key: cord-0804450-howj8hav authors: Schäfer, Christof title: Wie sollte eine Strahlentherapie des Mammakarzinoms in den gegenwärtigen Zeiten der Pandemie verändert werden?: Ein Vorschlag einer nordamerikanischen Expertengruppe date: 2020-09-02 journal: Onkologe (Berl) DOI: 10.1007/s00761-020-00829-z sha: c2192ef9516c0121798d0d6ab2f619e8bb9e7678 doc_id: 804450 cord_uid: howj8hav nan Hintergrund. Die Coronakrise hat die gesamte Gesundheitsversorgung unter erheblichen Druck gebracht. Die Behandlung dieser Infektionskrankheiten erfordert, dass besondere personelle und apparative Ressourcen für die Intensivtherapie bereitgestellt und verwendet werden. Dadurch kann es in anderen Bereichen,zum Beispiel derBehandlungonkologischer Patienten, zu Engpässen kommen. Gleichzeitig sind onkologische Patienten auch mit der Gefahr einer COVID-19-Infektion konfrontiert. Unter diesen Umständen sind das onkologische Risiko und das Infektionsrisiko gegeneinander abzuwägen. Um das infektiologische Risiko möglichst gering zu halten, müssen onkologische Therapien auf das erforderliche Mindestmaß reduziert werden. Was das für die Strahlentherapie heißt, wurde in einer aktuellen Arbeit aus Sicht des amerikanischen Gesundheitssystems untersucht. Diskussion. Die Coronakrise stellt einen extremen Stresstest für die betroffenen Gesundheitssysteme dar. Er testet zum einen die Leistungsfähigkeit der "primären" klinischen Bereiche wie die der inneren Medizin und der Intensivmedizin, die direkt mit der Versorgung von COVID-19-Patienten befasst sind. Die Coronakrise ist aber auch eine Herausforderung für die "sekundären" Bereiche der klinischen Medizin, die nicht direkt CO-VID-19-Patienten versorgen. Dazu zählt auch die Strahlentherapie. Die besprochene Arbeit ist ein Beleg dafür, dass sich Strahlentherapeuten schon frühzeitig damit beschäftigt haben, wie sie am besten auf die Coronakrise reagieren sollen. Sie wurde bereits im März 2020 verfasst und wurde einen Tag nach Einreichung des Manuskripts akzeptiert. Ähnliches trifft auf vergleichbare Arbeiten zu [1, 2] . Bereits im Mai 2020 ist eine internationale Leitlinie zur Strahlentherapie bei Brustkrebs während der COVID-19-Pandemie publiziert worden [3] . Sowurde inkürzesterZeiteine Menge zu diesem Thema geschrieben, das auch in kürzester Zeit häufig zitiert wurde. Arbeiten zu diesem Thema, die später, zum Beispiel im Juni 2020, erschienen sind, können fast als Nachzügler angesehen werden und werden bis dato nicht zitiert [4, 5] . Damit folgen die genannten strahlentherapeutischen Arbeiten dem Beispiel anderer medizinischer Fachgebiete, bei denen ebenfalls kein gründlicher Reviewprozess der Literatur im Kontext der Coronakrise stattfand. Als Folge dieser hektischen Publikationspraxis fehlt den Arbeiten oft eine kritische Abwägung der möglichen Vorgehensweisen und der Leser kann den Eindruck gewinnen, dass "alles" möglich ist, was die Strahlentherapie irgendwie verkürzt. Die besprochene Arbeit verfolgt dabei eher eine gemäßigte Argumentationslinie. So sind die Autoren der besprochenen Studie eher zurückhaltend, was die extreme Hypofraktionierung angeht. Simcock et al. sprechen bei der extremen Hypofraktionierung von guten Daten und empfehlen sie für geeignete Pati-entinnen [1] . Dieser Empfehlung folgen auch andere Autoren, inklusive der erwähnten Leitlinie. Im Gegensatz zu Simcock erwähnen sie aber das Fehlen von 5-Jahres-Ergebnissen zur lokalen Kontrolle für das FAST-Forward-Protokoll [3, 5] . Auch beim Verzicht auf eine Strahlentherapie bei älteren Patientinnen mit prognostisch günstigem Brustkrebs sind die Autoren mit einer Altersschwelle von 70 Jahren eher vorsichtig. Luther et al. plädieren dagegen für einen Verzicht auf eine Strahlentherapie bei diesen Patientinnen mit einem Alter über 65 Jahre [5] . Als Beleg führen sie den PRIME 2 Trial an, der keinen Vorteil durch die Strahlentherapie im 5-Jahres-Überleben erbrachte. Dagegen muss man einwenden, dass bei diesen Patientinnen ein Zeitraum von 5 Jahren zu kurz ist und auch die lokale Kontrolle zu berücksichtigen ist. Wie oben beschrieben, sind die Autoren der vorgestellten Arbeit relativ großzügig, wenn es darum geht, den Beginn einer Strahlentherapie zu verzögern. Der maximale Zeitraum, der diskutiert wird, beträgt 20 Wochen. Simcock et al. nennen sogar einen Zeitraum von 5 Monaten bei Patientinnen mit ER-positivem Brustkrebs, die zwischenzeitig eine Antihormontherapie erhalten und zuvor eine Chemotherapie erhalten haben [1] . Falls sich die Pandemie verschlechtern sollte, bringt es der Patientin eher einen Nachteil, die Strahlentherapie zu verschieben. Die Empfehlung, eine Strahlentherapie zu verschieben, ist als riskant einzustufen, da bei Brustkrebs schon eine Verzögerung von mehr als 8 Wochen das Risiko eines Lokalrezidivs verdoppeln kann [6] . Gerade bei jüngeren Patientinnen kann dann eine Verschlechterung des Gesamtüberlebens nicht ausgeschlossen werden. Selbst bei einem alleinigen Lokalrezidiv kann sich die Lebensqualität der Patientin erheblich verschlechtern, wenn eine invasive Operation erforderlich wird [7] . Eine palliative Situation kann die Folge sein. Die "COVID-19-Leitlinie" ist extrem kurz, sehr lückenhaft und berücksich-tigt -zum Beispiel -nicht das DCIS [3] . Sie besteht nur aus 5 Regeln, bei deren Anwendung die Strahlentherapie des Brustkrebses auf ein minimales Maß reduziert wird. Eine Untertherapie wird dabei in Kauf genommen, weil die Ein-dämmungderPandemie oberste Priorität hat. Die aktuelle Literatur ignoriert die möglichen juristischen Implikationen einer Abweichung von der Leitlinie. Es ist nicht geklärt, inwieweit die "COVID-19-Leitlinie" oder auch andere Handlungsempfehlungen auf deutsche Patientinnen angewendet werden sollen oder dürfen [3] . Unter den Autoren der "COVID-19-Leitlinie" befand sich kein einziger deutscher Teilnehmer. Einheitlich empfehlen alle Arbeiten eine umfassende Aufklärung, falls aufgrund der Coronakrise vom normalen Standardvorgehen abgewichen wird, insbesondere von der aktuellen Leitlinie des Mammakarzinoms [5] . Dies ist dann auch umfassend zu dokumentieren. Die Patientin sollte dabei erfahren, warum dies geschieht und inwiefern vom "normalen" Vorgehen abgewichen wird. Die möglichen negativen Folgen wie die Erhöhung der Lokalrezidivrate müssen genannt werden. Jeder, der Patientinnen mit Brustkrebs berät, weiß, wie schwierig und zeitaufwendig sich solche Diskussionen gestalten können. Was ist aber zu tun, wenn eine Patientin auf einer Standardtherapie besteht? Eine längerfristige Nachsorge wird empfohlen. Aber bei den Patientinnen, bei denen auf eine Strahlentherapie verzichtet wird, wird der Strahlentherapeut in aller Regel keine Nachsorge durchführen. Es besteht somit die Gefahr, dass Lokalrezidive oder andere Ereignisse nicht lückenlos erfasst werden. Das klinische Handeln in der Coronakrise muss den raschen Veränderungen der Pandemie Schritt halten. Es sollte aber nicht dazu führen, etablierte Standards unbesehen über Bord zu werfen. Der Strahlentherapeut hat die Verantwortung, auch unter diesen widrigen Umständen seine Patientinnen angemessen zu versorgen. Mögliche negative Folgen sollte er ehrlich mit seinen Patientinnen diskutieren. COVID-19: Global radiation oncology's targeted response for pandemic preparedness First statement on preparation for the COVID-19 pandemic in largeGermanSpeakingUniversity-basedradiation oncology departments International guidelines on radiation therapy for breast cancer during the COVID-19 pandemic Shift in indications for radiotherapy during the COVID-19 pandemic? A review of organ-specific cancer management recommendations from multidisciplinary and surgical expert groups A practical approach to the management of breast cancer in the COVID-19 era and beyond Cancer and COVID-19-potentially deleterious effects of delaying radiotherapy reply to Simcock et al. Clin Transl Radiat Oncol