key: cord-0711911-9q211p88 authors: Seybold, Ulrich title: SARS-CoV-2-Impfung: Auch bei "besonderen" Patienten date: 2022-04-22 journal: MMW Fortschr Med DOI: 10.1007/s15006-022-0924-x sha: 15890c8cf12494aa0c9c4fee693ab35f5f7e3433 doc_id: 711911 cord_uid: 9q211p88 nan Die beispiellos schnelle Entwicklung und Zulassung verschiedener Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 seit dem Jahr 2020 hat ab 2021 wesentlich zur Kontrolle der Pandemie beigetragen. Von den im Januar 2022 über 330 Vakzinkandidaten, die auf einem großen Spektrum von Technologien ("Plattformen") basieren, kommen bisher in den USA lediglich drei von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassene Impfstoffe zum Einsatz [1, 2] . Das mRNA-Präparat BNT162b2 hat seit Sommer 2021 eine uneingeschränkte Zulassung für Personen ab 16 Jahren und eine Notfall-Zulassung (Emergency Use Authorisa-tion, EUA) für Kinder ab 5 Jahre. Auch der zweite mRNA-Impfstoff mRNA-1273 ist seit dem 31. Januar 2022 für Menschen ab 18 Jahren uneingeschränkt zugelassen. Ad26CoV2.S, ein adeno viraler Vektorimpfstoff, wird bisher im Rahmen einer EUA verwendet. In Europa sind von der European Medicines Agency (EMA) inzwischen fünf SARS-CoV-2-Vakzine zugelassen [3] . Im Unterschied zu den USA hat die EMA "volle" Zulassungen erteilt, die allerdings bedingt sind (Conditional Marketing Authorisation, CMA). Dadurch sind die Hersteller einerseits uneingeschränkt haftbar und andererseits zur Bereitstellung weiterer Daten verpflichtet, um die Aufrechterhaltung der Zulassung zu sichern. BNT162b2 ist in Europa ebenso wie Bei der Impfung gegen SARS-CoV-2 erlaubt die Coronavirus-Impfverordnung unter gewissen Umständen eine Abweichung von der EMA-Zulassung. in den USA ab 5 Jahren genehmigt, Ad26CoV2.S ab 18 Jahren. Das Vakzin mRNA-1273 ist in Europa bereits ab 12 Jahren zugelassen. Zusätzlich zu diesen drei Impfstoffen hat die EMA den Schimpansen-Adenovirus-basierten Vektorimpfstoff ChAdOx1-S (AZD1222) genehmigt, ebenfalls ab 18 Jahren. Im Dezember 2021 wurde als fünfte Vakzine zudem der adjuvantierte Proteinimpfstoff NVX-CoV2373 zugelassen. Die adenoviralen Vektorimpfstoffe sollen gemäß der Ständigen Impfkommission (STIKO) allenfalls noch für die erste Impfdosis eines dann heterologen Schemas bei > 60-Jährigen verwendet werden, ansonsten sollen nur noch die mRNA-Vakzine zum Einsatz kommen [4] . Hier ist zu beachten, dass aufgrund des absolut zwar sehr niedrigen, aber dennoch v. a. bei jüngeren Personen höheren Risikos einer Vakzin-assoziierten Herzmuskel-und Herzbeutelentzündung das Präparat mRNA-1273 nur bei Menschen ab 30 Jahren eingesetzt werden soll [5, 6] . Personen bis 30 Jahre und auch Schwangere sollen primär mit dem Vakzin BNT162b2 geimpft werden. All diese Impfstoffe sind als Totimpfstoffe einzuordnen, da eine Vermehrung im menschlichen Körper prinzipbedingt unmöglich ist [7] . Mindestabstände zu anderen Totimpfstoffen sind deshalb nicht einzuhalten. Allerdings empfiehlt die STIKO, wohl v. a. aufgrund mangelnder Daten, einen Abstand von 2 Wochen zu Lebendimpfstoffen [4] . Die Anwendung der Impfstoffe ist in den Zulassungstexten zwar exakt festgelegt, tatsächlich weichen die Empfehlungen der zuständigen Gesundheitsbehörden (Centers for Disease Control and Prevention, CDC) und STIKO aber zum Teil deutlich davon ab [8, 4] . Damit stellt sich auch die Frage nach Versorgungsanspruch im unwahrscheinlichen Fall eines Impfschadens, der im Fall von SARS-CoV-2-Impfungen auf Bundesebene geregelt ist [9] . Die Coronavirus-Impfverordnung erlaubt inzwischen explizit die Abweichung von der Zulassung, "wenn sie nach dem Stand der Wissenschaft medizinisch vertretbar ist oder im Rahmen nicht kommerzieller klinischer Studien erfolgt" [10, 11] . Die Verwendung der Impfstoffe gemäß STIKO-Empfehlung (als Stand der Wissenschaft) ist also unabhängig vom Zulassungstext gesetzlich abgesichert. Eine kurze Übersicht über die Eckdaten der FDA-und EMA-Zulassungen sowie die aktuelle STIKO-Empfehlung zu den verschiedenen Impfstoffen ist in Tab. 1 dargestellt. Die sich seit ca. November 2021 weltweit ausbreitende SARS-CoV-2-Variante "Omikron" (B.1.1.529) weist im Bereich des Spike-Proteins zahlreiche Aminosäureveränderungen auf [12, 13] [15] . Entsprechend waren die durchschnittlichen Neutralisationstiter bei mRNA-geimpften Personen in den USA gegen Omikron um bis zu 127fach niedriger als gegen den Wildtyp [16] . Eine englische Gruppe zeigte anhand von Modellierungsstudien, dass Auffrischimpfungen von entscheidender Bedeutung sind, um die Auswirkungen künftiger Virusvarianten-Wellen zu mildern [18] . Die Wirksamkeit der Booster-Impfung bezüglich der Plasma-Neutralisationsaktivitat gegen die Omikron-Variante wurde für die Vakzine BNT162b2 und mRNA-1273 bereits belegt [19, 20] . Diese Untersuchungen korrespondieren gut mit der in den USA nach einer Booster-Dosis BNT162b2 beobachteten erhöhten VE, die eine Risikoreduktion bezogen auf eine COVID-19-assoziierte Hospitalisierung bei der Delta-Variante von 94% und bei der Omikron-Variante immer noch von 90% bewirkte [15] . Die Virusbelastung sowohl bei der Omikron-als auch bei der Delta-Variante war bei einer Durchbruchsinfektion nach einer Booster-Impfung zudem signifikant niedriger [21] . Eine große Surveillance-Studie mit über 1,75 Mil lionen erfassten Personen in den USA zeigte ebenfalls einen bei der Omikron-im Vergleich zur Delta-Variante zwar abgeschwächten aber immer noch signifikant gesteigerten Schutzeffekt vor Infektionen und Todesfällen nach der 2. Impfdosis [22] . Dieser wurde durch die Booster-Impfung deutlich auf ca. 80% hinsichtlich des Infek tionsrisikos gegen die Omikron-Variante weiter verbessert. Relevante Unterschiede zwischen den drei verwendeten Impfstoffen ergaben sich nicht. Daten aus England bestätigen eine Steigerung der VE bezogen auf die Mortalität von 59% nach der 2. Impfdosis auf 95% zwei Wochen nach der Booster-Impfung. Die höchste VE gegen eine Omikron-Erkrankung wurde bei Personen mit zwei verabreichten Dosen BNT162b2 und einer Booster-Impfung mit einem mRNA-Vakzin festgestellt [23] . Immunogenitätsdaten zeigten ebenfalls einen möglichen zusätzlichen Effekt durch ein heterologes Schema bei der Booster-Impfung [24] . Somit existiert inzwischen eine überzeugende Datenbasis für die klare Empfehlung einer Booster-Impfung bei bisher zweifach geimpften Personen. Neben einigen kleineren Arbeiten wurde kürzlich eine große Registerauswertung zur Verträglichkeit von SARS-CoV-2-Impfstoffen im Kontext inflammatorischer/autoimmuner rheumatischer und muskuloskeletaler Erkrankungen (I-RMD) mit über 4.600 Teilnehmern publiziert [47] . Die Befürchtung vieler betroffener Menschen, dass die Impfung mit einem hohen Risiko der Auslösung eines gefährlichen Schubs ("Flares") ihrer Grunderkrankung assoziiert sein könnte, konnte durch diese Auswertung -zumindest für den in 70% der Fälle verwendeten BNT162b2-Impfstoff -widerlegt werden: Flares traten nur bei 4,4% der Geimpften auf. Davon wurden lediglich 0,6% als schwer gewertet und in 1,5% der Fälle wurde eine (vorübergehende) Veränderung der immunmodulatorischen Therapie notwendig. Auch die Effektivität der Impfungen war beruhigend, Durchbruchsinfektionen traten nur bei 0,7% der Patienten mit I-RMD auf. Bei Menschen unter einer immunsuppressiven Therapie und/oder krankheitsbedingter Immundefizienz konnte ebenfalls der positive Effekt einer Booster-Dosis gezeigt werden. Durch eine 3. Impfdosis wurde die VE bezüglich der Vermeidung einer Hospitalisierung von 69% auf 88% gesteigert [48] . [55] . Hilfreiche Fakten können hier neben den Wirksamkeitsdaten v. a. solche zur Sicherheit sein. Die sehr ausführliche und stetig aktualisierte Analyse des Paul-Ehrlich-Instituts zur Sicherheit der SARS-CoV-2-Impfstoffe, spezifisch im deutschen Kontext, bietet hier eine gute Grundlage [56] . In der jetzt erstmals verfügbaren Auswertung nach der 1., 2. und 3. Impfdosis fällt die deutliche Abnahme der Meldequote im Verlauf auf. Ein Vergleich der Todesfallmeldungen mit der Mortalität in den jeweiligen Altersgruppen belegt eine eher reduzierte Mortalität bei Geimpften. Eine Übersicht, auch über die absolut sehr niedrigen Fallzahlen einzelner, in Laienmedien sehr breit diskutierter Impfkomplikationen ist in Tab. 2 dargestellt. Eine Untersuchung mit ca. 11 Millionen Teilnehmern in den USA zeigte sogar eine durch die SARS-CoV-2-Impfung bedingte Reduktion der nicht COVID-19assoziierten Mortalität [57] . Einige Menschen führen v. a. ihre Angst vor unbekannten Nebenwirkungen der neuen Impfstoff-Plattformen (mRNA, Adenovirale Vektoren) als Grund für ihr bisheriges Zögern an. In diesen Fällen kann möglicherweise ein Gespräch über Alternativen hilfreich sein. Mit NVX-CoV2373 ist seit Dezember 2022 für Menschen > 18 Jahre in Europa der erste SARS-CoV-2-Impfstoff zugelassen, der auf einer "herkömmlichen" (Protein-) Technologie basiert [58] . [62] . Eine Reaktogenität wurde im erwarteten Rahmen festgestellt. 62% gaben Schmerzen bzw. 75% Empfindlichkeit an der Einstichstelle an, 53% litten an Abgeschlagenheit, 51% an Myalgien, 24% an Arthralgien, 50% an Kopfschmerzen, 15% an Übelkeit/Erbrechen und 41% beschrieben ein generelles Krankheitsgefühl. Die Beschwerden traten nach der 2. Dosis häufiger auf und waren jeweils überwiegend mild bis moderat. Die mediane Dauer lag bei maximal zwei Tagen bei den lokalen und bei einem Tag bei den systemischen Nebenwirkungen [58] . Die gleichzeitige Gabe einer Influenza-Impfung führte zu einer verstärkten Reaktogenität und zu niedrigeren Anti-Spike-Antikörper-Titern [63] . Damit liegen zu NVX-CoV2373 Sicherheitsdaten in einem mindestens vergleichbaren Umfang wie bei den bisher verwendeten Vakzinen vor. Die Erfahrung aus dem Routineeinsatz mit alleine in Deutschland im Januar 2022 zum Teil täglich > 500.000 und bis zum 31. Januar 2022 insgesamt > 165 Millionen verabreichten Impfdosen, deren Sicherheit regelmäßig und strukturiert ausgewertet wurde, ist aber auch mittelfristig natürlich kaum aufzuholen. Die STIKO empfiehlt NVX-CoV2373 ab 18 Jahren für die Grundimmunisierung und ggfs. auch als heterologe 2. Dosis [4] . Bei Kontraindikation gegen mRNA-Impfstoffe kann das Vakzin trotz fehlender Zulassung auch als Booster-Dosis eingesetzt werden (Tab. 1). Wann eine Booster-Dosis notwendig wird, ist noch nicht geklärt. Die Zulassungsanträge von vier weiteren Impfstoffkandidaten werden von der EMA derzeit im beschleunigten Rolling-Review-Verfahren geprüft [64] . Bisher bekannte Eckdaten zu diesen Präparaten sind in Tab. 3 kurz zusammengefasst. [64] World Health Organization. COVID-19 vaccine tracker and landscape United States Food and Drug Administration Beschluss der STIKO zur 18. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung Ständige Impfkommission beim Robert Koch-Institut. COVID-19 und Impfen: Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ) Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) -Gesetzliche Krankenversicherung Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 Verordnung zur Änderung der Coronavirus-Impfverordnung und der Coronavirus-Testverordnung COVID-19 vaccine surveillance report The Times of Israel Deals -Pfizer CEO says Omicron-targeted vaccine is most likely outcome Verordnung zur Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung und der Coronavirus-Einreiseverordnung Fachliche Vorgaben des RKI für COVID-19-Genesenennachweise Ärztliche Kommunikation mit ImpfgegnerInnen im Kontext der Pandemie Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Impfung zum Schutz vor COVID-19 World Health Organization. COVID-19 vaccines VIPER Group COVID19 Vaccine Tracker Team. COVID-19 vaccine tracker