key: cord-0942854-66uzlhvt authors: Schnittert, Ute title: Das Gerät im Hintergrund date: 2021-07-23 journal: Pflege Z DOI: 10.1007/s41906-021-1087-6 sha: 6c8bf4d42017234a84b38dc3fc2f82df38e3f7b6 doc_id: 942854 cord_uid: 66uzlhvt Über zwei Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Niereninsuffizienz. Untersuchungen legen nahe, dass der Nachweis von COVID-19-RNA im Nierengewebe mit einer höheren Rate an akutem Nierenversagen und einer höheren Sterblichkeit korreliert. Der Ausfall eines Organsystems führt in der Regel zur Beeinträchtigung anderer Organsysteme. Bei einer ganz oder teilweise ausgefallenen Nierenfunktion kommen als Therapie intra- oder extrakorporale Blutreinigungsverfahren wie Peritoneal- oder Hämodialyse zum Einsatz. Hämodialyse ist hierbei das weitaus häufiger angewandte Verfahren und das Mittel der Wahl in akuten Situationen. Die Therapieziele sind die Elimination von Giftstoffen, die Regulation des Flüssigkeitshaushaltes, eine Korrektur der Serumlektrolyte sowie ein Azidoseausgleich. Vor dem im Deutschen Ärzteblatt (Girndt et al. 2016 , Hoffmann et al. 2016 veröffentlichten Hintergrund, dass bundesweit etwa zwei Millionen Menschen im Alter von 18 bis 79 Jahren eine bereits eingeschränkte Nierenfunktion haben, gewinnen Nierenerkrankungen an steigender Bedeutung. Die Glomeruläre Filtrationsrate bei diesen Personen liegt nicht bei wünschenswerten 120 ml/min /1,73m 2 Körperoberfläche, sondern bei unter 60 ml/min/1,73m 2 . Über 80-Jährige einkalkuliert, übersteigt die Anzahl der niereninsuffizienten Patienten in Deutschland die 2-Millionen-Marke. Erschreckend in diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass zwei Drittel der Betroffenen nicht die geringste Ahnung von ihrer eingeschränkten Nierenfunktion haben und somit auch nicht behandelt werden. So verwundert es nicht, dass bei etwa einem Drittel aller intensivpflichtigen Patienten eine Nierenfunktionsstörung vorliegt, von denen allerdings nicht alle auch dialysepflichtig sind oder werden. Auf einer Intensivstation ist jedoch leider die Chance groß, dass "alles zusammenkommt", und das nicht nur in Corona-Zeiten. Der Ausfall eines Organsystems führt fast zwangsläufig zur Beeinträchtigung der Funktion anderer Organsysteme. Und ist die Funktion des Organs "Niere" bereits bekannt oder unbekannt eingeschränkt, fehlt nicht mehr viel, bis es zum Nierenversagen kommt. Neben Patienten mit akutem Nierenversagen gibt es zudem in Deutschland inzwischen rund 90.000 Personen, die im terminalen Stadium chronisch niereninsuffizient sind und dauerhaft einer Nierenersatztherapie bedürfen. Diese Patienten zählen einerseits auf Grund der schweren Grunderkrankung zu den COVID-19-Risikogruppen, andererseits weil bei Ihnen stark gehäuft kollateral weitere schwere Erkrankungen vorliegen, beispielsweise Diabetes mellitus oder Hypertonie. Während geführt. Hinsichtlich der nicht intensivpflichtigen COVID-19-positiven (chronischen) Dialysepatienten gibt es räumliche Möglichkeiten, die Behandlung unter geeigneten Isolationsbedingungen durchzuführen. Umgangssprachlich wird Hämodialyse häufig Blutwäsche genannt. Um bei einer ganz oder teilweise ausgefallenen Nierenfunktion das Blut einer Reinigung unterziehen zu können, wird ein großlumiger Zugang zum venösen Gefäßsystem benötigt. Während in akuten Situationen als kurzfristige Lösung hierfür üblicherweise ein doppellumiger Shaldonkatheter Anwendung findet, muss bei chronisch terminaler Niereninsuffizienz eine langfristige Lösung für die Durchführung der lebenslang notwendigen weiteren Hämodialysebehandlungen gefunden werden. Von bestimmten Kontraindikationen abgesehen sollte diese Lösung eine sog. Shuntanlage sein, bei der operativ eine Armvene durch arteriellen Blutzustrom künstlich erweitert wird, so dass eine ausreichend große Menge an Blut pro Minute mittels einer elektronisch gesteuerten Blutpumpe bewegt werden kann. Neben der zu bevorzugenden Shuntanlage besteht auch die Möglichkeit, die Dialysebehandlung über einen implantierten, getunnelten, doppeloder einlumigen Vorhofkatheter durchzuführen. Ist gehend erreicht. Jedoch kommt es im dialysefreien Intervall in individueller Ausprägung zur Ansammlung harnpflichtiger Substanzen, Elektrolytveränderungen, einer Azidose und zu Hypervolämie. Der intermittierende Behandlungscharakter verursacht diesbezüglich Schwankungen, mit denen nicht intensivpflichtige Dialysepatienten jedoch üblicherweise gut zurechtkommen können. Auf Intensivstationen kann bei Vorliegen eines akuten oder chronischen Nierenversagens eine intermittierende Hämodialysetherapie fortgeführt oder eingeleitet werden. Oder aber es kann, wie derzeit häufig zu sehen, ein kontinuierliches Dialyseverfahren zur Anwendung kommen, wenn die gesundheitliche Gesamtsituation bereits eskaliert ist oder zeitnah zu eskalieren droht. Die kontinuierlichen veno-venösen Hämodialyseverfahren "laufen" mit langsamer Blutflussgeschwindigkeit (ca. 100 ml/pro Minute) täglich 24 Stunden, wodurch die erwähnten Schwankungen einer intermittierenden Nierenersatztherapie vermieden werden. Kontinuierliche Dialyseverfahren sind schonend und reichen ausgesprochen nahe an die physiologische Nierenfunktion heran. Entsprechend deutlich vermindert sind intradialytische Komplikationen, selbst bei gleichzeitiger Gabe von Katecholaminen. Die hauptsächlich durchgeführten kontinuierlichen Hämodialyseverfahren sind folgende: _ CVVH (Continuous Veno-Venous Hemofiltration): kontinuierliche Hämofiltration _ CVVHD (Continuous Veno-Venous Hemodialysis): kontinuierliche Hämodialyse _ CVVHDF (Continuous Veno-Venous Hemodiafiltration): kontinuierliche Hämodiafiltration Es stehen also, wie bei der intermittierenden Hämodialyse auch, drei Behandlungsmodifikationen zur Verfügung (Kasten). Neben der "Mutter aller Dialyseverfahren", der klassischen Hämodialyse, ist es auch möglich, eine Hämofiltration oder eine Hämodiafiltration kontinuierlich durchzuführen. Bezüglich der Häufigkeit der drei verschieden Verfahren ist zu beobachten, dass die Anwendung von kontinuierlicher (wie auch intermittierender) Hämofiltration rückläufig erscheint. Sobald der Zugang zum venösen Gefäßsystem hergestellt und ärztlicherseits für die Behandlungsdurchführung freigegeben ist, kann die Behandlung beginnen. Sofern chronische Dialysepatienten intensivpflichtig werden und ein kontinuierliches Verfahren durchgeführt werden soll, kann ein bereits implantierter, getunnelter Doppellumen-Vorhofkatheter für die Behandlung genutzt werden. Von einer klassischen Shuntvenenpunktion hingegen ist abzusehen, da das Blutungsrisiko unkalkulierbar ist. Der Maschinenaufbau und das Anschlussprozedere werden je nach internen Gepflogenheiten wahlweise vom Dialysefachpersonal oder vom Intensivfachpersonal durchgeführt. Auf Grund des durativen Behandlungscharakters obliegt die Behandlungsüberwachung jedoch dem Intensivpflegepersonal. Dialysegeräte für kontinuierliche Hämodialyseverfahren werden von verschiedenen Herstellern angeboten. Der prinzipielle Geräteaufbau weist große Parallelen zum Geräteaufbau herkömmlicher Dialysegeräte auf; bestimmte Bauelemente und Überwachungssegmente sind bei diesem wie jenem Gerätetyp funktional identisch, wenn auch gelegentlich in der äußeren Form unterschiedlich. Ein wesentlicher Unterschied hingegen findet sich bei der Zubereitung der Dialysierflüssigkeit. Während Hämodialysegeräte üblicherweise mit aufbereitetem Leitungswasser arbeiten, sind die Geräte zur Durchführung kontinuierlicher Dialyseverfahren wasserunabhängig einsetzbar. Für die Substitution bei Hämofiltration oder Hämodiafiltration sowie zur Herstellung von Dialysierflüssigkeit werden entsprechende Beutel benötigt; meist handelt es sich um 5-Liter-Doppelkammerbeutel. Bei einem durchschnittlichen Dialysatfluss von ca. 2.000 ml/Stunde werden allein für die Dialysierflüssigkeit 48 Liter in 24 Stunden benötigt. Sollte das nach viel klingen, ernüchtert der Vergleich mit der klassischen Hämodialysetherapie, bei der zwischen 70 und 150 l Wasser für einen Patienten und eine Behandlung verbraucht werden. Das verbrauchte Dialysat wird bei der kontinuierlichen Hämodialysetherapie in 10-Liter-Leerbeuteln aufgefangen. Für die exakte Bilanzierung sind empfindliche Waagen im Dialysegerät verbaut. Läuft die Behandlung einmal, verschwindet das Dialysegerät fast aus dem Blickfeld. Kommt es zu Problemen, wird dies durch Licht-und Tonsignale gemeldet. Hierbei handelt es sich häufig um Zu-oder Ablaufschwierigkeiten am Gefäßzugang, oft durch eine Umlagerung des Patienten verursacht. Zudem kann es zu einem Clotting im extrakorporalen System kommen. Hierbei verändern sich bereits im Vorfeld bestimmte Druckwerte, die noch vor einer Alarmierung auf das zu erwartende Problem hindeuten. Für die kontinuierliche Hämodialysetherapie stehen drei Behandlungsmodifikationen zur Verfügung: Hämodialyse (HD): Extrakorporales Blutreinigungsverfahren, bei dem auf Grund diffusiver Gesetzmäßigkeiten, aber auch konvektiv, am Dialysefilter Giftstoffe eliminiert werden, eine Korrektur der Serumelektrolyte erfolgt, eine Azidose ausgeglichen wird und unter Anwendung von Sog Flüssigkeit entzogen werden kann (Ultrafiltration, UF). Modifikation der Hämodialysebehandlung. Über die verstärkte Anwendung von Sog am Dialysefilter werden dem Blut große Flüssigkeitsmengen entzogen, was den konvektiven Molekültransfer steigert, insbesondere den der "Mittelmoleküle". Die bei diesem Verfahren übermäßig entfernte Flüssigkeit (Ultrafiltrationsvolumen, UF-Volumen) wird abzüglich der tatsächlich geplanten patientenindividuellen Ultrafiltration wahlweise vor oder nach dem Dialysefilter substituiert; über das Substituat erfolgt zudem eine Pufferung und Elektrolytausgleich sowie meist eine Zuckerzufuhr. Modifikation der Hämodialysebehandlung im Sinne einer Kombination aus Hämodialyse und Hämofiltration, sodass die spezifischen Vorteile beider Behandlungsarten optimal genutzt werden können. Wissenswert hierzu ist, dass der Durchbruch in der erfolgreichen Durchführung von Dialysebehandlungen erst in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts hauptsächlich deshalb gelang, weil als gerinnungshemmende Substanz Heparin verwendet werden konnte. Die Antikoagulation bei Hämodialysebehandlungen ist von zentraler Bedeutung, nicht nur bei der intermittierenden, sondern ganz besonders sogar bei der kontinuierlichen Dialysetherapie. Bei einer einmal laufenden kontinuierlichen Dialysebehandlung werden Schlauchsystem und Filter fast drei Tage ohne Wechsel verwendet. Ein sehr hoher Anspruch an die Qualität der Materialien, dem die Hersteller zuverlässig gerecht werden, sofern das Blut eine ausreichende Fluidität hat. Hierfür bedarf es einer Antikoagulationstherapie, von der nur in Ausnahmefällen Abstand genommen wird. Blutungsneigung und Blutungsgefahren sind bei intensivpflichtigen Patienten häufig anzutreffen. In solchen Fällen, aber beispielsweise auch bei HIT (heparininduzierte Thrombozytopenie) wird auf Heparin verzichtet und stattdessen einer lokalen Antikoagulation der Vorzug gegeben. Hierbei wird dem Blut unmittelbar nach dem Verlassen des Gefäßsystems kontinuierlich eine individuell berechnete Dosis Citrat beigefügt, welches Calcium bindet (Calcium-Komplexbildner). Diese Komplexbildung unterbricht die Gerinnungskaskade. Kurz vor der Rückführung des dialysierten Blutes zum Patienten wird eine ebenfalls individuell berechnete Menge an Calcium kontinuierlich substituiert, um einen systemischen Calciummangel (Mangel an freiem Calcium) zu verhindern. Intrakorporal wird das Citrat hauptsächlich in der Leber verstoffwechselt und zu Bikarbonat metabolisiert. Bei Vorliegen einer schweren Leberfunktionsstörungen ist eine Citratantikoagulation kontraindiziert. Fachumgangssprachlich wird diese Art der Antikoagulation "CiCa" abgekürzt (Citrat-Calcium-Antikoagulation). Neben der Überwachung der dialysetypischen Parameter (Arterien-/Venendruck, Transmembrandruck etc.) müssen bei einer CiCa in regelmäßigen Abständen Blutproben nach dem Dialysefilter entnommen und analysiert werden, um eine adäquate Antikoagulation zu realisieren und die Substitution von Citrat und Calcium individuell anzupassen. Kontinuierliche Hämodialyseverfahren sind ein im Wortsinne exzentrisches Spezialgebiet; kommen sie aber zur Anwendung, haben sie einen zentralen Stellenwert für die betroffenen Patienten, auch wenn die entsprechenden Geräte in der abendlichen Berichterstattung lediglich im Hintergrund und fast unbemerkt still eine lebenswichtige Aufgabe meistern. Die für die Behandlungsdurchführung notwendigen pflegerischen Spezialisten kommen sowohl aus der Intensivfachpflege als auch aus der Dialysefachpflege. Bedenkt man, dass, wie eingangs geschildert, Nierenerkrankungen auch im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen deutlich an Bedeutung gewonnen haben und die durchschnittliche Anzahl von kontinuierlichen Hämodialysebehandlungen im Verlauf der Pandemie angestiegen ist, liegt es auf der Hand, dass weiterhin ein großer Bedarf an diesen ex-zentrischen Spezialisten besteht. Deutsche Gesellschaft für Nephrologie) Pressemitteilung vom 18 Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland Niereninsuffizienz und Medikation bei Pflegeheimbewohnern. Eine Querschnittsstudie (IMREN) Einführung in die Nephrologie und Nierenersatzverfahren Dialyse-Wissen -prägnant und kompakt -für die Kitteltasche Springer Verlag 2020 ISBN 978-3-662-61015-2 19,99 € (Softcover), 14,99 € (eBook)