key: cord-0824243-aqcl9uhm authors: Kersting, Norbert title: COVID-19-Pandemie und politische Institutionen: Lokale Politik und Wahlen date: 2021-01-29 journal: Polit Vierteljahresschr DOI: 10.1007/s11615-021-00302-5 sha: faf05f0fb9d9e6dba7a7712159f58e65f51405af doc_id: 824243 cord_uid: aqcl9uhm The COVID-19 pandemic has caused massive restrictions on public life. A survey of more than 1500 local councilors showed that councils at the local level are restricted in their capacity. After a total lockdown in March 2020 at the local level, the local central committee (Hauptausschuss) took over, substituting for and representing the full city council’s local decision-making capacity. Later on, in some cities, councils were able to implement council meetings with half of the councilors. In this “executive hour,” several local committees and commissions as well as political events organized by the civil society could not be implemented. Before the local elections on September 22 in North Rhine–Westphalia, the pandemic affected the registration of political parties, which became problematic. Appropriate space, as well as digital infrastructure, was lacking. With more mitigated COVID-19 restrictions and new regulations for local elections by the province of North Rhine–Westphalia, electoral party registration was facilitated, and deadlines were extended. In particular, smaller political parties and new candidates for the mayoral direct election experienced problems in presenting themselves during electoral campaigns; new parties and candidates were often disadvantaged compared with the political incumbent and the established political parties. Furthermore, electoral street campaigning, panel discussions, and canvassing were extremely limited. In this time of “forced digitization,” the established political parties in particular were able to focus on e‑campaigning. Because of these disadvantages, smaller parties requested postponement of the local elections. The majority in all political parties refused postal voting. Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie Ende Dezember 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan breitete sich die Pandemie weltweit rasant aus (Bundesministerium für Gesundheit 2020). Im Januar 2020 wurden erste Fälle von infizierten Personen in Deutschland offensichtlich. Anfang März wurde deutlich, dass die Epidemie Deutschland erreicht hatte. Erste Maßnahmen zur Begrenzung und zur Eindämmung, wie z. B. die Risikobewertung von Großveranstaltung wurden getroffen. Mitte März 2020 wurden z. B. in Nordrhein-Westfalen Kindertageseinrichtungen und Schulen geschlossen, und eine Corona-Schutzverordnung schränkte das öffentliche Leben drastisch ein. Einzelhandel sowie Gaststätten und Restaurants mussten ihren Betrieb einstellen (Lockdown). Zusammenkünfte mit größeren Personengruppen wurden im öffentlichen Raum verboten. Soziale Öffentlichkeit und auch das politische Leben wurden auf ein Minimum reduziert. Bereits im März war zu erahnen, dass die Pandemie auf die bevorstehende Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen Mitte September 2020 dramatische Auswirkungen haben konnte. Die folgende Arbeit greift die Konsequenzen der COVID-19-Pandemie auf die kommunalpolitischen Entscheidungsfindungsprozesse wie auch auf Kommunalwahlen auf. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche Sicherheitsmaßnahmen getroffenen wurden und wie diese Gegenmaßnahmen von den lokalen Akteuren und hier insbesondere von den LokalpolitikerInnen bewertet wurden. Der Fokus der Untersuchung liegt auf Nordrhein-Westfalen. Die Kommunalwahl in dem bevölkerungsreichsten Bundesland, das mit 396 Kommunen zudem eine hohe Anzahl an größeren Städten vorweist, eignet sich besonders für eine Analyse. So fand hier der gesamte Prozess der Kommunalwahl unter den Restriktionen der Pandemie statt. Die Pandemie zeigte, dass im föderalen System unterschiedliche Herangehensweisen zur Krisenbewältigung getroffen wurden. Im Folgenden soll nicht darauf eingegangen werden, inwiefern die Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen in strengerer oder abgemilderter Form hätten umgesetzt werden können. Die Untersuchung ist vielmehr eine Evaluation der politischen Prozesse und eine Bewertung der implementierten Strategien wie auch möglicher Alternativen. Die empirischen Ergebnisse basieren dabei auf einer Online-Umfrage unter Ratsmitgliedern in ganz Nordrhein-Westfalen im Zeitraum Juli/August 2020. Dabei wurden Gemeinderäte aus allen nordrhein-westfälischen Großstädten über 100.000 Ein-wohnerInnen sowie eine gleiche Anzahl von Mittelstädten (zwischen 20.000 und 100.000) und Kleinstädten (unter 20.000) berücksichtigt. Die Kleingemeinden wurden nach einen Regionalproporz (Westfalen, Ruhrgebiert, Rheinland) mittels Zufallsprinzip ausgewählt. Insgesamt wurden 165 der 396 Gemeinden voll erfasst. Hier wurden -wenn möglich -alle Ratsmitglieder direkt angeschrieben. Insgesamt lag der Rücklauf bei etwa 1500 Ratsmitgliedern. Dabei ordneten sich 366 Ratsmitglieder der CDU, 429 der SPD, 172 Bündnis 90/Die Grünen, 89 der FDP und 50 der Linken zu. Bei allen anderen Parteien und Wählergruppen lag der Rücklauf unter 50 (insgesamt 147). Etwa 17 % gaben bei der Frage zur Parteizugehörigkeit keine Antwort. Damit entspricht der Rücklauf im Wesentlichen dem Parteienspektrum bei K der NRW-Kommunalwahl 2014. Die CDU ist leicht unterrepräsentiert, SPD und Grüne leicht überrepräsentiert. Die AfD erreichte bei der Kommunalwahl 2014 nur 2,5 % der Stimmen und ist zudem leicht unterrepräsentiert. Sie ist daher mit den anderen kleineren Parteien und Listen in der parteispezifischen Analyse zur Kategorie "Kleinparteien" zusammengefasst, da ansonsten bei Gruppen unter 50 Befragten die Anonymität nicht gewährleistet gewesen wäre. In dieser Kategorie dominieren die unabhängigen Wählerlisten. Die Analyse rückt die lokalen politischen Entscheidungsprozesse und die Wahlen (Parteienregistrierung, Wahlkampf, Wahlumsetzung) in Zeiten der Pandemie in den Vordergrund. Hier konzentriert sich die Fragestellung auf das Verhalten der unterschiedlichen Parteien und das Rollenverständnis der Ratsmitglieder (Egner et al. 2013; Kersting 2016) . Dabei stellen sich unterschiedliche Forschungsfragen. Bewerten die VertreterInnen der Großparteien, die häufiger Regierungsverantwortung innehaben bzw. Ober-bürgermeisterInnen stellen, die restriktiven Beschränkungen der lokalpolitischen Entscheidungsprozesse weniger kritisch? Welche Einstellungsmuster zeigen sich bei den Mitgliedern von Kleinparteien und Freien Wählergruppierungen in Bezug auf die Registrierung bzw. die Vorbereitung auf die Wahl? Sehen diese den restringierten Wahlkampf unter Bedingungen einer Zwangsdigitalisierung eher problematisch? Treten Kleinparteien eher für eine Verschiebung der Wahl ein? Weitere Fragestellungen, z. B., ob sich bei männlichen und weiblichen Ratsmitgliedern, bei unterschiedliche Altersgruppen, bei divergierenden Bildungsniveau der Ratsmitglieder oder auch in unterschiedlichen regionalen Kontexten (Klein-, Mittel-, Großstädte) signifikante Unterschiede zeigen, fließen kursorisch in die Analyse mit ein. Neben der quantitativen standardisierten Befragung hatten die Befragten die Möglichkeit, in einem offenen Feld Kommentare zu ergänzen, wovon viele Ratsmitglieder Gebrauch machten. An entsprechender Stelle fließen Ergebnisse der qualitativen Auswertung dieser Kommentare mit in die Auswertung ein. Abschließend soll auch die Frage aufgegriffen werden, ob sich aus den Ergebnissen Schlüsse und Handlungsempfehlungen für eine Post-Corona-Zeit ziehen lassen. Die rechtlichen Regelungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie führten zur Schließung der Schulen sowie der Restaurants und des Einzelhandels am 13. März 2020 und wurden mit der Corona-Schutzverordnung verschärft (Land NRW 2020a) . Das Versammlungsverbot galt für Gruppen von mehr als zwei Personen. Weiterführende Abstands-und Hygieneregeln betrafen insbesondere Risikogebiete. Vor dem Hintergrund mangelnder Infrastruktur und insbesondere eines Mangels an Masken und Diagnose-Tests wurde das öffentliche Leben weitgehend eingeschränkt. Erst Ende April wurde dies durch die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasenbedeckung im öffentlichen Raum erweitert (Paragraf 12 Abs. 1 Corona-Schutzverordnung). Mitte April wurden Veranstaltungen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Daseinsvorsorge dienten, mit entsprechenden Vorkehrungen wieder erlaubt (Land NRW 2020b) . Sinkende Infektionszahlen im Mai K führten zu weiteren Lockerungen und begrenzten Öffnung von Schulen und Kitas. Im Sommer 2020 wurden in Nordrhein-Westfalen Veranstaltungen bis zu 300 Teilnehmern erlaubt, wenn entsprechende Hygieneschutzmaßnahmen, wie z. B. Mindestabstände, eingehalten wurden. Auf der lokalen Ebene wurden bereits Anfang März Corona-Krisenstäbe eingesetzt, die zeitnahe und (sub-)lokale Lösungen entwickeln sollten. Das lokalpolitische Leben wurde weitgehend lahmgelegt. Demonstrative Beteiligung fand zunächst nicht statt und richtete sich dann vereinzelt gegen die Corona-Verordnungen und Maskenpflicht. Deliberative Bürgerbeteiligung in Planungsprozessen mit direkter Bürgerbeteiligung kam zum Stillstand (siehe zur Beteiligung im "invited space" Kersting 2017). In der Mehrzahl übernahmen Hauptausschüsse die Entscheidungen, anstelle der Gemeinderäte (Jungvogel 2020) . Aufgrund mangelnder Räume wurden zunächst weitergehende Lösungen, wie z. B. (analog zum Bundestag) Ratssitzungen mit halber Besetzung, nur begrenzt implementiert (z. B. in Rheine). Bei den Umfragen im Juni/Juli 2020 bestand unter den Ratsmitgliedern eine große Unzufriedenheit über die Regelung während der ersten Welle der Pandemie (siehe Abb. 1). Die Aufwertung des Hauptausschusses wurde von den Parteien im Gemeinderat unterschiedlich bewertet (siehe Abb. 1). Durchschnittlich sah etwas mehr als ein Drittel der Ratsmitglieder dies als eine positive Lösung an. Mehr als die Hälfte (52 %) kritisierten diese Alternative. Hierbei zeigten sich Unterschiede zwischen den Parteien. Während CDU, FDP, SPD und die Kleinparteien dieser Regelung etwas positiver gegenüberstanden -von diesen Parteien waren zwischen 37 und 43 % damit zufrieden -lag die Zustimmung bei Grünen und Linken (je 27 %) deutlich Abb. 1 Gemeinderatssitzungen in der COVID-19-Pandemie. Ratsmitgliederbefragung NRW 2020. a (sehr) starke Ablehnung; b (sehr) starke Zustimmung, Mittelkategorie nicht aufgeführt niedriger. Auffällig ist, dass sich mehr als drei Viertel der LokalpolitikerInnen der Grünen (67 %) explizit gegen entsprechende Lösungen aussprachen. Etwa ein Fünftel der LokalpolitikerInnen sahen Ratssitzungen mit halber Größe als (sehr) positiv an; fast zwei Drittel der Ratsmitglieder lehnten diese Lösung (sehr) stark ab. Die Skepsis überwiegt bei allen Parteien, am stärksten bei der CDU. Nur 19 % ihrer Ratsmitglieder sehen den Vorschlag positiv, aber 69 % negativ. Bei der Linken sind es immerhin 29 %, die diese Regelung positiv bewerten. Doch auch hier sind 47 % dagegen, und 24 % sehen es ambivalent. Schlüsselt man das Antwortverhalten nach Geschlecht auf, so zeigt sich, dass Frauen dieses Verfahren eher ablehnen als Männer. Erst im Juli 2020 kam es in einigen Städten zur Revitalisierung der Gemeinderäte. Diese tagten in der Regel in größeren Sport-oder Messehallen. Hier bestand z. B. eine Maskenpflicht lediglich auf dem Weg in die Ratssitzung. Die Sitzungen waren durch lange Tagesordnungen geprägt, da viele Themen aufgearbeitet werden mussten und zudem die Sommerpause sowie die Kommunalwahl Mitte September 2020 vor der Tür standen. Die Vielzahl der kritischen Kommentare der Ratsmitglieder über die offenen Felder zeigt, dass diesbezüglich die Kommunikation zwischen Politik und Verwaltung als stark defizitär betrachtet wurde. Ein Personalmangel in den Fachämtern erschwerte den direkten Kontakt. Aufgrund mangelnder Räumlichkeiten, die zudem oft als nichtadäquat genutzt betrachtet wurden, wurden viele Ratssitzungen, aber auch eine Vielzahl an Sitzungen von Kommissionen und Ausschüssen, nicht umgesetzt. Von den Ratsmitgliedern wurde kritisiert, dass Sitzungen durch die Verwaltungsspitze und die Fraktionsspitzen ohne die übrigen Ratsmitglieder nur eine unzureichende demokratische Meinungsbildung ermögliche. Der Ersatz der Ratssitzung durch den Hauptausschuss wurde insbesondere von den Kleinparteien kritisiert, da hier häufig fraktionslose Einzelvertreter im Hauptausschuss nicht stimmberechtigt sind. Fraktionssitzungen wurden zum Teil als Telefonkonferenzen, aber häufiger als Videokonferenzen abgehalten, die nicht mehr als sechs TeilnehmerInnen mit ihrem Kamerabild erfassten und dabei den Informationsfluss und die Diskussion erschwerten. Grundsätzlich wurde die Qualität der Diskurse bei den Videokonferenzen bemängelt. Bei den Rats-und Ausschusssitzungen, die lange Zeit gar nicht möglich waren, wurde kritisiert, dass Risikogruppen (Senioren, Personen mit Vorerkrankungen) von einer Teilnahme absehen. Zudem fehlten adäquate Kinderbetreuungsregelungen. Dies war auch deshalb problematisch, da eine Vielzahl der Ausschusssitzungen bereits am frühen Nachmittag beginnen. Da insbesondere die Sitzungen der Ausschüsse ausfielen, wurde Kritik laut, dass die Handlungskompetenzen der Fraktionsspitzen und der höchsten WahlbeamtInnen, d. h. der BürgermeisterInnen, stark zunahmen. Eine Vielzahl der wichtigen Entscheidungen wurde mit hoher Dringlichkeit durch die Exekutive getroffen. Auch die Kommunikation zwischen PolitikerInnen und BürgerInnen trat in dieser "Zeit der Exekutive" in den Hintergrund. Aufgrund der Dauerpräsenz der Bürger-meisterInnen sahen viele Befragte den Wahlkampf und die Wahlen als beeinträchtigt an. Dabei wurden die fehlende Integrität und Fairness aufgrund mangelhafter K Chancengleichheit und deutlicher Vorteile der Exekutive und der AmtsinhaberInnen bemängelt. Die nordrheinwestfälischen Kommunalwahlen im September 2020 umfassten gemeinsame Gemeinderats-und Bürgermeisterwahlen (Holtkamp 2006; Holtmann et al. 2017) . Für beide Wahlen begannen Anfang 2020, also etwa neun Monate vor der Kommunalwahl, die Vorbereitungsmaßnahmen, wie z. B. die KandidatInnenund Listenaufstellung in den Parteien (Kersting 2017) . Vielfach hatten bei Ausbruch der Pandemie Mitte März die Listenparteitage noch nicht stattgefunden. Die Registrierung der Parteien, der Wählergruppen und der Ein-zelkandidatInnen bedarf einer Aufstellung von BewerberInnen in den entsprechenden Wahlbezirken. Im nordrheinwestfälischen Kommunalwahlgesetz wird zudem erwartet, dass sowohl für den Wahlbezirk als auch für die Reservelisten entsprechende Kandidaturen vorgehalten werden. Nach dem nordrheinwestfälischen Kommunalwahlgesetz kann bis zum 59. Tag vor der Wahl ein Wahlvorschlag eingereicht und entsprechende Vertrauenspersonen benannt werden (Land NRW 2019 , 2020c Korte 2020 Diese Vorbereitungen der Kommunalwahl fielen letztendlich in die Hochphase der ersten Welle der COVID-19-Pandemie. 50 % der Ratsmitglieder sahen diese Vorbereitung als massiv beeinträchtigt an (vgl. Abb. 2). Von einer massiven Beeinträchtigung sprachen mehr als die Hälfte der Ratsmitglieder der Linken (67 %), von Bündnis 90/Die Grünen (57 %), der SPD (56 %) und der Kleinparteien (54 %). Knapp die Hälfte der FDP-Ratsmitglieder (48 %) stimmte der entsprechenden Aussage ebenfalls zu. Lediglich innerhalb der CDU sahen nur 37 % der befragten Kommu-nalpolitikerInnen massive Beeinträchtigungen, wohingegen 48 % der Aussage nicht zustimmten. Mit dem Lockdown im März 2020 gerieten das politische Leben und der Wahlkampf ins Stocken. Erst die Änderung der Kommunalwahlgesetze und die Erleichterungen führten zu einer Revitalisierung. Lange Zeit hielten sich Bedenken zum Wahltermin. So waren zum Teil neue Parteien und Wählerlisten, die Schwierigkeiten hatten, fristgerecht Unterstützungsunterschriften zu bekommen, zunächst zurückhaltend und erwarteten ein Urteil des Landesverfassungsgerichtshof und einen möglichen Aufschub der Wahl (Verfassungsgerichtshof NRW 2020 Auch für die kommunalen Verwaltungen wurden Schwierigkeiten erwartet. Letztendlich stellte die Prüfung der Wahlvorschläge durch die kommunalen Wahlleite-rInnen aufgrund einer Aufstockung des Personals kein Problem dar. Es gab aber am Wahltag, an dem die Ratswahl, der erste Wahlgang der (Ober-)BürgermeisterInnenwahl, die Wahl der Bezirksvertretungen sowie in einigen Kommunen die Landratsund Kreistagswahlen und die Integrationsratswahlen stattfanden, zum Teil lange Wartezeiten. In vielen Fällen haben die Listenparteitage nicht rechtzeitig stattgefunden. Die Zustimmungserklärung der Kandidaten entstand häufig unter enormen Zeitdruck. So fielen die Termine der Nominierungsveranstaltung zum Teil in die Urlaubszeit in Nordrhein-Westfalen. Die Kommentare der Ratsmitglieder zeigen weiterhin, dass es während der Corona-Pandemie schwieriger war, KandidatInnen für die Besetzung der Wahlkreise anzusprechen und zu begeistern. Dies wurde nur zum Teil durch Befürchtungen sinkenden Handlungsspielraums aufgrund mangelnder finanzieller Kapazitäten begründet. Weiterhin waren Risikogruppen, insbesondere ältere Personen, schwerer zu kontaktieren. Die vom Innenministerium empfohlene kostenlose Überlassung von Räumen z. B. für Aufstellungsversammlungen wurde -so die Kommentare der Ratsmitglieder -nicht adäquat realisiert, und die Preise waren zu hoch. Die massive Beeinträchtigung der kleineren Parteien, die "analoge" Unterstützungsunterschriften erbringen mussten (eine digitale Sammlung, Bearbeitung und Einreichung war nicht möglich), wurde stark kritisiert. Die hierzu genutzten Formulare wurden als "ineffiziente Schikane" tituliert. Dies führte dazu, dass einige Wählergemeinschaften aufgrund mangelnder Chancengleichheit ihre Kandidatur bzw. Registrierung zurückzogen. In der Umfrage im Juni/Juli 2020 sahen über alle Parteigrenzen hinweg fast drei Viertel der Ratsmitglieder in Nordrhein-Westfalen den Wahlkampf massiv durch die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt (vgl. Abb. 2). Nur knapp ein Fünftel bewertete dies als weniger problematisch. Hier zeigen sich kaum Unterschiede zwischen den Parteien. Über drei Viertel der Linken-(87 %), SPD-und Grünen-Ratsmitglieder (je 78 %) sowie exakt 75 % aus den kleineren Parteien und Wählergruppen sahen diese Beeinträchtigung. Aber auch innerhalb der FDP und der CDU attestierten klare Mehrheiten der Ratsmitglieder (69 bzw. 60 %) massive Pandemie-Beeinträchtigungen im Wahlkampf. Nur je ein knappes Viertel der CDU-und FDP-Räte bewerteten dies als unproblematisch. Weitere Analysen des Antwortverhaltens machen zudem deutlich, dass weibliche Ratsmitglieder eher eine massive Beeinträchtigung des Wahlkampfs wahrnahmen. Dies galt auch eher für die jüngeren KandidatInnen als für die älteren. Signifikant unterschiedliche Einschätzungen zeigten sich auch bei den EinwohnerInnen der Großstädte im Vergleich zu Klein-und Mittelstädten. In den letztgenannten sahen weniger Ratsmitglieder das Problem massiver Wahlkampfbeeinträchtigung. Dies mag damit zusammenhängen, dass Großveranstaltungen in Klein-und Mittelstädten weniger relevant sind und hier Veranstaltungen mit kleineren Gruppen auch in Zeiten der Pandemie eher realisiert werden konnten. In Großstädten wurden Podiumsdiskussionen und Großveranstaltung eher abgesagt. In den offenen Fragen im Fragebogen konstatierten einige Ratsmitglieder zudem, dass aufgrund des Mangels an persönlichen Gesprächen die Kommunikation mit bildungsfernen Schichten weitestgehend ausgeblieben sei. Man beklagte, dass Telefongespräche oder E-Mails dies nicht kompensieren könnten. Bei der Festlegung des Wahltermins etwa ein Jahr vorab waren keine Anzeichen einer Pandemiekrise erkennbar. Die Pandemie führte zu 12 Verfahren des Verfassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen; hier waren insbesondere unabhängige Personen, freie Wählergruppen und Kleinparteien, wie z. B. die Familien-Partei Deutschlands, K COVID-19-Pandemie und politische Institutionen Abb. 3 Wahlverschiebung und Briefwahl in der COVID-19-Pandemie. Ratsmitgliederbefragung NRW 2020. a (sehr) starke Ablehnung; b (sehr) starke Zustimmung, Mittelkategorie nicht aufgeführt Beschwerdeführer. Eine Verschiebung der Wahl auf den November 2020 oder in das Frühjahr 2021 wurde aufgrund der erwarteten Kontaktsperren im Winter negativ beschieden. Eine Verschiebung auf den Oktober war aufgrund der Überschneidung mit den Schulferien in Nordrhein-Westfalen problematisch und hätte zudem die aufgrund der Harmonisierung von BürgermeisterInnen-und Gemeinderatswahlen ohnehin lange Legislaturperiode zusätzlich verlängert. Die repräsentative Umfrage unter allen Ratsmitgliedern in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass über alle Parteien hinweg weniger als ein Drittel für eine Verschiebung der Kommunalwahl war, während sich deutlich mehr als die Hälfte dagegen aussprachen (vgl. Abb. 3). Hier sind deutliche Unterschiede zwischen den Parteien erkennbar. Insbesondere bei der Linkspartei (73 %) hätte man sich eine Verschiebung der Wahl gewünscht. Bei allen anderen Parteien war jeweils eine relative Mehrheit gegen die Verschiebung. Am stärksten gegen eine Verschiebung der Wahl sprachen sich die VertreterInnen von CDU (77 %) und FDP (71 %) aus. Bei SPD und Grünen war jeweils ein gutes Drittel für eine Verschiebung, etwa die Hälfte dagegen. Die Ratsmitglieder der Kleinparteien waren in dieser Frage am ambivalentesten (42 % dafür, 48 % dagegen). Untersucht man das Antwortverhalten hinsichtlich weiterer Kriterien, zeigen sich signifikante Unterschiede. Ratsmitglieder mit höherem und universitärem Bildungsabschluss sprachen sich eher gegen eine Verschiebung der Wahl aus. Gleiches gilt für die Ratsmitglieder in den Klein-und Mittelstädten. Mit den Änderungen des Kommunalwahlgesetzes von 2020 wurde es ermöglicht, die Stimmbezirke von 2500 Wahlberechtigten auf 5000 Wahlberechtigte aufzustocken. Hierüber sollte ein Mangel an Wahllokalen vermieden werden. Aufgrund dieser Regelung kam es trotz der hohen Zahl an Vorabwählern (Briefwählern) in vielen Städten und Wahllokalen zu langen Schlangen und Wartezeiten. Aufgrund der Abstandsregelungen und verschiedener Sicherheitsbedenken konnten unterschiedliche, lange Zeit etablierte Wahllokale nicht benutzt werden. So standen vielfach kleinräumige Kindergarteneinrichtungen nicht zur Verfügung. Von der Nutzung von Altersheimen und Pflegeeinrichtungen, die Risikogruppen beherbergen, wurde abgeraten. Die gesamte Planung wurde eng mit den Corona-Krisenstäben und den örtlichen Gesundheitsämtern entwickelt. Das Vermummungsverbot wurde aufgehoben und WahlhelferInnen und Wahlvorständen wurde es erlaubt und angeraten, Mund-und Nasenschutz zu tragen. Die Risikogruppen (über 65-Jährige) wurden nicht als WahlhelferInnen verpflichtet. Die Zahl der WahlhelferInnen wurde erweitert, häufig durch das Heranziehen von MitarbeiterInnen der Kommunalverwaltungen. Die Attraktivität der Briefwahl nimmt seit Jahrzehnten zu (Kersting 2019) . Bei der Bundestagswahl lag der Anteil bei etwa einem Drittel der WählerInnen. Auch die NRW-Kommunalwahl im September 2020 zeigte einen starken Zuwachs der Brief-wählerInnen (etwa zwei Drittel der WählerInnen [Landeswahlleiter NRW 2020] Im Wahlkampf kam es zudem bei neuen Parteien und KandidatInnen zu erheblichen Einschränkungen. Hier wurde zusätzlich der Mangel an digitalen Publikationsmitteln mit entsprechenden elektronischen Signaturmöglichkeiten kritisiert. Auch der Wahlkampf selbst war für kleinere Parteien und unabhängige neue Kandidaten eher problematisch. Zentrale Instrumente wie der Straßenwahlkampf (hinter der Maske), Podiumsveranstaltung und Hausbesuche mussten weitgehend reduziert werden. Letztere fanden eher in kleineren Gemeinden ein stärkeres Interesse. Bislang ist in Deutschland Digitalisierung der Wahlkämpfe sowohl auf nationaler, auf regionaler, aber insbesondere auf lokaler Ebene wenig fortgeschritten. Diese Digitalisierung bekam insbesondere bei den Großparteien, welche über die notwendigen finanziellen Mittel, Hilfen durch Bundes-und Landespartei sowie eine Unterstützung durch eigene Parteimitglieder mit entsprechenden Qualifikationen verfügten, einen enormen Schub. Hier wurden zum Teil erstmalig in breiter Front soziale Medien, insbesondere Facebook und Instagram, genutzt. Grundsätzlich war innerhalb der Ratsmitglieder die Kritik an der Umsetzung des Wahlkampfs aufgrund der massiven Einschränkungen durch die Pandemie überdeutlich. Alternative Instrumente als Online-Wahlhilfen (Kommunalwahlcheck, Wahl-Kompass, Lokal-O-Mat u. a.) standen zumeist nur in einigen wenigen Großstädten zur Verfügung. Insofern stellt sich auch hier die abschließende Frage, ob die Kommunen stärker -über die Ratsinformationssysteme hinaus -digitale Verfahren für kommunale Entscheidungsprozesse der Räte und Ausschüsse (elektronische Parlamente) implementieren sollten. Auch digitale Beteiligungsinstrumente z. B. zur Registrierung von Wählergruppen und Parteien und auch entsprechende politische Informations-plattformen für die Bürger müssen in höherem Maße im Rahmen der erweiterten kommunalen Daseinsvorsorge vorgehalten werden. Funding Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL. Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. 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Globaler Normenwandel Die digitale Transformation der deutschen Verwaltung. Analysen zu Marktversagen und Daseinsvorsorge in Zeiten der Covid-19-Pandemie Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Kommunalwahl -Landtagswahl -Bundestagswahl -Europawahl Gesetz über die Kommunalwahlen im Land Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coro-naSchoVo Welche Regelungen gelten für Veranstaltungen und Versammlungen? Democratic deficit. Cambridge: CUP Why electoral integrity matters. Cambridge: CUP Keine Verschiebung der Kommunalwahlen