key: cord-0930517-pge283ed authors: Heyer, Lea title: Zeit-bezogene Perspektiven auf Jugend und Erfahrungen von Jugendlichen in der Corona-Pandemie date: 2022-02-22 journal: Gr Interakt Org DOI: 10.1007/s11612-022-00623-y sha: a2a941b157f02ecc67a9af9c94042fd19f8cc8a0 doc_id: 930517 cord_uid: pge283ed This paper in the journal Gruppe. Interaktion. Organisation. (GIO) addresses the experiences of young people in Germany during the corona pandemic from a time-related perspective. For this, it draws on conceptualisations of time through which biographies can be understood as socially ordered structural patterns. First, theoretical reflections on youth are presented, focusing on psychological, educational and sociological perspectives with regards to characteristics that mark youth as a time of specific biographical changes. This is centred on somatic changes, the growing importance of peer relations and group experiences, as well as the implications of youth as a socially pre-structured time for education. These considerations provide the framework for the second part of the article. Results from the “JuCo” studies, undertaken by the research group “childhood—youth—family during times of COVID-19” at the Universities of Hildesheim and Frankfurt a. M., are presented. The data used are comments that respondents made at the end of an online questionnaire. The quotations indicate experiences of frustration about missed opportunities, increased performance pressure, and fears about the future among young people. Implications of these observations are discussed against the backdrop of needs and requirements for the time after the pandemic. The article closes with a summary, outlining the demand for creating open social spaces that foster opportunities for intergenerational and peer-related encounters among young people. Die Corona-Pandemie bedeutet für sehr viele Menschen inzwischen seit etwa zwei Jahren eine Ausnahmesituation. Das Leben von Jugendlichen veränderte sich unter anderem durch die Umstellung auf Online-Unterricht in der Schule, Berufsschule oder Universität deutlich. Aber auch die Schließung von Freizeitangeboten sowie die unterschiedlichen Kontaktbeschränkungen bedeuteten für viele junge Menschen 1 grundlegende Veränderungen. So machten viele während der Pandemie Erfahrungen von Frustration und Einsamkeit (Andresen et al. 2021) . Immer wieder wird in Diskussionen über die Auswirkungen der Pandemie die Position vertreten, dass die Maßnahmen zur Einschränkung des Infektionsgeschehens unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich betreffen. Dabei wird nicht nur mit Blick auf die Infektionsrisiken der "über 60-Jährigen" (RKI 2020), sondern auch in anderen Zusammenhängen u. a. auf unterschiedliche Altersgruppen Bezug genommen. So wird beispielsweise oft gesagt, dass ,ein Jahr Pandemie' im Lebens einer 16-Jährigen nicht das gleiche sei wie ein Jahr im 1 Einhergehend mit der in Kap. 3 dargestellten Vielfalt der Bedeutungen des Begriffs der "Jugend", werden die Bezeichnungen "junge Menschen" und "Jugendliche" in der Literatur nicht einheitlich verwendet. Um kenntlich zu machen, dass Jugend aus einer soziologischen Sichtweise nicht mit dem Erreichen eines bestimmten biologischen Alters endet, werden die beiden Begriffe im vorliegenden Artikel alternierend verwendet. Insbesondere soll die Bezeichnung "junge Menschen" kenntlich machen, dass bspw. auch Schüler:innen und Student:innen über 20 Jahre, die im Begriff sind, jugendtypische Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, hier "mitgemeint" sind. Diese Begriffsverwendung ist insbesondere in sozialpädagogischen Diskursen verbreitet (vgl. z. B. Mangold 2016). Leben eines bspw. 40-Jährigen. Doch auf welche Annahmen bezieht sich diese Aussage eigentlich genauer? Von dieser Frage ausgehend möchte ich einige Gedanken zur Diskussion stellen. Ich bringe dazu empirische Beobachtungen aus den "Jugend und Corona" (JuCo)-Studien (Andresen et al. 2020a, b) zum Zeiterleben Jugendlicher in der Corona-Pandemie mit Beobachtungen zur Bedeutung von "Zeit" für verschiedene Perspektiven auf "Jugend" zusammen. In einem Ausblick stelle ich weiterführende Überlegungen zu möglichen Implikationen u. a. für die Organisation von generationenübergreifenden Bildungs-und Austauschgelegenheiten in post-pandemischen Zeiten an. Die Frage, was "Zeit" ist, hat große Denker:innen schon mindestens seit der Antike beschäftigt und stellt einen wichtigen Gegenstand in fast allen seither entstandenen Wissenschaften dar: "Aus naturwissenschaftlicher Perspektive etwa ist Zeit eine physikalische, objektive und selbstverständlich berechenbare Größe. Aus erziehungs-und bildungswissenschaftlicher Perspektive zeigt sich das Phänomen Zeit als eine inhärente Ordnungskategorie von Lern-und Bildungsprozessen; betrachten wir das Individuum, dann ist Zeit schließlich eine sehr flexible und dehnbare Größe und unterliegt individuellen Wahrnehmungen, lebensgeschichtlichen Entwicklungsprozessen, bedeutsamen Erfahrungen und eigenen Vorlieben." (vgl. Mikula 2020, S. 3) . Eine Perspektive auf Zeit kann somit die Betrachtung des "biografisch-lebensgeschichten Weg[s] eines Subjekts [sein], der beeinflusst ist von natürlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Zeitkonzepten und -zyklen" (Mikula 2020) . Mit Mikula (2020, S. 2) ist davon auszugehen, dass das Zeitbewusstsein von Individuen eingebettet ist in "individuelle, gesellschaftliche, kulturelle und zeitliche Lebenslaufstrukturen" und dass "Lebenspraktiken in der Zeit [...] je nach Lebensphase, in der sich Menschen befinden, einzigartige Zeitzüge und Zeitbezüge [enthalten] ." (Mikula 2020, S. 6) . Aus einer solchermaßen soziologisch inspirierten Sicht auf Zeit fokussiert der vorliegende Artikel auf Besonderheiten der Bedeutung von Zeit für das Verstehen von "Jugend" als gesellschaftliche Bezugsgröße, insbesondere während der Corona-Pandemie. Zunächst sind jedoch ergänzend zum Begriff der Zeit einige Worte zum Jugendbegriff zu verlieren. Mit dem Begriff der "Jugend" wird je nach disziplinärer Sichtweise Unterschiedliches beschrieben: "eine biologische Reifungsphase, ein Möglichkeitsraum der Entwicklung, eine Erziehungsaufgabe, ein juristischer Terminus und vieles mehr." (Harring et al. 2015, S. 12 ) Die jeweils vorgenommene Definition von Jugend bestimmt natürlich auch, mit Blick auf welche Aspekte für die Bestimmung dieser Lebens-und Entwicklungsphase Zeit eine Rolle spielt. Über die Tatsache einer Fülle an unterschiedlichen Definitionen von Jugend hinaus ist festzuhalten, dass Jugend "sich auch höchst unterschiedlich aus [prägt] . Ein generalisierendes und einheitliches Bild lässt sich längst nicht mehr zeichnen." (Harring et al. 2015, S. 12 ) Bereits seit den 1990er-Jahren wird festgestellt, dass "die einheitliche kollektive Statuspassage Jugend in plurale Verlaufsformen und Zeitstrukturen [...] [zerfällt]; es entwickeln sich gleichsam mehrere ,Jugenden', die sich voneinander so stark unterscheiden, daß sie nicht mehr in einem Modell zusammengefaßt werden können" (vgl. Harring et al. 2015, S. 12) . Diese Ausdifferenzierung von Jugend "führt dazu, dass inzwischen kein einheitlicher Abschluss dieser Phase in Form einer Altersbegrenzung möglich ist" (vgl. Harring et al. 2015, S. 13 Auch mit Blick auf die benötigte Zeit für Lernerfolge im Kontext Schule sind die entwicklungspsychologischen Erkenntnisse folgenreich. "[D]as biologische Entwicklungstempo und der Stand der kognitiven Entwicklung" etwa können sich "zwischen Jugendlichen des gleichen Jahrgangs erheblich unterscheiden" (Weichold und Silbereisen 2017, S. 257) . Hieraus ergibt sich, dass die Lernumgebung Jugendlicher auf diese Unterschiede äußerst flexibel eingehen muss bzw. müsste, insofern eine Passung erreicht werden soll (ebd.). In der Corona-Zeit ist jedoch wahrscheinlich, dass im Zuge bspw. von Homeschooling, Wechselunterricht und Online-Studium noch deutlich weniger auf die individuellen Lernvoraussetzungen und -tempi der Jugendlichen eingegangen werden konnte. Mit Blick auf die psycho-soziale Dimension von Jugend sind aus einer Zeit-bezogenen Perspektive bspw. die Freizeitgestaltung und die Rolle von Peers interessant. In der Jugend nehmen Peer-Beziehungen, d. h. Kontakte unter Gleichaltrigen, zu und lösen damit häufig die Familie als bis dato primäres soziales Bezugssystem ab (vgl. Harring et al. 2015, S. 24f ). In der Freizeit ebenso wie in der Schule entstehen damit neue Bildungs-und Sozialisationsräume, die "in besonderem Maße auf die (kulturelle) Lebensführung und soziale Orientierung von Jugendlichen" wirken (ebd.). Hier kann festgehalten werden, dass die Jugend eine Lebensphase ist, in welcher junge Menschen lernen und üben, autonomer über die Art zu entscheiden, wie sie ihre Zeit verbringen. So zeigt sich bei der Betrachtung alterstypischer Verläufe des Freizeitverhaltens Jugendlicher nach (vgl. Weichold und Silbereisen 2017, S. 256) das folgende Muster: Zunächst verbringen Jugendliche ihre Freizeit in einer für sie von Erwachsenen organisierten Form ("organized"). Durch den Bedeutungsgewinn von informellen Beziehungen zu Peers werden die Aktivitäten zunehmend selbst-und weniger fremdgesteuert ("casual", "informal"). Mit wachsender Selbstständigkeit (auch finanzieller) werden schließlich vermehrt kommerziell gestaltete Freizeitangebote in Anspruch genommen ("commercial"). Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus haben diese Entwicklung jedoch deutlich eingeschränkt. So dürften sich etwa die Möglichkeiten, Peer-Beziehungen als Lernräume zu nutzen, stark verringert haben. Gleichzeitig ist anzumerken, dass die Gestaltungsspielräume von Jugendlichen bezogen auf ihre Freizeit sehr unterschiedlich sind (vgl. Harring et al. 2015, S. 25) . Nicht alle jungen Menschen haben gleichermaßen die Chance, sich entsprechend ihren "jugendlichen Motiven, die sich zwischen Abenteuerlust, Unabhängigkeitsbestreben und Qualifizierungsabsichten bewegen", in ihrer Freizeit sowie in ihrer Lebensplanung national und international mobil zu bewegen und neue Beziehungen einzugehen (vgl. Harring et al. 2015, S. 26) . Hinweise auf eine Verstärkung von sozialen Ungleichheiten durch die Pandemie (BJK 2021) legen nahe, dass sich diese Unterschiede in den letzten zwei Jahren noch verstärkt haben dürften. Durch die Aufteilung von Biografien in Lebensphasen stehen uns diese als "sozialweltliches Orientierungsmuster" zur Verfügung, "das in modernen Gesellschaften zum Alltagswissen gehört und das wir als Ordnungsschema für unser Handeln und Denken nutzen." (Dausien 2020, S. 73) Mit jeder Lebensphase gehen "lebensalterbezogene Anforderungen" einher, die "gleichermaßen institutionell wie individuell disponiert sind" (Schierbaum und Bossek 2020, S. 191) . Die gesellschaftlich vorstrukturierten, alterstypischen Erwartungen an Jugend sind aus soziologischer Sicht als historisch bedingt und wandelbar zu verstehen. Die Lebensphase Jugend wird als erst durch die "Institutionalisierung eines dreigeteilten modernen Lebenslaufes", welcher "um Erwerbsarbeit strukturiert ist" (vgl. Dahmen 2020, S. 174) entstanden begriffen. Zentral sind dabei Prozesse der Dekommodifizierung und Scholarisierung sowie der Institutionalisierung einer Altershierarchie (Dahmen 2020, S. 174) . Ein wichtiges Konzept ist hier jenes des "psychosozialen Moratoriums". Jugend wird als institutionalisierter "Schonraum" verstanden, in dem "Menschen zeitlich befristet von bestimmten gesellschaftlichen Verpflichtungen ent[bunden]" werden (Harring et al. 2015, S. 15 (Schierbaum und Bossek 2020, S. 192) . Gleichzeitig hat "die den Individuen zugeschriebene Verantwortung für ihren Lebenslauf zugenommen, indem diese sich zugleich als ,unternehmerisch' und ,singulär' ausweisen müssen, um ihre Kompetenz der Lebensgestaltung zu zeigen" (vgl. Sackmann 2020, S. 186). Es ist daher zu vermuten, dass Jugendliche eventuelle Corona-bedingte Einschnitte in ihre Zukunftsplanung sowie in ihre avisierten Bildungskarrieren als Gefahr für ihren in diesem Sinne ,unternehmerischen', hoch-individualisierten Bildungserfolg wahrnehmen könnten. Wie im vorigen Abschnitt zusammengetragen, geraten mit einer Zeit-bezogenen Perspektive auf Jugend Aspekte in den Blick, die auch die Erfahrungen von Jugendlichen während der Pandemie in besonderer Weise prägen dürften. Ich möchte neben die soeben präsentierten Überlegungen daher nun einige Stimmen von Jugendlichen stellen. Dabei nehme ich Bezug auf Ergebnisse der "Jugend und Corona (JuCo)" Studien I und II, die im Frühjahr und Herbst 2020 vom Forschungsverbund "Kindheit -Jugend -Familie in der Corona-Zeit" durchgeführt wurden. An den Studien beteiligten sich über 5520 (JuCo I) bzw. über 7000 (JuCo II) junge Menschen, um in einem Online-Fragebogen Auskunft über ihre Erfahrungen in der Pandemie zu geben (Andresen et al. 2021 (Andresen et al. , 2020a . Die Befragten waren zwischen 15 und 30 Jahre alt, bewegen sich also aus einer Lebensphasen-bezogenen Perspektive zwischen Jugend und jungem Erwachsenenalter. Während an anderen Stellen bereits vertieft auf die statistischen Ergebnisse der Studien eingegangen wurde (z. B. Lips et al. 2022 i.E., Heyer 2021), möchte ich mich hier auf die exemplarische Darstellung von Kommentaren konzentrieren, wie sie sehr viele Befragte am Ende des Fragebogens in einem offenen Kommentarfeld hinterließen. Ich möchte damit drei wesentliche Beobachtungen zum Zeiterleben von Jugendlichen in der Pandemie herausstellen. Dies sind: eine Frustration über verpasste Chancen, Berich-te über Stress und Leistungsdruck, sowie die Schilderung von Zukunftsängsten. In vielen der Kommentare äußern Befragte der JuCo-Studien ihren Frust über Reisen, Unternehmungen, Treffen und besondere Erfahrungen, die sie aufgrund der Pandemie nicht antreten oder machen konnten. So etwa in den folgenden drei Schilderungen: 2 Die Generation, die am Ende der Schule bis Ende des Studiums steht, leidet am meisten unter Corona. Das sind so kostbare Jahre. Man kann nicht einfach sagen "dieses Auslandspraktikum mache ich dann eben in einem Jahr", weil eben nur jetzt dafür Zeit gewesen wäre im Studium (oder nach dem Abi). Ich verbinde mit der Corona-Zeit Einsamkeit, Isolation und Stress. Ich bin im Abschlussjahrgang meiner Schule und viele Fahrten, auf die ich mich sehr gefreut habe, mussten ersatzlos gestrichen werden. Alles Schöne wurde uns genommen und kann auch nicht mehr nachgeholt werden, weil es ja unser letztes Jahr an der Schule ist. Vor allem auf die neuen Bekanntschaften und das typische Studentenleben mit Partys, Vorlesungen auf dem Campus und die Mensa [hatte ich mich gefreut]. All das wurde mir durch Corona genommen. Jetzt sieht mein Alltag ziemlich monoton und langweilig aus: Aufstehen, Frühstück, vor den Laptop setzen, mir Vorlesungen anhören und mich in Tutorien möglichst beteiligen. Dabei sehe ich meistens nur den/die Professor:in oder den/die Dozent:in. Das nimmt den Spaß und das Persönliche aus dem Studium und ersetzt es mit reinem Stoff ohne das "Drum-und-Dran". Während die Erfahrung abgesagter Veranstaltungen etc. zunächst eine ist, die viele Mitglieder der Gesellschaft teilen, mischt sich in die Kommentare der Jugendlichen spürbar ein resignativer Tonfall. Hier wird von "kostbaren Jahren" und unwiederbringlichen Zeitfenstern bspw. für ein Auslandspraktikum oder eine Abschlussfahrt mit dem Jahrgang gesprochen. Auch der Studienbeginn unter Corona-Bedingungen (hier offenbar im Modus der Online-Lehre) wird als herbe persönliche Enttäuschung erfahren, da neue Bekanntschaften deutlich schwieriger einzugehen sind und "das typische Studentenleben" mit persönlichen Begegnungen z. B. auf dem Campus nicht erlebt werden kann. Nach ihrer Einstellung zur Zukunft wurden die Befragten explizit in einem Item des Fragebogens gefragt. Hierauf gaben im November 2020 über 45 % der Befragten an, voll bis eher zuzustimmen, Angst vor ihrer Zukunft zu haben (Andresen et al. 2020b, S. 7 Es ist einfach sehr deprimierend und wie gesagt, man macht sich große Sorgen. Mir selber geht es um die Ungewissheit und den Frust darüber, dass ja keiner etwas an der derzeitigen Situation ändern kann. Man muss einfach hinnehmen was vorgeschrieben wird. Aber ich mache mir schon Gedanken, inwiefern meine Berufswahl nach dem Abitur eingeschränkt sein wird. Meinem Empfinden nach spaltet sich die Gesellschaft zurzeit in zwei Lager und davor habe ich sehr Angst, viel mehr als vor den wirklichen Maßnahmen und meinen persönlichen Möglichkeiten in der Zukunft, die sich durch Corona natürlich auch verändern können. Ich glaube, viele junge Menschen können diese Phase durchaus überstehen, wenn sie auch als zeitlich begrenzte Phase dargestellt wird. Wirklich große Sorgen mache ich mir darum, ob ich es nun noch schaffe, ein Auslandssemester zu machen oder ob mir diese Möglichkeit für immer genommen wird. Mir fehlen Langzeitstrategien seitens der Politik. Die jungen Menschen berichten über die Sorge, keinen passenden Ausbildungs-oder Studienplatz zu finden oder sich aufgrund eingeschränkter Möglichkeiten neu entscheiden zu müssen, wie die Berufswahl aussehen soll. Auch ist von der Angst zu lesen, dass die Pandemie noch deutlich länger anhalten und bspw. die Mobilität der jungen Menschen weiter einschränken könnte. Darüber hinaus äußern Befragte Sorgen bezogen auf gesellschaftliche Entwicklungen, wie etwa eine drohende ,Spaltung der Gesellschaft'. Deutlich wird insbesondere im letzten Zitat, dass der Eindruck besteht, dass diese Sorgen in der Politik nicht aufgegriffen werden. Dies korrespondiert mit dem Befund, dass im November 2020 fast 65 % der Befragten gar nicht bis eher nicht zustimmen, dass ihre Sorgen von der Politik gehört werden (Andresen et al. 2020b, S. 10 ). Ich möchte diese Stimmen junger Menschen nun mit den zuvor präsentierten Gedanken zur Bedeutung von Zeit für und in der Jugend zusammenbringen. Das Argument ist dabei, dass die Corona-Zeit für Jugendliche deshalb u. a. von Frustration über verpasste Chancen, Leistungsdruck und K Zukunftsängste geprägt zu sein scheint, da ihr "subjektives Zeitempfinden" (Mikula 2020, S. 3) in psychologischer und sozialer Hinsicht ein besonderes ist. Wie beschrieben, ergibt sich aus den entwicklungspsychologischen und soziologischen Überlegungen die Annahme, dass Mitglieder einer Gesellschaft "Vorstellungen darüber teilen, welche Aufgaben [...] zu einem bestimmten Alter verfolgt und erreicht werden sollten" (Freund und Nikitin 2017, S. 269) . Diese sozialen Erwartungen können in Anlehnung an das "social clock"-Modell von Neugarten (1972 , zit. nach Freund und Nikitin 2017 als normativer Zeitplan des Lebens verstanden werden. Jugendliche wissen, dass eine Verletzung dieses Zeitplans zu negativen Sanktionen führt und richten sich deshalb in ihrer Lebensplanung und ihrer persönlichen Zielsetzung danach aus (ebd.). Können Ziele nicht wie gewünscht umgesetzt werden, kommt es normaler Weise zu einer Zielanpassung (Weichold und Silbereisen 2017, S. 250) . Ähnlich wie z. B. in Phasen hoher Jugendarbeitslosigkeit ist dies in der Corona-Pandemie jedoch nicht ohne weiteres möglich. Dies könnte ein Aspekt sein, der auf Zukunftsunsicherheiten und Ängste verstärkend wirkt. Hinzu kommt, dass Jugendliche heute höhere Bildungsaspirationen nicht nur erreichen können, sondern es geradezu müssen, "um eine günstige Ausgangsposition für ihren beruflichen Platzierungsprozess zu erhalten." (Harring et al. 2015, S. 18 ) "Eingebettet in Vergleichs-und Konkurrenzszenarien werden bestmögliche Leistungen in immer früheren Lebensphasen gefordert, während sich gleichzeitig Lerninhalte verdichten und in weniger Zeit bewältigt werden müssen." (Schreiber 2020, S. 234 ) Das ursprünglich als "Schonraum" gedachte ,Bildungsmoratorium Jugend' ist heute zunehmend "von Leistungsdruck und Entscheidungsnotwendigkeiten geprägt" (ebd.). Dies kann insbesondere vor dem Hintergrund von Bildungsungleichheiten belastend sein. Die Erfahrung, im "positionalen Wettbewerb um Bildungszertifikate" (Brown 2004) bspw. mit dem Pandemiebedingten Homeschooling oder Online-Studium nicht ,klarzukommen', kann den Stress und Leistungsdruck junger Menschen zusätzlich erhöhen. Während etwa in der Shell Jugendstudie 2019 (zit. nach Köhler 2020, S. 367) hervorgehoben wird, dass Jugendliche ihre gesellschaftliche und persönliche Zukunft positiv einschätzen, weisen die Erfahrungen Jugendlicher in der Corona-Pandemie eine andere Färbung auf. In der ungewissen Situation der Pandemie ergeben sich neue Anforderungen an die Synchronisation von Zeitanforderungen mit deren Umsetzungsmöglichkeiten. Es ist nachvollziehbar, dass Jugendliche dies auch mit Blick auf die von ihnen vorgefundenen Angebote in Bildungsorganisationen und der Politik verlangen (vgl. Köhler 2020, S. 366). Sie reagieren mit Sorge und Unsicherheit angesichts der weitgehenden Abwesenheit von, wie es ein:e Befragte:r ausdrückt, "politi-schen Langzeitstrategien" (s. oben) und Gelegenheiten, die eigene Meinung hörbar einzubringen. Angesichts der angestellten Überlegungen sollen nun abschließend und weiterführend drei Gedanken dazu formuliert werden, welche Bedarfe sich aus den Beobachtungen ergeben könnten. Für die Gestaltung von Bildungsgelegenheiten in post-pandemischen Zeiten sind insbesondere Bildungsinstitutionen wie Schulen und Universtäten, aber gleichermaßen auch Arbeitgeber und Fachkräfte der (außerschulischen) Jugendarbeit ebenso wie unsereins im ganz alltäglichen Miteinander gefragt. Erstens braucht es Gelegenheiten, um den der Pandemie innewohnenden Generationenkonflikt zwischen Jungen und Alten miteinander auszutragen. Der Austausch muss dabei über ein bloßes ,Rücksichtnehmen' auf die "Alten" und deren ,Bemitleiden' der "Jungen" hinausgehen. Jugendliche, Erwachsene und ältere Menschen müssen miteinander darüber reden, was die Pandemie für sie bedeutet (hat) und wie deren Folgen langfristig insbesondere für diejenigen, die jetzt jugendlich sind, aufgefangen und gesteuert werden können. Dafür müssen Aushandlungsräume geschaffen werden. Hieraus ergibt sich direkt zweitens: Jugendliche müssen beteiligt werden. Sie müssen auch selbst diese Beteiligungsrechte einfordern und bestehende Mitbestimmungsmöglichkeiten nutzen. Wichtig ist aber auch, dass Politik und ältere Mitglieder der Gesellschaft bspw. in Familie und Schule die Sorgen und Bedarfe von Jugendlichen hören und einbeziehen. Dies darf nicht nur punktuell bei Fragen der Gestaltung von Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie erfolgen, sondern muss auch im Prozess der "Aufarbeitung" und der Diskussion langfristiger Konsequenzen strukturell verlässlich organisiert werden. Drittens braucht es dem vorgelagert für die Umsetzung dieser Forderungen mehr Räume für den Peer-Austausch unter Jugendlichen. Es müssen (wieder) Gelegenheiten geschaffen und gefördert werden, durch die sich Jugendliche über ihre Erfahrungen in der Pandemie austauschen können und gemeinsam Schlüsse ziehen können. Dies ist insbesondere wichtig, um sich von den durch die Pandemie noch verstärkten Individualisierungstendenzen, Leistungsdruck und Zukunftsängsten zu emanzipieren und sich ggf. überhaupt als Generation begreifen zu können. Eine Orientierung für die Gestaltung solcher wenig strukturierter und gleichzeitig dichter Lern-Räume können gruppendynamische Lernformate und -methoden bieten. Diese könnten bspw. in der Zeit "nach der Online-Lehre" in der Hochschule Erfahrungen ermöglichen, die einen Gegensatz zu Individualisierung und Optimierung bilden. So K berichtet bspw. Lackner (2018, S. 364) , dass insbesondere "sozial-und gesellschaftspolitische Bewusstseinsbildung" und "Partizipation" Kompetenzen sind, "die sich heute durch gruppendynamisches Lernen vermitteln" (zu den Lernpotenzialen in gruppendynamischen Lern-Formaten vgl. auch Claußen 2015) . Es wäre insofern lohnenswert, vertieft zu diskutieren, was Krainz (2020, S. 491) für gruppendynamische Trainings und Beratung über das "Potenzial einer Widergewinnung des Politischen durch die Krise" noch ohne Bezug zur Corona-Zeit beschreibt: Angesichts der Zeit-bezogenen Beobachtungen zu den Erfahrungen von Jugendlichen in der Corona-Pandemie könnten gruppendynamische Lernformate bei der Gestaltung von Aushandlungsorten für gesellschaftliche Mitgestaltungsmöglichkeiten für und mit jungen Menschen, sowie für das gegenseitige Verstehen und Vermitteln generationaler Erfahrungen in der Pandemie, einen wertvollen Beitrag leisten. Funding Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL. 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Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de. Die Corona-Pandemie hat mir wertvolle Zeit genommen Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie. Erfahrungen, Sorgen, Bedarfe. Hildesheim: Universitätsverlag Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen. Erste Ergebnisse der bundesweiten Studie JuCo Gibt es eine Globalisierung positionalen Wettbewerbs Soziale Ungleichheit in Kindheit und Jugend -Folgen der Corona-Pandemie (Fachforum am 19 Was lernt man in Trainingsgruppen? Auswirkungen erfahrungsorientierter Lernsettings auf die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen Subjektivierung und Optimierung von Jugend in (sozial-)pädagogischen Aktivierungspraktiken Junges und mittleres Erwachsenenalter Lebenslagen Jugendlicher in Deutschland. Aufwachsen unter Bedingungen von Pluralität und Entgrenzung Teilhabe junger Menschen in Zeiten von Corona: Ein Blick in die Zukunft Jenseits des Marktprinzips Millennials und Nexters. Veränderungen von Interaktions-, Beziehungs-, Bindungs-und Affektmuster in gruppendynamischen Trainingsgruppen Jugendliche Jugendliches Raumerleben während der Corona-Pandemie Zeit als biografische Strukturkategorie Personality and the aging process Jugendtypen zwischen Bildung und Freizeit. Theoretische Präzisierung und empirische Prüfung einer differenziellen Theorie der Adoleszenz Vom Bildungs-zum Optimierungsmoratorium Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf Jugend (10-20 Jahre) Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialund Organisationspädagogik der Stiftung Universität Hildesheim liegen Ihre Arbeits-und Forschungsschwerpunkte in der Jugend-und Beteiligungsforschung sowie auf der multiprofessionellen Zusam