key: cord-0034730-e1bp5n2k authors: nan title: Die Eigenschaften der Online-Kommunikation date: 2008 journal: Online-Kommunikation DOI: 10.1007/978-3-540-78393-0_2 sha: 64ebbbc89a3e42feee7c417228f1a5d32437bb19 doc_id: 34730 cord_uid: e1bp5n2k Lesen Sie in diesem Kapitel: Welche spezifischen Vor- und Nachteile die Eigenschaften der Online-Medien mit sich bringen; welche unterschiedlichen Aufgaben Text und Bilder in der Online-Kommunikation haben; warum im Online-Dialog ein erhöhtes Potenzial für Missverständnisse besteht und wie man damit umgehen kann; wie sich Online-Kommunikation auf bestehende Hierarchien auswirkt und was dies für Führungskräfte bedeutet und; was man im Online-Kontakt mit anderen Kulturen beachten sollte. Ein großer Teil der Online-Kommunikation findet textbasiert statt -zumindest bis zum heutigen Zeitpunkt. Diese Reduktion auf Buchstaben führt zu einer Reduktion der Ausdrucksfähigkeit -da man eben »nur« Text zur Verfügung hat, um eine Botschaft weiterzugeben. Gerade diese Einschränkung wird häufig als negativer Aspekt der neuen Medien hervorgehoben, der zu einem verantwortungslosen Umgang mit anderen und zu mehr Oberflächlichkeit im zwischenmenschlichen Kontakt führe. Dies ist eine falsche und undifferenzierte Pauschalisierung. Auch die schriftliche Online-Kommunikation kennt Zwischentöne, und eine textbasierte Kommunikationsform ist -je nach Aufgabenstellung -besser geeignet für die Übermittlung einer Nachricht ( Kap. 3). Dennoch entstehen durch die Textbasiertheit spezifische Problemstellungen, die im Folgenden erläutert werden. Wenn ich einer Person »face to face« gegenüberstehe und ihr etwas Schwieriges mitteile, übermittle ich nicht nur Informationen über den verbalen Kanal, sondern auch über den paraverbalen (Stimmlage, Wortwahl) und den nonverbalen (Körpersprache) Kanal. Die Person sieht, wie ich die Stirn runzle, hört, wie ich die Stimme senke und seufze, und sie merkt, wie sehr ich jedes Wort abwäge, bevor ich es verwende. Bei einer E-Mail findet der Austausch ausschließlich auf der Ebene der geschriebenen Sprache statt. Man spricht deshalb von einer Kanalreduktion. Mit dem Aufkommen der computervermittelten Kommunikation wurde dieser Sachverhalt in den 80er-und 90er-Jahren ausführlich diskutiert und kritisiert. Man sprach von Ent-Sinnlichung, Ent-Emotionalsierung und sogar von Ent-Menschlichung, und man befürchtete, dadurch würde die psychosoziale Ebene des Austausches gänzlich verkümmern (s. auch Winterhoff-Spurk & Vitouch, 1989; Mettler-von Meibom, 1994) . Mit der Online-Erfahrung von mehr als einem Jahrzehnt lässt sich sagen, dass diese Befürchtungen sich nicht bestätigt haben. Die meisten von uns verwenden heute E-Mail und Internet, ohne dabei psychisch Schaden zu nehmen. Und dennoch ist an der Kritik etwas dran: denn sie legt den Finger auf jene Schwierigkeiten, denen wir in der Online-Kommunikation begegnen und die uns vorher in dieser Ausprägung unbekannt waren. Wenn wir z. B. -wie im eingangs erwähnten Beispiel -plötzlich einen total verstörten Mitarbeiter am anderen Ende der Netzwerkverbindung haben und gar nicht verstehen, warum dieser so aus der Fassung geraten ist. Warum eine freundlich gemeinte und knapp verfasste E-Mail so viel auslösen kann, erklären zwei Kommunikationsregeln von Watzlawick et al. (1969, 2000) . Diese Regel ist darauf begründet, dass es zu »Verhalten« kein Gegenteil gibt. Das heißt, wie auch immer man sich benimmt, macht man damit eine Aussage. Wenn man schweigt und sich abwendet, heißt das z. B., dass man in Ruhe gelassen werden will. Oder allgemeiner ausgedrückt: Auch wenn ich schweige, sage ich etwas aus. Nur ist diese Art von Aussage viel schwieriger zu deuten, als wenn ich eine explizite Botschaft sende. Wann immer wir kommunizieren, sagen wir damit etwas über unsere Beziehung zum Kommunikationspartner aus. Die Beziehungsebene ist sogar prägend dafür, wie wir den Inhalt der Kommunikation interpretieren. Beispiel: Die Frage »Sind das echte Perlen?« kann Neid, Staunen oder Respektlosigkeit ausdrücken. Auch wenn der Fragende vielleicht Staunen zum Ausdruck bringen wollte, ist nicht gesagt, dass die Gefragte das auch so interpretiert. In der Face-to-face-Kommunikation haben beide Partner Gelegenheit, zur richtigen Interpretation der Beziehungsebene beizutragen und Missverständnisse schnell aus dem Weg zu räumen (⊡ Abb. 2.1). In der Online-Welt ist das aber sehr schwierig, da die unmittelbare Reaktion des Empfängers nicht sichtbar ist. Es ist ja nicht so, dass wir absichtlich »schweigen«. Aber die (para-und nonverbalen) Kanäle, die wir online nicht aktiv mit Informationen bedienen, lassen der Person auf der Empfängerseite großen Interpretationsspielraum. Das kann besonders dann zu Problemen führen, wenn unterschwellig bereits ein Konfliktpotenzial vorhanden ist. Die Interpretation wird dann von früheren Erfahrungen, schlechten Erwartungen und Ängsten geprägt, und auch wenn wir gute Absichten haben, werden uns sehr rasch schlechte unterstellt. Durch die zunehmend größeren Kapazitäten für die Datenübertragung ist Online-Kommunikation heute nicht mehr zwingend auf die Schriftlichkeit reduziert. Sie wird durch komplexere Kanäle (Ton, Bild, Video) ergänzt und eröffnet dadurch ein breiteres Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten. Es ist anzunehmen, dass sich dieser Trend weiter verstärken wird und in vielen Bereichen -die heute rein textbasiert sind -immer häufiger ergänzend auf Bilder gesetzt wird. Das Bedürfnis zu dieser Erweiterung ist in den unterschiedlichen kommunikativen Möglichkeiten von Text und Bild begründet. Um die spezifische Wirkung von Bild und Text zu verstehen, kann man auf eine weitere Kommunikationsregel von Watzlawick et al. (1969 , 2000 zurückgreifen. Das bedeutet: Bild und Text haben ein unterschiedliches Potenzial und unterstützen jeweils das Verständnis verschiedener Aspekte einer Botschaft. Digitale Kommunikation (Text). »Digital« wird hier nicht im Sinne von »computerunterstützt« verwendet, sondern steht für alle Arten von zeichenbasierter, abstrakter Kommunikation, für Konventionen, die festlegen, wie ein Inhalt kodiert wird (Zahlen, Buchstaben, Kodierungssysteme). Die festgelegten Zeichen haben keine äußere Ähnlichkeit mit dem Inhalt, den sie beschreiben. Beispiel: K a t z e ist eine Reihenfolge von Zeichen, die ein Tier definiert. Digitale Kommunikation kann Inhalte exakt und logisch beschreiben. Analoge Kommunikation (Bild). »Analog« heißt, dass zwischen der Darstellung eines Gegenstandes und ihm selbst eine Ähnlichkeit, eben eine Analogie besteht. Diese Kommunikationsform ist viel älter als die digitale, und wir teilen sie mit den Tieren, die ebenfalls und ausschließlich analog kommunizieren. Analoge Kommunikation ermöglicht die treffsichere Deutung von emotionalen Zusammenhängen und Beziehungsaussagen. Beispiel: Unaufrichtigkeit wird in der Körperhaltung einer Person relativ rasch festgestellt, in einem Text hingegen ist das sehr schwierig. Die digitale Kommunikation (Text) gibt also Auskunft über den Inhalt einer Nachricht, der Beziehungsaspekt wird analog vermittelt (Bild). Aspekte zu kurz kommen, die bildbasierte Kommunikation wiederum ist nicht exakt genug, um komplexe Sachverhalte treffend zu beschreiben. Ergänzend zu Watzlawick kann man sagen, dass die bildbasierte Kommunikation auch das schnelle Erfassen eines Zustandes, eines Sachverhalts in der Einbettung seines Umfelds ermöglicht -wenn auch vorwiegend intuitiv und ohne den Detaillierungsgrad eines Textes. Bilder können somit eine ähnliche Funktion übernehmen wie Inhaltsverzeichnisse in einem Text -als konzeptionelle »Oberbegriffe« -, die die Einordnung von Informationen in ein größeres Ganzes erleichtern (zum menschlichen Informationsverarbeitungsprozess Kap. 5.4 .3). Bilder können Text im Internet nicht ersetzen, sie können aber die Kommunikation um wichtige Aspekte ergänzen. Die analoge (Bild-) Kommunikation entspricht dem menschlichen Grundbedürfnis, Inhalte emotional einordnen zu können und auf ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Sie kann außerdem die konzeptgesteuerte Verarbeitung von Informationen unterstützen. Online-Newsanbieter kommen diesem Bedürfnis vermehrt entgegen, indem sie zu wichtigen Themen » Bildstrecken« anbieten. Auch für die Online-Vertrauensbildung ( Suchmaschinen und andere Strukturierungshilfen wie Taxonomien, Online-Verzeichnisse oder Newsreader spielen im Internet und auch in unternehmensinternen Netzwerken mehr und mehr eine zentrale Rolle. Sie ermöglichen es, Informationen nach den eigenen Bedürfnissen zu gliedern, zu kanalisieren und somit überhaupt erst nutzbar zu machen ( Kap. 13.4). Dies ist dann auch die erste ambivalente Folge der Digitalisierung: Wer neue Medien nutzt, hat einerseits fast unbeschränkte Möglichkeiten zur Gewinnung von Daten, die ihm für verschiedene Zwecke nützlich sind. Andererseits muss er sich dafür durch eine Unzahl von Informationen hindurchkämpfen und wird permanent dazu gezwungen, sich für die einen Informationswege zu entscheiden und andere auszulassen (⊡ Abb. 2.2). Dadurch entstehen Überlastungsgefühle. Online-Foren oder andere Netzwerke sind gute Beispiele, um den entlastenden Effekt aufzuzeigen. Angenommen, jemand hat eine seltene Krankheit, die in seinem eigenen Land vielleicht nur fünfmal vorkommt. Auch wenn er bis jetzt noch nie jemanden kennen gelernt hat, der in der gleichen Situation ist, findet er im Internet im Nu mindestens eine Gruppe von ebenfalls Betroffenen, mit der er sich austauschen kann und die ihm gezielte Unterstützung gibt. Oder er kann selbst eine Gruppe gründen und ist dank der Suchmaschinen für andere schnell auffindbar. Digitale Informationen erlauben durch die einfache Suchbarkeit, Beschlagwortung und Archivierung ein hohes Maß an Kontrolle. Die Tendenz, digitale Informationen länger aufzubewahren als physische, wird zusätzlich durch die hohe Speicherkapazität von Festplatten und anderen Speichermedien begünstigt. Wenn man z. B. vor drei Jahren eine E-Mail an eine Person geschrieben hat, von der man nur noch weiß, dass sie »Rita« heißt, kann man mittels Suchfunktion in der Mailbox binnen kurzer Zeit genau diese E-Mail finden (vorausgesetzt, man hat das E-Mail-Archiv nie gelöscht). Dies kann eine große Erleichterung bedeuten, weil man Daten wieder finden oder Sachverhalte rekonstruieren kann, die früher verloren gegangen wären, weil der Aufwand zur systematischen Aufbewahrung physischer Briefe viel größer ist. Anbieter von Suchmaschinen ermöglichen heute, die gesamte Arbeitsumgebung eines Unternehmens nach Stichworten abzusuchen. Wo Informationen strukturiert abgelegt sind, bedeutet dies Effizienzgewinn und Arbeitserleichterung . Wie oben bereits angedeutet, können Informationen praktisch ohne Mehraufwand an beliebig viele Personen gesendet werden. Mit jedem zusätzlichen Empfänger wächst aber das Risiko von Komplikationen. Im harmlo- Bei digitaler Kommunikation nimmt nicht nur die Geschwindigkeit der Aufgabenübermittlung zu. Interaktive Angebote wie Blogs oder Foren sind ressourcenintensiv Fehlende Sorgfalt wird als mangelnde Wertschätzung empfunden Zum Beispiel ist es einer Einzelperson ein Leichtes, ein Dienstleistungsangebot an eine Gruppe von 200 Personen zu senden. Sie muss nachher aber grundsätzlich die Anfragen all dieser 200 Leute bewältigen können, und zusätzlich solche von Dritten, denen das Angebot weiterempfohlen wurde. Auch der Unterhalt von Blogs oder anderen stark interaktiven Elementen einer Website kann aus diesem Grund eine unerwartet ressourcenintensive Aufgabe werden. Dieser Aspekt muss bei der Gestaltung von Online-Dialogangeboten unbedingt berücksichtigt werden ( Kap. 12.5, das richtige Maß an Interaktivität). In der Praxis: Wie sich die Eigenschaften der Online-Medien auswirken Seit dem ersten Internet-Hype in den 90er-Jahren wurde immer wieder angeführt, dass das Internet die bisherigen Hierarchien aufbrechen und Machtstrukturen auf den Kopf stellen werde. Ganz so radikal, wie man sich das damals vorstellte, hat sich diese Prophezeiung nicht bewahrheitet. Nach wie vor ist nicht jeder Mitarbeiter mitspracheberechtigt bei den Entscheiden der Geschäftsleitung, und er erhält auch weiterhin nicht alle Informationen, die ein Chef zur Verfügung hat. Aber in gewisser Weise ist es online tatsächlich einfacher geworden, sich als Angehöriger einer Minderheit oder einer hierarchisch tiefer gestellten Gruppe Gehör zu verschaffen. Dies hat einerseits mit der Digitalisierung zu tun ( Kap. 2.5), die die technischen Grundlagen für die Nivellierung der Online-Kontakte schafft. So sind z. B. oft alle E-Mail-Adressen eines Unternehmens gleich aufgebaut und jeder Mitarbeiter weiß, wie er den CEO direkt ansprechen kann. Andererseits können auch die oben genannten Filter-Effekte ( Kap. 2.3) mitspielen: Ich vertraue mich meinem CEO eher an, wenn ich ihn nicht sehe und er mich dann auch nicht durch seine Präsenz einschüchtert (was sonst vielleicht der Fall wäre). Diese Vernetzung hat aber auch negative Konsequenzen: Unsere Leute sind teilweise fast süchtig danach. Es kommt sogar in Verwaltungsrats-und Geschäftsleitungssitzungen vor, dass Sitzungsteilnehmer, während ein anderer spricht, ihre E-Mails herunterladen und lesen. Das geht natürlich zu weit und ist der internen Effizienz abträglich. An meinen Meetings habe ich darum kurzerhand Laptops und Organisers verboten, außer wenn einer selbst eine Präsentation hält oder Protokoll führen muss. Ein weiterer Nachteil von E-Mail hängt mit der Auswahl der Adressaten zusammen. Ich stelle fest, dass viele E-Mail-Sender nicht rigoros genug sind bei der Wahl ihrer Ansprechpartner. Sie senden ihre Mails an zu viele Empfänger, dadurch ergibt sich ein dramatisches Wachstum des Adressatenkreises und der Anzahl E-Mails in der In-Box. Auch Attachments werden oft zu großzügig hinzugefügt, so dass man mit der Informationsmenge gar nicht mehr wirklich etwas anfangen kann. Ich achte immer darauf, dass ich meine E-Mails möglichst präzise formuliere. Gerade für einen CEO ist das sehr wichtig, damit ich Missverständnisse verhindern kann. Wenn ich mit jemandem spreche, frage ich ja oft nach: Verstehen Sie, was ich meine? Und wenn der andere es nicht verstanden hat, kann ich noch mal mit anderen Worten das Gleiche sagen. Bei E-Mails geht das eben nicht, darum muss man sich umso mehr Mühe geben, was und wie man etwas sagt. Auch den Adressatenkreis wähle ich sehr bewusst. Nicht maximieren, sondern beschränken. Trotz vieler moderner Kommentare zu Netzwerken und nichthierarchischen Arbeitsgruppen glaube ich nicht, dass die menschliche DNA uns erlaubt, uns vom hierarchischen Denken und Handeln zu entfernen. Der Mensch ist ein Rudeltier wie der Hund, er ist geprägt von der Hierarchie, er sucht sie auch und scheint manchmal verloren ohne eine hierarchische Einbindung. Die Hierarchie ist ein sinnvolles Mittel, um eine Gruppe zu koordinieren, so dass sie gewisse Ziele erreichen kann. Selbstverständlich gibt es bei der Anwendung von hierarchischen Strukturen oft Probleme mit Wissens-und Machtmissbrauch. Im geschäftlichen Alltag geht es genau darum, diesen zu vermeiden und die Hierarchie »Nutzen stiftend« und transparent einzusetzen. Ich glaube darum nicht, dass das Internet Hierarchien aufheben kann. Aber es entsteht dank dem Internet eine hohe Transparenz. Für einzelne Personen wird es immer schwieriger, eine hi-erarchische Position auszunutzen, ohne entdeckt zu werden. Missbräuche werden schneller bekannt, Manipulation gelingt nicht mehr so einfach, die Kontrolle von geheimen Informationen wird schwieriger. Interessant ist auch der Umstand, dass nicht mehr nur große Systeme wie Medienverlage oder Unternehmen den Meinungsbildungsprozess prägen, sondern im Extremfall eine einzelne Person in einem Blog so einen Prozess auslösen kann. Diese zunehmende Transparenz im Netz ist sicher Demokratie fördernd. Die Gesellschaft wird in ihrem Meinungsbildungsprozess noch pluralistischer. Ich glaube aber, dass die Hierarchien an sich weiter bestehen bleiben. Leider gibt es auch einen unerwünschten Nebeneffekt, den ich »Exzess an Transparenz« nenne: Durch die globale Real-Time-Zugänglichkeit von Informationen haben wir keine »Gnadenfrist« mehr, auf überraschende Entwicklungen zu reagieren. Das SARS-Phänomen z. B. hätte früher keinen Kollaps von Fluggesellschaften und Reisevermittlern ausgelöst. Wir hätten gar nicht rasch genug gemerkt, dass eine potenzielle Gesundheitsgefährdung besteht, bevor sie bereits wieder verschwunden wäre. Die Schnelligkeit der weltweiten Informationsübermittlung, kombiniert mit der menschlichen Schwäche, alles zu emotionalisieren und zu dramatisieren, führt zu einer Übersteigerung, die reale Auswirkungen hat. Ich merke das auch bei Neuigkeiten über unser Unternehmen. Da kann es vorkommen, dass ich ein Interview gebe, ein Journalist gewisse Inhalte etwas verkürzt berichtet, die internationalen Agenturen verkürzen es noch mal zusätzlich, was zu einer überspitzten Darstellung auf dem Börsen-Newsticker führt -und schon fällt unser Aktienkurs um zwei Prozent, ohne dass es irgend einen realen Grund dafür gäbe. Erst wenn die Analysten dann das ursprüngliche Interview lesen, beruhigt sich die Sache wieder. Für die Unternehmensspitze ist ein wichtiges Problem, dass wir Feedback von der Unternehmensbasis oft nur gefiltert, nicht ehrlich oder gar nicht erhalten. Die Offenheit nach oben war immer schon durch hierarchische Ängste eingeschränkt. Ich muss also dafür sorgen, dass ich trotzdem wichtige Informationen aus dem geschäftlichen Alltag erhalte und mir ein Bild über die aktuelle Situation machen kann. Dazu gibt es natürlich verschiedene Mittel. Unter anderem lade ich unsere Mitarbeiter dazu ein, mir aktiv ihre Meinung per E-Mail zu äußern. Meine CEO-Briefe, die per E-Mail verteilt werden, enthalten am Schluss immer einen integrierten Feedback-Button. Die Mitarbeiter können darin ihre Meinung kundtun, die wird dann an Corporate Communications gesendet und von dort gesammelt an mich weitergegeben. Wir merken, dass dieser Feedback-Button v. a. in Krisensituationen sehr rege genutzt wird. Wenn sich die Situation stabilisiert hat oder die Relevanz des angesprochenen Themas etwas tiefer ist, nimmt das Feedback über diesen Kanal automatisch wieder ab. Grundsätzlich haben wir eine relativ gut ausgeprägte Feedbackkultur, das hat auch mit vergangenen Erfahrungen unseres Unternehmens zu tun . Unser Intranet ist für die Kommunikation zentral. Wir schalten täglich News auf, und es gibt Seiten in unserem Intranet, auf denen die Leute ihre Anliegen über alle hierarchischen Stufen ▼ hinweg mitteilen können. Dies gilt insbesondere für das »Whistleblowing« betreffend ethischem Geschäftsgebaren, wo wir ganz klar definierte Prozesse aufgesetzt haben . Ich erhalte etwa alle zwei Wochen solche E-Mails von Mitarbeitenden. Gerade gestern beklagte sich einer über die Weihnachtsfeier in seiner lokalen Niederlassung, die nicht seinen Vorstellungen entsprach. Oder etwas vorher kommentierte einer eine Aussage von mir in den Medien, die ihm in den falschen Hals geraten war . Ich nehme solche Mails ernst und schreibe eigentlich immer eine persönliche Antwort darauf, in der ich auf das Problem eingehe, aber auch darauf hinweise, wenn es andere Stellen gibt, an die sich jemand in der Situation wenden sollte. Ich habe nichts gegen solche direkten E-Mails, so lange sie nicht überhand nehmen. Ein Bekannter von mir, ebenfalls CEO in Lateinamerika, sagte mir neulich, er schaue grundsätzlich keine Mails mehr selber an und lasse alles von seiner Assistentin bearbeiten, weil er von solch persönlichem Feedback förmlich überflutet werde . Ich reise sehr viel. Der persönliche Kontakt ist zentral, viel wichtiger als jede elektronische Kommunikation. Wenn ich in einer Länderniederlassung bin, will ich die dortige Führungsmannschaft, die Mitarbeiter, die Kunden und andere wichtige Stakeholders persönlich kennen lernen. Die elektronischen Medien haben aber dennoch eine zentrale Funktion, wir können damit ca. 70% aller Mitarbeitenden weltweit ansprechen. Für diejenigen ohne eigenen Internetanschluss werden meine CEO-Letters ausgedruckt und in den Fabriken aufgehängt. Informationen, die für meine Mitarbeiter sehr wichtig sind, publizieren wir nicht nur im Intranet, sondern immer auch per E-Mail. Bei einem Größtunternehmen wie unserem, mit über 110.000 Mitarbeitenden, gibt es sonst kaum eine Möglichkeit, an alle Leute zuverlässig heranzukommen. Technisch gesehen macht es keinen Unterschied, ob ich eine E-Mail an meine Nachbarin sende oder an eine Person auf der anderen Seite des Erdballs. In global tätigen Unternehmen hat sich dadurch der Austausch mit anderen Ländern und Kulturen intensiviert und beschleunigt. Dadurch kommen aber auch Verständigungsschwierigkeiten häufiger vor. Die grundsätzliche Schwierigkeit der Online-Kommunikation, dass man über sein Gegenüber oft wenig weiß, kumuliert sich mit der eigenen Unkenntnis über die fremde Kultur, mit deren Vertreter man kommunizieren sollte. Geschieht dies in einer fremden Sprache, die man nicht gut beherrscht, entstehen zusätzliche Unsicherheiten. Wie kann man mit dieser Situation umgehen? Auf der Ebene von Marketing und Unternehmenskommunikation wird das Problem oft gelöst, indem man länderspezifische oder regionale Websites und Newsletters konzipiert, die lokale Gegebenheiten aufgreifen können. Aber auch in der persönlichen Zusammenarbeit und im Kundenkontakt über Landesgrenzen hinweg sind interkulturelle Kompetenzen gefragt. Zusammenfassung: Die Eigenschaften der Online-Kommunikation und ihre Vor-und Nachteile Im textbasierten Online-Austausch (z. B. E-Mail, Foren, Blogs, Chat) besteht ein erhöhtes Potenzial für Missverständnisse, weil die Beziehungsaspekte der Botschaft (para-und nonverbale Kommunikation) nur eingeschränkt übermittelt werden können. Die fehlenden Informationen über den Empfänger einer Nachricht führen beim Sender zu Enthemmung und größerer Offenheit. Die Anonymität erhöht nicht nur die Bereitschaft, Persönliches preiszugeben, sondern begünstigt auch unangemessenes oder aggressives Verhalten. Face-to-face-Kontakt erhöht die Verbindlichkeit