key: cord-0006041-3kxlqdeh authors: Bartlett, R.H.; Lewandowski, K. title: Alice im Intensivland: Essay über Unsinn und gesunden Menschenverstand auf der Intensivtherapiestation – im Stil von Lewis Carroll date: 2013-09-25 journal: Anaesthesist DOI: 10.1007/s00101-013-2203-9 sha: e4b7cff519a408dbd280dec3e67856baaaa29867 doc_id: 6041 cord_uid: 3kxlqdeh nan Alice freute sich über alle Maßen auf ihren ersten Praktikumstag auf der Intensivtherapiestation des Universitätsklinikums. Sie hatte schon viel von diesem Ort der Überraschungen und Wunder gehört. Seit 2 Jahren studierte sie nun schon Medizin und fand sich (wenn sie überhaupt jemals über sich selbst nachdachte) intelligent, praktisch, ausbildungsfähig, mitfühlend und potenziell kompetent für die Krankenversorgung. Zwei lange Jahre hatte sie nun schon unermüdlich theoretisches Basiswissen in sich aufgesogen. Doch nun, heute, an diesem wundervollen Ort, bot sich die Gelegenheit endlich am Krankenbett praktisches Wissen zu erwerben. Sie hatte, metaphorisch gesprochen, 2 Jahre lang, Wissen aufgenommen und dann wieder vergessen, war intellektuell gewachsen und geschrumpft, hatte die Zeilen und zwischen den Zeilen gelesen und war über ihre Reflexionen letztlich hier angelangt. Sie war nun bereit für das ganz große Abenteuer. Das war der Moment, als sie Dr. Hase erblickte. Dr. Hase eilte den Gang entlang, wobei er so forsch ausschritt und dabei nervös auf seine Uhr schaute, dass er Alice beinahe umrannte. Weiße Schuhe, weiße Hose, weißes Hemd, bedeckt von einem weißen Kittel, der mit einer nichtidentifizierbaren biologischen Flüssigkeit beschmutzt war. Dr. Hase war Assistenzarzt, aber er erschien Alice wie ein Ritter in weiß-schimmernder Rüstung. "Entschuldigen Sie bitte, mein Herr, können Sie mir vielleicht helfen?" "Nein. Aber ja. Ja, aber nein." "Entschuldigen Sie?" "Ja, ich könnte Ihnen helfen, wenn ich wüsste, was Ihr Problem ist, aber ich weiß es ja nicht. Aber selbst wenn ich ihr Problem kennen würde, könnte ich nicht helfen, da ich mich verspätet habe, ich bin in größter Eile. Also, selbst wenn ich helfen könnte, was in meinem Fall unwahr-scheinlich wäre, kann ich Ihnen nicht helfen. Also, auf Wiedersehen." "Mein Problem ist", sagte Alice in ihrer praktischen Art und Weise, "dass von mir erwartet wird, dass ich mich auf der Intensivtherapiestation melde. Könnten Sie mir den Weg zur Intensivtherapiestation zeigen?" "Ja, das könnte ich", sagte Dr. Hase, während er auf seine Armbanduhr schaute, "aber ich habe keine Zeit, da ich mich für die Visite auf der Intensivtherapiestation verspätet habe." "Nun, da ich ja zur Intensivtherapiestation gehen muss, darf ich mich Ihnen anschließen?" "Ja, aber natürlich. Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? Kommen Sie dann mit mir. Aber bitte rasch, wir sind ohnehin schon spät dran." Sie folgte Dr. Hase quer durch eine Halle, fuhr mit einem Aufzug hoch hinauf. Anschließend ging es durch Schwingtüren wieder in eine Halle. Alice dachte, dass dies alles wundervoll sei. "Ist dies die Intensivtherapiestation?", fragte Alice in ehrfurchtsvollem Flüsterton. "So steht es doch hier drauf ", sagte Dr. Hase und verwies auf einen Schriftzug auf Redaktion M. Coburn, Aachen der Glastür, der auswies "NOITATSEIPA-REHTVISNETNI." Spiegelbildlich, da sie sich jetzt innerhalb der Station befanden und durch die Glastür hinausblickten. "Hier liegen die am schwersten kranken Patienten, die Sie jemals gesehen haben. Die Ärzte hier sind die klügsten der ganzen Welt. Die Pflegekräfte wissen mehr als die Ärzte; ja, sie wissen sogar mehr als ich. Hier triumphiert modernste Technik über Krankheit. Hier zählen nur Fakten, keine Vermutungen. Hauptwörter sind besser als Adjektive. Zahlen sind die besten Hauptwörter. Wir können hier alles messen. Mit den Ergebnissen der Messungen können wir Berechnungen durchführen. Mit Berechnungen können wir Logarithmen erstellen. Mit Logarithmen können wir jedes klinische Problem lösen." "Ich dachte, es hieße Algorithmen", sagte Alice kleinlaut. "Algorithmen oder Logarithmen, das spielt überhaupt keine Rolle. Es ist auf jeden Fall alles sehr mathematisch hier. Aber sehen Sie, jetzt sind Sie schuld, dass ich noch verspäteter zur Visite komme." Alice im Schlepptau hastete er zum anderen Ende des großen Raums. Sie erreichten eine ansehnliche Menschengruppe, deren Mitglieder alle wie Dr. Hase gekleidet waren, alle aneinander vorbeischauten und ziemlich nervös wirkten. Nichts passierte. "Worauf warten die alle hier?", fragte Alice. "Sie warten selbstverständlich auf Dr. Dame. Dr. Dame und Dr. König, die Leitenden Ärzte der Intensivtherapiestation für diesen Monat. Die beiden wissen alles. Sie sind ausgeprägt mathematisch." Bald erschienen die Erwarteten. Dr. Dame war offensichtlich in der Hauptverantwortung. Er war ein kleiner, fettleibiger Mann mit einem runden Gesicht. Seine Augenbrauen waren haariger als sein Kopf; seine Ohren berührten die Schultern. Weder sein Hemd noch seine Krawatte kamen unter seinem Kinn zusammen. Alice fürchtete, der einzige Knopf, der das zum Bersten gespannte Hemd über seinem Bauch zusammenhielt, könnte wegplatzen und ihr ins Auge fliegen. Er trug einen zerknitterten weißen Kittel, in dessen Taschen ein Stethoskop steckte, das er niemals benutzte, sowie eine Ausgabe des Western Journal of Mol-lusk Research, die er niemals las. "Worauf warten Sie alle, lassen Sie uns endlich loslegen", sagte er mit einer heiseren, viel zu weinerlich klingenden und doch zu lauten Stimme, die Alice den ersten Hinweis auf den später ultimativen Beweis für seine durch und durch unangenehme Persönlichkeit gab. Dr. König hingegen war für eine ältere Frau eine durchaus attraktive Erscheinung. Sie war groß und dünn, trug echte Oxford-Schuhe und eine Halbbrille, die praktischerweise an einer schwarzen Schnur um ihren Hals hing, wenn sie diese nicht gerade auf der Nase trug, um Zahlen in den Aufzeichnungen zu lesen. Sie trug einen gestärkten, sauberen weißen Kittel, in dessen Taschen sich ein Leuchtstift befand, den sie dazu verwendete, in abgedunkelten Besprechungsräumen zu lesen, und eine Taschenbuchausgabe von Doktor Schiwago, die sie gerade zum 4. Mal las. "Nun, lassen sie uns anfangen", sagte Dr. König wohlwollend. "Ach, es ist nur, dass die Medizinstudentin hier nicht verstehen kann, wie wir den systemischen vaskulären Widerstand messen", antwortete Raupe. "Sie glaubt, dass sich der Widerstand während des Herzzyklus kontinuierlich ändert. Hahaha." "Runter mit der Nachlast", schrie Dr. Dame (. Abb. 1). "Nun lassen Sie uns in Ruhe einmal nachdenken", sagte Dr. König ruhig. "Eigentlich hat sie ja recht. Der arterielle Druck ändert sich kontinuierlich während des Herzzyklus, und der venöse Druck ändert sich kontinuierlich während des Atmungszyklus. Nicht nur das, auch der Fluss ändert sich kontinuierlich während des Herz-und Atmungszyklus. Wenn wir also den wirklichen Widerstand berechnen wollten, müssten wir die Messungen alle paar Millisekunden wiederholen, und dass würde Hunderte von Widerständen während eines einzigen Herzschlags ergeben." "Das ist genau das, was ich gerade gesagt habe", rief Alice aus, erleichtert darüber, jemanden der die Grundlagen der Physik erinnerte, als Unterstützung an ihrer Seite zu haben. "Ruhe dahinten. Runter mit der Nachlast", sagte Dr. Dame. "Eigentlich ist das richtig, aber irgendwie unpraktisch", fuhr Dr. König fort. "Was wir also tun, ist den mittleren ar- "Am Ende ist ja doch alles Physik", bemerkte Alice sehr erleichtert. "Auf Physik basierende Arithmetik. Aber warum sagten Sie, der Widerstand betrage 1734?" "Weil er 1734 ist", sagte Dr. Dame ungehalten. "Er ist 1734", sagten alle Assistenzärzte, weil sie angesichts der Ungehaltenheit von Dr. Dame nervös wurden. "Runter mit der Nachlast", sagte Dr. Dame. "Runter mit der Nachlast", sagten die Assistenzärzte in der Absicht zu gefallen. "Aber Dr. König führte doch gerade aus, dass der Widerstand 21,7 sei. Wie kommen wir von 21,7 auf 1734?" fragte Alice, die erneut verwirrt wurde. "Warum verschwenden wir unsere Zeit mit diesen Belanglosigkeiten?", warf Dr. Dame ein. "Dr. Hase, erklären Sie ihr das kurz, damit wir mit unserer eigentlichen Aufgabe fortfahren können." "Wir multiplizierten 21,7 mit 79,9", sagte Hase, Respekt einflößend. "Das ergibt einen Widerstand von 1734, auf ein paar dyn genau. Ich meine, das ist doch schon eine sehr eindrucksvolle Zahl." "Aber warum tun wir das?", fragte Alice. "Wir tun das", erklärte Dr. König, "um mmHg pro Liter pro Minute in dyn mal Sekunde mal Zentimeter hoch minus 5 zu konvertieren." Alle Assistenzärzte grinsten und wirkten sehr selbstzufrieden. Die meisten von ihnen hatten diese Erklärung vergessen, aber als sie ihnen wieder ins Gedächtnis gerufen worden war, fühlten sie sich bemüßigt, selbstzufrieden zu grinsen. "Entschuldigen Sie", bemerkte Alice bescheiden, "aber diese Umrechnungsfaktoren beziehen sich nur auf den kontinuierlichen Fluss von Newton-Flüssigkeiten, wie z. B. den Fluss von Wasser durch starre Röhren. Bei Herrn Walross fin-den wir jedoch einen pulsatilen Fluss von Nicht-Newton-Flüssigkeiten durch elastische Röhren. Nebenbei bemerkt, führt das aber nur zu weiteren Berechnungen. Warum sollten wir uns darum auch noch kümmern?" "Warum wir uns darum kümmern sollten!" rief Dr. Dame aus. "Weil wir Wissenschaftler sind." "Weil es eine sehr große Zahl ergibt", setzte Dr. Raupe hinzu. "Weil das echte Physik ist", sagte Dr. König. "Ich glaube, jetzt verstehe ich gar nichts mehr", warf Alice ein. "Das liegt daran, dass Sie Medizinstudentin sind, wir hingegen wichtige Ärzte. Es braucht Jaaahre um zu erlernen, wie man mit 79,9 multipliziert", schmetterte Dr. Raupe, während er seinen Kopf beinahe 30 cm aus seinem Hemdkragen schraubte. "Es braucht Jaaahre, um ein hochgezüchteter Intensivmediziner zu werden. Hmmmmmmmmmm." "Hmmmmmmmmmm", murmelte die ganze Gruppe. "Genug von diesen unbedachten Einwürfen", sagte Dr. Dame. "Fahren Sie fort, Dr. Hase. Was meinen Sie, was wir hier für Herrn Walross tun können?" Dr. Hase schaute sehr nervös auf seine Unterlagen. Er guckte auf die Monitore; er sah seine Mitassistenten an, die alle versuchten unauffällig dreinzuschauen. Sein Blick suchte Schwester Grinsekatze, die ihn üblicherweise aus solchen Krisensituationen erlöste. Er konnte sie nicht finden. Alices Fragen waren für ihn schon sehr störend gewesen. Sie schienen irgendwie sinnvoll zu sein, und im Unterbewusstsein spürte er, dass in der ganzen, eben geführten Diskussion irgendetwas für das weitere Schicksal von Herrn Walross sehr Entscheidendes steckte. Jedoch konnte er dies nicht genau benennen. Dr. Dame stampfte erneut mit dem Fuß auf den Boden; er wurde wieder ungeduldig. "Wie ich schon sagte", begann Hase vorsichtig, während er die Blicke von Dr. Dame erheischte, "sein systemischer vaskulärer Widerstand ist sehr hoch …" "1734", rief Dr. Dame. Hase wusste nun, dass er auf der richtigen Spur war. "… und ich meine, dass wir etwas gegen diesen sehr hohen Widerstand tun sollten." Zum ersten Mal an diesem Ta-ge wirkte Dr. Dame erfreut. Hase fühlte sich ermutigt. "Nein, ich meine, wir müssen sogar etwas gegen diesen sehr hohen Widerstand tun; ich meine wirklich, wir müssen das tun", sagte er nachdrücklich und wettete darauf, dass er mit dieser Aussage richtig lag. "Genau richtig, Hase", krächzte Dr. Dame. "Runter mit der Nachlast. Sehr gut, Dr. Hase. Wie genau wollen wir das machen?" "Mit einem Medikament, das die Nachlast senkt", mutmaßte Hase. "Ja, ja, genau das! Welches? In welcher Dosierung?" "Wir könnten ihm Thorazine geben …", sinnierte Hase laut vor sich hin, aber Dr. Dames Blick verfinsterte sich, "… oder Isoproterenol", der Blick verfinsterte sich weiter, " … oder Nitroglyzerin", der Blick hellte sich auf, dazu ein angedeutetes Nicken, " … oder Natriumnitroprussid." Dr. Dame lächelte. Dr. König lächelte. Alle Assistenzärzte lächelten. Sogar Schwester Grinsekatze, die auf mysteriöse Weise hinter Dr. Dame erschienen war, lächelte breit. Hase hatte gelernt, dass ein Lächeln von Schwester Grinsekatze bedeuten konnte, dass er etwas richtig oder aber total falsch gemacht hatte. "Natriumnitroprussid", rief Dr. Dame. "Wie viel?" Hase wusste nun überhaupt nicht mehr weiter. "Wir könnten 10 geben", sagte er, indem er eine neutrale Zahl aus der Luft griff. Dr. Dame zog sofort die Augenbrauen hoch. "Zehn ist ziemlich hoch, meinen Sie nicht auch, Schwester Grinsekatze?" sagte Dr. Dame, der, um ehrlich zu sein, die Dosierung selber nicht genau kannte. "Wenn er tatsächlich Natriumnitroprussid braucht", sprach Schwester Grinsekatze und lächelte dabei rätselhaft, "dann sollten wir vielleicht mit 5 anfangen." "Dann sollen es 5 sein", sagte Dr. Dame. Bereiten Sie einen Standardtropf vor, und geben Sie ihm 5. Runter mit der Nachlast." Hase war sehr erleichtert, dass er eine Zahl ausgewählt hatte, die einigermaßen vernünftig erschien, aber er war auch sehr froh, dass Schwester Grinsekatze die Tropfinfusion vorbereiten sollte, da er nicht wusste, was 5 bedeutete. Wieder wurde Alice verwirrt. Sie zupfte am unteren Ende von Dr. Raupes Kittel. "Entschuldigen Sie, wird Natriumnitroprussid nicht seinen Blutdruck senken?" "Natürlich", flüsterte Dr. Raupe. "Darum geht es doch hier gerade." "Aber die Ursache dafür, dass sein Widerstand so hoch ist, ist doch, dass sein Herzzeitvolumen so niedrig ist. Sehen Sie doch einmal den Patienten an. Er ist ein schwerer Mann. Und er hat all diese Verletzungen erlitten. Er ist anämisch und oligurisch. Ich weiß nichts von Intensivmedizin, ich bin ja lediglich eine Medizinstudentin, aber meiner Meinung nach wäre es das Richtige, sein Herzzeitvolumen anzuheben." "Und wie würden Sie das tun?" "Ich bin nicht sicher", sagte Alice, angestrengt nachdenkend, "vielleicht benötigt er eine Bluttransfusion." "Hahahaha", sagte Dr. Raupe, und Alice fühlte sich sehr unbedeutend. "Was ist da hinten los?" fragte Dr. Dame. "Ist es schon wieder diese Medizinstudentin?" "Ja", sagte Dr. Raupe. "Sie denkt, dass Herr Walross eine Bluttransfusion und nicht ein nachlastreduzierendes Medikament benötigt." "Das ist absurd", sagte Dr. Dame. "Sein Hämatokrit ist 30%. Er braucht keine Transfusion." "Das ist ja sehr interessant", sagte Dr. König. "Junge Frau, warum würden Sie eine Bluttransfusion vorschlagen?" "Weil sein Herzzeitvolumen niedrig ist. Das führt bei der Berechnung des Widerstands zu einem hohen Wert." "Aber das normale Herzzeitvolumen beträgt 5 l/min", wandte Dr. König ein. "Wir alle wissen das. Sein Herzzeitvolumen beträgt 3,5 l/min. Das ist annähernd normal." "Ich habe in der Physiologie gelernt, dass 5 l/min das normale Herzzeitvolumen für einen durchschnittlichen Menschen in Ruhe darstellen. Herr Walross jedoch ist ein sehr schwerer Mann, der sich kein bisschen bewegt und zudem kalt ist. Es erschien mir gerade so, dass, wenn man die Umstände berücksichtigt, sein Herzzeitvolumen ziemlich niedrig ist." "Da ist etwas dran, junge Frau", bemerkte Dr. König. "Hämodynamische Variablen werden üblicherweise standardisiert auf Größe und Gewicht, ausgedrückt als Körperoberfläche. Diesen Vorgang nennen wir Normierung. Dr. Hase, wie hoch ist sein Herzindex?" Dr. Hase blätterte hastig in der Krankenakte. Schwester Grinsekatze antwortete an seiner Stelle. "Der Wert beträgt 2,2 l/min/m 2 KOF 2 ", sagte sie, ohne ihr Lächeln zu unterbrechen. "Nun, junge Frau, Sie haben recht. Sein Herzindex ist ein wenig niedrig." "Ich habe gelernt, dass der normale Herzindex 3,2 l/min/m 2 KOF beträgt", fuhr Alice fort. "Das ist in der Physiologie ein hochnormaler Wert", sagte Dr. Dame, außer sich. "Hier bei uns, dort wo die Musik spielt, nennen wir alles über 2,2 eine verflixt gute Perfusion. Nebenbei bemerkt, fokussieren wir zunächst auf den Blutdruck und auf anderes Zeug erst später. Und sein Widerstand ist so ausgesprochen hoch! Runter mit der Nachlast!" 2 Körperoberfläche. Abb. 1 "2757", schrie Dr. Dame. "Das ist ja noch höher, als wir dachten. Schnell, Schwester Grinsekatze, schließen Sie jetzt den Tropf mit Natriumnitroprussid an, runter mit der Nachlast." "Aber, aber, aber", sprudelte es aus Alice heraus. "Schluss jetzt, keine weitere Zeitverschwendung mehr. Machen Sie voran, Schwester Grinsekatze, und nach dem Ende der Visite kommen wir hier noch einmal vorbei, um zu sehen, wie sehr effektiv unsere Behandlung ist. Auf zum nächsten Patienten!" bot korrelieren. Nicht mehr und nicht weniger." "Natürlich hat Sie recht", sagte Herr Hutmacher ziemlich schläfrig. "Ja, ich glaube sie hat ziemlich recht", sagte Dr. König. "Vielleicht ist die S v O 2 doch nicht so ein stumpfsinniger Monitor. Tatsächlich verrät sie uns eine Menge über unseren Herrn Hutmacher hier." "Hier habe ich noch ein Rätsel", sagte Herr Hutmacher. "Wenn die S v O 2 als Monitor nutzlos ist, sollten Sie sie seltener benutzen. Wenn Sie sie nicht verstehen, sollten sie nicht hinter ihr stehen. Wann sollten Sie sie häufiger benutzen?" "Ich glaube, ich weiß die Antwort", sagte Dr. König. "Wenn wir verstehen, was die S v O 2 misst, werden wir sie häufiger benutzen." "Ganz recht", sagte Herr Hutmacher. "Nun, ich verstehe diese ganze Unterhaltung nicht mehr, und ich meine, sie ist nutzlos", sagte Dr. Dame nachdrücklich. "Ich weiß. Wehe mir", sagte Herr Hutmacher und wandte sich wieder seiner Teetasse zu. "Dr. Hase", sagte Dr. Dame, während er den unhöflichen Patienten ignorierte, "was meinen Sie, sollten wir für das Sauerstoffangebot von Herrn Hutmacher tun? Haben Sie die aktuellen Arbeiten über supranormales Sauerstoffangebot und seine Steigerung gelesen?" (. Infobox. 1). "Ja, selbstverständlich", sagte Hase stolz. Tatsächlich liegt Herrn Hutmachers Sauerstoffangebot schon über 600 ml/ min/m 2 KOF. Ich schlage vor, dies als supranormal anzusehen. Wir könnten ihm Erythrozytenkonzentrate oder inotrope Medikamente geben, um das DO 2 weiter zu erhöhen, aber ich bin nicht sicher, ob das notwendig ist. Sein Herzzeitvolumen hat die Anämie schon sehr gut kompensiert. Ich würde sagen, dass sein systemisches Sauerstoffangebot dem Zustand seines Metabolismus angemessen angepasst ist." "Ich beginne zu verstehen", sagte Alice. "Normalerweise steigt das Herzzeitvolumen als Reaktion auf einen gesteigerten Metabolismus oder Anämie oder Hypoxie an, um das Sauerstoffangebot 5-fach über dem Niveau des Sauerstoffverbrauchs zu halten." "Ja, Sie haben recht", sagte Dr. König, "und wenn es das Herz nicht schafft, helfen wir ihm mit Inotropika oder Erythrozytenkonzentraten. Shoemaker (. Infobox. 1) hat das schon seit Jahren so postuliert, und jetzt zeigt sich, dass er recht hat." "Das ist ja alles schön und gut", sagte Dr. Dame, "aber was ist mit den Sauerstoffradikalen? Diese ganze Infektion aktiviert die weißen Blutzellen, die zu Peroxiden und Superoxidradikalen führen, die dann die Lipide oxidieren und die Antioxidanzien verbrauchen. Wenn zu viel Sauerstoff da ist, entstehen zu viele Sauerstoffradikale." "Es erscheint mir", meldete sich Alice, "dass diese beiden Phänomene nicht miteinander in Beziehung stehen. Sauerstoffangebot und -verbrauch spielen sich auf der metabolischen Ebene ab, während Sauerstoffradikale in der Kategorie Wirtsabwehr eine Bedeutung haben. Ich meine, sie haben nichts miteinander zu tun, mit der Ausnahme, dass Patienten, die septisch sind, einen gesteigerten Metabolismus haben und daher eines gesteigerten Sauerstoffangebots bedürfen." "Das zeigt Ihren erbärmlichen Wissensstand", spöttelte Dr. Raupe. "Tatsächlich ist es etwas verwirrend", bemerkte Dr. König. "Ähnlich wie die Verwirrung, die sich um die Frage dreht, ob man Patienten, die an einer Laktatacidose leiden, Ringer-Laktat-Infusionslösungen geben sollte. Glücklicherweise haben wir hier einen Oberarzt aus der Abteilung für Infektionskrankheiten, der das Problem für uns lösen kann. Es ist Dr. Dumpty." Die Assistenzärzte traten zur Seite, sodass Dr. Dumpty an das Krankenbett watscheln konnte. Dr. Dumpty hatte einen eiförmigen Habitus, der an der Spitze seines superschlauen Kopfes begann, seine maximale Ausdehnung knapp unterhalb seiner Gürtellinie entwickelte und weiter unten auf der Ebene seiner maßgefertigten orthopädischen Schuhe endete. Während er sprach, schwankte er von der einen Seite zur anderen, und die Assistenzärzte fürchteten, dass er umkippen würde, was aber niemals passierte. Er trug einen aus weißem Leinen gefertigten Kasak, der ursprünglich einmal als ein Vierpersonenzelt konzipiert gewesen war. In seinen Taschen Nachdem er das Gedicht vorgetragen hatte, schwieg die gesamte Gruppe. Man sah sich gegenseitig ratlos an. Herr Hutmacher war eingeschlafen und schnarchte. "Hmmmmmmmmmm", sagte Dr. Raupe. "Hmmmmmmm", sagten auch alle anderen. "Brilliant. Genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte", sagte Dr. Dame. "Ich verstehe jetzt gar nichts mehr", sagte Alice. "Könnten Sie mir das erklären, Dr. Dame?" "Ja, Dr. Dumpty", erwiderte Dr. Dame. "könnten Sie das unserer Medizinstudentin hier erklären?" Dr. Dame war es sehr angenehm, dass er die Frage weiterleiten konnte, da er in Wahrheit das Gedicht überhaupt nicht verstanden hatte. "Es ist sehr einfach", sagte Dr. Dumpty. "Um dieses Gedicht zu interpretieren, ist es, ähnlich wie bei den Geschichten von Lewis Carroll, erforderlich, die Philosophen und die Popkultur der Zeit, in der es geschrieben wurde, zu verstehen. Ryle definierte Kategoriefehler. Und ‚Fresser' bedeutet ‚neutrophile Granulozyten' ." "Oh", sagte Alice. Alle anderen schauten so herablassend sicher umher, dass sie sich entschloss, im Moment keine weiteren Fragen zu stellen (. Abb. 2). "Vielleicht kann ich weiterhelfen." Die Stimme gehörte zu einem großen, geschäftsmäßig aussehenden Mann mit einer Hakennase. Sein Namensschild wies ihn als "Dr. Greif -Chirurgie" aus. "Die Superoxide und Hydroxylradikale, die durch die aktivierten Entzündungszellen generiert werden, verletzen die Endothelzellen in den Gewebekulturen. Aber bei echten Patienten vereinigen sich diese Radikale sofort mit Chlorid und Proteinen, um ungefährliche Hypochlorite, Chloramine und einige wenige andere Moleküle zu bilden. Jeder, der an Schock und Inflammation interessiert ist, hat schon versucht, dieses Phänomen mit Multiorganversagen in Verbindung zu bringen, aber es passt irgendwie nicht zusammen. Der ganze Prozess hat rein gar nichts mit der Physiologie der systemischen Sauerstoffkinetik zu tun, ebenso wenig wie mit der F I O 2 7 . Ist es nicht das, was Sie meinten, Dr. Dumpty?" "Das ist eine im Wesentlichen richtige, aber auf naive Weise übermäßig vereinfachte Zusammenfassung dessen, was ich sagte", schniefte Dr. Dumpty, während er gefährlich schwankte und beinahe seine Balance verlor. "Dr. Greif ist der Chirurg, der sich um Herrn Hutmacher kümmert", sagte Dr. König. "Dr. Greif, wir diskutieren gerade den Fall Hutmacher. Was empfehlen Sie? Hoch mit der Nachlast? Hoch mit der Vorlast? Ein höheres Sauerstoffangebot? Ein niedrigeres Sauerstoffangebot? Weitere Liter von Ringer-Laktat?" "Nichts von all dem", sagte Dr. Greif. "Er benötigt eine kleine Operation, um den Abszess in seinem rechten oberen Quadranten zu drainieren." Dr. Dame musste sich auf die Zunge beißen, um angesichts dieses altmodischen Vorschlags nicht vor Lachen zu prusten. Die meisten Assistenzärzte schauten zur Seite oder hielten sich die 7 Inspiratorische Sauerstofffraktion. Hand vors Gesicht, um nicht unhöflich amüsiert zu erscheinen. "Sicherlich beabsichtigten Sie, ein CT zu empfehlen, gefolgt von einer endoskopischen retrograden Cholangiopankreatikographie (ERCP) und dann einer Einlage von 2 oder 3 perkutanen Drainagen", sagte Dr. Dame, als er wieder sprechen konnte, ohne zu kichern. "Sicherlich meinten Sie erst dann eine Operation durchzuführen, wenn unsere teuersten Antibiotika versagt haben", sagte Dr. Dumpty, schwankend. "Sicherlich meinten Sie eine mögliche Operation, sobald sich der hyperdyname septische Zustand aufgelöst hat", sage Dr. Raupe. "Nein, was ich beabsichtigte, war, eine kleine Operation durchzuführen, um den Abszess in seinem rechten oberen Quadranten zu drainieren. Er ist septisch, er fiebert, hat einen weichen Tumor, und das Ganze 4 Tage nach einer Cholezystektomie." "Wir werden sicherlich Ihren weisen Ratschlag im Hinterkopf behalten, Dr. Greif. Zwischendurch mal, Dr. Hase, was haben Sie am Nachmittag mit Herrn Hutmacher vor?" "Er ist für eine CT 8 -Untersuchung vorgesehen mit anschließender ERCP mit Papillotomie, fluoroskopischer Exploration der verbliebenen Steine und -Stent-Einlage -für den Fall, dass sich ein Galleleck zeigt." "Klingt sehr modern", sagte Dr. Dame hämisch grinsend. "Ich bin sicher, dass Dr. Greif zustimmen wird." Dr. Greif nickte lediglich. "Wehe mir", murmelte Herr Hutmacher. "Unser nächster Patient", sagte Dr. Raupe, der die Gruppe zum nächsten Krankenbett führte, "leidet an ARDSsssssss 9 . Der Fall wird von Dr. B. Bube vorgestellt." Dr. B. Bube war der weitaus älteste Assistenzarzt, an den sich alle erinnern konnten. Er hatte einige Jahre in einer Praxis für Allgemeinmedizin verbracht, dann hatte er eine Auszeit genommen, um den Ti-8 Computertomographie. 9 ARDS: "acute respiratory distress syndrome". F Letztlich konnte nie der Beweis erbracht werden, dass supranormale Sauerstofftransportwerte zu einer Verbesserung der Sterblichkeitsrate bei Patienten mit septischem Schock führen [11] . Möglicherweise wird durch ein solches Vorgehen sogar die Sterblichkeitsrate erhöht [12] . tel "Master of Business Administration" (MBA) zu erwerben. Anschließend war er als Verwaltungsangestellter in einem kleinen Krankenhaus tätig gewesen, das bald darauf schloss. Dann hatte er eine Assistentenstelle in der Radiologie angenommen, und nun war er für ein Jahr lang in der Intensivmedizin gelandet. Die meiste Zeit verbrachte er damit, moderne Beatmungsgeräte zu beherrschen, aber dennoch lief es damit nicht so gut. Er schmückte sich mit einem lang herunterhängenden Schnauzbart, trug knittrige Intensivkleidung und führte einen Rucksack mit sich, in dem sich das mehrbändige Werk Civetta's Intensivtherapie befand. [5] . Schließlich wurden auch einige AIWS-Fälle im Zusammenhang mit der H1N1-Influenza-A-Virus-Pandemie 2009 beschrieben [6, 7] . Esperanza: presidential address Übersetzt von Strasser I. Mit 22 Illustrationen von Brigitte Seelbach-Caspari Die Alice-Romane. Alices Abenteuer im Wunderland. Hrsg. und übers The syndrome of Alice in Wonderland Complex hallucinations and panic attacks in a 13-year-old with migraines: the Alice in Wonderland syndrome Alice in Wonderland syndrome caused by the 2009 pandemic H1N1 influenza A virus Alice in Wonderland syndrome in H1N1 influenza: case report Simplified calculation of body surface area A formula to estimate the approximate surface area if height and weight be known Clinical trial of survivors' cardiorespiratory patterns as the therapeutic goals in critically ill postoperative patients A trial of goal-oriented hemodynamic therapy in critically ill patients Elevation of systemic oxygen delivery in the treatment of critically ill patients "Sehr gut geplant", sagte Dr. Dame. Alle nickten."Bezüglich seiner Ernährung", fuhr Dr. Bube fort, der sich inzwischen selbstsicherer fühlte, "er hatte noch niemals Darmgeräusche -wahrscheinlich wegen des ganzen Morphins, das wir ihm verabreichen -also haben wir ihn auf totale parenterale Ernährung (TPN) umgestellt. Am nächsten Tag haben wir einen zentralvenösen Katheter angelegt und einige Verordnungen aufgeschrieben. Gestern gaben wir ihm die halbe Menge, heute geht es mit voller Kraft voraus -2 l/Tag parenterale Ernährungslösung. Somit erhält er 2000 Kalorien aus Zucker und 80 g Protein/Tag. Dies, plus der anderen Flüssigkeiten und der Trägerlösungen für Antibiotika, Morphin und Pancuronium summieren sich auf 4 l/Tag. Das ist vielleicht auch die Erklärung für seine Gewichtszunahme von 8 kg seit Aufnahme." "Das hört sich alles nach einer ausgezeichneten Behandlung an, Dr. Bube. Wie entscheiden Sie über Menge und Zusammensetzung der parenteralen Ernährungslösung? Haben Sie seinen Sauerstoffverbrauch gemessen und seinen Kalorienbedarf berechnet? Haben sie seine Urineiweißausscheidung gemessen und die Rate seines Proteinabbaus berechnet?" "Nein. Wir haben das in einer Tabelle nachgeschaut. Um genau zu sein, die Typen vom Ernährungsteam haben das in so einer Tabelle nachgeschaut und mir gesagt, dass ich 2 l/Tag von dem Standardzeug geben soll. Es scheint irgendwie zu helfen, da sich sein Serumalbumin bei 2,4 g/l eingeregelt hat." "Hier ist sein Röntgenbild", sagte Dr. Bube und zeigte auf die a.-p.-Röntgenthoraxaufnahme, die ans Fenster geklebt war. "Bitte beachten Sie die diffusen, lockeren, bilateralen pulmonalen Infiltrate." "Entschuldigen Sie, mein Herr", sagte Alice. "Ich bin nur eine Medizinstudentin, aber ist nicht das ganze Weiße auf der Thoraxröntgenaufnahme überwiegend Wasser?" "Na klar", sagte Dr. Bube gönnerhaft. "Wenn er das ganze Wasser in den Lungen hat und 8 l im Plus ist, warum nennen wir das Ganze dann nicht ‚Überwässerung'?" "Haaaa", schnaubte Raupe verächtlich. "Haaaa", sagten auch alle anderen Assistenzärzte."Sehen Sie, junge Frau", erklärte Dr. König. "Sein Wedge-Druck ist 8, also ist er wahrscheinlich nicht flüssigkeitsüberladen. Tatsächlich ist er wahrscheinlich eher auf der trockenen Seite." Alle nickten wissend."Aber das macht keinen Sinn", insistierte Alice. "Der Wedge-Druck hängt nur Professor Robert Hawes Bartlett "Wir halten das Atemzugvolumen konstant und variieren den PEEP zwischen 5 und 20 rauf und runter. Wir messen das Herzzeitvolumen und den pO 2 auf jedem PEEP-Niveau und wählen jenes Niveau aus, bei dem der pO 2 am höchsten ist, aber gleichzeitig niedriger ist als das Niveau, das zu einem Abfall des Herzzeitvolumens führt. Das ergibt dann den besten PEEP für diesen Tag." "Sie meinen, Sie messen den Punkt des höchsten systemischen Sauerstoffangebots in Beziehung zur metabolischen Rate?" fragte Alice."Wenn Sie es unbedingt so ausdrücken wollen, ja, dann ist es genau das, was wir tun", sagte Dr. Dame hämisch grinsend."Warum messen Sie dann nicht einfach kontinuierlich die S v O 2 und wählen das PEEP-Niveau, das mit der höchsten S v O 2 korreliert? Ist es nicht das Gleiche, nur einfacher?" fragte Alice."Oh je, oh je", sagte Dr. Dame und sah dabei sehr entnervt aus."Und wenn wir schon einmal dabei sind", fuhr Alice fort: "Warum halten Sie das Atemzugvolumen konstant? Mir scheint, dass dies zu überproportional hohen Atemwegsspitzendrücken führt, wenn Sie die hohen PEEP-Niveaus testen. Das liegt an der Form der Compliance-Kurve. Nicht nur, dass der mittlere Atemwegsdruck sich überproportional erhöht und den venösen Rückstrom behindert. "Ich versuche, nicht daran zu denken", antwortete Schwester Grinsekatze."Warum taten wir das?", fragte Dr. König."Das war damals ein Sieg der Mathematik über den gesunden Menschenverstand", sagte Schwester Grinsekatze und grinste dabei so breit, dass der Rest von ihr zu verdämmern schien (. Abb. 5).