei. Aber die Perlen der Sammlung sind Werke von einer so ausserordentlichen Wahrheit der Darstellung, dass sie den Vergleich mit manchem Werke heutiger Meister wohl aushalten können. – Die Porträttafeln lagen im Sande wohl geborgen. Die meisten sehr dünnen Holztafeln sind vollkommen erhalten und die Malereien erscheinen nach müheloser Beseitigung der feinkörnigen Sandschicht, als wären sie erst vor kurzem aus den Händen ihrer Verfertiger hervorgegangen. In der Zeitschrift für «Bildende Kunst» Heft I, Jahrgang 1888 finden sich etliche dieser Porträte in photographischer Nachbildung. / 27 er besteht, angepasst werden müsse. Die Lotosblume des Teppichs erfuhr eine andere Gestaltung wie als Opfer- gabe für den Verstorbenen oder als Schmuck des Mu- mienkastens. Überall be- F # gnügte man sich, auf die - zweckdienlichste und ein- Ä\F§ fachste VWeise auf das Objekt der Natur im Sinne seiner symbolischen Be- deutung hinzuweisen. Das Ornament hat sich auf Jahrtausende hin- aus auf die Verzierung der zeezzzez Fläche beschränkt. Es war dies zunächst eine # pädagogisch - psychologi- º sche Notwendigkeit. Aber selbst die sehr fortgeschrit- U. tenen Ägypter begnügten Tºº sich, die Kranzgesimse der Pylonen ihrer Temgel und die Mauerwände ihrer Gräber vorzugsweise mit fachem Schmuck zu ver- sehen und wo man zum Meissel griff, hat man sich mit Ausgrabung der Kon- turen begnügt, aber der Inhalt derselben blieb immer flach. Dagegen bediente man sich in ausgedehntem Masse der Farbe, die auch die flache Form zu ihrer Entwicklung 29 der Vasenbildnerei war der willkommene Anlass das Flachornament zu einer seither nicht wieder erreiche Höhe auszugestalten: Man findet auf den antiken Vasen keine Licht- und Schattenwirkung, keine PºrSPektivischen Täuschungen, nicht, weil man es nicht konnte, sondern weil man über genügendes Kunstverständnis verg um einzusehen, dass Vasenbilder der Grundform des G fässes, sich unterzuordnen haben, und daher eine andere Behandlung erfordern, als historische Darstellungen, als Landschaftsbilder und Gemälde, welche mit allem Reiz der ÄN F Fig. 5o. Griechisches Blumenband aus Lotos und Palmetten und verbindenden Spiralen. Illusion und der Wirklichkeit aufzutreten bestimmt sind. Bei der keramischen Kunst ist insonderheit der schwarz- und weissbemalten Thongefässe zu gedenken, bei welchen die streng befolgten ästhetischen Stilgesetze das Produkt dieses Gewerbes zum wahren Kunstwerk zu erheben vermochte. Harmonisch, mannigfaltig und weich, ohne jegliche Überladung wechseln in sinnvoller Anordnung Mäander-, Guilloche-, Wellen- und Palmettenornamente, Akanthus- und Aloeblätter, Epheu- und Lorbeergewinde, Perlschnüre, Masken, Tierköpfeu. s. w., aber immer in der Unterordnung unter die Konstruktivform (Fig- 5) 3 3 Griechen in kunstvollendeter Weise die treffendsten Aus- drucksformen geschaffen (Fig. 53–57). Die verschiedenartigen Formteile, aus denen jedes Produkt der technischen Künste Zusammengesetzt oder zusammengesetzt gedacht wird, erfordern den Ausdruck einer sehr innigen Verbindung, wenn sie in ihrer Gesamt- heit als ein einheitliches, in sich abgeschlossenes und gleichsam belebtes Wesen erscheinen sollen. Diese sinnbildliche Vereinigung der Glieder geschieht ebenfalls durch Formen, in welchen die Begriffe des Verbindens und Verknüpfens verkörpert und deutlich wahrzunehmen sind. Die formale Gestaltung und Bedeutung solcher Kunstsymbole ist stets von dem Inbegriff derjenigen Struk- turteile abhängig, welche unmittelbar auf dieselben folgen. Die einfachsten und am meisten angewandten Mittel dieser Art sind die runden, geschweifen oder eckigen Platten, deren Aufgabe darin besteht, andere Gegenstände aufzunehmen und denselben eine sichere Lage, einen festen Standort zu gewähren. So z. B. die quadratförmige Platte welche die klassische Säule nach unten mit der Über- deckung des Fundaments, dem Stylobat, verbindet und nach oben bereit ist, den mit einem kleinen Anlauf und Aé/az/, dem Karnies, versehenen Zylinder, Trochilus ge- nannt, aufzunehmen, welcher seinerseits auf die Gestalt des nun folgenden Säulenschaftes anspielt (Fig. 58). Die Thätigkeit des Tragens der Säule wird symbolisiert durch ihre Ansc/we//ung in der Mitte, und durch angebrachte Kinnen oder Canne/ören scheint sie an Stützkraft wie an Höhe zu gewinnen. Durch die kleinen Querschnitte zuoberst am Schaft der Säule wird einerseits dessen Abschluss ange- deutet und anderseits auf das nun folgende Kapitä/ vor- Z 34 Fig. 58. Attisch-jonische Ordnung. bereitet. Das Kapitäl nach Form und Aus- stattung als die Be- krönung des Säulen- stammes sich reprä- sentirend, weitet sich nach oben, ist aus- ladend, bereit, die Deck- platte aufzunehmen, welche die Säule auf diese Weise als Decken- stütze charakterisiert und als Konfliktssym- bol des statischen Ge- setzes von Kraft und Last auf die Decke selber oder auf die die- selbe tragende Mauer (Ante) vorbereitet. Auf demselben Prinzip der Gliederung und Ver- knüpfung der Teile zum Ganzen, beruht auch die Gefässbild- nerei der Antike.) Wird nun dieseSprache, die in der konstruk- tiven Form des Gegen- standes selber liegt, durch figürliche Dar- *) Die Renaissance kehrte in der Gefässbildekunst wie in der Architektur zu diesem Prinzip zurück. 35 stellungen aus Pflanze, Blume, Frucht -, - - -T=7 oder was immer, noch weiter Ver- Z - sinnlicht, dass die Bedeutung des S. 9/ 7 Gegenstandes und die Bedeu- 7. tung seines Schmuckes zusammen- treffen, so entsteht daraus ein Werk /“ höherer Ordnung. Seine Sprache – - - - - - CZ wird, wie im Liede, zur Musik, es -2- spricht seine Bestimmung in künst- lerischen VWeisen, in Tönen aus, die, wenngleich dem plastischen und malerischen Gebiet entnommen, im Grunde aber der Poesie angehören ſº und, wenn auch lautlos, doch ver- ständlich zum Herzen sprechen. Eine solche Formensprache ist also eine eigentliche Weltsprache, weil sie von jedermann verstanden wird (Fig. 59). - Die antike Formensprache ver- stösst sich aber nie gegen den Stilgedanken, dass die Grundform höher steht, als der Schmuck und Fig. 59. dass dieser sich jenem unterordnen Aufriss des dorischen muss. Denn das Ornament ist Säule samm“ Gefäé. - - - - - . a. Abakus. b. Ec\Ämus. c.YSanne- nichts Selbständiges, kann also für Ä. - - . Einschnitt. f Arcº- sich selber nicht gedacht werden, "Ärjº F. Geison. denn es ist von etwas ausser ihm Liegenden abhängig. Trotz solcher Abhängigkeit ist es aber von allen Elementen der bildenden Kuns. das freieste, weil seine Form an kein bestimmtes Objekt 36 gebunden ist. Der Ornamentist hat bei der Wahl seiner Motive die völligste Freiheit. Ihm darf es gleichgültig sein, ob dieselben der Geometrie, dem Pflanzen- oder Tierreich angehören, wenn er nur die gebrauchten Formen ohne Verstösse gegen das Gesetz ihrer natur- --- - A A "E= - = = YX = T= Fig.6o. Gemaltes Sima-Ornament. gemässen Entwicklung anzuwenden und im Dienste des zu schmückenden Gegenstandes darzustellen versteht. Alle Elemente der Schmuckformen hellenischer Kunst- blüte suchten sich in freiem künstlerischem Schwunge als Fig. 61. Plastisches Sima-Ornament. eigentliche Flachornamente zur stilvollen Schönheit zu ent- wickeln und durch die Mitwirkung harmonischer Farben mit der geadelten Grundform zu einer künstlerischen Ein- heit zu verbinden (Fig. 6O). Erst mit dem Rückgang der freien Künste (Archi- tektur und Skulptur) des klassischen Zeitalters wurde das 37 Flachornament vielfach vom Plastischen Verdrängt. Aber es geschah immer in bescheidener Weise und nie Wurde zum Beispiel in der Kleinkunst die Konstruktivform des Gegenstandes ungeziemend überwuchert oder ihre Linien gestört oder durchschnitten, wie es mehr oder weniger bei allen spätern Kunstepochen vorkommt (Fig.6I). 8. Über Stil und Naturalismus im allgemeinen.*) Eine wichtige Lehre für die Gegenwart ergiebt sich, wenn wir untersuchen, wie die organische Natur von der klassischen Kunst aufgenommen und verwendet wurde. Es erzeigen sich aus der Vergleichung mit der Gegen- wart zwei Lawt. Nerschiedene Methoden der Naturnach- ahmung. Der eine Künstler macht sich zur Aufgabe, die Natur möglichst getreu wiederzugeben und rücksicht- nehmend auf all' die Zufälligkeiten, die durch ungünstige Örtlichkeit, durch Regen, Wind und Wetter verursacht sein mögen, zur Erscheinung zu bringen und die Nach- bildung dieser Originale auf den Gegenstand, den er zu schmücken hat, naturgetreu zu übertragen. Ein solches Verfahren geschieht nicht mit Rücksicht auf den Charakter seines Werkes, auf seine Form, Glieder- ung und Bestimmung. Die Natur will dabei schon für sich selbst befriedigen, für sich selbst Schmuck sein; der Gegenstand, den sie schmücken soll, fällt erst in zweiter *) Vergl. J. von Falke, Ästhetik, Kapitel 11. 9. Verschiedene Grade der Stilisierung sind möglich. Der Grad der Stilisierung, bis zu welchem die natür- lichen Vorbilder geführt werden müssen, hängt ab vom Geschmack und dem Willen des Künstlers, vom Geschmack des Landes oder Volkes, dem er angehört, und drittens vom Geschmack der Zeit und Kunstepoche. Danach gibt es einen individuellen, einen nationalen und einen historzsc/en Stil. Alle drei sind für die Gegenwart bedeutungsvoll, die nicht nachahmen, sondern studieren und frei schaffen will. Wir sind also an keinen bestimmten Stil gebunden und unsere Stilisierung kann eine sehr verschiedene sein, in einer Weise, welche der Natur sehr nahe steht, und in einer Weise, in welcher das Urbild kaum mehr oder auch gar nicht mehr zu erkennen ist. Zwischen diesen Extremen liegen gar viele Abstufungen, je nachdem man es für zweckmässig hält, sich der Natur mehr zu nähern oder sich von ihr zu entfernen (Fig. 64). Für den Grad der Stilisierung, insbesondere der Pflanzen- und tierischen Formen ist von massgebender Bedeutung die Verschiedenheit der Eigenschaften des zu verwendenden Materials. Der eine Stoff macht es vielleicht möglich, dass die Nachbildung des Motivs der Normalform beinahe gleichkommt, ein anderer erlaubt nur die Wiedergabe der wichtigsten und ausgeprägtesten Züge des Originals. Ein in Silberblech oder Eisenguss ausgeführter Akanthus ge- stattet je eine ganz andere Stilisierung, als wenn ein solcher in Sandstein oder Marmor ausgemeisselt werden soll, und 41 eine Centifolie in Gold oder Schmiedeisen wird feiner sein, als in Stuck oder Terracotta. Auch der Massstab, in welchem das Vorbild ausgeführt und die Entfernung, von welcher aus das fertige Objekt gesehen zu werden be- stimmt ist, müssen bei der Stilisierung berücksichtigt werden. Fig. 64. ZDoppelter B/ätterke/ch aus römischem Akanthus, Bestimmte Normen über den Grad der Stilisierung lassen sich natürlich nicht aufstellen und wir beobachten ein be- ständiges Schwanken hinschtlich der als richtig erkannten Grenzen fast bei allen Kunstepochen, bis die moderne Ornamentationsweise im Naturalismus aufgegangen ist.) *) Vergl. J. Matthias, Formensprache § 37. 42 10. Das Flachornament nach antiker Auffassung ist fortgesetzter Pflege würdig. Bekanntlich erscheint uns die Körperwelt in drei Dimensionen, nach Länge, Breite und Tiefe. Dem un- geübten Auge erscheinen die Tiefendimensionen nicht im Verhältnis des Hintereinander, sondern in dem des Neben- Fig. 65. Italienische Holzintarsia. einander. Die Wahrnehmung dieser sogenannt »dritten Dimension« geschieht erst allmälig auf empirischem Wege. Mit andern Worten: das perspektivische oder körperliche Sehen ist das Resultat eines ziemlich langwierigen Bildungs- prozesses des menschlichen Auges. 47 12. Über das Stilisierungsverfahren. Der weitaus grösste Teil der Ornamente ist der Pflanzenwelt entnommen, weil diese Formbildung für den Schmuck am unentbehrlichsten ist. Das Blatt spielt dabei die Hauptrolle. Wie soll nun das Blatt der Natur stilisiert werden ? Am besten ist, man zeichne es von seiner Rückseite, wobei das Knochen- gerüste, die formgestaltenden Blattnerven, sowie das Charak- teristische des Stilansatzes am auffallendsten zur Erscheinung gelangen. DerHauptnerv, dieSymmetrieaxerepräsentierend, wird zuerst gezeichnet. Nun folgt der allgemeine Umriss der Blattform, als die Zurückführung auf die ihr zu Grunde liegende geometrische Form, Kreis, Polygon, Oval, Zwei- eck, die elliptische Form u. s. w. Hierauf folgen die wichtigern Nebenrippen, die Blattaugen, die Blattlappen, Einschnitte und Verzahnungen, alles in naturgemässer Entwicklung. Einzelne Partien der Blattfläche erscheinen durch die Kraft des Wachstums vorgedrängt; es bildeten sich die Blattspitzen, einzelne sind zurückgeblieben, es entstunden die Einschnitte. So hat man sich die Ent- stehung des Blattschnittes, worin die Individualität haupt- sächlich repräsentiert erscheint, zu denken. Nur das Wesent- liche und Unterscheidende wird aufgenommen, oft sogar übertrieben, das Unwesentliche und Unbedeutende wird weggelassen; das Blatt erscheint stilisiert: man hat die Idealform, den Typus, den die Natur gewollt hat. Eine Blume wird am einfachsten und schönsten stilisiert, wenn man sie von oben betrachtet, und in symmetrischer 48 Fig. 7o. Pilaster- /üllung aus Venedig. Stellung ihrer Blätter zeichnet. Je nach der Form der Motive erhält man so Rosetten und Sterngebilde in grösster Mannigfaltigkeit, die zur Ornamentation in Reihungen oder bei regelmässiger Verteilung im Dessin die vortrefflichsten Dienste leisten. Bei glockenförmigen Blumen empfiehlt sich die Profilzeich- nung, wie die Ägypter ihre Lotosblüte stilisiert und in wahrhaft künstlerischem Sinne verwendet haben. Eine Hauptbedingung naturgemäs- ser Stilisierung ist die sorgsame Beob- achtung des Prinzips der Unterordnung. Jedes vegetabilische Ornament erscheint in Haupt- und Nebenzüge gegliedert. Das Herrschende, die Hauptzige, sind die Ranken, resp. die grossen, durch- laufenden Linien (Fig. 7O). Diese bilden das Grundgerüste des Ornaments, um das sich die übrigen, untergeordneten Teile in tangentialer Verbindung grup- pieren. Das ist stets das Detail, das Nebensächliche, also das Blatt, die Blüte, der Blütenkelch, die raumfüllenden ran- kenartigen Endungen, ja mitunter selbst das ins Ornament mitverflochtene figu- rale Motiv. Beim Entwerfen einer Zeichnung ist dem Gesetz der Unterordnung in der Weise Rechnung zu tragen, dass man 49 mit den herrschenden Zügen beginnt und das Detail erst hineinfügt, wenn jene richtig gestellt sind, nicht um- gekehrt. Es muss überhaupt jeder einzelne Linienzug auf. Seine Schönheit geprüft werden. Jedes Ornament be- steht aus einem System von Linien. Wenn jedes ein- zelne Element für sich schön ist, so muss auch das Ganze schön sein, sofern die Elemente richtig auf einander be- zogen sind. Ein schöner Linienfluss und die verständnis- volle Beobachtung des Gesetzes vom Verhältnis ungleicher Teile ist immer die Lösung des Rätsels, wenn uns ein Ornament bei all seiner sonstigen Einfachheit so Sympathisch anspricht, was namentlich bei mehrfach - symmetrischen Raumfüllungen am klarsten zu Tage tritt. Je freier im übrigen der Künstler über seine Formen verfügt, um so grössere Freiheit gewinnt er, dieselben nicht nur zu geistreichen Kombinationen und Zusammen- stellungen nach Gutfinden zu verwenden, sondern er kann mit eben so freiem Ermessen auch über die Farben ver- fügen, denn die Stilisierung der Form entbindet ihn von der Wiedergabe der Farbe des Urbildes und er hat allein auf den koloristischen Zweck Rücksicht zu nehmen, Wie der indische Kunstjünger mit der zerpflückten Blume sein Spiel treibt, um neue Blumenformen und Stern- gebilde und Farbenkombinationen zu erfinden, so ist der Ornamentist im Reiche der Formen und Farben der UN- umschränkte Herrscher und Schöpfer. Aber wie im Sozialen Leben die Ungebundenheit keine Freiheit zulässt, so 1IlUSS sich der Künstler einerseits von den Eingebungen eines ausgebildeten Kunstgeschmackes leiten lassen, wie er andererseits Rücksicht zu nehmen hat auf die ästhetischen Gesetze, welche in der ornamentalen Formensprache zum 4 50 Ausdruck gelangen und von keinem Stile abhängig sind. Es sind die Gesetze der Eurythmie (die Wiederholung in der Reihung gleicher oder abwechselnder Elemente), die Symmetrie (als Ausdruck der Einheitlichkeit und Ab- geschlossenheit einer Kunstform als Individuum) und als das dritte und letzte, das Gesetz der Proportiozz oder die Beziehung ungleicher Teile zu einander, wovon soeben die Rede war.) Unter diesen drei Gesetzen ist das rhythzzzzsc/e das primitivste; bei ihm kommt vorzugsweise die geometrische Form zum Ausdruck. Als ein Kunstgebilde höherer Ordnung ist das Ornament von entschieden symzznetrischer Durchbildung, wie sie hauptsächlich bei der vegetabilischen Blätterform zur Erscheinung gelangt, zu betrachten, und am höchsten steht das Ornament, bei welchem von Pro- portion, von schönen Verhältnissen ungleicher Teile unter einander die Rede sein kann. In diese Kategorie ge- hören die edleren Erzeugnisse des Kunstgewerbes, Schmuck- sachen, Kannen, Krüge, Becher, architektonische Bau- teile und als höchster Triumph aller Proportionalität – der Mensch. (Vergl. Goldener Schnitt, Kap. 21). 13. Wie hat die alte Kunst stilisiert? Merkwürdigerweise treffen wir auf die strengste Stili- sierung gleich beim Beginn der ganzen Entwicklung der Kunstgeschichte, eine Zeit, von der man doch eher hätte *) Vergleiche Ritter v. Feldegg, kunstgew. Formenlehre, Einleitung. 51 erwarten könne", dass den ersten künstlerischen Ein- gebungen die blosse Kopierung der Natur näher gelegen gewesen wäre, als die Stilisierung, die gewissermassen eine höhere Stufe des Könnens und der Intelligenz erfordert. Wir haben bereits der merkwürdigen Erscheinung gedacht, dass der erste Kunststil, der ägyptische, die Natur meister- haft zu stilisieren verstund. Die ägyptische Kunst war freilich nicht V9" rein künstlerischen Gesichtspunkten ge- leitet und nicht im alleinigen Dienste der reinen Schönheit. Sie stund vielmehr unter dem Zwange hieratischer Vor- schriften, und die religiöse Symbolik entschied über die Wahl der Motive, welche zur Verzierung dienen sollten. Aber es blieb immer noch die Art der Stilisierung frei, und dieselbe wurde mit grosse" künstlerischen Verständnis durchgeführt. Zu den wenigen Elementen, welche die ägyptische Kunst der Natº entnommen, gehören der Lotos, der Papyrus und die Palme wodurch die Nahrung des Leibes und des Geistes symbolisch dargestellt wurde. Die ge- brauchten Motive sind nicht einmal weit Von der Wirk- lichkeit entfernt und doch nicht mehr das, was sie in der Natur sind. Alle sind ihrer Zufälligkeiten entkleidet und in durchaus regelmässige symmetrische Form ge- bracht, sowohl als KnosPe", Blume oder Pflanze. Sie °- scheinen " verschiedenen Reihungen, in verschiedenen Graden ihrer Entwicklung, bald in Bündeln vereinigt, Bald in fächerförmiger Anordnung Selbst da, wo diese Blumen au” dem Wasser emporsteigen, stehen sie in gleichen Abständen, in gleichem Wuchs und gleicher Form, und sogar die Wellen haben in ihren Linien ei" regelrecht" Lauf (Fig. 71, vergl. Fig: ? vornen). - 53 14. Wie dekorieren die Orientalen die Textilstoffe? Wie die Europäer? Eines Stiles müssen wir doch noch gedenken. Es ist der Textilstil der Orientalen, der in der Neuzeit an- lässlich der Weltausstellungen erkannt und nach Verdienen gewürdigt und auch seitdem in den Produkten des euro- päischen Webstuhls vielfach nachgeahmt wurde. « Die europäische Dekorationsweise der Textilstoffe geht dahin, Zeichnung und Farbe stets klar und deutlich auseinander zu halten. Sie beruht daher auf dem Kontrast der Farbe und zugleich auf der Schönheit der Zeichnung. Die Zeichnung ist für sich ein Etzwas, sie ist von formeller Bedeutung. Diese Dekorationsweise hat ihre volle Be- rechtigung, wenn sie geübt wird, wie z. B. in den Zeiten der Renaissance. Die Bedeutung des Ornaments aber übertreibend, und die dekorative Wirkung vernachlässi- gend, ist sie heute entartet, und hat in dieser Entartung zum Naturalismus geführt.» « Die orientalische Weise geht von der Beobachtung aus, dass nebeneinander gestellte Farben, wenn das Auge ferner und ferner tritt, sich auf der Netzhaut mischen, und zwar in der Weise, wie es auf dem Farbenkreisel geschieht, nicht aber so und in den Tinten, wie bei der Mischung der Pigmente, den körperlichen Farben. Es giebt aber noch einen andern Unterschied. Die Mischung der Pigmente ergiebt einen einzigen gleichmässigen Ton, die Mischung der Farben auf der Netzhaut aber behält 54 stets ein inneres, schimmerndes Leben; die Farbe wird nicht tot und stumpf, sondern bleibt lebendig, spielend. Und das ist vom dekorativen Gesichtspunkt aus gewiss ein grosser Vorzug.» « Aus diesem Vorzuge hat die orientalische Kunst ihre hauptsächlichsten Reize geschöpft: sie hat ihr System, ihre Dekoration der Harmonie darauf gegründet, wie man ihre Art im Gegensatz zur europäischen Weise zur De- Aboration des Kontrastes, nennen kann. Ihre eigentliche Tendenz ist es, die Farben so durcheinander zu verteilen, dass sie bereits in gewöhnlicher Entfernung des Beschauers sich im Auge mischen und in eine tonreiche Harmonie zusammenfliessen. Sie stellen nicht die Zeichnung, das Ornament, der Grundfläche, der Farbe des Grundes gegen- über, sondern sie heben diese durch die Verteilung ge- wissermassen auf und lassen sie nur als eine Farbe neben der zweiten oder neben den übrigen mitwirken. Dabei verliert freilich die Zeichnung an Bedeutung; doch ist sie deshalb der orientalischen Kunst keineswegs gleichgiltig, wenigstens durchaus nicht überall. Wenn es z. B. Teppiche giebt, bei denen alle Zeichnung, alle Symmetrie gänzlich vernachlässigt erscheint, so giebt es viele orientalische Arbeiten, bei welchen die Arabesken von bewunderungs- würdiger Kunst und Feinheit sind. « Auf dem gleichen Prinzip beruht der Effekt der gedruckten blumigen Baumwollstoffe Indiens und Persiens; diesem Prinzip folgen die farbenreichen Teppiche von Hochasien, Vorderasien, die Teppiche von Syrien bis Marokko. In allervollkommenster Weise ist es in den Shawlgeweben von Persien, Tibet und Kaschmir durch- geführt.» (J. v. Falke, Ästhetik) 55 15. Nach welchem Prinzip ist die dekorative Plastik zu beurteilen? Nach antiker Auffassung besteht jedes Erzeugnis der Tektonik aus einem Gerüste von Teilen oder Gliedern, deren Zusammenwirken zum Ganzen notwendig ist. Die Individualisierung dieser Teile erfordert eine Unterordnung unter sich sowohl wie zum Ganzen, und jeder Teil für sich hat diejenige Funktion zu symbolisieren, die ihm nach seiner Bestimmung vom Ganzen übertragen ist. Die Neuzeit sucht mehr und mehr zu diesem für alle Zeit giltigen Prinzip zurückzukehren, nachdem man es seit der Zeit der Renaissance, namentlich aber seit dem Rococo des 18. Jahrhunderts, vollständig verlassen, um sich dem sterilen Naturalismus in die Arme zu werfen. Der tiefe Sinn, welcher in der antiken Anschauungs- weise zum Ausdruck gelangt, wird uns erst vollkommen klar, wenn wir es versuchen, verschiedene Erzeugnisse der Keramik oder der Tektonik nach diesem Prinzip zu beurteilen. - Kein Kunstwerk besagter Art ist in gleichem Masse hiezu geeignet – weil ohnehin schon der allgemeinen Kritik ausgesetzt – wie das Wohnhaus. Schon durch seine hohe Bedeutung an sich, ist es dazu angethan, die Kritik wach zu rufen, namentlich aber durch den Umstand, dass eine ganze Reihe von Fachleuten direkt oder indirekt dabei beteiligt sind, welchen Urteilsfähigkeit nicht abge- sprochen werden kann. 56 Dass aber auch ein weniger sachverständiges Publi- kum im Kritisieren nicht zurückhält, ist so bekannt, wie natürlich; und gegen solche, die gar nur zu tadeln wissen, ist der bekannte Spruch gerichtet: «Wer will bauen an die Strassen, muss die Narren reden lassen.» Versuchen wir es, einige leitende Grundsätze aufzu- stellen, welche es uns ermöglichen, ein Wohnhaus, das nicht blosser Nutzbau sein will, sondern den Anforderungen der Ästhetik zu genügen trachtet, zu beurteilen. Wir werden bei unserem Vorgehen auf die Zeit des Ursprungs der menschlichen Wohnung zurückgehen müssen. Wie wir bereits wissen, ist das Zelt der Urtypus des Wohnhauses. Das Zelt besteht aus dem konstruktiv-thätigen Gerüste von Holzstäben. Der Boden ist mit dem primi- tiven Teppich belegt; Teppiche bilden die Wände und dienen als Dach. Das ist das Haus nomadisierender Völker. Wo ein Volksstamm, Ackerbau treibend, bleibend sich ansiedelte, hat auch das Zelt einen festen Standort und eine dauerhafte Gestalt und Bauart gewonnen. Aus den Holzstäben sind Holzbalken und aus den Teppich- wänden Lehmz- oder Mauerwände geworden, und die Maurerei, sowie andere mit dem Bauwerk in Verbindung stehende Gewerbe haben ihren Anfang und Fortgang genommen. Das ursprünglich natürlich äusserst primitive Haus hat sich mit der Zeit stetig weiter entwickelt; es ist solider und bequemer geworden, bis es sich im klas- sischen Zeitalter, namentlich im Tempelbau, zu einem Werke höherer Kunst herauszubilden vermochte. Aber der Gedanke, welcher im Urtypus, im Zelt niedergelegt ist, konnte nie verloren gehen; denn sein Ursprung ist 57 so naturgemäss, dass der Zusammenhang von Zelt und Haus sich wieder ergeben müsste, wenn alles Bestehende untergienge und eine ganz neue Welt geboren würde. Betrachten und beurteilen wir deshalb das Haus nach der klassischen Auffassungsweise – sie ist ja für alle Zeiten feststehend und unabänderlich. Nach der antiken Idee besteht das Haus aus einem Gerüste von Stein, dem in symbolischer Weise die Thätig- keit des Stützens und Tragens unterlegt ist, während die Mauerwände gleich den Teppichwänden neutral oder un- thätig erscheinen, obschon sie in der Wirklichkeit ebenfalls thätig sind. Welches ist nun jenes konstruktiv-thätige Stein- gerüste des Wohnhauses ? Das ist zunächst der über dem Fundament gelegene Sockel, wozu, wie auch für die übrigen Konstruktivglieder, ein festeres und wertvolleres Steinmaterial verlangt wird. Auf den Socke\, etwas zurücktretend, stützen sich die, die Hauptfaçade begrenzenden Ecksteine, ferner die Säulen, Pilaster, die Fenster- und 7%ürlaibungen, als Glieder, in welchen die Idee des Stützens und Tragens verkörpert ist, während die neutral erscheinende Mauer, als in Ge- danken weniger wichtig und gewöhnlich auch aus ge- ringerem Material bestehend, wieder etwas weiter zurück- steht. Betrachten wir der Einfachheit wegen nur die Haupt- façade eines gedachten Hauses, wie dieselbe etwa einem vorbeigehenden Kunstfreunde zur Kritik sich präsentieren dürfte. Da machen sich vor allem die verschiedenen Stock- zwerke bemerkbar. Dieselben dürfen nicht beliebig und willkürlich aufeinander aufgesetzt sein, wie die Häuser des 64 alle Einzelnheiten hinab von der Liebe zur Kunst und ihrem heiligen Lichte durchglüht, und, gleichviel ob un- bedeutend oder wertvoll, erschien – wie uns z. B. die Ruinen von Herkulanum und Pompeji belehren – zur Zeit der antiken Kunst alles in den anmutigsten Formen, und bei aller Mannigfaltigkeit der Erfindung musste sich das Ornament dem zu schmückenden Gegenstande unter- ordnen, und überall liess sich die Bestimmung des Gegen- standes aus seiner Form erkennen. Wir aber, als die nächsten Erben des Rococo und der Zopfzeit sind immer noch von jenem Geiste beherrscht, welcher das Orna- ment vom Gegenstand loslöste und zur Hauptsache er- hob und die berechtigte Form zu unterdrücken suchte, um desto auffallender und paradoxer auftreten zu können. Auf diesem irrationellen Wege, in Gestaltung unserer Kunsterzeugnisse, sind wir zu dem gelangt, was wir « Mode» nennen, oder zum Gefallen an dem, dass wir in einer Saison schön finden, was wir in der nächsten als «altmodisch » bei Seite stellen. Der Mangel einer berechtigten Form bei vielen Artikeln unseres Kunst- gewerbes lässt uns nicht mit bleibendem Wohlgefallen an dieselbe fesseln. Das Luxusbedürfnis will aber gleich- wohl befriedigt sein, und, da wir von der einfachen Schönheit der natürlichen Form abgewichen sind, suchen wir den Blick durch das Ungewöhnliche anzuziehen und sagen dem Publikum, dass das die neueste Mode und deshalb schön sei. So wird in der Sucht nach Neuem der gute Geschmack stetig verdorben und gegen den einfachen Satz der Kunst, dass die Form eines Gegen- standes seiner Bestimmung und der Natur seznes Materials entsprechen muss, gesündigt. Der Bierhumpen wird zum 65 Bierfass, der Zigarrenbehälter zur Alphütte oder zum Hundehaus, auf dem Zigarrenspitz treibt eine Schweins- jagd, der Zuckerlöffel erscheint als gestielte Blume, auf dem Holzlöffel prangt das Edelweiss, Gold erscheint als Leder, Holz als Metall, der Stecknadelkopf als Insekt, das Hufeisen als Schmuck, ein Zierleić wird zum Trink- geschirr, eine Fruchtvase erscheint als zerbrechliches Blätterwerk, auf eine Blumenvase, welche zuweilen eine viereckige Gestalt hat, kommt ein gemaltes oder plastisches Bouquet. Eine Amphore erscheint in der Imitierung von Holz und plastischem Silberschmuck. Ein Band, wider- sinnig genug, ist mit erhaben gemalten Blumen ge- schnmückt. Hunderte von Gegenständen finden wir in unseren Modemagazinen zum Verkauf ausgestellt, bei welchen kein bestimmungsgemässer Gedanke aufkommen kann. Nur da ist eine solche Verwechslung des Ornaments mit der Konstruktivform zulässig, wo es sich darum han- delt, eine glückliche Laune oder einen guten Witz zu veranschaulichen. Bei solcher Modeherrschaft leiden namentlich auch unsere Frauen. Es ist ihnen immer noch nicht gestattet, sich nach Gutfinden zu kleiden, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollen, als altmodisch und ungebildet zu gelten. Ob eine Form oder Farbe die Vorzüge hebe, oder vorhandene Mängel bis zum Unscheinbaren ab- schwäche, fällt erst in zweiter Linie in Betracht und die Taille wird nicht selten unter Aufopferung der Gesund- heit bis zum Unnatürlichen geschnürt. Dass die schmalen Stiefelabsätze und die engen Roben unsern Frauen einen sichern Gang unmöglich machen, dass der Hut zur Haube O 66 oder zur Kappe geworden, gilt heute so wenig als un- ästhetisch, wie die sogenannten Tournüren; freilich wird man bald über solchen Unsinn spotten, um möglichst schnell einem andern Platz zum machen. Aber unser Kunstgewerbe leidet noch an grösseren Mängeln: Ein grosser Teil unserer Erzeugnisse hat sich jedes Schmuckes entkleidet und ist zum Produkt der reinen Utilität herab- gesunken. Es ist das freilich zunächst die Folge vielfach veränderter Verhältnisse, der zunehmenden Maschinen- arbeit, der übertriebenen Konkurrenz und der dadurch bedingten grossartigen Arbeitsteilung, bei welcher der Arbeiter selbst wieder mehr oder weniger zur Maschine wird. Allein es bleibt für geschickte Hände noch sehr viel zu thun übrig; darum muss der angehende Hand- werker wieder zeichnen lernen und, an der Hand guter Muster unterrichtet, ästhetisch erzogen, zum Kunsthand- werker gemacht werden. Doch fängt es in dieser Be- ziehung an zu tagen, und man trägt für den Formen- schmuck und den Reiz der Farben nicht mehr die frühere Unempfänglichkeit zur Schau. Auf allen Gebieten der In- dustrie ist in dieser Hinsicht ein Fortschritt zu verzeichnen. Aber der Pfuscherei und dem Modeschwindel gegenüber ist das echt Schöne und Gute immer noch sehr im Nach- teil, und das grössere Publikum lässt sich immer noch durch den Schein der billigen Ware verblenden. Um so mehr wird es Pflicht jedes einsichtvollen Bürgers, nach dem Masse seiner Kräfte dafür zu wirken, dass die ächte Kunst der Industrie wieder zugänglich gemacht und das wirkliche Verdienst belohnt werde. Es soll nicht das erste und letzte Ziel des Kunstgewerbes sein, einer gewöhn- lichen Kundsame zu genügen, sondern es muss danach 70 - nahe Berührung nicht vertragen, so müssen die Kontur- linien recht kräftig ausgezogen werden. Öfter werden sie sogar doppelt gezogen, indem z. B. neben Gold oder Silber noch Schwarz oder Weiss hinzugefügt wird. In all diesen Fällen ist die Konturlinie als eigentlicher Be- standteil des Ornaments zu betrachten und zu behandeln. Öfter wird das Flachornament statt in Schwarz in Farben konturiert. Bei der Wahl solcher Konturfarben gilt als allgemeine Regel, dass jeweilen eine hellere oder dunklere Nuance der sich im Muster berührenden Lokal- farben genommen wird. Im allgemeinen ist Schwarz als die geeignetste Kontur- farbe anzusehen. Es trifft dies namentlich dazu, wo feinere Ornamentformen vom Grunde abzutrennen sind. In diesem Falle müssen aber auch die Konturlinien nur fein ausge- zogen werden, damit das Kolorit kein düsteres Aussehen gewinnt. Schwarze Konturen sind im besondern auch da zu empfehlen, wo es sich darum handelt, goldene Ornamente von farbigem Grunde oder farbige Ornamente von goldenem Grunde abzuheben. Häufig leistet auch ein stumpfes Braun') sehr gute Dienste, weil es fast ebenso gut deckt und trennt als Schwarz, dabei aber wärmer und freundlicher aussieht. Die hellen Farbentöne sind weniger passend, weil sie wegen ihrer lasierenden Eigenschaften nicht genügende Deckkraft besitzen. Will man sich aber aus ästhetischen Gründen dennoch derselben bedienen, so müssen sie *) Ein vortreffliches Deckbraun liefert die Mischung von Indischrot oder Zinnober mit wenig Blau oder Neutraltinte. Die Farbe muss aber hinreichend dickflüssig angerieben werden. 72 lung der der Wirklichkeit angehörenden Gegenstände wird immerhin geeignet sein, mehr oder weniger das subjektive Können des Künstlers vor seiner objektiven Auffassung der Natur zum Vorteil des dekorativen Schmuckes zur Geltung zu bringen und in dieser Weise dem sterilen Naturalismus der Gegenwart Einhalt thun. Für die Zwecke des Schulzeichnens ist zu empfehlen, dass alle Ornamente, welche schliesslich koloriert werden sollen, nach deren Reinzeichnung in Bleistift mit Feder (Kugelspitz)und Tuschein entsprechender Stärke ausgezogen werden. Die Manipulation ist für den Anfänger freilich etwas schwierig und es bedarf zur Herstellung einer un- gebrochenen und gleichmässig starken Linie Aufmerk- samkeit und Fleiss. Aber die Übung zur Ausdauer ist nicht der letzte Zweck des Zeichnens. Gewiss wäre es aber vom Übel, sollten die Bleistiftkonturen gänzlich ver- nachlässigt werden. Wir besitzen eben kein Pigment, das dem Blei mit all seinen vortrefflichen Eigenschaften, (z. B. die Hardtmutstifte) für das Auge wie für die Hand gleichgestellt werden könnte, und es ist kaum begreiflich, wie man denselben für die Zeichenübungen") aus vielen Schulen ausschliessen und die Alleinherrschaft der Feder zu einem neuen Evangelium erheben konnte. Um nicht Gefahr zu laufen, dass die Tuschkontur beim Überwaschen mit Wasser – was ja zur Erlangung eines *) Zeichenunterricht oder Zeichnenunterricht? Die letztere Bildung verstösst gegen die Regel, nach welcher Verben mit Substantiven zu- sammengesetzt werden. Es verliert dabei das Verb seine Infinitiv-Endung, z. B. Sehwinkel, Sprechsaal, Turnkunst. Nun heisst der Infinitiv voll- ständig zeichenen (altdeutsch) und demnach die Zusammensetzung Zeichen- zunterricht. Zeichnungsunterricht kann man so wenig sagen als Schreibungs- oder Turnungsunterricht. 79 A Wenn wir in der Gegenüberstellung des perspek- tivischen Zeichnens mit dem Ornamentzeichnen dem letztern eine unbedingt höhere Bedeutung zuerkennen, so müssen wir uns dabei noch etwas deutlicher aus- sprechen. Wir verstehen unter ersterm die unverhältnismässige Betonung der sogenannten dritten Dimension, wie es sich aus dem fast endlosen perspektivischen Körperzeichnen ergiebt. Bis all jene Würfel, Pyramiden, Prismen, Kegel, und Kugeln in allen möglichen und unmöglichen Dreh- ungen und Stellungen besprochen und gezeichnet und in schwarzer und weisser Kreide fein ausstaffiert sind, damit man deren täuschende Körperlichkeit bewundere, geht die Schulzeit zu Ende und über dem Mittel geht der Zweck verloren. Nach unserem Ermessen hat die Per- spektive, welche im praktischen Leben seltene Anwen- dung findet, für die Schule nur insoweit Bedeutung, als sie ein nicht zu unterschätzender Faktor ist, den Schüler an eine ruhige vorurteilsfreie Betrachtung der Gegenstände zu gewöhnen, überhaupt das Auge für räumliche Auf- fassung körperlicher Formen auszubilden. Und da zum Verstehen einer Kunst meist auch eine gewisse Übung erforderlich ist, so ist es ja sehr wünschenswert, dass der Schüler Anleitung erhält, wie die einfachen Objekte seiner Umgebung in leicht hingeworfenen Skizzierungen auf Papier zu bringen sind; mehr braucht es nicht. Eine aus- gesprochen malerische Wirkung soll dabei nicht erstrebt werden; die «schöne Linie » soll immer die Hauptsache bleiben und eine akademische Auffassung der Form, WO- bei auch die Luftperspektive in Betracht gezogen werden 80 muss, halten wir bei der allzu knappen Zeit mit den al- gemeinen Aufgaben der Schule nicht für vereinbar.) Man darf uns aber auc/º nzcht so verstehen, als zwurde das Ornamentzeichnen überhaupt und schlechthin den Stoff und die Aufgabe des Zeichenunterrichts repräsentieren. Wir verstehen eben unter Ornament nicht bloss die Zierformen, womit man kunstgewerbliche Gegenstände zu schmücken pflegt; wir fassen den Begriff in weiterm Sinne, wo schon einzig die geläuterte körperliche Grundform durch das Ebenmass ihrer verschiedenen Teile, d. i. durch den künstlerischen Adel ihres Profils das ästhetische Gefühl befriedigt, was ja bei den antiken Thonwaren, selbst wenn sie gar keine Verzierung hätten, der Fall ist. Ja, in vielen Fällen ist das Ornament so eng mit der Grundform ver- bunden, dass das eine ohne das andere gar nicht gedacht werden kann, wovon uns wieder die Antike in ihren freien Endigungen (Stirnziegel, Meilenzeiger, Grabstelen) und Stützen, den Kymatien bei Konsolen und Kapitälen, die herrlichsten Beispiele liefert. Statt jener ewigen Körperdrehungen zeichne man recht viel solche edle Körperformen zumeist nur in blossen Umrissen und en profil, wo die Darstellung der dritten Dimension der geometrischen Projektion gleichkommt oder nur wenig davon abweicht, eine Darstellung, die keinem Schüler Kopfzerbrechen macht, selbst ohne alle Perspektiv- lehre. *) Im 15. und 16. Jahrhundert war, sozusagen, jeder Handwerker ein fertiger Zeichner; aber sie haben diese Kunst nicht vom geometrischen Körper abstrahirt, sondern auf dem Wege des Nachbildens mustergültiger Ornamente erlernt und Geschmack und Phantasie zur Freiheit und zum Selbstbilden erzogen. 86 ständig gleichgiltig, ob es durch einen Schreiber oder durch eine Kopierpresse vervielfältigt wird, wenn man nur Kopien erhält. Man kann aber auch Zeichnungen kopieren, am leichtesten durch den Pantographen, die Photographie und mittelst Durchpausen. Jede Zeichnung trägt daher auch den Stempel des Mechanischen an sich, die in der Weise der Schriftkopie, auf dem Wege ge- dankenloser Nachahmung, zustande gekommen ist: Es ist eine Kopie im engern, geringen Sinne. Dagegen ist jede Nachbildung als eine Zeichnung zu betrachten, wenn zu ihrer Darstellung eine zielbewusste, die Geisteskräfte bethätigende Methode befolgt wird. Diese Unterscheidung ist für die Schule von um so grösserer Wichtigkeit, als es gerade hievon abhängt, ob der Zeichenunterricht als bedeutend, als fruchtbringend sich erweisen soll, oder ob er, wie es leider noch meisten- orts geschieht, als leichte Ware in den Kauf mit Wich- tigerem noch ferner mitzulaufen hat. Es entsteht daher die Frage: wer « kopiert» und wer « zeichnet »? Es ist dies bereits angedeutet; doch wird es am Platze sein, auf diese Unterscheidung noch etwas näher einzutreten. Beide Thätigkeiten unterscheiden sich wesentlich in der Art und Weise, wie sie begonnen werden. Der Zeichner wird je nach dem Massstab seines Könnens auch die Wege und Mittel wählen, welche ihm die Nachbildung ermöglichen sollen. Es geschieht dies entweder mittelst klarer, bewusster und freier Auffassung des Objekts, was Geist, Auge und Hand bildet, oder die Darstellung ist eine verständnislose, oberflächliche und mechanische, welche das ästhetische Formgefühl beleidigt. Der kopierende Schreiber wie der zeichnende Kopist lässt 8 7 den Wert oder Unwert seiner Arbeit und die dazu ver- wendeten Mittel unbeachtet; denn beiden ist es nicht um den Gewinn von Erkenntnis, sondern um das schliessliche Ergebnis zu thun. Wie es dem kopierenden Schreiber nicht unbedingt nötig erscheint, Sinn und Zusammenhang des Geschriebenen aufzufassen und zu behalten, sondern nur die richtigen Schriftzeichen wählt, so ist es dem kopierenden Zeichner auch nur daran gelegen, ein leidlich richtiges Nachbild der Vorlage zu liefern. Der Geist, welcher in der Form liegt, bleibt ihm in verschleiertem Dunkel gehüllt. Ein solch' denkfauler Schüler greift nach jedem mechanischen Hilfsmittel; er misst ab, sticht durch, pausiert und überträgt; er ahmt gedankenlos nach. Ein solch' mechanisches Verfahren, das im Gegensatz steht zu allem Verständigen, Methodischen und Gesetzmässigen, ist nicht allein Stillstand, sondern es führt den Schüler intellektuell und moralisch zurück; weil er dabei alles Ver- trauen auf seine eigene Kraft einbüsst und die Liebe zur Wahrheit verliert. In ganz anderer Weise verfährt dagegen ein richtiger Zeichner. Die Hauptarbeit seines Zeichnens ist geistiger Art. Ihm ist in erster Linie darum zu thun, der Gesetz- mässigkeit im organischen Aufbau seines Originals nach- zuspüren und mit klarer Einsicht den ästhetischen Form- gedanken zu erfassen. Er prüft und vergleicht; er ruht und rastet nicht, bis er denselben in seinen Grundzügen beherrscht und frei und selbständig zu reproduzieren ver- mag. Einer solchen Auffassung wird auch der Vorgang der Wiedergabe entsprechen. Er wird z. B. bei einem Ornament mit Feststellung der allgemeinen Grundform beginnen und in genetischer Stufenfolge die herrschenden 89 berechtigung der flachen Form geleugnet werden, so möchte man versucht sein, an die Rückkehr des Rococo zu denken, der durch die raffinierteste Weise die Fläche aus der Welt zu schaffen suchte und in grellem Wider- spruch mit der Forderung des Zweckmässigen nicht nur die ebenen Flächen an Kisten und Kasten mit erhabenem Schmuck versah, sondern sich sogar bemühte, den Pro- dukten der Texterie eine verlogene Körperlichkeit zu ver- leihen. Man wird in Schulen von allgemein bildendem Charakter doch nicht gleich Holzschnitzler, Stuckarbeiter, Bildhauer und Ciseleure heranziehen wollen, sondern man wird mit Hintansetzung spezieller Berufszwecke in metho- discher Reihenfolge vom Leichtern zum Schwerern, vom Nahen zum Fernern, vom Bekannten zum Unbekannten vorzugehen und an einer grossen Zahl von Formen, Auge und Hand des Schülers zu höchstmöglicher Freiheit zu erziehen haben. Zudem ist es auch ganz widersinnig, von einem Schüler auf dieser Stufe, dessen Auge und Hand noch fast ohne Schulung ist, die Abstraktion vom Körper- bilde zum Flächenbilde zu verlangen. Viele mögen sich dabei auf Pestalozzi stützen, der jeden Unterricht auf die Anschauung, auf die Sache, gegründet haben will. Diese aber übersehen, dass im vorliegenden Falle das Flächen- bild eben die Sache selber ist, welche zur Anschauung gebracht und nachgebildet wird. Was kann doch auch so ein Schüler leisten, wenn man ihm ohne triftige Gründe und bevor seine Hand einigermassen das dienstbare Werk- zeug seines Auges geworden, ein Gipsmodell zum Nach- bilden vorsetzt, wie man heute vielerorts zu thun pflegt Man erschwert ihm nicht nur in völlig unmotivirer Weise die Auffassung der Linie, welche das Ausdrucksmitte * 90 Form ist, sondern es gehen während der ganzen Schul- zeit so wenig Bilder an ihm vorüber, dass dabei die Hand unglenk bleibt, die vornehmste Kunstkraft, die Phantasie, und das Gefühl für die schöne Form weder entwickelt noch befruchtet wird. Das unstäte Kind, das stets vorwärts drängt, hat doch gewiss Schwierigkeiten genug zu überwinden, wenn es durch beständiges Anschauen, Vergleichen und Beurteilen des Flächenbildes nach seiner Lage, seinem Umfange und die notwendige Beobachtung der Symmetrie und Pro- portion seiner Teile, zur Darstellung bringt. Hat es der Schüler einmal dahin gebracht, dass ihm die schöne Aus- führung Freude macht – so einfach auch das Objekt sein mag – so ist er fürs Zeichnen gewonnen und man darf Schwereres von ihm verlangen. Von da an wird der Unterricht recht wirksam und fruchtbar. Erst dann ge- langt der Schönheitssinn ins Stadium fortschreitender Ent- wicklung, wenn der Kunstjünger imstande ist, selber etwas Schönes zu bilden. Man lasse ihn in vollem Masse den Reiz der Farben geniessen und begnüge sich nicht damit, durch die vielempfohlenen abgeblassten Töne die ange- borne Farbenfreudigkeit selber erblassen zu lassen. Die mit Aufgaben anderer Disziplinen niedergehaltene kind- liche Freude soll sich wenigstens am Zeichnen und Malen möglichst ungeschmälert erheben können. « Das jugend- /c/e Alter ist kein Ölosses Mittel, um zu einem reiferen zu gelangen, sondern es sz ein Zweck an sich selbst.»") Im Schaffen und im Besitz des Schönen wird ihm auch wieder eine ernstere Arbeit leicht und das kindliche Gemüt steigt zu jenem beneidenswerten Glückszustande empor, *) Tiefsinnige Sentenz des Philosophen Dühring. 91 der ihm im spätern Leben so spärlich blüht. Es ist hauptsächlich Aufgabe des Zeichnens, diese Freude ZU fördern, nicht aber sie schlechthin der sterilen Rücksicht auf den Nutzen einer ungewissen Zukunft zu Opfern. Darum bleibt es stets von grosser Wichtigkeit, dass an den Augen des Schülers nicht nur eine beschränkte Zahl von Modellen vorbeigehen, die ihm so bald verleiden, sondern es muss ihm ein möglichst grosses Anschauungs- material dargeboten werden können. Er braucht nicht alles zu zeichnen, was er sieht; im Anschauen edler Formen und gewählter Farben erhalten Schönheitssinn und Gestaltungskraft gewiss mehr Anregung und weisern Rat als in mühsamer Übersetzung der drei Dimensionen des Körpers in das Bild von nur zwei Dimensionen, was ja doch dem wirklichen Modellieren gegenüber immer nur als eine Abschwächung und als Notbehelf zu betrachten ist. Eine korrekte Umrisszeichnung, ein mit Gefühl durch- geführter Blattschnitt sind mehr wert als eine noch so fein ausgeführte schattierte Zeichnung, deren Formen unrichtige Verhältnisse, unsichere und unschöne Linienführung zeigen- Ein gut gewähltes Vorlagenmaterial wird daher für den Zeichenunterricht auf obern Stufen, wo die Vorzeich- nungen des Lehrers und die Wandtabellenbilder nicht mehr ausreichen, zu allen Zeiten unentbehrlich sein, und es ist kaum begreiflich, wie man dazu kommen konnte, Hilfsmittel, die uns die Kunst von Jahrtausenden ver- gegenwärtigen, aus der Schule schaffen zu wollen und für die Sünden verantwortlich zu machen, die dere" Missbrauch verschuldet haben. Man ist eben von ein" Extrem ins andere geraten, wie es im Suchen nach * Bessern meist zu geschehen pflegt. Nachgerade sollte 92 es aber doch jedermann einleuchten, der im Zeichnen die Ausbildung der Kunst- und Gemütsanlage der nüchternen Verstandesbildung voranstellt, dass die profane Körperform keinen Ersatz bietet gegen den Verlust der echten Kunst, welche in der Ornamentik niedergelegt ist. 20. Über die ornamentalen Grundgesetze. Alle zum Zwecke des Schmückens menschlicher Gebrauchsgegenstände erdachten Formen, seien sie blos Schmückendes oder zugleich Geschmücktes, seien sie in rein praktischem, kulturellen Gebrauch oder seien sie im Dienste des Kultus, sind gewissen, allgemein geltenden Grundgesetzen unterworfen. Wie gross und reich die Gebilde des Schmuckes auch sind und wie mannigfaltig der Stil und die Sprache ihrer Formen, so sind es doch nur drei allgemein giltige Gesetze, welche die ornamentale Kunst beherrschen. Es sind die Gesetze der Eurhythmie, der Symmetrie und der Proportionalität. Eurhythmie. Unter Eurhythmie im ornamentalen Sinne versteht man die Wiederkehr des Gleichartigen in Reihungen. Es gehört zum Wesen des Rhythmus, dass es zu seiner Wirkung einer Wiederholung, einer Vielheit der zierenden Elemente bedarf. Das Auge empfindet daher den Eindruck rhyth- mischer Anordnung erst, wenn die Wiederholung mindestens eine dreifache ist. Der Eindruck steigert sich mit der Zu- nahme der Zahl des Gleichartigen. Bei der Manifestation der Rhythmik ist dann eine dreifache Gliederung möglich. Es kann ein und dasselbe Element wiederkehren, dieselbe 93 Rosette in einem Band, dasselbe Blatt an einer Ranke (Fig.71 und 72), oder die Rosette, das Blatt, die Palmette, kann mit andern ähnlichen Formen in gleichen Intervallen selb- TºUR- TSURT SS S EST Es Q N S - "S, - Sº TFF Ähn - "mF. Tºm pg- " Ä. -2-F 7. ><>>< D-DA ------- Tuuummumm" Fig. 71. Bandornament mit gerader Mittelrippe. zweit abwechseln (Fig. 6o und 73). Oder es können je drei verschiedene Elemente regelmässig wiederkehren, wie z. B. bei der Perlenschnur die selbdritt geformten oder ge- färbten Perlen, bei einer Ranke die fortlaufenden Abzwei- gungen von Knospe, Blume und Blatt. In der Dreiheit scheint aber auch das Maximum der Zusammenstellung Fig. 72. Bandornament mit wellenförmig gebogener Mitte/riffe. der rhythmischen Elemente erreicht zu sein, denn bei einer mehr als dreigliedrigen Abwechslung müsste eine unklare und verworrene Wirkung eintreten. Symmetrie. Das Gesetz der Symmetrie ist vom Gesetz der Eurhythme ganz verschieden. Es ist hier nicht die Wiederkehr und Vielheit des Gleichartigen, welches das Wesen und * 95 einfacher, Fig. 75 in doppelter Richtung, nämlich von links nach rechts, und nach unten und oben. SF Y Sº Fig. 75. Griec/zsches Aassettenornament. Die Anwendung des Gesetzes der Symmetrie kann in strengem oder mehr freiem Sinne durchgeführt werden- Die der Symmetrieaxe gegenüberstehenden Hälften können bis in alle DeaWs miteinander übereinstimmen oder man Fig. 76. Italienische Renaissance. mag sich damit begnügen, blos die Hauptorm" und die herrschenden Züge der symmetrischen Ges“ mässigkeit "erzuordnen, während man die Einzelheiten mehr oder weniger davon befreit. Beides ist erlaubt und namentlich hat die Renaissance von der Freiheit umfassen” 101 21. Über die Ästhetik der Rege vom goldenen Schnitt. Der Lehrsatz vom goldenen Schnitt lautet bekanntlich: Der é/eznere Zeit einer Strecke verhält sich zum grösseren, zwie der grössere zur ganzen Strecke. Die Theorie dieses Satzes wurde von den Pythagorären aufgestellt und am Fünfeck, an der Oval- und Eilinie etc. nachgewiesen. Man hat diesem Satz ursprünglich eine etwas düstere und ge- heimnisvolle Deutung gegeben im Hinblick auf die Un- endlichkeit seines Vorkommens im Pentagramm (Druten- fuss), welches schon zur Zeit des grauen Heidentums als Zauberformel gegen die Macht böser Geister und als Er- kennungszeichen und Symbol gebraucht und gescheut wurde. Die tieferé Bedeutung der Regel des goldenen Schnittes wurde erst in der Neuzeit wieder ans Licht ge- zogen. Es mag sich damit ähnlich verhalten, wie mit den zehn Büchern des Vitruv, des einzig erhaltenen Schrift- stellers über die antike Baukunst – Vitruv lebte als Architekt in Rom zur Zeit des Kaisers Augustus – welche erst im 15. Jahrhundert in der Bibliothek des Klosters St. Gallen wieder aufgefunden wurden und deren Studium die Rekonstruktion der verfallenen Tempel Griechenlands ermöglicht hatte. Der goldene Schnitt scheint noch im Mittelalter, im Etagenbau der zum Himmel anstrebenden Türme praktische Anwendung gefunden zu haben: Es dürfte angenommen werden, dass jene Regel mit dem Aufgehen der Bauhütten, wo die Geheimnisse des Bau- handwerks aufbewahrt zu werden pflegten, verloren ge" gangen sein möchte. Wie dem auch sei, so gebühr“ 102 Prof. Zeising das Verdienst, im Jahr 1845 im goldenen Schnitt ein Gesetz der Ästhetik gefunden und am mensch- lichen Körper, dem Ideal aller Proportionalität, nachgewiesen zu haben. Die Sache ist ungefähr so zu erklären: Eine Strecke, z. B. AB, bildet ein Ganzes. Ein Ganzes setzt die Möglichkeit einer Teilung voraus. Bei Vergleichung der Teile zum Ganzen, wie der Teile unter sich, müssen notwendigerweise gewisse Gegensätze hervor- treten. Dieselben dürfen aber nicht durch blosses Gleich- machen aufgehoben, weil Proportionalität zwischen gleichen Teilen unmöglich, noch dürfen sie ignoriert werden, weil Proportion eben die Beziehung ungleicher Teile zu ein- ander ist. Ist der Unterschied der Teile unbedeutend, so wird nicht nur ihre Beziehung zum Ganzen aufgehoben, sondern es gewinnt die Vermutung Raum, es möchte bei der Absicht des Gleichmachens ein Irrtum begangen worden sein, was keine Befriedigung aufkommen lässt. Ist der Unterschied aber ein sehr bedeutender, so muss diese Tat- sache den Versuch einer weitern Teilung veranlassen, und da man damit nicht zu Ende kommt, so bleibt auch in diesem Falle die ästhetische Befriedigung ausgeschlossen. Es kann sich also nur darum handeln, bei den nicht zu entbehrenden Ungleichheiten ein Verhältnis aufzufinden, welches in allen Fällen wohlgefällig erscheint. Dies wird erreicht im Bestimmen der Masse nach der Regel des goldenen Schnittes. Konstruktion des goldenen Schnittes. Eine beliebige Strecke z. B. AB (Fig. I) wird halbirt in C. Von A aus das Perpendikel gefällt und darauf die Hälfte von AB in D aufgetragen und die Hypotenuse BD 106 stimmt, was aber nicht hindert, dass wenigstens das die Höhe traversierende Mittelstück derselben nebst Schloss in die richtige Höhe zu stehen kommt. Wo nur die Länge oder die Breite gegeben ist, da ist aus dem Bekannten das Unbekannte abzuleiten. Soll ein Tisch 25o cm lang werden, so wird seine Breite nach dem Verhältnis des 5 × 25O goldenen Schnittes (5:8) 8 = I 56,25 cmz betragen müSSen u. S. W. Dabei hat man keineswegs zu befürchten, dass der goldene Schnitt zur lästigen Formel werden möchte, welche zu schablonenhafter Einförmigkeit kunstgewerblicher Er- zeugnisse führen könnte; im Gegenteil wird die Befolgung der Regel geradezu die mannigfaltigsten Abwechslungen und Gliederungen mit Notwendigkeit hervorrufen, was z. B. bei vielen Artikeln der Kunstschlosserei, bei Geländern und Ballustraden etc. nachgewiesen werden könnte. Zu unsern Zwecken mag es schliesslich genügen, die Wirkung der Teilung nach dem Gesetze des goldenen Schnittes in einem allgemeinen Satz zusammen zu fassen, indem wir sagen, dass die durch denselben geschaffene notwendige Ungleichhezz der 7eile stets wieder ausgeglichen wird durch die gleichzezzig erreichte Harmonie der Grössen- verhältnisse, welche, zm Vergleich der Zeile unter sich wie der Zeile zum Ganzen, sich herausstellt. Oder, um konkreter zu sprechen: Subtrahiert man den Minor eines Ganzen vom Major, so bildet der Rest einen neuen Minor und der gewesene Minor wird zum Major eines neuen Ver- hältnisses; wird wieder subtrahiert, so wird der Rest wieder zum Minor eines weitern Verhältnisses, u. s. w. Man mag also vorwärts oder rückwärts rechnen, addieren oder sub- 107 trahieren, so ergiebt sich stets eine wohlgefällige Übereinstim- mung der Grössenverhältnisse, wie z. B. aus der Gliederung der Arm-, Hand- oder Fingerteile deutlich zu ersehen ist Der goldene Schnitt am menschlichen Körper, in der Natur und im Kunstgewerbe. –r-A Vergleicht man nun die nach dem goldenen ſ Schnitt geteilte Linie AB (Fig. 3) mit der Länge der menschlichen Figur, so fällt der Teilpunkt für die beiden ungleichen Teile in C, das ist die Höhe der Taille, oder der Punkt, welcher durch die Natur an- gedeutet ist. Der grössere Teil des Körpers, oder M der Major, welcher von der Fusssohle bis an den Gürtel reicht, ist also gleich der Strecke BC und I der kürzere Teil, der Oberkörper, vom Gürtel bis zur Scheitelhöhe, ist gleich dem Minor AC, und die Körperlänge und Schenkellänge bilden je die Hälfte der ganzen Figur und die Mitte ist also in M- LB Zwischen den ungleichen Teilen des Körpers be- Fig. 3. steht nun eine Harmonie darin, dass die Eigenlänge eines Teils jeweilen soweit über die Hälfte des damit verglichenen grössern Teils hinausreicht, als notwendig ist, um bei den Überresten stets wieder ein neues Verhältnis entstehen zu lassen. Dieses findet nun bei der mensch- lichen Figur in ausgedehntestem Masse statt, beim Körper sowohl wie bei den Gliedern, bis in die äussersten Finger- und Zehenknöchelchen hinaus, und zwar vorwärts wie rück“ wärts gemessen. Die ästhetische Notwendigkeit dieser Verhältnis” erhält aber erst ihre volle Würdigung, wenn wir uns die selben gestört vorstellen. Eine Person, deren KÖ"Per Imit 120 Zu den Umrisszeichnungen auf der Oberstufe, welche mit Farbe behandelt werden sollen, ist Feder (Kugelspitz) und Tusche oder chinesische Sepiatinte oder ein ähnliches un- verwaschbares Pigment zu gebrauchen. Zu den Einfassungen und Konstruktionslinien kom- plizierterer Ornamente ist der Gebrauch von Zirkel und Lineal unbedenklich zu gestatten. V. Die spezielle Behandlung der geometrischen und rein Akonstruktiven Körperformen ist dem 7echnischzezc/znen, bezw. der Projektionslehre und der Parallelperspektive zuzuweisen. Allein auf dem Wege exakten Messens und Übertragens der wahren Raumgrössen nach Grundriss, Aufriss und Schnitt erhält der Schüler genaue Begriffe von Körpern und Zeichnungen körperlicher Gegenstände, wie sie im spätern Berufsleben vorkommen. VI. Die theoretische Behandlung der Perspektive, welche teils nach der Mathematik, teils nach der hohen Kunst hinstrebt, gehört nicht in den Lehrplan für Schulen, welches mit der Schulpflicht abschliessen. Auch der Wert der freien Perspektive darf nicht überschätzt werden, denn sie ist für die spätern Berufsarten nicht unbedingt not- wendig, weil sie sich ja nur scheinbarer Grössen bedient und nicht so weit fortgeführt werden kann, dass die Aus- bildung des Kunstsinnes dabei erheblich gefördert wird. Immerhin ist die Wahrnehmung und Darstellung der per- spektivischen Erscheinungen auf dem Wege der freien Anschauung, als Erweiterung des formalen Gesichtskreises mittelst einfacher Skizzierungen soweit möglich zu pflegen und zu fördern. 122 Projekt. Stufengang und Stoffverteilung. (Für günstig gestellte Sekundarschulen. Bei kleinen Sekundar- und Primarschulen muss namentlich für die Oberstufe entsprechende Reduktion stattfinden.) a) Für Kunstzeichnen. (Wöchentlich 2–3 Stunden.) Für den Stufengang des Zeichnens ist derselbe Weg einzuschlagen, den die Kunstentwicklung ursprünglich ge- nommen; das sind die geometrischen Elementarformen. Viertes Schuljahr. Die gerade Linie nach ihrer Lage und Richtung. Die Linienteilungen. Zickzack- und Mäanderzüge. Die Winkel- arten und Teilungen derselben. Das Quadrat. Das Rechteck und der Rautenstab. Fünftes Schuljahr. Die teilweise Wiederholung und Fortsetzung des vorigen Pensums, Raumeinteilungen. Bandverschlingungen. Das gleichseitige Dreieck. Vielecke und Sterngebilde. Mäander und mäanderähnliche Bänder. Sechstes Schuljahr. Der Kreis, das Oval und die Eilinie, der Wende- bogen und die Wellenlinie und ihre Verbindung zu Flecht- bändern. Schild- und Herzformen. Rosetten. Einfache Blattformen. Bandwellen. Beginn des Tuschens in Farben.