key: cord-0052325-1y702fv0 authors: Fährmann, Jan; Arzt, Clemens title: Polizeilicher Umgang mit personenbezogenen Daten in der Corona-Pandemie : Datenschutz in der Krise date: 2020-11-05 journal: Datenschutz Datensich DOI: 10.1007/s11623-020-1370-5 sha: 8e20babb2b6b3bd0e5aec881cade47015edcfecf doc_id: 52325 cord_uid: 1y702fv0 Seit Beginn der Corona-Pandemie werden verschiedenste Grundrechte dem Gesundheitsschutz untergeordnet, die Versammlungsfreiheit, die Religionsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit seien hier beispielhaft genannt. Daneben werden in großem Umfang personenbezogene Daten erhoben und verarbeitet. Diskutiert wurde dies in der Literatur jenseits der Corona-Warn-App und vergleichbarer Fragen bisher vergleichsweise wenig und nur selten von der Rechtsprechung überprüft. als unausweichlich eingestuft. 7 Dieses Muster übernahmen zunächst auch die Verwaltungsgerichte, bevor nach etlichen Wochen endlich eine differenziertere rechtstaatliche Betrachtung Einzug hielt. 8 Die Auswirkungen auf den Grundrechtsgebrauch sind gravierend 9 und lassen Ungutes für andere Krisenlagen in der Zukunft erahnen. Rechtsgrundlage allfälliger und zum Teil weitreichender Beschränkungen ist dabei selten (unmittelbar) eine gesetzliche Regelung 10 , sondern sind Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen in großer Zahl, oft mit wöchentlich wechselndem Inhalt. Die Gerichte haben dies zum Teil problematisiert, nicht selten aber auch akzeptiert. 11 Das BVerfG wurde im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in Dutzenden von Fällen angerufen 12 , recht häufig mit Blick auf Beschränkungen der Versammlungsfreiheit; mit Blick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erging indes (soweit erkennbar) keine oder kaum substanzielle Entscheidung. 13 Während in der Öffentlichkeit und in der wissenschaftlichen Fachliteratur der staatliche Umgang mit Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit breit diskutiert wurde 14 , sind das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das europäische und deutsche Datenschutzrecht bisher -mit Ausnahme der Corona-Warn-App und vergleichbarer Instrumente -selten in den Fokus geraten, obwohl zahlreiche Eingriffe erfolgten. Gerade in Zeiten hoher Infiziertenzahlen scheint der Datenschutz in Abwägung mit gesundheitlichen Fragen von vielen nicht als sonderlich bedeutend empfunden worden zusein. 15 Dabei sind datenschutzrechtliche Erwägungen gerade auch in einer Pandemie essenziell, da die Risiken für die Verarbeitung personenbezogener Daten mit Blick auf die Kontaktnachverfolgung 16 und andere Instrumente hoch sind. Zur Bekämpfung der Ausbreitung eines Virus kann eine Erhebung und Auswertung zahlreicher Daten beitragen -etwa Bewegungs-oder Gesundheitsdaten 17 -, beispielsweise um die Ausbreitung zu unterbrechen, um Schutzmaßnahmen zu ergreifen oder mehr Informationen über die Wir- In mehreren Bundesländern gab es Fälle, in denen Gesundheitsämter ohne konkreten Anlass Listen mit Kontaktdaten von Corona-Infizierten an Dienststellen der Polizei weitergegeben habenteilweise aufgrund der Aufforderung durch die zuständigen Ministerien. Dies soll (im Sinne "personenbezogener Hinweise") dazu dienen, dass Polizeibeamt*innen im Fall eines Einsatzes Vorkehrungen gegen eine Ansteckungsgefahr treffen können. Mehrere Datenschutzbeauftragte protestierten 23 muss konzediert werden, dass die Behörden aufgrund der Überforderung durch die Corona-Pandemie zum Teil unter großem Druck standen und ein Handeln unter Unsicherheit insbesondere in den ersten Wochen der Pandemie an der Tagesordnung war. Gleichwohl wird deutlich, dass sowohl Polizei-als auch Innenbehörden den Schutz sensibler Daten in einer solchen Situation den polizeilichen Interessen pauschal in sehr vielen Fällen unterordnen, ohne sich dabei um rechtsstaatliche Grundsätze zu kümmern. Hier ist dringend der Gesetzgeber gefragt, der sich indes zumindest bis Ende Oktober 2020 jeder parlamentarischen Absicherung einschneidender Maßnahmen verweigert hat. 30 Ein weiteres Beispiel für eine sehr schnelle und rechtsstaatswidrige Ausweitung der polizeilichen Befugnisse, die nicht zur Verringerung von Infektionen beitrug, war die Ausweispflicht in Berlin und Sachsen-Anhalt zu Beginn des Lockdowns. Nach beiden Corona-Verordnungen musste ein amtlicher Ausweis stets mitgeführt und auf Verlangen vorgelegt werden, um die Durchsetzung des Kontaktverbotes durch die Polizei zu gewährleisten. 31 Neben der Innenverwaltung ordnete zumindest die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin diese Ausweispflicht als essenziell für die polizeiliche Arbeit ein und bezeichnete deren Abschaffung als "Aprilscherz". 32 Eine Pflicht, stets ein Ausweisdokument mitzuführen und sich auszuweisen, gibt es indes Deutschland grundsätzlich nicht. Dies wird nach ganz herrschender Ansicht daraus hergeleitet, dass weder im PAuswG noch im PassG eine entsprechende Pflicht enthalten ist und sich auch niemand ohne konkreten Anlass ausweisen muss. 33 Eine Identitätsfeststellung findet also ihre Grundlagen nicht im Ausweisrecht, sondern im Polizeigesetz, der StPO oder anderen Gesetzen. Auch das AufenthG beinhaltet keine Pflicht, sich gegenüber der Polizei jederzeit durch Vorlage eines Ausweisdokuments zu legitimieren. Eine Mitführens-und Vorlagepflicht kann daher nur spezialgesetzlich vorgeschrieben werden. Auch erscheint es maximal sinnvoll zu sein, Menschen auf die Einhaltung eines Kontaktverbotes hinzuweisen und nur bei offenkundigen Verstößen einzuschreiten, was auch eine Identitätsfeststellung beinhalten kann. Die schnelle Abschaffung der Maßnahme in beiden Bundesländern offenbarte ihre rechtliche Halt-und Sinnlosigkeit. Nichterfassung von Privaten für die staatliche Nutzung unabhängig vom Anfangsverdacht einer Straftat oder einer konkreten Gefahr erhoben und gespeichert werden müssen, allein zum Zwecke der staatlichen Nutzung und ohne eigenen Anlass. 41 BVerfG 42 und EuGH 43 haben wiederholt betont, dass die Verarbeitung von auf Vorrat gesammelten Datenmengen einen beträchtlichen Grundrechtseingriff darstellt, da sich die Menschen diesen Datenerhebungen kaum entziehen können, so auch während der Pandemie. Auch kann deren Erfassung dazu führen, dass Betroffene Orte mit einer solchen Erhebung der Kontaktdaten nicht mehr aufsuchen oder deren Besuch in Frage stellen; Einschüchterungseffekte können so hervorgerufen werden. 44 Eine gesetzliche Regelung unterliegt daher hinsichtlich ihrer Begründung und ihrer Ausgestaltung, auch in Bezug auf die vorgesehenen Verwendungszwecke der erhobenen Daten, besonders strengen Anforderungen. 45 Daher ist eine vorsorgliche Datenspeicherung ohne hinreichende Rechtsgrundlage gerade in einer seit Monaten durch Gesetz deklarierten Pandemie nationaler Tragweite ( § 5 Abs. 1 IfSG) schlichtweg unzulässig, weil die entsprechenden Rechtsgrundlagen für solche Datenverarbeitungen längst hätten geschaffen werden können. 46 Diese sollten dann auch Regelungen zum Verbot der Zweckänderung enthalten. So sollte neben einer klaren rechtlichen Begrenzung des Zwecks und der ausschließlichen Nutzung durch die Gesundheitsämter -soweit kompetenzrechtlich möglich -analog § 4 Abs. 3 S. 5 Bundesfernstraßenmautgesetz ein ausdrückliches Verbot der Übermittlung, Zweckänderung, Verwendung und Beschlagnahme zu polizeirechtlichen oder strafprozessualen Zwecken jenseits der Abwehr oder Verfolgung von Verstößen gegen das IfSG selbst gesetzlich verankert werden. 47 Die beabsichtigte Nachverfolgung möglicher Infektionsketten wird ohne ein klares Zweckänderungsverbot konterkariert. Wenn Menschen damit rechnen müssen, dass diese Daten zu polizeilichen Ermittlungszwecken jedweder Art verwendet werden können, dürften nicht wenige davon abgehalten werden, korrekte Daten anzugeben, nicht nur dann, wenn sie selbst Strafverfolgung befürchten. Diese Verhaltensweise bestätigt sich in unser aller Erfahrungswelt alltäglich. Gerade Daten, die dazu dienen, einen nie dagewesenen Ausnahmezustand in den Griff zu bekommen, sollten daher nicht für Zwecke der Strafverfolgung jenseits des IfSG verwendet werden dürfen. Dies gilt umso mehr, weil solche Anwesenheitsdaten nach der Pandemie auch mit einer gesetzlichen Regelung nicht mehr erhoben werden dürften. Offenbar ist das Interesse der Polizei gleichwohl hoch, dieses kurze Zeitfenster für polizeiliche Ermittlungen zu nutzen, was rechtsstaatlich bedenklich ist. Bliebe es entgegen dieser Auffassung bei einem Verzicht auf ein gesetzliches Zweckänderungsverbot für die polizeiliche Verwendung von Gästelisten in einer anderen Angelegenheit als der Kontaktnachverfolgung -die im Übrigen nicht polizeiliche, sondern gesundheitsbehördliche Aufgabe ist -so bedarf eine solche Zweckänderung einer hinreichend bestimmten und verhältnismäßigen Ermächtigungsgrundlage. Eine hinreichend präzise gesetzliche Vorschrift zur Zweckänderung im Sinne der hypothetischen Datenneuerhebung 48 fehlt. Der Übergang dieser Daten in das Strafverfahren ist nicht geregelt und wird daher auf die Ermittlungsgeneralklausel gestützt. 49 Sollen mittels dieser Daten Straftaten jenseits des IfSG nachgewiesen werden, so kollidiert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse. 50 Im Anschluss an die Ausführungen oben (4.3) und den Beitrag von Dix in diesem Heft soll hier nur kurz auf die Corona-Warn-App eingegangen werden, für die aus gutem Grund der Erlass eines deren Nutzung regelnden Gesetzes auf der politischen Ebene verlangt wird. 53 Auch dieses muss das Verbot der Zweckänderung vorsehen. 54 Solange ein solches Gesetz nicht existiert, gelten die bereits dargestellten Voraussetzungen für einen möglichen polizeilichen Zugriff 55 auf personenbezogene Daten, bspw. auf Smartphones oder iPhones, soweit ein Eingriff in die Telekommunikationsfreiheit aus Art. 10 GG überhaupt verneint werden kann. Die Zulässigkeit einer pauschalen Übermittlung von Gesundheitsdaten im Kontext der Corona-Pandemie an die Polizei wurde oben (4.1) bereits verneint, dies gilt entsprechend auch für Daten einer Corona-Warn-App. Eine Rechtsgrundlage für die polizeiliche Einsicht in eine solche App etwa gegenüber Personen, von denen die Polizei annimmt, diese könnten infiziert sein, ist nicht erkennbar. Auch wenn die Polizei insbesondere durch Präsenz und Kontrollen dazu beitragen kann, die Infiziertenzahlen zu reduzieren, so ist der Erfolg mit Blick auf die Verarbeitung personenbezogener Daten in diesem Kontext fraglich und sensitive (besondere Kategorien) personenbezogener Daten waren und sind dem Risiko ausgesetzt, jenseits des Infektionsschutzes dem allgemeinen polizeilichen Interesse dienend genutzt zu werden. Gerade der polizeiliche Zugriff auf "Gästelisten" macht deutlich, dass die Datenverarbeitung zudem nicht zwingend dem Infektionsschutz dienen muss, sondern diesem sogar zuwiderlaufen kann, wenn nämlich die berechtigte Sorge vor einer polizeilichen Nutzung und Zweckänderung solcher Daten zu willentlich falschen Angaben führt. Gerade hier wurden -mit Unterstützung zum Beispiel des bayerischen Innenministers 56 -datenschutzrechtliche Maßgaben "kleingeredet" oder offensiv missachtet. Daher sind gesetzliche Regelungen erforderlich, die das Verhältnis der polizeilichen Arbeit zum Infektions-und Datenschutz auch in der Pandemie in ein ausgewogenes Verhältnis bringen, da diese offenkundig noch einige Zeit bestehen bleiben wird. § 6 GE Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs Große Kammer), Urt. v. 21.12.2016 -C-203/15, C-698/15; Roßnagel ZD-Aktuell 2020, 07114; s.a. Gesetzentwurf Bündnis90/ Die Grünen, BT-Drs Mit Blick auf die breite Kritik wurde das Vorhaben zunächst zurückgestellt. Im Ausweis bzw. Pass sollte bescheinigt werden, dass der/die Inhaber*in eine Co-vid19-Infektion überstanden habe und immun sei, was indes zunehmend medizinisch umstritten ist. Für Menschen mit diesem Ausweis sollten Zwänge der Corona-Regelungen nicht mehr gelten. Bei möglichen Kontrollen im öffentlichen Raum müsste die Polizei dann überprüfen, ob die kontrollierte Person unter solche Ausnahmeregelungen fällt, was nur durch eine Datenerhebung durch Identitätsfeststellung (IDF) und Vorlage des Corona-Passes möglich wäre Wie dies beispielsweise bei einer Versammlung im Schutzbereich des Art. 8 GG im Einklang mit diesem Grundrecht implementiert werden sollte, wäre noch zu klären. Corona-Warn-App und "Immunitätsausweis" implizieren beide die Verarbeitung sensitiver personenbezogener Daten, letzterer vermutlich noch stärker als die App, weil hier Gesundheitsdaten gleichsam amtlich bestätigt werden. Ein polizeilicher Zugriff auf solche Daten ist rechtlich nicht ohne hinreichend bestimmte gesetzliche Regelung möglich, deren nähere Ausgestaltung noch nicht im Ansatz ausdiskutiert ist