key: cord-0006358-6uwf1d49 authors: Bogner, Johannes title: Sommergrippe: Mehr als ein Mythos! date: 2019-06-22 journal: MMW Fortschr Med DOI: 10.1007/s15006-019-0657-7 sha: 2226997fe1a6c46724574f0d81ed527c5bb5d548 doc_id: 6358 cord_uid: 6uwf1d49 Durchsucht man die deutschsprachige medizinische Literatur nach dem Begriff „Sommergrippe“, scheitert man kläglich. Jeder glaubt zu wissen, was damit gemeint ist, doch keiner schreibt darüber. Ist das überhaupt ein seriöses Thema? Der Begri "Erkältung" meint in der Umgangssprache sehr häu g das, was wir Ärzte unter einem akuten respiratorischen Infekt (ARI) subsumieren. Obwohl der Begri allgegenwärtig ist, erscheint er im Zusammenhang mit der Sommergrippe grotesk. Im Sommer ist es warm, also ist eine Unterkühlung unwahrscheinlicher als im Winter. Doch die Erfahrung zeigt, dass Erkältungen auch im Sommer vorkommen. Der Ein uss der Lu temperatur auf die Funktion des Flimmerepithels und des lokalen Immunsystems des Naso-pharyrnx, der Adenoide und Tonsillen wurde mehrfach untersucht. Es gibt etliche Befunde, die zeigen, dass Kälte ungünstig sein kann. Auch die Hypothermie des Körperkerns ist assoziiert mit einer Häufung von Infektionen, insbesondere der unteren Atemwege sowie der ambulant erworbenen Pneumonie [2] . In den wärmeren Monaten ist es zwar im Durchschnitt wärmer. Dies schützt aber nicht vor einer Unterkühlung, etwa im nasskalten Juniregen oder an einem vermeintlich lauen Sommerabendstundenlanges Sitzen auf der Terrasse bei 15 °C kann eine Unterkühlung nach sich ziehen. Hinzu kommen Klimaanlagen, die Innenräumen auf 18 °C abkühlen und so ernorme Unterschiede zwischen außen und innen erzeugen. Die Epidemiologie und Saisonalität von respiratorischen Erkrankungen zeigen zwar für etliche Erreger eine eindeutige Häufung in der kalten Jahreszeit, aber nicht für alle. Hinzu kommen Infektionen, die durch trocken-warme Witterungsbedingungen eher gefördert werden. Auch Erreger, die nicht primär den Respirationstrakt betre en, sind manchmal im Sommer häu ger: Enteroviren, aerogene Erreger wie Coxiellen (Q-Fieber) [3] oder Erreger, die im Freien übertragen werden (Leptospirose -häu g auch "nur" in Form von Abgeschlagenheit und Fieber ohne Gelbsucht [4] ). Ein weiterer jahreszeitlicher Ein ussfaktor sind Staub-und Feinstaubpartikel in der Lu . So wurde z. B. für die Saisonalität von respiratorischen Infektionen aufgrund von Lu verschmutzungsdaten in US-amerikanischen Großstädten auf die Sterblichkeit an respiratorischen Infektionen rückgerechnet [5] . In einer Studie in Ningbo (China) wurde der Ein uss der Lu verschmutzung durch die Korrelation von Lu daten mit der Häu gkeit von Hospitalisierungen von Kindern unter 15 Jahren geklärt. Es zeigte sich eine signi kante Assozia tion mit den verunreinigenden Substanzen PM2.5, PM10, NO 2 und SO 2 (PM steht für materielle Partikel und die Zahl für die Größe in Mikrometern) [6] . Allerdings waren die Korrelationen in der kalten Jahreszeit stärker als im Sommer. Ähnliche Asso ziationen scheinen auch für westliche Großstädte zu gelten, wie man am Beispiel von Atlanta gesehen hat [7] . Während In uenza eine Winterkrankheit ist, können Parain uenza-Viren auch im Sommer au reten. Von einer Arbeitsgruppe in New York City wurde die saisonale Häufung von Parain uenza-Virusinfektionen im Sommer untersucht. Es handelte sich um eine retrospektive Studie zwischen Januar 2013 und Dezember 2015, in die 1.753 Kinder und Erwachsene aufgenommen wurden. Die Infektionen wurden mittels PCR dia gnostiziert [8] . Parain uenza-Virus wurde bei 69 Teilnehmern festgestellt (4%), zusätzlich wurden 680 hospitalisierte Patienten untersucht. Für Parain uenza-Virus Typ 4 zeigte sich eine Häufung im Spätsommer und Herbst. Für die Typen 1-3 wurden die bisher bekannten jahreszeitlichen Veränderungen bestätigt (für Typ 3 ist auch eine Häufung in den Monaten Mai bis Juli bekannt -im Gegensatz dazu nden Infektionen mit Typ 1 in den Wintermonaten statt). Aus dieser Studie geht somit hervor, dass die Parain-uenza-Virustypen 3 und 4 Teil des Phänomens Sommergrippe sein können [8] . In einer Querschnittsstudie von 2014 bis 2017 interessierte man sich für die saisonale Verteilung von Infekten bei Kindern mit hämato-onkologischen Erkrankungen. Hierzu wurden 219 nasopharyngeale Abstriche im Dr. Behcet Uz Hospital in Izmir, Türkei, ausgewertet [9] . Bei 55% der Patienten lag mehr als eine Infektion vor. Die drei häu gsten Erreger waren Rhino-, Parain uenzaund Coronaviren (33,1; 18,7; 14,8%). Jahreszeitlich elen Rhinoviren im Frühling 2014 und Herbst 2014 am häu gsten auf. Eine Häufung im Sommer zeigte sich für Parain uenza-Viren im Jahr 2015 und Rhinoviren im Sommer 2016. Insgesamt ist jedoch die Zahl der nachgewiesenen Erreger in den jeweiligen Sommer-Abschnitten geringer als jeweils im Winter [9] . Mit sog. TeleHealth-Anrufen wurde in England versucht, Erkrankungswellen früher zu erfassen und zu analysieren [10] . Die klassische Häufung von Respiratory Syncytial Virus (RSV) und In uenza in den Wintermonaten wurde dabei bestätigt. Allerdings zeigte sich, dass auch in den Sommermonaten respiratorische Erkrankungen au reten. Zwischen 48 50 52 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 Mod. nach [10] den Verlauf der respiratorischen Symptome aus NHS-111-Anrufen. Interessant ist, dass Symptome des Atemtrakts auch im Sommer sehr häu g genannt werden. Quanti ziert wurde dies auch in einer Studie aus Hong-Kong: Dort berichteten 38% der befragten Patienten im Winter und immerhin 22,6% im Sommer über Symptome akuter respiratorischer Erkrankungen [11] . Auf der Suche nach Infektionserregern ambulant erworbener Pneumonien (CAP) bei älteren Menschen untersuchten Forscher aus Lissabon zwischen November 2013 und April 2014 163 Patienten [13] . Bei 113 Krankheitsepisoden wurden positive Tests in der PCR-Untersuchung gefunden: am häu gsten Rhinoviren und In uenza, danach Boca-, Corona-und Metapneumo-, Parain uenza-Virus und auch Legionellen. Eine saisonale Zuordnung konnte aufgrund der niedrigen Fallzahlen nicht erfolgen [13] . Qu und Kollegen haben 2011 bis 2016 die Häu gkeit und saisonale Verteilung von respiratorischen Infektionen bei Kindern und Jugendlichen untersucht [14] . Die Diagnose wurde aus respiratorischen Spezimen mit PCR-Nachweis gestellt. Häufungen ergaben sich dreimal auch im Sommer und Frühherbst. Wood und Kollegen untersuchten 31 Kinder mit Asthma mit der Frage, welche Rolle und Saisonalität Mykoplasmen für die Erkrankungsschwere spielen. Auch hier wurde eine Häufung positiver Befunde im Sommer berichtet [15] . Für Chlamydien konnte die Saisonalität nicht so eindeutig gezeigt werden. Bei eine Untersuchung von akuten respiratorischen Infektionen in Peru ergab sich zwar für Mykoplasmen der bekannte E ekt einer signi kanten Fallzahl im Sommer, nicht jedoch für Chlamydien [16] . Auch Chen et al. kamen bei der Untersuchung chinesischer Kindern zu dem Schluss, dass Mykoplasmen-Erkrankungen im Sommer häu g sind, Chlamydien dagegen im Winter deutlich häu ger vorkommen [17] . Eine epidemiologische Untersuchung aus den USA zeigte, dass die Häu gkeit von Legionella pneumoniae signi kant von der relativen Lu feuchtigkeit und -temperatur abhängt [18] . Warmes Wetter und eine Lu feuchtigkeit von über 80% waren dabei mit einer Odds Ratio von 3,1 für das Au reten von Legionellen-Pneumonien assoziiert. Diese Bedingungen werden je nach geogra scher Region am ehesten in den Sommermonaten erreicht [18] . Eine Erhebung in Europa unter der Leitung des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) fasste von 2011-2015 über 30.000 Legionellen-Fälle aus 29 Ländern zusammen [19] . Es wurde eine durchschnittliche jährliche Häu gkeit von 1,3 Fällen pro 100.000 Einwohnern im Jahr 2015 beschrieben. In den fünf betrachteten Jahren kam es zu einer leichten Zunahme. Immerhin 9,3% der Patienten mit Informationen zum Erreger sind an der Erkrankung verstorben. Es wurden zwar einige Cluster und Ausbrüche beschrieben, eine direkte Abhängigkeit von der Jahreszeit konnte jedoch in dieser Arbeit nicht untersucht werden. Fast 20% der Fälle waren mit Reisen assoziiert [19] . Cilloniz Der Mythos von der Exposure to cold and acute upper respiratory tract infection Epidemiology, clinical and laboratory features of 24 consecutive cases of leptospirosis at a German infectious disease center Long-Term PM2.5 Exposure and Respiratory, Cancer, and Cardiovascular Mortality in Older US Adults Air pollution and hospital visits for acute upper and lower respiratory infections among children in Ningbo, China: A time-series analysis Air pollution and acute respiratory infections among children 0-4 years of age: an 18-year timeseries study Seasonality and clinical impact of human parain uenza viruses A 3-Year Retrospective Study of the Epidemiology of Acute Respiratory Viral Infections in Pediatric Patients With Cancer Undergoing Chemotherapy The burden of seasonal respiratory infections on a national telehealth service in England Healthcare seeking behavior of patients with in uenza like illness: comparison of the summer and winter in uenza epidemics A protocol for a systematic literature review: comparing the impact of seasonal and meteorological parameters on acute respiratory infections in Indigenous and non-Indigenous peoples Respiratory infections in elderly people: Viral role in a resident population of elderly care centers in Lisbon Epidemiological characterization of respiratory tract infections caused by Mycoplasma pneumoniae during epidemic and post-epidemic periods in North China Mycoplasma pneumoniae and health outcomes in children with asthma High Prevalence of Mycoplasma pneumoniae and Chlamydia pneumoniae in Children with Acute Respiratory Infections from Epidemiology and associations with climatic conditions of Mycoplasma pneumoniae and Chlamydophila pneumoniae infections among Chinese children hospitalized with acute respiratory infections Weather-Dependent Risk for Legionnaires' Disease, United States The European Legionnaires' Disease Surveillance N. Legionnaires' disease in Europe Seasonality of pathogens causing community-acquired pneumonia Comparing Seasonal Pattern of Laboratory Con rmed Cases of Pertussis with Clinically Suspected Cases