key: cord-0067819-1u0w667l authors: Humburg, Dennis; Timpe, Maximilian; Wranze-Bielefeld, Erich; Martens, Florian; Rupp, Dennis; Sassen, Martin C. title: Der Telenotarzt als „Einsatzleiter“ zur Stabilisierung eines kritisch kranken Patienten date: 2021-09-23 journal: Notf Rett Med DOI: 10.1007/s10049-021-00945-2 sha: 4a46e4a7f6d7e4dd3e30c2766b09e733c41a2882 doc_id: 67819 cord_uid: 1u0w667l We report about the prehospital treatment of an 82-year-old man with septic shock as a complication of acute pancreatitis. Initially only an advanced life support ambulance was on scene. After the primary assessment, the team decided to call for an emergency-physician-staffed helicopter. Because of the long estimated time of arrival on scene, the paramedics had to stabilize the patient without the physician. Therefore, they requested telemetric support. Despite massive centralization and difficult circumstances, the team succeeded to stabilize the patient in ongoing consultation of the tele-emergency physician. This cooperation made immediate und uneventful transportation after arrival of the helicopter possible. Es wird über die präklinische Versorgung eines 82-jährigen Patienten im septischen Schock bei akuter Pankreatitis berichtet. Initial wurde nur ein Rettungswagen alarmiert, dessen Besatzung nach der ersten Einschätzung einen Notarzt per Hubschrauber an die Einsatzstelle nachforderte. Die Besatzung entschied sich, bei absehbar langem notarztfreien Intervall, telemedizinische Unterstützung anzufordern. Trotz initialer massiver Zentralisierung und schwierigen Bedingungen vor Ort gelang es dem Team, in ständiger Rücksprache mit dem Telenotarzt, den Patienten bis zum Eintreffen des Hubschraubers so zu stabilisieren, dass ein sofortiger und komplikationsloser Transport möglich wurde. Sepsis · Telemedizin · Notfallmedizin · Rettungswagen · Präklinische Versorgung Wenn eine RTW-Besatzung ein langes notarztfreies Intervall zu überbrücken hat und "load and go" keine Option ist, kann der Telenotarzt (TNA) wertvolle Unterstützung leisten, indem er den Überblick behält und das Team vor Ort koordiniert. Am Abend eines Weihnachtsfeiertags wird ein Rettungswagen (RTW) aus dem mittelhessischen Vogelsbergkreis in einen ländlichen Ortsteil einer Kleinstadt im benachbarten Landkreis Gießen alarmiert. Der RTW ist mit einem Rettungsassistenten (RA) und einer Rettungsassistentin (RAin) besetzt (in Hessen ist bis zum Jahr 2024 noch der Einsatz von RA als Transportführer eines RTW unter bestimmten Voraussetzungen zulässig [5] ). Das Meldebild lautet R0 (Notfalleinsatz ohne Sonderrechte) -"Harnverhalt". Am Vorabend hattedieEhefrau des Patienten bereits den ärztlichen Bereitschaftsdienst kontaktiert. Der Patient klagte über seit 3 Tagen progrediente Rückenschmerzen und ein allgemeines Krankheitsgefühl. Zudem habe er in den 24 h zuvor nur sehr wenig Urin ausgeschieden. Der Bereitschaftsdienstarzt stellte bei einem Hausbesuch keine akut behandlungsbedürftige Erkrankung fest und empfahl eine Weiterbehandlung durch den Hausarzt am nächsten Werktag. Heute habe sich dann der Allgemeinzustand weiter verschlechtert und die Urinausscheidung sistierte vollends. Bekannte Vorerkrankungen sind persistierendes Vorhofflimmern (Antikoagulation mit Dabigatran), leicht reduzierte linksventrikuläre Funktion, Hypothyreose, arterieller Hypertonus und eine im Jahr Gemeinsam werden nun die Abläufe der nächsten Minuten und die Aufgabenverteilung geplant (. Tab. 2). Wegen des kritischen Zustands werden Defibrillationselektroden angebracht und der Sauerstofffluss auf 15l/min erhöht, obwohl die peripher gemessene Sauerstoffsättigung (SpO2) mittlerweile über 90 % liegt. Der RA hat sich zuvor bereits einen Überblick über die Venenverhältnisse gemacht. Aufgrund der Zentralisation bespricht er mit dem TNA, nur einen Versuch einer Venenpunktion zu unternehmen. Sollte dieser frustran verlaufen, wird die Anlage eines intraossären (i. o.-)Zugangs angestrebt. Priorität hat zu diesem Zeitpunkt die Volumentherapie mittels balancierter VEL.DieparalleleKatecholamintherapie mittels Epinephrin über eine Spritzenpumpe (Perfusor ® , B. Braun SE, Melsungen, Deutschland) wird im nächsten Schritt geplant. Dass die leitliniengerechte Therapie Norepinephrin vorsieht, dies aber nicht verfügbar ist, wird besprochen. Da auch der TNA aufgrund der Gegebenheiten von einer langen Wartezeit auf den NA ausgeht, wird auch schon der Transport des Patienten in den RTW und eine mögliche Fahrt zum Landeplatz angesprochen. Eine nichtinvasive Ventilation wird diskutiert, bei aktuell führendem C-Prob- Leider konnte das Ineinandergreifen der präklinischen Ressourcen hier nicht zu einem positiven Outcome beitragen. Mit einem direkt alarmierten NEF wäre der Einsatz sicherlich schneller, die Therapie aber mutmaßlich gleich verlaufen -mit einer Ausnahme: Die Verwendung von Epinephrin als erster Vasopressor widerspricht der aktuellen S3-Leitlinie zur Behandlung der Sepsis [3] . Norepinephrin wird momentan nicht auf den RTW in den mittelhessischen Landkreisen vorgehalten. Der regelmäßige Einsatz der Telemedizin bei kritisch kranken Patienten gibt sicherlich Anlass, dies nun zu überdenken. » Die Aufgabe des TNA war kaum mit der eines "normalen" Notarztes vergleichbar Insofern war die Aufgabe des TNA hier kaum mit der eines "normalen" Notarztes vergleichbar. Schon im herkömmlichen Telemedizineinsatz liegt es in der Natur der Sache, dass der TNA nicht selbst die Untersuchung und Behandlung vornimmt. Vielmehr analysiert er die ihm vorliegenden Informationen und delegiert die Durchführung der Maßnahmen. Umso mehr gilt dies bei einem komplexen Einsatzgeschehen, dass mit einer Vielzahl an Informationen, aber auch notwendigen Maßnahmen durch verschiedene Teammitglieder einhergeht. Hinzu kommt die Möglichkeit, die Kommunikation "nach außen", beispielsweise mit der Leitstelle, durch den TNA zu übernehmen. Nach Ansicht der Autoren bestehen somit große Überschneidungen zwischen den Anforderungen an den TNA in einem solchen Geschehen und ei-ner Tätigkeit als Einsatzleiter bei größeren Schadenslagen oder auch als "Schockraum-Leader". Nicht zuletzt aufgrund dieser "Einsatzleiter"-Aufgaben ist für die Mitarbeit als TNA im Projekt der Autoren eine aktive Tätigkeit als leitender Notarzt oder alternativ eine leitende Funktion in einer zentralen Notaufnahme Voraussetzung. Wie in Infobox 1 zum Projekt beschrieben wird aktuell eine Videoübertragung von der Einsatzstelle zum TNA nicht (bzw. nur in einem frühen Versuchsstadium) genutzt. Nach Überzeugung der Projektverantwortlichen ist diese auch in der absoluten Mehrzahl der Telemetrieeinsätze verzichtbar. Dies bestätigen ebenfalls die nach jedem Einsatz durchgeführten Evaluationen durch die RTW-Besatzungen und die TNA. In komplexen Einsatzgeschehen bei kritisch kranken Patienten aber, wie also im hier berichteten Fall, wäre eine Bildübertragung nicht nur zur Einschätzung des Patientenzustands hilfreich. Vielmehr wäre es so dem TNA möglich, ohne verbales Feedback jederzeit zu erkennen, welches Teammitglied gerade welche Maßnahme durchführt bzw. durchgeführt hat und für die nächste Aufgabe zur Verfügung steht. Diese Möglichkeit fehlte hier, ist aber auch nicht mit in den RTW fest verbauten Kameras gegeben. Einsatzleitung durch den TNA entlastet maßgeblich den RA am Einsatzort Trotzdem entlastete die Übernahme der Einsatzleitung durch den TNA maßgeblich den RA an Position 1 an der Einsatzstelle, wodurch dieser sich auf die korrekte Durchführung invasiver Maßnahmen und die Patientenbeobachtung konzentrieren konnte. Entscheidend war in der konkreten Einsatzsituation sicherlich, dass sich das Team gezielt Werkzeugen des "Crew Resource Management" wie "Closed Loop Communication" (Fehlervermeidung durch Rückbestätigung) und eines "10 for 10" ("10 s für 10 min") zu raschen Planung der Abläufe der nächsten Minuten bediente [6, 8] . Die Tatsache, dass RA und TNA zuvor schon häufig gemeinsam als Simulationstrainer (Notarzt-und Schockraumtrainings etc.) tätig waren, war hier sicher hilfreich. Kritisch anzumerken ist rückblickend, dass keine vollständige körperliche Untersuchung des Patienten erfolgte. Bis zum Eintreffen des ITH-Notarztes musste diese zur Stabilisierung der Vitalfunktionen zurückstehen. Anschließend erfolgt hätte sie möglicherweise den richtigen Sepsisfokus früher zum Vorschein gebracht, mutmaßlich aber ohne Auswirkungen auf die präklinische Therapie. Eine strukturierte Übergabe, z.B. nach dem ISOBAR-oder SBAR-Schema, die gezielt auch die noch ausstehenden Maßnahmen beinhalten, hätte diesem vielleicht vorgebeugt [11] . Schließlich sind auch 2 Aspekte diskussionswürdig, die außerhalb des eigentlichen präklinischen Einsatzgeschehens liegen: Der Besatzung war innerhalb weniger Augenblicke klar, dass sie es mit einem kritisch erkrankten Patienten zu tun hatte. Es bleibt unklar, warum dies bei der Notrufabfrage nicht erkannt wurde, was dann zu einem rascheren Eintreffen von RTW und Notarzt geführt hätte. Denkbar ist, dass dies mittels "strukturierter Notrufabfrage" (SNA), die im Rettungsdienstbereich Gießen erst im kommenden Jahr eingeführt werden soll, besser gelungen wäre. Allerdings liegt es ja gerade in der Natur des "notfallmedizinischen Chamäleons" Sepsis, dass es sich an unspezifischen Störungen verschiedener Organsysteme zeigt. Möglicherweise hätte das Warnzeichen "Kaltschweißigkeit" bei konsequenter Anwendung der SNA eine höhere Dringlichkeit ergeben. Sicher erscheint dies aber nicht, zumal der Patient selbst sich subjektiv gar nicht besonders symptomgeplagt zeigte. Auch die Übergabe des Patienten in der ZNA ist zu hinterfragen. Mittlerweile steht die Empfehlung zur Versorgung kritisch kranker konservativer Patienten in einem nichttraumatologischen Schockraum auf breiter Basis [7, 9] . Am Standort Gießen des UKGM erfolgt dies nicht innerhalb der ZNA, sondern auf einer Intensivstation. Eventuell muss dieser vorgesehene Ablauf deutlicher kommuniziert oder überdacht werden. Auch bei diesem Punkt ist es natürlich höchst spekulativ, ob die Versorgung in einem Schockraum zu einem besseren Outcome beigetragen hätte. Gießen und Vogelsberg (2020) Algorithmen & Medikamente der erweiterten Versorgungsmaßnahmen der Landkreise S1-Leitlinie Die intraossäre Infusion in der Notfallmedizin Verordnung zur Durchführung des Hessischen Rettungsdienstgesetzes vom 3 Entscheidungsfindung in der Akut-und Notfallmedizin PinMetal(2021)Nichttraumatologisches Schockraummanagement Crisis Resource Management -Der Faktor Mensch in der Akutmedizin Telemedizin in der prähospitalen Notfallmedizin: Strukturempfehlungen der DGAI Konzepte für eine strukturierte Patientenübergabe