key: cord-0052020-w7d4gn2l authors: Küchenhoff, Joachim title: Die Arbeit im und am Unheimlichen: Die Coronakrise und die psychoanalytische Kur date: 2020-10-26 journal: Forum Psychoanal DOI: 10.1007/s00451-020-00407-4 sha: 89c4fbd6aae22aa08e498e28d4558697bcef1537 doc_id: 52020 cord_uid: w7d4gn2l First, the psychoanalysis of the uncanny is introduced as a theoretical basis in order to then emphasize the handling of the uncanny object coronavirus as a psychodynamic task in view of the corona pandemic. On this basis, the main part presents the psychoanalytic treatment in the times of corona and distinguishes between two perspectives which are outlined one after the other. On the one hand, it concerns working on the uncanny object, i.e. how to psychologically deal with the uncanny object. On the other hand, in the more detailed second section of the main part on working with the uncanny object, i.e. under the conditions of the uncanny, it is discussed how therapy is changed by the pandemic and with what consequences. Finally, a clinical vignette and a literary text show how important the psychoanalytic exchange of words is, especially in the times of corona. fertigzuwerden. Zu Beginn der Krise war es befremdlich, in den Therapiegesprächen zu erleben, dass sich bei vielen Menschen an ihrem Alltag zwar fast alles, an den Themen aber, mit denen sie in die Stunden kamen, kaum etwas änderte. Das unheimliche Objekt trat nicht auf, kein "enter ghost" wie im Shakespeare'schen Hamlet (Akt 1, Szene 5), stattdessen "business as usual". Seine Präsenz wurde erst einmal verleugnet, so wie wir es alle als Kinder oder bei unseren Kindern erlebt haben: "Ich schließe die Augen, und dann ist das Gespenst oder der Schatten, das oder den ich sonst anblicken müsste, fort" (Heimerl 2020) . Freud (1986 ) hat uns gezeigt, als er den Sandmann von E.T.A. Hoffmann interpretierte, dass das Unheimliche unbewusst das Heimliche, das Heimische darstellt, das infantil Vertraute, später Verdrängte. Das Virus als unheimliches Objekt -und das beschreibt eine zweite psychodynamische Antwort nach der Verleugnung -mobilisiert die Objekte, die sich als unheimlich früh in die Lebensgeschichte eingeschrieben haben. Ich gebe ein Beispiel aus meiner aktuellen therapeutischen Arbeit: Eine Patientin im fortgeschrittenen Erwachsenalter war in einem Land aufgewachsen, in dem eine Militäroffensive Reformen und Demokratiebewegungen jäh und hart zunichtegemacht hatte, als sie noch Kind war. Sie hatte damals einen ersten politisch bedingten Ausnahmezustand erlebt, ein langfristig erzwungenes Ausgangsverbot; eine tiefe Angst wirkte in den Alltag hinein: Jeder, der an der Tür klingelte, konnte ein Feind sein, jedes unbedachte Wort konnte die Deportation bringen. Nun, in der Coronakrise erneut konfrontiert mit Kontaktgeboten oder -verboten, wird sie heimgesucht von der Wiederkehr der unheimlichen, bedrohlichen Objekte. Verfolgt von einer ständigen, nichtabzuschüttelnden Unruhe und dem Gefühl einer diffusen und unfassbaren Bedrohung, kehren die Schreckensbilder der Kindheit in ihr Bewusstsein zurück. Die Konfrontation mit dem unheimlichen Objekt, das so schlecht fassbar ist, lässt sich nicht lange ertragen. Daher wird es irgendwo einzubinden und -einmal mehr ist die deutsche Sprache sehr anschaulich -dingfest zu machen gesucht. An die Stelle des unheimlichen tritt ein (scheinbar) fassbares, jedenfalls vertraut wirkendes Objektbild. Wie die Bion'schen bizarren Objekte wird das unheimliche Objekt externalisiert und projiziert, es wird in andere verschoben, und so wird es beispielsweise in ein Hirngespinst im Rahmen von Verschwörungstheorien verwandelt. Wenn wir es nicht assimilieren können, bietet sich der Ausweg, es als Agenten einer feindlichen Macht, als chinesisches Virus etwa, projektiv zu verankern. Auch wenn es schwer zu ertragen ist, so müssen wir doch realisieren, dass etwa der Populismus zwar die falschen, aber doch überhaupt Antworten hat -oder vorgibt, sie zu haben. Aber die Begegnung mit dem Unheimlichen fasziniert auch, und das aus guten Gründen. Die eingespielten Erfahrungen werden suspendiert, der Ausnahmezustand lässt es plötzlich möglich erscheinen, dass sich im Leben etwas ändert, das Widerfahrnis, von dem ich sprach, wird zur (fast schon glücklich begrüßten) Fügung. Dass das Widerfahrnis die Integration der Persönlichkeit angreift, kann unbewusst auch als Chance begriffen werden: "It is only here, in this unintegrated state of the personality, that that which we describe as creative can appear", so schreibt Winnicott (1990, S. 29) . Das Aufgeben der Integration, der Verzicht auf Integration, ist notwendig, um kreativ sein zu können, um Neues zu erleben, um Lebensphasen, die dazu aufrufen, sich zu verändern, auszuhalten und produktiv zu nutzen (Küchenhoff 2016 Eng damit verwandt ist eine andere Spielart, sich das unheimliche Objekt zum Freund zu machen, ein sekundärer Gewinn durch Corona. Zu Beginn der Coronakrise war ich überrascht zu hören, dass viele Patienten geradezu entspannt und gut gelaunt, gar nicht bedroht und erschüttert in die fernmündlichen Gespräche eintraten. Sie fühlten sich entlastet, weil sie nun zu Hause bleiben konnten, nicht alltäglich zur Arbeit gehen mussten, ebenso wenig wie die Kinder nicht aus dem Haus und in die Schule gehen mussten -eine Lebensform, die sich sonst ausschließlich in den Ferien verwirklichen ließ. Die Gefahr erschien abstrakt und weit, die Erleichterung hingegen war unmittelbar spürbar. So haben viele Menschen die staatlich verordneten und grundrechtswidrigen Einschränkungen als eine Wohltat erlebt, jedenfalls zu Beginn des Lockdown. Corona ist auch ein Spiegel, und der reflektiert, wie belastend die berufliche Normalität sonst erlebt wird, wie sehr sie den Menschen zusetzt und sie einengt. Ich gebe ein Beispiel für einen sekundären Coronagewinn im engeren Sinn aus meinen therapeutischen Begegnungen der letzten Wochen: Herr A hat es nicht leicht, sich als Mann selbstbewusst und sicher zu fühlen. Wenn er mit Frauen zusammen ist, fühlt er sich erst einmal sicher; sobald er sich aber mit Männern vergleicht, mit denen er zusammentrifft, empfindet er ein beißendes Gefühl der Unterlegenheit. Er hält es zu Hause schlecht aus, wenn er ermüdet von der beruflichen Tätigkeit, die ihm durchaus Freude macht, heimkehrt und sich nun vorstellt, dass dieser oder jener Freund nun ausgehen, eine Bar, ein Restaurant, eine Disco besuchen wird. Während des Lockdown hingegen genießt er das Gefühl, dass nun alle eingeschränkt sind, alle zu Hause ausharren müssen, sodass er nichts verpasst. Natürlich, so ließe sich achselzuckend sagen, wird auch die Coronakrise individuell nach der Maßgabe der persönlichen Konflikte erlebt, wie alles andere auch in der Perspektive erscheint, die von den unbewussten Wünschen und Ängsten vorgezeichnet wird. Die Kraft, etwas einzugemeinden, in die individuellen Erfahrungswelten, ist groß. Aber sie verkleinert die Krise in ihrem Ausmaß, stutzt sie zurecht, dient so der Verdrängung einer andererseits durchaus erlebten Gefahr und fördert das Schweigen gerade dort, wo die therapeutische Arbeit beredt und intensiv zu sein hätte. Nach den Gedanken dazu, wie mit dem unheimlichen Objekt umgegangen wird, wird nun die psychoanalytische Arbeit unter den von der Pandemie erzwungenen Bedingungen, also die Arbeit mit dem unheimlichen Objekt, dargestellt. Nacheinander werden die Auswirkungen auf das Setting und den Rahmen, die therapeutische Beziehung, die Gegenübertragung und die leibliche Begegnung unter Coronabedingungen diskutiert und am Ende dieses Abschnittes die Frage aufgeworfen, ob ein psychoanalytisches Gespräch unter diesen Bedingungen überhaupt möglich ist. Corona hat in die Art und Weise, wie wir arbeiten, in den Behandlungsrahmen, den wir normalerweise autonom und in Absprache mit unseren Patienten bestimmen, eingegriffen. Wir konnten unsere Patienten eine Zeit lang nicht sehen, weil sie für uns und wir für sie eine Gefahr darstellten. Wir haben entscheiden müssen, ob wir und in welcher Weise wir psychoanalytisch weiterarbeiten können. Die Krise hat Patienten ebenso wie Therapeuten dazu gezwungen, die Aufmerksamkeit erneut auf bekannte, aber vernachlässigte Zusammenhänge zwischen Setting und therapeutischer Arbeit zu richten. Wenn die Couch in der Psychoanalyse, wenn die in der psychoanalytischen Psychotherapie im Gegenübersitzen gewohnte Sitzanordnung und Haltung nicht mehr verfügbar sind, so ist ein zentraler Baustein, die Arbeit mit und an den freien Assoziationen und die gleichschwebende Aufmerksamkeit ernsthaft infrage gestellt. In dem Moment, indem sie bedroht sind oder verloren gehen, schätzen wir den Wert der Dinge, die sonst selbstverständlich genommen werden und die -im Falle der psychoanalytischen Therapie -zum Gelingen beitragen. Dazu gehört die Erkenntnis, wie tragend wichtig der therapeutische Raum -jetzt in seiner ganz konkreten Bedeutung -ist, der durchs Video oder Telefon kaum oder nur mit Mühe nachgestellt werden kann. Es sind der Raum selbst, die Einrichtung, die atmosphärische Umgebung in der Praxis, die der Arbeit einen vertrauensfördernden Hintergrund geben; so viele meiner Patienten haben betont, wie sehr sie -bislang selbstverständlich und unausgesprochen -diesen besonderen Ort schätzen, der in gewisser Weise ihnen gehört, wo niemand hineinredet oder hineinhört, ein "sicherer Ort". Zum Ort gesellt sich selbstverständlich die Zeit, als festgelegter, verlässlicher Stundentermin; sie ist allerdings vom unheimlichen Objekt weniger angegriffen worden und leichter zu wahren gewesen. Von der Sehnsucht nach dem Praxiszimmer, von der Trauer, nicht mehr an der persönlichen Umgebung des Analytikers teilhaben zu können, sprachen viele meiner Patienten während des Lockdown. K Ohne einen therapeutischen Rahmen kommt keine psychoanalytische Therapie aus. Er musste in der Coronakrise oftmals neu geschaffen oder in irgendeiner Weise nachgebildet werden. Manche Patienten stellten die therapeutische Situation so nach, dass sie zur gewohnten Zeit einen geschützten Ort zu Hause definierten, dass die eine oder andere Analysandin sogar auf der Couch zu Hause liegend mit dem Analytiker telefonierte. Ich selbst bin immer, auch wenn ich bloß telefonierte oder per Video mit meinen Patienten verbunden war, in meinen Praxisraum gegangen, um wenigstens selbst von dem vertrauten Ort aus arbeiten zu können. Die Videogespräche lenkten die eigene Aufmerksamkeit ab, wenn die Kamera Einblicke in das häusliche Milieu der Patienten erlaubte, die von der analytischen Arbeit ablenken konnten und bei mir, aber auch bei anderen, wie ich aus Supervisionen weiß, eine durchaus unangenehme, manchmal voyeuristisch anmutende Neugier entfachen konnten, von der sich zu lösen durchaus anstrengend war. Je nachdem, wie unsicher die Erfahrungen des Gehaltenwerdens und des ursprünglichen Vertrauenkönnens sind, umso gravierender wirken sich der Verlust des gewohnten Settings und des Raumes aus. Manche meiner Patienten gingen, weil sie zu Hause keinen geschützten Ort finden konnten, spazieren, während sie mit mir sprachen. Ein Patient unternahm, um den Verlust des Rahmens zu verkraften, selbst immer wieder lange, mehrtägige Wanderungen, die ihn auch in die Berge führten. Er telefonierte zur gewohnten Zeit mit mir, aber er hielt gar nicht inne für unser Gespräch, sondern lief weiter. So wurden wir immer wieder unterbrochen, nämlich dann, wenn er in ein Funkloch hineinlief, und auch dann stoppte er nicht, und ich war buchstäblich abgehängt. So teilte er mir auf eine vordergründig entwertende, aber doch sehr prägnante Weise mit, dass er den Abstand zu meiner Praxis und mir und den damit verbundenen Verlust an Geborgenheit nicht aushalten konnte, sich in dem Gefühl von Abhängigkeit mir unterlegen fühlte und daher im Gegenzug mich kleinhalten und abhängig halten musste: Nun hatte ich zu warten, nicht er selbst. Dass sich in diesem durch die Coronaregelungen ausgelösten "Handlungsdialog" das Drama seiner frühen Biografie und seiner schweren Krankheit darstellte, kann ich im Rahmen des Vortrags nur andeuten: Er wuchs in sehr kargen Verhältnissen auf, die ihm keinerlei Sicherheitsgefühl vermittelten und ihm Angst machten. Im Erwachsenenalter erkrankte er sehr leidvoll an einer bipolaren Störung. Zur Zeit der Wanderung war er -psychopathologisch gesehen -ausgeglichen in Stimmung und Antrieb, und gerade deshalb ließ sich das "acting out" leichter verstehen, als maniformes Abschütteln eines schwer erträglichen Gefühls von Ausgeliefertsein dann, wenn es darum geht, Fuß zu fassen. Unter der Bedrohung durchs Unheimliche ist es alles andere als leicht gewesen, das Spannungsverhältnis von Abstinenz und Anteilnahme auszutarieren. Nähe und Abstand verschieben sich; uns wird bewusst, dass wir mit unseren Patienten im gleichen Boot sitzen, dass wir gleichermaßen betroffen sind wie sie. Wenn alles K gut läuft, kann daraus ein Gefühl der Solidarität entstehen. Aber in ihm liegt auch eine Gefahr. Die Grenzen drohen in der Krise zu verschwimmen, ja vielleicht sich aufzulösen. Die Intimität in der therapeutischen Beziehung wird größer, wenn Analytiker und Analysanden Ängste und Unsicherheiten teilen. Vor der unheimlichen Bedrohung verändert sich die Qualität der therapeutischen Beziehung tendenziell zu einer Haltung, die mütterlicher wird, die sich um ein grundlegendes Holding bemüht. Auf jeden Fall wird die therapeutische Beziehung für die Patienten in der Krise noch existenzieller als sonst, durch alle Infragestellungen des Rahmens hindurch, ja, gerade weil der äußere Rahmen nicht mehr hält. Statt von einer regressiven Tendenz möchte ich von einer Rückversicherungstendenz sprechen, wenn Unsicherheit zum Prinzip, also zur Grundlage des Alltagslebens, wird. Einige Patienten fühlen sich dadurch bedroht, dass ihr Therapeut erkennbar ohnmächtig ist. Andere genießen es, dass der Therapeut in seiner Betroffenheit spürbarer wird. Die Abstinenz zu wahren, wird also schwieriger. Wird sie zum Beispiel unter "normalen" Umständen als Zurückweisung erlebt, wird die erlebte größere Nähe zum Therapeuten unter Umständen unbewusst genutzt, um Grenzerfahrungen und Abgrenzungen zu vermeiden. Der Anspruch, den wir an uns selbst stellen, ist, dass wir auch im Boot, in dem wir gemeinsam sitzen, den Versuch machen, die Erfahrungen zu benennen, die ich als Widerfahrnisse oder Einbrüche des Realen charakterisiert habe. Und natürlich drängt sich die Frage auf, wie es sich denn sonst verhält -vergessen wir das Boot, in dem wir gemeinsam sitzen, wenn es ein großes Schiff ist? Anders und direkt formuliert: Die Coronakrise ist erneut ein Spiegel, der Hintergrundannahmen und unausgesprochene Haltungen zurückwirft. Wir teilen auch dort, wo sie sich viel weniger aufdrängen als zu einer Zeit, in der auch die Grundrechte eingeschränkt werden, die gesellschaftlichen Bedingungen und Begrenzungen mit unseren Analysandinnen. Berücksichtigen wir sie deshalb weniger, zu wenig? Was bleibt uns zu tun, wenn wir selbst ebenso betroffen sind wie unsere Patientinnen und Patienten? Wir können nicht Mut zusprechen, das tun wir aber auch sonst nicht. Wir könnten Mut gar nicht zusprechen, wenn wir ihn selbst nicht mehr und verloren haben. Aber der Anspruch, den wir an uns stellen, ist klar: Es geht darum, die Verluste, die wir alle mehr oder weniger erfahren, an bürgerlicher Freiheit, an selbstverständlicher Gesundheit, an ökonomischer Sicherheit und Wohlstand, zu sehen und sie verarbeiten zu helfen. Inmitten der Depression, die um uns herum sich ausbreitet, können wir die depressive Position wahren. Das ist nicht so leicht; auf das Sprechen in Zeiten von Corona wird am Ende des Textes noch einmal eingegangen. Es gibt spezielle Gegenübertragungsreaktionen, zum Beispiel den Ärger, von dem ein IPA-Kollege berichtet, wenn er mit jungen erwachsenen Patienten spricht, die ganz offensichtlich die Ernsthaftigkeit der Krise verleugnen und indifferent gegenüber den Sorgen ihre Eltern sind. Er, der im selben Alter wie die Eltern ist, erlebt die Gleichgültigkeit als unbewusste Tötungsabsicht, die sich gegen die Eltern oder ihre und zugleich seine Generation richtet. K Eine Kollegin erwidert darauf, dass Jugendliche in der Coronakrise besonders stark befürchten, dass ihr erstmals selbst gestaltetes, neues, von den Eltern unabhängiges Leben gefährdet sein könnte. Sie wollten deshalb alle Hindernisse mit einem Schlag beseitigen und würden deshalb rücksichtslos agieren. Zu groß nämlich ist die Angst, dass das unheimliche Objekt die sich umgestaltende innere und äußere Welt zurücknimmt, den Neuanfang verhindert, die Autonomie raubt. Sie befürchten sogar, dass es die Desintegrationsängste, die zur Adoleszenz und zu ihren vielen Abschieden gehört, verstärkt. Diese Angst müssen sie verleugnen, und sie projizieren sie in die Vertreter der Elterngeneration, die sich dann von den eigenen Kindern herausgefordert und krank gemacht fühlen. Ein anderes Gegenübertragungs-oder Eigenübertragungsgefühl ist durch Schuldgefühle einer Analytikerin, die in der Supervision darüber berichtet, geprägt. Die Coronakrise macht augenfällig, wie groß der Unterschied in den Lebensbedingungen zwischen ihr und einigen ihrer Patientinnen ist; sie wird sich bewusst, dass sie in einer privilegierten Welt leben kann, in einer Welt, die es ihr erlaubt, unter unheimlichen Bedingungen gleichwohl zu arbeiten und Geld zu verdienen, nicht zuletzt durch die Arbeit an den Krisen anderer. Auch hier wirkt die Coronakrise als Brennglas: Sie legt die gesellschaftlichen Unterschiede schonungslos offen. "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr ..." (Rainer Maria Rilke, Herbsttag) Das macht ihr ein schlechtes Gewissen, sodass sie ihre Arbeitsweise -von ihr selbst unbemerkt -verändert, indem sie weniger konfrontiert, Deutungen in einem rechtfertigenden, fast entschuldigenden Ton gibt. Die Coronakrise verändert die Sinnlichkeit der therapeutischen Situation. Daher sollen einige Gedanken zu Körper-und Leiberleben in den Zeiten von Corona folgen. Zunächst ist der reale, biologische Körper verändert oder gefährdet: Wie jede Grippe kann auch die Coronagrippe subjektiv leidvoll, unter Umständen ausgesprochen beeinträchtigend und körperlich sehr eingreifend sein. In seltenen Fällen endet sie tödlich; das "acute respiratory distress syndrome", an dem die Infizierten sterben können, löst schreckliche Angst aus, da die Sauerstoffaufnahme auch unter besten Bedingungen und intensivmedizinischer Versorgung durchaus scheitert. Der Körper als erlebter Körper oder -anders gesagt -als Leib wird von der unheimlichen Bedrohung durch das Virus auch ohne jede physische Beeinträchtigung betroffen. Da der Leib Teil des Selbst ist, wird mit der Integrität des Körperselbst das Selbstbewusstsein fraglich. Das Virus ist überall, daher können jeder Husten und jedes Fieber Unheil ankündigen. Die hypochondrische Einstellung zum eigenen Körper wird nicht nur unterstützt, sondern in gewisser Weise geradezu gefordert: Jeder soll sich selbst beobachten, jede körperliche Regung steht unter Verdacht, die Körpertemperatur wird gemessen und das Fieberthermometer zum Fanal; kaum noch traut man sich öffentlich zu husten, das könnte doch ein Signal sein, dass das Virus einen schon im Griff hat. Die Maske vor dem Gesicht lässt niemals vergessen, dass ich die Quelle und auch der Adressat der Ansteckung werden kann. Der eigene Körper steht unentwegt und notwendig unter Verdacht. Eine Maske zu tragen bedeutet, die Mimik voreinander zu verbergen. Aber die Masken signalisieren auch etwas anderes. Wenn Patienten ebenso wie die Analytikerin Angst vor Ansteckung haben, dann sind die Masken eine Antwort auf die Angst und eine Bestätigung: "Ja, die Bedrohung ist real, keineswegs ausgedacht. Ja, ich als Therapeut schütze Dich und mich selbst, wenn ich eine Maske trage, so schütze ich auch die therapeutische Beziehung." In diesem Fall fördern die Masken nicht ein verzerrtes Körperbild, sondern führen es in die Realität zurück. Masken erzeugen aber in jedem Fall Distanz und schirmen die Expressivität des Gesichtes in "Faceto-face"-Psychotherapien ab. Damit ist die Zwischenleiblichkeit in der persönlichen Begegnung (Küchenhoff 2012) verändert und verliert ihre Selbstverständlichkeit. Nicht nur der eigene Körper ist unter Verdacht gestellt, auch der des anderen. So wird das spontane Zwiegespräch der Gesten und der Mimik gehemmt und unterbrochen und durch eine rationale und geplante, daher oft hölzerne und unbeholfene Körpersprache ersetzt. Unbeholfen deshalb, weil wir keine alternativen Umgangsweisen, zum Beispiel bei der Begrüßung, gelernt und konventionell verfügbar haben. Unbeholfen aber auch, weil das nicht bewusst gesteuerte leibliche Sichabstimmen eingeschränkt und verändert ist. Die spontane körperliche Art und Weise, auf andere zuzugehen, wird im Alltag sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Sich um andere zu sorgen, bedeutet nun nicht mehr, sie in den Arm zu nehmen, sondern im Gegenteil darauf zu verzichten. Die kleinen zwischenleiblichen Begegnungen bei der Begrüßung und bei der Verabschiedung sind aufgehoben. Eine Analysandin denkt über die rasch vorübergehenden, aber unmerklich wichtigen Momente der Begrüßung nach: Wenn sie mich nur am Telefon hört, vermisst sie meinen Blick; wenn sich die Tür öffnet, ein Lächeln, das für sie einen Willkommensgruß darstellt -über die wir bislang allerdings nie gesprochen hatten. Die rasch sich einstellende Zwischenleiblichkeit erlaubt ihr, entspannt zu sein, versichert ihr, dass ich da und für sie da bin. -Eine andere Analysandin, die in der frühen Kindheit schwerwiegende Objektverluste erlebt hat und deren Vertrauen in Beziehungen ausgesprochen empfindlich und leicht störbar ist, reagiert sehr heftig auf den in Coronazeiten fehlenden Handschlag zur Begrüßung und zur Verabschiedung; ohne die spürbare Rückversicherung in der therapeutischen Beziehung empfindet sie das Ausweichen vor der Berührung als einen Rückzug meinerseits und fühlt sich fallengelassen. Bei ihr provoziert bereits die physische Distanz, deren Notwendigkeit im Übrigen von ihr durchaus anerkannt wird, die Übertragung von versagenden, ja vernichtenden Objektbildern. Die körperliche Zwiesprache verstummt völlig am Telefon, sie verzerrt sich über das Video. Das Auge wird überwertig, im Video sehe ich mehr vom anderen, als mir manchmal lieb ist; das Video ist auch schamlos und offenbart mir den Blick auf den Körper des anderen in einer Unmittelbarkeit, die mir aufdringlich erscheinen kann. Wenn ich einen Kopfhörer nutze, für Therapiegespräche per Telefon, sitzt der andere mir im Ohr, mit einer eigentümlichen Intensität. Aber ich rieche und spüre ihn nicht. Haut-und Geruchssinn verkümmern in der Begegnung. Das Körperbild wird in der Regel nicht fragmentieren, aber es wird grotesk, so wie der große russische Literaturwissenschaftler Bachtin (1987) den karnevalesken Körper beschrieben hat: Es entsteht ein merkwürdiger Homunculus im Erleben, der große Ohren und eventuell sehr scharfe Augen hat, dem aber die Haut fehlt, der nichts spürt, der nicht schwitzt, der nichts riecht und mit dem anderen nicht mitschwingt. Ist eine psychoanalytische Therapie unter Coronabedingungen überhaupt möglich, wenn der Rahmen und die leibliche Begegnung nicht vom Therapeuten garantiert werden können? Bereits in der Vor-Corona-Zeit hat Thorwart (2019, S. 870) zur Nutzung digitaler Medien skeptische Ausführungen gemacht: "Einiges spricht allerdings dafür, dass eine Behandlung, die ohne jede leibliche Begegnung stattfindet, kaum noch dem entsprechen kann, worauf Psychotherapie, insbesondere aber Psychoanalyse beruht: der systematischen Untersuchung intraund interpsychischer Prozesse auf un-, vor-und bewusster sprachlicher, nicht-verbaler (körperlicher) und szenischer Ebene." Notgedrungen stoßen wir in den Zeiten von Corona auf die grundsätzliche Frage, die psychoanalytische Erkenntnis betreffend, inwieweit Rahmen, Setting und leibliche Begegnung die Conditiones sine qua non für die psychoanalytische therapeutische Arbeit darstellen. Ja, sie sind Voraussetzungen, die unverzichtbar sindaber, so möchte ich hinzufügen, das sine qua non gilt nicht zu jeder Zeit und immer. Ich wähle es nicht als eine gangbare Alternative, die Gespräche über das Telefon fortzusetzen, statt persönlich mit einem Analysanden zu sprechen. Aber ich will auf der anderen Seite auch in der Not festhalten, an dem therapeutischen Prozess, wohl wissend, dass er durch diese äußeren Bedingungen verändert wird. Ich muss mein analytisches Verstehen im bipersonalen Feld der Analyse nicht suspendieren; ich kann zusammen mit den Analysandinnen herausfinden, was die äußeren Veränderungen in diesem Feld bewirken, und wie sie andere, vielleicht sogar erhellende und neue Gedanken und Gefühle hervorbringen -wobei diese Arbeit ungleich komplexer ist, weil nun Form und Inhalt, Rahmen und Worte, beide beweglich werden und nicht die Form festgehalten werden kann, um vor ihr als Hintergrund die Inhalte erkennen zu können. Nein, ich muss zugleich erfassen, wie ein verbogener Rahmen die Worte prägt und umformt -eine schwere, aber zumindest vorübergehend nicht unmögliche Aufgabe. Ungar hat in einer bedeutsamen Arbeit zur Deutung vom Werkzeugkasten des Analytikers gesprochen; gegen Ende findet sich folgende bemerkenswerte Aussage, die nicht nur für die Deutung, sondern auch für das Arbeiten unter Coronabedingungen gilt: "Welche der Werkzeuge aus unserer klinischen Praxis müssen wir in Frage stellen, um weiter [d.h. unter veränderten Umweltbedingungen, J.K.] als Psychoanalytiker arbeiten zu können? Im Falle der Deutung, also unseres Hauptwerkzeugs, stellt sich diese Frage als sehr komplex heraus. Schließlich kann es nicht darum gehen, dieses Werkzeug durch ein anderes zu ersetzen, wie es ein Handwerker nach einem Blick in seine Arbeitskiste täte, sondern darum, seine Anwendung im Licht sowie innerhalb des Kräftefelds der gegenwärtigen Veränderungen zu betrachten. Zweifellos ist dies keine einfache Aufgabe. Und doch ist sie notwendig und als eine Einla-dung zu verstehen, die wir uns nicht entgehen lassen sollten" (Ungar 2015, S. 434 ; Hervorhebung J.K.). Die abschließenden Gedanken knüpfen an den Anfang an. Noch einmal sei betont: Auch in den Zeiten von COVID-19 kann die Intimität der analytischen Begegnung gewahrt werden, ja, sich sogar intensivieren -unter wie schwierigen Bedingungen auch immer. Nur muss uns bewusst bleiben, dass es in der Coronakrise nicht allein darum geht, inmitten der unheimlichen Bedrohungen weiterzuarbeiten wie sonst, sondern auch darum, Schrecken und Leiden beredt werden zu lassen, und das bedeutet, obgleich es paradox klingt, die Wortlosigkeit zuzulassen, ja mit den Patienten zu teilen. Wenn wir das therapeutische Sprechen in existenziellen Bedrohungen wahren wollen, so sind wir mit der entscheidenden Frage konfrontiert, wie zu sprechen ist, wie Worte zu finden sind, angesichts des "Abgrunds des Schweigens" (Merleau-Ponty 1966, S. 232), der sich auftut in der Krise: Es ist schwer auszuhalten, dass die Zukunft unabsehbar ist, dass es keine symbolischen Eltern gibt, die die Wirklichkeit auslegen, die den Überblick wahren und der begrenzten Angst weitsichtig beruhigend entgegentreten könnten. Es fehlen die Worte, um die Erfahrung auf den Begriff zu bringen und dadurch zu entschärfen. Aber der Abgrund des Schweigens generiert, er konstituiert geradezu das Sprechen, nicht nur hier, aber auch hier -ein Abgrund, der eine produktive, konstruktive, vorwärts gerichtete Seite hat. Nur muss es möglich sein, sich der Bedrohung auszusetzen, der Begriffslosigkeit zu überantworten, auch in dem analytischen Gespräch. Auch wenn die vielfältigen Schockerfahrungen noch nicht ausgelegt, gedeutet und narrativ eingeordnet werden können, so ist nicht die Wortlosigkeit die Gefahr, sondern ihr Übergehen. In keiner anderen Therapie ist mir die potenziell traumatische Qualität der Krise so deutlich geworden wie in der psychoanalytischen Arbeit mit einer Frau, die positiv getestet wurde, die zur Risikopopulation gehörte und schwer erkrankte, sodass sie in Lebensgefahr schwebte. Auf Isolation und Gefährdung reagierte sie manisch-psychotisch; die Manie enthob sie aller Anstrengungen, an die Stelle des Ohnmachtsgefühls traten Allmachtsfantasien, an die Stelle der Gefahr das Gefühl einer endgültigen Befreiung und Lösung. Es wurde sehr schwer, sie durch diese doppelte Krankheit, die Infektion und die Manie, zu begleiten, denn sie triumphierte über meine Besorgtheit und wies mich mit sehr derben Worten zurück, als ich ihr online eine psychopharmakologische und schließlich eine stationäre psychiatrische Therapie nahelegte. Dennoch blieben wir einander verbunden, und als sie den Schutzschild der Manie niederlegen konnte, wurde im Nachhinein die Gefahr spürbar, das namenlose Entsetzen, das wir miteinander durchzuarbeiten versuchten und versuchen, und das in der Manie einen Ausdruck, allerdings einen verführerisch falschen, gefunden hatte. In kaum einem literarischen Werk wird das Sicheinschließen in eine beredte Wortlosigkeit, die nur von einem "falschen Sprechen" erfüllt ist, um den Abgründen einer Gefahr auszuweichen, besser dargestellt als in der kurzen Erzählung Die Maske K des roten Todes, die E.A. Poe (1966 Poe ( [1842 ) geschrieben hat. Die Flucht des Prinzen Prospero, der sich mit seinem Hofstaat vor der Pest in eines seiner befestigten Schlösser zurückgezogen hat, misslingt. Sie misslingt, weil die reale Gefahr verworfen, ausgeblendet und durch ein genussvolles Leben in der Enklave der Schlosswelt überblendet wird. Die verworfene Wirklichkeit aber kehrt zurück; während eines Maskenfestes erscheint sie, es ist der Rote Tod, der zunächst von der Festgesellschaft für eine blasphemische Maske gehalten wird. Doch es ist eben keine Maske; der Titel der Erzählung führt absichtlich in die Irre, ohne Maske tritt der Tod unter die Gäste und tötet einen nach dem anderen. "Und Finsternis und Verwesung und der Rote Tod, den sie sorgsam auszuschließen versucht hatten, herrschten schrankenlos über allem", so endet der Text. Er zeigt uns, dass die Abwehr der Realität, die Unfähigkeit, Gefahren zu denken und Verluste zu betrauern, die Katastrophe geradezu herbeiführen, vor der sie uns gerade schützen sollten. Daher braucht es die psychoanalytische Therapie, dringender als je. Interessenkonflikt J. Küchenhoff gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Suhrkamp, Frankfurt am Main Das Unheimliche. In: Freud S (Hrsg) Gesammelte Werke, Bd. 12. Fischer, Frankfurt am Main 2020) Das Coronavirus. Überlegungen zu einem bedrohlichen Fremdkörper Köper und Sprache Loslassen und Bewahren: Erfahrungen in Zwischenräumen Die Coronakrise als Krise symbolischer Ordnungen und die Aufgaben der Psychoanalyse, das Sprechen zu wahren. IPV-Webinar Ein neues Unbehagen in der Kultur? Der Einzelne und die Gesellschaft in Zeiten von Covid19 Phänomenologie der Wahrnehmung. de Gruyter, Hamburg Parsons M (2014) Zur Ehrenrettung des Unheimlichen Die Maske des Roten Todes The background of safety Psychoanalyse und Internet. Anmerkungen zu ethischen Fragen der Nutzung digitaler Kommunikationsmedien Der Analytiker und sein Werkzeugkasten. Die Deutung neu erkundet Erfahrung, die zur Sprache drängt. Suhrkamp, Berlin Winnicott DW (1990) The concept of a healthy individual Psychoanalytiker (IPA), Supervisor und Lehranalytiker. Bis Juli 2018 war er Direktor der Erwachsenenpsychiatrie der Psychiatrie Baselland