key: cord-0004761-gsi4yxzj authors: nan title: Prüfung und Deklaration der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln gegen Viren: Stellungnahme des Arbeitskreises Viruzidie* beim Robert Koch-Institut (RKI) sowie des Fachausschusses „Virusdesinfektion“ der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Desinfektionsmittelkommission der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) date: 2004 journal: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz DOI: 10.1007/s00103-003-0754-7 sha: 65d3c1d29aa8bf5e4d4e7a64ff2f04d56f006862 doc_id: 4761 cord_uid: gsi4yxzj nan Der Nachweis der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln ist die grundlegende Voraussetzung für ihre erfolgreiche und sinnvolle Anwendung. Diesbezügliche Anforderungen an das Desinfektionsmittel leiten sich dabei aus den Eigenschaften der zu inaktivierenden Erreger und den bestimmungsgemäßen Anwendungsbedingungen ab. Gegenwärtig verwendete Deklarationen wie "virusinaktivierend", "viruzid" oder "wirksam gegen" bestimmte Viren wurden bisher nicht einheitlich angewendet und interpretiert. Die vorliegende Stellungnahme gibt das Ergebnis der Diskussion des Arbeitskreises Viruzidie am RKI sowie des Fachausschusses "Virusdesinfektion" der DVV und der Desinfektionsmittelkommission der DGHM wieder. Ziel dieses Arbeitskreises war es, wissenschaftlich begründete Anforderungen an die Prüfung der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln gegen Viren und die entsprechenden Prüfmethoden als Voraussetzung für eine sachgerechte Deklaration zusammenzustellen. Das Spektrum humanmedizinisch relevanter Viren ist im Anhang dargestellt. Hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit gegen Desinfektionsmittel lassen sich aufgrund der Struktur 2 Gruppen -die behüllten und die unbehüllten Virenunterscheiden [1] . Entsprechend werden die Begriffe ◗ "begrenzt viruzid" als wirksam gegen behüllte Viren und ◗ "viruzid" als zusätzlich wirksam gegen unbehüllte Viren verwendet. Diese Unterscheidung ist zweckmäßig, da die "viruzide" Wirksamkeit schwieriger zu erzielen, jedoch auch nicht in allen Fällen erforderlich ist. In Abhängigkeit vom Anwendungsbereich muss deshalb zunächst entschieden werden, welches Wirkungsspektrum die Desinfektionsmaßnahmen umfassen sollen. Durch dieses abgestufte Vorgehen soll eine sachgerechte und angemessene Desinfektion unter Berücksichtigung von Umweltbelastung und Verträglichkeit erzielt werden. Unter diesem Gesichtspunkt kann zukünftig auch die Deklaration einer Wirksamkeit gegen ausgewählte unbehüllte Viren, die häufig umfangreiche Ausbrüche verursachen, wie z. B. Rotaviren [2, 3, 4, 5, 6] , insbesondere bei Händedesinfektionsmitteln sinnvoll sein. Die Deklaration "begrenzt viruzid" würde in diesem Fall mit einem entsprechenden Zusatz versehen werden. Ähn-liche Überlegungen könnten auch für Noroviren (Norwalk-like-Viren) [7, 8] sinnvoll erscheinen. Nicht zuletzt wegen der geringen Infektionsdosis dieser unbehüllten Viren sollten hier jedoch bis auf weiteres nur "viruzide" Desinfektionsmittel eingesetzt werden. Unter praktischen Gesichtspunkten lassen sich 3 Anwendungsbereiche unterscheiden: ◗ Für die abschließende Instrumentendesinfektion 1 gibt die Anlage "Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten" der Richtlinie für Krankenhaus-hygiene und Infektionsprävention [9] vor, dass hierfür nur Desinfektionsmittel mit "viruzider" Wirksamkeit anzuwenden sind. Die bisher vorliegenden Prüfmethoden (s. 5) verwenden bestimmte Testviren stellvertretend für das bekannte Spektrum der viralen Krankheitserreger. Im Unterschied zur künftigen europäischen Norm verlangt die gemeinsame Prüfrichtlinie von DVV und BGA (jetzt RKI) [11, 12, 13] zusätzlich zur Testung von Polio-und Adenoviren auch die Prüfung von Papova-und Vakziniaviren. Da sich Papovaviren in einigen Untersuchungen resistenter als Poliound Adenoviren erwiesen haben [1] , kann insbesondere im Hinblick auf Papillomaviren auf die Testung dieser Viren nicht verzichtet werden, wenn eine "viruzide" Wirksamkeit deklariert werden soll. Die von der WHO ergriffenen Maßnahmen zur Eradikation der Poliomyelitis machen es erforderlich, dass für die Desinfektionsmittelprüfung nur der Polio-Impfstamm Typ I, Stamm LSc-2ab verwendet werden darf [14, 15] . Er erfüllt die Kriterien der WHO für die bisherige Polio-Lebendimpfstoffherstellung [16] . Diese setzen auch voraus, dass nicht mehr als 10 Passagen kultiviert werden und eine exakte Dokumentation dazu vorliegt. Der bislang in Prüflaboratorien verwendete Stamm gleichen Namens erfüllt diese Kriterien in der Regel nicht. In Folge der Eradikationsmaßnahmen wird es weltweit zu einer Einstufung von Polioviren in eine höhere Risikogruppe (Schutzstufe 3 oder 4 gemäß Biostoffverordnung) kommen, was eine weitere Verwendung als Prüfvirus weitestgehend ausschließen wird und somit die Festlegung eines anderen geeigneten Virus notwendig macht. Das Hepatitis-A-Virus (HAV) als ebenfalls unbehülltes Virus hat sich in vergleichenden Untersuchungen mit Poliovirus zum Teil als resistenter erwiesen [17] . Besonderes Interesse gilt hier den klinisch relevanten durch Blut, Gewebe und Körperflüssigkeiten übertragbaren behüllten Viren, wie z. B. dem Human-Immunodeficiency-Virus (HIV), Hepatitis-C-Virus (HCV) und Hepatitis-B-Virus (HBV). Die Deklaration "begrenzt viruzid" erfolgt künftig, wie im Folgenden begründet, auf der Basis von Prüfungen unter Verwendung relevanter Testviren, die den Rückschluss auf die Wirksamkeit auch gegen HIV, HCV und HBV zulassen. Für die Deklaration "begrenzt viruzid" stehen gegenwärtig Vakziniavirus und BVDV (Bovine Viral Diarrhea Virus) als Testviren zur Verfügung. Das Vakziniavirus [18] wurde bereits in der BGA/DVV-Richtlinie [11, 12] als Vertreter für die behüllten Viren aufgeführt. HCV lässt sich nicht in vitro kultivieren. Für das in vielen Eigenschaften vergleichbare BVDV liegen jedoch aus der Validierung von Inaktivierungsverfahren bei der Herstellung von Blut und Blutprodukten umfangreiche Erfahrungen vor, die seine Verwendung als Testvirus auch für die Desinfektionsmittelprüfung nahe legen [19] . Eine ausdrückliche Deklaration der Wirkung gegen HCV allein auf dieser Basis ist jedoch nicht gerechtfertigt. Auch die Auslobung der Wirksamkeit gegen HIV setzt eine Prüfung unter Verwendung von HIV in Zellkulturen voraus, welche jedoch aufgrund der Gefährlichkeit des Virus (Schutzstufe 3) nicht erstrebenswert ist. Eine spezielle Problematik stellen Aussagen zur HBV-Wirksamkeit dar [20] . HBV ist für die Virusdesinfektion von besonderer Bedeutung, da bereits geringste Blutmengen bei hoher Viruslast zu Infektionen führen können und der Erreger weit verbreitet ist (weltweit sind schätzungsweise 350 Millionen Menschen, d. h. 5-7% der Gesamtbevölkerung chronisch infiziert [21] ). Die Bewertung der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln gegenüber HBV war in der vergangenen Zeit auch unter Experten Anlass für kontroverse Diskussionen bezüglich der Aussagekraft der durchgeführten Prüfverfahren. Unstrittig ist, dass derzeit kein Zellkultursystem zum empfindlichen Nachweis von HBV und daher keine geeignete, va-lidierbare Prüfmethode für die Bestimmung der Infektiosität von HBV zur Verfügung steht. Somit ist die Bezeichnung "wirksam gegen HBV" auf der Basis der gegenwärtig verfügbaren Tests nicht in jedem Falle valide, da der Verlust der Infektiosität nur in begrenztem Umfang in einem biologischen System nachgewiesen wurde. Bisher wurden 2 Surrogatteste, der MADT (Morphologic Alteration and Desintegration Test) [22] und die Reduktion von HBsAg (Hepatitis surface Antigen) [23] zur Bestimmung der Wirkung von Desinfektionsmitteln gegenüber HBV durchgeführt. Der MADT bestimmt die morphologische Veränderung von HBV-Partikeln im Elektronenmikroskop nach Desinfektionsmittelbehandlung, während der HBsAg-Reduktions-Test die Antigenität von HBsAg nach Desinfektionsmittelbehandlung im kommerziellen Festphasen-Radio-Immuntest bestimmt. Der MADT erfordert eine visuelle Beurteilung der Viruspartikel, die nur sehr erfahrenen Betrachtern möglich und schwierig zu standardisieren ist. Der HBsAg-Reduktionstest mit käuflichen Testkits arbeitet mit Antikörpern, deren Epitope von den Herstellern nicht bekannt gegeben werden und deren Spezifität nicht in einem klaren Zusammenhang zu neutralisierenden Epitopen steht. Der besseren Standardisierbarkeit dient die Weiterentwicklung der o. a. Surrogatmethoden hinsichtlich molekularbiologischer Alteration der HBV-DNA und Desintegration von HBV-Epitopen [24, 25] . Die neutralisierende Wirkung einiger weniger monoklonaler Antikörper (z. B. MA18/7) gegen bestimmte Sequenzen von HBV ist in Zellkulturversuchen nachgewiesen worden [25] . Werden die zugehörigen Epitope dieser Antikörper durch ein Desinfektionsmittel zerstört, ist es plausibel anzunehmen, dass auch die Infektiosität zerstört ist. In Suspensionsversuchen mit peressigsäurehaltigen Desinfektionsmitteln erwies sich das PräS1-Epitop des Antikörpers MA18/7 als das resistenteste. Diese Befunde lassen einen hochempfindlichen HBsAg-Nachweis mittels des Antikörpers MA18/7 als Validierungsmethode geeignet erscheinen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass eine Reihe wirksamer Desinfektionsmittel aufgrund ihrer Wirkungsmechanismen dieses Epitop nicht zerstört. Ähnlich verhält es sich mit der HBV-DNA als Zielstruktur für die Validierung von Desinfektions-bzw. Virusinaktivierungsverfahren. HBV-DNA kann mittels quantitativer PCR (bevorzugt Realtime-PCR) hochempfindlich nachgewiesen werden. Die Zerstörung der Primärstruktur der DNA bedeutet Zerstörung der Infektiosität und zugleich Blockierung der Amplifikation in der PCR [25] . Die Resistenz der DNA gegen ein Mittel schließt seine Wirksamkeit jedoch nicht aus, wie Vergleiche mit Schimpansenversuchen zeigten [26, 27] . Für die Validierung der HBV-Inaktivierung stehen heute jedoch Schimpansen de facto nicht mehr zur Verfügung. Auch primäre humane Hepatozyten sind schwierig zu erhalten, wenig suszeptibel und von wechselnder Qualität. Dem menschlichen HBV ähnlich sind die Hepadnaviren von Gibbons, Wollaffen und Woodchucks. Jedoch sind diese Tiere schwierig zu halten und die primäre Hepatozytenkulturen daraus ähnlich problematisch wie die des Menschen. Eine denkbare Alternative sind primäre Hepatozytenkulturen aus Tupaialeber (Tupaias -Spitzhörnchen). Einfacher hingegen ist die Zucht von Enten. Entenhepatitis-B-Virus (Duck Hepatitis-B-Virus -DHBV) gehört wie das HBV des Menschen zur Familie der Hepadnaviridae. Der Infektiositätstest mit DHBV ist in den USA und Australien für die Prüfung der HBV-Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln anerkannt [28] . Auch DHBV lässt sich, ähnlich wie HBV, nur in einem lebenden Tier bzw. in primären Hepatozytenkulturen vermehren. DHBV ist gut erforscht und hat den Vorteil, weder human-noch tierpathogen zu sein und kann somit in der biologischen Schutzstufe 1 gehandhabt werden. Zum Nachweis der erfolgten Infektion der Hepatozyten kann die Immunfluoreszenz mit einem Anti-DHBV-Serum oder eine geeignete PCR dienen. Die DVV organisiert gegenwärtig Untersuchungen zur Etablierung entsprechender Prüfmethoden. Als Konsequenz aus der vorstehenden Darlegung ergibt sich die Forderung, auf die ausdrückliche Deklaration "wirksam gegen HBV" künftig zugunsten der Deklaration "begrenzt viruzid" zu verzichten, bis auf der Grundlage der hier geschilderten Untersuchungen eine aussagekräftige Methode zur Prüfung der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln gegen HBV etabliert ist. Nach Abschluss dieser Untersuchungen ist eine Überarbeitung der Anforderungen für die Deklaration "begrenzt viruzid" vorgesehen. Derzeit liegen die folgenden Prüfmethoden vor: 1. Richtlinie des Bundesgesundheitsamtes und der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) zur Prüfung von chemischen Desinfektionsmitteln auf Wirksamkeit gegen Viren [11] Die Europäische Norm ist im Bereich der Viruzidietestungen noch lückenhaft, sodass der hier publizierte Vorschlag geeignet ist, Impulse auch für die Europäische Viruzidienormung zu geben. Die Prüfung der Wirksamkeit von für den humanmedizinischen Bereich vorgesehenen Desinfektionsmitteln ist weiterhin gemäß der gemeinsamen Richtlinie des BGA (jetzt RKI) und der DVV [11, 12, 13] zu prüfen. Die Tabelle 1 enthält die für die jeweilige Deklaration zu verwendenden Testviren. Handbuch der Virusdesinfektion A test for the assessment of hygienic hand disinfection using rotavirus A study on the sensitivity of bovine rotavirus to some chemical agents The action of alcohols on rotavirus, astrovirus and enterovirus Chemical disinfection of human rotaviruses: efficacy of commerciallyavailable products in suspension tests Inactivation of a rotavirus by disinfectants Inactivation of feline calicivirus, a surrogate of SRSVs, by different types of alcohol. Poster presented at the 5th Int.Conference of the Hospital Infection Society Inactivation of feline calicivirus, a norwalk virus surrogate Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten Anforderungen an die Hygiene bei der Reinigung und Desinfektion von Flächen Richtlinie des Bundesgesundheitsamtes und der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten zur Prüfung von chemischen Desinfektionsmitteln auf Wirksamkeit gegen Viren Kommentar zur Richtlinie des Bundesgesundheitsamtes und der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung des Viruskrankheiten zur Prüfung von chemischen Desinfektionsmitteln auf Wirksamkeit gegen Viren Bekanntmachung des Fachausschusses "Virusdesinfektion" der deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten und des Robert Koch-Institutes WHO Containment of wild poliovirus stocks. WHO/Polio/0202.www.who.org 15. WHO global action plan for laboratory containment of wild poliovirus Annex 1 Requirements for poliomyelitis vaccine (oral) (requirements for biological substances No Hepatitis A virus: a test method for virucidal activity How contagious is vaccinia? CPMP/BWP/269/95 Note for guidance on plasma-derived medical products Measures for disinfection and control of viral hepatitis.In: Block S (ed) Disinfection, sterilisation and preservation, Chapter 30 Epidemiologischer Bericht zur Situation in Deutschland bis zum Jahr Influence of different disinfection conditions on the structure of the hepatitis B virus (Dane particle) as evaluated in the morphological alteration and disintergation Test (MADT) Zerstörung der Antigenität und Beeinflussung der immunochemischen Reaktivität von Antigenen des Hepatitis-B-Virus (HbsAg, HbcAg und HbeAg) durch Desinfektionsmittel -ein Prüfmodell Methodological approaches to disinfection of human hepatitis B virus Molecular approaches to validate disinfectants against human hepatis B virus Comparision of the morphological alteration and disintegration test (MADT) and the chimpanze infectvity test for determination of hepatitis B virucidual activity of chemical disinfectants Inactivation of hepatitis B virus by intermediate-to-high-level disinfectant chemicals Richtlinie des Robert Koch-Institutes zur Prüfung der Viruzidie von chemischen Flächendesinfektionsmitteln und Instrumentendesinfektionsmitteln, die in die Liste gemäß § 10c des Bundes-Seuchengesetzes aufgenommen werden sollen Quantitativer Suspensionsversuch auf Viruzidie für in der Humanmedizin verwendete chemische Desinfektionsmittel und Antiseptika, Prüfverfahren und Anforderungen Richtlinien für die Prüfung chemischer Desinfektionsmittel,3.Aufl.Verlag der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft e Be