key: cord-0702381-ww1h861d authors: Boehlen, F. H.; Kusch, M. K. P.; Reich, P.; Wurmbach, V. S.; Seidling, H. M.; Wild, B. title: Erfahrungen älterer, multimorbider Menschen in der COVID-19-Pandemie: eine qualitative Studie date: 2022-04-06 journal: Z Gerontol Geriatr DOI: 10.1007/s00391-022-02055-1 sha: 2854debad66e57b36026cc957f882d23f3ba75fb doc_id: 702381 cord_uid: ww1h861d BACKGROUND/OBJECTIVE: The COVID-19 pandemic and the accompanying preventive measures have shaped social life in unexpected ways. Because older persons with multiple chronic conditions have a high risk of a severe medical outcome, it has been strongly recommended that social contacts be curtailed in order to minimize risks of infection. While this appears to be alarming from a psychosocial point of view, it has been shown that older persons exhibit a high degree of equanimity and a good ability to cope with the crisis. The aim of the study was to describe the attitudes of multimorbid older people to the pandemic, their social contacts and their experiences with medical care. MATERIAL AND METHODS: This cross-sectional qualitative survey was based on 21 semi-structured short interviews of older patients with multiple chronic conditions during inpatient health care, at 4 different points in time: July 2020, September 2020, November 2020 and January 2021. The data were analyzed by qualitative content analysis. RESULTS: The statements of 21 participants (aged 58–88 years) were assessed. Over the course of the COVID-19 pandemic it became apparent that participants experienced the pandemic differently, both from an individual perspective and over time. While high infection rates were accompanied by serious concerns about health, periods of moderate infection risk were dominated by worry about social changes. In older persons there was a great sense of acceptance of the preventive measures. CONCLUSION: Our study exemplarily illustrates the attitudes and concerns of older persons who suffer from multiple chronic conditions over the course of the pandemic. Our data show that older persons reacted with equanimity to the novel medical and social circumstances. Zu Beginn der COVID-19-Pandemie wurden ältere, multimorbide Menschen -Angehörige der sog. Risikogruppe -aufgefordert, soziale Kontakte und Tätigkeiten weitestgehend zu meiden. Dabei meint der Begriff "Risikogruppe" Menschen, die "ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf (bei Infektion mit SARS-CoV-2) haben" [13] , Menschen älter als 50 Jahre und solche mit bestimmten Vorerkrankungen: z. B. Herz-Kreislauf-oder Krebserkrankungen. In der ersten Phase der Pandemie wurde zudem zeitweise der Regelbetrieb von Krankenhäusern und Arztpraxen eingeschränkt, um mehr Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19-Patienten zu schaffen [4] . Es lässt sich vermuten, dass Veränderungen wie diese zu einer Zunah-mevonÄngstenund Einsamkeitbei älteren Menschen führen. Verschiedene Studien belegen eine enge Verbindung zwischen Einsamkeit und Isolation sowie dem Erleben von Unsicherheit mit psychischen Erkrankungen, auch im Rahmen der Pandemie [6, 7] . Dagegen sprechen andere Studien eher dafür, dass ältere Menschen mit einer gewissen Gelassenheit durch die Zeit der Krise kommen [2, 3, 14] . Hier ist anzunehmen, dass u. a. das Erleben von Selbstwirksamkeit eine mögliche Gelassenheit in der Krise moderiert [7] . Dabei wird Selbstwirksamkeit als Vertrauen in die eigenen Kompetenzen verstanden, als Überzeugung, schwierige Situationen erfolgreich bewältigen zu können [1] . Eine aktuelle Metaanalyse zeigt, dass sich ältere Menschen, die gesundheitliche Versorgung brauchen, als vermindert handlungsfähig empfinden [17] -was sich in der Pandemie in vermehrten Ängsten und Unsicherheit widerspiegeln könnte. Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, wie ältere Personen mit kritischen Vorerkrankungen die Pandemie wahrgenommen haben. Dabei wurden Schwerpunkte auf das affektive Erleben, die sozialen Kontakte und die Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem gelegt. Auswertung. Die Transkripte wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring analysiert [10] . Erhebung und Auswertung wurden im Wechsel durchgeführt, bis im Sinne einer theoretischen Sättigung keine neuen Erkenntnisse auftraten [15] . Über einen deduktiveninduktiven Prozess wurden Haupt-und Unterkategorien durch 2 unabhängige Rater gebildet. Die spontanen Äußerungen bezüglich Corona wurden induktiv kategorisiert und hinsichtlich der zeitlichen Dynamik betrachtet. Die spezifischen Themenfelder (Affekte, soziale Auswirkungen, Erleben des Gesundheitswesens) wurden deduktiv-induktiv analysiert. Der Analyseprozess wurde regelmäßig in der Forschungsgruppe diskutiert und konsentiert. Die Datenanalyse erfolgte mit MaxQDA, Version 2020 (VERBI GmbH, Berlin, Deutschland). Eine Übersicht über die Charakteristika der 21 TeilnehmerInnen gibt . Tab. 1. Angaben zu den Untergruppen finden sich in Appendix 2 (Zusatzmaterial online). Es fiel auf, dass die depressive Beschwerdelast in den Phasen 3 und 4 (November 2020 bis Januar 2021) deutlich höher lag als in den Phasen 1 und 2 (07-09/20) (PHQ-Score: 11,1 ± 5,6 vs. 6,5 ± 4,7). Alle Interviewten befanden sich aufgrund eines akuten kardialen Ereignisses in stationärer Behandlung. Erfahrungen mit und Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Direkt auf das Thema "Corona" und die Erfahrungen im Rahmen der ersten Welle angesprochen, wurden einerseits affektive Betroffenheit thematisiert und andererseits die sozialen Auswirkungen der Pandemie (. Abb. 1). Im Juli 2020 zeigten sich Reaktionen, die von Negation jeglicher Betroffenheit bis hin zu starker Angst reichten. Dabei fiel auf, dass das Ausmaß der Betroffenheit unabhängig davon war, wie stark die PatientInnen vorerkrankt waren. Von den 6 beteiligten Personen zeigten sich eher die Personen, die noch berufstätig waren, eingeschränkt und besorgt. [9] , warnen andere, dass die pandemiebedingte Isolation durchaus auch traumatisierend verarbeitet werden kann [16] . Beide Beobachtungen finden Wiederklang in unseren Daten. Dabei ist auffällig, dass Ängste zunächst eher verneint, dann relativiert werden und im Zuge der zweiten "Corona-Welle" wieder zunehmen. Eine ähnliche Dynamik findet sich in anderen Studien, die die größte Belastung durch die Pandemie in Phasen der größten Bedrohung sehen [7] . Auch werden Gefühle wie Ärger thematisiert, jedoch eher gegenüber denen, die sich nicht an die Schutzmaßnahmen halten. Die TeilnehmerInnen unserer Studie weisen eine überdurchschnittlich hohe Morbidität und Depressivität auf, im Vergleich mit anderen Gruppen ähnlichen Alters [18] -bedingt durch die Einschlusskriterien der Studie und die Rekrutierung im stationären Umfeld. Trotzdem scheinen sie sorgsam, aber gelassen angesichts COVID-19. Diese Gelassenheit könnte auf der Lebenserfahrung und dem Wissen um den Umgang mit potenziell lebensbedrohlichen Situationen oder sozialen Änderungen beruhen. Es ist aber auch möglich, dass das soziale Umfeld im Vorfeld schon so konzentriert war, dass die Änderungen nicht gravierend schienen. Bezogen auf das Konzept der Selbstwirksamkeit wird bei einigen TeilnehmerInnen deutlich, dass ihre Zuversicht wuchs, durch die zunehmende Erfahrung mit der Pandemie und die Überzeugung, diese Situation auch selber bewältigen zu können. Dabei fällt auf, dass viele Interviewte häufiger die eigene Handlungskompetenz gegenüber COVID-19 herausstellten, z. B. über Schutzmaßnahmen oder neue Kontaktformen, und weniger auf die mögliche Bedrohung angesichts der eigenen Vorerkrankung eingingen. Hinsichtlich der Auswirkung von depressiver Symptomatik auf das Erleben der Pandemie zeigte sich in unseren Daten keine klare Tendenz. Weder zeigten depressive TeilnehmerInnen ein ausgeprägteres Rückzugverhalten noch eine auffallend passiv-pessimistische Haltung gegenüber COVID-19. Es fiel aber auf, dass die TeilnehmerInnen aus den späteren Phasen eine höhere depressive Symptomatik zeigten. Dabei lässt sich jedoch nicht sagen, ob dies durch die fortdauernde Pandemie zu erklären ist, oder ob saisonale Effekte eine Rolle spielen. Auf sozialer Ebene fiel auf, dass die Änderungen, insbesondere von aktiven Älteren bedauert, jedoch weitestgehend akzeptiert wurden. Dabei schilderten einige, dass sich durch COVID-19 der Kontakt zur direkten Familie änderte, räumlich nahe Kontakte sogar z. T. intensiviert wurden. Andere schilderten die Aufnahme neuer Kontaktmodelle, wie Videochats, gaben aber auch an, dass diese den Kontakt nicht vollständig ersetzten. In diesem Kontext zeigte ein aktueller Review, dass es bislang keine gesicherte Evidenz gibt, dass Videotelefonate psychische Belastung älterer Menschen signifikant lindern [11] . Weiterhin war auffällig, dass die Alltagsunterstützung der befragten "Risikopatienten" primär von familiären Bezugspersonen vorgenommen wurde und weniger von Sozialdiensten. Dies wurde auch in anderen Studien beschrieben, die im Rahmen der COVID-19-Pandemie eine Zunahme der Versorgungsarbeit in den Familien, insbesondere bei Frauen, sahen [12] . Hinsichtlich der medizinischen Versorgung fiel eine hohe Zufriedenheit auf, sowie Verständnis für die getroffenen Schutzmaßnahmen oder die Aufschiebung von Terminen. Dabei wurde die Ansprechbarkeit der HausärztInnen hervorgehoben. Von Einzelnen wurde der erhöhte organisatorische Vorlauf, bedingt durch die Schutzmaßnahmen, als strukturierend eingeordnet. Unsere Ergebnisse sind von Limitationenbetroffen. So unterliegen die Aussagen Self efficacy: the exercise of control Mentalhealth, substanceuse, andsuicidalideation during a prolonged COVID-19-related lockdown in a region with low SARS-CoV-2 prevalence Mental health in elderly SpanishpeopleintimesofCOVID-19 outbreak Geriatrics in times of corona INTERMED": a method to assess health service needs: I. Development and reliability Mental health in the UK during the COVID-19 pandemic: crosssectional analyses from a community cohort study Predictors of anxiety, stress, and concern of COVID-19 infection in older adults during the first and the second waves of the COVID-19 pandemic in Slovakia The patient health questionnaire somatic, anxiety, and depressive symptom scales: a systematic review The trajectory of loneliness in response to COVID-19 Qualitative Inhaltsanalyse Video calls for reducing social isolation and loneliness in older people: a rapid review The COVID-19 pandemic has increased the care burden of women and families Robert Koch Institut Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf Mental and social health in the German old age population largely unaltered during COVID-19 lockdown: results of a representative survey Grounded theory in practice The paradox of social distancing: Implications for older adults in the context of COVID-19 The general self-efficacy of older adults receiving care: a systematic review and meta-analysis A short intervention targeting psychosomatic care in older adults with complex health care needsresults of a randomized controlled trial Assessing the perspective of well-being of older patients with multiple morbidities by using the LAVA tool-a person-centered approach