key: cord-0058233-ydc1uqak authors: Hofert, Svenja title: Zukunft der Führung date: 2020-08-13 journal: Führen in die postagile Zukunft DOI: 10.1007/978-3-658-28426-8_4 sha: 51c4983ea99465d859bc138682fd887dfdbb65d4 doc_id: 58233 cord_uid: ydc1uqak Führung heißt Richtung geben. Unter den aktuellen Bedingungen fundamentaler Umwälzungen bedeutet das vor allem auch, eine Richtung zeigen, Möglichkeiten auffächern. Das ist der Aspekt der Führung, den ich als Kunst, vor allem Sprachkunst bezeichne. Denn wer Richtung gibt, ohne dabei Gewalt auszuüben, muss sich Narrativen bedienen. Führungspersonen und Führungsteams, die das können, verbinden und katalysieren, was sie vorfinden. Sie wandeln um, verändern. Der andere Aspekt ist der des Designs einer Organisation und seiner Einheiten wie Teams. Das ist der Aspekt der Führung, der vor allem auf strukturellen Entscheidungen basiert, als Rahmengestaltung zu verstehen ist. Führung denke ich also überindividuell, sprachlich und strukturell. Das heißt keineswegs, dass Menschen überflüssig wären. Diese verkörpern vielmehr die mitreißende Fantasie, die sich in den Führungsnarrativen spiegelt. schon rein optisch präsentieren: Vom kuschligen Mischlingswelpen bis zum aggressiven Dobermann ist alles möglich. Was uns die Schilder sagen, ist nur im Kontext verständlich. Während einige uns Angst machen wollen, suchen andere Streicheleinheiten. Während einige es ernst meinen, wollen andere unseren Humor strapazieren. In jedem Fall berühren Schilder dieser Art unsere Emotionen -die Palette reicht von erschrocken bis erfreut. Nur der Kontext macht klar, um was es wirklich geht: die Art und Weise, wie sich der Hund oder das Hündchen auf dem Foto zeigt, wie sich das Grundstück präsentiert, wie der Besitzer auf uns zukommt. Und schließlich auch das Bellen des Hundes, laut oder leise, böse oder lieb. Der Kontext bestimmt den Inhalt, nicht das Wort, hier "Hund". So ist es auch bei Führung. Sie hat Hunderte, ja Tausende verschiedene Gesichter. Und es war immer schon eine verrückte Idee, sie vereinheitlichen zu wollen oder an einem bestimmten Verhalten und Personentyp festzumachen. Führung ist alles, was in Bewegung setzt, alles was Richtung gibt. Die aus dem Scrum bekannten agilen Führungsrollen Scrum Master und Product Owner haben uns durchaus weitergebracht. Sie zeigen, dass Führung anders sein kann als vielfach erwartet und man sie auf verschiedene Köpfe verteilen darf, wenn nicht muss. Sie zeigen auch eine andere Haltung, die dienende, Servant Leadership. Jedoch greift auch das noch zu kurz, deckt nicht das ab, was wir brauchen, um Führung im Umbruch neu zu denken. Und neu heißt hier vor allem komplexer als bisher, vielfältiger, kontextbezogener, aber auch erwachsenermit wachsender Klarheit, denn diese droht im Agilen gerade stellenweise verloren zu gehen. Doch der Weg ist lange nicht zu Ende: Führung muss von der Person gelöst und auch auf gesellschaftliche Aufgaben übertragen werden. Wirtschaftsführer sind Zukunftsgestalter. Aber auch sie haben einen Kontext: die Politik, die Rechtsgebung, das kulturelle Mindset. Dies alles kann man nur zusammen denken. Und die aktuellen Probleme etwa in der Automobilindustrie erklären sich nur aus den Zusammenhängen. Die bisherigen Führungsmodelle versuchen Widersprüche ein-und nicht auszuschließen. Sie verlangen ein entweder/oder. Macht oder Augenhöhe. Führen oder Folgen. Führungsposition oder keine Führungsposition. Der nächste Schritt wäre die Verbindung, das Sowohl-als-auch, nicht zeitgleich, aber im Wechsel, im Fluss. So paradox das klingen mag, das fordert mehr im positiven Sinn machtbewusste Menschen. Mein Vorschlag zur Bedeutungsgebung in Kap. 1 war, sich an der Unterscheidung nach Hannah Arendt zu orientieren, nach der Macht ein nach vorne treibender positiver Einfluss ist, während Gewalt Herrschaft im negativen Sinn bedeutet. Sie sieht also zwei Seiten der Macht: eine gute und eine böse, die sich typischerweise allerdings selbst auch als gut ansieht. Man könnte auch sagen, dass Wohin unterscheidet sich: Das eine zielt auf die Beherrschung der Menschheit, das andere auf die Befreiung. oder links. Aber wir haben diese Intuition verloren. Wir nehmen sie nicht mehr ernst. Ein Grund dafür ist die Arbeitswelt, wie sie bisher war. Sie ist uns antrainiert, da es in der Vergangenheit bewährtes Verhalten und gute Praktiken gab, die aber in der Gegenwart nicht mehr hilfreich sind. Die Intuition ist, wenn man so will, veraltet [1] . Wenn uns ein Pferd zulaufen würde, würden wir vermutlich ganz anders agieren als Erickson. Wir würden jedenfalls nicht auf die Idee kommen, dass das Pferd uns führen könnte. Wir würden auch nicht darauf kommen, dass es eine Kooperation geben könnte zwischen uns und einem anderen. Für uns gibt es nur Führen ODER Folgen, aber nicht beides. In der alten Welt, in der sich das Agile immer noch gern einreiht, war Führen Einzelarbeit, aber nicht Teamwork. Wir bewerteten Führen und Folgen auch unterschiedlich: Das Führen war und ist für uns mehr wert als das Folgen, weshalb wir "Führungskräften" höhere Gehälter zahlen. Das Folgen ist für uns weniger wert, weshalb Angestellte und Arbeiter weniger verdienen. Führungs-Kraft ist für uns verbunden mit einer Position. Was denken Sie, wem gebührt im Beispiel von Milton und dem Pferd ein Lob? Nicht dem einen oder anderen, sondern beiden! Erickson ist es gelungen, eine Beziehung zu dem Pferd aufzubauen, nur dadurch wurde das Zusammenspiel möglich. Stellen Sie sich vor, das Pferd hätte Angst gehabt oder der spätere Psychiater. Das aber ist der Normalfall: Wir haben Angst und diese verhindert intuitives Verhalten und einen natürlichen Wechsel zwischen Führen und Folgen. Was spricht dagegen, dass mal der eine, mal der andere die Führung übernimmt, je nachdem, um was es geht? Warum Führung nicht als Teamwork sehen, die mindestens einen braucht, der führt, und einen, der folgt? c Visualisieren Sie einen Fächer, der sich in der Mitte teilt und auf der einen Seite in den führenden und auf der anderen in den folgenden Bereich zeigt. So entsteht ein 180-Grad-Bogen. Wann sind Sie wo? Und wann könnten Sie mehr auf die andere Seite gehen, also mehr loslassen oder klarer sein? Das ist wie ein Tanz, ein Tango mit der guten Macht, im Sinne des gemeinsamen Schaffens und Schöpfens. Meist ist eine Absprache nötig, wer jetzt übernimmt. Auch diese kann situativ erfolgen, aber auch das nur, wenn das Umfeld vertrauensvoll und daran gewöhnt ist. In diesem Sinne kann jeder Führung übernehmen, es braucht keine Positionen und nicht einmal Rollen. Es braucht jedoch ein starkes und für alle sichtbares und attraktives Ziel. Die Führung ist nun zuständig dafür, dass alle den Weg verstehen und auf diesem mitgenommen werden. Führung ist in einem solchen intuitiven Wechsel nicht auf Dauer angelegt, und sie muss es auch sonst nicht sein. Das Credo von "Einmal Führungskraft, immer Führungskraft" hat die derzeitige starre Hierarchie geschaffen, in der jeder sich auf seinem Platz festsetzt oder diesen als Übergang zum nächsten Level betrachtet. Der verfolgte Wert ist dabei oft mehr die Karriere als die mit der Position verbundene Aufgabe. In vielen Jahren als Coach ist mir selten jemand begegnet, der wirklich den Blick auf seine jeweilige Gruppe, das Team oder Kollektiv richtete. Führungskräfte sind bisher vorwiegend mit sich selbst und der "Bändigung" von Einzelpersonen beschäftigt, die sie Motivation nennen. Dabei muss es um Teams, Gruppen und Kollektive gehen. Meist waren es für den Gesamtkontext wenig fruchtbare Themen, sondern individuelle "Schatten" die den Blick verstellten. Die Ausnahme-Führungskräfte, die anders damit umgingen und diese Dinge auch wahrnehmen konnten, hatten oft mit "Widersachern" zu kämpfen, denen genau die Teamorientierung eher ein Dorn im Auge war. Das hat mich sehr geprägt und auch erschreckt. Gewundert jedoch nicht: Das Wirtschaftssystem im Effizienzparadigma bringt oft genau das hervor. Sie gestalten auch die Narrative der Organisation. Dabei ergeben maximal drei Personen eine sinnvolle Einheit an der Spitze, wovon mindestens eine die narrative Kompetenz mitbringen sollte. Mitarbeiterinnen brauchen hingegen weiterhin persönliche Ansprechpartner, wenn es um ihre Sorgen und Nöte, ihre Entwicklung und ihr Vorankommen geht. Diese Fragestellungen brauchen sind eng mit einer bestimmten Person verwoben, die besonderes Vertrauen genießt. In den derzeitigen Gesellschaftsformen müssen eine oder mehrere Personen die rechtliche Verantwortung tragen. So geht eine Geschäftsführerin in die rechtliche Verantwortung mit einer GmbH. Wenn sie nicht rechtzeitig agiert, etwa bei drohender Insolvenz, drohen Haft-und Geldstrafen. Es ist naiv, eine solche Aufgabe von der Entscheidungsbefugnis zu entkoppeln, weil diese Teil des Konzepts ist. Ebenso ist es naiv, Inhabern generell kollegiale Führungsmodelle mit Beteiligung nahezulegen. Das ist dann sinnvoll, wenn es zu den Rahmenbedingungen passt, beispielsweise bei einigen Handwerksbetrieben. Das ist dann nicht sinnvoll, wenn es die Innovationskraft einer Gründerin ist, die ein Unternehmen voranbringt. Allerdings muss dies nicht notwendig aus einer Geschäftsführung heraus geschehen. Stellen Sie sich einfach vor, Steve Jobs hätte Design-Entscheidungen demokratisch getroffen. Stellen Sie sich dann vor, er hätte Personal-Entscheidungen demokratisch getroffen. Wahrscheinlich kommen Sie zum selben Schluss wie ich: Geht es um Innovationen und starke Richtungsänderungen braucht es eine starke Lenkung durch eine mit einer Idee assoziierte Person. Zur Rahmengestaltung der Führung gehört die schon in Kap. 2 beschriebene Ermächtigung -die Übertragung von Macht und deren Insignien auf eine Person oder eine Personengruppe. Dieser Prozess gibt der Person die Vollmacht, die Berechtigung. Sie braucht offiziellen Charakter, denn: Macht fußt auf Autorität, muss aber auch verkörpert werden können. In kleinen Gruppen entstehen oft Machtstrukturen, die in ein Wir-gegen-die-anderen umschlagen, wie Studien aus der Sozialpsychologie zeigen. Das "Robbers Cave Experiment" [2] , bei dem Jugendgruppen gezielt zum Wettbewerb gegeneinander angestiftet wurden, wodurch feindselige Gangs entstanden, ist allerdings inzwischen sehr umstritten. Es kann auch ganz anders ausgehen, wenn Menschen sich selbst organisieren, sehr positiv und friedlich. Dabei helfen, das ist unbestritten, Strukturen mit denen man sich organisiert. Das wichtigste "Gefäss" dabei sind Treffen, in denen Entscheidungen getroffen werden und die Gruppe über sich selbst spricht. Je mehr das geschieht, wissen Gruppendynamiker seit Kurt Lewin, desto mehr entwickelt sich auch die Persönlichkeit des Einzelnen in der Gruppe sowie die Gruppe selbst. Eine besondere, in den Medien oft nicht weiter erwähnte Rolle, kam Zhang Ruimins Geschäftspartnerin Yang zu, die für die kulturelle Transformation zuständig war. Haier organisierte sich konsequent um drei Kernwerte und davon abgeleitete Prinzipien wie "Users are always right; we need to improve ourselves". Weiterhin lebt Haier das Prinzip Innovation und Unternehmertum. "This value envisions a shift in mindset from being a managed worker top embracing the possibility, however challenging, of becoming the CEO of an entirely new business." Die kleinen selbstorganisierten Einheiten handeln eigenständig, aber ergebnisorientiert. Sie gleichen sich in ihrem strukturellen Aufbau. Der dritte Wert ist die Selbstorganisation von Teams. Mit sich selbst steuernden Einheiten, den Zi Zhu Jing Ying Ti-Teams (ZZJYI), will der 66-jährige Zhang Ruimin das Unternehmen nun für die digitalen Umwälzungen fit machen. Die 2000 ZZJYI sind für Gewinn und Verlust verantwortlich und funktionieren wie Inkubatoren für Startups. Mitarbeiter sollen auf Kunden, nicht auf Chefs hören. Heute gehört Haier mit 80.000 Mitarbeitern weltweit zu den Top 100 Unternehmen der Forbes-Liste [3, 4] . ◄ Führung kennt drei Seiten: eine formale, eine effektive und eine psychologische. Unter Beschuss geraten ist vor allem die formale. Die agile Bewegung, mindestens ein Teil von ihr, ächtet formale Macht. Sie will, dass diese möglichst wenig gelebt wird, damit Selbstorganisation möglich wird. Ich sehe das anders: Es geht darum, dass die formale Macht möglichst eindeutig und klar das WOHIN beschreibt und Rahmen gestaltet, die Wege dahin selbst zu finden. Das Beispiel von Haier zeigt in eine Richtung, in die es gehen kann. Eine offizielle Position verleiht auch Autorität und reduziert die Komplexität. Zu viel Interpretations-Spielraum überfordert Mitarbeiterinnen. "Der Kunde hat immer recht, wir nutzen jede Reklamation als Chance zur Verbesserung": Solche Prinzipien nehmen Spielraum, wirken aber nur als Ausgabe von der Unternehmensführung. "Wir entscheiden immer zugunsten der Nachhaltigkeit" würde Raum ebenso klar begrenzen. Entscheidend ist dabei weniger die einmalige Formulierung als die konsequente Orientierung (siehe Zukunftskompass Abschn. 2.1). Wir sollten aufhören, nach Führungskräften zu suchen, die eine bestimmte Seite wie "Kollegial" oder "Durchsetzungsstark" vertreten. Gerade an der Spitze eines Unternehmens sollte eine integrative Sicht-und Handlungsweise in den Mittelpunkt rücken, ein dem Kontext angepasstes variables Verhalten -weder Axt im Wald noch Fähnchen im Wind. Es ist ein Einfühlen in Menschen und Anschmiegen an Situationen einerseits, und die klare Stellung und Position andererseits. "Tatsächlich handelt es sich bei diesen Positionen gar nicht um zwei Positionen auf einem logischen Kontinuum. Vielmehr geht es um die dialektische Beziehung zweier widerstrebender und doch miteinander verwobener menschlicher Strebungen, die sich gar nicht auseinanderdenken lassen. Theodor W. Adorno nannte das Begriffspaar Memesis und Ratio." Diese Art von Führungnennt der Autoritätsforscher Frank Baumann-Habersack "neue Autorität". Hans Weber hat seinen Traditionsbetrieb seinen Mitarbeitern übertragen. Damit macht er Werbung überall. Er ist sehr stolz, ein solches Vorzeigeprojekt zu haben. Insgeheim hofft er, dass ihn das entlastet von Richtungsentscheidungen, zudem glaubt er, sich Konflikten nicht mehr stellen zu müssen. Er sieht nicht, dass er als Gründer allein durch seine Anwesenheit und seine Herkunft etwas ausstrahlt und bewirkt. Einfache Nachfragen verunsichern die Mitarbeiter, es kommt kein Schwung ins Unternehmen. Zwar ist die formale Macht abgetreten, doch nun ist ein Machtvakuum entstanden, das keinesfalls eine Verbesserung ist, sondern letztendlich zu Stagnation führt. ◄ Formale Macht wird oft mit Hierarchien in Verbindung gebracht, die sich über 20 Etagen erstecken und Innovation im Keim ersticken. Doch in der aktuellen Umwelt ist genau dies nicht zielführend: Die so geführten Tanker erleiden Schiffbruch. Formale Macht kann auch ganz anders verankert und gelebt sein. Ohne das mittlere Management und die funktionale Gliederung kommt durch Teamstrukturen Bewegung in eine Organisation. Wenn wie bei Haier kleine Einheiten agieren, kommt dies auch dem menschlichen Bedürfnis nach einer überschaubar großen Gruppe nach -etwa sieben plus/ minus zwei Personen bilden ein vertrautes Team, bis zu 15 eine kleine und bis zu 50 eine große Gruppe. Dunbar untersuchte in seinen Arbeiten den Zusammenhang zwischen der Größe des Neocortex und der Gruppengröße. Viele Praktiker übertrugen das in ihren Kontext und stellten fest, dass sich die Erkenntnisse auch auf Organisationen aller Art übertragen lassen. Formale Macht muss psychologisch und effektiv gefüllt werden können, sonst wirkt sie allein als "Ordnungshüter", etwa gekennzeichnet durch eine Uniform. Effektive Macht richtet sich auf die Ziele des jeweiligen Systems. Damit liegt effektive Macht oft nah an dem, was unter Management verstanden wird. Doch muss sie das auf eine Art und Weise tun, die psychologische Akzeptanz bei den Mitarbeitern findet, wenn sie nicht stark an die formale Macht gebunden sein will. Ganz einfach gesagt: Der Mensch oder das Team in seiner formalen Funktion muss von den anderen ernst genommen werden. Je unscheinbarer die Insignien der Macht, desto wichtiger die persönliche Stärke. Nach Kann ein Weltkonzern starre Strukturen auflösen, die Innovationen behindern und das Unternehmen unbeweglich machen? Als Vasant Narasimhan im September 2017 mit 41 Jahren zum neuen Novartis-Chef gekürt wurde, suchte er nach einer Metapher, um den radikalen Kulturwandel bei dem Pharmariesen damit zu verbinden. Er fand sein Narrativ in Form eines Buchtitels. Der dänische Autor Lars Kolind hatte zusammen mit Jacob Bøtter "Unboss" geschrieben. Kolind ist ein dänischer Unternehmer und Mathematiker, der den Hörgerätehersteller Oticon in den 1990er-Jahren in die Gewinnzone führte. Dabei implementierte er die so genannte "Spaghetti-Organisation". 2007 gründete er die "Liberale Allianz", die sich für liberale bis libertäre Ziele einsetzt. Der Novartis-Chef begann damit ein Experiment in einem Mega-Weltkonzern, denn das Unternehmen hat mehr als 105.000 Mitarbeiter [5] . Diese sollen "unbossed" werden, also eigenverantwortlich handeln und sich nichts vorschreiben lassen. Sie sollen "speak up", also den Mund aufmachen, wenn der Chef auf dem Holzweg ist. Wir alle sehnen uns nach einer Person, der wir vertrauen, die mehr weiß und kann als wir, die weiser ist, die uns die Last von zu viel Verantwortung abnimmt. Psychologische Macht lässt sich anders als effektive nicht auf Teams verteilen. Sie ist gebunden an eine Person, die sich mit einer Idee verbindet und Narrativ gestalten kann. Die psychologische Funktion lässt sich in eine mütterliche und eine eher väterliche Funktion, in Yin und Yang aufteilen. Die väterliche gibt die Vision vor, die Richtung, zeigt den Weg. Die mütterliche gibt Wärme, Vertrauen, Geborgenheit. In jedem von uns sind immer beide Seiten vorhanden, Psychologen wissen, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern geringer ist als innerhalb der weiblichen oder männlichen Gruppe. In Gruppen bilden sich Kräfte, die einem sehr dominanten Feld entgegenwirken. Da springen Menschen sozusagen in ein psychologisches Vakuum: Fehlt das Mütterliche, sucht man nach dem Väterlichen, noch mal: geschlechtsunabhängig. Höher bewertet wird indes immer noch das Väterliche -zu Unrecht. Clevere Führungsarchitektinnen sorgen für einen Ausgleich. Es ist interessant in der Praxis zu beobachten, dass das alles mit Persönlichkeitseigenschaften kaum etwas zu tun hat. Lücken füllen sich mit Menschen und diese füllen diese aus, wenn sie das fehlende Element verkörpern können. In einem sehr guten Führungsteam geschieht dies im Wechsel, kann der eine wie die andere die jeweils gegengerichtete psychologische Position ausfüllen. c Eine agile Coachin kann in einem bestimmten Kontext eine psychologische Funktion ausüben. Dann ist sie eine weise Ansprechpartnerin, die den Teams hilft, sich selbst zu helfen. Dabei kann sie mehr strukturgebend-väterlich und mehr fürsorglich-mütterlich sein. Manche vermögen auch beide Seiten in einer Person zu vertreten und zeigen situativ die Seite, die gebraucht wird. Der Soziologe Niklas Luhmann vermittelte uns die Erkenntnis, dass die einzige Chance im Umgang mit Komplexität darin besteht, zu vertrauen [6] . Das zeigt an, dass der psychologischen Funktion gerade in diesem Umfeld eine sehr große Bedeutung zufällt. Gut, wenn sie ein höheres "Level fo Agility" haben, sich also leichter an sich verändernde Bedingungen anpassen und mehr noch diese gestalten können. Denn dann fällt es ihnen auch leichter, ihren Kontext zu verändern. Auch das wird erst möglich, wenn man es selbst für möglich hält. Die Sache hat nur einen Haken: Es ist schwer, sein eigenes Level wahrzunehmen, je fixierter das Mindset, desto deutlicher das Streben, an Selbst-und Fremdbildern festzuhalten. Auch an falschen, also ungeöffneten, mit vielen blinden Flecken. Zudem haben sich im Industriezeitalter bei den Führungspersonen vor allem jene am meisten langfristig in gleicher Position bewährt, die nicht allzu viel Entwicklung zugelassen haben; Kaiser Wilhelm II ist da nur ein besonders prägnantes Beispiel. Festhalten ermöglichte eine straffe Orientierung an Qualität und Standards. Es unterband Diskussionen, ermöglichte Abkürzungen. "So und nicht anders" war lange Zeit durchaus ein guter Rat. Doch die Zeichen der Zeit stehen auf "Es muss jetzt anders gehen". Nicht, dass Qualität nicht mehr wichtig wäre. Nicht, dass manche Entscheidungen besser ohne zuviel Diskussion gefällt werden sollten. Nein, das Augenmerk muss auf verschiedene Aspekte und Möglichkeiten fallen, wobei der Blick für das große Ganze entscheidet, welcher jetzt gerade wichtiger ist. Eine gut trainierte Intuition hilft da sehr. Und gut trainierte Intuitionen haben vor allem Menschen, die nicht so stark festhalten und immer wieder neu lernen, die den eigenen Irrtum problemlos eingestehen können und damit auch ihre Intuition updaten. Doch die einen reagieren früh auf Impulse, die anderen spät oder sogar nie (wenn der Kontext sie nicht zwingt). Die einen lassen sich vom Kontext festhalten, die anderen nehmen Einfluss und prägen ihn. Letztere sind typischerweise jene Menschen, die den derzeitig wirkenden Kräften ein bis zwei Level voraus sind. Der Abstand ermöglicht es ihnen, mehr wahrzunehmen als die anderen. Gleichzeitig sind sie noch nah genug dran, um von den anderen verstanden zu werden. Ist der Unterschied zu groß, könnte es sein, dass gegenseitiges Verständnis schwierig oder zum dauernden Kraftakt wird. Wenn wir von Leveln sprechen, so hat die Entwicklung hin zu einem späteren Level immer mit diesem Prozess der steigenden Bewusstheit zu tun. Jedes weitere Level schließt das vorherige ein und bringt es auf ein weiteres Niveau. Die Komplexität wächst damit an. Das ist der Grund, aus dem Entwicklung bedeutet, dass wir Komplexität erhöhen müssen. Erst dieser Prozess ermöglicht Reduktion. In meinem Buch "Das agile Mindset" habe ich vereinfachend von Wir-, Richtig-, Effektiv-und Flexibel-Modus gesprochen und das in Kap. 3 wiederholt. Diese Modi veranschaulichen die Denkstrukturen: Im Wir-Modus steht die Orientierung an den Normen und Werten einer Gruppe im Mittelpunkt, welche das auch immer sein mögen -man kann einer Krawall-Logik genauso folgen wie einer Ordnungsnorm. Im Richtig-Modus orientieren sich Menschen an den Standards ihres Fachs oder der Identität gebenden Berufspro-fession. Im Effektiv-Modus geht es darüber hinaus um Ziele, die zu erreichen sind und die an Werte geknüpft sind, etwa an Wirtschaftlichkeit. Wachsen Menschen in den Flexibel-Modus, so können sie sich davon auch wieder lösen, um zu erkennen, dass es viele Perspektiven gibt, die alle ihre Berechtigung haben. Wenn wir Joiner und Josephs Brille aufsetzen, ermöglicht dies eine weitere Differenzierung und die direkte Übertragung auf das Führungshandeln. Zunächst lässt sich grob zwischen konventionellen und postkonventionellen Leadern unterscheiden. Konventionelle Führungsmenschen richten sich an den vorhandenen Konventionen aus, postkonventionelle sind in der Lage, sie neu zu gestalten. Rosabeth Moss Kanter, inzwischen emeritierte BWL-Professorin in Harvard, nannte die konventionellen "Segmentalisten" und die postkonventionellen "integrative Manager" [7] . Der erste Typus löst Probleme getrennt voneinander, wobei er Schwierigkeiten hat, Zusammenhänge wahrzunehmen. Der zweite Typus nimmt integriert ganzheitlich und kann deshalb auch den größeren Bogen schlagen. Er verliert sich nicht in Details und Einzelaspekten. Innerhalb dieser Typen gibt es eine weite Spanne. Joiner und Josephs beginnen mit der Expertin (Abb. 4.2). Das Level davor nennen sie "Pre-Expert". Hier ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe noch wichtiger als die Expertise, weshalb Pre-Experts die Zugehörigkeit höher bewerten als die fachliche Argumentation. Sie würden im Zweifel also lieber in der sachlichen Argumentation zurückstecken, um damit Teil eines Kreises zu bleiben. Ihre Tendenz, Dinge nicht zu thematisieren, die man in einer Gruppe unter den Tisch kehrt, könnte man auch konformistisch nennen. Vor diesem Hintergrund bezeichnen Torbert und Rooke dieses Level als "Konformist". Laut den Zahlen von Joiner und Josephs, die auf einer Stichprobe von 345 Managern aller Hierarchielevel beruhen, sind 45 % im Experten-Level, was den Pre-Experten mit einschließt. "Experts are so named because they´re strongly motivated to develop subject-matter expertise, and because they assume that a leader´s legitimate power comes from expertise and positional authority. Experts (roughly 45 % of all managers) are the least agile of those profiled in the chart, but they´re more agile that about 10 percent who remain in pre-expert levels." [8] Wenn die Expertin einen Führungsauftrag annimmt, so schafft sie sich erst einmal einen inhaltlichen Überblick. Sie wird die Fachthemen wahrnehmen und sich auf die gegenwärtige Lösung von Problemen konzentrieren. Eine langfristige Orientierung fehlt. Probleme löst sie, indem sie sie einzeln angeht. Zusammenhänge kann sie kaum wahrnehmen, Szenarien nur schwer von sich aus interdisziplinär entwickeln. Andere beurteilt sie durch die fachliche Brille. Expertinnen entsprechen einer E5 nach Loevinger. Visionen sind, wenn es sie überhaupt gibt, technokratisch und begrenzt sowie begrenzend. Im Dialog fällt auf, dass Experte und Expertin wenig fragen und kaum wirklich zuhören. Sie wollen wissen, was sie tun sollen, und orientieren sich dabei an Vorgaben oder gelernten Standards. In ihrem Verhalten fällt auf, dass sie nur einer "These" folgen, sich also nicht dialektisch orientieren können. Wenn sie sich beispielsweise als partizipativ führend erkennen, lehnen sie das Autoritäre häufig entschieden ab -oft nicht bemerkend, wie autoritär sie selbst handeln. Wenn sie gleiche Augenhöhe als erstrebenswert bewerten, fällt es ihnen schwer, Zusammenhänge mit klarem Statusgefälle zu akzeptieren. Die Fähigkeit, sich in unterschiedlichen Rollen angemessen zu bewegen, fehlt weitgehend. Expertinnen geraten in eine Krise, wenn sie registrieren, dass sie an Grenzen stoßen, wenn beispielsweise nicht sie befördert werden, obwohl ihnen das laut eigener Selbsteinschätzung zustünde. Es kann sein, dass sie sich anderen gegenüber klein fühlen, die mehr zu bemerken scheinen als sie selbst, oder dass sie Gruppendynamiken in ihrer Komplexität überfordern. Mit offenen Prozessen ohne klare Strukturen können sie überhaupt sehr schlecht umgehen. Sie öffnen sich ungern in der Gruppe, weshalb ihre Retrospektiven wenig Tiefgang haben. Die Achieverin (Abb. 4.3) ist neben der Expertin das am meisten verbreitete Managermodell. Die Achieverin glaubt an Motivation; sie möchte Menschen voranbringen. Ihr Aufmerksamkeitsfokus hat sich also verändert. Sie entsprechen einer E6 nach Loevinger. Die Achieverin hat anders als der Experte einen Blick für das große Ganze entwickelt. Die Motivation von Achieverinnen liegt darin, Ziele zu erreichen, die sich in deren nun ausgebildeten eigenen Wertesystem spiegeln. Sie orientieren sich an übergeordneten Werten, also solchen, die nicht nur für sie selbst pragmatisch und nützlich sind. Dabei erkennen sie die großen Zusammenhänge, die durch die Werte ein Gerüst bekommen, und verhaken sich nicht mehr nur in Details. Der Blick für das Ganze macht es ihnen möglich, Zusammenhänge zu erkennen. Als Führungspersonen erkennen sie die Bedeutung von Motivation und Befähigung. Sie möchten andere voranbringen und erkennen deren Entwicklungsmöglichkeiten. "Achiever authority comes also from motivating others by making it challenging and satisfying." [8] Das Weltbild ist im Vergleich zur Expertin viel dynamischer geworden (Abb. 4.2). Ihr Verhalten haben sie sich nunmehr so entwickelt, dass sie zwar einer "These" folgen, die anderen aber zu einem gewissen Grad ebenso sehen und auch integrieren können. Das versetzt sie in die Lage, auch das eigenen Werten gegenüberliegende Verhalten als positiv und wertstiftend zu erkennen. So kann es sein, dass sie Menschen fördern, die ihnen nicht gleich sind, sondern die ergänzende Stärken besitzen. Die Achieverin gerät in eine Krise, wenn sie registriert, dass das eigene Wertesystem Grenzen hat. Wer beispielsweise an Selbstverwirklichung glaubt und erkennt, dass nicht jeder Mensch danach strebt, könnte davon erschüttert sein. Dieser Effekt kann auch eintreten, wenn Achieverinnen merken, dass sie selbst alles erreicht haben, was das eigene Wertesystem hergibt, etwa eine Vorstandsposition, aber dennoch innerliche Leere fühlen. Auch sehr komplexe Zusammenhänge überfordern, weil die Achieverinnen noch Schwierigkeiten haben, sich voll und ganz auf sich zu besinnen und den anderen einzulassen. Das gelingt im postkonventionellen Bereich, der danach (ab 4.2.1.3) beginnt, immer besser. Sie neigen dazu, sich stark auf agile Werte einzuschließen und sehen weniger, dass es zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Situationen verschiedene Handlungsweisen braucht. "In the catalyst stage, people begin to feel more at ease with change and uncertainty, and the develop a broader, longer-term view of environment within which they live and work. They also develop a strong interest in the process of life and the process of human experience." [8] Wachsen Menschen über den recht stabilen Achieverinnen-Modus hinaus, öffnen sie die Augen und Ohren für Menschen und Beziehungen untereinander. Die Achieverin kann das auch tun, ist dabei aber mehr an Einzelpersonen orientiert und neigt eher der Überzeugung zu, etwas sei genau richtig so. Die Einsicht, dass jede Sichtweise eine Perspektive ist, ist intellektuell verstanden, aber schwer in Handlung übersetzt werden. Die Achieverin fällt immer in ihr Weltbild zurück und gleicht anderes mit diesem ab. Katalysatorinnen haben dieses Weltbild gelockert. Sie entsprechen einer E7 nach Loevinger oder der Flexibel-Modus. Diese starre Perspektive haben Katalysatorinnen weitestgehend verloren. Sie sind weicher, flexibler, relativieren, was ihnen auch als Schwäche ausgelegt werden kann. Sie können unterschiedliche Perspektiven aber auch leichter stehenlassen, müssen Widersprüche weniger auflösen, was sich als Souveränität erweisen kann und oft in konfliktären Situationen sehr wertvoll ist. Sie wenden sich mehr den menschlichen Aspekten und den Beziehungen zu, weshalb sie ihr Augenmerk auf die Kraft der Zusammenarbeit zu richten beginnen. Ihre Empathiefähigkeit ist deutlich gestiegen; sie vermögen sich leichter in andere hineinversetzen (Abb. 4.4). Sie erkennen auch mehr Facetten von anderen, nehmen widersprüchliche Gesten eher wahr und haben ein feineres Gespür für Stimmungen -was sie auch ausdrücken und kommunizieren können. An Schnittstellen sind sie, wenn passende Persönlichkeitseigenschaften und Kompetenzen dazu kommen, oft wirksam, ebenso im agile Coaching. Sie können eher Dinge ausprobieren und verschiedene Brillen aufsetzen, was sie kreativer macht. Ihre fortgeschrittene Bewusstheit für die Macht unterschiedlicher Perspekti- ven führt dazu, dass sie eigene Annahmen und die von anderen zunehmend in Frage stellen. Sie können dadurch wechselnde Blickwinkel einnehmen und unterschiedliche Menschen besser erreichen. Sie können sich viel leichter in These und Antithese einfühlen und das auch in Handlungen übersetzen. Sie verstehen nun ganzheitlicher, wie sie durch die eigene Handlung ihr Umfeld mitgestalten können. Sie können eine Haltung einnehmen, aus der heraus sie sich auch selbst differenzierter betrachten können. "Co-Creators add to the Catalyst orientation a more fully experiential awareness that develops the intellectual and emotional capacities needed to create deeply interdependent relationships." [8] Was der Katalysatorin noch fehlt, hat die Co-Kreatorin entwickelt: Die Fähigkeit zu einer neuen Klarheit. Diese war schon einmal da: Als Achieverin schien die Welt in sich geschlossen, was erreicht werden sollte, war einigermaßen oder sogar sehr klar. Co-Kreatorinnen bringen diese Klarheit auf eine neue, über-oder postkonventionelle Ebene. Während Achieverinnen vor allem konventionelle Maßstäbe erfüllen, denken und fühlen sie sich darüber hinaus. Das macht ihre Ideen und Herangehensweisen oft originell und überraschend. Es sind etwa vier Prozent, die sich dahin entwickeln. Co-Kreatorinnen entsprechen einer E8 nach Loevinger, sie sind also "construct-aware". Das bedeutet, dass sie nicht mehr nur intellektuell verstehen, dass es verschiedene Wirklichkeiten gibt, sondern das auch fühlen und als Handlungswirklichkeit annehmen (Abb. 4.5). Sie neigen immer mehr dazu, sich für Vorhaben einzusetzen, die einen übergeordneten Sinn haben. Der Respekt vor der Autonomie anderer steigt, weil sie wissen, dass diese in ihrer eigenen Lebenswirklichkeit in sich schlüssig sind. Sie können nicht mehr nur die verschiedenen Sichtweisen erkennen und auch sehen, wo diese miteinander in Konflikt stehen, sondern sich auch ganz bewusst für Sichtweisen entscheiden und neue entwickeln. Überhaupt liegt darin eine der wichtigsten Fähigkeiten: aus den vorhandenen Ideen, Gedanken und Strömungen etwas Neues zu schaffen. Co-Kreatorinnen sind deshalb erstmals zu einer Dekonstruktion fähig: Sie erkennen, wie und wodurch Wirklichkeit konstruiert ist, und können sie deshalb auch neu zusammensetzensowie Prozesse begleiten, in denen das geschieht. Dabei erkunden sie die Standpunkte ihres Gegenübers meist ausführlich, was sie in die Lage versetzt, kreative Problemlösungen mit Win-Win zu konstruieren. Sie können schwierige Situationen, eigene Zweifel und widersprüchliche Gefühle noch länger aushalten als Katalysatorinnen. Weiterhin sind sie viel eher bereit, neue Perspektiven einzunehmen und neue Dinge auszuprobieren als diese. Deshalb eignen sie sich auch sehr gut für strategische Rollen in Veränderungsprozessen. Sie sind ideal z.B. als Organisationsentwickler -wenn das Unternehmen entsprechend fortgeschritten ist. Ihre Krise erleben sie, wenn sie ihre eigene Subjektivität erleben und die immer noch vorhandenen Bewertungen zu hinterfragen beginnen. "At this stage people develop a strong wish to engage with life in all its fullness, a deep concern about human issues, and an evolving sense of life purpose." [8] Co-Kreatorinnen glauben noch, dass es das Gute geben könnte, was dem Bösen überlegen ist. Sie suchen noch nach Wahrheit, nach Selbstverbesserung. Synergistinnen haben erkannt, dass vieles am Ende auf dasselbe hinausläuft. Das Böse ist immer auch das Gute im Kleid des Bösen. Sie haben ein starke Seins-und Jetzt-Perspektive entwickelt, interpretieren diese aber nicht dogmatisch. Spätestens jetzt kommen spirituelle Aspekte hinzu, kein Leader wird nur noch auf wirtschaftliche Zusammenhänge schauen, es geht um sehr viel mehr. Als spirituelle Leaderinnen werden sie aber eher nicht sagen, dass das eine dem anderen überlegen ist, sondern mit einer großen Offenheit in die Welt schauen. Einer Offenheit, die nur noch in wenige Kontexte passt. Nur noch ein Prozent erreicht dieses Level, das einer "E9" entspricht, die nicht mehr von Jane Loevinger, sondern erst von Cook-Greuter statistisch belegt werden konnte, (Abb. 4.6). Auch wenn ihre Überzeugungen nicht von anderen geteilt werden, arbeiten Synergistinnen an der Veränderung ihrer Umwelt. Sie begreifen sich als Gestalter von Wirklichkeit, von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Synergistinnen neigen dazu, die "power of presence" zu nutzen, die aus dem bewussten Moment kommt, in dem sie sich und die anderen in der Gegenwart wahrnehmen -ohne zu bewerten, einzuordnen, zu interpretieren. Dabei spüren sie die energetischen Dynamiken zwischen Menschen, Gruppen und Organisationen. Sie können in widersprüchlichen Situationen fokussiert bleiben und verschiedene Interessen betrachten, ohne sie unbedingt miteinander vereinbaren zu müssen. Es muss nicht mehr für alles eine Lösung geben, es kann auch ganz einfach sein. Die ewige Versuchung, alles und jeden zu bewerten, lässt nach und schwindet dann. "The wish that synergists have to engage with life in all its fullness leads them to cultivate a direct, present-centered awareness of their five senses, their physical presence, their thought processes, and their emotional responses." [8] Sie streben danach, sich von reaktiven mentalen und emotionalen Mustern immer mehr zu befreien, um sich dem Wunder des Lebendigseins zuwenden zu können. Krisen erleben Synergistinnen dann, wenn sie zurückfallen oder merken, dass andere sie nicht verstehen oder ihr Verhalten missinterpretieren. Eine weitere Entwicklung wird eher dazu führen, dass sich Synergistinnen von traditionellen Organisationen abwenden. Tab. 4.1 zeigt alle Leadership-Level nochmals in einer Übersicht. Was macht denn das Team? Kim: Ich habe zwei Teams, die ich in den Rollen als Scrum Master und agiler Coach betreue. Das ist sicher noch nicht optimal, die Rollen müssten getrennt werden …. Wie es ist, ja …. Ein Team legt sich so richtig ins Zeug, das andere positioniert sich ein wenig gegen agiles Arbeiten. Manchmal fehlt einfach der Sinn, dann brechen Dynamiken durch. Der neue CEO muss da nachlegen. Wir brauchen Purpose, der gibt Drive und Zielorientierung. Ich versuche da mein Bestes, auch im Kleinen. Wie gehst Du mit Konflikten um? Kim: Ich hoffe, angemessen. Ich bin fest überzeugt, dass man frühzeitig offen sprechen muss. In den agilen Retrospektiven schaffe ich den Rahmen, damit die Dinge rauskönnen. Vertrauen ist wichtig, das Wichtigste! Du sprachst damals von schwierigen Charakteren? Kim: Ja, das sind einige extreme Fachexperten, die nichts gelten lassen. Mit denen klarzukommen ist nicht ganz einfach … Gleichzeitig brauchst Du sie, weil sie so viel Erfahrung haben. Ein agiles Mindset entsteht ja nicht an einem Seminartag. Und was steht an in der Organisation? Kim: Steckt mitten in der Transformation. Niemand weiß genau, wo wir hinsteuern. Wir können nicht mehr planen wie immer, aber die Leute müssen sich an etwas orientie-ren. Wir brauchen eine vernünftige Digitalisierungsstrategie. Die Führungskräfte kümmern sich zu wenig darum, die mischen immer noch im Tagesgeschäft mit. Wie stehst Du denn dazu? Kim: Ich sehe das als Chance. Die Digitalisierung kannst Du nicht aufhalten. Es ist eine spannende Zeit, in der wir gerade jetzt die Stellschrauben für die Zukunft justieren. Mir gefällt auch, dass die Kundenperspektive nun wieder in den Vordergrund rückt. Agiles Arbeiten darf man auch nicht verwechseln mit "laisser-faire". Es geht darum, dass die Bürokratie die Leute nicht abhält. Es kann die Leistung erheblich steigern, wenn das Team sich auf eine Sache konzentrieren kann, das sehe ich bei dem einen Team. Wie sieht es denn bei euch in der Führungsetage aus? Wenn der Change jetzt auch die oberen Ebenen berührt …? Kim: Naja, das Übliche. Die leben das zu wenig vor. Es reicht nicht, sich Turnschuhe anzuziehen. Das mache ich anders. Auch wenn hier alle noch mit Sakko zur Arbeit geben, ich lass es zu Hause. Vorbild sein finde ich wichtig. Sag mal, woran erkennst Du in Deiner Rolle eigentlich, dass Du erfolgreich warst? Kim: Für mich sind es die Zahlen, die zählen. Ein Unternehmen muss Gewinne machen, deshalb existiert es. Ich selbst will auch für meine Leistung belohnt werden. Wichtig ist auch, dass die Leute motiviert sind! Darf ich Dir mal eine ganz persönliche Frage stellen? Ich trete ja nächste Woche einen neuen Job an. Ich soll bei uns das Thema ökologische Verantwortlichkeit voranbringen. Wie würdest Du da herangehen? Kim: Ich glaube, da muss man sich hohe Ziele setzen. Natürlich ist es auch eine Chance, dem Thema Deinen Stempel aufzudrücken. Du kannst Dich positionieren. Du kannst Leute begeistern und mitnehmen, das ist grandios! Vor allem aber soll ich die Digitalisierung verantworten und darf alles komplett neu denken. Soziale Verantwortlichkeit muss da integriert werden. Kim: Die meisten machen da einen grundsätzlichen Fehler, sie denken, man bräuchte keine Strategie mehr. Deshalb: Erst mal muss klar sein, wo ihr hinwollt. Was habt ihr euch denn für Ziele gesetzt und wie wollt ihr die messen? Ich könnte mir vorstellen, dass man von der Vision zum Ziel denken kann und dabei Design Thinking nutzt, da bindet man den Kunden von Anfang an in die Entwicklung ein. Ich finde, in der Verbindung der beiden Themen liegt eine langfristige Chance. Nutze sie! Was gehst Du mit Konflikten um? Kim: Was ist ein Konflikt? Was der eine so wahrnimmt, ist für den anderen nur ein Austausch. Entscheidend sind die Perspektiven auf etwas und die Interessen dahinter. Du musst viel reden, gegenseitige Bedürfnisse und Motivationen verstehen. Wir reflektieren viel, auch meine Rolle in diesem Prozess und was wir wirklich brauchen, um gut arbeiten zu können. Du sprachst damals von schwierigen Charakteren? Kim: Ja, da sind schon ein paar Köpfe dabei, die etwas eigenwilliger sind. Aber ganz ehrlich, die brauchen wir auch. Teams profitieren von Unterschiedlichkeit einfach sehr. Ich finde es unglaublich befruchtend, wenn völlig gegensätzliche Typen miteinander Ideen entwickeln. Das klappt jetzt. Die haben einfach gelernt, dass man Yin und Yang braucht. Ich habe auch viel über mich gelernt, z. B. dass ich weniger introvertiert bin, als ich immer dachte. Und was steht an in der Organisation? Kim: Wir stecken ja mitten im Kulturwandel, so nennen wir das jetzt. Vieles wirkt auf die Mitarbeiterinnen wie ein Hin und Her, aber wir probieren einfach auch eine Menge aus. Kommunikation ist unglaublich wichtig. Dazu gehören für mich auch Räume. Die müssen Zusammenarbeit fördern, aber auch Rückzug ermöglichen. Das ist einfach immer so: Du brauchst am Ende immer beides und nicht nur eines. Das verstehen einige nicht. Es ist also eine Riesenaufgabe, das Verständnis zu wecken und immer wieder zu erklären, wozu das alles gut ist. Wie stehst Du denn dazu? Kim: Ich sehe das optimistisch. Früher wollte ich auch immer für alles einen Plan und genaue Strukturen. Das gab mir Sicherheit. Auch heute noch fällt es mir oft schwer, einfach mal so loszulassen und auszuprobieren, Fehler toleriere ich bei mir auch nicht immer, da arbeite ich dran. Ich merke aber, wie gut es dem Team tut, dass wir offener darüber reden. Wie sieht es denn bei euch in der Führungsetage aus? Wenn der Change jetzt auch die oberen Ebenen berührt …? Kim: Bei den Mitarbeiterinnen kommt an, dass man sich lockerer gibt und kleidet. Die Mitarbeiterinnen verstehen auch, dass sie sich mehr trauen, widersprechen und Verantwortung übernehmen sollen. Sie glauben nur noch nicht richtig daran. Zu gut erinnern sie sich, dass die gleichen Manager vor wenigen Jahren Querdenken bestraft haben … Sie haben sicher auch nicht unrecht mit ihrem Misstrauen. Ich versuche sie dahin zu bringen, sich auf sich selbst zu besinnen und nicht immer auf "die da" zu schauen. Sag Kim: Man macht es sich leicht, wenn man andere bewertet. Manches ist für mich persönlich eine Herausforderung, ich muss raus aus der Komfortzone und politischer handeln. Ich muss z. B. dem Vorstand manchmal richtig was vorspielen, um den überhaupt zu erreichen. Ich mache es mir leicht, wenn ich sage, die anderen sind schwierig. Es geht darum, sie zu erreichen. Da muss du dich bei einigen doch sehr konzentrieren und dich in ihre Denkweise eingrooven. Und was steht an in der Organisation? Kim: Alles ist im Wandel, und der Charakter des Wandels ist, dass er nicht als solcher erscheint. Du merkst eigene Veränderungen nicht und auch nicht, was sich alles in der Organisation tut. Es ist wichtig, immer wieder zurückzuschauen auf das, was geleistet und geschafft wurde. Wir gehen in Babyschritten, das muss man aber erst mal sehen. Ich arbeite da gerade an neuen Ideen, wie man Fortschritt mehr fühlen und verinnerlichen kann. Vieles übersetze ich mehr und mehr in Geschichten und in einfache Skizzen … Du hast gefragt, was ansteht. Es steht an, die Mitarbeiter fühlen zu lassen, was sie schon alles geschafft haben, obwohl sie das nicht gemerkt haben. Sag mal, woran erkennst Du eigentlich, dass Du erfolgreich warst? Kim: Ich will nicht mehr erfolgreich sein in dem Sinne wie früher. Ich will die kleine Welt verändern, in der ich wirke. Sie besser machen. Meistens jedenfalls, manchmal denke ich, Mist, gebt mir einen einfachen Job im Maschinenraum. Darf Elefanten sind sympathische Tiere, aber etwas schwerfällig. Was sie zum Helden einiger Geschichten macht, ist in der aktuellen Arbeitswelt ein Hemmschuh. Dort begegnen die "Elefanten" geschimpften Manager dem Wandel, indem sie sich kaum und nur langsam bewegen. Der grundlegende Strukturbruch und Paradigmenwechsel stellt Unternehmen vor Probleme: Was tun mit Führungspersonen, die aufgrund ihrer Fachkompetenz (noch) unentbehrlich scheinen? Lässt sich deren Entwicklung fördern -oder muss man sich trennen? So wie sich Gehirne nicht einfach löschen und neu bespielen lassen, so können auch Betriebe nicht einfach alle Mitarbeiter entlassen und neu anfangen. Es sei denn, sie gründen eine neue Einheit, was eine ziemlich gute Idee sein kann. Derzeit besteht in den meisten Organisationen die Tendenz, das bisherige Führungspersonal auch an den bisherigen Stellen zu halten. Unter Beschuss geraten sind vor allem die Mittelmanager, die Bereichsleiter vor allem, die das Etikett "Lähmschicht" oder auch "Lehmschicht" tragen. Lehm ist im feuchten Zustand formbar, im trockenen fest, was durchaus etwas über den Umgang mit dieser "Schicht" sagt. Sie gelten als Bremser und Blockierer, so Unternehmensberater Winfried Berner [9] . Ich höre auch Schimpfwörter wie "Elefantenfriedhof", wenn man von dieser Ebene spricht. Sie hat in vielen Unternehmen ein hohes Durchschnittsalter, nicht selten über 50 Jahre. Ich habe solche Managerinnen öfter im Coaching und kenne die Frage: Was, wenn ich meinen Job verliere? Was kann ich sonst tun in dieser Arbeitswelt, zumal als Digital Immigrant? Wie wirkt es sich auf mein Leben aus, wenn meine Ebene gestrichten wird? Ich erlebe Bereichsleitungen oft als hilflos und unbeweglich, mit wenig Gestaltungsenergie, nicht selten hinter einer nach außen offen scheinenden Fassade. Sie sind geprägt durch ihre ausführende Rolle der letzten Jahrzehnte. Viele sind verängstigt. Starrheit und Unbeweglichkeit sind, wie wir gesehen haben, ebenso wie autoritäre Charaktere von Angst geprägt. Rigidität entsteht und damit das Gegenteil von Agilität. Manchmal tarnt sich Rigidität auch als Kooperation... man erkennt sie nur am Verhalten. Das Top-Management fordert auf, agiler zu werden, fast alle gehorchen auf die Art, die sie kennen. So habe ich schon wunderschöne Skizzen des "agilen Mindsets" gesehen, die auf dieser Ebene entstanden sind in der Absicht, die unteren Ebenen in dem zu schulen, was von oben verlangt wird. Doch genau so funktioniert es natürlich nicht, weder agil und erst recht nicht post-agil. Strategien von oben zu den Umsetzern nach unten durchzureichen. "Ärger, Zorn und Wut zählen allesamt zu der Gruppe von Gefühlen, die man in der Individualpsychologie als ,trennende Gefühle' bezeichnet: Sie bringen uns in eine Gegenposition zu anderen Menschen und fokussieren unsere Gedanken und unsere Energie darauf, wie wir sie besiegen, bestrafen oder in die gewünschte Richtung zwingen könnten." [9] Das "Wir-Denken" muss auch im Top-Management ankommen. Die agile Welle hat allerdings auch Schaden angerichtet: Kaum jemand will aktuell noch Führungskraft werden, zeigt eine Untersuchung. Woher also neue Führungskräfte bekommen? Konflikte zwischen Top-Management und Mittelmanagement sind alt. Sie ergeben sich systemisch aus einer unterschiedlichen Sicht auf das, was zu tun ist. Die Strategie kommt von oben, die Bereichsleitung setzt um. Dieser operative Charakter ist prägend, ebenso wie die Anreize, sich um den eigenen Bereich zu kümmern, schwerlich zu Teamarbeit und Transparenz führen. Nur durch anderes Organisationsdesign kann das gebrochen werden. Denn es sind nicht die Menschen, sondern die Strukturen, die es unmöglich machen, dass agiles Handeln sich unter diesen Bedingungen einstellen kann. Wer seinen Bereich sieht, sieht eben nicht das große Ganze. Wer sich verantwortlich fühlt für die operative Umsetzung, wird nicht über Nacht zum Strategen. Da hilft es kaum, dass ein Bereichsleiter nun auch "Product Owner" ist, die disziplinarische Aufgabe hängt ihm weiterhin an und im Wettbewerb mit den anderen sieht er sich allein deshalb, weil nach wie vor Bereichsergebnisse zählen. Betrachtet man Führung als Design von Ökosystemen, so müssen die Bedingungen sich ändern, die zum "Wachstum" solchen Verhaltens führen. Was tun mit den bisherigen Mittelmanagern? Ehemalige Führungskräfte könnten als Berater fungieren, die ihre Expertise anbieten. Das würde von ihnen fordern, für sich selbst verantwortlich zu werden. Sie könnten auch zurück in den "Maschinenraum" gehen. Organisationen schließlich stehen vor einem Dilemma: Verkünden sie, dass das Mittelmanagement aufgelöst wird, ist mit stiller oder offener Revolte zu rechnen -tun sie es nicht, mit Stagnation. Ein gangbarer Weg ist unserer Erfahrung nach die Einbindung und sukzessive Erweiterung der treibenden Kräfte, die sich fast überall finden. Diejenigen, die anders mit dem Wandel umgehen, müssen protegiert und belohnt werden, so dass sie auch andere nachziehen. Von Blockiererinnen muss man sich trennen. Das ist auch eine Chance für diese, sich anderswo neu zu entwickeln. Gibt es Hoffnung, dass die bisherigen Führungs-Kräfte sich besinnen? Dass sie sich mit den Ideen von Veränderung verbinden und die Herausforderungen produktiv annehmen? Dafür muss sich der Kontext stark verändern, er muss Druck ausüben, starke Entwicklungsreize senden. Je autoritärer der Charakter, desto schwieriger wird solcher Wandel werden, denn Autorität dient immer dem Selbstschutz, tarnt die Angst. Die kleinteilige Persönlichkeit neigt zu Zwanghaftigkeit und hat typischerweise Angst vor Kontrollverlust. Dem Anspruch, Verantwortung an andere zu übertragen, kann sie schwerlich gerecht werden. Sie wird laufend Belege suchen und finden, dass es so nicht geht. Was ich nicht wahrnehme, existiert für mich nicht. Wenn ich nicht spüre, dass ich mich als Experte in Details verliere, bemerke ich keine Krise. Ich nehme kein Problem wahr und kann deshalb auch keine neuen Lösungsstrategien entwickeln. Ich kann die Dinge einfach nicht denken, sie erscheinen nicht einmal in meinem Gehirn oder machen sich im Körper bemerkbar -oder werden dort durch Selbstkontrolle kleingehalten. Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass Menschen ins Fühlen kommen und mit sich selbst verbinden. Deshalb ist Achtsamkeit ein so wirksames Mittel für persönliche Entwicklung. Und darum brauchen wir -neben Rückmeldung und Feedback -vor allem die Schulung von Empathie, um Entwicklung zu fördern. Denn wer in sich hineinhorcht, merkt die leichten Zeichen der Irritation vielleicht doch, die er sonst überspielt: das flaue Gefühl im Bauch, die verspannte Schulter, die leichte Aufregung. Nicht nur bei sich selbst, auch bei anderen: Wer andere genau beobachtet, wird Widersprüche zwischen Körper und Aussage erkennen, die einem selbst verborgen sind. Mit dem Fühlen kommt und geht das Denken: Wer seine Gefühle und den Körper wahrnimmt, kann auch viel leichter Gedanken beobachten, wie sie kommen und gehen, und dabei dann auch merken, wie sich vielleicht widersprüchliche Gedanken zeigen. Wahrnehmung ist sehr eng mit dem Fühlen und dieses sehr eng mit Denken verzahnt. Das untermauern auch neuere Erkenntnisse der Gehirn-und Emotionsforschung. John Bargh [10] verdanken wir die Einsicht, dass das Fühlen vor dem Denken kommt, Lisa Feldman Barett [11] das Wissen um die Verzahnung von Emotionen mit Körperreaktionen und Sprache. Handlung entspringt schließlich dem, was vorausgegangen ist: Habe ich mich selbst und den anderen wahrgenommen, handle ich anders, bewusster und integrierter, als wenn ich "automatisch" etwas tue. Ziel muss es also sein, den Automatismus zu unterbrechen. Das geschieht in einem neuen anderen Umfeld viel wahrscheinlicher als im vertrauten. Versuchen Sie einmal, die Aufmerksamkeit auf mehr als eine Sache zu lenken, bei einer Entscheidung mehr als einen Wert zugrunde zu legen. Es wird nicht funktionieren: Deshalb können Gorillas durch Filme gehen, ohne dass Sie es merken. Deshalb verstecken sich rosa Elefanten im grauen Einerlei. Es ist immer das eine, das uns leitet, wir können nicht multitasken. Die Wahrnehmung des Moments fällt leichter, wenn wir einfach zuhören und beobachten. Metaphern kanalisieren die mit einem Führungsleitbild verbundenen Werte und Orientierungspunkte. Sie gehören zur narrativen Führungskunst. Metaphern vermitteln Atmosphäre, sie ordnen ein und sie gewichten. Viele Metaphern haben schon versucht zu verdeutlichen, was die Aufgabe von Führung sei. An den Metaphern erkennt man die Zeit, in der sie entstanden sind. Es gibt heroische und postheroische Bilder. Heroische Bilder sehen in der Führungskraft den Helden, Superman. Postheroische Bilder entmystifizieren die eine Person, die alles entscheidet, und lenken den Blick auf das Umfeld, auf die anderen. Das postagile Bild ist ein post-post-heroisches: Es geht nicht um die eine Person, sondern um die Verbindung mit Ideen, um Strukturen und Gestaltung. Welches Bild haben Sie vor Augen, wenn Sie an gute Führung denken? Höchstwahrscheinlich ist es eine einzelne Person. Sehr wahrscheinlich ist diese männlich. Und es liegt nahe, dass Sie eher an den Restaurantbesitzer als an den Kellner denken. Die Metapher des Servant Leaderships existiert mehr in der Literatur als in den Köpfen. Ein Grund liegt in den engen Grenzen des Bildes. In der Dienstleistung liegen zu wenig aktive Gestaltungsmöglichkeiten. Service auszugestalten, kann zwar sehr schöpferisch und kreativ sein, doch muss man als Fachfremder länger über diese Möglichkeiten nachdenken. Servant Leadership wird deshalb von der agilen Szene theoretisch so gut angenommen, weil man sich mit der Dienstleistung am Kunden orientiert. Doch wie wir gesehen haben, schränkt dieser Blick ein und wird den künftigen Anforderungen nicht gerecht. Hinzu kommen die Bilder im Kopf. Praktisch führt das dazu, dass in vielen Organisationen Scrum Master als gehobene Assistenzen und "Scrum Mums" herumlaufen (siehe Kap. 1), die Rolle also entfremdet wird. Dienende Führung müsste nicht so einseitig interpretiert werden. Sie könnte auch Ich und Wir verbinden, aber praktisch erweist sich das Bild als schwierig und begrenzend. Die wichtigste Grenze des Bildes liegt aber darin, dass sie sich wie frühere Bilder auf eine Person und auf ein bestimmtes Verhalten bezieht: Der Servant Leader ist ein Mensch, von dem alles andere abhängt. Weder beinhaltet die Metapher den Kontext noch die Möglichkeit der Verteilung auf mehrere Schultern -sie ist einfach zu eng. Auch ist es schlecht vorstellbar, dass eine Servant Leaderin ein ganzes Unternehmen führt. Gedanklich versetzen wir sie schnell direkt zum Kunden. Doch auch das Bild der strikten Kundenorientierung wackelt. Lassen Sie uns annehmen, dass es bei der Unternehmensführung der Zukunft nicht mehr um Gewinnmaximierung um jeden Preis gehen kann, sondern um nachhaltiges Wirtschaften. Gehen wir davon aus, dass die Kundenbedürfnisse nicht notwendigerweise an nachhaltigem Wirtschaften ausgerichtet sind. Gehen wir weiter davon aus, dass Bedürfnisse erzeugt und verändert werden können und nicht alles, was eine Nachfrage bedient, auch produziert werden muss. All diese Gedankenspiele verlangen eine neue, zeitgemäßere Metapher. Diese Metapher muss folgende Kriterien erfüllen: • Sie muss losgelöst sein vom Gedanken, dass immer eine Person führen muss, dies als Option aber durchaus offen lassen. • Sie muss Spielraum bieten für verschiedene Aspekte des Führens, wie Rahmen gestalten, Interaktionen ermöglichen und Verbindungen schaffen. • Sie muss neue Macht im Sinne von aktiver und bewusster Einflussnahme zulassen. • Sie muss aus dem Leistungsparadigma hinausführen und das neue kontextsensitive Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Achtsamkeit bedienen können, den Public Value. • Und: Sie muss Widersprüche zulassen. Eine passende Metapher haben die Briten Marc McKergow und Helen Bailey mit "Host Leadership" erschaffen. Den Begriff etablieren sie seit 2014, als das Buch mit dem gleichnamigen Titel in London auf den Markt kam [12] . McKergow und Bailey kommen aus der Denkschule der Lösungsfokussierung nach Steve de Shazer. Sie verkaufen keinen neuen Trend, sondern bieten ein Bild an, das sie sehr tiefgründig analysieren und erläutern. In der Computertechnik ist der Host der Computer, auf den die anderen zugreifen. Host ist auch die Aufgabe des Gastgebers oder der Gastgeberin. Hosts gestalten einen Rahmen, in dem sich Gäste wohlfühlen und tun, was sie tun sollen. Vielleicht geht es um ein nettes Beisammensein, um Kennenlernen oder neue Verbindungen. Möglicherweise sollen Gäste auf der Charity-Veranstaltung Geld spenden. In einer weiteren Variante testen Gäste ein neues Gericht oder beurteilen Kochkünste, nicht unbedingt die des Gastgebers. Hosts wechseln auch, nicht immer der gleich übernimmt. Eine Gastgeberin hat viel Macht in den von uns definierten Grenzen. Er kann aber auch üblen Zeitgenossen, die die Möbel zertrümmert haben, ein Hausverbot erteilen. McKergow und Bailey unterscheiden sechs Rollen und vier Positionen. Dabei hat der Host Leader immer wieder die Aufgabe vor-und zurückzutreten, stepping back and stepping forward. Es geht nicht um dauernde Präsenz, sondern Präsenz dann, wenn es sinnvoll für das Ganze ist. Die sechs Rollen verteilten sich auf die Zeit vor dem Termin, währenddessen und danach, wobei danach keine explizite neue Rolle anfällt. Vor dem Treffen: -Initiator: Der Host oder die Hostess initiiert das Treffen. Jeder kann eine solche Initiative starten. Dazu gehört, sich zu überlegen, was der Grund der Zusammenkunft sein soll. Möglicherweise gibt es einen äußerlichen Anlass. Der äußerliche Anlass ist vielleicht der Start des Projekts, der Grund ist Kennenlernen und Miteinander-Verbinden. -Einzuladende: Als Einladender gilt es zu entscheiden, wer dabei sein soll. -Raumgeber: Als Raumgeber ist es zentral, sich zu überlegen, wo die Zusammenkunft stattfinden soll und was ein passendes Ambiente ist. Dazu gehören Fragen wie die, welches Verhalten ich als Host begünstigen möchte -intensive Einzelgespräche oder loses Kennenlernen, kreative Schaffensprozesse oder gemeinsames Erleben? Währenddessen: -Gatekeeper: Als Gatekeeper in achtet der Host darauf, was reinkommt und rausgeht, auch im übertragenen Sinne. Weiterhin ist der Gatekeeper eine Art Schleuse, der auch beeinflussen kann, ob jemand mehr oder weniger Gewicht bekommt. -Verbinder: Als Verbinderin ist der Host damit betraut, Menschen in Kontakt miteinander zu bringen und sich dann selbst zurückzuziehen. Dieser Kontakt dient den gegenseitigen Beziehungen, hat aber auch eine strategische Funktion. -Teilnehmerin: Als Teilnehmer ist der Host oder die Hostess ganz einfach mit dabei. Als Teil der Veranstaltung ist der Host oder die Hostess wie alle anderen, kann also auch jemand sein, der z. B. selbst in Verbindung mit anderen Menschen gebracht wird. Danach: -Hier wird keine spezielle Rolle definiert, wohl aber ein Auftrag: Host und Hostess sind immer der Erste und die Letzte. Sie sind von Anfang an da und gehen erst, wenn auch der Letzte gegangen ist. Nach einer Veranstaltung reflektieren und überlegen sie, was verbessert werden könnte Host und Hostess agieren aus vier Positionen im Raum der Beziehungen: • Sie stehen zeitweise im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, um etwas anzustimmen, etwa eine Rede. Hier treten sie nach vorn. Sie repräsentieren die Organisation, schaffen und definieren einen Rahmen. • Sie sind bisweilen zusammen mit den Gästen und dann mittendrin, um mit zu erleben. Nun treten sie zurück. Das lässt sich auch auf andere Kontexte übertragen, etwa wenn die Führungskraft ein Meeting anberaumt, das sie nicht selbst leitet, oder andere bestimmte Agendapunkte realisieren lässt. • Sie stehen im Vordergrund, in der Galerie und behalten von dort den Überblick über alles, was geschieht. Sie treten nun nach vorn. Es ist ihre Aufgabe, zu beobachten, zu analysieren und auch das zu beachten, was nicht offensichtlich ist. • Sie ziehen sich zurück in den Hintergrund, in die Küche, wo sie vorbereiten und reflektieren, vielleicht auch mit ein, zwei Vertrauten. Wieder treten sie zurück. In der Küche kann viel stattfinden, was dem Zur-Ruhe-Kommen und Nachdenken dient, etwa eine Coachingsession oder Meditation. Die Autoren unterscheiden die vier Führungspräferenzen Dreamer, Realist, Business Planner und Host. Und sie haben recht in der Annahme, dass jede Präferenz auch einen anderen Verhaltensschwerpunkt ergibt. Dieser führt dazu, dass die zeitliche Aufmerksamkeit unterschiedlich verteilt wird [12] . Die Adabank hat eine Schonfrist von zwei Jahren bekommen. Wenn in dieser Zeit keine neuen Geschäftsmodelle entwickelt werden, die die Bank in die Zukunft tragen, wird sie abgewickelt. Alle 180 Mitarbeiter sind informiert. Die neuen Führungskräfte wissen das ebenfalls. Eine Bewegung aber erzeugen sie nicht, als sie zu mehr Innovation aufrufen. Zwar reden alle davon, aber es geschieht nichts, was nach vorne treibt und Unterschiede zu vorher macht. Würde man ein Standfoto aufnehmen, so sähe man eine Ansammlung von Personen, von denen jede in eine andere Richtung zieht. Trotz vieler Führungskräfte zeigt sich Führungslosigkeit. Ein Host Leader würde anfangen zu gestalten: Sie würde Räume schaffen, in denen neue Ideen wachsen können. Sie würde Begegnungen ermöglichen und Menschen in Verbindung bringen, die nichts miteinander zu tun hatten. Sie würde Impulse geben durch Narrative, die im Gedächtnis bleiben und die Kräfte aussortieren (sogar rauswerfen), die die Bewegung hemmen Deshalb kann er sehr gute Ideen und Strategien entwickeln. Der Realist ist mit der Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt, die Zukunft ist weniger wichtig. Deshalb ist er praktisch und umsetzungsorientiert. Der Business Planner ist damit beschäftigt, den Weg vom Ist zum Soll zu durchdenken, und ist damit weder in der Gegenwart noch in der Zukunft. Seine oder ihre Zeitkurve sieht aus wie eine Käseglocke. Nun bietet das Host-Modell einen neuen Aspekt an, indem es zwei zeitliche Perspektiven miteinander verbindet, die der Gegenwart und die der Zukunft. Es ist somit eine Sowohl-als-auch-Perspektive mit der Option zu klaren Entscheidungen. Am ehesten scheint mir der Kergow-Host dem Katalysator-oder Co-Kreator-Level zu entsprechen Seine oder ihre Aufmerksamkeit ist sowohl bei den gegenwärtigen Bedürfnissen und dem, was sich zeigt, als auch in der Zukunft, bei den Träumen. Ziele sind später wichtig, aber nicht jetzt Aber für die Deadline können später andere sorgen Sie selbst in die Zukunft führen? • Wie gehen Sie mit widersprüchlichen und mehrdeutigen Situationen um? • Wie stehen Sie zu Macht und Machtausübung in einer Metapher wie Host Leadership? • Wie können Sie mit den Leadership-Leveln arbeiten, OHNE andere Personen einzuordnen? Wie können Sie diese mit Growth Mindset nutzen? Die Lehrgeschichten das Milton H. Erickson, Salzhausen: Iskopress. Ausschnitte Intergroup conflict and cooperation: The robbers cave experiment Business Agility Institute: Haier Elevation Case Die Firma der Zukunft hat keine Angestellten mehr (14 Neue Chefs statt alter Schule. Interview mit Vasant Narasimhan Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität The change masters Leadership agility. Five levels of mastery Bremser und Blockerier. Wie Sie die Lähmschicht auf Trab bringen (oder nicht Vor dem Denken How emotions are made Six new roles of engagement