key: cord-1032666-lsrrtrb0 authors: Härter, Martin; Bremer, Daniel; Scherer, Martin; von dem Knesebeck, Olaf; Koch-Gromus, Uwe title: Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die klinische Versorgung, Arbeitsprozesse und Mitarbeitenden in der Universitätsmedizin: Ergebnisse einer Interviewstudie am UKE date: 2020-08-21 journal: Gesundheitswesen DOI: 10.1055/a-1226-6828 sha: 481b0888ab4693bdddd4138aea7ce3461b989ff6 doc_id: 1032666 cord_uid: lsrrtrb0 Objectives The study investigates the impact of the COVID-19 pandemic on health services with and without specific health care of COVID-19 patients through the eyes of leading physicians at the University Medical Center Hamburg-Eppendorf (UKE). Methods From April 30 to May 12, 2020, four interviewers conducted 38 expert interviews via telephone, video or face-to-face by using a semi-standardized questionnaire. The standardized answers were analysed descriptively. The free text-answers were subject to a qualitative content analysis. The categories were analysed via quantitative frequency distributions. Results All chief physicians with responsibility for inpatient and outpatient health care at the UKE took part in this study (N=38). The leading physicians reported numerous changes regarding occupancy in the hospital, patient composition, work flows and diagnostic as well as therapeutic measures. Additionally, various arrangements were necessary to cover the needs of prevention, treatment and follow-up care as well as protection of staff. Measures showed, on the one hand, a strong reduction in occupancy and workload in most inpatient and outpatient clinics. On the other hand, the amount of work also increased by fundamental transitions of work flows, communication, staff structure and hygiene measures. Many respondents commented positively on the rapid and efficient setup of a digital communication structure. Partially, staff was strained by the pandemic itself and by the associated measures. Conclusion The results of the study help to understand and assess the effects of the pandemic on health care, work flows and staff. The findings may support the specification and adaptation of prospective measures and processes for pandemic crisis situations. Future studies should investigate how staff beneath the highest executive level experienced and evaluated this crisis and consequences. Methodik Im Zeitraum vom 30. April bis 12. Mai 2020 wurden mit den im UKE verantwortlichen Klinikdirektorinnen und -direktoren Interviews per Telefon, Video bzw. face-to-face mithilfe eines teilstandardisierten Fragebogens durchgeführt. Die standardisierten Antworten wurden deskriptiv analysiert. Freitextantworten wurden einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen. Die entwickelten Kategorien wurden quantitativ nach Häufigkeiten analysiert. Ergebnisse Alle leitenden Ärztinnen und Ärzte mit einer Verantwortung für die stationäre und ambulante Versorgung am UKE konnten für die Interviewstudie gewonnen werden (N = 38). Diese berichten von gravierenden Veränderungen in der medizinischen Versorgung, v. a. im Bereich der Bettenbelegung, der Patientenzusammensetzung, den klinischen und Arbeitsprozessen sowie den diagnostischen und Behandlungsprozessen. Zusätzlich mussten viele neue Regelungen getroffen werden, um den Präventions-, Behandlungs-und Nachsorgebedarf von Patientinnen und Patienten sowie den Schutz der Mitarbeitenden zu gewährleisten. In den meisten klinischen Bereichen zeigte sich stationär wie ambulant phasenweise eine starke Reduktion in den Belegungszahlen und der Arbeitsauslastung. Teilweise stiegen aber auch Arbeitsaufwände, z. B. durch die Anpassung von Arbeitsabläufen, veränderte Kommunikations-und Personalstrukturen sowie zusätzliche Hygienemaßnahmen. Viele Befragte äußerten sich positiv über den effizienten Aufbau einer digitalen Kommunikationsstruktur. Das Personal war durch die Pandemie an sich, aber auch durch die damit verbundenen Maßnahmen vielseitig gefordert. Schlussfolgerung Die Ergebnisse helfen, die Auswirkungen der aktuellen COVID-19-Pandemie auf die Versorgung und Arbeitsprozesse besser zu verstehen. Zudem können sie dabei unterstützen, zukünftig Maßnahmen für pandemische Krisensituationen noch besser anzupassen. Weitere Studien könnten untersuchen, wie die Mitarbeitenden unterhalb der Leitungsebene diese Krise und ihre Auswirkungen erlebt haben. Ende Januar 2020 wurde der erste deutsche COVID-19-Patient in Bayern erkannt, am 26. Februar 2020 die ersten Infektionen in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen bestätigt. Seither hat sich die COVID-19-Pandemie weltweit rasant ausgebreitet, mit 212.022 bestätigten Infizierten in Deutschland (Stand 5. August 2020). Zeitgleich zum gesellschaftlichen "Lock down" Mitte März 2020 wurden aufgrund der COVID-19-Pandemie zahlreiche Aufbau-, Umbau-und Schutzmaßnahmen in der Gesundheitsversorgung implementiert [1] [2] [3] . Am 12. März 2020 forderte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) alle deutschen Krankenhäuser auf, zusätzliches Personal zu gewinnen und zunächst alle planbaren Operationen und Eingriffe zu verschieben [4] . In der Folge wurden national und regional primär elektive Eingriffe und Vorsorgeuntersuchungen verschoben oder abgesagt, um Behandlungskapazitäten zu schaffen [5, 6] . Durch eine Verordnung des BMG wurde darüber hinaus die Meldung freier Intensivbetten am 6. April 2020 zur Pflicht [7] . Zudem wurden stationäre Behandlungsplätze in infektiologische oder intensivmedizinische Betten umgewandelt. Schließlich wurden Hygienemaßnahmen verschärft, Besucherregelungen verändert und Behandlungsangebote sowie -prozesse angepasst [8] . Die in Hamburg zuständige Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz verordnete in der Pandemie eine Vorhaltung von 25 % der Intensivpflegekapazität der Plankrankenhäuser und eine Freihaltung von 10 % der Betten der Normalpflege der Plankrankenhäuser in der Somatik. Bislang gab es keine systematische Untersuchung zu Auswirkungen der Pandemie in der Gesundheitsversorgung in einem universitären Klinikum, v. a. auch in den Bereichen der Versorgung, die außerhalb der unmittelbaren Behandlung und Versorgung von COVID-19-Patientinnen und -Patienten eingebunden sind [9] [11] . Die Anzahl der neuen COVID-19-Fälle pro Tag lag im Erhebungszeitraum (30. April bis 12. Mai 2020) zwischen 0-13 [11] . Die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz teilte am 30.04.20 mit, dass 174 Personen aus Hamburg aufgrund einer Erkrankung mit COVID-19 in stationärer Behandlung waren, davon wurden 64 Personen intensivmedizinisch betreut. Am 13.05.20 berichtete die BGV, dass 100 Personen in stationärer Behandlung waren, davon wurden 40 Personen intensivmedizinisch betreut [12] . Der erste Corona-Patient wurde am 27. Februar 2020 UKE aufgenommen. Im Zuge der Pandemie wurden am UKE relevante Umstrukturierungen vorgenommen, so wurden vier COVID-19-Stationen und 2 Quarantänestationen sowie 44 zusätzliche Intensivbetten (von 128 auf 172 Betten) aufgebaut sowie eine Corona Task Force gebildet. Im Studienzeitraum waren im UKE durchschnittlich 38-45 Patientinnen und Patienten mit COVID-19 in stationärer Behandlung, von denen 18-24 intensivmedizinisch betreut wurden. Objectives The study investigates the impact of the COVID-19 pandemic on health services with and without specific health care of COVID-19 patients through the eyes of leading physicians at the University Medical Center Hamburg-Eppendorf (UKE). Methods From April 30 to May 12, 2020, four interviewers conducted 38 expert interviews via telephone, video or faceto-face by using a semi-standardized questionnaire. The standardized answers were analysed descriptively. The free textanswers were subject to a qualitative content analysis. The categories were analysed via quantitative frequency distributions. Results All chief physicians with responsibility for inpatient and outpatient health care at the UKE took part in this study (N = 38). The leading physicians reported numerous changes regarding occupancy in the hospital, patient composition, work flows and diagnostic as well as therapeutic measures. Additio-nally, various arrangements were necessary to cover the needs of prevention, treatment and follow-up care as well as protection of staff. Measures showed, on the one hand, a strong reduction in occupancy and workload in most inpatient and outpatient clinics. On the other hand, the amount of work also increased by fundamental transitions of work flows, communication, staff structure and hygiene measures. Many respondents commented positively on the rapid and efficient setup of a digital communication structure. Partially, staff was strained by the pandemic itself and by the associated measures. Conclusion The results of the study help to understand and assess the effects of the pandemic on health care, work flows and staff. The findings may support the specification and adapta tion of prospective measures and processes for pandemic crisis situations. Future studies should investigate how staff beneath the highest executive level experienced and evaluated this crisis and consequences. standenen Bedarfe von Universitätskliniken zu decken. Es bedarf daher in den nächsten Wochen und Monaten Lösungsmöglichkeiten, die auf der politischen Ebene gefunden werden müssen. Wenn man bedenkt, wie schwierig es normalerweise ist, Veränderungsprozesse in einem großen Klinikum umzusetzen, ist dies insgesamt effizient und konfliktarm gelungen. Viele der beschriebenen gravierenden Eingriffe in Arbeitsabläufe, die Ressourcenverteilung oder die Patienten-und Mitarbeiterrechte waren nur möglich bzw. durchsetzbar, weil die große Mehrheit der beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Patientinnen und Patienten die unmittelbare Notwendigkeit mitgetragen hat. Das Fortbestehen dieser Bereitschaft über längere Zeit kann aber keineswegs als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Die Wiederherstellung der Normalität im UKE könnte vergleichbare Diskussionsprozesse auslösen, wie wir sie auf gesellschaftlicher Ebene bei der Aufhebung des "Lockdown" derzeit erleben. Auch in dieser Krise sollte die Frage gestellt werden, welche der "zwangsweise" eingetretenen Veränderungen neue Chancen für die Zukunft bieten. Hier sind insbesondere z. B. die Digitalisierung von Arbeits-und Kommunikationsprozessen, die verstärkte Nutzung von Home-Office-Möglichkeiten und die Beschleunigung von Entscheidungs-und administrativen Prozessen zu diskutieren. Die hier berichteten Ergebnisse beruhen auf einer Studie, die kurzfristig realisiert werden musste. Die Ergebnisse und ihre Reflektion beziehen sich auf Beobachtungen eines aktuellen Status quo inmitten der COVID-19-Krise, die längerfristigen Entwicklungen und Herausforderungen sind erst mittelfristig abzuschätzen und erfordern weitere Verlaufsuntersuchungen. Mit der Studie ist aber auch etwas Seltenes gelungen, nämlich eine vollständige Stichprobe von fachkundigen Expertinnen und Experten zeitnah zu gewinnen, sodass das gesamte medizinische Spektrum und die Besonderheiten der unterschiedlichen Fächer eines großen Universitätsklinikums Berücksichtigung finden konnten. Ein Grund war der Umstand, dass sich die Ärzte und Ärztinnen Sorge um Patientinnen und Patienten machten, deren Behandlung deutlich eingeschränkt worden ist. Die Identifikation der Befragten mit dem UKE, die Unterstützung der Studie durch den UKE-Vorstand und die Tatsache, dass die vier Interviewer professorale Kollegen sind, könnten die Ergebnisse ungewollt in Richtung einer positiven Selbstdarstellung beeinflusst haben. Da nur eine einzige Klinik und diese noch aus dem speziellen Versorgungsbereich der Hochschulmedizin Berücksichtigung finden konnte, bleibt die Frage der Generalisierung der Befunde offen. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse ausschließlich die Perspektive des leitenden ärztlichen Personals wiedergeben. Einzelne Aspekte könnten sich z. B. aus der Sicht des Pflegepersonals durchaus anders darstellen. Nichtsdestotrotz glauben wir, dass die Befragungsergebnisse nicht nur für den Standort Hamburg, sondern auch für andere Universitätskliniken und andere Gesundheitseinrichtungen informativ sein können. Es wird deutlich, dass die Pandemie einen Maximalversorger extrem fordert. Folglich helfen die Ergebnisse, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Versorgung, Arbeitsprozesse und Mitarbeitenden noch besser zu verstehen. Zudem können sie dabei unterstützen, zukünftig Maßnahmen für pandemische Krisensituationen besser zu beschreiben und bestehende Regelungen anzupassen. Wir bedanken uns beim Vorstand und den Kolleginnen und Kollegen des UKE für das Engagement in der Phase besonderer klinischer und organisatorischer Herausforderungen. Alle Autoren sind am UKE beschäftigt. Die vier Interviewer sind professorale Kollegen der Befragten. World Health Organization declares global emergency: A review of the 2019 novel coronavirus (COVID-19) Critical organizational issues for cardiologists in the COVID-19 outbreak COVID-19) outbreak: what the department of endoscopy should know Bundesministerium für Gesundheit Coronavirus SARS-CoV-2: Chronik der bisherigen Maßnahmen. Im Internet Elective surgery cancellations due to the COVID-19 pandemic: global predictive modelling to inform surgical recovery plans Acht Gesetze in acht Tagen Referentenentwurf einer Verordnung zur Aufrechterhaltung und Sicherung intensivmedizinischer Krankenhauskapazitäten (DIVI Intensivregister-Verordnung Informationen zum Corona-Virus Preparing a neurology department for SARS-CoV-2 (COVID-19): Early experiences at Columbia University Irving Medical Center and the New York Presbyterian Hospital Geschäftsbericht und Jahrbuch 2018 -Der Zukunftsplan 2050 wird Realität Informationen zum aktuellen Stand COVID-19 in Hamburg Outcomes for implementation research: conceptual distinctions, measurement challenges, and research agenda. Administration and Policy in Mental Health and Qualitative Inhaltsanalyse -Grundlagen und Techniken Preparing for a COVID-19 pandemic: a review of operating room outbreak response measures in a large tertiary hospital in Singapore Supporting the health care workforce during the COVID-19 global epidemic Video-Sprechstunden, eingeführt hat. Weitere 21,1 % (8 von 38) berichteten, dass die Klinik bereits bestehende Angebote der digitalen und Telekommunikation stärker nutzt als vor der Pandemie. Diejenigen, die neue Angebote eingesetzt haben oder bestehende Angebote stärker nutzen (n = 25; 65,8 %), beschrieben deren Akzeptanz bei den Patientinnen und Patienten größtenteils als "gut" bis "sehr gut" (n = 18 von 25; 72 %). 15 von 25 (60 %) bewerteten den Einsatz dieser als "erfolgreich" bis "sehr erfolgreich". Arbeitsprozesse Fast alle leitenden Ärztinnen und Ärzte (36 von 38; 94,7 %) berichteten von relevanten Auswirkungen auf die Arbeitsprozesse in ihrer Klinik unter der Pandemie. Dabei nannten die Befragten v. a. die Themen Kommunikation, Personalangelegenheiten und den allgemeinen Arbeitsaufwand. Insgesamt hätten die interne Kommunikation und der Austausch eher abgenommen, die Kommunikationsprozesse gestalteten sich aufwendiger. Beim Personal gab es insbesondere Hinweise, wie "fehlende Auslastung" oder "Überkapazitäten", "Einrichtung von parallelen Teams" und die "Verlegung von Personal ins Home-Office". Einige Befragte beschrieben, dass es einerseits "weniger Hektik" und "je nach Bereich weniger Aufwand" gegeben habe, andererseits "Mehraufwände durch Bürokratie" entstanden seien und dass die "Arbeit langsamer und zeitaufwändiger" von statten ginge sowie der "logistische Aufwand" gestiegen sei. Sowohl die COVID-19-Pandemie an sich als auch die Implementierung der dadurch notwendigen Maßnahmen bedeuteten eine große Anpassungsleistung für alle Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, insbesondere auch für die Universitätskliniken [9, 15, 16] .Die berichteten Ergebnisse dokumentieren, was die von der (Gesundheits-)Politik vorgegebenen Maßnahmen konkret für einen Maximalversorger bedeuten, u. a. bezogen auf die Bettenbelegung, die Veränderung des Operationsgeschehens, personelle und organisatorische Veränderungen inklusive das Erleben des Personals sowie die Umsetzung präventiver Maßnahmen. Indirekt davon waren auch zahlreiche Interaktionsprozesse sowie die Wahrung von Patientenrechten tangiert. Wie gravierend diese Umstellungen ausfielen, zeigen Ergebnisse bzgl. der Arbeitsaufwände, z. B. durch die Anpassung von Arbeitsabläufen, die erhöhten Kommunikationsbedarfe und die Einführung von zusätzlich notwendigen Hygienemaßnahmen. Besonders zu Beginn der Pandemie führten Engpässe in der Beschaffung von Schutzkleidung zu stark erhöhten Zusatzaufwänden. Das Personal ist sowohl durch die Pandemie an sich als auch durch die damit verbundenen Maßnahmen belastet.Die umgesetzten Maßnahmen führten in den meisten Bereichen zu einer geringeren Auslastung des Klinikums. Die dadurch im Jahr 2020 zu erwartenden und durch Hochrechnungen bestätigten Verluste stehen bisher noch nicht im Fokus der Diskussion. Es ist aber jetzt schon davon auszugehen, dass die vom BMG zugesprochenen Ausfallfinanzierungen nicht ausreichen werden, die zusätzlich ent-