key: cord-1003325-gv64f7az authors: Gadebusch Bondio, Mariacarla; Marloth, Maria title: Die „historische Studie“ SOLIDARITY als Antwort der Forschung auf die Sars-CoV-2 Pandemie date: 2020-05-12 journal: NTM DOI: 10.1007/s00048-020-00257-5 sha: b99797c622d8f512cab951785b993d72d1d1bf20 doc_id: 1003325 cord_uid: gv64f7az This paper is part of Forum COVID-19: Perspectives in the Humanities and Social Sciences. The novel coronavirus (Sars-CoV-2) poses a huge challenge to the world community. Knowledge about the virus and its properties is limited, but there is a great need to base political and medical decisions on scientific knowledge. This situation is leading to a dynamization of research. A prominent example of such a development is SOLIDARITY. The epistemological dimensions of this trial, which is coordinated by the WHO, and the resulting ethical implications are discussed in this article. Die Geschwindigkeit der globalen Ausbreitung des Coronavirus (Sars-CoV-) setzt die Wissenschaft unter Zeitdruck. Anders als bei Infektionsausbrüchen wie HIV/AIDS, Ebola und SARS ist die Dystopie einer sich rasant über den ganzen Globus ausbreitenden Infektion mit letalen Folgen für Tausende von Menschen Realität geworden. Wirksame Maßnahmen müssen gut überlegt, schnell entschieden und umgesetzt werden. Dabei ist über das Virus bisher zu wenig bekannt (Paules et al. ) . Verunsicherung ist mit lückenhaftem Wissen verknüpft (Ioannidis ). Auf politischer Ebene ist der moralische Imperativ, Leben zu schützen, mit der Ungewissheit gepaart, die die Grenzen der Medizin und der Versorgungslage bedin-gen. Um klinisch effektiv zu handeln, braucht die Medizin zuverlässige Daten und robuste Evidenz. Auch Gesellschaft und Politik benötigen wissenschaftliche Evidenz, um einschneidende Maßnahmen zu legitimieren. Der US-Virologe Anthony Fauci und seine Ko-Autoren  verstehen Sars-CoV- als [A] stark reminder of the ongoing challenge of emerging and reemerging infectious pathogens and the need for constant surveillance, prompt diagnosis, and robust research to understand the basic biology of new organisms and our susceptibilities to them, as well as to develop effective countermeasures. (Fauci et al. ) . Dieser dringende Bedarf an evidenzbasierten Lösungsansätzen führt zu einer Dynamisierung der Forschung, deren epistemische und ethische Dimensionen im Folgenden skizziert werden. Im Kontext einer weltweiten Gesundheitsherausforderung, die die WHO als "Public Health Emergency of International Concern (PHEIC)"  und später als Pandemie klassifiziert hat, wird die Wissenschaft aufgefordert, ihre üblichen Kommunikationsmodi zu ändern und Studiendesigns an die Situation zu adaptieren. Relevante Forschungsdaten sollen noch vor ihrer Veröffentlichung zirkulieren, eine Initiative, die das "International Comitee of Medical Journal Editors" befürwortet (Moorthy et al. ). Viele Publikationen werden künftig verfügbar sein, bevor sie einen Peer-Review-Prozess durchlaufen. Eine kritische Evaluierung der Literatur muss durch die Leser vorgenommen werden, was eine gesteigerte Eigenverantwortung bedeutet. Schließlich verspricht der ungehinderte Datenfluss die laufende Forschung zu beschleunigen. Politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse können so schrittweise justiert werden. Bereits validierte Evidenz wird in den Datenbanken gebündelt und zur Verfügung gestellt.  Die Dringlichkeit, therapeutische Ansätze zu entwickeln und zu validieren, ist durch die Geschwindigkeit der Ausbreitung von SARS-COV- deutlich verschärft. Von einer epistemisch und ethisch bemerkenswerten Entwicklung zeugt in diesem Kontext die von der WHO lancierte SOLIDARITY-Studie (WHO ), ein "Megatrial", an dem  Länder beteiligt sind (Kupferschmidt & Cohen ) . Medikamente zur Behandlung von SARS-COV- sollen in dieser Studie weltweit getestet werden. Dabei handelt es sich nicht um speziell dafür entwickelte Medikamente, sondern um das sogenannte re-purposing-Verfahren. Das heißt, es werden bereits existierende, teilweise für andere Krankheiten zugelassene oder kurz vor der Zulassung stehende Medikamente auf ihre Wirksamkeit gegen SARS-COV- getestet (Hanging et al. ; Newman ).  Am . März  gab Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO, dieses Vorgehen bekannt: "This is a historic trial which will dramatically cut the time needed to generate robust evidence about what drugs work. "  Das Studiendesign habe nach seiner Einschätzung dieses Potential, wobei die angewendete Methode keine neue ist. Ein Blick auf die Forschung zu HIV/AIDS, Ebola und SARS zeigt, dass der dringende Bedarf nach einer Therapie zu vergleichbaren Strategien geführt hat (Bai & Hsu ; Zhou et al. ). Eindrücklich ist, dass bereits Mitte der er Jahre im Zusammenhang mit der HIV/AIDS Pandemie die klinische Forschung erfolgreich das sorgenannte "drug repurposing" erprobte (Killen ). Bis heute ist drug repurposing eine gute Alternative, wirksame Therapien für neu auftretende Erkrankungen zu identifizieren, da für die Entwicklung eines neuen Medikaments im Durchschnitt - Jahre notwendig sind. Gelingt es, Medikamente zu finden, für die eine neue therapeutische Indikation validiert werden kann, erspart man sich lange, risikobehaftete und kostenintensive präklinische und frühe klinische Phasen (Pushpakom et al. ) . Für repurposing-Verfahren können auch sleeping candidates in Erwägung gezogen werden. Es handelt sich dabei um Medikamente, die während des Entwicklungsprozesses und bei fortgeschrittenen Phasen der klinischen Prüfung aufgegeben wurden (Phase II und III), da sie sich als unzureichend wirksam für die ursprünglich gedachte medizinische Anwendung erwiesen haben bzw. mit Nebenwirkungen behaftet sind. Eine neue therapeutische Indikation könnte potentiell solche Kandidaten "wiederbeleben" (Hernandez et al. ) . Ein historisches Beispiel für einen sleeping candidate ist AZT (Zidovudine). Als Krebsmedikament entwickelt erwies es sich als ineffektiv. Allerdings bestätigte sich  in einer Placebokontrollierten-Studie (RCT) die Vermutung, dass es wirksam gegen AIDS eingesetzt werden könnte.  wurde AZT als erstes antiretrovirales Medikament zugelassen (Fauci  SOLIDARITY profitiert von der Koordination und Unterstützung durch die WHO. Die breite Inklusion von Patienten und die flexible Studienarchitektur sind vielversprechende Eigenschaften. Wenn es gelingt, die gewonnenen Daten und die daraus extrapolierten Informationen den klinisch tätigen Ärzten und den Entscheidungsträgern zugänglich zu machen und alle Publikationen -wie geplant -im Open-Access-Format zu veröffentlichen, wird die internationale Gemeinschaft davon profitieren. Möglicherweise werden sich dann auch Entscheidungen sicherer treffen lassen. Tatsächlich könnte der Pandemieausbruch jene epistemischen Tugenden ankurbeln, die auch in "normalen" Forschungskontexten wünschenswert sind: Anstatt interessengeleiteter Konkurrenz und Verschwendung von Zeit und Ressourcen würden Kooperation, Solidarität, Transparenz und Offenheit die Forschung kennzeichnen. Allen vom Virus betroffenen Ländern wird die Partizipation an SOLIDARITY ermöglicht. Die sonst in klassischen Studien vernachlässigten Gruppen einer Population werden inkludiert. SO-LIDARITY ist dank ihres globalen Charakters eine "historische Studie", doch methodologisch profitiert sie von den vorangegangenen pragmatischen Trials zur Entwicklung von dringend benötigten Therapien bei Epiund Pandemien. Dies sind historische Beweise dafür, dass so konzipierte Forschung effektiver, gerechter und schneller sein kann. Funding Open Access funding provided by Projekt DEAL. Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung . International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. 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Es bezieht sich auf Personen aller Geschlechter.  Siehe in der Cochrane Library  Im SOLIDARITY Trial werden untersucht: . das Virostatikum Remdesivir, das zur Bekämpfung des Ebola-Virus entwickelt wurde und intravenös verabreicht wird HIV-Kombination Lopinavir/Ritonavir -Kaletra genannt -und . diese Kombination ergänzt um Beta Drug Repurposing for Ebola Virus Disease: Principles of Consideration and the Animal Rule Multimorbidity: a challenge for evidence-based medicine HIV and AIDS:  years of science Sars-CoV--Navigating the Uncharted Entwicklung eines neuen medizinischen Denkens Haozhe Xie und Yadong Wang . Review of Drug Repositioning Approaches and Resources Giving Drugs a Second Chance: Overcoming Die "historische Studie" SOLIDARITY als Antwort der Forschung auf die Forum Regulatory and Financial Hurdles in Repurposing Approved Drugs As Cancer Therapeutics The Oxford Textbook of WHO launches global megatrial of the four most promising coronavirus treatments Conducting Trials in Outbreak Settings: Points to consider Data sharing for novel coronavirus (SARS-COV-). Bull World Health Organ Delivering drugs to the lungs: The history of repurposing in the treatment of respiratory diseases ): Coronavirus Infections-More Than Just the Common Cold Drug repurposing: progress, challenges and recommendations What makes clinical research in developing countries ethical? The benchmarks of ethical research Public health emergency SOLIDARITY trial of treatments for SARS-COV- infection in hospitalized patients. ISRCTN registry William Martin und Feixiong Cheng . Network-based drug repurposing for novel coronavirus -nCoV/SARS-CoV-. Cell Discovery (): Hinweis des Verlags Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral