key: cord-013249-08t7incb authors: Pförringer, Dominik; Ansorg, Jörg; Osterhoff, Georg; Dittrich, Florian; Scherer, Julian; de Jager, Uwe; Back, David A. title: Digitalisierung in Orthopädie und Unfallchirurgie: Stand 2020 in Klinik und Praxis date: 2020-10-16 journal: Unfallchirurg DOI: 10.1007/s00113-020-00895-3 sha: doc_id: 13249 cord_uid: 08t7incb This article deals with the current state mid-2020 in the clinical and practical aspects from the perspective of orthopedics and trauma surgery. The risks, difficulties, potentials and options are discussed in detail. The following topics are specifically debated: infrastructure of telematics, apps and mobile health, online video consultation, electronic medical records and data protection. The advantages and disadvantages and the current state of each topic in the special case of orthopedics and trauma surgery are discussed. Additionally, seven meaningful examples from the field of digital applications are named. A survey of members of the Professional Association of Orthopedic and Trauma Surgeons (BVOU) is described and analyzed. In a concluding perspective the current hurdles and future topics that need clarification are addressed. Für eine rasche Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems machen sich seit der Jahrtausendwende die Gesundheitsminister stark. Seit dem "Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung" aus dem Jahr 2003 ist auch die ärztliche Selbstverwaltung aus Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Bundesärztekammer in dieses umfangreiche Projekt durch ihre Beteiligung an der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (GEMATIK) eingebunden. Neben der Optimierung von Behandlungsprozessen und Patientenversorgung ist mit der Digitalisierung des Gesundheitssystems v. a. die Hoffnung verbunden, die Versorgungssektoren miteinander zu vernetzen und die in den letzten Jahrzehnten betonierte Sektorengrenze für Informationen und Optimierungsprozesse durchlässiger zu gestalten. Nach 20 Jahren Projektarbeit und Milliardeninvestitionen sollen in diesem Beitrag wesentliche aktuelle Projekte und deren Status reflektiert sowie konkrete Anwendungsszenarien und erste Umsetzungsbeispiele für Orthopädie und Unfallchirurgie (U und O) aufgezeigt werden. Rückgrat für die digitale Kommunikation zwischen Ärzten, Praxen und Kliniken sowie Apotheken und weiteren Gesundheitsberufen ist eine sichere digitale Vernetzung. Damit sollen medizinische Informationen für eine effizientere Patientenbehandlung schneller und vollständiger als im analogen Zeitalter verfügbar und zugänglich gemacht werden. Die Telematikinfrastruktur (TI) wurde gemeinsam mit der ersten Version der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) seit 2005 von der GEMATIK entwickelt und wird seit 2018 eingeführt. Für den Anschluss an die TI sind ein Konnektor sowie ein Kartenterminal für jede Praxis erforderlich. Vertragsärzte und Praxen, die sich nicht an die TI anschließen, werden per Gesetz mit Sanktionen belegt. Neben Lieferengpässen war die Einführungsphase von Verunsicherung und Sicherheitsbedenken aufseiten der Ärzte geprägt [1]. Beim Anschluss an die TI [2] kam auf, dass die IT-Infrastruktur vieler Praxen erhebliche Sicherheitsmängel aufweist [3] . Hinzu kamen Mängel beim Ausgabeverfahren der Authentifizierungskarten [4, 5] . Das Smartphone ist unbestreitbar eine der am kontroversesten diskutierten technologischen Errungenschaften des 21. Jh., die mit einer rasanten Geschwindigkeit Einfluss auf große Bereiche unserer Gesellschaft genommen hat. Die Liste der Vor-und auch Nachteile, die mit einer alltäglichen Smartphone-Nutzung einhergehen, ist lang und weitestgehend paritätisch besetzt. Die Vorzüge eines angemessenen Einsatzes von Apps im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie (OU) sind jedoch unbestreitbar und könnten ein enormes Potenzial für die Bewältigung zukünftiger Herausforderungen im Gesundheitswesen darstellen [16] . Auch politisch wurden mit dem kürzlich ratifizierten Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) die Weichen hin zu einer flächendeckenden Implementierung von Apps gestellt, u. a. durch die Verschreibung von Gesundheits-Apps auf Rezept. Das DVG schafft im internationalen Vergleich erstmalig einen Leistungsanspruch auf digitale Gesundheitsanwendung, beschränkt auf Medizinprodukte niedriger Risikoklassen. Die Aufnahme in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen erfolgt nach Antragstellung durch den Hersteller und Prüfung, ob die Gesundheits-App grundlegenden Anforderungen an Medizinprodukte und Datensicherheit gerecht wird sowie positive Versorgungseffekte aufweist [13] . Eine kritische Auseinandersetzung der Ärz-teschaft mit dem neuen Medium ist obligat. Apps werden in Deutschland aktuell von 63 % der Orthopäden und Unfallchirurgen regelmäßig im klinischen Alltag eingesetzt. Aufgrund unscharf definierter juristischer, ethischer und medizinischer Regularien bewegen sich viele Apps jedoch in einer Grauzone [15] . Vergangene Datenskandale und eine intransparente Datenverarbeitung haben zu einem Grundmisstrauen gegenüber Apps, die Gesundheitsdaten erheben, geführt [19] . Eine der größten Herausforderungen für deutsche Ärzte in O und U stellt bereits die Suche nach der passenden App dar. Die Unübersichtlichkeit und Dynamik der App Stores lässt die Suche nach der passenden App wie die Suche nach der "Stecknadel im Heuhaufen" erscheinen [14] . Lösungsansätze können die stetig ansteigende Zahl von App-Store-basierten Reviews kommerziell erhältlicher Apps darstellen, die sich kritisch mit den derzeit verfügbaren Apps auseinandersetzen sowie inhaltliche und methodische Ansätze für die persönliche App-Suche liefern [17] . Diese Methoden könnten in Zukunft um automatische algorithmische Analysen oder künstliche Intelligenz erweitert werden. Form eines DGOU-App-Siegels ist aktuell in einem Pilottest im Einsatz Neben der Suche nach den passenden Apps ist die objektive Evaluation ihrer Sicherheit und Qualität problematisch (. Infobox 1). Verschiedene Testverfahren wurden entwickelt und werden ständig weiterentwickelt. Etablieren konnten sich die auf die Vertrauenswürdigkeit einer App fokussierende "App-Synopsis" des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik an der Medizinischen Hochschule Hannover [11] und die "Mobile App Rating Scale" [18] , die eine objektive Bewertung des Inhalts und der technischen Spezifikationen einer App ermöglicht. Eine qualitative Verbesserung der Evaluation könnte er-reicht werden, wenn zukünftige Ratings adaptiver an die Zweckbestimmung der App anpassbar würden. Mehrere Fachgesellschaften sowie private Institutionen rezensieren Apps nach einem standardisierten, transparenten und öffentlich zugänglichen Fragenkatalog und veröffentlichen diese Rezensionen in App-Bibliotheken (z.B. https:// www.nhs.uk/apps-library/). Ein entsprechendes Verfahren eines App-Siegels der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) ist auf Grundlage definierter, evidenzbasierter Gütekriterien aktuell in einem Pilottest im Einsatz [12] . Die Abstract This article deals with the current state mid-2020 in the clinical and practical aspects from the perspective of orthopedics and trauma surgery. The risks, difficulties, potentials and options are discussed in detail. The following topics are specifically debated: infrastructure of telematics, apps and mobile health, online video consultation, electronic medical records and data protection. The advantages and disadvantages and the current state of each topic in the special case of orthopedics and trauma surgery are discussed. Additionally, seven meaningful examples from the field of digital applications are named. A survey of members of the Professional Association of Orthopedic and Trauma Surgeons (BVOU) is described and analyzed. In a concluding perspective the current hurdles and future topics that need clarification are addressed. Mobile health · Telecommunications · Electronic medical records · Data privacy · Surveys ärztlich vertretbar ist, die ärztliche Sorgfalt gewahrt bleibt und der Patient über die Besonderheiten der OVS aufgeklärt wurde. Einen Boom erlebt die OVS aktuell durch die Coronapandemie. In Zeiten, in denen physische Arztbesuche eher vermieden oder wegen Quarantäne nicht wahrgenommen werden können, sind Telemedizin und insbesondere die OVS geeignete Mittel zur Aufrechterhaltung einer adäquaten Arzt-Patient-Beziehung und für eine kontinuierliche Betreuung des Patienten. Die integrierte Videokomponente unterstützt, im Gegensatz zum reinen Telefonat, den persönlichen Kontakt und kann auch zu diagnostischen Zwecken eingesetzt werden. In der O und U können so aus der Ferne z. B. Wunden inspiziert, in Rehabilitation befindliche Patienten visitiert, Bewegungsausmaße gemessen und dringende persönliche Fragen beantwortet werden [24] . Durch Einsatz der Videosprechstunde können Gesundheitskosten sowie (Anfahrts-)Kosten gesenkt und eine effizientere Arzt-Patient-Interaktion etabliert werden [23] . Erste Vergütungsgrundsätze für die Videosprechstunde wurden im EBM [25] und in der GOÄ [26] Zentraler zukünftiger Baustein der TI ist die ePA. Sie soll sektorenübergreifend die digitale Dokumentation der Krankheitsgeschichte gewährleisten. Spätestens ab Januar 2021 müssen die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten die ePA anbieten [29] . Folgende Informationen der Versicherten sollen in der ePA gespeichert werden: 4 Zunächst ist geplant, dass die zugriffsberechtigten Leistungserbringer alle Daten des Patienten einsehen können, es sei denn, dass der Versicherte sie löscht. Ab 2022 sollen die Versicherten ein abgestimmtes Berechtigungsmanagement erhalten, in dem sie die in der Akte enthaltenden Daten gezielt für einzelne Ärzte und andere Leistungserbringer freischalten können. Der Versicherte ist somit "Herr" seiner Daten. Bei den Ärzten herrscht Skepsis, da u. a. eine Löschung von Akteninhalten durch Patienten Ärzten u. U. lebenswichtige Informationen vorenthalten könnte [33] . Im Rahmen einer nichtrepräsentative Onlineumfrage des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) zur ePA [34] gaben im Oktober 2019 nur 50 % der Befragten an, dass sie alle erhobenen Befunde der Patienten in die ePA einstellen würden (. Abb. 1). Zu fordern ist für die Zukunft, dass für die valide Nutzung der ePA alle relevanten Informationen, z. B. in einem unveränderlichem "Arztbereich", zur Verfügung stehen. Alternativ wäre an eine Kennzeichnung von Befunden zu denken, die vom Versicherten gesperrt/ gelöscht wurden. Um Schnittstellenprobleme zu vermeiden, ist eine gleiche Semantik erforderlich. Eine 100 %ige Kompatibilität zu allen gängigen Praxis-/Klinik-Software-Systemen mit einfacher Bedienung sowie maximaler Daten-und Rechtssicherheit, besondere für den Datentransfer zwischen den Akteuren, muss gewährleistet werden. Der Aufwand für die Einstellung und Validierung der Befunde kostet Zeit und bedarf einer adäquaten Vergütung, die durch die geplante einmalige 10-€-Zahlung derzeit nicht gegeben ist. Mit dem E-Health-Gesetz [35] und dem DVG [36] wurde vom Gesetzgeber ein Fahrplan für den weiteren Ausbau der TI, die Verbesserung der Kommunikation verschiedener IT-Systeme im Gesundheitswesen sowie für die Einführung telemedizinischer Leistungen (z. B. OVS) geschaffen. Hinzu kommen Regelungen für den Zugang zu Gesundheits-Apps so- Ärzte und Patienten stehen in einschlägigen Umfragen Digitalisierungsprojekten offen gegenüber. Die eingesetzten Lösungen müssen praktikabel sein und den Anwendern einen klaren Mehrwert bieten. Dieser Anforderung wird der aktuelle Ausbaustand der TI nicht gerecht. Sinnvolle Anwendungen sind bislang nur angekündigt. Viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen bedienen sich frei verfügbarer Alternativangebote wie OVS, Onlineterminvergabe und ePA. Sie stehen der staatlich verordneten Digitalisierung skeptisch gegenüber. In der Klinik ist die digitale Prozessoptimierung bereits weit fortgeschritten. Eine sektorübergreifende digitale Kommunikation mit niedergelassenen Ärzten und von Klinik zu Klinik ist aber noch immer kaum möglich. In O und U wird der Einstieg in die Digitalisierung mit einer Reihe von Rahmenverträgen sowie durch Integration in das Patienteninformationsportal Orthinform erleichtert. Mit wenigen Klicks können Onlineterminvergabe, OVS, Ressourcenmanagement usw. gebucht sowie in das persönliche Arztprofil und die eigene Webseite integriert werden [10] . Weiterhin wird der Einstieg in die Digitalisierung durch das Aushandeln von Selektivverträgen unterstützt, die eine bessere Honorierung digitaler Angebote wie beispielsweise der OVS oder der Onlineterminvergabe garantieren. Empfehlung zum Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) Informationsblatt der gematik Warum eine komplette Arztpraxis offen im Netz stand. c't 25 Ärztezeitung vom 27.12 Telematikinfrastruktur: Zugang mit Identitätsdiebstahl Ärztetag beschließt Liberalisierung der Fernbehandlung. Aerzteblatt.de vom 10.05 Check My Back" -Selektivvertrag Rückenschmerz gestartet. Orthopädisch-Unfallchirurgische Mitteilungen und Reputation und Digitalisierung im Internet mit Orthinform Synopsis -User-Deutsche Version Einheitlicher Kriterienkatalog zur Selbstdeklaration der Qualität von Gesundheits Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz) Vom 09. Dezember Analysis of secure apps for daily clinical use as a German orthopaedic surgeon-searching for the "needle in a haystack Apps in clinicaluseinorthopedicsandtraumasurgery:The status quo in Germany ) iPhone and iPad Use in Orthopedic Surgery German Mobile Apps in Rheumatology: Review and Analysis Using the Mobile Application Rating Scale (MARS) Mobile app rating scale: a new tool for assessing the quality of health mobile apps Cambridge Analytica: The Turning Point In The Crisis About. Big Data Statistisches Bundesamt (Destatis) The Opportunity Awaits to Lead Orthopaedic Telehealth Innovation: AOA Critical Issues Prospective randomized controlled trial using telemedicine for follow-ups in an orthopedic trauma population: a pilot study Current Low-Cost Video-Based Motion Analysis Options for Clinical Rehabilitation: A Systematic Review PKV: Ärzte erhalten Extravergütungen in der Coronakrise. aerzteblatt.de vom 13.05.2020 Videosprechstunden in O&U: Kann man oder muß man Digitalisierungsreport der. DAK, Was Ärzte über die Digitalisierung des Gesundheitssystems denken Interview mit Ferdinand Gerlach am 28 Online-Umfrage zur ePA. BVOU, Bd Nutzen und Akzeptanz von elektronischen Gesundheitsakten. Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben der BAR-MER GEK Orthopäden und Unfallchirurgen sollten sich weiter aktiv dem Thema widmen und steuernd eingreifen, um die Chancen und Rahmenbedingungen der Digitalisierung für ihre Patienten und im Interesse der Heilkunst zum Einsatz zu bringen.