key: cord-0066905-jlm4fwxo authors: Pusch, Toralf; Seifert, Hartmut title: Kombination von Kurzarbeit und Qualifizierung — ein gutes Konzept mit mäßigem Erfolg date: 2021-08-24 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-021-2988-0 sha: 5e409a5c59b7ff225d70eff76b422a460a6bef48 doc_id: 66905 cord_uid: jlm4fwxo nan Kurzarbeitergeld (KUG) bewährt sich in der aktuellen Krise, bedrohte Beschäftigungsverhältnisse zu sichern und Arbeitslosigkeit zu verhindern (Herzog-Stein et al., 2021) . Als weniger erfolgreich ist dagegen der Einsatz von KUG in wachstums-bzw. strukturpolitischer Hinsicht zu bewerten. Nur zurückhaltend wird die freigewordene Zeit für berufl iche Qualifi zierung genutzt; die günstige Gelegenheit, die Qualifi kationsstruktur der Beschäftigten an die durch den digitalen, ökologischen und demografi schen Strukturwandel ausgelösten Bedarfe anzupassen, wird verpasst. Dabei besteht reichlicher Bedarf, den gesamtwirtschaftlichen Humankapitalstock aufzubessern, wie die OECD (2021) erst kürzlich offengelegt hat. Günstig ist die Gelegenheit deshalb, weil die Nutzung der durch Kurzarbeit freiwerdenden Zeit für Weiterbildung die Möglichkeit bietet, zwei für Betriebe und Beschäftigte bedeutsame Engpässe, nämlich Kosten und Zeit, zu mindern oder gar zu beheben (Bilger und Käpplinger, 2017) . Bei Kurzarbeit verliert die in konjunkturellen Hochphasen mit ausgelasteten Arbeitskapazitäten und Überstundenarbeit knappe Ressource Zeit ihre limitierende Wirkung. Betrieben fällt es leichter, Weiterbildungszeiten mit den für Produktion und Dienstleistung erforderlichen Zeiten zu synchronisieren. Beschäftigte lassen eine größere Weiterbildungsbereitschaft erwarten, wenn die Maßnahmen während der Arbeitszeit (Osiander und Stephan, 2018) Auch Beschäftigte können von Weiterbildung während der Kurzarbeit profi tieren. Da eine dauerhafte Weiterbeschäftigung nach der Kurzarbeit nicht gesichert ist, können sie mit gezielter Weiterbildung versuchen, ihre Chancen auf dem externen Arbeitsmarkt zu verbessern. Eine erhöhte Mobilitätsfähigkeit und -bereitschaft kann ebenfalls für Betriebe vorteilhaft sein, wenn sie zu selbstinduziertem Arbeitsplatzwechsel führt, sodass bei notwendigem Personalabbau keine ansonsten anfallenden Entlassungskosten (Abfi ndungen, Sozialplan) entstehen. Umgekehrt könnten Betriebe zurückhaltend reagieren, weil sie das Risiko fürchten, dass qualifi zierte Arbeitskräfte abwandern (Crimmann und Wießner, 2009 ). Weiterbildung kann aber auch die Verbleibchancen von Beschäftigten steigern, da sie durch ihre Teilnahme berufl iche Anpassungsbereitschaft und -fähigkeit an sich ändernde Produkte und Produktionsprozesse signalisieren. Die insgesamt günstigen Zeit-und Kostenbedingungen sprechen für antizyklische Weiterbildungsaktivitäten, für das Nachholen von in konjunkturellen Hochphasen aufgeschobenen oder das Vorziehen von zukünftigen Qualifi zierungsbedarfen. Enttäuschend fallen jedoch die Befunde der auf Basis der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung durchgeführten Analyse aus (Emmler, 2021) . Kurzarbeiter:innen 2 zum Befragungszeitpunkt November 2020 nahmen seit Beginn der Pandemie seltener (18,9 %) an betrieblicher Weiterbildung teil als Beschäftigte ohne Kurzarbeit (28,8 %). 3 Generell scheint die Arbeitszeit die Weiterbildungsintensität negativ zu beeinfl ussen. Bei sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigten mit Arbeitszeitverkürzungen von über 50 % (März-Oktober 2020, vermutlich überwiegend durch Kurzarbeit bedingt) sinkt die Teilnahmequote auf lediglich 8,7 %, deutlich weniger als bei Beschäftigten mit weitgehend unveränderten Arbeitszeiten (30,2 %). Weiterbildung im Zusammenhang mit Kurzarbeit durchbricht nicht tradierte Strukturmuster (Statistisches Bundesamt, 2017; Schönfeld und Behringer, 2017), sondern repliziert sie: Die Teilnahme der Kurzarbeiter:innen (ohne Abschluss: 4 %, mit Berufsabschluss: 14 %, mit Hochschulabschluss: 35 %) steigt mit dem Qualifi kationsgrad der Beschäftigten, ähnlich wie bei den sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigten ohne Kurzarbeit im November 2020 (ohne Abschluss: 19 %, mit Berufsabschluss: 25 %, mit Hochschulabschluss: 36 %), ebenso mit der Betriebsgröße, woran auch die umgekehrt zur Betriebsgröße gestaffelten öffentlichen Fördermöglichkeiten (Qualifi zierungschancengesetz) im Grundsatz nichts geändert haben. Höher ist die Weiterbildungsbeteiligung zudem in Betrieben mit betrieblicher Interessenvertretung als in solchen ohne. Ferner zeigen sich starke Branchenunterschiede, unterdurchschnittliche Werte vor allem in den stark von KUG betroffenen Bereichen wie dem Gastgewerbe mit 12,5 % (vgl. Abbildung 1). Wenn in diesem Bereich die Weiterbildungsquote der Beschäftigten mit Kurzarbeit höher ist als bei denen ohne Kurzarbeit, könnte das mit Abwanderungen aus diesen Tätigkeiten und der Vorbereitung auf neue Anforderungen zu tun haben. Grosso modo bestätigt werden diese Befunde für den Zeitraum der Corona-Pandemie durch eine Regressionsanalyse. Beschäftigte mit einer längeren Dauer der Kurzarbeit nehmen signifi kant weniger an Weiterbildung teil (Pusch und Seifert, 2021) . Auch für den Grad der Qualifi kation der Beschäftigten (positiv für Weiterbildungsteilnahme) und bestimmte Branchen (Kommunikation, Finanzen, Gesundheits-und Sozialwesen) gibt es signifi kant positive Zusammenhänge mit der Weiterbildungsaktivität. Im Gesundheitswesen dürfte die hohe Weiterbildungsquote mit den Anforderungen der Pandemie zu tun haben. Im Gegensatz zur Tarifbindung gibt es für das 2 Gezählt wird die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme in der Zeit von Beginn der Corona-Pandemie bis Anfang November 2020. 3 Für Juni 2020 beziffert eine andere Untersuchung den Anteil der Kurzarbeiter:innen mit Beteiligung an Weiterbildung auf 5 %, ohne Vergleichswerte für Nicht-Kurzarbeiter:innen (Kruppe und Osiander, 2020) . Vorhandensein eines Betriebs-oder Personalrats einen hoch signifi kanten Zusammenhang mit der Weiterbildungsaktivität. Insgesamt lässt sich nicht sagen, ob die zurückhaltenden Weiterbildungsaktivitäten eher auf eine mangelnde Bereitschaft der Beschäftigten oder der Betriebe zurückzuführen sind. Wie Erfahrungen zeigen, machen Betriebsräte in Krisensituationen Weiterbildung zu einem Thema (Berger, 2015) und stoßen entsprechende Initiativen an, um bedrohte Arbeitsverhältnisse zu sichern. Die Weiterbildungsintensität hängt von generellen und von kurzarbeitsspezifi schen Faktoren ab. Generell bereiten die coronabedingten Kontaktbeschränkungen Schwierigkeiten, Weiterbildung durchzuführen (Christ und Koscheck, 2021; Bellmann et al., 2020) . Zudem ist die Mehrheit der Betriebe nicht über Angebote öffentlicher Förderung informiert, oder aber Beschäftigte (30 %) zeigen kein Interesse an den angebotenen Maßnahmen . 4 Von der Krise betroffene kleinere und mittlere Unternehmen haben ihre Weiterbildungsaktivitäten eingeschränkt oder gar eingestellt, weil das Weiterbildungsangebot beeinträchtigt ist, eigene Planungskapazitäten fehlen, sie die Zukunftschancen als unsicher einschätzen oder der kurzfristigen Existenzsicherung Vorrang einräumen (Leifels, 2021) . Zwar haben Weiterbildung betreibende Betriebe alternative Lernformen wie E-Learning ausgebaut, sie sind aber noch längst nicht fl ächendeckend im Einsatz (Seyda und Placke, 2020 Weiterbildung in der Covid-19-Pandemie stellt viele Betriebe vor Schwierigkeiten, IAB Forum Betriebsräte im Handlungsfeld betrieblicher Weiterbildung Barrieren für die Bildungsbeteiligung Erwachsener Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifi zierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung, Qualifi zierungschancengesetz Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Weiterbildungsanbieter. Vorläufi ge Ergebnisse der wbmonitor Umfrage Wirtschafts-und Finanzkrise: Verschnaufpause dank Kurzarbeit Konjunkturelle Kurzarbeit -Was kann bei vorübergehendem Arbeitsausfall bewirkt werden? Qualifi zierung zum Lernpromotor: Ein erfolgreicher Ansatz zur Förderung der Weiterbildung in Klein-und Mittelbetrieben (KMU) HBS-Erwerbspersonenbefragung, Welle IV: Fragebogen und Codebuch Germany's Labour Market in Coronavirus Distress -New Challenges to Safeguarding Employment, IMK Working Paper Gewerkschaftliche Weiterbildungsmentoren: Weiterbildung funktioniert nur mit Vertrauensleuten Nur jeder zehnte Betrieb nutzt die Weiterbildungsförderung der Bundesagentur für Arbeit, IAB Forum Kurzarbeit in der Corona-Krise: Wer ist wie stark betroffen?, IAB-Forum Weiterbildung bricht in der Krise ein -Bedarf an Digitalkompetenzen wächst Continuing Education and Training in Germany: Getting Skills Right Was beeinfl usst die Weiterbildungsbereitschaft von Beschäftigten? Befunde aus einer Vignettenstudie, Industrielle Beziehungen Kurzarbeit -mehr als eine Beschäftigungsbrücke Ergebnisse des Adult Education Survey (AES) (DIE Survey) Erfahrung mit E-Learning erleichtert Weiterbildung während der Corona-Krise Berufl iche Weiterbildung in Unternehmen. Fünfte Europäische Erhebung über die berufl iche Weiterbildung in Unternehmen (CVTS5) 2015