key: cord-0048591-s1qhdslg authors: Schlack, K.; Krabbe, L.-M. title: Kann Androgendeprivationstherapie eine protektive Rolle bei SARS-CoV-2-Infektionen spielen? date: 2020-08-10 journal: Urologe A DOI: 10.1007/s00120-020-01305-7 sha: d72e96dfc767aaf00c806aa02e5f8beae027f02d doc_id: 48591 cord_uid: s1qhdslg nan Im Dezember 2019 wurde erstmals von Fällen einer bisher unbekannten Pneumonie in der zentralchinesischen Stadt Wuhan berichtet. Diese konnten auf ein neuartiges Coronavirus ("severe acute respiratory syndrome-coronavirus 2", SARS-CoV-2) zurückgeführt werden [1] . Seither breitet sich die Erkrankung, von der Weltgesundheitsorganisation offiziell COVID-19 ("coronavirus disease 2019") genannt, weltweit aus [2] . SARS-CoV-2 ist ein behülltes Virus, das zur Familie der Beta-Coronaviren zählt. Insgesamt sind sechs Coronaviren bekannt, von denen zwei, SARS-CoV und MERS-CoV ("middle east respiratory syndrome-coronavirus"), beim Menschen ernste respiratorische Symptome verursachen [3] . Im Gegensatz zu MERS-CoV zeichnet sich SARS-CoV-2 durch eine hohe Infektiosität und Transmissionsrate aus [2, 4] . Die geschätzte Reproduktionszahl des Virus liegt zwischen 2,24 und 3,58 bei einer epidemischen Verdopplungszeit von wenigen Tagen und damit einer exponentiellen Entwicklung [5, 6] . Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) schätzt den Fall-Verstorbenen-Anteil ("case-fatality rate", CFR) für Europa auf 1,5 % [7] . Eine chinesische Studie zeigte eine Gesamt-CFR von 2,3 %. Bei einem Alter zwischen 70 und 79 Jahren bzw. ab 80 Jahren stieg diese Rate allerdings auf 8,0 bzw. 14,8 % [8] . Häufige Komorbiditäten bei Patienten mit einem schweren Verlauf waren kardiovaskuläre Erkrankungen, arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus [9] . Daten, die eine eindeutige Identifizierung von Risikogruppen ermöglichen, liegen bisher nicht vor. Pathophysiologisch scheinen Transmembranserinproteasen (TMPRSS) eine Rolle beim Zelleintritt von Coronaviren zu spielen. Aktuelle Studien zeigen, dass SARS-CoV-2 das Angiotensin-Converting-Enzym 2 (ACE2) zum Zelleintritt nutzt. Dieser Prozess wird gefolgt von einer proteolytischen Spaltung eines S-Proteins von TMPRSS2, was letztendlich zur Fusion der zellulären und viralen Membran führt [10] . Zum einen ist also, vor dem Hintergrund der hohen Transmissionsrate, eine Identifizierung von Risikopatienten und damit die Ermöglichung von besonderen Schutzmaßnahmen für einen schweren Verlauf von besonderem Interesse. Zum anderen ist es wichtig, Faktoren zu identifizieren, die eine potenzielle Protektion vor einer Infektion oder einem schweren Verlauf darstellen. Da TMPRSS2 beim Prostatakarzinom vermehrt exprimiert wird und dessen Transkription vom Androgenrezeptor (AR) reguliert wird [11, 12] , beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung mit der Frage, ob eine Androgendeprivationstherapie (ADT) ein protektiver Faktor bei SARS-CoV-2-Infektionen sein könnte [13] . Diskussion. Ziel der vorliegenden Datenauswertung war es, die Hypothese zu überprüfen, ob eine ADT bei Patienten mit einem Prostatakarzinom einen protektiven Effekt auf die Möglichkeit einer SARS-CoV-2-Infektion und einen damit einhergehenden schweren Verlauf hat. Anhand der durchgeführten, retrospektiven Analyse konnte zudem gezeigt werden wie sich das Geschlecht und verschiedene onkologische Vorerkrankungen auf das Risiko für eine Infektion oder einen schweren Verlauf auswirken. Die auswertbaren Krankenakten stammen aus Venetien, einer Region in Norditalien, die in Europa sehr früh und ausgeprägt von der Pandemie betroffen war [14] . Zum Vergleich liegen Daten aus Deutschland vom 23. April 2020 von 12.178 übermittelten Fällen vor [15] . Zu 10.063 von diesen Fällen existieren klini-sche Daten. Zu schwereren Verläufen mit Pneumonie kam es in 1-2 % der Fälle, eine Hospitalisierung erfolgte in 8-10 % der Fälle (14-17 % in der Gruppe der >80-Jährigen), bei 1-9 % war ein Intensivaufenthalt notwendig und es verstarben 1 % der Patienten. Insgesamt lag bei 13 % der Erkrankten eine Krebserkrankung vor. Eine Vorerkrankung, unabhängig von ihrer Art, wurde als Risikofaktor für einen schweren Verlauf gewertet und mit Angabe von mindestens einem Risikofaktor stiegen die Risiken für einen schweren Verlauf (mindestens 4 %), eine Hospitalisierung (mindestens 15 %) und das Versterben (mindestens 37 %). Eine genaue Auswertung bzgl. der onkologischen Vorerkrankungen liegt für Deutschland leider noch nicht vor. Im Vergleich zu Venetien ist der Anteil onkologischer Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion höher, was möglicherweise an flächendeckend empfohlenen Früherkennungs-und Vorsorgeuntersuchungen und deshalb höherer Rate an bekannten Tumorerkrankungen oder den flächendeckenderen Testmöglichkeiten auf SARS-CoV-2 in Deutschland liegt. In beiden Auswertungen stieg allerdings das Risiko für eine Infektion und einen schweren Verlauf mit dem Vorliegen einer Vorerkrankung, wobei die Daten aus Venetien sich in der vorliegenden Analyse auf eine onkologische Vorerkrankung beziehen, während die onkologischen Patienten in Deutschland nur einen Teil der Patienten mit Vorerkrankung bzw. einem Risikofaktor ausmachen. Ein Nachteil beider retrospektiver Analysen ist die Tatsache Zudem wurden in der Studie Patienten mit einem Prostatakarzinom unter ADT hinsichtlich ihres Risikos für eine Infektion mit SARS-CoV-2 verglichen mit der Gesamtgruppe aller Patienten mit onkologischen Diagnosen. Hierbei ist nicht ersichtlich, ob für den Vergleich nur männliche onkologische Patienten oder die Gesamtkohorte, ungeachtet ihres Geschlechts, herangezogen wurde. Innerhalb der Gruppe von Patienten unter ADT besteht zudem möglicherweise eine große Inhomogenität. Die Therapie kann vom biochemischen Rezidiv bis hin zur weit fortgeschrittenen metastasierten Erkrankungssituation eingesetzt werden. Dieses gilt auch für die Patienten mit anderen onkologischen Erkrankungen, für die ebenfalls das Stadium der Tumorerkrankung nicht bekannt ist. Je nach Erkrankungsstadium liegt wahrscheinlich eine unterschiedliche Einschränkung des Immunsystems vor, was ebenfalls einen Einfluss auf das Risiko für eine Infektion und deren Verlauf haben könnte. Trotz der Einschränkungen, die sich aus dem retrospektiven Charakter der Analyse ergeben, geben die vorliegenden Daten einen Hinweis, dass eine Inhibition von TMPRSS2 durch ADT möglicherweise zu einer Risikoreduktion für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Infektion führen könnte. Dieses Ergebnis sollte sicherlich anhand prospektiv durchgeführter Studien weiter untersucht und im Idealfall bestätigt werden und könnte Ausgangspunkt von Forschungsbemühungen zur Evaluation aktiver Therapieoptionen sein. Review of the 2019 novel coronavirus (SARS-CoV-2) based on current evidence Origin and evolution of pathogenic coronaviruses What have we learned about middle east respiratory syndrome Coronavirus emergence in humans? A systematicliteraturereview Preliminary estimation of the basic reproduction number of novelcoronavirus(2019-nCoV)inChina, from2019 to 2020: A data-driven analysis in the early phase of the outbreak Nowcasting and forecasting the potential domestic and international spread of the 2019-nCoV outbreak originating in Wuhan, China: a modelling study European Centre for Disease Prevention and Control (2020) Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) in the EU/EEA and the UK-Eigth Update Characteristics of and important lessons from the Coronavirus disease 2019 (COVID-19) outbreak in China: summary of a report of 72314 cases from the Chinese center for disease control and prevention Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) and coronavirus disease-2019 (COVID-19): The epidemic and the challenges SARS-coV-2 cell entry depends on ACE2 and TMPRSS2 and is blocked by a clinically proven protease inhibitor The androgen-regulated protease TMPRSS2 activates a proteolytic cascade involving components of the tumor microenvironment and promotes prostate cancer metastasis The androgen-regulated type II serine protease TMPRSS2 is differentially expressed and mislocalized in prostate adenocarcinoma Androgen-deprivation therapies for prostate cancer and risk of infection by SARS-CoV-2: a population-based study (N = 4532) Similarity in Case Fatality Rates (CFR) of COVID-19/SARS-COV-2 in Italy and China Vorläufige Bewertung der Krankheitsschwere von COVID-19 in Deutschland basierend auf übermittelten Fällen gemäß Infektionsschutzgesetz