Archan 1 " c* r* f** r \ Ararat ' ‘ » A - ? : s. • ,t ' v :; •> UEBER EINEN BISHER MARCELLUS GENANNTEN KOPF IN DEN KOENIGLICHEN MUSEEN VIERUNDFUNEZKjSTES programm ZUM WINCKELMANNSFESTE DER ARCILEOLOGISCHEN GESEELSCHAFT ZU BERLIN VON REINHARD KEKULE MIT 2 TAFELN UND 5 ABBILDUNGEN IM TEXT BERLIN DRUCK UND YERLAG YON GEORG REIMER 1894 Digitized by the Internet Archive in 2016 with funding from Getty Research Institute https://archive.org/details/uebereinenbisher54keku Durch die huldvolle Fiirsorge Seiner Majestat des Kaisers und Konigs ist vor einigen Monaten in den Besitz der Koniglichen Museen ein antikes Kuustwerk von hoch- ster Yollendung gelangt, das in seiner Art einzig dasteht — der romische Knabenkopf, den die beiden Tafeln dieser Festschrift in wohlgelungenen Abbildungen vor Augen stellen. Der Kopf hat die Grosse der Natur; er misst vom Kinn bis zum Scheitel 0,18 m, vom Kinn bis zur Haargrenze 0,12 m. Er ist in einem weissen Marmor ausgefiihrt, der feine Krystalle aufweist. Es ist die schone, nicht gewohnliche Sorte carrarischen Mar- mors, die dem pentelischen sehr ahnlich ist. Die Erhaltung ist iiberaus gliickl ich. Die Oberflache hat an manchen Stellen, besonders im Haar, ihre urspriingliche Frische; sonst hat sie hie und da gelitten; aber der Kopf ist dem Unheil entgangen, das so viele autike Skulpturen unheilbar geschadigt und fur alle Zeiten des urspriinglichen Reizes ent- kleidet hat. Er ist weder durch Abarbeitung noch durch Waschungen mit Sauren verdorben worden. Ausgebessert sind kleine Stiickchen an der rechten Seite der Nase und ein Stiickchen auf der rechten Wange; erganzt ist die rechte Brustseite. In die Koniglichen Museen ist der Kopf aus dem Besitz der Familie Pourtales iibergegangen. Ueber die Auffindung und Herkunft ist nichts genaueres bekannt. Ich finde ihn in der Literatur zuerst erwahnt von J. de Witte in der Description de la col- lection d’antiquites de M. le vicomte Beugnot (Paris, imprimerie de Firmin Didot freres 1840) S. 107 Nr. 290 mit den Worten: „Marbre de Paros. Buste attribue a Marcellus 1 * 4 enfant., de grandeur naturelle et d’un beau travail. Haut., avec le piedouche, 47 centi- metres. “ Ueber die Entstehung der Sammlung Beugnot giebt De Witte in einer Vor- bemerkung nur die kurze Auskunft: „La riche collection d’antiquites dont nous publions la description, a ete formee par un amateur distingue et plein de gout, pendant des voyages et des sejours faits dans le Levant et particulierement en Italie. Presque toutes les classes de monuments anciens, si Ton en excepte toutefois la numismatique, out fourni quelques pieces a cette collection. Des vases et des bronzes choisis dans les Musees Durand et de Canino sont venus accroitre encore, dans ces derniers temps, cette suite deja si remarquable a tous egards.“ Audi in den wenigen gelegentlichen Erwahnun- gen der Sammlung Beugnot in den Bullettini des romischen Instituts 1 ) wird der Kopf nicht genannt. Aber die naturliche und fast selbstverstandliche Annahme ist die, dass ihn Baron Beugnot in Rom, im Kunsthandel, erworben hat. Bei der Auflosung der Sammlung Beugnot ging der Kopf in den Besitz des Grafen Pourtales-Gorgier xiber — , zu split urn eine Stelle in den sechs Jahre zuvor veroffentlichten Antiques du Cabinet Pourtales zu finden. In der Description des antiques faisant partie des collections de M. le comte de Pourtales-Gorgier par J. J. Dubois, sous-conservateur des antiquites du Musee royal du Louvre (Paris 1841) ist er S. 23 f. unter Nr. 108 an- gefiihrt. Ich weiss aus guter miindlicher Ueberlieferung, dass Graf Pourtales diesen Kinderkopf besonders liebte und ihn fiir einen ebenso wertvollen oder wertvolleren Besitz hielt als den vie! geriihmten, jetzt im Britischen Museum befindlichen, friiher Giustinia- nischen Apollokopf. Aber wahrend dieser Apollokopf immer wieder neu abgebildet und besprochen wurde, land der romische Knabenkopf, auf den sein Besitzer so hohen Wert legte, in weiteren Kreisen kaum Beachtung. Erst nacli dem Tod des feinen Kenners ist eine Abbildung veroffentlicht worden, freilich eine sehr ungemigende, in der fliichtigen Uebersicht, die Francois Lenormant in der Gazette des beaux-arts 1864 S. 473 — 506 fiber die Pourtales’schen Antiken gegeben hat"). Lenormant widmet dem Kopf die folgenden Siitze: ,,0’est la tete d’un enfant dans lequel on s’accorde a reconnaitre Marcellus, ce neveu d’Auguste, mort a 21 ans, quand il donnait de si belles esperances, et a jamais illustre par un passage du VI e livre de l’Eneide, dont la lecture faite par Virgile causa, dit-on, l’evanouissement d’Octavie. On regrett.e vraiment que Panecdote touchante sur Marcellus, qui a inspire le plus grand de nos peintres vivants, ait si pen de fondements serieux et que la critique historique ait montre Pimpossibilite presque absolue dc l’ad- mettre, mais on contemplant le buste de la collection Pourtales on ne pent s’empecher de se souvenir de ce Tu Marcellus eris qui vivra taut que les beaux vers trouveront encore des admirateurs. Marcellus etait laid, du reste, et d’apres le buste que nous avons fait graver — lequel etait encore ineclit — et d’apres les autres monuments qui retracent son image. L’artiste ne Fa ni embelli ni idealise; lorsqu’il sculpta son buste, le jeune prince vivait encore et Ton ne songeait pas a en faire le divin Marcellus. Mais on chercherait vainement, avec un meilleur style et uno execution plus vraie, un buste cl’une realite plus personelle et plus vivante." Die letzten Worte enthalten zwar keine ganz ausreichende Wiirdigung und kei- nen Iliuweis auf den wehmiitigeu Reiz, der fiber dem Kopf ruht; aber sie bezeichnen eine Seite der kiinstlerischen Meisterschaft, die sicli in ihm offenbart. Seine Sclionheit empfunden, seinen holien Wert lebhaft liervorgehoben zu haben — dieses Lob soli Francois Lenormant ungeschmalert bleiben. Im iibrigen sind Lenormant’s Aeusserungen von vol- lendeter Leichtfertigkeit. Jeder Leser muss aus seinen Worten schliessen, nicht nur dass der Pourtales’sche Kopf ein unzweifelhaftes Bikinis des Marcellus sei, sondern aucli dass andere gleichfalls unzweifelhafte und dem Pourtales’schen Ivopfe ahnliche Bildnisse des Marcellus vorlianden seien, und dass aus ihrer Yergleicliung Lenormant sein Urteil schopfe. Das ist nicht der Fall. Naturlich hat es Bildnisse des Marcellus gegeben, die nock bei seinen Lebzeiten und nach seinem Tod gemacht worden sind. Das versteht sich nach der Sitte der Zeit, bei seiner Herkunft und seinem Range von selbst, und wir bediirfen dafiir der besonderen Zeugnisse nicht, die zufiillig vorlianden sind. Wenn Seneca erziihlt, Octavia habe kein Bikinis des verstorbenen Sohnes um sich sehen wol- lcn 3 ), so miissen doch solche Bildnisse vorlianden gewesen sein. Wie Dio berichtet, hat Kaiser August nach dem Tode des Marcellus dessen goldenes Portrat aufgestellt 4 ). In Pompei ist auf dem sogenannten Foro triangolare, gegeniiber dem Eingang, eine mar- morne Basis mit der Inschrift M. Claudio C. F. Marcello gefunden worden 5 ). Omnino gener August! defunctus in aedilitate a u. c. 731 bemerkt dazu Mommsen. Aber die Ehrenstatue, die auf dieser Basis stand, ist verloren. Es ist uns kein beglaubigtes Bildnis des Marcellus erhalten. Auch keine Miinze hat uns seine Ziige aufbewahrt 6 ). Wenn wir von baarer Willkur der Namengebung absehen, so hat zuerst die anmutige, erfindungs- und listenreiche Gelehrsamkeit, wie sie E. Q. Visconti fiir solche Vermutungen zu Gebot stand, die romische Jkonographie wie mit anderem, so mit einem Bikinis des Marcellus beschenkt. In dem dritten Bande des Museo Pio-Clementino hat er auf Tafel XXIV die Statue eines romischen Knaben abbilden lassen 7 ). Die Statue war in Otricoli zusammen mit Statuen des Augustus, des Caligula und einer Frau, die Visconti fiir Livia hielt, ge- iunden worden. Darum warf er die Frage auf, ob vielleicht auch diese Knabenstatue der kaiserlichen Familie angehoren konne. „Chi sa“ — so driickt er sich aus — „che non appartenesse a qualche fanciullo della famiglia de’ Cesari? I suoi capelli sono tagliati e disposti, secondo quella foggia che si osserva lie’ ritratti d’Augusto e de’ suoi sue- 6 cessori persino a Neroue. II suo volto pero non simiglia a veruno de’ Cesari conosciuti: ne a Gajo e Lueio nipoti d’Augusto, ne a’ figli di Germanico, ne a Tiberio, ne a Bri- tannico, ne a Neroue stesso ancor giovinetto. Potrebbe dubitarsi di Marcello, di cui non conosciamo alcuna autentica effigie, e a cui par che lo rivendichi la descrizion di Virgilio Frons laeta parum, et deiecto lumina vultu particolarita che ravvisano evidentemente nel nostro ritratto. Non e questa se non una semplice congettura; pure fra tanti ritratti ascritti dagli antiquari a quel nipote d’Augusto, non ve ne ha alcuno che si avvicini alia probabilita del preseute, avute in vista tutte le circostanze del sito dov’ e stato scoperto , [delle altre immagini che raccompagnavano, dell’ abito, dell’ eta, e finalmente del carattere stesso della sua fisonomia." In einer Anmerkung weist er nocli den Versuch Ficoroni’s, Marcellus auf einem Cammeo zu erkenuen, und die Benennung einer Biiste des capitolinischen Mu- seums als Marcellus ab. Im Pio-Clementino hat die Tafel die Unterschrift: „Statua bullata di giovi- netto illustre trovata negli scavi d’Otricoli.“ In der Iconographie romaine ist auf Tafel 19 der Kopf der vaticanischen Statue in Vorder- und Seiten- ausicht mit der Beischrift Marcellus abgebildet; im Text wiederholt Mongez Visconti’s Begriindung des Namens. Anderes Material, als das von Visconti und Mongez mitgetheilte hat aucli Fr. Lenormaut nicht zu Gebot gestanden. Aber nicht nur hat Visconti selbst seine Benennung der vaticanischen Statue — mit gutem Grunde — fur nichts als eine semplice congettura erklart, sondern der Pourtales’- sche Kopf zeigt aucli nicht einmal die geringste Aehnlichkeit mit deni Kopf der vaticanischen Sta- tue, in der Visconti Marcellus finden wollte. Frei- licli hat Dubois beliauptet, die beiden Kopfe seien ahnlich 8 ); aber, wie sicli jeder aus der liier mit- geteilten Abbildung der vaticanischen Statue iiber- zeugen kann, ist dies nicht richtig. Es ist ganz unmoglich, dass beide denselben Knaben wiedergeben. Wenn eines der beiden Bildnisse Marcellus darstellen sollte, so ist das andere ganz gewiss kein Marcellus. 7 Emeu ernsthafteren und strengeren Versuch als einst Visconti hat vor einigen Jahren A. Mau unternommen, um in einer uns erhaltenen Statue das Portrait des Mar- cellus nachzuweisen 9 ). Im Jahr 1822 sind in Pompei im sogenannten Pantheon zwei marmorne Bildnisstatuen gefundenwor- den, die, auf die Namenge- bung Avellino’s hin, bis vor kurzem als Livia und Dru- sus, des Tiberius Sohn, gal- ten. Mau wendet dagegen ein, dass sie mit den ver- biirgten Ziigen weder der Livia noch des Drusus iiber- einkommen. Er fuhrt aus, dass die mannliche Statue allerdings einen Angehori- gen des kaiserlichen Hau- ses darstellen miisse; dass aber keiner der uns durch sichere Bildnisse bekannten Claudier und iiberhaupt kein Claudier gemeint sein konue, weil die vielen uns erhalte- nen Bildnisse von Claudiern eine durchgehende, leicht, kenntliche Familienahnlich- keit aufweisen, von der die Ziige der in Pompei gefun- denen Statue abweichcn. So gelangt Mau auf dem Wege der Verengung und Aus- schliessung der verschiede- nen Moglichkeiten dazu, in der Statue Marcellus zu er- kennen, mit dessen Bild, wie er annimmt, sich auch alle uns literarisch iiberlieferten Nachrichten iiber die Per- sonlichkeit des Marcellus vereinigen Lessen. Mit diesem von Mau erscldossenen Bildnis des Marcellus hat, wie auch die Ab- bildung deutlich erkennen liisst, der Pourtales’sche Knabenkopf so wenig Aehnlichkeit als mit der vaticanischen Statue, von der Visconti vermutet hatte, dass sie vielleicht Marcellus darstellen moge. Mau’s scharfsinniger Darlegung fehlt das letzte Siegel des zwingenden Beweises. Er selbst nimmt fiir ihr Ergebnis nicht Gewisslieit, sondern nur einen der Gewissheit nahe kommenden Grad von Wahrscheinlichkeit in Anspruch, und es fehlt nicht an Be- deuken 10 ). Aber auch wenu weder Visconti noch Mau Recht haben — , der Pourtales’- sche Kopf kann kein Bildnis des Marcellus sein. Achtzehnjahrig hat Marcellus die vierzehnjahrige Julia geheiratet. Zwei Jahre darauf starb er, beklagt und noch im Tod mit Ehren iiberschuttet von seinem Oheim, dem Kaiser Augustus, der ihn zu seinem Schwiegersohn erhoben hatte, bejammert von seiner Mutter Octavia, deren Schmerz wie sprichwortlich fiir untrostliche Trauer wurde. Als bliihender Jiingling dem Leben und alien Hoffnungen entrissen — so stand er Allen vor der Seele. In der Vision der kiinftigen Helden Roms, die Virgil erscheinen liisst, ist das Bild, das der Dichter mit der Gewalt des frischen Schmerzes am eindringlich- sten hervorhebt, das des Marcellus. Mit dem grossen Ahnherrn Marcellus, dem ersten Rdmer, der einen Sieg iiber Hannibal erfochten, sieht Aeneas einen Jiingling gehen und fragt den Schatten des Anchises, wer es sei, „Atque hie Aeneas; una namque ire videbat egregium forma iuvenem et fulgentibus armis, seel frons laeta parum et deiecto lumina voltu: quis, pater, ille virum qui sic comitatur euntem? lilius, anne aliquis magua de stirpe nepotum? quis strepitus circa comitum! quantum instar in ipso! sed nox atra caput tristi circumvolat umbra. Turn pater Anchises, lacrimis ingressus obortis: o nate, ingen tern luctum ne quaere tuorum, ostendent terris hunc tantum fata neque ultra esse sinent. nimium vobis Romana propago visa potens, superi, propria haec si dona fuissent. quantos ille virum magnam Mavortis ad urbem campus aget gemitus! vel quae, Tiberine, videbis funera, cum tumulum praeterlabere recentem! nec puer Biaca quisquam de gente Latinos 9 in tantum spe toilet avos, nec Romula quondam ullo se tantum tell us iactabit aiumno. lieu pietas, lieu prisca tides, invictaque bell o dextera! non illi se quisquam impune tulisset obvius armato, sen cum pedes iret in liostem sen spumantis equi foderet calcaribus armos. lieu miserande puer, si qua fata aspera rumpas, tu Marcellus eris. manibus date lilia plenis; purpureos spargam flores, animamque nepotis his saltern adcumulem donis, et fungar inani munere.“ Der Pourtales’sche Kopf stellt einen Knaben von vier bis fiinf Jahren dar, der ernsthaft und schmerzlich, fast kliiglich aus den wie mit Miihe weit geblfneten Augen sielit. Ein tiefer Schmerz bewegt die mit festem Willen gesclilossenen Lippen. Fast alle Beschauer empfangen vor dem Kopfe den Eindruck, vor einem kranken Ivinde zu stehen, dessen Lebenstage gezalilt sind. Freilich wechselt die Starke soldier Eindriicke mit dem Weclisel der Beleuchtung und auch mit der Stimmung des Bescliauers. Aber der schmerzlich gefasste Ausdruck, der das gauze zarte Gesichtcheu durchzuckt, ist zu stark, als dass er etwa aus der Gewohnheit oder Absiclit des Kiinstlers, dem Portrat einen ernsten Ausdruck zu verleihen, erklart werden konnte; er ist zu tief und zu blei- bend, als dass er eine voriibergehende Stimmung ausdriicken konnte; er gehort zum Wesen des Dargestellten. Es ist ein Kind, das Krankheit und Schmerz zu dulden ge- wohnt ist und sicli abmiiht sein Leiden zu bezwingen. Oline Zweifel hat der Eindruck des Schmerzes und des nahen Todes, den wir aus diesem Kinderkopf herauszulesen meinen, den Anlass gegeben, ihn Marcellus zu nennen. Aber gerade diese Eigentiimlichkeit des Kopfes macht den Namen Marcellus unmoglich. Nicht fiinfjahrig, sondern zwanzigjiihrig, in der vollen Jugendbliite, ist Marcellus abgeschieden „occidit, et misero steterat vigesimus annus“. So unnatiirlich schien sein Tod, dass der Verdacht aufkommen konnte, Livia babe ihn vergiftet. Nichts deutet darauf hin, dass Marcellus als Kind kranklich oder als Jiingling schwachlich und leidmiitig gewesen sei. Der Schatten des Todes lagert fiber dem Haupte der in Schdnheit und Walfen- glanz strahlenden Erscheinung, die Virgil fiir die Phantasie seiner Horer und Leser zuriick- beschwort; der gesenkte Blick und die zusammengezogene Stirn lassen die Trailer fiber die friihe Erfiillung des Geschickes erkennen. Aber nur darauf deutet der das Haupt Winckelmanns-Programm 1894. 2 10 umschwebende Schatteu unci der triibe Blick. Ein gevvaltiger Kriegsmann, dem kein Feind widerstanden haben wiirde, offenbart sicli in der blendendeu Gestalt. Er wandelt als jugendlicher Genosse neben dem ruhmvollen Vorfahren, der auch durch personliche Tapferkeit mid Kiihnheit gross war. Also gewinnen wir aus Virgil fiir Marcellas das Bild einer kraftvollen und lieldenliaften Erscheinung. Im Lebeu ist er nicht triib, son- dern heiter zu denken 11 ). „Laetus animi et ingenii fortunaeque in quam alebatur capax“ sagt von ilnn Velleius Paterculus. Weun Marcellus als fiinfjahriges Kind etwa einmal eine schwere Krankheit zu iiberstehen hatte — woriiber jede Nachricht fehlt — , wie sollte man darauf gekommen sein, diesen Zustaud in einem Bikinis festzuhalten? Aber es ist unnotig weitere Griinde gegen die Benenuung aufzusuchen, wo aucli nicht der Schatteu eines Grundes, der fiir diese Benenuung angefiihrt werden kdnute, aufzu- finden ist. Ohne Zweifel ist der Name Marcellus dem Ivopf bereits als ihn Beugnot kaufte, im romischen Kunstliandel angeheftet worden. Die Benenuung ist eine der vielen, mit denen Kunsthandler und Liebhaber nach Wohlklang und Gutdiinken unbe- kannte Portratkopfe willkiirlich zu beleihen pflegen und die sich jeder wissenschaftlichen Erorterung entziehen. Den haufigsten Anlass, Portrats herstellen zu lassen bot in Rom wie anderwarts das Abscheiden geliebter Angehoriger. Neben dem besonderen ins imaginum der bevor- rechteten Familien war die Sitte verbreitet, das Bikinis des Verstorbenen festzuhalten und in dem Grab oder an dem Grabdenkmal anzubringen. Dies gescliah in mannig- faltiger Weise, mit Statuen, B listen, Reliefs. Aber mit Vorliebe ist die Biiste verwendet worden sowohl in Rundsculptur als auch, indem die Biistenform in Relief iibertragen wurde. Die Biiste ist nicht die ausschliessliche Form der romischen Portrats, aber eine besonders hiiufige und charakteristische; sie gehort nicht der griechisclien, sondern der romischen Sitte an, und gewiss mit Recht hat man vermutet, class die Biistenform, wie sie die neuere Kunst von den Romern iiberkommen hat, zuerst im Zusammenhang mit den in Wachs hergestellten Masken der Ahnenbilder ausgebildet worden ist 12 ). Die Statuen und Biisten der Kaiser waren in zahllosen Wieclerholungen iiber das gauze romische Reich verbreitet, auch die Portrats der Angehorigen der kaiserlichen Familien iiberaus hiiufig. Die Sitte Beamten und Wohltlnitern Ehrenstatuen zu errichten wurde so allgemein, class sie jeden Wert verlor. Oeffentliche und private Bibliotheken, die Garten und die Raume der Iliiuser warden mit den Portrats beliebter Schriftsteller und anderer beriihmter Manner geschmiickt. Aber die uns erhaltenen Portrats stammen zu einem sehr grossen Teil aus Grabgemiichern und von Grabdenkmalern her. Gerade fiir die Biisten und zumal fiir Kinderportriits ist die niichste und natii rl ichste Annahme, class sie fiir einen solchen Zweck, jedenfalls aber deshalb hergestellt warden, um die Ziige von kurz vorher Verstorbenen festzuhalten. Nur ausnahms weise, wenn die Biiste 11 selbst inschriftlich bezeichnet oiler wenigstens das Grab, in dem sie gefunden wurde, durch Iuschriften bekannt ist, lassen sicli die Namen der Dargestellten bestimmen oder erraten. Weitaus die grosste Anzalil ist namenlos und wird immer namenlos bleiben miissen. Bei dem Pourtales’schen Kopf versagt jedes Hiilfsmittel zur Namengebung. Die einzige Aehnlichkeit mit einem bekannten Kopf, die sicli anfiihreu lies.se. ist eine feme Aehnlichkeit mit Caligula. Und wer sicli gestatten wollte mit Vermutungen zu spielen, wiirde vielleicht nicht verlegen sein , darauf bin eine Bestimmung zu versuchen. Den Eltern des Caligula, Germanicus und Agrippina, sind zwei Kinder vorzeitig liinweg- gestorben. Sueton berichtet von Germanicus: „habuit in matrimonio Agrippinam, M. Agrippae et Juliae tiliam, et ex ea novem liberos tulit, quorum duo infantes adhuc rapti, unus iam puerascens insigni festivitate, cuius effigiem habitu Cupidinis in aede Capitolinae Veneris Livia dedicavit: Augustus in cubiculo suo positam quotiescumque introiret exosculabatur “. Diese effigies kann nicht das einzige Abbild dieses Knaben gewesen sein. Aber jeder Versuch, ein Portriit mit FTiilfe physiognomonisclier Aehnlicli- keiten bestimmen zu wollen, ist unzulassig. Denn er ist, im besten Fall, nichts als ein Spiel mit Mogliclikeiten. Die pliysiognomonisclien Aehnliclikeiten, die man zu erkennen meint, konnen gerade so gut auf bestimmten Gewolinheiten der kiinstlerischen Darstel- lung beruhen, wie sie bestimmten Epochen und einzelnen Kiinstlern eigen sind; oft sind es auc.li nur Aeusserliclikeiten wie die Tracht, der Schnitt des Haares, die den Be- schauer irrefuhren. Statt alles Beweises geniigt es auf eine bekannte und viel erprobte Thatsache hinzuweisen. Oft genug sind unzweifelhaft bezeugte Portrats ein und dersel- ben Person unter den Hiinden verscliiedener Kiinstler so verschiedenartig ausgefallen, dass man ohne es zu wissen niemals darauf kommen wiirde, dieselbe Person in diesen Portrats zu vermuten, wahrend man ein und denselben Kiinstler in den verschiedensten Portrats leicht wiedererkeunt und ebenso iiber die Zeit, in der ein Portriit entstanden ist, kaum je im Zweifel ist. Nichts fiihrt darauf, dass der friili verstorbene Knabe, dessen Portriit wir besitzen, der kaiserlichen Familie angehort babe, dass die Trauer um ihn iiber den engen Kreis der nachsten Angehorigen hinausgegangen wiire. Denn es ist keine Wiederholung dieses Portrats vorhanden. Freilich hat Dubois hehauptet, dass eine im Louvre befindliche Biiste ahnlich sei 13 ). Der einzige Kopf, auf den sicli Dubois be- ziehen kann, ist der, dessen Abbildung ich vorlege 14 ). Sie zeigt dass Dubois sicli aucli in diesem Falle geirrt hat. Wahrend wir also darauf verzichten miissen, dem Knabenkopf, den die Konig- lichen Museen aus der Pourtales’schen Sammlung erworben haben, einen Namen zu geben und ihn mit den Schicksalen des julischen Kaiserhauses in Verbindung zu bringen, bleibt zweierlei jedem Zweifel entriickt fest bestehen: die Epoche, in der er entstan- 9 * 12 den ist, und der hohe kiinstlerische Wert, der ilia liber die Masse der antiken Skulp- turen hocli emporhebt. Aus beidem gemeinsam ergiebt sich die kunstgeschichtliehe Be- deutung. Denn zu einer wirkliclien Einsicbt in den Gang der Kunstgeschichte kann man auf keinem anderen Weg vordringen, als indem man die hervorragendsten Erscbeinungen der verschiedenen Epochen in ihrer Besonderheit lebendig zu erfassen und ihr Verstandnis durch den Vergleich des einander ebenbiirtigen zu vertiefen sucht. Die falsche Benennung Mar- cellus hat die Epoche richtig be- stimmt. Nach der Biisteuform ge- liort der Kopf der romischen Zeit an; das aussere Kennzeichen, das der Schnitt der Haare bietet , ver- weist ilm in den Beginn der Kai- serzeit. Damit kommt der stilisti- sche Eiudruck ii herein. Er fiigt sicli in den Kreis der besouderen, unter Augustus aufgebliihten Kunstart ein. Aber von dieser Kunstart giebt schwerlich ein anderes der uns er- haltenenBildhauerwerke einen gleicli liohen Begritf. Dies lehrt jeder Ver- gleich; nicht nur der Vergleich mit dem Mittelgut, fiir das die bei Er- orterung des Namens mitgeteilten Abbildungen Beispiele bieten, son- dern auch der mit einem so aus- gezeichneten Werk, wie es die Au- gustusstatue von Prima porta ist, oder mit dem schonen kraft- und lebensvollen Kopf, der durch das Itzinger’sche Vermachtnis in den Besitz der Konig- lichen Museen gelangt ist 15 ). Aber wahrend beiden gegeuiiber die Ueberlegenheit des Kiuderkopfes keinen Zweifel leidet, ist das Verhiiltnis, in dem er zu einem jeden steht, sehr verschieden. Einfach ist der Vergleich mit dem Itzinger’schen Knabenkopf. Bei diesem hat der Bildhauer dasselbe Ziel verfolgt wie der Kiinstler des Kinderkopfchens; er ist nur auf diesem Wege nicht gleicli weit vorgescliritten. Es ist ein Unterschied der Durch- fiihrung und des Konnens, nicht ein Unterschied der Kunstart, der sich in den beiden 13 Ivopfen zeigt. Dagegen hat der Bildhauer der Augustusstatue von Aufang an eine andere kiinstlerische Absiclit verfolgt. Die Kiinstler der beiden Knabenkopfe gingen auf die schlichteste und unbefan- genste Bildnisiihnlichkeit aus, gliicklieh, wenn sie mit der vollkommensten Natunvahrheit diese vollkommene Bildnisiihnlichkeit erreichten. Sie gingen darauf aus, das Bildnis so personlich zu gestalten wie nur immer moglicli, nicht nur in den Hauptformen, sondern auch in jedem einzelnen und kleinsten Zuge. Nirgends haben sie die Formen verall- gemeinert, nirgends den Yersuch gemacht, durch ihre Kunst eine besondere, nicht an und fiir sich durch die individuellste Portriitahnlichkeit gegebene Wirkung hervorzubringen. Sie haben nicht nur darauf verzichtet irgend einen Zug von Grosse und Gewalt hinein- zutragen — was durch die Personlichkeit und das Alter der Dargestellten ausgeschlossen war — ; sie gedachten auch nicht. ihren Werken den besonderen Reiz jugendlicher Frische und kindlicher freundlicher und leiehter Anmut zu verleihen, weder durch die Behandlung der Formen noeh durch eine bewusst gewahlte Haltung. Sie stell- ten ihre Kunst ausschliesslich in den Dienst der indi- viduellsten Portriitahnlichkeit, oline jede Nebenabsicht. DasKinderkopfchen zeigt einen iiberaus schmerz- lichen, der Knabenkopf einen triiben, murrischen Aus- druck. Bei beiden denkt man unwillkiirlich an Bild- nisse Yerstorbener. Bei Kindern und Knaben wird sich iiberhaupt nur selten ein anderer Anlass gefunden haben, sie zu portratiren, als der Wunsch, ihre Ziige nacli dem Tode festzuhalten und ihre Bildnisse in oder an dem Grab anzubringen oder im Ilause vor den Augen der Hinterbliebenen aufzustellen. Fast unwillkiirlich ist bei Bildnissen, die erst nach dem Tode entstehen, der gewahlte Ausdruck wehmiitig, schmerz- lich, auch dann, wenn das Aussehen des Lebenden heiter und frei war, — wie Yirgil in seinen Yersen der jiinglingfreien Erscheinung des Marcellus den gesenkten Blick und die triibe Stirne verleiht. Es ist widernatiirlich, Verstorbene, um die man nocli klagt, lachend oder heiter darzustellen. Ihre Bildnisse werden zu Stimmungsbildnissen in dem Sinne, dass die Wehmut der Ueberlebenden in das Bild hineingetragen wird. Nur in seltenen Fallen werden die Kiinstler, denen die Aufgabe zufiel, Bildnisse Yerstorbener zu liefern, diese im Leben gekannt haben, am wenigsten Kinder und Kna- ben. Die einlachste Aushilfe war in alien wie in neuen Zeiten die Benutzung der Toten- maske, fiir plastische Bildnisse auch lieute nocli die einzig mogliche; und von diesem Hillsmittel ist in alien Zeiten, in denen man Bildnisse Yerstorbener mit der Absicht 14 wirklich naturtreuer, individueller Portratahnlichkeit herzustellen gewolmt war, der aus- gedehnteste Gebrauch gemacht worden — so in der Plastik der Renaissance, in der die Totenmaske teils ohne weiteres wiedergegeben wnrde, teils die Grundlage fiir Portrats bildete, die den Schein des Lebens envecken wollten und wirklich erwecken. Selbst bei einem Kopf von so unlieimlich packender, grossartiger Lebendigkeit, wie der des Niccolo da Uzzano, hat ein ausgezeichneter Bildhauer ausserliche Spuren von der Yerwendung einer Totenmaske aufgefunden 16 ), und der grosste Renner der Renaissanceplastik u ) spricht als selbstverstandlich die Satze aus: „Konnte doch auch ein selir mittelrniissiger Bild- hauer oder Steinmetz noch eine ertragliche und ahnliche Biiste liefern dank dem Hilfs- mittel, welches die Totenmaske, gelegentlich wol auch die iiber den Lebenden gefertigte Maske, darbot." „Selbst der gewohnliche Steinmetz in Florenz hat so viel von dem allgemeinen kiinstlerischen Gefiihl, dass er aus der Totenmaske ein lebensvolles Bild zu gestalten weiss. “ Was fiir die Renaissance feststeht, ist auch fiir die romischen Zeiten anzu- nehmen. Fiir die Portrats an und in den romischen Grabmalern werden meist Toten- masken als Grundlage gedient haben; wo die Portrats erst nach dem Tode hergestellt warden, ist ein anderes Yerfahren iiberhaupt nicht moglich: es fallt oluie weiteres mit dem altromischen Brauch der imagines zusammen. Auch das Kinderportrat, das uns beschaftigt, ist auf Grundlage der Totenmaske gearbeitet. So fein und geschickt der Bildhauer die Spuren des Todes an Augen, Nase und Mund zu tilgen und lebensvolle Forrnen an ihre Stelle zu setzen verstanden hat, — - die Ziige des Gesichtchens sind miide und welk; vielleicht am deutlichsten in der Art wie die Ohren ansetzen und geformt sind, verrat sicli der Verfall des Lebens. Der Eindruck, den die meisten Beschauer vor dem Kopfchen empfaugen, dass sie ein krankes, vorzeitig dem Leben entrissenes Kind vor sich sehen, ist wohl begriindet: es ist das Portriit nicht eines lebenden, sondern eines toten Kindes, das nur die Kunst — die grosse Trosterin im Leid — dem Leben zuriickgegeben hat. Auf der Hohe des Lebens und der Herrschergewalt steht Kaiser Augustus in der Statue von Prima porta vor unseren Augen. Fiir den Bildhauer war wirkliche und auch im romischen Sinne iiberzeugende Portratahnlichkeit die selbstverstandliche Voraus- setzung; aber er war sich dessen bewusst, wen er darzustellen liatte. Wie die ganze Gestalt Bewunderuug und Gehorsam heischeud vor uns auftritt, wie das Beiwerk des Eros auf dem Delfin auf den gottlichen Ursprung hindeutet, wie die Verzierungen des Harnisches die unter Gotterschutz vollbrachten Thaten darlegen, so soil der Kopf die geheimnisvolle Gewalt des Herrschers aussprechen. Das Portriit eines Ftirsten wild selten einen intimen Charakter an sich tragen. Auch wo es nicht fiir offentliche Aufstellung bestimmt ist, wird unwillkiirlich die teier- licliere Ersclieinung, wie bei einem offentlichen Denkmal, erstrebt, die oline bewusste Stilisirung, olme eine scharfere unci hartere Auspriigung cler Formen nicht zu erreichen ist. Es sind dieselben Kunstmittel, mit deren Hilfe iiberhaupt Grosse und Gewalt cler Darstellung erstrebt zu werden pflegt. Der Bildhauer der Statue von Priraa porta wollte alles, was Kaiser Augustus an Herrschertalenten . an Geistesschiirfe, Klugheit, A\' i 1 lens- kraft und Selbstbeherrschung in sicli hatte, in die Gesichtsziige seiner Statue hineinlegen. Er konnte sicli nicht mit einer vollig unbefangenen, anspruchslosen und schlichten Wiedergabe der Natur begntigen; er hat vielmehr alle Formen auf die eine Wirk ung hin durchgearbeitet und ausgepragt, die ihm vorschwebte, — die eines historischen Charakterbilcles. Olme Zweifel waren Livia und Augustus von dieser Leistung ganz und gar be- lhiediot. und mit vollem Reclit. Aber wenn wir diese schone Kaiserstatue in die lange Reilie der grossen Werke der antiken Portratkunst einreihen, so konnen wir uns nicht verhehlen, class sie nichts neues und nichts besseres bietet, als liingst vorhauden war. Des eigenartig und ausschliesslich romischen ist nicht viel und nichts wesentliches in ihr. Sie giebt nichts, was nicht seit Lysipp die Bildnisse der hellenistischen Fiirsten erstrebt und ebenso gut und besser geleistet batten. Sie ist romisch hauptsachlich in clem Sinne, class sie, in ihrer theatralischen Haltung und in der harten Stilisirung des Ivopfes, einen weiteren Schritt in deni langsamen Yerfall der antiken Ivunst bezeichnet. Dagegen kann cler namenlose, schlichte und feine Iviuderkopf fur uns als ein Markstein in cler allgemeinen Entwicklung der Portratkunst gelten. Fast zu alien Zeiten sind neben einander Portraits der anspruchlosen unbe- fangenen Art und solche gemacht worden. die den Anspruch erhuben, Idealportrats oder Charakterportrats zu sein. In jecler Spielart sind starke und schwache Arbeiten erhalten. Die schwachen ersclieinen stets unwahr, je nacli cler Absicht, die sie verfolgten, in ihrer Unwahrheit bald hart und leer, bald oberilachlicli, knochenlos, verschwommen und weichlich. In alien Zeiten, in denen neue und selbstandige Ansatze cler Portratkunst erkennbar sind, steht am Beginn cler neueu Entwicklung das individuelle Portriit, nicht das typische, das sicli erst auf dem Grunde des individuellen aufbauen kann 18 ). Das Ziel ist zunachst stets das gleiche: das, was man sieht, so einfach und schliclit wie nur immer moglich wiederzugeben. Aber es ist nicht nur, was keiner Erorterung bediirfen sollte, das Konnen des Einzelnen verschieden. In jecler neuen Epoche wire! das clem Wollen nach gleiche Ziel dennoch in verschieden er Weise verstandeu. In ihrer Art vollkommen und unverbesserlich sind die besten iigyptischen Bild- nisse aus den Zeiten des alien Reiclis. Diese Portriits geben die Personlichkeiten des Dargestellten mit einer Lebenskraft und Lebensfiille wieder, die nicht wieder erreicht worden ist. Aber es ist, als ob cler Kiinstler nur das natiirliche Leben, das cler Mensch 16 mit clem Thieve teilt, gekannt and wiedergegeben hatte. Mit anderen Augen sail der altgriechische Portriitbildner den Menschen an, der seines gleicheu ist, im Bewusstseiti der hoheren Stufe und der geistigen Ueberlegenheit liber alle Geschopfe, aber mit einer unbesorgten Unbefangenheit, mit einer ungetriibten Frisch e, mit einer einfachen Grosse, wie sie nur dem Jugendalter der Menschheit eigen sind. Jeder Fortschritt, im Leben wie in der Kunst, ist nicht moglich olme eine Ein- bnsse. Dieselbe Aufgabe ist Jahrhunderte spater aufs neue mit derselben Absicht auf- genommen worden. Aber mit dem allgemeinen menscblichen und kiinstlerischen Fort- schreiten ist die gleich freie Unbefangenheit des Blicks verloren gegangen. Wie viel altere Kunstwerke der Kiinstler des Kinderkopfchens nicht gesehen oder gesehen haben mag, — hinter ihm liegt die gauze grosse Entwicklung der griechischen Cultur und der griechischen Kunst. Bei allem Bemiihen, die Natur so zu sehen wie sie ist, er konnte sie nur sehen, wie sie ihm auf der neuen Stufe der menscblichen Entwicklung erscheint, weniger einfach. aber unendlich reicher. An die Stelle der kindlichen Unbefangenheit tritt die mit Miihsal errungene Ehrlichkeit, ein neues und grosses, in die Kunstgeschichte ein, das sicli in den besten romischen Portraits so glanzend offenbart. Denn der einzig bleibende Massstab des kiinstlerischen Konnens ist das Portrat. Von da an folgt wiecler eine Jahrhunderte lang wahrende Zeit, ehe eine ebenbiirtige, nach unserm modernen Empfinden und nach dem allgemeinen Gang der menschlichen Entwickelung noch holier stehende, vollendetere Kunst des Portrats und damit der Kunst iiberhaupt erreicht wire! — die Bildniskunst des Donatello. Aiimerkungen. ’) Bullett. 1830 S. 197. 257. 259. Bullett. 1831 S. 197 f. 214f. Bullett. 1834 S. 7. 2 ) Nach dieser Vorlage ist die Abbildung liergestellt, die sich bei Martha, Manuel d’archeo- logie etrusque et romaine S. 211 mit der Bezeichnung Marcellus findet, obne dass eine weitere Angabe beigefiigt ist. 3 ) Seneca, Consolatio ad Marciam 2: Nullum finem per omne vitae suae tempus tlendi gemendique fecit; nec ullas admisit voces salutare aliquid adferentes; ne avocari quidem se passa est. Intenta in unam rem et toto animo adfixa, tabs per omnem vitam fuit, qualis in funere: non dico non ausa consurgere, sed adlevari recusans; secundam orbitatem iudicans, lacrimas mittere. Nullam habere imaginem filii carissimi voluit, nullam sibi de illo fieri mentionem. Oderat omnes matres et in Liviarn maxime furebat, quia videbatur ad illius filium transisse sibi promissa felicitas. Tenebris et solitudini familiarissima, ne ad fratrem quidem respiciens, car- mina celebrandae Marcelli memoriae composita, aliosque studiorum honores reiecit et aures suas adversus omne solatium clusit: a sollemnibus officiis seducta, et ipsam magnitudinis fraternae nimis circumlucentem fortunam exosa defodit se et abdidit. Adsidentibus liberis, nepotibus, lugubrem vestem non deposuit, non sine contumelia omnium suoruru, quibus salvis orba sibi videbatur. 4 ) Cassius Dio Bill, 30 xat auxov 6 Ab-j'oodxos 3‘qpodtq. xs sda'jfsv, STratvsdas tbdirsp ei'fitdxo, xat e; xb pvrjpstov o mxooopstxo xaxsdsxo, x-q xs pvqppj xob ilsdxpoo xo 5 Ttpoxa xa- pXvjOsvxos psv otto xob Katdapoc, MapxsXXou os tbvop.cxdp.svoL) sxtpvjdsv, xat o t xat etxbva ypodr^v xat dxscpavov / podouv Stcppov xs a.oytxbv s? xs xb Osaxpov sv xpj xibv 'Pcopaiwv -avrp •yupst sdcpspsd&at xat s? xb psdov xu>v ap^ovxtov xtbv xsXouvxmv abxd. xtfisd&at sxsbsodsv. 5 ) Mazois 111 Tafel IX1A S , 6. S. 19. Mommsen 0. I. N. 2228 = C. 1. L. X, 832. 6 ) Revue numismatique Annee 1848 S. 72 — 76 (A. Ducbalais). 7 ) Helbig, Fiihrer durch die offentlicben Sammlungen in Rom I S. 298 f. , Nr. 395. Bernoulli, Romische Ikonographie II, 1 S. 1 22 f. 8 ) a. a. 0. Ce portrait, dont Fauthenticite ne peut etre rigoureusement constate, rnais qui, du moins, ressemble bien a celui publie sous ce nom dans l'lconograpbie romaine, est d’ailleurs tres-remarquable par la verite de son execution. 9 ) Mau, Statua di Marcello nipote di Augusto, memoria letta all’ accademia di archeo- logia lettere e belle arti nella tornata del 15 Giugno 1890, Napoli 1890 [Atti della R. acca- demia vol. XV], Winckelmanns -Program in 1894. 3 18 10 ) Mau, a. a. 0. S. 17 — 19. Zu vergleichen Nissen, Pompeianische Studien S. 282 f. Overbeck-Mau, Pompei S. 1 24 f., S. 638, 55. Mau, Pompeianische Beitrage S. 253 f. n ) Im Gegensatz zu den Folgemngen, die Visconti und Mau fiir das Aussehen des Marcellus aus Virgil zu gewinnen versuchten, hat bereits Bernoulli a. a. 0. S. 122 bemerkt: „Dock scheint der traurige Zug, den ihm der Dichter giebt, nur eine Wendung zu sein, um an seinen friihzeitigen Tod zu erinnern“ und dazu die Stelle des Velleius angefiikrt. 12 ) Visconti Pio-Clem. VI S. 16ff. der kleinen italienischen Ausgabe. Schone und Henzen im Bullettino dell’ Instituto 1866 S. 99 f. Benndorf und Schone, Die antiken Bildwerke des Lateranensischen Museums S. 209 f. 13 ) a. a. 0. S. 24: Un buste semblable appartient au Musee du Louvre. 14 ) Die Nachweisung dieses Kopfes verdanke ich, durcli freundliche Vermittelung Fr. Winters, einer gefalligen Mitteilung des Herrn Heron de Villefosse. 15 ) Beschreibung der antiken Bildwerke in den Koniglichen Museen n. 399 b. Friede- richs- Wolters n. 1682. 16 ) Hildebrandt bei Bode, Italienische Portratskulpturen des XV. Jahrhunderts. Berlin 1883. S. 26. 17 ) Bode a. a. 0. S. 26. 41 f. 18 ) Winter, Ueber die griechische Portratkunst (1894) S. 6. Yerzeichnis tier AfoMldmigen. Tafel I und II. Marmorkopf in den Koniglichen Museen zu Berlin. Kupferlichtdruck von Mei- senbach, Riffarth u. Co. (Berlin) nach photographischen Aufnahmen von Fr. Winter. S. 3. Kopf der Augustusstatue von Prima porta. S. 6. Angebliclie Marcellusstatue im Vatikan (Museo Pio-Clementino Taf. XXIV), nach einer von Dr. Pallat besorgten Photographie. S. 7. Angebliclie Marcellusstatue aus Pompei. S. 12. Kopf im Louvre. Nach einer der gutigen Vermittelung von Heron de Villefosse ver- dankten photographischen Aufnahme von E. Dontenvill. S. 13. Kopf aus dem Itzinger’schen Vermachtnis in den Koniglichen Museen zu Berlin. JAHRESBERICHT. Als oi'dentliche Mitglieder wurden aufgenommen die Herren Privatdozent Dr. Kretschmer, Oberlehrer Dr. Nausester, Privatdozent Dr. Pernice. Wieder einge- treten sind die Herren Prof. Dr. Belger, Provinzialschulrat Dr. Genz, Privatdozent Dr. B. Graef. Yerzogen sind die Herren Major von Alten und Dr. Kietz. Somit besteht die Gesellschaft aus folgenden 98 ordentlichen Mitgliedern: Adler, Ascher- son, Assmann, Back, Bardt, Belger, Bertram, Bode, Borrmann, Broicher, Briickner, Bii clisenschiitz, Biircklein, Blirmann, von Bunsen, Conze (Schrift- fiihrer), Corssen, Curtius (I. Yorsitzender), Dalim, Diels, Dobbert, Eude, Engel- mann, Erman, Fischer Exc., Frey, Fritsch, Fuhr, Genz, Gericke, Goldschmidt, B. Graef, P. Graef, Grimm, Gurlitt, Hagemann, Hauck, Hepke, Herrlich, Hertz, Freiherr Hiller von Gartringen, Hirschfeld, Hollander, Hiibner, Hum- bert, Imelmann, Immerwahr, Jacobsthal, Jessen, Jordan, Kalkmann, von Kaufmann, Kaupert, Kekule, Kern, Kirchhoff, Kohler, Ivoepp, Kretschmer, Kruger Exc., Kiibler, Kiippers*), Freiherr von Landau, Lehleldt, Lehmann, Lessing, von Lusclian, Meitzen, Meyer, Mommsen, E. Muller, N. Muller, Nausester, Nothnagel, Oder, Pernice, Pomtow, Pu chstein, von Radowitz Exc., E. Richter, 0. Richter, Rose, Schauenburg, Schone (II. Yorsitzender), Schroder, Senator, Stengel, von Stephan Exc., Trendelenburg (Archivar und Schatzmeister), Vahlen, Freiherr von Wangenheim, Wattenbach, Weil, Wellmann, Wilmanns, Winnefeld, Winter, von Wittgenstein. Ausserordentliche Mitglieder waren die Herren: Hirsch, Rubensohn. *) Herr Schulrat Dr. Kiippers ist bereits 1893 als ordentliches Mitglied eingetreten and nur in Folge eines Yersehens in der Milgliederliste des vorigen Jahres ausgelassen worden. ’hoiogravure Meisenbach Riffarth & Co. Berl’u .] ) A ? / .1 i r- Photogravure Meisenbach Riffarfh & Co. Berlin. . •. - r'. ■ ■ ' • ' . - . ... . ' ' X a % V ; . . ' • ■ • • \ - . . • * . >