key: cord-0052316-at9yypyk authors: Stüwe, Robert title: Rechtsstaatlichkeit in der EU als Schlüsselfaktor für eine resiliente Außenpolitik gegenüber Autokraten date: 2020-11-05 journal: Z Außen Sicherheitspolit DOI: 10.1007/s12399-020-00817-6 sha: 3cc88380f7d4a263d262a332fcb77c88fa6b4dac doc_id: 52316 cord_uid: at9yypyk Anti-rule of law governing parties in the EU are courting the favor of autocratic great powers such as China or Russia, making the Union more vulnerable to their influence. This coalition of internal and external autocrats undermines the rule of law and further, the Union’s central foreign policy levers vis-à-vis third countries—enlargement and trade policy—are becoming less effective. In addition, state-capitalist structures are consolidating, which also limits the proper functioning of the EU’s energy policy. This article explores these developments and discusses what the EU can do to counteract autocratization. von außen induzierte staatskapitalistische Praktiken in der EU ausbreiten und bereits umgesetzte Liberalisierungsmaßnahmen zurückdrehen, wie der Verfasser darlegen wird. Als erschwerender Faktor kommt hinzu, dass unter Trump auch die politische Rückendeckung für die EU passé ist. Strafzölle auf europäische Stahlimporte und der amerikanische Rückzug aus dem von der EU maßgeblich ausgehandelten Nuklearabkommen mit dem Iran stehen exemplarisch für den "harten Einbruch weltpolitischer Realitäten" (Speck 2019) , dem die Europäische Union ausgesetzt ist. In diesem Umfeld verstricken sich manche Mitgliedstaaten der EU zunehmend in einer inneren Mächtekonkurrenz und buhlen um die Gunst autokratischer Großmächte. China nutzt diese Lage strategisch zur Verbreitung der eigenen Staats-und Wirtschaftsordnung, indem es die nationalen Sonderwege zusätzlich befeuert. Internetkrieger im Dienste Russlands verbreiten in den sozialen Medien Desinformationen zur Zersetzung des öffentlichen Diskurses, um auf diese Weise in der EU nationalistische, EU-feindliche Parteien heranzuzüchten (Orenstein und Kelemen 2017) , die es auch in Mitgliedstaaten ohne Systemtransformation nach 1990 wie Italien und Österreich zeitweise zu Regierungsbeteiligungen gebracht haben. Auch die britischen Tories als etablierte Regierungspartei aus dem traditionellen Mitte-Rechts-Spektrum sind vor Interventionen des russischen Staates nicht gefeit: Zur Unterstützung der Brexit-Kampagne haben russische Trolle am Tag des Referendums auf Twitter tausende Nachrichten verschickt (Field und Wright 2018) . Ungeklärte Verbindungen von Dominic Cummings, dem Kampagnendirektor von Vote Leave, zu russischen Sicherheits-und Geheimdienstkreisen werfen zusätzliche Fragen nach einer Einflussnahme des Kreml auf (Bennetts 2019; Harper und Wheeler 2019) . Dieses Phänomen betrifft alte wie neue Mitgliedstaaten der Union. Daher hängt die außenpolitische Macht und Handlungsfähigkeit der EU in erster Linie vom Fortbestand demokratischer Staatspraxis im Innern ab, und nicht primär von ihrer räumlichen Ausdehnung, wie Herfried Münkler irrtümlich argumentiert (Münkler 2019) . Freilich ist die innerstaatliche Garantierung einer demokratischen Verfassungswirklichkeit keine hinreichende Bedingung für ein effektives auswärtiges Handeln, das zusätzlich die Bereitschaft des Europäischen Parlaments zur außenpolitischen Mitwirkung erfordert, zumal unter den Abgeordneten weitgehend ein anti-totalitärer Konsens mit Blick auf außenpolitisch relevante Fragestellungen herrscht und der Kreml sowie die Kommunistische Partei Chinas nur wenige Anhänger haben (Krekó et al. 2020, S. 18 ). Der Klammergriff der Autokraten von innen und außen erschwert die Erfüllung der Ziele in der EU-Erweiterungspolitik. Sie soll mit der verlockenden Aussicht auf die Mitgliedschaft in der EU das gesamte Unionsrecht in den Kandidatenländern einführen. Das Wunschergebnis: Junge Demokratien stabilisieren sich und verfestigen ihre soziale Marktwirtschaft. Die Frage, ob der machtpolitische Hebel eines EU-Beitritts weiterhin einsetzbar ist, stellt sich vor allem bei der bis 2025 angestrebten Westbalkan-Erweiterung. Denn in der Balkan-Frage bündeln sich diverse strategische Ziele unionsinterner und externer Akteure, die mit denen der EU nicht immer kompatibel sind. Einzig die Türkei scheint aus ökonomischen und sicherheitspolitischen Motiven daran interessiert, die Staaten in der Region in ihren NATO-und EU-Beitrittsplänen zu unterstützen (Aydıntaşbaş 2019) . Dagegen investieren einige Golfstaaten und Saudi-Arabien in erheblichem Maße in Bildungs-und Erziehungseinrichtungen in der Region, um eine reaktionäre Lesart des Islams zu verbreiten (Lilyanova 2017) . Hinzu kommt, dass die Unionsinteressen von innen durch den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán unterlaufen werden und Gelegenheitsstrukturen für andere politische Player schaffen. Aus der ungarischen Annäherung an das autokratische Regierungssystem Russlands kann der Kreml politisches und ökonomisches Kapital schlagen: Eine besorgniserregendere Folgewirkung der Expansion staatskapitalistischer Politikformen ist die empirische Beobachtung, dass je stärker sich in der EU korrupte Praktiken ausbreiten, supranational organisierte Außen-und Außenwirtschaftspolitik umso weniger effektiv gelingt, da externe Mächte durch die Ausnutzung oligarchischer Strukturen einzelne Integrationsmaßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten blockieren oder umgehen. Innerhalb des föderal organisierten europäischen Staatenverbundes ist neben Ungarn -wie noch erläutert werden wird -vor allem Malta von dieser Entwicklung betroffen. Das Zusammenwirken externer und interner Kräfte erschwert mithin die Eindämmung von Korruption und stellt für supranationale EU-Institutionen ein Machtausübungsproblem gegenüber den eigenen Mitgliedstaaten (Integrationsmacht) und im Verhältnis zu außenpolitischen Partnern sowie Rivalen dar (Projektionsmacht). Welch diffizile Angelegenheit die Erhaltung der unionseuropäischen Machtmittel des Binnenmarktzugangs sowie der territorialen und juristischen Expansion im Wege der Erweiterung sein kann, zeigt sich auf dem Westbalkan. In der Staatsorganisation und in den Wirtschaftssystemen der Beitrittskandidaten zur EU haben sich Oligarchie und Korruption festgesetzt. Auch in dieser Region leistet die Orbán-Regierung autokratische Entwicklungshilfe. So plant Orbán durch den bereits erfolgten Aufkauf von Presseorganen in Mazedonien und im EU-Mitgliedstaat Slowenien (Faktor 2020, S. 4-5) eine wesensverwandte Medienlandschaft zu schaffen (Kingsley 2018; Gergely 2019) . Ziel der Maßnahmen ist es, das illiberale ungarische Staatsmodell in die Region zu exportieren (Jóźwiak undŻornaczuk 2018) . Dem serbischen Prä-K sidenten Aleksandar Vučić dienen die ungarischen Gleichschaltungsmaßnahmen in Presse und Rundfunk bereits als Vorbild (Csaky 2019 (Hanemann und Huotari 2018) . Es ist damit zu rechnen, dass diese Entwicklung auch eine potenziell von der Covid-19-Pandemie ausgelöste punktuelle Rückverlagerung von globalen Wertschöpfungsketten wie etwa in der Gesundheitswirtschaft überdauern wird. Dass autokratische Einflussnahme von außen nicht nur von Großmächten wie China betrieben wird oder allein die postsozialistischen Staaten tangiert, demonstriert das Vorgehen Aserbaidschans auf Malta. Wie im Falle der Energiebeziehungen Ungarns zu Russland bereits dargelegt, haben sich auch im Inselstaat Großprojekte zur Einfuhr von Energieträgern als besonders verwundbar für externe illegale Interventionen erwiesen. Beim Bau des schwimmenden Gaskraftwerks Delimara und der Aushandlung eines unwirtschaftlichen Liefervertrags (Borg 2018) Mittel-bis langfristig müsste die EU allerdings eine gemeinschaftliche Art der politisch-juristischen Machtprojektion entwickeln oder in den Worten Steven Blockmans' eine Kapazität zur legal warfare erlangen, die über bisherige Einflusskanäle wie die Erweiterungs-und Nachbarschaftspolitik hinausginge. Anders als es die mar-tialische Wortschöpfung nahelegt, verstieße eine solche Außenpolitik weder gegen nationales noch internationales Recht. Auch würde nach Auffassung von Blockmans eine solche Außenpolitik keiner hyperaggressiven Praxis Vorschub leisten, um die Interessen der EU rücksichtslos zu fördern. Machtinstrumente der Wahl wären eine Kombination aus internationalem, EU-und nationalem Recht sowie multilateralen Foren. Auf diese Weise könnte die EU unter Ausnutzung ihrer Marktmacht die Kosten illegaler Praktiken von internationalen Rivalen erheblich erhöhen (Blockmans 2020). Das Ziel kann also nur eine europäische Umwidmung des Begriffs amerikanischer Provenienz sein. Zu den weiteren Lawfare 7 -Taktiken würden die gezielte Einleitung von Untersuchungen durch internationale Organisationen oder die Einberufung von Abstimmungen in der UN-Generalversammlung sowie vor internationalen Schiedsgerichten bei Handelsstreitigkeiten gehören. Auch gesetzgeberische Maßnahmen auf Unionsebene wie die Verschärfung von Vorschriften, um etwa Banken und Energieunternehmen daran zu hindern, Diktaturen und deren Kunden zu bedienen oder zum Schutz von europäischen Unternehmen vor sekundären US-Sanktionen wären Teil eines solchen Fähigkeitsprofils (Blockmans 2020). Es bleibt festzustellen, dass die auswärtigen Politiken der EU den Faktor Rechtstaatlichkeit nicht außer Acht lassen dürfen. Die vorliegend erörterten Politikfelder der Außenhandels-, Energieimport-und Erweiterungspolitik bieten zahlreiche Beispiele für verpasste Chancen. Doch eine derartige Lethargie kann sich die EU in einem rauen Umfeld globaler Mächtekonkurrenz politisch nicht länger erlauben. Damit ihre schärfsten Machtmittel nicht stumpf werden, muss sie ihre innere rechtsstaatliche Verfasstheit im aufgeklärten Eigeninteresse erhalten und in den Außenbeziehungen als handlungsleitendes Prinzip effektiv zur Geltung bringen. Funding Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL. Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ licenses/by/4.0/deed.de. From myth to reality: how to understand Turkey's role in the western balkans. Policy brief ECFR 280. European council for foreign relations (ECFR) EU-Sozialdemokraten suspendieren Rumänen How dominic cummings came in from the cold. The Times Why Europe should harden its soft power to lawfare Watch: Malta losing tens of millions from 'poor' $1 billion Azerbaijan energy deal Eine Gefahr für den Standort Deutschland Allgemeines Zollpräferenzsystem Understanding energy security in Central and Eastern Europe. Russia, transition and national interest Konrad Mizzi was planning to rob us from day 1. Running Commentary A new toolbox for co-opting the media. Freedom and the Media Routledge contemporary Russia and eastern Europe series. The Russian economic grip on central and eastern China investiert in Hafen-und Infrastrukturprojekte in Italien. Germany Trade & Invest Greece blocks EU statement on China human rights at An article 19 mechanism. The need for a robust defence of EU rule of law Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten European Union's GSP+ scheme Handel/Menschenrechte: Kommission beschließt teilweise Rücknahme des präferenziellen Zugangs zum EU-Markt für Kambodscha Kambodscha verliert zollfreien Zugang zum EU-Markt aufgrund von Menschenrechtsverletzungen Verordnung (EU) 2019/452 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2019 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates (17., 18., 19., 20. und 21 EU MONITOR: Backsliding of democracy in Slovenia under right-wing populist Janez Janša Russian trolls sent thousands of pro-Leave messages on day of Brexit referendum, Twitter data reveals Malta losing money 'hand over fist' from Azerbaijan energy deal, claim experts. The Guardian Lieber Chinas Spatz als Europas Taube. Frankfurter Allgemeine Zeitung Orban propaganda machine seeks wider reach with news agency EU-China FDI: Working towards reciprocity in investment relations Labour asks about Dominic Cummings' years working in Russia EU ambassadors band together against Silk Road Okt.). Changes in Hungary's policy towards the Western Balkans Safe in Hungary, Viktor Orban pushes his message across Europe Authoritarian shadows in the European Union. Influence of authoritarian third countries on EU institutions At a glance. Saudi-Arabia in the Western Balkans Demokratische Außenpolitik. Legitimation und Legitimität europäischen Außenhandelns Mai). Man sieht sich in Straßburg: Urteile im Putschprozess in Montenegro. Frankfurter Allgemeine Zeitung Liberal Intergovernmentalism, Illiberalism and the potential superpower of the European Union Die EU ist porös geworden Trojan horses in EU foreign policy Russian development bank's move to Hungary causes alarm Das zweischneidige Potenzial der 17+1-Formats. Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Warum ein Amt in Brüssel für Merkel keine Option ist Big brother comes to Belgrade Russia's game in the Balkans. (The return of global Russia: A reassessment of the Kremlin's international agenda). Carnegie Endowment for International Peace Das Machtproblem der EU-Energieaußenpolitik EU Glossar: Akteure und Institutionen