key: cord-0066355-skjbtn2o authors: Kwetkat, Anja title: Impfen bei Senioren date: 2021-08-03 journal: Basiskurs Geriatrie DOI: 10.1007/s40407-021-00015-w sha: 9bec1b71c55343c24c1d0b9afb4aada67ddb96b5 doc_id: 66355 cord_uid: skjbtn2o nan Die Immunseneszenz, die physiologische Alterung des Immunsystems, ist multifaktoriell bedingt. Sie umfasst u. a. Fehlfunktionen des angeborenen und erworbenen Immunsystems. Bei Letzterem ist v. a. die Reduktion naiver B-und T-Zellen von Relevanz, die zu einem verringerten Ansprechen des Immunsystems auf neue Antigene führt und eine Einschränkung der Variabilität der humoralen Immunantwort zur Folge hat. Die Immunseneszenz begünstigt . . . die Entwicklung atypischer Symptome, oligosymptomatische Krankheitsverläufe, vermehrtes Auftreten von Krebs-und Autoimmunerkrankungen sowie chronischen Entzündungsreaktionen (Inflammaging) und die damit einhergehenden Erkrankungen, wie z. B. Atherosklerose. Oligosymptomatische Verläufe können eine zeitnahe Diagnostik und Therapie erschweren, was die Entwicklung von Komplikationen und schwereren Infektionsverläufen begünstigt. Multimorbidität und funktionelle Defizite aggravieren diese Entwicklung zusätzlich. Die Immunseneszenz führt jedoch auch zu einer Abschwächung der Immunantwort auf Impfungen. Vor allem die Antikörperbildung ist nach Impfungen mit steigendem Alter geringer als im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen [2] . Darüber hinaus beeinflussen Faktoren wie Multimorbidität, Ernährungsstatus, Frailty und ein schlechter funktioneller Status die Impfantwort negativ [3] [4] [5] . So erreichen Impfungen im Alter nicht immer das Ziel der Verhinderung einer Infektion. Erreichbar ist jedoch eine deutliche Reduktion der Schwere der Erkrankung. Hospitalisierungen und Todesfälle treten bei Geimpften seltener auf als bei Ungeimpften [6] . Impfungen stellen daher gerade auch für ältere Menschen eine wesentliche Möglichkeit der Prävention dar, weshalb die Ständige Impfkommission (STIKO) jährlich ihre Impfempfehlungen aktualisiert [7, 8] . Zur Steigerung der Wirksamkeit wurden stärker immunogene Vakzine entwickelt. Tab. 2 zeigt die aktuellen Impfempfehlungen für 60-Jährige und Ältere für 2020/21 [7] . Darüber hinaus sind die jeweils aktualisierten Empfehlungen zur COVID-19-Impfung zu berücksichtigen [11] . die zu verhütende Krankheit und deren Behandlungsmöglichkeiten, den Nutzen der Impfung, die Kontraindikationen, die Durchführung der Impfung, den Beginn und die Dauer des Impfschutzes, das Verhalten nach der Impfung, mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Impfkomplikationen, die Notwendigkeit und die Termine von Folge-und Auffrischimpfungen. Im Folgenden sind wesentliche Informationen der Standardimpfungen im Alter zusammengefasst. Der 75-jährige Herr Marx kommt zu Ihnen in die Praxis. Aufgrund der aktuellen Diskussion um Impfungen möchte er gerne wissen, welche Impfungen für ihn überhaupt nötig sind. -Auch wenn in Deutschland Fälle von Tetanuserkrankungen relativ selten vorkommen, sind gerade ältere Menschen mit unzureichendem Impfschutz betroffen. Die Erkrankung endet in diesen Fällen in der Regel letal. Das RKI weist ausdrücklich darauf hin, eine fehlende oder unvollständige Grundimmunisierung in jedem Fall zu ergänzen und die Auffrischimpfungen konsequent durchzuführen [7] . Im Verletzungsfall ist bei sauberen oder geringfügigen Wunden bei drei oder mehr vorangegangenen Tetanus-Immunisierungen eine erneute Immunisierung nur dann empfohlen, wenn die letzte Impfung 10 oder mehr Jahre zurückliegt. Bei allen anderen Wunden gilt eine Grenze von 5 und mehr Jahren [12] . -Pertussis führt bei Senioren vermehrt zu komplizierten Verläufen, die durch eine Impfung verhindert werden können [13] . Erwachsene sollen daher einmalig gegen Pertussis geimpft werden. -Zur Verbesserung der Impfquoten sowohl für Pertussis als auch für Diphtherie sind Auffrischimpfungen mit dem 3-fach-Kombinationsimpfstoff Tetanus/Diphtherie/Pertussis (Tdap) empfohlen [7] . Bei entsprechender Indikation wie ggf. bei unvollständiger Grundimmunisierung oder fehlender einmaliger Auffrischimpfung für Poliomyelitis ist der Einsatz des 4-fach-Kombinationsimpfstoffs Tetanus/Diphtherie/Pertussis/ Poliomyelitis (Tdap-IPV) zur Vermeidung solcher Impflücken empfohlen [7] . -Die Grippe ist die Infektion mit der höchsten bevölkerungsbezogenen Mortalität, von der in bis zu 90 % die ≥ 60-Jährigen betroffen sind [14] . Die Influenza-Impfung schützt darüber hinaus vor kardiovaskulären Ereignissen bei Risikopatienten. So zeigten Beobachtungsstudien, dass die Grippeimpfung bei Risikopatienten im Vergleich zu Nichtgeimpften mit einer um 55 % geringeren kardiovaskulären Sterblichkeit verbunden war [14] . Geimpfte Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz zeigten im Vergleich zu Ungeimpften eine um 17 % geringere Gesamtsterberate [14] . Die Impfung ist also in jedem Fall von Vorteil. [20] . Darüber hinaus ist der Totimpfstoff bereits ab dem 18. Lebensjahr für Patienten mit erhöhtem Risiko für Herpes Zoster (HZ) zugelassen. Darunter zählen u. a. Patienten mit HIV, Immunsuppression oder schweren chronischen Erkrankungen wie Asthma bronchiale, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) oder auch eine rheumatoide Arthritis. Sowohl nach einem ischämischen als auch nach einem hämorrhagischen Schlaganfall ist das Risiko für eine HZ-Erkrankung insbesondere innerhalb des ersten Jahres erhöht [21] . Durch die Impfung wird die durch T-Zellen vermittelte Immunabwehr gegenüber Varizella-Zoster-Viren (VZV) gesteigert und so die Reaktivierung der latent in den Nervenganglien verbliebenen VZV verhindert. Die Impfserie für den HZ-Totimpfstoff besteht aus 2 Impfstoffdosen, die intramuskulär in einem Abstand von mindestens 2 bis maximal 6 Monaten verabreicht werden [7] . Wenn der maximale Abstand von 6 Monaten aufgrund von Impfstoffknappheit nicht eingehalten werden kann, ist die zweite Impfung umgehend bei Wiederverfügbarkeit des Impfstoffs nachzuholen. 7 Merke Wegen des Adjuvans muss die Impfung unbedingt intramuskulär gegeben werden, da bei einer subkutanen Gabe vermehrt starke Lokalreaktionen auftreten können. -Die Wirksamkeit der Impfung ist auch bei älteren Was ist in diesem Fall zu tun? -Bestimmung der jeweiligen Antikörpertiter vor der entsprechenden Impfung -Immer Start einer vollständigen Grundimmunisierung -Gezieltes Nachholen der fehlenden Impfung, ggf. auch der Grundimmunisierung 7 Merke Grundsätzlich gilt auch im höheren Alter das Prinzip "Jede Impfung zählt". Bei unbekanntem Impfstatus bzw. fehlender Impfdokumentation ist im Interesse der betroffenen Personen von einer fehlenden Impfung auszugehen und somit die Impfung entsprechend nachzuholen [7] . Von einem "Überimpfen", also von zusätzlich verabreichten Impfstoffdosen, geht in der Regel kein erhöhtes Risiko aus. In seltenen Fällen kann es jedoch nach wiederholter Gabe von Totimpfstoffen zu Nebenwirkungen wie einer ausgeprägten lokalen Unverträglichkeitsreaktion mit schmerzhafter Schwellung und Rötung der betroffenen Extremität kommen [7] . Diese Reaktion ist jedoch selbstlimitierend und tritt am ehesten bei hohen vorbestehenden Antikörpertitern wie nach sehr häufigen Impfungen mit Tetanus-und/oder Diphtherietoxoid auf [7] . Nach dem Auftreten einer solchen Reaktion ist jedoch vor weiteren Impfungen mit Td eine Antikörperbestimmung durchzuführen [7] . Für Pertussis-Antigene ist diese Reaktion nicht beschrieben [7] . Bei Herrn Marx ist davon auszugehen, dass er eine Tetanus-Grundimmunisierung erhalten hat (Armee-/Bundeswehrzeit). Damit wird nur eine Auffrischimpfung als Kombinationsimpfstoff mit Tdap durchgeführt. Die Influenzaimpfung ist jährlich fällig. Die Klärung von vorangegangenen Impfungen ist daher unerheblich. Bei fehlender Indikation zur sequenziellen Impfung wird einmalig PPSV23 zum Pneumokokkenschutz geimpft. Da die Impfempfehlung für die Zoster-Impfung noch recht neu ist, ist davon auszugehen, dass ein kognitiv nicht beeinträchtigter Patient sich daran erinnern würde. Auch hier wird dann entsprechend der Empfehlung geimpft. Gleiches gilt für die COVID-19-Impfung. Was meinen Sie? 3 In welchen Fällen liegt eine Kontraindikation zur Impfung vor, so dass die Impfung verschoben werden muss? (Mehrfachnennung möglich) -Unerwünschte Arzneimittelwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung mit dem gleichen Impfstoff -Allergien gegen Bestandteile des Impfstoffs -Therapie mit niedrigdosierten Kortikosteroiden -Immundefekte bei Impfung mit Totimpfstoffen Echte und falsche Kontraindikationen Die STIKO zählt zu den echten Kontraindikationen [7] : -Akute schwere Erkrankungen -Unerwünschte Arzneimittelwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung mit dem gleichen Impfstoff -Allergien gegen Bestandteile des Impfstoffs -Patienten mit Immundefekten: Lebendimpfstoffe nicht ohne Rücksprache mit dem den Immundefekt behandelnden Arzt Zu den falschen Kontraindikationen zählen u. a. [7] : banale Infekte, auch wenn sie mit subfebrilen Temperaturen (< 38,5°C) einhergehen, ein möglicher Kontakt der zu impfenden Person zu Personen mit ansteckenden Krankheiten, -Krampfanfälle in der Familie, -Ekzem u. a. Dermatosen, lokalisierte Hautinfektionen, -Behandlung mit Antibiotika, -Behandlung mit niedrigen Dosen von Kortikosteroiden oder lokal angewendeten steroidhaltigen Präparaten, angeborene oder erworbene Immundefekte bei Impfung mit Totimpfstoffen. Im Fall der Gelbfieberimpfung zählt das Alter von ≥ 60 Jahren zu den relativen Kontraindikationen, da das Risiko für schwerwiegende Impfreaktionen steigt. Dazu zählen YEL-AND ("yellow fever vaccine-associated neurotropic disease") und YEL-AVD ("yellow fever vaccine-associated viscerotropic disease"). Eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung ist in diesen Fällen erforderlich. Im Rahmen der Impfanamnese und Aufklärung fällt auf, dass Herr Marx aktuell orale Antikoagulanzien wegen einer Thrombose einnimmt. Was meinen Sie? 4 Können Sie Herrn Marx trotzdem impfen? -Ja, Impfungen können trotzdem i.m. durchgeführt werden. -Nein, da Impfungen immer i.m. durchgeführt werden müssen, ist aktuell keine Impfung möglich. -Ja, die meisten Impfstoffe können s.c. verabreicht werden. Die Blutungsneigung ist bei der Anamnese einschließlich der Medikamentenanamnese vor der Impfung zu erfragen. Die meisten Impfstoffe können alternativ subkutan verabreicht werden. Eine Übersicht der Impfstoffe und der möglichen Applikationswege stellt das RKI unter dem Link https://www. Pro Frage ist nur eine Antwort richtig. ? 1) Welche Maßnahme führt nicht zu einer verbesserten Impfantwort trotz Immunseneszenz? ◯ a) Subkutane Applikation des Impfstoffs ◯ b) Verwendung adjuvantierter Impfstoffe ◯ c) Intradermale Applikation des Impfstoffs ◯ d) Verwendung konjugierter Impfstoffe ◯ e) Verwendung höherer Antigendosierungen ? 2) Wann ist im Fall einer Verletzung mit einer sauberen, geringfügigen Wunde im Alter keine Tetanus-Auffrischimpfung erforderlich? ◯ a) Bei unbekanntem Impfstatus ◯ b) Bei fehlender Grundimmunisierung ◯ c) Nach einer einmaligen Tetanusimmunisierung ◯ d) Bei zwei durchgeführten Tetanusimmunisierungen ◯ e) Bei drei oder mehr durchgeführten Tetanusimmunisierungen (letzte Impfung vor < 10 Jahren). ? 3) Welcher der unten genannten Umstände zählt zu den falschen Kontraindikationen für eine Impfung? ◯ a) Akute schwere Erkrankungen ◯ b) Unerwünschte Arzneimittelwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung mit dem gleichen Impfstoff ◯ c) Allergien gegen Bestandteile des Impfstoffs ◯ d) Angeborene oder erworbene Immundefekte bei Impfung mit Totimpfstoffen ◯ e) Patienten mit Immundefekten: Lebendimpfstoffe nicht ohne Rücksprache mit dem den Immundefekt behandelnden Arzt ? 4) Welcher Grippeimpfstoff ist nach STIKO-Empfehlung in der kommenden Grippesaison 2021/22 für die ≥ 60-Jährigen als Standard empfohlen? ◯ a) Es gibt keine Empfehlung für einen bestimmten Impfstoff. ◯ b) Adjuvantierter quadrivalenter Impfstoff ◯ c) Zellkulturbasierter quadrivalenter Impfstoff ◯ d) Quadrivalenter Hochdosis-Impfstoff ◯ e) Trivalenter Standardimpfstoff ? 5) Wie sieht das Impfschema für die Zoster-Impfung aus für Patienten, die bereits einen Herpes Zoster durchgemacht haben? ◯ a) Einmalige Impfung mit dem adjuvantierten Herpes-Zoster-Totimpfstoff im Abstand von mindestens 2 bis maximal 6 Monaten nach der letzten Zoster Episode ◯ b) Zweimalige Impfung mit dem adjuvantierten Herpes-Zoster-Totimpfstoff im Abstand von mindestens 2 bis maximal 6 Monaten, frühestens nach Abklingen der Symptome der letzten Zoster-Episode ◯ c) Zweimalige Impfung mit dem adjuvantierten Herpes-Zoster-Totimpfstoff im Abstand von mindestens 2 bis maximal 6 Monaten, frühestens 3, spätestens 5 Jahre nach der letzten Zoster-Episode ◯ d) Eine Impfung gegen Herpes Zoster ist in diesen Fällen kontraindiziert, weil mit erheblichen Impfreaktionen zu rechnen ist. ◯ e) Eine Impfung gegen Herpes Zoster darf in diesen Fällen nur mit dem Lebendimpfstoff nach üblichem Schema durchgeführt werden, da der Totimpfstoff kontraindiziert ist. ? Lösungen: 1A; 2E; 3D; 4D; 5B Effect of influenza on functional decline Immune responses to pneumococcal vaccines in children and adults: rationale for age-specific vaccination Influenza vaccine response in community-dwellingGermanprefrailandfrailindividuals Immune response of 23-valent pneumococcal polysaccharide vaccinated elderly and its relation to frailty indices, nutritional status, and serum zinc levels Frailty is associated with impairment of vaccine-induced antibody response and increase in post-vaccination influenza infection in community-dwelling older adults Efficacy and effectiveness of high-dose versus standard-dose influenza vaccination for older adults: a systematic review and meta-analysis Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut Stellungnahme der Ständigen Impfkommission: Durchführung von empfohlenen Schutzimpfungen während der COVID-19-Pandemie Vaccination programs for older adults in an era of demographic change Mitteilung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut Beschluss der STIKO zur 5. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung The burden of pertussis in older adults: what is the role of vaccination? A systematic literature review Current recommendations for vaccination in older adults Aktualisierung der Influenza-Impfempfehlung für Personen im Alter von ≥ 60 Preventionofseriousevents in adults 65 years of age or older: A comparison between high-dose and standarddose inactivated influenza vaccines ECDC Technical Report: Systematic review of the efficacy, effectiveness and safety of newer and enhanced seasonal influenza vaccines for the prevention of laboratory-confirmed influenza in individuals aged 18 years and over Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (RKI): Wissenschaftliche Begründung für die Aktualisierung der Pneumokokken-Impfempfehlung für Senioren Mitteilung der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim RKI: Wissenschaftliche Begründung zur Empfehlung einer Impfung mit dem Herpes zoster-subunit-Totimpfstoff Higher risk of herpes zoster in stroke patients Efficacy of an adjuvanted herpes zoster subunit vaccine in older adults Efficacy of the herpes zoster subunit vaccine in adults 70 years of age or older Recombinant zoster vaccine is efficacious and safe in frail individuals Immunogenicity and safety of an adjuvanted herpes zoster subunit candidate vaccine in adults ⟩/= 50 years of age with a prior history of herpes zoster: A phase III, non-randomized, open-label clinical trial