key: cord-0046064-1o8xgloc authors: Lutz, Ronald; Kleibl, Tanja title: Internationale Soziale Arbeit neu denken: Zur Verschärfung Globaler Ungleichheit durch COVID-19 date: 2020-06-22 journal: Sozial Extra DOI: 10.1007/s12054-020-00289-0 sha: 2fc4f27973d78304678070a6f5f3710e05da1d04 doc_id: 46064 cord_uid: 1o8xgloc Covid-19 hat sich über die ganze Welt ausbreitet und kann sie an den Rand eines ökonomischen und politischen Kollapses führen. Das Virus trifft zwar alle, doch mit Unterschieden. Die Krankheit wird zum einen die sozialen Probleme in den reichen Gesellschaften des Nordens verändern und auch vergrößern, doch insbesondere in den Ländern des Globalen Südens kann der Ausbruch in seinen ökonomischen und sozialen Folgen verheerend sein. Kann der Globale Norden noch eindämmende und die Folgen abfedernde Maßnahmen etablieren, so schlagen die Auswirkungen im Globalen Süden voll durch. In diesen Gesellschaften sind verheerende Folgen zu erwarten, die Armut, Elend, Hunger und Migrationsbewegungen intensivieren werden. Dadurch wird aber auch die Globale Ungleichheit zwischen den Nationen größer. In dieser Krise wäre Solidarität über nationale Grenzen hinweg gefragt; doch genau diese ist kaum erkennbar. Die Internationale Soziale Arbeit ist aufgefordert, ihre Ausrichtung neu zu definieren. Erfurt, Deutschland *1951, Prof. em., Dr. phil., Soziologe und Ethnologe, FH Erfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften. Würzburg, Deutschland *1974, Prof. Dr., Social Work, Migration and Diversity, HaW Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften. Zusammenfassung Covid-19 hat sich über die ganze Welt ausbreitet und kann sie an den Rand eines ökonomischen und politischen Kollapses führen. Das Virus trifft zwar alle, doch mit Unterschieden. Die Krankheit wird zum einen die sozialen Probleme in den reichen Gesellschaften des Nordens verändern und auch vergrößern, doch insbesondere in den Ländern des Globalen Südens kann der Ausbruch in seinen ökonomischen und sozialen Folgen verheerend sein. Kann der Globale Norden noch eindämmende und die Folgen abfedernde Maßnahmen etablieren, so schlagen die Auswirkungen im Globalen Süden voll durch. In diesen Gesellschaften sind verheerende Folgen zu erwarten, die Armut, Elend, Hunger und Migrationsbewegungen intensivieren werden. Dadurch wird aber auch die Globale Ungleichheit zwischen den Nationen größer. In dieser Krise wäre Solidarität über nationale Grenzen hinweg gefragt; doch genau diese ist kaum erkennbar. Die Internationale Soziale Arbeit ist aufgefordert, ihre Ausrichtung neu zu definieren. hindern, die Ungleichheit tendenziell abschwächen, so in den Wohlfahrtsstaaten des Globalen Nordens, oder diese verfestigen und zu noch größeren Spaltungen führen, wie in vielen Regionen des Globalen Südens (Weiß 2017, S. 28 ff.) . Darin bildeten sich jene Privilegien heraus, die sich auch als "imperiale Lebensweise" verstehen lassen, in denen der Globale Norden sich zur Absicherung eines breiten Wohlstandes an den ökologischen und sozialen Ressourcen des Globalen Südens weiterhin bereichert (Brand und Wissen 2017) . Das Ineinandergreifen dieser Prozesse führt zu Globaler Ungleichheit, die im nationalen Rahmen entsteht und auf den globalen Kontext wirkt bzw. erst aus dessen Verflechtungen heraus erklärbar wird. Dies zeigt sich in einer Fülle von Benachteiligungen und Ausbeutungen, von einer hohen und mitunter auch absoluten Armut erkennbar über unzureichende Ernährung oder fehlenden Zugängen zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen bis hin zu einer schlechten medizinischen Versorgung sowie einer noch immer nicht vorhanden Bildung für alle (Lutz 2018) . Das Corona-Virus verschärft zum einen in den Ländern des Globalen Südens Ungleichheiten, vergrößert zum anderen das Gefälle der Nationen untereinander und trägt zur Verschärfung globaler Ungleichheit bei. Während die Länder des Nordens, trotz der auch hier steigenden sozialen und ökonomischen Probleme, sich im Wettbewerb um Schutzmaßnahmen befinden, sind die Menschen in den Ländern des Südens der Pandemie schutzloser ausgeliefert. Dort drohen Katastrophen unbekannten Ausmaßes, im Vergleich mit dem Norden werden sie noch ärmer, der Graben zwischen Nord und Süd wird noch tiefer. Diese Situation soll an ausgewählten Beispielen und mit dem Mittel einer "Dichten Beschreibung" (Geertz 2003 ) dargelegt werden, die zu einem neuerlichen Blick auf Globale Ungleichheit führt. Die Krise trifft die Verwundbarsten massiv, Armut und Elend können unermesslich werden. Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt oder Misereor weisen darauf hin, dass möglicherweise mehr Menschen an den Folgen der Ausgangssperre sterben werden als durch das Virus selbst, das sich mittlerweile auch in den Slums und Favelas ausbreitet. Gerade diese "Wohnorte" im Globalen Süden sind in keiner Weise auf das, was kommen kann, vorbereitet. Hier fehlt es an allem: sauberem Wasser, Infrastruktur und medizinischer Versorgung. In Angesichts der Corona Krise ist zu befürchten, dass in den Ländern des Südens ökonomisch erzielte Fortschritte erst einmal gestoppt werden oder gar wegbrechen. Vorhandene Ressourcen und Eigenleistungen schwächen sich ab, die ökonomische Verwerfungen machen arme Länder noch ärmer. Die Bildungs-und Gesundheitssysteme werden nachhaltig überfordert. Die Maßnahmen in Ländern des Südens, wie soziale und räumliche Distanzierung, sind eine Kopie des Westens. Doch diesen Kopien fehlt im Süden die Absicherung des Nordens. Die ohnehin schon große globale Ungleichheit zwischen Nord und Süd wird dadurch größer und verfestigter. Viele Staaten des Globalen Südens werden ökonomisch nicht in der Lage sein, auf die Pandemie nachhaltig und mit großem finanziellem Aufwand zu reagieren. Große Armut, großer Reichtum Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme ?drn:news_id=1115922; Zugriff am 31 Zugriff am 1 Zugriff am 5 COVID-19 notes from Bangladesh: a human security discourse. Washington DC: Paper prepared for NESA Center Neben uns die Sintflut Der Flüchtling woanders. Verletzliche Orte des Ungewissen: ein Leben in Lagern Internationale Soziale Arbeit. neue praxis, 6 Armut Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19 Falsche Propheten: Hegel, Marx und die Folgen COVID-19. Soziale Arbeit auf der Suche nach ihrem Katastrophenhilfe und Humanitäre Hilfe Soziologie Globaler Ungleichheiten. Frankfurt am Main: Suhrkamp Die Krise wird sicherlich nicht das Ende der Welt einläuten, diese wird sich aber neu aufstellen müssen. Welche Bedeutsamkeit dann der Globale Norden als globale Hegemoniestruktur hat, wird zu beobachten sein. Dennoch ist diese Krise auch ein Zeichen, dass gerade diese Hegemonie problematisch ist; durch sie können vielleicht auch Widerstände und Gegenbewegungen wachsen. Hierin muss eine international agierende Soziale Arbeit klare Positionen einnehmen, als (politische) Mahnerin und Akteurin für globale und internationale Solidarität; für etwas also, das gerade in den Hintergrund zu treten scheint. Die Botschaft des Weltsozialforums, "Eine andere Welt ist möglich", war noch nie so bedrückend und fordernd. Hierfür ist ein radikaler Wechsel in Perspektive, Sprache und Kategorien erforderlich, gerade auch für die Zeit nach der Krise. Wir befinden uns in einem Moment, der zur Solidarität aufruft. Es ist zudem unabdingbar, dass es nur mit internationaler Zusammenarbeit möglich ist, diese gemeinsamen und weltweiten Herausforderungen anzugehen. Karl Popper schrieb einmal (Popper 1958