key: cord-0938192-wt2zb3x4 authors: Hornung, Erik title: Industrialisierung im Deutschen Reich: Welche Rolle spielte die öffentliche Infrastruktur? date: 2021-04-17 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-021-2892-7 sha: 6f5306e76d14e8767102c2ed8fd2051b624a9b09 doc_id: 938192 cord_uid: wt2zb3x4 nan wiederkehrendes Thema (Clemens et al., 2021) . Dabei wird der Schuldenbremse eine substanzielle Rolle für den Investitionsstau zugeschrieben, der sich unter anderem in mangelnder Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur und mangelnden Investitionen in ein zukunftsfähiges Bildungs-und Gesundheitswesen widerspiegelt. Die aktuelle COVID-19-Krise könnte zukünftig dazu führen, dass der Anstieg von Transfers an Haushalte und Unternehmen noch weniger Spielraum für öffentliche Investitionen lässt. Dabei zeigen Studien immer wieder, dass öffentliche Investitionen das langfristige Wachstum unterstützen, speziell dann, wenn sie gute Voraussetzungen für private Investitionen schaffen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass positive Effekte von Infrastrukturinvestitionen in Deutschland eine lange Geschichte haben. In der wirtschaftspolitischen Diskussion sind die schwache öffentliche Investitionstätigkeit und der Zustand der Infrastruktur in Deutschland seit Jahren ein Prof. Dr. Erik Hornung lehrt Wirtschaftsgeschichte an der Universität zu Köln. Zeitgespräch "Einpfennigtarifs" darauf ab, die Beförderung von Kohle und Holz über größere Distanzen zu fördern und damit die Transportkosten für die wichtigsten Energieträger der heimischen Industrie zu reduzieren. Die zentrale Rolle der Eisenbahn für die deutsche Industrialisierung ist unstrittig. Durch substanzielle Transportkostensenkungen und Nachfrageeffekte war sie wesentlich für das Wachstum in den Bereichen Kohle, Eisen, Stahl und Maschinenbau verantwortlich. Im Zeitraum von 1851 bis 1879 betrug der Anteil der Nettoinvestitionen, die durch den Eisenbahnbau generiert wurden, zwischen 10 % und 20 % (Fremdling, 1975) . Die Reduzierung von Transportkosten (vgl. Tabelle 1) spielte damals wie heute eine zentrale Rolle für das Wachstum des interregionalen Handels und für die Standortentscheidungen von Unternehmen. Neuere ökonometrische Studien bestätigen, dass die Verbindung mit einer Eisenbahnlinie in der Tat dazu führte, dass Märkte stärker integrierten. Nach Eröffnung einer Verbindung zwischen zwei Städten sank die Preisdifferenz von Weizen im Zeitraum 1820 bis 1880 um ca. die Hälfte (Keller and Shiue, 2014) . Während die frühen Fabriken sich vornehmlich an Flüssen ansiedeln mussten, um ihre Maschinen mit Wasserkraft zu betreiben, konnten sich Fabriken nun wegen der niedrigen Transportkosten für Kohle verstärkt dort ansiedeln, wo es eine hohe Nachfrage nach ihren Produkten und ein hohes Angebot an Arbeitskräften gab. Die Loslösung von natürlichen Ressourcen führte entsprechend zu Agglomerationseffekten. Die durchschnittliche Firmengröße in preußischen Städten mit Eisenbahnanschluss war nahezu doppelt so groß wie in vergleichbaren Städten ohne Anschluss (Hornung, 2015) . Preußische Städte profi tierten nicht nur durch die Ansiedlung größerer Unternehmen, sondern auch durch eine höhere Zuwanderung -die Bevölkerung dieser Städte wuchs im Schnitt ca. 1 bis 2 Prozentpunkte pro Jahr schneller. Auch für Württemberg können regionale Wachstumseffekte der historischen Eisenbahnen nachgewiesen werden. Eine Gemeinde mit Eisenbahnanschluss wuchs demnach um 0,5 Prozentpunk- Die Gründung des Deutsche Reichs im Jahr 1871 fi el in eine Phase tiefgreifenden Strukturwandels, demografi scher Transformation, anhaltender Urbanisierung, wachsender Ungleichheit und Globalisierung. Die erste Phase der Industrialisierung, häufi g mit dem Beginn des Eisenbahnbaus und der Gründung des Deutschen Zollvereins in den 1830ern assoziiert, ging mit einer innerdeutschen Markt integration einher. Neben dem Eisenbahnbau kann in den historischen Berufszählungen eine stetig steigende Zahl von Beschäftigten im Bergbau und in zentralisierten Fabriken der Textil-, Metall und Maschinenindustrie beobachtet werden. Die zweite Phase der Industrialisierung begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und nahm zur Zeit der Reichsgründung deutlich an Schwung auf. Diese Hochindustrialisierung war durch ein rasches Wachstum der chemischen und elektronischen Industrien und des Maschinenbaus gekennzeichnet -Branchen, in denen deutsche Unternehmen international die technologische Führerschaft übernahmen. Bei der Bereitstellung der benötigten Fachkräfte spielten möglicherweise sowohl das Bildungssystem als auch das Gesundheitssystem eine wichtige Rolle. Angefangen mit der ersten deutschen Bahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth im Jahr 1835, wurden bis zum Ersten Weltkrieg im Deutschen Reich Eisenbahnstrecken mit einer Länge von ca. 60.000 km errichtet. Bei Reichsgründung waren es noch ca. 19.000 km gewesen. 1 Anfangs wurden Strecken in Preußen vornehmlich von privaten Eisenbahngesellschaften errichtet und betrieben, wohingegen Baden, Bayern und Württemberg weitestgehend eigene Staatsbahnen betrieben. Bei Reichsgründung herrschte allerdings in allen größeren Staaten ein Mischsystem aus privaten und staatlichen Bahnen. Eisenbahnpolitik blieb auch nach Reichsgründung überwiegend in der Verantwortung der verschiedenen Einzelstaaten. In den 1880er Jahren kam es zu einer Welle von Verstaatlichungen, vor allem der preußischen Privatbahnen, die sich aufgrund der guten Ertragslage verschiedener Strecken sehr positiv auf den Haushalt auswirkte. Es wurden nun aber auch weniger profi table Strecken gebaut, die Regionen mit geringerer Bevölkerungsdichte versorgten (Fremdling, 1983) . Durch Konzessionierung sowie Einschränkungen der Preis-und Fahrplangestaltung griffen die Staaten auch direkt in die Errichtung der Stecken und den Betrieb der privaten Eisenbahngesellschaften ein (Ziegler, 1996) . Beispielsweise zielte die verfassungsmäßige Einführung des 1 In der Bundesrepublik Deutschland waren im Jahr 2020 noch ca. 38.400 km in Betrieb. Frachtsätze in Pfennig pro Tonnenkilometer Quelle: Gutberlet (2013 Die negativen Folgen der Industrialisierung waren insbesondere für die Arbeiterschaft zu spüren. Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rief die "soziale Frage", die Verelendung der Arbeiter in den wachsenden Städten, nach immer mehr politischer Aufmerksamkeit. Die schlechten und unhygienischen Wohnverhältnisse in den Großstädten führten unter anderem zum Ausbruch von Epidemien und tiefgreifenden Problemen im Gesundheitswesen. Im Angesicht steigender Stimmanteile für die sozialdemokratischen Parteien, reagierten Reichskanzler Bismarck und das Deutsche Reich auf die Missstände mit der Einführung der Sozialversicherung. Im ersten Schritt wurde 1884 die Krankenversicherung für die Arbeiter eingeführt, die sich ausschließlich aus Beiträgen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber fi nanzierte. Quelle: Diebolt (2005) . Railways, Growth, and Industrialisation in a Developing German Economy Landownership concentration and the expansion of education The role of human capital and innovation in economic development: evidence from post-Malthusian Prussia Nachhaltiges Wachstum: Braucht Deutschland ein Investitionsprogramm? Die langfristige Entwicklung des Schulsystems in Deutschland im 19 The Research University, Invention, and Industry: Evidence from German History, mimeo Roman transport network connectivity and economic integration Eisenbahnen und deutsches Wirtschaftswachstum 1840-1879 Railways and the Economic Development of Western Europe Sanitary infrastructures and the decline of mortality in Germany Railroads and the regional concentration of industry in Germany 1861 to 1882, mimeo Railroads and growth in Prussia The link between fundamentals and proximate factors in development Investment in Humans, Technological Diffusion, and Economic Growth Centralized Monitoring, Resistance, and Reform Outcomes. Evidence from School Inspections in Prussia, ifo Working Paper Eisenbahnen und Staat im Zeitalter der Industrialisierung: die Eisenbahnpolitik der deutschen Staaten im Vergleich Auch unterscheiden sich die heutigen Herausforderungen an Infrastrukturinvestitionen, wie Digitalisierung und Dekarbonisierung, grundlegend Bismarck's health insurance and the mortality decline Education and catch-up in the industrial revolution Deutschland 1871: Die Nationalstaatsbildung und der Weg in die moderne Wirtschaft Quelle: Bauernschuster, Driva und Hornung (2020).