key: cord-0053105-ahqexq15 authors: Klug, M.; Wegener, K.; Leiz, S.; Peters, J. title: Protrahierte Tonsillopharyngitis mit Lymphadenopathie im Jugendalter date: 2020-11-23 journal: Monatsschr Kinderheilkd DOI: 10.1007/s00112-020-01053-0 sha: a53b313b047fd513d0aee6db163372125ca7154f doc_id: 53105 cord_uid: ahqexq15 nan Es zeigte sich ein reduzierter Allgemeinzustand bei ausgeprägter beidseitiger zervikaler Lymphadenopathie ohne Rötung der darüber liegenden Haut. Zudem zeigten sich ein geröteter Rachen und hypertrophierte, gerötete Tonsillen ohne Beläge. Der restliche klinische Untersuchungsbefund war unauffällig. Die Ergebnisse eines Differenzialblutbildes sowie eine BKS (Blutkörperchensenkungsreaktion) und Leberwerte lagen im Normbereich. Das C-reaktive Protein lag bei 5,35 mg/dl. Unter der Aufnahmediagnose einer bakteriellen Tonsillopharyngitis erfolgte (initial) eine Umstellung der antibiotischen Therapie auf Ampicillin/Sulbactam i.v., die aufgrund einer anamnestischen Amoxicillin-Allergie rasch auf Clindamycin gewechselt wurde. Am zweiten stationären Tag präsentierte sich der Patient morgens wesensverändert und desorientiert, weshalb nach Durchführung einer CT(Computertomographie)-Untersuchung eine Lumbalpunktion erfolgte. Der Liquorstatus war normal. Im weiteren Verlauf erfolgte die Eskalation der antibiotischen Therapie um Metronidazol zur Miterfassung anaerober Erreger. [5] . Die Übertragung erfolgt mittels Vektoren, eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist nicht bekannt. Je nach Übertragungsweg ist die klinische Manifestation unterschiedlich [1] . Unterschieden werden die mit 60 % in Deutschland häufigsten ulzeroglandulären (45 %) und glandulären (15 %) Formen der Tularämie nach Hautkontakt und Insektenstichen. In beiden Fällen manifestiert sich die Erkrankung in Form einer ausgeprägten regionalen Lymphadenopathie im Abflussgebiet der Einstichstelle, im Falle der ulzeroglandulären Form ergänzt um eine protrahierte Ulzeration der Haut an der Kontaktstelle. Weitere 15 % der Fälle in Deutschland präsentieren sich als pulmonale Tularämie nach Inhalation von erregerhaltigen Stäuben oder Aerosolen. In Deutschland mit jeweils <10 % seltene weitere Formen sind die okuloglanduläre Tularämie nach direktem Keimkontakt mit dem Auge sowie die oropharyngeale Manifestation nach Ingestion kontaminierter Nahrung oder Trinkwasser [2] . In seltenen Fällen können Haut-oder Lymphknotenmanifestationen ausbleiben, und das Krankheitsbild kann sich als isolierte Sepsis manifestieren. In diesem Fall wird die Tularämie -sofern der Infektionsweg nicht eindeutig einer der zuvor beschriebenen Formen zugeordnet werden kann -als typhoidal oder septisch bezeichnet [3] . Hierbei muss beachtet werden, dass die Inzidenzen in Europa regional deutlich schwanken, in Norwegen und Teilen der Türkei ist die oropharyngeale Tularämie beispielsweise die führende Manifestationsform [4] . Als Inkubationszeit werden in der Regel 3 bis 5 (1 bis 21) Tage angegeben [5] . Es handelt sich um eine hochinfektiöse Erkrankung mit einer minimalen Infektionsdosis von leidglich 10 bis 50 Bakterien und einer Letalität von bis zu 60 % ohne adäquate Therapie. F. tularensis wurde bis in die 1990er-Jahre als potenzielle Biowaffe gewertet und wird weiterhin diesbezüglich überwacht [6] . Hauptwirte des Erregers sind Nagetiere (Hasen, Kaninchen, Mäuse, Ratten, Eichhörnchen). Die Übertragung erfolgt durch direkten oder indirekten (Ausscheidungen, kontaminierte Lebensmittel/Wasser/Staub) Kontakt mit diesen Tieren oder durch Zecken und andere blutsaugende Arthropoden [7] . Infektionen domestizierter Tiere sind möglich, jedoch selten. Daher tritt die Erkrankung primär bei erwachsenen Patienten mit beruflichem Kontakt zu Primärwirten (Jäger*Innen, Förster*Innen, Landwirt*Innen, Tierärzt*Innen, Köch*Innen, Metzger*Innen) auf [5] . Abgesehen von dieser Patientengruppe sind Infektionen mit F. tularensis in Deutschland selten, insbesondere in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen. In Gesamtdeutschland wurden im Jahr 2019 lediglich 7 Tularämiefälle im Altersspektrum von 0 bis 18 Jahren gemeldet [8] . Aufgrund der Varianz der klinischen Manifestationen variieren auch die möglichen Differenzialdiagnosen je nach Form der Tularämie. Einheitliche Differenzialdiagnosen der meisten Formen stellen Infektionen mit klassischen Erregern von Weichteilinfektionen, Konjunktivitiden und Tonsillopharyngitiden (Streptokokken, insbesondere Gruppe-A-Streptokokken bei purulenter Tonsillopharyngitis, Staphylokokken, Bartonella henselae, Toxoplasma gondii) dar. Speziell bei der oropharyngealen Form zu berücksichtigen sind neben Infektionen mitAdeno-oderHerpesviren(auchmöglich bei okuloglandulärer Form) auch EBV-Infektionen oder -Reaktivierungen. Eine klinische oder radiologische Unterscheidung der pulmonalen Tularämie von anderen Formen der Pneumonie ist nicht möglich. Hinweise auf eine Infektion mit F. tularensis sind neben der (Berufs-)Anamnese ausgeprägte (einseitige) Lymphknotenschwellungen mit raschem Progress, insbesondere bei Vorliegen von (ulzerierten) Insektenstichen im von den betroffenen Lymphknoten drainierten Gebiet. Generell müssen bei unklaren febrilen Erkrankungen mit Lymphknotenschwellung stets auch maligne Erkrankungen differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden. Die Diagnostik beruht primär auf dem direkten Keimnachweis mittels RT-PCR aus infiziertem Material [6] . Die Serokonversion tritt erst mit bis zu 14 Tagen Verzögerung auf. Die kulturelle Anzucht gestaltet sich aufgrund des Bedarfs spezieller, cysteinhaltiger Spezialnährmedien als anspruchsvoll [5] . Tularemia: Clinical manifestations, diagnosis, treatment, and prevention DGPI-Handbuch: Infektionen bei Kindern und Jugendlichen: 10 Abbildungen, 7. Aufl. Thieme WHO guidelines on tularaemia: epidemic and pandemic alert and response, 1. Aufl. World Health Organization Thestatus of tularemia in Europe in a one-health context: a review Tiergesundheit: Tularämie Ulceroglandular tularemia in a toddler in Germany after a mosquito bite Institut SurvStat@RKI 2.0. https:// survstat.rki.de. Zugegriffen: 26