key: cord-0075931-3ujn93vn authors: Dabbert, Dominik; Toto, Sermin; Seifert, Johanna title: Clozapin aus Sicht des Projekts "Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie" date: 2022-03-22 journal: InFo Neurologie DOI: 10.1007/s15005-022-2263-y sha: 3ae70ae2f63ca0f415e3ecf04cefddcbef215f35 doc_id: 75931 cord_uid: 3ujn93vn nan Nach seiner initialen Entwicklung in den 1950er-Jahren machte Clozapin erst im Jahr 1972 sein Debüt auf dem deutschen Arzneimittelmarkt. Clozapin stellte den ersten Wirkstoff dar, der trotz nahezu fehlendem Dopamin-D2-Rezeptorantagonismus und ohne unerwünschte extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS) antipsychotisch wirksam war. Aufgrund dieser neuen Eigenschaft galt Clozapin als erstes "atypisches" Antipsychotikum ("Antipsychotikum der zweiten Generation", engl.: "second-generation antipsychotic drug", SGA). Neben der einzigartig niedrigen Affinität für Dopamin-D2-Rezeptoren zugunsten einer hohen D1-und D4-Rezeptor-Affinität fiel ein potenter Agonismus an serotonergen und a-adrener-gen Rezeptoren auf. In den Jahren nach seiner initialen Markteinführung wurde Clozapin zunehmend verordnet, da es im Vergleich zu anderen damals verfügbaren Antipsychotika eine extrem niedrige Rate an EPMS aufwies [1] . Wenige Jahre später meldete zunächst Finnland ein gehäuftes Auftreten tödlich verlaufender Agranulozytosen bei mit Clozapin behandelten Patienten. Nach vorübergehender Marktrücknahme erfolgte die Wiederzulassung wegen der unverzichtbaren besonderen Wirkung von Clozapin nur unter der Auflage strenger Blutbildkontrollen (wöchentlich in den ersten sechs Monaten nach Behandlungsbeginn, danach monatlich). Neben dem Auftreten von Agranulozytosen ist Clozapin mit einer Reihe anderer, seltener, jedoch schwerwiegender, potenziell lebensbedrohlicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) wie Pneumonie, Myokarditis, Kardiomyopathie und paralytischer Ileus assoziiert [2] . Deshalb bedarf die Anwendung von Clozapin trotz seiner guten Wirksamkeit und vorteilhaften Eigenschaften hinsichtlich des seltenen Auftretens von EPMS einer strengen Indikationsstellung und ist bei den verordnenden Ärzten oftmals mit vielen Unsicherheiten vergesellschaftet [3] . Clozapin ist somit ein Arzneimittel, bei dem die Pharmakovigilanz einen besonders hohen Stellenwert einnimmt. Das Projekt "Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie" (AMSP) wurde 1993 gegründet und erfasst seitdem das Auftreten schwerwiegender, neuer und/ oder seltener UAW unter Psychopharmakotherapie im klinischen Alltag im deutschsprachigen Raum. Im AMSP-Projekt werden nur schwerwiegende, klinisch bedeutsame UAW erfasst, welche projektintern in einem umfangreichen Manual eingehend definiert wurden. Schwerpunkt der auf AMSP-Daten beruhenden Auswertungen besteht unter anderem in der Risikoabschätzung von UAW unter Psychopharmakotherapie bei "Real-life"-Bedingungen. AMSP stellt somit ein Qualitätssicherungsprogramm dar, erhöht die Patientensicherheit und dient gleichzeitig der Schulung und Fortbildung von Klinikern sowie dem kollegialen Austausch über die Psychopharmakotherapie [4] . Bislang verzeichnet AMSP 603 schwerwiegende UAW-Fälle unter Clozapin. Somit war Clozapin bisher an 16,1 % aller Antipsychotika-assoziierten UAW beteiligt, die im Rahmen des AMSP-Projektes erhoben worden sind. Clozapin in der Behandlung der therapieresistenten Schizophrenie Clozapin ist das einzige Antipsychotikum mit nachgewiesener Wirksamkeit bei therapieresistenter Schizophrenie und gilt hier als Goldstandard [5, 6, 7] ; es ist ausschließlich dafür zugelassen. Eine Schizophrenie wird dann als therapieresistent bezeichnet, wenn eine Behandlung mit mindestens zwei verschiedenen Antipsychotika in ausreichend hoher Dosis (bzw. mit ausreichend hohen Blutspiegeln) über jeweils mehr als sechs Wochen erfolglos verblieb. Ein Behandlungserfolg ist erreicht, wenn sich die Symptomatik der Schizophrenie um mindestens 20 % verbessert und der Schweregrad der Symptome maximal "mild" ist [3] . Die wichtigsten Aspekte zu den nachfolgend aufgeführten UAW-Arten wie Zeitpunkt des Auftretens, Risikofaktoren, geeignete Überwachungs-und Gegenmaßnahmen sowie die Möglichkeit eines Wiedereinsetzens von Clozapin nach Abklingen der UAW sind in den ▶Tab. 1, 2 und 3 aufgeführt. Clozapin ist mit einer Reihe hämatologischer UAW vergesellschaftet, die am häufigsten die neutrophilen Granulozyten (nG) betreffen. Neben der potenziell lebensbedrohlichen und daher prominenten UAW der Agranulozytose kann Clozapin zu Blutbildveränderungen wie Eosinophilien, Thrombozytopenien, Thrombozytosen und Leukozytosen führen, die nur in sehr seltenen Fällen schwerwiegende Ausmaße annehmen und dann eine Therapiebeendigung zur Folge haben [2] . Eine Agranulozytose ist definiert als Abfall der absoluten Anzahl der nG auf < 500/µl [2] . Dies betrifft in etwa 0,5 % (95 %-KI 0,3-0,6) aller Patienten, die mit Clozapin behandelt werden, und verläuft in Eine 35-jährige Patientin mit bekannter Schizophrenie kommt mit leichter Agitiertheit, Unruhe und paranoidem Verfolgungserleben in die Notfallaufnahme einer psychiatrischen Klinik und bittet um stationäre Behandlung. Sie berichtet von einer durch ihren niedergelassenen Nervenarzt verordneten, bereits länger bestehenden Therapie mit 300 mg Clozapin täglich. Der aufnehmende Arzt nimmt einen Clozapinspiegel ab und nimmt die Patientin zur stationären Behandlung auf. Die Clozapingabe von 300 mg täglich wird fortgeführt. Nach zwei Tagen, in denen die Patientin eher übersediert und zurückgezogen wirkte, verändert sich das klinische Bild deutlich: Sie zeigt eine auffällige motorische Unruhe, zieht sich wiederholt aus, bespritzt sich immer wieder mit Wasser, zeigt eine prominente produktiv-psychotische Symptomatik, eine Tachykardie sowie eine auffällige trockene Haut. Der Die Senkung der Krampfschwelle und somit Erhöhung des Risikos für epileptische Anfälle ist eine UAW, die unter der Behandlung mit den meisten Antipsychotika auftreten kann [54] . Clozapin birgt jedoch im Vergleich zu anderen Antipsychotika wie Quetiapin, Risperidon und Haloperidol ein besonders erhöhtes Risiko [55] . Das kumulative 1-Jahres-Risiko eines epileptischen Anfalls unter Clozapintherapie beträgt 5 % und zeigt eine Dosisabhängigkeit insbesondere bei Dosen > 600 mg/Tag [54] . Auffälligkeiten im EEG treten insgesamt häufig unter Behandlung mit Clozapin auf und betreffen bis zu 60 % der hiermit behandelten Patienten [56] . EEG-Veränderungen können Vorboten eines epileptischen Anfalls sein, die sich als klonisch-tonische, einfach und komplex fokale und myoklonische Anfälle oder Absencen ohne pathologischen Wert darstellen können, aber auch Allgemeinveränderungen [54] . Am häufigsten werden generalisierte tonisch-klonische Anfälle beobachtet [54] . Das Vorliegen einer bekannten Epilepsie stellt keine absolute Kontraindikation einer Clozapinbehandlung dar [2], jedoch ist hier besondere Vorsicht und eine Zusammenarbeit mit dem behandelnden Neurologen erforderlich (▶Tab. 2). Clozapin kann an einer Vielzahl von Wechselwirkungen beteiligt sein, daher kann in diesem Rahmen nur für einige unerwünschte Wirkungen eine ausführlichere Darstellung erfolgen. Zur symptomatischen Behandlung einer Sialorrhoe unter Clozapin werden im klinischen Alltag gelegentlich Behandlungsversuche mit Pirenzepin unternommen. Die Sialorrhoe kann durch Pirenzepin antagonisiert werden [57] . Diese Kombination kann jedoch eine Summation anticholinerger Effekte, insbesondere gastrointestinal, mit sich bringen, die bis zum paralytischen Ileus führen kann. Unter dieser Kombination wurden im Rahmen des AMSP-Projektes letale Ausgänge erfasst. Daher ist dieses Vorgehen nur bei zwingender Indikation, aktiv nachgehender Beobachtung und Untersuchung auf anticholinerge Summationseffekte vertretbar. Absetzversuche des Pirenzepins sollten wiederholt erfolgen, um eine eventuell langzeitige, nicht mehr erforderliche Kombinationstherapie zu vermeiden. Clozapin stellt mit seinen antipsychotischen Wirkungen ein unverzichtbares Mittel zur Behandlung therapieresistenter Schizophrenie dar, mit dem oft bei schwierigen Patienten gute Effekte erreicht werden können. Aufgrund des relevanten Risikos erheblicher UAW sind jedoch regelmäßige Kontrolluntersuchungen, Wachsamkeit sowie Kenntnis der möglichen unerwünschten Wirkungen unerlässlich. Literatur als Zusatzmaterial unter www.springermedizin.de/infonp Diagnostik und Therapie katatoner Syndrome aus: InFo Neurologie + Psychiatrie 2/2022 von: S. Walther, F. Weiss Zertifiziert bis: 22.2.2022 CME-Punkte Lithium -ein Update aus: InFo Neurologie + Psychiatrie 1/2022 von: U. Lewitzka, R. Haußmann Zertifiziert bis: 19.1.2023 CME-Punkte Diese Fortbildungskurse finden Sie, indem Sie den Titel in das Suchfeld auf SpringerMedizin.de/CME eingeben. Zur Teilnahme benötigen Sie ein Zeitschriften-oder ein Med-Abo bietet Ihnen alles, was Sie für Ihren Praxis-oder Klinikalltag brauchen: Sie erhalten Zugriff auf die Premiuminhalte von SpringerMedizin.de, darunter die Archive von 99 deutschen Fachzeitschriften Als e.Med-Abonnent*in steht Ihnen außerdem das CME-Kursangebot von SpringerMedizin.de zur Verfügung: Hier finden Sie aktuell über 550 CME-zertifizierte Fortbildungs kurse aus allen medizinischen Fachrichtungen! Unter www.springermedizin.de/eMed können Sie ein e.Med-Abo Ihrer Wahl und unser CME-Angebot 14 Tage lang kostenlos und unverbindlich testen Bei inhaltlichen Fragen erhalten Sie beim Kurs auf SpringerMedizin.de/CME tutorielle Unterstützung. Bei technischen Problemen erreichen Sie unseren Kundenservice kostenfrei unter der Nummer 0800 7780777 oder per Mail unter kunden service@springermedizin.de.Für eine erfolgreiche Teilnahme müssen 70 % der Fragen richtig beantwortet werden. Pro Frage ist jeweils nur eine Antwortmöglichkeit zutreffend. Bitte beachten Sie, dass Fragen wie auch Antwortoptionen online abweichend vom Heft in zufälliger Reihenfolge ausgespielt werden.Dieser CME-Kurs wurde von der Bayerischen Landesärztekammer mit zwei Punkten in der Kategorie I (tutoriell unterstützte Online-Maß nahme) zur zertifizierten Fortbildung frei gegeben und ist damit auch für andere Ärztekammern anerkennungsfähig.Dieser CME-Kurs ist auf SpringerMedizin.de/CME zwölf Monate verfügbar. Sie finden ihn, wenn Sie die FIN oder den Titel in das Suchfeld eingeben. Alternativ können Sie auch mit der Option "Kurse nach Zeitschriften" zum Ziel navigieren oder den QR-Code links scannen.