Digitized by the Internet Archive in 2016 with funding from Getty Research Institute https://archive.org/details/griechischethong35treu GRTECHISCHE THONGEFASSE 1 1ST STATUETTEN- UND BU8TENFORM. FUNFUNDDREISSIGSTES PROGRAM! UM WINCKELMANNSEEST DER ARCHAOLOGISCHEN GESELLSCHAFT ZU BERLIN GEORG TREE. NEBST ZWEI TAFELN IN LICHTDRUCK. BERLIN 1875. GEDRUCKT AUP KOSTEN DER ARCHAOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. IN COMMISSION BEI W. HERTZ (BESSERSCIIE BUCHIIANDLUNG). THE J. Paul GETTY CENTER Von den neun polycbromen griechiscben Thongefassen, deren Abbildungen in Licbt- druck diesen Blattern beigegeben sind, stannnen sieben a us neueren Erwerbungen des Koniglichen Antiquariums (Taf. I 2 , 4 and 6, II 1 — 6); zwei riihren aus anderen Museen her: die Sphinx auf Taf. I 5, deren Abbildung der giltigen Vermittelung des Herrn Professor Conze verdankt wird , aus der Sannnlung des Grafen Lanckoronski in Wien, das Kbpfcben auf Taf. 1 1 und 3 aus dem Museum des Louvre. Fur die Be- scbaffung von Photograpbieen nach diesem Stiicke bin ich der altbewabrten Gefalligkeit eines reisenden Freundes verpflicbtet, dem Ilerr Heron de Yillefosse in Paris die Scbatze der ihm im Louvre anvertrauten Sammlungen fur die Zwecke dieser und anderer Arbeiten mit einer zuvorkommenden Bereitwilligkeit zur Verfiigung gestellt hat, fiir die ibm otfentlich den Dank auszusprechen mir ein lebbaftes Bediirfniss ist. Alle diese Gcfasse liaben die Eigentbumlicbkeit mit einander gemein, dass ibr Korper aus Kopfen und Biisten, ganzen Gestalten und Gruppen gebildet wird, die in ihren bald zu volliger plastiscber Bundling beraus gearbeiteten Formen, bald mebr baut- reliefartigen Anordnung seltsam genug mit der Bestimmung contrastieren, welehe die iibrigens durchgangig ziemlicb iiusserlicbe und unorganiscbe Verbindung der Figuren mit Mundung und Henkel einer Vase andeutet. Gefasse abnlicber Zusammensetzung bat die grieckiscke Ivunst zu alien Zeiten ber- vorgebracbt; die bier ausgewahlten Exemplare jedocb bilden keine bistoriscbe lieibe, sondern gebdren einer eng gescblossenen Classe von Vasen an, die (lurch genaue Ueber- einstimmung Hirer teclniiscben und aesthetiscben Ligentbiimlicbkeiten, den engen Kreis der Darstellungen, mit denen sie gescbmuckt zu sein pflegen, endlicb durch die geringe Anzabl von Gefassformen , welehe sie verwenden,* sick als Erzeugnisse einer und der- selben Epocbe, ja sebr wabrscbeinlicli desselben Fabrikortes zu erkennen geben. Diese Siitze zu erweisen und eine eingebende Cbarakteristik diesetr \’asengattung an der Hand einer Uebersicbt aller mir bekannt gewordenen Exemplare derselben zu geben, waren diese Blatter ursprlinglicb bestimmt. Dieser Plan musste jedocb aufgegeben werden, niebt nur well fiir die Vervollstandigung des beabsiebtigten Verzeichnisses freund- lichst von London aus zugesagte Hilfe ibr Werk nocli niebt bat vollenden konnen, sondern bauptsaeblieb aucb, weil sicli im Verlauf der Untersucbuug leider zu split zeigte, dass die Erfiillung dieser umfasscnderen Aufgabe die meiner Arbeit an diesem Orte ge- 4 steckten Grenzen weit uberschreiten wiirde. Unter diesen Umstanden mussten sicli denn diese Blatter auf cine rasch liingeworfene Bespreckung der bier mitgetheilten Gefiisse nack ihren techniscken und kiinstlerischen Eigenthiimlichkeiten, die Deutung ibres figilrlichen Schnmckes und eine Erorterung ibres Verbaltnisses zu friiheren Bildungen abnlicher Art bescbranken. Wir beginnen mit Darstellungen aus deni aphrodisischen Kreise, lassen dann die des baccbiscben folgen und scbliessen mit einer Gestalt aus dem Gebiete des Genre. Freilich kann gleicb bei den beiden Gefassen, die wir voranstellen, die Deutung auf Aphrodite zweifelbaft erscbeinen: es sind das eine pariser Vase unbekannten Fundortes, welcbe auf Taf. 1 1 und 3 abgebildet ist (Hobe 0,155 M.) und die berliner Lekytbos auf Taf. I 4 und 6, welcbe bei Pagai in der Megaris gefunden sein soli (Hobe 0,135 M.). Es kann zweifelbaft erscbeinen, ob die Biistcben an diesen Vasen wirk- licli Aphrodite darstellen, da dock die weiblicben Kopfe bald strengen, bald freien Stiles an Gefassen abnlicher Composition aUs friiheren und spateren Epocben, welcbe in alien grbsseren Museen zu Dutzenden vorkommen, die einen durcb Epbeukranze, die anderen durcb ihre kaufige Gruppierung mit Satyr- und Silenkbpfen, deutlich genug zeigen, dass sie Manaden vorstellen sollen 1 ). Es liisst sicli dagegen niclit einwenden, dass jene Vasen durckgangig Weingefasse seien, fiir die ein Manadenkopf einen passenden Scbmuck ab- gebe; denn es kommen aucli vereinzelte Beispiele vor, in denen eine Lekytbos mundung auf dem Scbeitel einer solchen Baccbantin mit Epbeukranz sitzt (Levezow: Gall. d. Vas. No. 750 u. 759). Selbst der feierliche Scbmuck einer kohen Stepbane scbeint fiir jene alteren Stilarten, die in direr Cbarakteristik ziemlicli sorglos verfabren, eine entscheidende Install/ gegen die Deutung auf eine Manade niclit abzugeben, wenigstcns zeigt die berliner Vase bei Levezow No. 750 den Epbeukranz neben einer solclien Stepbane. Der kiinst- leriscbe Spracbgebraucb derjenigen Vasenclasse aber, welcbe uns bier beschaftigt, ist niclit l ) Die gewohnlicbste Gestalt dieser Gefasse geben die Formentafeln der Yasenkataloge, z. B. Levezow A. Blus. Berlin , Gall. d. Vasen Taf. 0 No. 179; 0. Jalm: Vasem. K. Ludwigs Taf. 2, No. 07; Heydemanu Vasemamml. z. Neapel Taf. :i, No. 185; Catal. of the Vases in the Brit. Bias. No. CLXXIX u. < TjXXX. L. Muller Musee Thorvaldsen Sect. II Form 49. — Epbeukranz: Levezow No. 750, 754, 755, 757, 759, Vaseninventar des berliner Mus. 2241, 2446; 0. Jalm No. 804, 867. Heydemanu S. Angelo No. 90, Race. Gain. No. 115; Meester de Ravestyn Musee de Ravestyn S. 256 No. 273. Kranze anderer Art, die bald als Myrthen- (0. Jabn No. 863), bald als Lorbeerkranze (Heydemanu S.Ang. No. 80. 92. Race. Cum. No. 113) bezeichnet werden, finden sicli auch an berliner Vasen (Levezow No. 155, 741, 752); sie sind aber in ikrer Cbarakteristik zu unbestimmt, als dass sie zum Ausgangspunkt einer Deutung gemaclit werden diirften. — Gruppierung mit Satyr- und Silenkopfen: Gargiulo Raccolta de Mon. del Bins. Bark, in d. 1. Ausg. Taf. 87 u. 88, in spateren IV Taf. 13 u. 14; Vases of the Br. Mus. Form. CCXXXI No. 1476; Heydemanu Bias. Naz. No. 2991, S. Angelo No. 57. 82, 96; Meester de Ravestyn I S. 258 N. 275; Levezow No. 744 und 701. mil* darin strenger, dass er ziemlich consequent seine bacchischen Gegenstande an Wein- k an lichen, aphrodisische an Salbflaschchen anbringt, sondern aueh in seiner Charakteristik viel zu sorgfaltig und feinsinnig, als dass man um jener Analogieen willen auch bei unseren Gefassen an eine Manade denken diirfte. Vielmehr wird fur diese die Ueber- einstimmung in i t sicheren Aphroditedarstellungen desselben Vasenstils, deni auch sie an- gehoren, entscheidend sein. So die Aehnlichkeit zwischen deni pariser Kopfchen und dem der Aphrodite Anadyomene bei Stephani Compte-rendu de la commiss. arch. p. 1870/71 Taf. I, 3- — 4 — Arch. Ztg. 1875 Taf. 7, und zwischen unsrer Vase aus Megara und einer Anadyomene aus Kyrene {Arch. Ztg. 1875 Taf. 6), wo beide Male diesclbe reich mit Bo- setten verzierte holie Stephane und eine ganz iilinliche Ausschmiickung von Hals und Schultern wiederkehrt. Die Erinnerung an die Anadyomenen aus Kertsch (Stephani C-R. 1870/71 Taf. I, 5) und Megara (Otto Jahn Ber. cl. sdclis. Ges., phil.-hist. Cl. 1853 Taf. 1 und 2 — Goettling: opuscula academica , Tafeln zu S. 316), mag wenigstens die melirfache Verwendung von Aphroditetypen f'iir Oelflaschchen innerhalb unserer Vasen- classe dartliun, welche die Deutung auf diese Gotti n stets walirscheinlicher machen werden, als die auf eine Manade oder eine beliebigc schdne Frau des taglichen Lebens. 1st es doch auch sonst auf dem ganzcn Gebiet weiblicher Toilette weitverbreiteter und fur antike Empfindung fast selbstverstandlicher Branch, Putzgerat mit dem Bible der Schbnheits- gbttin zu schmucken. Auch unsre beiden Gefasse sind Oelflaschchen gewesen. Bei der megarenser Vase hat sich die schone scldanke Lekythosform des Ausgusses noch erhalten und auch eine kleine Erganzung am Henkel stort den urspriinglicken Eindruck in keiner Weise. Da- gegen scheint die urspriingliche Gestalt des pariser Gefasses durch eine ungeschickte Bestauration unkenntlich gemacht. Nachrichten clariiber, die auf eine Untersuckung des Originals zuriickgingen , fehlen frcilich; aber ein plumper Henkel wie ihn das Protilbild des Gefasses zeigt ist in dieser Vasenclasse vdllig unerhort, und so darf man wol die Indicien der Photographic, welche fiir Henkel und Kiickseite ein stumpferes Schwarz aufweist, als an der Miindung des Gefasses sichthar wird, zu dem Schluss benutzen, dass bier eine schlechte Erganzung alles verdorben hat; die Greuze derselben glaube ich am unteren Theil der Miindung noch zu erkennen. Wie Hals und Henkel der Lekytlios nrspriinglich ausgesehen haben, mag ein Vergleich mit Taf. I 4 und 1 5 lehren. Auch der Fuss dieses Gefasses zeigt einige auffallende Eigenthiimliclikeiten; oder vielmehr, der kreisrunde, niedrige, unterhalb des Schulteran satzes etwas eingezogene Band, mit dem das Gefass jetzt nach unten abscliliesst, scheint schon durch seine winzigen Dimensionen und durch sein vdllig ungegliedertes Profit zu verrathen, dass wir in ihm nicht mehr die urspriingliche Basis der Vase vor uns sehen. Wenn er also nicht restau- riert ist, was sich nach der Photographic nicht entscheiden liisst, so wird man annehmen miissen, dass jener Band in einen Fuss von andercm Material, etvva von Holz eingepasst 6 war, wie das z. B. bei deni Geiiiss auf Taf. II 2, wo zu diesem Zweck ein Zapfen miter dem linken Fusse steken geblieben ist, sicker der Fall war. Die Annahme dagegen, dass miser Gefasscben urspriinglick gleicksam den Deckel einer grbsseren Prunkvase gebildet babe, ist nacb den besckeidenen Gewohnbeiten dieser Stilart mid den geringeu Dimensionen die sie einzuhalten pflegt selir unwakrscbeinlicli. Die ursprunglicke Form des Fusses wird man sick daker wol nack der Analogie von I, 4 mid 6 denken diirfen. Miindung, Hals, Henkel mid Ruckseite der Lekythos waren, wie die Replik aus Pagai zeigt, mit sckwarzem Vasentirniss bedeckt, die Biiste an der Vorderseite dagegen bunt bemalt. Erkalten sollen sein, ausser den Resten der weissen Untermalung, Spuren von Rotk an deni koben Kopfsckmuck mid von Blau in den Augen mid am binten lierabkan- genden Sckleier. Audi bier bilft mis das nock in seinem vollen Farbensclimuck prangende berliner Exemplar die pariser Vase erganzen. Bei diesem ist die leucktend rothe Ste- pkane mit einem goldenen Perlstab gesaumt und mit ftinf vergoldeten Rosetten verziert. Vergoldet sind aucli die Rosetten an Ohrlappcken und Sckultern mid das Halsband das aus aufgesetzten Ktigelckcn bestekt. Ein aknlickes Ktigelcken sitzt inmitten jeder Rosette. Gesickt, Hals und Brustansatz sind mit einer leickten Fleisckfarbe bemalt, die aucli in der Gegend der Wangen keinerlei Abtonung zeigt; dagegen bat der Maler die Lippen durck dasselbe intensive Rotk bervorgekoben, das die Stephane sclnniickt. Die Haare, welcke in zwei langen ziemlick sckematiscli gebildeten Locken zu beiden Seiten des Ge- sicktes bis auf die Scbultern kerabbangen, die Augenbrauen, der Rand des oberen Augen - liedes und der Augenstern selbst sind rotkbraun; die Pupille sckeint mit einer leise ein- geritzten Linie umzogen und war urspriinglick vielleicbt durck einen dunkleren Farbenton markiert. Fine Andeutung der einzelnen Wimpern ist nicbt versucbt. Die Hoblkeble der runden Basis ist ringsum weiss gefarbt. Aeknlick wird das pariser Gefiiss bemalt gewesen sein. Audi bier waren sicker nickt nur die Knopfcken am Rande, sondern aucli die sie- ben Rosetten, dcren Ansatzspuren man nock auf der rotlien Stepkane siekt, vergoldet, ferner die Ohrbommeln und die vier Rosetten zu beiden .Seiten des Halses; denn dass den zwei erbaltenen zwei andere auf der gegeniiberliegenden Seite entspracben ist nack der strengen Symmetrie, nack welclier dieser goldene Flittersclimnck liber dergleicken Gefasse vertheilt zu werden pflegt, vbllig sicker (vgl. dariiber die Arch. Ztg. fiir 1875 S. 41). Das Abspringen der Rosetten erkliirt sick leickt dadurck, dass sie in besonderen Formen gepresst und nacbtraglicb aufgesetzt wurden. Nacktraglick angesetzt sind aucli die sckneckenfbrmigen Lockenspitzen ini Haare (vgl. Arch. Ztg. 1875 Taf. G und 7, C. R 1870/71 Taf. I, 1 — 4), das sicker blond war, da Vergoldung wegen der Naekbarsckaft der goldenen Rosetten anzunekmen unmoglick ist, sckwarze Haare aber in dieser ganzen Vasenclasse nur bei dem Satyr Taf. II, 1 und 3 vorkommen. Dass die Augen blau waren, beweisen die erlialtenen Farbcnspuren. Den Fleisckton werden wir mis beim pariser Gefiiss etwas zarter denken diirfen als bei dem berliner, wenn wir anders auf die Far ben aus den Formen seldiessen diirfen, die eine viel feinere Durchniodellierung nnd einen strengeren und edleren Charakter zeigen, wie das naraent- lieli in tier Profilansicht fiihlbar wild. Ueberbaupt fall! ein Vergleicb zwiscben beiden Gefassen scbon wegen tier besseren Verhaltnisse aller Tbeile und besonders tier Gefass- mundung zur Biiste entscbieden zu Gunsten tier pariser Vase aus, wabrend deni Ver- fertiger ties berliner Gefasses die Yasenmiindung zu gross und das Kopfcben zu scbrnal gerathen ist, namentlicb in den Schultern, deren engbriistige Ansatze bei beiden Ge- fassen in sclir unscboner Weise gebildet sind. Dieser etwas verkununerte Brust- und Scbulteransatz ist often bar ein Erbe aus tier befangeneren Weise jener alteren Kannen und Becher in Form von Frauenkbpfen, von denen wir bereits einige Beispiele anzufiibren Gelegenbeit batten (S. 4), und aus welclien ja bereits bervorgegangen ist, dass diese Art tier Ausscbmiickung von Gefassen nicbt erst eine Ertindung tier Zeit und tier Yasengattung ist, welcber unsere Lekytben angeboren. Das berliner Museum besitzt eine gauze Beibe von dergleicben Gefassen alteren Stiles, die uns in einer formlicben Stufenleiter von Typen durch das ganze fiinfte Jabrhundert bis an und iiber die Sebwelle ties vierten geleiten. An einer solclien Reibe die Wandelung tier Formen und tier Teclmik zu studieren ist aucli fur die Erkenntniss tier Eigentbiimlicbkeit unserer Yasenelasse nicbt ohne Ge- winn, da wir dabei die Neuerungen kcnnen lernen, welclie sie mit iiberlieferten Motiven vornalnn. Sie bat ilire Kopfvasen nicbt nur kleiner, zierlicber und eleganter gebildet, sondern aucli sonst. in Formen und Farben ganz wesentlicb geneuert. So ist bei jenen alteren Gefassen iiberall tier Fuss tier Vase und tier Hals tier Biiste nocli eins, wie aucli noeli bei dem Satyrkopf auf Taf. II, 1 und 3. Erst bei Gefassen unserer Stilgattung ist der Versucb gemacbt, dem Halse seine natiirlicben Formen zu geben, Brust- und Scbulter- ansatz zu markieren und den Vasenfuss tektoniscb zu gliedern. Dies scbeint die scbiicb- terne Weise zu erklaren, in tier diese Tbeile an unseren Lekytben gebildet sind. Von dieser mag man zu kiihnereu Yersucben mit Halbfiguren und Biisten fortgeschritten sein, wie wir sie bei jenen auf S. 5 aufgefiibrten Anadyomenen vor uns seben, die endlicb einen kraftigeren und sclibneren Abscbluss linden lebrten. Ein Vergleicb jener alteren ansprucbslosen Gefasse mit Scbopfungen tier letzteren Art, vor Allem mit der scbbnen Anadyomene aus Kyrene {Arch. Ztg. 1875 Taf. 6) mag zugleicb zeigen, welcber weite Weg tier Entwickelung bier durchscbritten ist; wie tier Process tier Emancipation von tier tektonischen Gebundenbeit durcb die Gefassform scbon in jenen alteren Vasen im einzelnen damit beginnt, dass an die Stelle einer ganz scbematiscben Andeutung tier llaare durcb Reilien von kleinen Halbktigelcben natitrlicb gewelltes Haar gesetzt wird, dann tier Kopf durcb eine liobc Stepbane von den rundlichen Formen ties Gefassbaucbes sicli loslost, endlicb tier Hals und ein Stiick Scbulter binzugefugt wird, bis die nun ungebundener fortschreitende Entwickelung in unserer spateren Yasenclasse zu ganz freien, edit plasti- sehen Gebilden fiilirt, liei denen die Gefassiniindung nur noch ein conventionelles An- hangsel ist, das eben so gut felilen kbnnte, oline dass man irgend etwas vermissen wiirde. Schroffer vollzieht sicli dieser Process der Loslbsung in deni Farbenschmuck dieser Kopfe. Audi jene altere Stilgattung zwar liatte sicli nicht mit deni Rotli des Thongrundes und deni schwarzen Yasenfirniss begniigt. Dock wird der erstere nodi durckgangig als Grund- farbe des Gesiclites verwandt, und nur Lippen, Nasenlocher und Haare mit einer eigenen leucktend rotlien Farbe bemalt, der Augapfel weiss gefarbt und mit Vasenfirniss uni- randert, mit dem aucli die Pupille angegeben wird; gewolinlich wird dann auch noch ein weisser schmaler Kranz um den Ivopf gemalt. Mit den bescheidenen Traditionen dieser Polychromie bricht unscre Vasenclasse vollstandig, indem sie eine Untermalung von weissem Pfeifenthon zur Grundlage fiir die Farbenstimmung an den figurliclien Theilen ihrer Ge- fasse macht und den schwarzen Firniss ganz auf die wenigen noch iibrigen Vasenrudi- mente zuriickdrangt. Dadurch ist die Kluft zwischen beiden Elementen dieser hybriden Compositionen noch erwcitert, und je unscheinbarer die eigentlichen Getasstheile erscheinen, desto melir beginnt fiir den plastisclien Schmuck der Vorderseite jene Epoche reiclier und lichter, durch Yergoldung gehobener Polychromie, welche fiir die gesammte Vasentechnik im vierten Jahrhundert anbricht, in deren Entwickelung sicli also auch unsere Gefiisse ganz ungezwungen einordnen lassen. Dock wird iilier diesen Zusammenhang mit gleichzeitigen Erscheinungen und tiber die Frage nacli der Datierung unserer Gefiisse wol besser liei einer Besprechung dieser ganzen Classe von Vasen gehandelt. llier will ich nur noch hemerken, dass unter den beiden eben beschriebenen Gefassen das pariser (Taf. I, 1 und 3) rnir insofern etwas zu einer genaueren Fixierung der Epoche unserer Vasentechnik beitragen zu konnen sekeint, als es durch seine, mir wenigstens selir auftallende Aehnliclikeit mit den Kopfen, welche auf die knidiseke Aphrodite des Praxiteles zuriickgefiihrt werden — man selie nur die Form von Stirn, Augen und Mund und aclite auf das Verhaltniss derselben zu den be- sonders vollen Wangen • — uns nbthigt, wenigstens bis in die zweite Halfte des vierten Jahrliunderts herabzugehen. Denn damals friihestens kann dock jeuer Tyjius erst im Kunsthandwerk die kanoniseke Geltung erlangt haben, welche er, nach den uns erhal- tenen Terracotten zu urtheilen, allmahlig wirklich erlangt hat. Die Lekythos mit der Sphinx aus der Lanckoronskischen Sammlung, auf Taf. I 5, ist, wie mich der Handler, von dem sie der jetzige Besitzer erstanden hat, ausdriicklich versichert, in Korinth gefunden (nicht in Tanagra, wie eine andere Version lautet). Sie ist nach dem beigefiigten Maassstab c. 0,15 M. hock. Von dem Farbensckmucke, der often bar auch liier nicht gefehlt hat, soli nichts melir iibrig sein, als die weisse Unter- malung mid der sekwarze Vasenfirniss an Miindung und Henkel des Gefasses. Es mag also auch bier versuckt werden, durch eine besser erhalteue Wiederholung eine aniuihernde 9 Vorstellung von den verlorenen Farben zu gewinnen, was, da die Gefiisse unseres Stiles sicli auch in der Weise ihrer Polycbromie sebr ahnlieb zu sein pflegen, bis zu einem gewissen Grade moglich sein wird. Fine sclione Lekythos in Spbinxgestalt , deren Formen in allem wesentlicben mit unserem Gefass ubereinstimmen , ist nainlicb im Jahre 1 SOU auf Taman gefunden und von Stepliani im Compte-rendu cle la comm. arch. p. 1870/71 Taf. I, 1 und 2 veroffent- liclit worden. Hier ist der Leib der Sphinx bis auf die vergoldete Scbvvanzspitze weiss gemalt, das Detail der Fltigel mit Hell- und Dunkelblau gegeben, Brust und Gesicht aber mit einem leise rothlichen Fleiscbton von ungemeiner Zart licit und feinster Nuancierung in dem Roth der Wangen coloriert. Roth sind auch die Lippen, die Augen blau; Haar, Perlschnure und die Rosetten auf der purpurnen Stepbane vergoldet. Auf den Feldern zwischen den Fitssen der Sphinx weisses Ranken- und Palmettenornament auf blass- rotbem Grnnde; die Basis oben blau, an den Seitenflacben blassroth (she. Stepliani a. a. 0. S. 8 ff.). Yon dieser Farbenvertbeilung werden die bauptsachlicbsten Ztige auch ftir unsere Sphinx gelten: so das Weiss des Korpers, die Fleischfarbe von Brust und Gesicht; nach der constanten Praxis dieser Gefiisse (vgl. S. 6) auch das pracbtige Roth der Stepbane und die Vergoldung der Rosetten; endlich vielleieht auch das Blau des Gefieders. Anderes werden wir uns bescheidener zu denken haben, wie denn iiberhaupt miser Gefass nicht nur kleiner ist (urn etwa 6 Centim. ), sondern sicli auch in der Ausfiihrung des Ein- zelnen wol nicht entfernt mit jenem petersburger Prachtstiick messen kann, in dem wir das gesammte kiinstlerische Kbnnen dieser Kunstgattung auf seinem hbchsten Gipfel erblicken. Dennoch setzt cine Vergleichung beider Stticke ausser alien Zweifel, dass sie auf ein gemeinsames Muster zuriickgehn. Die kleinen Abweichungen unseres korinthisclien Gefasses vom bosporanisclien : das Zuriicksetzen des rechten Vorderbeines der Sphinx, die stufenfbrmige Gliedcrung der Basis und ilire Verzierung mit Rosetten, koniinen der in die Augen springenden Uebereinstimmung in Aufbau, Formen und Teclinik gegeniiber gar niclit in Betracht. Ich weise auf diese auffallende Uebereinstimmung ausdriicklich bin, weil sie mir trotz der Verschiedenheit der Fundstatten auf einen gemeinsamen Fabrik- ort, oder docli auf cine Abstammung aus genau derselben industriellen Tradition liinzu- deuten scheint. Vergleichen wir dagegen cine verwandte Darstellung aus alterer Fpoelie. In den von Simmaco Doria 1872 bei S. Maria di Capua aufgedeckten Grabern fand sicli unter anderem auch ein Gefass in Form einer Sphinx, iiber das Helbig ini Bull, dell’ Inst. 1872 S. 42 No. 3 berichtet bat. Dasselbe ist sp liter aus dem Besitz des Herrn Alessandro Castellani in das British Museum iibergegangen und dort in einer Sammlung von Plioto- graphieen vervielfiiltigt worden, welche den Titel fiilirt: The Castellani Collection, photo- 10 graphed by S. Thompson from a selection made by C. T. Newton (London 1873, fo.) 2 ). Diese londoner Sphinx hat ziemlich die G-rosse der petersburger und kauert in derselben Weise wie diese auf den Hinterbeinen, eine Gefassmlindung auf ihrem Riicken tragend. Diese letztere hat aber nicht die Lekythosform unserer Yasen (die Bezeichnung als ala- bastron bei Helbig beruht auf einem Irrtkum), sondern sielit elier dem breiten Ende eines Rkyton ahnlick, mit dem sich das gauze Gefass urn so hesser vergleichen lasst, als aucli Helbig bemerkt: tra le gambe dinanzi e praticata una bocea destinata a fare scorrere il liquore contenuto net vaso. Wir haben bier also eine Art Rhytonbildung, fur die sicli aucli in unserer Vasenclasse wenigstens ein Beispiel tindet: das Gefass mit dem stehenden Dionysosjiingling aus Taman ( Antiq . du Bosph. Cimm. Taf. 70, 7. 8. Stephani: Vasens. d. Erem. No. 2227 und Taf. 6 No. 269). Neben diesem am Boden tindet sicli ein durch- bolirtes Panthermaul, dessen Oeffnung mit der weiten Gefassmlindung, welche das Haupt des Gottes tiberragt, in Yerbindung steht. Giebt es also aucli ftir diese absonderliche Gefassform eine Analogic in unserer Epoche, so widerspricht andrerseits die Ausschmiickung der Vasenmiindung und der ebenfalls schwarzgetirnissten Flachen zwischen den Beinen der Sphinx mit den gewohnten roth ausgesparten Figiirchen der gemiissigt strengen Vasen- malerei durchaus den Gewohnheiten unserer Gefasse, die dieser bescheidenen Technilc hoclistens einmal den Palmettensclimuck fiir die Rtickseiten ihrer Vasen iiberlassen. Die Gestalt der Sphinx selbst an dem londoner Gefass zeigt in Gesichtsziigen und Haltung nocli die voile Strenge der Kunst des fiinften Jahrhunderts, und man braucht bios das ziemlich schmucldose, steif und troeken gerade vor sich hinblickende nnsclmldige Kopfchen derselben mit dem sebonen, iiberreich geschmtickten Haupte der Petersburgerin, dessen amnutiger Wendung und Neigung, ihrem verfiihrerischen Blick und dem siissen Lacheln zu vergleichen, uni die gauze Klnft der Zeiten gewahr zu werden, welche diese beiden Cahinetstiicke scheidet. Bezeicknend genug ist dagegen die strenge und energische Mo- dellierung des schlanken Spbinxkorpers an dem alteren Gefasse den weichen, unbe- stimmteren Formen des jiingeren selir iiberlegen. Die scheme tektonisclie Wirkung der- selben wild nocli gekoben durch die in orientalischer Weise stilisierten Fltigel, an deren Stelle die spatere Kunst fast dnrchgangig, wie aucli unsere Gefasse zeigen, eine melir der Natur angenalierte Form gesetzt bat. Jener Strenge der Formen entspriebt die einfache Farbung. Helbig beriebtet nur von dem Weiss des Spbinxkorpers und der Vergoldung des Haares und der Gorgoneia auf der Brust. Das Gesicht scheint demnach keinerlei Abtonung des Weiss zu zeigen; dock wird man fiir die Lippen jedenfalls rothe Farbe voraussetzen miissen und die Um- 2 ) Ich clanke es der Giite des Herrn Prof. Micliaelis, dass icli das betreffende Blatt t»e- lmtzen kann, um das ich mich his dahin vergehens bemiiht, weil, rvie ich hore, die Originalplatte gesprungen ist. 11 ran derung von Augen unci Fliigelfedern durcli Farbe lasst aucli nocli die Photographic erkennen. Bei alien diesen Verschiedenheiten zwiseben den beiden Gefasstypen ist dennocb ill re Verwandtscbaft unverkennbav: man siebt, es sind Glieder einer and derselben Ent- wickelungsreibe. Also auch bier arbeitet unsere Vasengattung mit uberlieferten Typen, erweiclit ibre stilvolle Strenge zu gefalliger freier Anmut und verdrangt die altmodischen rotben Figuren tier Vasenmalerei zu Gunsten der plastiscben Hauptgestalt, die nun mit alleni Reiz eines mannigfaltigen bildneriseben Details, mit allem Glanz einer reicbeu und lichten Polycbromie ausgestattet wird. Es bleibt urns nocli zu erbrtern, in welebem Sin lie die Spbinx an dem Salb- flascbcben angebraebt ist. War es einfacb eine tektonisebe Tradition, der unsre Kiinstler um der formellen Vortbeile willen folgten, welcbe die Gestalt der Spbinx fiir dergleicben Zwecke darbot? War es die Absicbt das Gefass mit einem ttnoTQoncuov auszustattenV Oder baben wir einen feineren Bezug zwiseben der Spbinx und jener Welt des Putzes und Schmuckes vorauszusetzen, innerlialb deren sie als Salbflascbclien ersebeint? Der ersten Annabme ist das in diesem Vasenstile fast uberall wabrnebmbare Be- streben einer sinnreicben Verkniipfung des Inbaltes der figiirlichen Darstellung mit der Bestimmung der Gefasse niebt giinstig. Dass ferner das Bild der Spbinx an Vasen so gut wie an bundert anderen Geraten urspriinglicb den Sinn eines uttotqoticuov batte, sebeint durcli zabllose Analogieen allerdings sicber und class diese Bedeutung der Spbinx auch in der Vorstellung unserer Kiinstler nocli lebendig war, dafiir mag man die Gor- goneia auf der Brust des londoner Exemplares geltend maclien. Aber, wer fiir sein Gerat Scliutz vor Zauber wiinschte batte ja unter einer grossen Zalil gleich abwebrkraftiger Ge- bilde die Wahl und es bliebe immer nocli zu erldaren, warum gerade dieses gewahlt wurde. Endlicb wire! sicli kaum Jemand vor dem sebbnen Kopfeben der petersburger Spbinx, in clem der Kiinstler sicbtlich bestrebt war, wie geflissentlich alien Scbmuck, alle Anmut und alien Liebreiz zu vereinigen, ilberreden kbnnen, class das alles nur von clem Gedanken eingegeben sei, fiir sein Oelflascbcben eine sebeuebende und sebiitzende -Gestalt zu bilden. Diese verfiibrerische Schbnbeit des Kopfes war es unter anderem, welcbe aucli schon Stephani zu der Vermutung gefiibrt bat, class bier auch and ere Idednassociationen wirksam gewesen seien, (sbe. C-R. 1870/71 S. 10 u. 145). Fiir die bildende Ivunst ist die Spbinx ja iiberbaupt niebt nur jene ojyucuo e, [uccHpovog der Poesie, welcbe sie fast nur als das mordende Ungeheuer der thebaniseben Sage und allenfalls nocli unter den Ungetbiimen der Unterwclt (Sil. Ital. XIII v. 590 if) einzufubren Gelegenbeit batte. Es ist vielmebr aufgefallen, wie wenig die an tike Kunst das Grasslicbe und Entsetzlicbe in ibr selbst claim zum Ausdruck bringt, wenn sie reclit eigentlieb als die Wiirgerin dargestellt werden sollte (Overbeck Gall. her. Bildio. S. 26 f.). Icb will bier niebt untersueben, wie viel von diesem Umstand auf Recbnung dessen O * 12 kommt, dass die griechische Kunst ihre Sphinx gestalt in einem bereits vollig verfestigten Typus iibernalnn, wieviel deni allgemeinen Euphemismus der griechischen Denkweise zu- zusclireiben ist: jedenfalls hat die hildende Kunst die tausendfachen Veranlassungen, welche sie auf ihrem Gebiete liatte die Sphinx darzustellen, dazu henutzt, aus ihr eine der anmutigsten Gestalten zu schaffen, welche die antike Fabelwelt kennt. Wahrscheinlich ist es also ihrem Einfluss zuzuschreiben, wenn auch in Dichtung and Lehen die Vorstellung Eingang gewonnen zu haben scheint, die Sphinx sei nicht nur ein verderhliches Unge- thiim, sondern auch ein Wesen von verfubrerischer Schonheit gewesen. Die Sphinx mag also in der antiken Pliantasie einen ahnlichen Process durchgemacht haben, wie er fur die Sirene nacbgewiesen ist (Schrader, Sirenen S. 60 if. Stephani C-R. 1866 S. 26 tf. 56) die, vielleicht aus demselbcn Grunde, ehenfalls unter den Bildern unserer Getassgattung wicderkchrt (C-R. 1870/71 Taf. 1,6) und iiberdies auf Bildwerken hautig mit der Sphinx zusammengestellt wird (Beispiele bei Stephani C-R. 1870/71 S. 145 tf.). Eine eingehendere Untersucliung liber die Sphinx, (vie wir sie wol von Stephani erwarten diirfen, wird fit r diese Vorstellung ohne Zweifel zahlreichere Spuren nachweisen konnen; wir mttssen uns bier damit hegnugen einer gelegentlichen Anriihrung desselben (C-R. 1864 S. 108) eine Stelle zu entlehnen, die wenigstens das Vorliandensein soldier Anschauungen beweist. Plutarch namlich bei Stob. Floril. 64, 31 konnte nicht nur mit den Worten eines Tra- gikers (Nauck Tray, gr.frgm. adesp. 455) den verfiihrerischen Glanz des Getieders der Sphinx schildern, sondern sie auch selbst mit der schnieichelnden Gewalt der Liebe ver- gleiehen. Und auch bei den haufigen Bezeiclmungen der Hetaren als Sphingen (she. die Stellen bei Pape-Benseler: Worterb. gr. Eigennamen s. v. ~