key: cord-1012031-josc6de5 authors: Gärditz, Klaus F. title: Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite : Ein Experiment parlamentarischer Handlungsformen date: 2020-09-09 journal: Medizinrecht DOI: 10.1007/s00350-020-5646-4 sha: 92046d8877fa3a7c21aa1c27ed022eb79d18f88e doc_id: 1012031 cord_uid: josc6de5 nan Am 25. 3. 2020 hat der Deutsche Bundestag anlässlich der Corona-Pandemie eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt. Grundlage hierfür war ein am gleichen Tag beschlossenes und zwei Tage später (nach Zustimmung des Bundesrates) bereits im Zuge einer umfassenden Ergänzung des IfSG 1 in Kraft getretenes neues Instrument 2 : Der Deutsche Bundestag stellt nach § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Die Rechtsfolgen der Feststellung ergeben sich aus § 5 Abs. 2-7 und § 5 a IfSG; insbesondere sieht die Schlüsselbestimmung des § 5 Abs. 2 IfSG weitreichende Handlungsermächtigungen des Bundesgesundheitsministers in zentralen Bereichen des Infektionsschutz-, Medizin-und Arzneimittelrechts vor. Zunächst hatte die Bundesregierung als "Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen" einen Entwurf 3 vorgelegt, nach dem nicht der Deutsche Bundestag, sondern die Bundesregierung selbst die epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellen sollte. Dies wäre auf eine weitgehend entgrenzte Selbstermächtigung der Regierung hinausgelaufen, was im parlamentarischen Prozess mit Recht auf Widerstände stieß. Der Deutsche Bundestag hat hier angesichts des Zeitdrucks beeindruckende Handlungsfähigkeit bewiesen 4 und die Feststellungskompetenz an sich gezogen 5 . Der Deutsche Bundestag hebt allerdings nach § 5 Abs. 1 S. 2 IfSG die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite wieder auf, wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen. Inzwischen wird vermehrt die Frage aufgeworfen, ob es angesichts sinkender Infektionszahlen nicht an der Zeit sei, von dieser Auf hebungsregelung Gebrauch zu machen und in den legislativen Normalbetrieb überzugehen. Der nachfolgende Beitrag möchte vor diesem Hintergrund die gesetzlichen Strukturen der Neuregelung skizzieren. Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. Entsprechendes gilt dann auch für die Auf hebungsentscheidung nach § 5 Abs. 1 S. 2 IfSG. Der Deutsche Bundestag hebt hiernach die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite wieder auf, wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen. Die Aufhebungsentscheidung dient reziprok (als actus contrarius) zuvörderst der Feststellung, ob die exzeptionellen Ermäch-tigungen der Bundesregierung im Rahmen des § 5 Abs. 2 IfSG sowie die heilberuflichen Lockerungen nach § 5 a IfSG aufrechterhalten werden bzw. beendet werden sollen. Dies hat vorrangig der Deutsche Bundestag politisch zu beurteilen. Auch hier wird man aus der Konditionierung ("wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen") ableiten können, dass dies nicht willkürlich und losgelöst von der tatsächlichen Epidemie-Lage geschieht. Mehr als eine rechtliche Plausibilitätsprüfung eröffnet das aber schon deshalb nicht, weil ebendiese Voraussetzungen -wie gezeigt -im Wesentlichen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers unterfallen. Erst das evidente Ende einer länderübergreifenden Epidemie löst die Auf hebungspflicht aus. Bezogen auf die derzeitige Pandemie-Lage lässt sich gemessen hieran nicht ernsthaft bezweifeln, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG weiterhin fortbestehen. Solange das Virus in der Bevölkerung vorhanden ist und weder ein Impfstoff noch eine hinreichende Durchseuchung besteht, kann vergleichsweise problemlos von einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ausgegangen werden, solange -stets mögliche -Wiederausbrüche nicht von vornherein auf beherrschbare Punktereignisse reduziert und insoweit am Ausbruchsort eingedämmt werden können. Davon sind wir aber immer noch weit entfernt. Die Regelung des § 5 Abs. 1 S. 2 IfSG begründet allein eine positive Auf hebungspflicht. Sie lässt das davon unabhängig bestehende Recht des Bundestags unberührt, die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite jederzeit auch dann aufzuheben, wenn sich die epidemiologischen Parameter realiter nicht geändert haben. Es geht -wie dargelegt -um eine politische Ermächtigungs-, Kompetenz-und Delegationsentscheidung, deren legitimatorischer Mehrwert gerade darin besteht, dass es der Deutsche Bundestag selbst in der Hand hat, über eine Ausnahmelage zu entscheiden. Damit wäre es konzeptionell unvereinbar, wenn der Regierung eine ( jedenfalls ohne erneute Gesetzesänderung) unentziehbare Kompetenz zufiele, solange Sonderermächtigungen in Anspruch nehmen zu dürfen, bis sich eine Epidemie tatsächlich erledigt hat. Der Deutsche Bundestag kann hierbei insbesondere auch auf seine eigene Arbeitsfähigkeit Rücksicht nehmen. Unabhängig von einer verfassungsrechtlichen Beurteilung sind die Maßnahmen nach § 5 Abs. 2 IfSG rechtlich umhegte Instrumente der Krisenbewältigung, die der Überbrückung dienen, um Zeit zu gewinnen 25 . Sobald der Deutsche Bundestag die notwendige Flexibilität und Handlungsfähigkeit auch in der gegenwärtigen Pandemie wiedererlangt hat und zur regulären Gesetzgebung, die sich nach allgemeinen Regeln (Art. 80 GG) durch Verordnungen entlasten kann 26 , zurückgekehrt ist, kann er also die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite auf heben, selbst wenn die generelle Infektionsgefahr noch nicht hinreichend eingehegt ist. Die Auf hebung der Epidemie-Feststellung nach § 5 Ab. 1 S. 2 IfSG hat -anders als der zunächst allein die Intraorganbeziehungen zwischen Bundestag und Bundesregierung betreffende Positivakt nach § 5 Ab. 32 . Vielmehr müssen hier seitens der Exekutive, die in Rechte eingreifen will, die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit anhand der jeweils verfügbaren Erkenntnisse der einschlägigen Disziplinen (z. B. Virologie, Pneumologie, Epidemiologie) beurteilt werden, ohne dass entlastend auf die Bundestagsfeststellung verwiesen werden könnte. § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG ist eine politische Ermessensentscheidung, die nur schwach an Tatsachen gekoppelt ist bzw. die Tatsachen-Konstruktion in einem politischen Verfahren prozeduralisiert hat. Dies bietet zwar eine plurale Interessenintegration und befördert politisch ausgewogenere Lösungen, kann dafür aber kaum Gewähr der fachlich-wissenschaftlichen Richtigkeit bieten. Virologisches Fachwissen wird im Parlament weder generiert noch durch neutrale, von politischen Interessen distanzierte Standards und Kommunikationsprozesse hinreichend verlässlich abgesichert 33 . Die Verhältnismäßigkeit ist demgegenüber grundrechtsdogmatisch die Brücke zu Tatsachenfragen 34 , die im Infektionsschutzrecht gegenwärtig ins Zentrum der normativen Beurteilung getreten sind. Die Verhältnismäßigkeit ist im Übrigen auch intertemporal elastisch, nämlich dem jeweiligen -letztlich tagesaktuellen -Stand wissenschaftlicher Erkenntnis anzupassen -eine Leistung, die ein politisches Verfahren nach § 5 Abs. 1 IfSG von vornherein nicht zu erbringen vermag. Damit kann eine Feststellung nach § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG letztlich auch nichts zur materiellen Rechtfertigung von grundrechtsrelevanten Vollzugsakten beisteuern. Das bedeutet freilich umgekehrt auch, dass selbst weitreichende Grundrechtseingriffe auf der Grundlage der § § 28, 32 IfSG 35 mit Gründen der wirksamen Epidemie-Bekämpfung gerechtfertigt werden können, wenn der Deutsche Bundestag auf eine entsprechende Feststellung aus politischen Gründen verzichtet hat. Gärditz , Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite 744 MedR (2020) 38: 741-744 HStR V, 3. Aufl. 2007, § 103, Rdnrn. 2 f.; Sauer, Die Funktionen der Rechtsverordnung Beschl. v. 8. 5. 2013 -2 B 5/13, NVwZ 2013, 953; Suerbaum 26. 3. 2020, S. 6; Lindner 2020/3/26; jedenfalls kritisch Rixen Im Rahmen des § 5 Abs. 2 Nr. 1 IfSG ist die positive Feststellung zwar Tatbestandsmerkmal. Dies entlastet aber ebenfalls nicht von einer konkreten Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der realen Lage Zu den Differenzen aus rechtlicher Sicht eingehend Gärditz Schulze-Fielitz (Hrsg.), Staatsrechtslehre Reimer