key: cord-0077542-7fyv01j4 authors: Paech, Andreas; Vogel, Dominik title: IT-Führungsrollen des Top-Management-Teams im öffentlichen Sektor date: 2022-04-28 journal: HMD DOI: 10.1365/s40702-022-00873-w sha: 19fe05978f991813ee93f45209b6a7bee3eacebe doc_id: 77542 cord_uid: 7fyv01j4 In the meantime, even in public sector organizations, there are often several IT leadership roles in top management. So far, however, we know very little about how these IT leadership roles are designed and how they can be distinguished from one another. This article uses Job mining of job advertisements in the public sector in order to identify competencies, responsibilities and tasks of the IT management roles by means of a qualitative content analysis and to formulate recommendations for action. While the competencies required for IT management roles include a university degree, language skills, and specialist and administrative knowledge, the responsibilities show different characteristics. The tasks are formulated in a role-specific manner, but show a number of overlaps between the IT management roles. These overlaps suggest a CTO–CDO dyad with an overarching CIO role. The practical recommendations include a higher weighting of English and digital skills as well as lifelong learning. Der öffentliche Sektor steht vor der großen Herausforderung, sich umfassend zu digitalisieren, eine über Jahrzehnte gewachsene IT-Landschaft zu konsolidieren und den Betrieb und die Fortentwicklung zahlreicher kritischer IT-Systeme zu gewährleisten. Wie zentral diese Herausforderung für die gesamte Gesellschaft ist, hat uns die COVID-19-Pandemie gezeigt. Um diese Aufgaben zu bewältigen hat der öffentliche Sektor in den vergangenen Jahren nicht nur zunehmend IT-Personal eingestellt, sondern auch IT-Führungsrollen im Top-Management-Team (TMT) geschaffen. Dies umfasst Chief Digital Officers (CDO) und Chief Information Officers (CIOs), aber auch TMT-Positionen für Technologie (CTO), Produkte (CPO 1 ) und Informationssicherheit (CISO). Diese Entwicklung ist durchaus bemerkenswert, da sie für die etablierten Strukturen des öffentlichen Sektors untypisch ist. In diesen Strukturen sind Top-Führungskräfte üblicherweise für streng abgegrenzte Aufgabenbereiche verantwortlich. Führungsrollen mit aufgabenübergreifenden Verantwortlichkeiten, wie sie bei IT-Führungsrollen im TMT üblich sind, sind in dieser Logik traditionell nicht vorgesehen. Umso erstaunlicher ist, dass wir bisher kaum etwas über diese IT-Führungsrollen im TMT des öffentlichen Sektors wissen. Hierzu gehört auch, dass weitgehend unklar ist, wie die einzelnen Rollen voneinander abgegrenzt werden oder wie sie ausgestaltet sind. Dieser Artikel greift diese Forschungslücke auf und nutzt eine qualitative Analyse von öffentlichen Stellenanzeigen, um einen ersten Einblick in Ausgestal-tung und Abgrenzung von IT-Führungsrollen im TMT des öffentlichen Sektors zu gewinnen. Stellenanzeigen sind in diesem Kontext von besonderem Interesse, da sie verbindlichen Auswahlkriterien zur Bestenauslese festlegen und insofern mit großer Sorgfalt erstellt werden müssen. Dieser Artikel nutzt die Stellenanzeigen, um folgende Forschungsfrage zu beantworten: Welche Kompetenzen, Verantwortungen und Aufgaben (KVAs) werden den einzelnen IT-Führungsrollen zugewiesen und wie lassen sich die verschiedenen Rollen darauf aufbauend voneinander abgrenzen? Der Artikel vergleicht somit theoretische Annahmen über IT-Führungsrollen im TMT mit der empirischen Realität des öffentlichen Sektors und leitet darüber hinaus Handlungsempfehlungen zur Optimierung der Stellenausschreibungen sowie zukünftigen Forschungsbedarf ab. Die benötigten Skills werden zum großen Teil rollenunabhängig definiert. So benötigen Bewerber:innen eine "mehrjährige einschlägige" Berufserfahrung, für CISO-Stellen werden zwei oder drei Jahre als konkrete Untergrenze definiert. Bewerber:innen sollen über eine strategisch-analytische Denkweise und kreative Konzeption verfügen. Die ausgeprägten sozialen und kommunikativen Kompetenzen werden neben der Netzwerkkompetenz stets betont. Bewerber:innen sollen über Führungserfahrung von interdisziplinären Teams verfügen. Die geforderten IT/Digital-Skills erstrecken sich wieder über ein breites Spektrum: es werden mind. Grundverständnis und eine (hohe) Affinität für IT gefordert, durchschnittlich reichen "gute Kenntnisse inkl. MS-Office" aus. Am oberen Ende des Spektrums finden sich vereinzelt geforderte "gefestigte Fachkenntnisse". Von den Bewerber:innen werden die Attribute Innovations-und Gestaltungswille, selbstsicheres Auftreten und offener Umgang mit Menschen sowie Loyalität gewünscht. Der Innovations-und Gestaltungswille zeigt ebenfalls unterschiedliche Ausprägungen. Gemeinsam ist allen Ausprägungen, dass eine eigenverantwortliche und proaktive Arbeitsweise gewünscht wird, die sich durch kreative Ziel-, Lösungs-und Serviceorientierung sowie Engagement auszeichnet. Auch sollen Bewerber:innen entscheidungsstark sein. Der Innovations-und Gestaltungswille im engeren Sinne gliedert sich in eine passive Ausprägung, die durch Offenheit und Bereitschaft gegenüber Innovation gekennzeichnet ist, und eine aktive Ausprägung, in der innovative Ideen gefordert werden und auch die Leitung der Umsetzung vorangetrieben werden soll. Das selbstsichere Auftreten und der offene Umgang mit Menschen erfordern ein ausgeprägtes Verhandlungsgeschick und -sicherheit sowie Konfliktfähigkeit und Belastbarkeit, aber auch das Attribut eines Teamplayers. Während einzelne Kompetenzen bereits mehrere Ausprägungen zeigten, so gilt dies durchgängig für die identifizierten Verantwortungen der IT-Führungsrollen. Abb. 3 zeigt die Verantwortungen mit deren Ausprägungen und Häufigkeiten. Teilnahme (9) Entwicklung (6) Optimierung (7) Operative Umsetzung Beratung (2) Konzeption (7) Leitung (13) Einzelaktivitäten (4) Teilprojekt (2) Gesamtprojekt (9) Portfolio (7) Personalführung Einzelne:r oder keine MA (12) Team (7) Abteilung (1) Bereich (2) Intern (22) Extern (12) Lokal (9) National (2) Internat. (1) Informieren Fakultativ (17) Obligatorisch ( Die Chief Information Officers entwickeln und steuern eine auf die Organisationsstrategie abgestimmte IT-Strategie und -Governance. Außerdem sollen Prozesse digitalisiert und strategisch weiterentwickelt werden. Ressourcen und Budget sowie die Kernprozesse der IT, Betrieb, Entwicklung, Architektur und Infrastruktur, sollen gesteuert werden. Neben der qualitativen Auswertung der Kompetenzen, Verantwortungen und Aufgaben wurden die Stellenausschreibungen auch quantitativ ausgewertet. Dafür wurden die Titel aller 12.934 Stellen in den IT-Fachbereichen auf Schnittmengen der Datenerhebungs-Filterung ("digital, informati, produ[c,k]t, sicherheit, security, techno, IT-") untersucht und als Venn-Diagramm in Abb. 4 dargestellt. So gibt es 170 IT-Stellen, die sowohl "digital" (der CDO-Führungsrolle zugeordnet) als auch "IT-" (CTO) im Titel enthalten. Die größte Gruppe der Stellen, die IT-Bindestrich-Positionen wie IT-Administration, IT-Applikationen oder IT-Infrastruktur, gehören zur CTO-Rolle, während der CIO-Rolle "informati*" zugeordnet ist. In den ausgewerteten Stellenausschreibungen des TMT gab es keine CPO-Stellen, jedoch gibt es Fachstellen in diesem IT-Fachbereich. (Wulfers 2017) , so dass alle Bewerber:innen die gleichen Chancen im Auswahlverfahren haben (BAG 6. Mai 2014 -9 AZR 724/12 -Rn. 10 mwN). Im Folgenden werden die empirischen Anforderungsprofile der IT-Führungsrollen im öffentlichen Dienst kritisch auf ihre Eignung als nicht-veränderbare Entscheidungskriterien zur Sicherstellung der chancengleichen, aber auch realistischen Bestenauslese mit dem Ziel der "besten" Stellenbesetzung evaluiert. Die Anforderungsprofile erfordern i. d. R. nur ein abgeschlossenes Hochschulstudium, jedoch ohne Festlegung auf die Fachrichtung. Diese Aufweichung der Bestenauslese lässt sich mit dem hohen Quereinstieger:innen-Anteil in IT-Berufen in Einklang bringen. Nur ein Bruchteil der IT-Berufstätigen haben eine entsprechende formale Berufsausbildung bzw. ein entsprechendes Studium (Zehnder 2004) , so dass die Aufweichung aus praktischen Gründen erfolgen muss, sofern die Stelle realistisch besetzt werden soll. Ungewöhnlich sind jedoch die (fast) nicht geforderten Englisch-Kenntnisse für die IT-Führungsrollen. Die englische Sprache ist die lingua franca in der IT, so dass diese in allen Anforderungsprofilen verpflichtend sein sollte. Auch die Abwesenheit von agilen Methoden ist verwunderlich, so werden diese doch häufig von IT-Führungskräften gefordert (Eberl und Drews 2021) . Gleichzeitig definieren auch die geforderten Attribute Anforderungen an Bewerber:innen, wie die eigenverantwortliche und proaktive Arbeitsweise und Innovations-und Gestaltungswille, die auch im agilen Umfeld notwendig sind (Kusuma et al. 2019; Gerster et al. 2018) . Andererseits sind die im öffentlichen Dienst bekannten Organisationsstrukturen und -methoden nicht an agile Prinzipien angelehnt, auch wenn es einige Veröffentlichungen für eine agile Verwaltung gibt (Bartonitz et al. 2018) . Obwohl dem lebenslangen Lernen ein großer Stellenwert in der Literatur zugewiesen wird (Kiefer et al. 2021; Kusuma et al. 2019) , spiegelt sich dies nur eingeschränkt in den untersuchten Stellenausschreibungen wider. Die Bedeutung des lebenslangen Lernens in der IT, auch für Führungsrollen, wird noch deutlicher, sofern der Humankapitalwertverlust in Betracht gezogen wird. Die Wissensrelevanzzeit für IT-Kenntnisse beträgt lediglich ein Jahr (Scholz 2018), so dass das Humankapital jährlich einen hohen zweistelligen Wertverlust erleidet, sofern keine aktive Personalentwicklung betrieben wird. Insofern verwundert eine scheinbar nachrangige Bedeutung in den Auswahlkriterien zur Stellenbesetzung. Die Verteilung der Verantwortungsausprägungen zeigen, dass die IT-Führungsrollen in Strategieprozessen nur teilnehmen oder entwickeln, jedoch selten optimieren. Für diese strategische Schwäche könnte der politischer Willensbildungsprozess eine Erklärung sein, der dem öffentlichen Dienst traditionell eher die Rolle der operativen Umsetzung zuweist. Dass die Organisation von Fortbildungen selten als Verantwortung gesehen wird, ist ein weiteres Indiz für die schwächere Bedeutung des lebenslangen Lernens; wie bereits oben ausgeführt. Die Aufgaben der CDO-Rollen sind i. d. R. mit konkreten Projekten inhaltlich beschrieben. Auch die CISO-Rollen haben eine ausführliche Beschreibung, die sich an den BSI-Standards orientieren. Lediglich die CIO-Rollen basieren auf einer Sammlung von allgemeinen IT-Managementprozessen ohne weiterführende Beschreibung. Für die Auswahlkriterien der IT-Führungsrollen können einige bedeutsame Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden. Für die Kompetenzen empfehlen wir höhere Englisch-Kenntnisse mit aufzunehmen, sofern noch nicht vorhanden, sowie stärker ausgeprägte IT-und Digitalkenntnisse für IT-Führungsrollen. Aufgrund der hohen Humankapital-Wertverluste in der IT sollte auch ein höherer Fokus auf lebenslanges Lernen gesetzt werden. Agile Methoden sollten als erforderliche Kompetenzen ebenfalls aufgenommen werden. Vorsicht ist auch bei der Überbetonung von Verwaltungskenntnissen geboten, die Bewerber:innen außerhalb der Verwaltung abschreckt. Ausgehend von der qualitativen Auswertung der Kompetenzen, Verantwortungen und Aufgaben der IT-Führungsrollen im TMT sowie der empirischen Rollenverteilung in Abb. 4 schlagen wir die hypothetische Rollenverteilung in Abb. 5 vor. Dabei soll aufgezeigt werden, wie Zusammenspiel und Abgrenzung durch verschiedene Personen besetzter IT-Führungsrollen ausgestaltet werden könnte. Statt einer CDO-CIO-Dyade, wie sie in der Literatur oft vorgeschlagen wird (Horlacher 2016 Zukünftige Forschung sollte die CTO-CDO-Dyade empirisch weiter untersuchen, ebenso wie die Schnittmengen zwischen den IT-Führungsrollen. Die empirischen Ergebnisse zeigen zwar eine erste empirische Evidenz für eine mögliche CTO-CDO-Dyade, jedoch sollte diese ausgebaut werden, bevor Handlungsempfehlungen entwickelt werden. Dazu könnte eine weiterführende Interviewstudie mit den nun in der Zwischenzeit besetzten Stellen als Interviewpartner:innen in Fragen kommen oder eine qualitative Auswertung der Stellenausschreibungen der darunterliegenden IT-Führungsrollen. Auch die Analyse von Organigrammen wäre denkbar. Die vorliegende Studie zeigt, dass Job-Mining eine geeignete Methode zur Datenerhebung ist und sich gut mit einer sich anschließenden qualitative Inhaltsanalyse kombinieren lässt. Die Interpretationskraft ist für den öffentlichen Sektor aufgrund der Verbindlichkeit der ausgeschriebenen Anforderungsprofile gesteigert. Inhaltlich überrascht, dass IT-Führungsrollen im öffentlichen Sektor auch eine externe Repräsentationsverantwortung beinhalten und die Verantwortungen breite Spannweiten besitzen. Es wurden an die Praxis im öffentlichen Dienst gerichteten Handlungsempfehlungen zur Anpassung der Auswahlkriterien formuliert und ein Forschungsausblick für IT-Führungsrollen und einer möglichen CTO-CDO-Dyade gegeben. Limitationen sind die empirische Fallzahl und insbesondere die Abwesenheit weiterer Rollenprofile neben den detailliert untersuchten CIO-, CDO-und CISO-Rollen. Eine Vertiefung der bisherigen Forschung, z. B. durch Interviews der nun besetzten Stellen, lässt weitere Erkenntnisse erwarten. Funding Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL. Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. 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