key: cord-1019823-deef669k authors: Zeeb, Hajo; Ahrens, Wolfgang; Haug, Ulrike; Grabenhenrich, Linus; Pigeot, Iris title: Epidemiologische Ansätze zur Klärung wichtiger Forschungsfragen zu COVID-19 – eine Übersicht date: 2021-07-13 journal: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz DOI: 10.1007/s00103-021-03378-x sha: b6735b0a345f924be37443cf3a98f86e97c5c4cf doc_id: 1019823 cord_uid: deef669k Epidemiology as a scientific discipline is predestined to address key problems in the COVID-19 pandemic. In order to do so, classic and new methods are used, and new challenges are emerging. This paper addresses the various phases of the population-based progression of SARS-CoV‑2 infection and COVID-19. Based on a selective literature search, sample questions from studies conducted in Germany and internationally are presented, their respective epidemiological approaches discussed, and research gaps described. Scientific questions to be answered with epidemiological data and research approaches arise in every phase of infection and disease. Descriptive data are often generated via (repeated) cross-sectional studies. For analytical questions, such as the identification of risk groups, case-control studies could have provided valuable results, especially in the early phase of the pandemic, but were rarely conducted. Data from health insurance companies have an important function in the analysis of the course of disease; however, the potential of this data source with regard to questions on vaccination can probably hardly be used. Improved coordination of the various studies and a more “open data” oriented research infrastructure can further strengthen the contribution of epidemiology to the control of the current and future pandemics. Einleitung Die Epidemiologie bietet die wesentlichen wissenschaftlichen Methoden für die Analyse der Entwicklung und des Verlaufs von Epidemien und Pandemien, zur Identifikation von Ansatzpunkten für Prävention sowie zur Untersuchung der Wirksamkeit von Präventions-, Kontroll-und klinischen Maßnahmen. In der COVID-19-Pandemie muss die epidemiologische Forschung qualitative und aussagekräftige Informationen unter erheblichem Zeitdruck als Entscheidungsgrundlage bereitstellen. Die Entscheidungsunterstützung insbesondere für präventive Zwecke ist zwar auch außerhalb von Pandemien ein Ziel der epidemiologischen Forschung, allerdings selten in einer solch dynamischen Situation. Zudem ist gegenwärtig die gesamte Bevölkerung direkt oder indirekt betroffen und variierende Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung ändern die Expositionslage laufend. Entsprechend kommt auch der Kommunikation von epidemiologischen Forschungsmethoden und -ergebnissen eine besondere Bedeutung zu. Dieser Artikel gibt einen Überblick über epidemiologische Ansätze in der Forschung zu COVID-19. Der Fokus liegt auf dabei auf wissenschaftlichen Fragen, zu deren Beantwortung Primärdaten aus Beobachtungsstudien oder Sekundärda-ten mit Bezug zu COVID-19 genutzt werden können. Fragen der klinisch-epidemiologischen Forschung, z. B. zu neuen Therapien von COVID-19, werden nicht adressiert. In der Pandemie häufig verwendete epidemiologische Maßzahlen werden an anderer Stelle diskutiert (z. B. [1, 2] ; siehe auch Priesemann et al. in diesem Heft) und daher in diesem Beitrag nicht behandelt. Wir strukturieren den Beitrag mittels bevölkerungsbezogener Fragestellungen, die die verschiedenen Phasen des Verlaufs einer SARS-CoV-2-Infektion und COVID-19-Erkrankung auf Bevölkerungsebene betreffen. In der ersten Phase vor der Infektion beeinflussen individuelle und strukturelle Risikofaktoren das Infektionsrisiko und primärpräventive Maßnahmen können ihre Wirkung entfalten. Auf die Infektionsphase folgen die Symptomphase und anschließendin einigen Fällen -die Hospitalisierungsphase, ggf. mit Intensivpflicht. Aus allen Phasen nach der Infektion ist jeweils Genesung oder auch Tod als Phasenaustritt denkbar. Nach der Akuterkrankung mit oder ohne Hospitalisierung schließt sich die Rehabilitationsphase an, in der Spätfolgen auftreten können -ggf. sogar noch weit nach dieser Phase. Die Frage nach möglichen Spätfolgen stellt sich nicht nur bei der Erkrankung, sondern auch im Kontext der Impfung gegen COVID-19. Wir gehen in diesem Beitrag jedoch nur kurz auf Forschungen zu Impffolgen ein. In jeder dieser Phasen und den Übergängen zwischen ihnen gibt es eine Vielzahl von wissenschaftlichen Problemen, zu deren Lösungen die Epidemiologie beitragen kann. Dieser Beitrag beschreibt vorrangig die Situation in Deutschland und adressiert ausgewählte Fragestellungen, für die bereits epidemiologische Forschungsansätze und Datenquellen existieren oder erarbeitet werden. Es folgt ein Fazit, das Rahmenbedingungen der epidemiologischen Forschung in der COVID-19-Pandemie diskutiert und auf neue Entwicklungen hinweist. Ausgangspunkt des methodischen Vorgehens war eine Diskussion der Autor:innen über Entwicklungsstand und Lücken der epidemiologischen Forschung in Deutschland. Wir führten anschließend in der Literaturdatenbank PubMed Recherchen mit Schlüsselwörtern zu epidemiologischem Forschungsdesign, verbunden mit Schlüsselwörtern zu COVID-19 und SARS-CoV-2 und dem lokalisierenden Schlüsselwort "Germany" durch. Rechercheergebnisse wurden nach Eignung für die vorab festgelegte inhaltliche Struktur durchgeschaut und in den passenden Textabschnitten zusammenfassend berichtet. Zahlreiche Studien haben sich mit der Frage beschäftigt, welche Bevölkerungsgruppen ein besonders hohes Risiko für schwere Verläufe von COVID-19 oder sogar Tod haben. Schwere Krankheitsverläufe treten gehäuft bei älteren oder multimorbiden Patient:innen auf, insbesondere wenn chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, Asthma, Nierenerkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus oder Adipositas vorliegen. Diese Ergebnisse unterstützten Entscheidungen für den Schutz dieser Gruppen und für die Impfreihenfolge [3] [4] [5] . Für die Analyse entsprechender Kohorten konnten schon frühzeitig klinische Routinedaten genutzt werden. Am Beispiel der Analyse von klinischen Daten des National Health Service (NHS) zeigen sich jedoch auch Fallstricke bei der Nutzung dieser Daten, etwa wenn Komorbiditäten nicht angemessen berücksichtigt werden und so z. B. Rauchen fälschlicherweise als schützend für einen COVID-19assoziierten Todesfall interpretiert wird [4] . Um aber die Frage zu beantworten, welche Bevölkerungsgruppen überhaupt ein erhöhtes SARS-CoV-2-Infektionsrisiko haben, werden bevölkerungsbasierte Studien benötigt. Hier geben Querschnittsdaten der positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Personen, wie sie täglich vom Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlicht werden, erste wichtige Hinweise z. B. zur Alters-und Geschlechtsverteilung sowie zum zeitlichen und regionalen Verlauf und der Virusausbreitung [6] . Dies genügt aber nicht, um gezielte Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Übertragungsraten einleiten zu können; denn dazu muss man u. a. die Orte und Personengruppen identifizieren, an bzw. bei denen besonders häufig Ansteckungen erfolgen. Neben der Analyse von Selbstangaben im Rahmen der Testung ist die Auswertung von Bewegungsdaten aus Mobiltelefonen ein eher neuer Ansatz im Kontext der epidemiologischen Forschung. Sie kann erste wichtige Hinweise auf typische Begegnungsorte liefern, aus denen dann Übertragungsorte abgeleitet werden können. Die Modellierung solcher Bewegungsdaten deutet z. B. darauf hin, dass der überwiegende Anteil an Ansteckungen vermutlich in Restaurants, Hotels, Fitnessstudios und Lebensmittelgeschäften erfolgt. Zudem zeigt sich, dass sich sozial benachteiligte Gruppen, die ihre Mobilität während der Pandemie weniger einschränken konnten, häufiger anstecken [7] . Für die Identifizierung tatsächlicher Übertragungssettings wären jedoch erweiterte digitale Contact-Tracing-Apps oder alternativ eine höchst detaillierte "manuelle" Kontaktnachverfolgung notwendig -die Letztere erscheint jedoch bei hohen Infektionszahlen nicht praktikabel. Epidemiology as a scientific discipline is predestined to address key problems in the COVID-19 pandemic. In order to do so, classic and new methods are used, and new challenges are emerging. This paper addresses the various phases of the population-based progression of SARS-CoV-2 infection and COVID-19. Based on a selective literature search, sample questions from studies conducted in Germany and internationally are presented, their respective epidemiological approaches discussed, and research gaps described. Scientific questions to be answered with epidemiological data and research approaches arise in every phase of infection and disease. Descriptive data are often generated via (repeated) cross-sectional studies. For analytical questions, such as the identification of risk groups, case-control studies could have provided valuable results, especially in the early phase of the pandemic, but were rarely conducted. Data from health insurance companies have an important function in the analysis of the course of disease; however, the potential of this data source with regard to questions on vaccination can probably hardly be used. Improved coordination of the various studies and a more "open data" oriented research infrastructure can further strengthen the contribution of epidemiology to the control of the current and future pandemics. Epidemiology · Research needs · Pandemic · Study designs Schulen durchgeführt, in einem Teil der Schulen wurden zudem zu 3 Zeitpunkten bis zum November 2020 Blutproben zur Testung auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 entnommen. In beiden Armen erfolgte zusätzlich eine Fragebogenerhebung [13] . Eine diesem Ansatz ent-sprechende bundesweite Studie gab es in Deutschland nicht, dagegen einige regionale Untersuchungen in München [14] sowie in anderen großen Städten (u.a. Hamburg, Berlin). Aus dem Vergleich der Daten von anlasslosen und anlassbedingten Testungen lässt sich auf die Dunkelziffer schließen. In einer bayerischen Studie wurde aus dem Vergleich der Antikörperseroprävalenz mit positiven SARS-CoV-2-Testergebnissen auf der Basis von Abstrichen ein Faktor 6 als Dunkelziffer bei Kindern und Jugendlichen berechnet [15] ; dies entspricht etwa der Dunkelziffer, die in der Ausbruchsuntersuchung in Heinsberg [12] Arzneimitteln dar und könnten in der aktuellen Situation für die Untersuchung der COVID-19-Impfungen in idealer Weise genutzt werden. Eine zentrale Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass der jeweils verabreichte Impfstoff, wie es bei verschreibungspflichtigen Medi-kamenten üblich ist, in den Kassendaten erfasst wird, sodass der Expositionsstatus und -zeitpunkt ermittelt und dann zu später auftretenden Erkrankungen in Beziehung gesetzt werden können. Dies ist für COVID-19-Impfungen bisher jedoch nicht der Fall, da sie nicht über die Kassen abgerechnet werden. In der "Nationalen Impfstrategie COVID-19" ist zwar angemerkt, dass eine Auswertung von Leistungs-und Abrechnungsdaten zur Sicherheit von COVID-19-Impfstoffen durchgeführt werden soll [32] , doch wurden in der Corona-Impfverordnung nicht die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um die Informationen zur Impfung zeitnah und mit hoher Trefferquote mit Kassendaten verknüpfen zu können. So ist rechtlich weder die Erfassung und Weiterleitung der Versichertennummer noch der Versichertenzugehörigkeit durch die Impfzentren vorgesehen. Seitens der epidemiologischen Fachgesellschaften wurde auf diese Defizite hingewiesen. Es wurde außerdem aufgezeigt, wie es gelingen kann, Geimpfte und Nichtgeimpfte hinsichtlich schwerwiegender Ereignisse basierend auf Versichertendaten zeitnah zu vergleichen, was aber keine Berücksichtigung fand. Somit ist davon auszugehen, dass in Deutschland in absehbarer Zeit keine brauchbare Datenbasis zur Verfügung stehen wird, um die o. g. Fragen adäquat zu adressieren bzw. Verdachtsfällen, die durch das Spontanmeldesystem generiert werden, mit einem geeigneten Studiendesign zeitnah nachzugehen. Mit Beginn der COVID-19-Pandemie Anfang 2020 wurden besondere Anforderungen und Erwartungen an die Epidemiologie gestellt. Es mussten unter hohem Zeitdruck umfassende und differenzierte deskriptive Daten ebenso wie genaue analytische Erkenntnisse erarbeitet werden. Eine derartige Situation birgt Risiken und Chancen. Vorhandene Infrastrukturen der Gesundheitsberichterstattung und des Datenaustausches zwischen Gesundheitsämtern sowie Universitäten und Forschungseinrichtungen mussten sich sehr schnell auf die Bearbeitung epidemiologischer Fragestellungen mit Bedeutung für das Management und Verständnis der Pandemie einstellen. Hierfür stand das gesamte Instrumentarium der deskriptiven und analytischen Epidemiologie zur Verfügung, ergänzt durch Ansätze der digitalen Epidemiologie, die sowohl in der zeitnahen Beschreibung der regionalen und internationalen Infektionsausbreitung als auch z. B. bei der Analyse von Mobilitätsmustern genutzt werden konnten. Als Datenquellen für die Analyse der klinischen Phasen der COVID-19-Erkrankungen kommen zudem Sekundärdaten der Krankenkassen zum Einsatz, wobei die Nutzbarkeit der Daten aus den ambulanten Kassendaten zu COVID-19 noch fraglich ist; das Potenzial von Krankenkassendaten in Bezug auf Fragestellungen zur Impfung kann voraussichtlich kaum genutzt werden. Die Vielzahl der Fragestellungen, von denen wir -orientiert an den Phasen des Infektions-und Erkrankungsverlaufseinige exemplarisch in diesem Beitrag ansprechen, bedingt eine ebenso große Spannbreite bei den Forschungsdesigns und Datenquellen. Grundsätzlich ergeben sich hier Fragen nach der Koordination von Forschung. Anstrengungen etwa seitens des RKI oder im Rahmen der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur für personenbezogene Gesundheitsdaten (NFDI4Health) setzen genau hier an. Dennoch wird sich im Nachgang der Pandemie eine kritische Analyse der epidemiologischen Forschung mit der effektiven Vermeidung von Research Waste, also "Forschungsmüll" in einer solch dynamischen Situation beschäftigen müssen. Zu diskutieren ist, an welchen Stellen eine effektivere Nutzung bereits vorhandener Gesundheitsdaten, z. B. durch Einbeziehung von Gesundheitsämtern und die Verknüpfung verschiedener Datenquellen wie Impfdaten und Krankenkassendaten, gefordert werden muss. Um den Beitrag der Epidemiologie zur Pandemiebewältigung zu stärken, müssen übergreifende Forschungsstrukturen verbessert und eine frühzeitige Abstimmung für die Nutzung vorhandener gesundheitsbezogener Daten erfolgen. Ein Epidemiological measures in the context of the COVID-19 pandemic Von einem Grenzwert, der keiner ist -Kommentar zur "7-Tage-Inzidenz" auf SARS-Cov-2 Epidemiology, clinical course, and outcomes of critically ill adults with COVID-19 in New York City: a prospective cohort study Factors associated with COVID-19-related death using OpenSAFELY Incidence, clinical characteristics and prognostic factor of patients with COVID-19: a systematic review and metaanalysis (medRxiv) COVID-19-dashboard Mobility network models of COVID-19 explain inequities and inform reopening Risk of infection and hospitalization by Covid-19 in Mexico: a case-control study (medRxiv) A case-control and cohort study to determine the relationship between ethnic background and severe COVID-19 The impact of individual lifestyle and status on the acquisition of COVID-19: a case-control study Infection fatality rate of SARS-CoV2 in a super-spreadingeventinGermany Prospective active national surveillance of preschools and primary schools for SARS-coV-2 infection and transmission in England WeeklySARS-coV-2 sentinel in primary schools, kindergartens and nurseries A public health antibody screening indicates a 6-fold higher SARS-coV-2 exposure rate than reported cases in children Einsamkeit während der ersten Welle der SARS-CoV-2 Pandemie -Ergebnisse der NAKO-Gesundheitsstudie Syndromic surveillance insights from a symptom assessment app before and during COVID-19 measures in Germany and the United Kingdom: results from repeated cross-sectional analyses COVID-19 lockdown induces disease-mitigating structural changes in mobility networks Inanspruchnahme deutscher Notaufnahmen während der COVID-19-Pandemie -der Notaufnahme-Situationsreport (SitRep) Case characteristics, resource use, and outcomes of 10.021 patients with COVID-19 admitted to 920 German hospitals: an observational study Higher risk of COVID-19 hospitalization for unemployed: an analysis of health insurance data from 1.28 million insured individuals in Germany Physical distancing, face masks, and eye protection to prevent person-toperson transmission of SARS-CoV-2 and COVID-19: a systematic review and meta-analysis Effectiveness of adding a mask recommendation to other public health measures to prevent SARS-coV-2 infection in Danish mask wearers : a randomized controlled trial Face masks considerably reduce COVID-19 cases in Germany Inferring the effectiveness of government interventions against COVID-19 Monitoring behavioural insights related to COVID-19 COVID-19 Snapshot Monitoring: Ressourcen und Belastungen Influence of COVID-19 confinement measures on appendectomies in Germany-a claims data analysis of 9797 patients Impact of COVID-19 outbreak on regional STEMI care in Germany Safety and efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 vaccine single-dose administration and the influence of the timing of the booster dose on immunogenicity and efficacy of ChAdox1 ncoV-19 (AZD1222) vaccine: a pooled analysis of four randomised trials Single-dose administration and the influence of the timing of the booster dose on immunogenicity and efficacy of ChAdOx1 nCoV-19 (AZD1222) vaccine: apooledanalysisoffourrandomisedtrials Ad-hoc-Aufbau solcher Strukturen ist allerdings kaum zu leisten, daher musste in der aktuellen Situation kreativ mit vorhandenen Forschungs-und Daten