1 Jii^ spr jp . . ijn" **-’ 4H|B^ i»p»i^ iA £j|. ? S V 1 ■'-C ■■ Digitized by the Internet Archive in 2015 i ^ t https://archive.org/details/lebenundwerkedesOOjans Kopf der Roxane. Von Soddoma. Lebeii mid Werke des Halers diovannantonio Bazzi von Vercelli genannt il Soddoma. Als Beitrag zur Gescliiclite der italienisclieii Renaissance ziim ersten Male besclirieben von Albert Jansen, Stuttgart. Ye r lag von Ebner & Seubert. 1870, r)ruck von KMIL MllLLER in Stuttgart. Inhalts -Verzeichniss. Pag. Eilileitung 1 Allgemeines iiber italienische Renaissance. Literatur zu einer Biographie Soddomas. Erster Abschnitt. Lehrjahre. 1480 — 1500 . . 8 Vaterstadt und Eltern. Vercelleser Maler. Giovannantonio in . der Lehre bei Spanzotti. Leonardo da Vinci in Mailand und sein Einfluss aiif Giovannantonio. Zweiter Abschnitt. Wanderjahre. 1500—1515 21 I. Uebergang Sienas aus dem Mittelalter in die Renaissance: 21 in der Politik, in Wissenschaft und Kunst. II. Giovannantonios erste Werke und Studien in Siena und Umgegend 41 Tafelbilder nach Leonardos Art. Einfluss Pinturicchios. Fres- ken in S. Anna und Montoliveto Maggiore. Staffeleibilder. Nachahmung Peruginos und Wetteifer mit Pcrugino und Pinturicchio. III. Giovannantonio in Rom 72 Malereien im Vatican. Zur Charakteristik. Einfluss der Antike. Fresken auf dem Capitol. Riickkehr nach Siena. Verheirathung. Ursprung des Beinamens Soddoma. Zweite Romreise. Villa Chigi. Leo X. erhebt Giovannantonio in den Ritterstand. Leben in Rom. Antike Vorwiirfe, -IV Dritter Abschnitt. Meisterwerke. 1515 — 1537 IIG I. Soddoma imd die neue sienesisclie Schule IIG Pacchia. Beccafumi. Fungais spatere Arbeiten. Soddomas Riickkehr von Rom. Beschaftigimg durch die Dombau- verwaltnng ii. s. w. Oratorium von S. Bernardino. Wo war Soddoma von 1519—1524? Ziir Geschichte. II. Soddoma auf dem Hdhepunkte seiner Kunst 132 Tafelbilder von 1525 etc. (Der S. Sebastian in Florenz etc.) Catharinenkapelle von S. Domenico in Siena. Zeichnungen imd Skizzen. Zerstreute Bilder in einzelnen Gallerien. Die Einzelfiguren im Palazzo Pubblico in Siena. Bilder in S. Spirito. Vergleich des S. Sebastian al fresco mit dem Oelbilde in Florenz. Fresko iiber Porta Pispini in Siena. Selbstportrat in Florenz. Auferstehung al fresco im Sieneser Rathhanse imd das Oelbild in Neapel. Anbetung der Konige, Altarbild von S. Agostino in Siena. Fresken in S. Agostino etc. etc. Schluss. Lebensende. 1537 — 1549 177 Die Marktkapelle in Siena. Am Hofe von Piombino. Zer- wiirfniss mit Siena. Reise nach Volterra, Pisa, Lucca etc. Letzte Oelbilder und letztes Fresko. Riickkehr nach SienR. Ein Brief von Aretino. Gesammturtheil. Stilles Ende. Einleitung. Soddoma zahlt niclit unter die gliicklichen Kiinstler, deren Namen aller Orten in Italien und weit und breit iiber dessen Grenzen hinans bekannt geworden sind. Zahlreiche Staffeleibilder , welche so leicbt den Ort und Besitzer wechseln konnen, welche, uberallhin zerstreub Kiinstlern und Kunstfreunden gleichsam von selbst entgegenkommen, hat er nicht verfertigt. Das Meiste 'Und Beste schuf er als Fresko- maler. Aber man weiss, wie sehr gerade Wandgemalde der Unbill der Zeiten ausgesetzt sind, und dass sie immer am ersten von den wechselnden Launen und Bediirfnissen der Menschen zu leiden haben. Und so sind denn auch nicht wenige Werke dieser Art , die Soddoma entwarf , arg verletzt oder ganz zerstort worden. JSiichtsdestoweniger, kann man sagen, hat doch das Geschick mit besonderer Gunst und Schonung iiber diesen seinen Schopfungen gewaltet. Sehr viele derselben und erfreu- licher Weise diejenigen, welche an und fiir sich den hochsten Kunstwerth oder fiir die Entwickelung des Kiinstlers die grosste Bedeutung haben, sind uns wenn nicht ganz unversehrt, doch wenig geschadigt erhalten geblieben. Allein zum Nachtheil fiir den Ruhm Soddomas befinden sie sich in und bei Siena, das nicht an der grossen Heerstrasse der Reisenden liegt, oder in Rom in den oberen Raumen der Yilla Farnesina,, wo sie der gegenwartige Besitzer Einheimischen und Fremden seit Jahren fast ganz verschlossen halt, und wo sie immerfort durch die Rahe von Rafaels vielgeriihmten und vielgefeierten Werken wenigstens in den Augen der Menge beeintrachtigt worden sind' Yon stomtlichen Originalarbeiten Soddomas sind dann iiber- dies ausserordentlich selten Copien oder Nachbildungen in Stich Jansen, Soddoma. 1 2 und Holzschnitt gemacht worden. Diesem Meister ist nichts von alle dem zu Theil geworden, was sonst die Werke eines Kiinstlers allgemein verbreiten und popular macben kann. Sonderbares Gescbick! Immerfort, in alien Jabrhunderten haben die grossten Kenner Soddoma bewundert und gepriesen. Und Jeder, der beutzutage an seine Gemalde berantritt, ist erstaunt und betroffen, nicbt bios iiber die ungewobnlicbe Scbon- beit derselben, sondern vornebmlicb dariiber, dass sie fiir ibn gar nicbts Fremdartiges entbalten, dass sie ibn vielmebr innei- licb so sympatbiscb anmutben, als waren sie eben fiir ibn ent- worfen worden, als spracben sie rein und voll unser modernes Fiiblen und Empfinden aus. Wir scbmeicbeln uns gern damit, unsere Gegenwart der Epocbe der italieniscben Renaissance verwandt und wesensgleicb zu finden: aus den Werken Sod- domas tritt uns eine Geisteseinheit beider Zeiten in der That iiberraschend entgegen. Gewiss besass die germanische Nation im fiinfzehnten und secbszebnten Jahrbundert Maler und Bildbauer, die sich in der technischen Ausbildung, die sicb in der Tiefe des Gefiihls und im Reichthum der Erfindung mit den ersten Talenten Italiens inessen konnten. Allein die Hervorbringung eines allgemeingiltigen modern-klassischen Styles blieb doch selbst den Kraft und Yischer , den Diirer und Holbein versagt. Darum hauptsachlich, weil sie nicbt im Stande waren, sich aus den Schranken jenes germanisch-christlichen Geistes zu befreien und zu erheben, welcber dem katbolischen Mittelalter seinen eigenthiimlicben Cbarakter und doch aucb der Reformation ihren Ursprung und ihr Wesen verliehen hatte. In Luthers durch und durch religioser und acbt deutscher Natur behielt Paulus iiber Aristoteles und die tiefsinnige alte Mystik iiber den fornavollendeten gelehrten neuen Humanismus stets die Oberband. Wenn nun begeistert und begeisternd die deutscbe Kunst in den Dienst seiner Lebre trat, so offenbart sich etwas durchaus Aehnlicbes an ihr. Sie bleibt, was sie war: aus- scbliesslicb national und fromm, kindlich befangen und kiihn verwegen, engbeschrankt und unendlich reicb, oft so kleinlich -- 3 in ihren Gestaltungen und so wunderbar erhaben in ibren Ideen, oder einfach gross im Gedanken und phantastisch in seinem Ausdruck, wabrhaft ideal im Geiste und nicht selten bizarr realistisch in den Formen^ voll ergreifender , ja iiber- waltigender Einbeit in der Empfindung und docb wieder gar mancbesmal wild verworren und zerstreut in der Composition. Mcbt aus der Fiille des Lebens, nicbt aus Pbilosopbien und Eeligionen kann die bildende Kunst Mass und Gesetz, kann sie die ihr notbwendige Harmonie und die ihr gemasse Ideali- tat entnehmen. Aus sicb selbst beraus, aus ibrer eigensten innersten Eatur muss sie die Scbonbeit berVorbringen, Das nun batte eben die Antike gethan. An diese sicb wieder anzu- sobliessen und in der Yereinigung mibdieser sicb umzugestalten, das wurde der italieniscben Kunst des fiinfzebnten Jabrbunderts vor alien anderen aus ausseren und inner en Griinden nicbt nur ieicbt, sondern durcb die Gesammtentwickelung des Lebens geradezu mit Kotbwendigkeit geboten. In der Eenaissance kommt aber dann der italieniscbe Genius zu einer Freibeit und Selbststandigkeit , wie sie der romiscbe wobl niemals besessen batte, und er erzeugte Werke von einer Formvollendung und idealen Hobeit, wie sie vordem einzig und allein nur den Hellenen eigen gewesen waren. Es ist nicbts weniger als eine iibertriebene Bebauptung, dass das Zeitalter der Medicaer nacb dem Perikleiscben und Augu- steiscben die bervorragendste und weiteste Bedeutung fiir die Entwickelung der scbonen Kiinste gebabt bat. Wir steben nocb beute unter ibrem Einfluss. Mcbt als ob sie sicb seit ibrem Beginn gleicbmassig zu immer boberen, scboneren Zielen entfaltet und erboben batte. Bei ibrer Tbeilnabme am kircblicben Freibeitskampfe konnte die deutscbe Kunst unmoglicb verlieren : sie verkiimmert viel- mebr durcb das politiscbe Ungliick der Nation und erlag dann dem allgemeinen Siege einer geistigen Eicbtung, welcbe der ibrigen vollkommen entgegengesetzt war. Das ganze Werden und Sein der italieniscben Eenaissance war romiscb-beidniscb, was sie aucb da nocb auf das deutlicbste verrietb, wo sie zum 4 Ansdrucke imd ziir Verherrlichimg der grosseii katholischen Reaction gebrauclit wurde. Indem sie aber ebenso oft das Werkzeiig als das Product einer lioclist cnergischen einseitigen kircblichen Tendenz wurde, musste sie mit ilirer urspriingliclien Freilieit aiicli ihr walires Lebenselement verlieren und auf unheil- volle Balm geratlien. Aeusserlicb freilicli ersclieint sie imendlich friiclitbar und reicli. Die italienisclie Renaissance wird zur roinanisclien, zur katliolischen Kunst u])erliaupt. Alle Talente Italiens und Spaniens, Frankreiclis und der Mederlande scliaffen in ilirem Greiste. Selbst der Protestantismus muss sick uberall der Herrscliaft derselben fiigen. Und sebr bald erliob sick die allgemeine Meinung, man kabe nicht nur Michel Angelo und Rafael libertroffen, sondern die Antike selber an jeder Stelle itberkolt. Eben auf dem Hokepunkte der Selbsttausckung kekrte jedock die Besinnung zuriick. Die Wahrkeit der Natur und die Sckbnkeit der klassiscken Form, beides war vollstandig ver- loren gegangen. Beides wieder zu gewinnen vereinten sick nun Romanen und Germanen, und Rousseau und "Winkelmann wurden die Herolde einer neuen Zeit. Fiir die redenden Kiinste ist in Goethe der ersehnte Meister erschienen : aber den l)ildenden hat das Gesckick nock bis heute eine gleicke Gunst versagt. Die sogenannten „ klassiscken “ Kunstlersckulen kaben trotz sekr gelehrter Kenntniss der Griecken und Romer dennock kaum da oder dort einmal etwas geleistet, was wirklick von antikem Lebenshauck beseelt und durckdrungen ware. Mockte nun auck im Gegensatz zu iknen die neue ckristlicke Romantik den besten "Willen und sogar eine unfasslicke Selbst- verleugnung in Sacken der Dogmatik und des Glaubens an den Tag legen: alle ikre Werke kamen niemals iiber Rackakmungen kinaus, welche nickt selten frostig und unerquicklick affectirt sind, und nack Form und Gekalt jederzeit dem Gesckmacke und Geiste unserer Gegenwart widersprecken. Daker wendet sick denn aucli nock keute die allgemeine Theilnakme wie die Forsckung und das kiinstleriscke Streben imrner wieder am liebsten zu den AVerken der italieniscken 5 Kenaissance zuriick. Denn in ilinen, wenn irgendwo, ist der antike Geist zu nener ScliafFenslust erstanden, und in ihnen allein ist der Gehalt des Christenthums zu edelsclioner Er- sckeinung gebracht. Es ist dock,* als hatte jene mystisclie Yermablung Fausts mit der Helena nur in Italien im fiinf- zehnten Jahrhundert vollzogen werden konnen. In diese Epoche blickt denn auoh ganz Italien aus einer zweifelhaften Gegen- wart iiber traurige Zwiscbenzeiten hinweg mit Freude und Stolz. In ihr suchen wetteifernd mit den Einheimischen die Fremden nach jenem Leitsterne, der unser gesammtes Streben nach erwiinschten Zielen fiihren soli. Allen Hervorbringungen der Zeit widmet man seine Aufmerksamkeit, seine Theilnahme. Fiir die Erkenntniss des Ganzen hat auch das Kleinste Werth, und selbst das Geringste iibt seine Anziehungskraft und seinen Zauber aus. Soddoma gehort nioht unter die grossten Maler seiner Zeit, allein wiederholt ist ihm das Grosste gelungen. Er besass wenig klassische Gelehrsamkeit und noch weniger christlich- kirchlichen Eifer, allein in seinen Gemalden entziickt er uns durch acht antikes Empfinden, ergreift er uns durch wahrhafte religidse Innerlichkeit. Derjenige aber, der den Charakter und den Lebensgang dieses Mannes betrachtet, wird bemerken, dass er mehr als jeder andere geeignet^ war, in sich und in seinen Werken das innerste eigenthiimlichste Wesen seiner Zeit uns widerzuspiegeln. Hoch niemals ist sein Leben eingehend geschildert, und ebenso wenig sind bis jetzt seine Arbeiten im Zusammenhange gewiirdigt worden. Schon darum diirfte sich wohl auch ein Fremder an diese Aufgabe wagen. Ohne Frage wird das allgemeine Interesse sein Unternehmen rechtfertigen. Und konnen, miissen wir nicht Alle wenigstens in der Kunst und in der Wissenschaft etwas kosmopolitisch bleiben oder werden? Yasari hat die Ehre, von Michel Angelo in einem Sonett dafiir gefeiert zu werden, dass er als Maler und Schriftsteller mit der schonen und lebengebenden Natur gliicklich gewett- eifert, dass er dem Schicksal zum Trotz durch seine Biographien 6 sich selbst und Anderen imvergangliches Dasein gegeben babe. Wie maiicher Kiinstler lebt in Wahrheit einzig imd allein durch Yasari im Andenken der Menschen fort! Auch Soddoma. Zeit- genossen haben an Yasari Billigkeit und strong gerechten Sinn geruhmt; Spatere fanden wiederholt Gelegenheit, ibm beides abzusprechen. Allein kein Maler, nicht einmal PinturicchiOy ist von Yasari so hart und so gehassig behandelt worden, als Soddoma. Zur Erklarung muss man jetzt einen Umstand ins Auge fassen, der bisher ilbersehen wurde. Der Yerfasser der Kiinstlerbiographien hat bei Michel Angelo nicht allein zur Beurtheilung von Kunstwerken seinen absoluten Massstab ge- funden. Yielmehr misst er auch bestandig den sittlichen Worth der Menschen an jenem einzig reinen, aber zugleich schroff herben Charakter, der denn doch in jeder Hinsicht einsam durch sein Jahrhundert wandelt. Wenn nun der Kritiker Yasari in Anbetracht eines solchen Yorbildes selbst gegen Eafaels Schopfungen, selbst gegen Eafaels liebenswiirdige, hinreissende personliche Grazie seine Augen verschliessen oder gar verblenden lassen kann: dann wird es schwerlich Wunder nehmen, dass er den verwegenen, riicksichtslosen , ausgelassenen Sinn so mancher Manner des filnfzehnten Jahrhunderts gar nicht be- greift und mit pedantischer Strenge schulmeistert. Ueberdies, Yasari malte und schrieb in der Zeit, in der die katholische Eeaction in ihrem vollen Zuge war. Fiir Soddoma kommt dann noch ein Besonderes hinzu. Die Nachrichten, die sein Biograph liber diesen Mann erhielt, erhielt ,er von zwei Gegnern desselben, vom Maler Beccafumi und vom Goldschmied Giuliano Morilli, welche beide Sienesen und beide unter sich eng befreundet waren. Der Goldschmied hatte antiquarischen Sinn: er sammelte Handzeichnungen und Notizen liber Kiinstler. Ein handschrift- liches Exemplar von Cenninis „libro dell’ arte“ ist aus seinem Besitz in denjenigen Yasaris gekommen. Beachtung fordert endlich auch der Umstand, dass Soddomas Leben bei Yasari nicht in der Ausgabe von 1550, sondern erst in der von 1568 erschien. Durch kritische Bemerkungen und chronologische Sichtung, durch Yerbesserungen und Zusatze verschiedener Art haben — 7 die neuen Herausgeber der Kiinstlerbiographien viele und grosse Dienste der Kunstgeschicbte geleistet. Und da sie vor- nehmlich Sienesen sind, so ist ihre Thatigkeit besonders der Sienesischen Malerschule und damit auch Soddoma zu Grute gekommen. Einer von ibnen, Gaetano Milanesi, bietet ausserdem in seinen Documenti per la storia delF arte Senese eine Fiille von neuem und werthvollem Material. Sehr wicbtige Ergan- zungen dazu bringt dann der erste Tlieil der Miscellanea di storia Italiana. In diesen veroffentlichte 1862 Luigi Bruzza: „Hotizie intorno alia patria e ai.primi studj del pittore G. A Bazzi detto il Soddoma. “ Manches Beachtenswerthe findet sich in Compilationen des siebzehnten Jahrhunderts , in Ugurgieri „Pompe Senesi“ und in Padre della Yalle „Lettere Senesi“. Ueber viele Punkte gibt das tiichtige Buck „ Siena e il suo territories, 1862, Aufklarung und Belehrung. Wer Soddomas Leben verstehen will, kann es natiirlich nicht obne ein Ver- standniss der Zeit, in die es fiel. Hier ist es genug, auf zwei Specialgeschichten hinzuweisen. Die eine, gedruckt 1755, ist Pecci „memorie storico-critiche della citta di Siena “ und die andere, welche 1869 erschien, Bartolomeo Aquarone „Gli ultimi anni della storia repubblicana di Siena. Introduzione.s Trotz aller Forscbung bleibt noch manches Einzelne in Soddomas Leben dunkel und verborgen, allein was wir davon wissen, reicht bin, um seiner Personlicbkeit bis in das Innerste zu blicken. Seinen kiinstlerischen Charakter offenbaren seine Werke. Erster Absclinitt. Lehrjahre. Die Stadt Yercelli liegt angenehm und freundlicli gebaut in der Ebene des Musses Sesia. Aus dem Besitz der Mai- landischen Visconti ist sie 1427 an den weisen und friedferti- gen Amadeus VII. von Savoy en gekommen, der 1434 seinen Herzogsmantel mit dem Kleide des Einsiedlers vertausclite und 1449 die Papstkrone um der kirclilicben Einheit widen wieder ruhig von seinem Haupte gab. Oft haben seine Nachfolger auf dem Scblosse von Vercelli Hof gehalten. Volk und Fiir- ' sten zeicbneten sich durch milde Sinnesart aus. Es ist ein kostlicber Huhm der Stadt, dass sie sich lange und energised gegen Ketzerverbrennungen gewebrt hat, und dass auf ihrem Gebiete verfolgten Waldensern eine Zufluchtsstatte gegonnt worden ist. Die Stadt hob sich schnell unter dem Savoyischen Herrscherhause und zog aus alien Ortschaften in der Nahe riihrige und strebsame Fremde an. Aus Biandrate kamen gauze Familien. Eben aus diesem Oertchen, wenige Meilen nordlich von Vercelli gelegen, stammte der Schuhmacher Giacomo Bazzi, des Antonio Bazzi Sohn. Es war ein fleissiger und braver Mann, dem es darauf ankam, sich einen Sparpfennig zuriickzulegen. Der „diirre Jacob “ hiess er beim Volke. Am 26. Januar 1475 alten Kalenders miethete er sich eine Werkstatt mit ein paar Zimmerchen dahinter oder driiber in der Parochie San Michele, im Hause des Lorenzo Fufione. Er war Meister ge worden, und im folgenden Jahre heirathete er Angelina, eine Tochter Nicolas von Bergamo, die ihm eine kleine Mitgift zubrachte. Die Ehe fiel gliicklich 9 aus: mit treuherziger Liebe und Yerelirung hat Meister Jacob sein Leben lang an seiner Frau gehangen. Sie gebar ihm drei Kinder, eine Tochter Amedea und zwei Sohne, welche Mccolo und Giovanni Antonio getauft wurden. Aller Walir- ' scheinlichkeit nach ist der letztgenannte auch zuletzt geboren. Luigi Bruzza, der entgegengesetzter Ansicht ist und dessen Meinung bier einzig und allein in Betracht kommt , hat einen zu diirftigen Beweis dafiir angefiihrt und selbst diesen nur auf einen Irrthum gestiitzt. Giovanni Antonio, den die Kunstgeschichte unter dem Kamen Soddoma kennt, erblickte in jener Schuhmacherwohnung bei San Michele in Yercelli 1479 oder 1480 das Licht der Welt. Sehr friihzeitig offenbarte sich seine lebhafte Phantasie und sein Hialerisches Talent. Im Schosse der katholischen Kirche, von ihr gehegt und gepflegt, hatte sich zuletzt im Mittelalter ein reiches Leben der Kunst und des hoheren Handwerks entfaltet. Auch der kleinste Ort hatte fiir seine Kirchen und Kapellen seine Stein- metzen und Holzschneider , seine Maler und Yergolder. Und Yercelli gehorte noch nicht zu den geringsten Stadten Ober- italiens. Boniforto Oldoni, der 1477 oder 1478 gestorben war, war von Mailand her eingewandert, hatte eine ehrenvolle Auf- nahme gefunden und das Biirgerrecht der Stadt erhalten. Lurch seine Werke und seine Unterweisung griindete er eine Art Malerschule in Yercelli. Eben hier sind nach seinem Tode vier seiner Sohne: Eleazaro, Isuele, Efraimo und Ismaele als Maler thatig gewesen. Aus Lodi war um die Mitte des fiinfzehnten Jahrhunderts Giovanni Trissoni gekommen, und zu seiner Familie gehorten Stefano, Bernardino und Ludovico. Yon Giovanni Trissoni wurden nicht jiur Ornamente, sondern auch biblisch-historische Scenen al fresco ausgefiihrt. Lie dritte und wie es scheint die bedeutendste Malerfamilie in Yercelli stammte aus Casale. Es waren die Spanzotti. Martino Spanzotti, genannt Martino di Casale, stand an der Spitze derselben und gait fiir den ersten Meister in Yercelli. Yermahlt mit Costantina Pianta aus dem edeln Geschlecht derer von Lavriano, stand er 10 gesellschaftlich mit den vornehmsten Kreisen der Stadt in Verbindnng. Diesem Manne nun gab Weihnacliten 1490 der Schiihmacher Giacomo Bazzi seinen etwa zehnjalirigen Solm Giovannantonio in die Lelire. Unter den Zeiigen beim Con- tractsabscliliiss war aucli der Edelmann Francesco dei Trissoni, dessen Familie im Bathe der Stadt eine grosse Bolle spielte, imd den man sich gern als Gonner des talentvollen Knaben denken mag. !Niclit uninteressant ist der Lehrcontract. Auf 7 Jahre von Weilmachten 1490 bis Weihnachten 1497 wiirde Giovann- antonio dem Meister Martino di Casale iibergeben. Der Yater verspriclit im Namen seines Sohnes, dass dieser gesetzlicli und getreu ist, dass er nicht List und Betrug libt, dass er Alles, was in seine Hande kommt, dem Meister iibergibt, dass er Alles thnt, was ein guter, gesetzlicher und getreuer Diener zu thun gelialten ist. Der Meister Martino aber verpflichtet sich, den Knaben nach bestem Wissen und Konnen in der Malerkunst zu unterweisen. Das Lehrgeld wird auf 50 Mailandische Gulden festgesetzt, die in sieben Eaten am Anfange jedes Lehrjahres zu bezahlen sind. Audi eine Art ordentlicher Ausstattung soil der Knabe mitbekommen : einen Bock, der brav lang ist (bona longitudine) , zwei Westen und drei Paar Stiefel. Sind aber diese Sachen abgetragen, dann muss der Meister eine ange- messene Kleidung des Burschen beschaffen. Die Hemden hin- gegen und die kleine Wasche sowie deren Beinhaltung hat die ganzen sieben Jahre hindurch der Yater zu besorgen. Der Meister gibt naturlich Alles, was zur Lebensnahrung und Noth- durft gehort, Speise und Trank und ein schickliches Obdach. AYer den Contract nicht hiilt, kann nacli Becht nnd Gesetz festgenomrnen und ins Gefangniss gesperrt werden. Bescliworen wird er vom Yater und vom Meister und mit Yerzichtleistung auf die Bechte des minorennen Alters auch von dem kleinen Giovannantonio. Wenn heutzntage von Kunst und Kiinstlern die Bede ist, so denkt man leicht an anserwahlte Genies, wenigstens an auffallende, ja phantastisclie Frscbeinungen ; man denkt an 11 das vornelime Academiewesen mit den prachtigen Palasten, mit dem reichen imd mannigfaltigen Apparat, mit den Samm- lungen von Biichern und Kunstwerken, und vor Allem mit den berlilimten Professoren, welche nach dem Gesetze einer unendlichen Arbeitstheilung alle moglichen Theile des Konnens lehren, welche Hefte lesen iind hoffahig sind. Im Mittelalter war es nicht so; da war die bildende Kunst eine sohlichte Zunft, wie die Schneiderei oder Schuster ei, und ihre Yertreter waren nach altem Handwerksbrauch Lehrlinge, Gehilfen und Meister. Freilich war das gesammte Handwerk hochgeehrt, und in vielen selbst grossen Stadten waren die Ziinfte mit Ausschluss der Adelsgeschlechter zum Regimente und zur politischen Herr- schaft gelangt. Damals gab es in Wahrheit ein politisches Biirgerthum, das stolz auf seine Arbeit wie auf seine Macht und seine Freiheit war. Allein die Meister Maler und Eild- hauer wird man sich in Riicksicht auf ihr kiinstlerisches Selbst- gefiihl und auf ihr Auftreten als Kiinstler nie einfach und an- spruchslos genug vorstellen. Die Kunst selbst durchaus im Dienste der einen allgemeinen romischen Kirche zeigte von einem bis zum andern Ende des europaischen Abendlandes denselben Inhalt und fast dieselben Formen und Weisen der Darstellung. Kaum liessen sich nationale Yerschiedenheiten bemerken, noch viel schwieriger besondere Eigenheiten ge- wisser Landschaften und Stadte. Ausserordentlich selten machte sich eine personliche Individualitat geltend ; aber geschah es, so kam auch das Wesen derselben weit und breit und auf eine Reihe von Generationen hinaus zur Herrschaft und Gel- tung. Erst auf dem Hohepunkte der Renaissance erscheint das Alles als anders geworden : in Kirche und Staat, in natio- nalen und socialen Yerhaltnissen, in Kunst und Wissenschaft, in der Entwickelung des Allgemeinen und der Individualitat beginnt dann die neue Zeit. Wohl hatte sie auch schon in Oberitalien begonnen : Mantegna’s Kame wurde nicht nur dies- seits, sondern auch jenseits der Alpen gefeiert; Giovanni Bel- lini griindete in Yenedig, Francesco Francia in Bologna seine Malerschule. Im Mailandischen glanzte Ambrogio Borgognone — 12 als Meister aller drei Kiinste, und bereits war eben dort bin Leonardo da Vinci gekommen. Der „durre Jacob der arine Schulimacher von Yercelli konnte nicht daran denken, seinen Sohn auswarts in die Lehre zu einem jener Heroen der neuen Kunst zu schicken. Er that nach seinen Kraften, wenn er ilm daheim anstandig erziehen und , unterweisen liess. Yielleicht war es seinem Geiste auch nicht gegeben, zwischen dem beriilimten Spanzotti in Yercelli und dem beriihmten Leonardo in Mailand einen grossen Unter- schied zu merken. Wenn damals der alte Buonarotti seinen Sohn Michel Angelo in der „Bottega Ghiiiandajos“ oder unter den Steinmetzen im Garten Lorenzo Medicis mit Unwillen und Entriistung sah, so schickte der diirre Jacob seinen Sohn Giovann- ‘antonio mit Stolz zu Meister Spanzotto in die Lehre. Der Schulimacher musste doch immer die Malerzunft iiber die seinige stellen, wahrend ein „Abkommling der Grafen von Canossa“ das Bildermalen und Marmorbehauen fiir wenig standesgemass erachtete. Yon einer Yercelleser Malerschule des fiinfzehnten Jahr- hunderts im Sinne der Kenaissance zu reden heisst die Dinge vollstandig verkennen. Die Oldoni, Trissoni und Spanzotti malten handwerksmassig , der Ueberlieferung in ihren Gestal- timgen und Compositionen streng getreu, Wande und Tafeln der Kirchen und Altare. Dem Yolke gefiel der immer zu erneuernde Schmuck der bunten Earben und der Yergoldungen. Die Bildnisse seiner Heiligen und die Scenen aus deren Leben sah es bestandig in gleicher Weise, und besass gerade da- durch bewusst oder unbewusst die sicherste Gewissheit von der Wahrheit und Wirklichkeit der Dinge. Alles ISTeue und Ungewohnliche iibt freilich einen grossen Beiz, aber den Sinn des Kindes und des Yolkes erfreut und entziickt nichts mehr, als wenn es Bekanntos und Alltagliches im Abbilde vor sich sieht. Aus diesen Andeutungen begreift man den Charakter und die Eichtung der Meisterschule , in der Giovannantonio seine erste Bildung erhielt. Noch 1524 hat sein Meister Mar- tino Spanzotto genau in der altmodischen oder altfrankischen i3 Art und Kimst den heiligen Francisco mit den Wnndenmalen fiir die Kirche desselben in Casale gemalt. Gold, Azur und andere kostbare Farben werden als Hauptsache bei diesem Kunstwerke hingestellt. Dass von all den genannten Yercel- leser Malern auch nicht das geringste auf die Gegenwart ge- kommen ist, darf derjenige bedauern, der den Spnren von Soddomas kiinstlerischer Entwickelung so gern nachgeben mochte. Das erste Bild, das dieser gleicli nach seinem Eintritt in die Lehre seinen Meister anfertigen sab, war ein Altarbild fiir die Tbomaskapelle der Kircbe S. Paolo in Yercelli. Es zeigte die beilige Jungfrau auf dem Tbrone, unten umstanden von Heiligen. Hier waren Tbomas von Aquin, der beilige Hieronymus, der Evangelist und der Taufer Johannes, die beilige Catbarina mit dem Ead und die beilige Lucia. Aucb die Donatoren in bescbeidener Demutb, Mccolo Aiazza mit seiner Ebefrau Linoria feblten nicbt. Der Meister erbielt 50 Ducaten fiir diese TafeL Die Wande eben dieser Kapelle bat damals Giovanni di Trissino bemalt. In dem Contracte, der mit ibm gescblossen wurde, bandelte es sicb acbt band- werksmassig nicht sowohl um die Gegenstande, die er darzu- stellen, als um die Farben, die er dabei anznwenden hatte. Seit 1491 wobnte Martino Spanzotti im Hause der Confienza im Kirchspiel von Maria Maggiore in Yercelli. Ganz in die Eahe zogen 1494 auch Giovannantonios Eltern. In der strengen Zncht der Zeit und unter den Augen des Meisters und Yaters wuchs der feurige, schwarmerische Knabe auf. 1496 offnete sicb ibm zum ersten Male die Pforte ins weitere Leben. Damals sie- delte Martino wieder nach Casale tiber, und da Giovannantonio nocb nicht ausgelernt hatte, so musste er mit dorthin ziehen. Allein eben lief das Jahr 1497 und mit ibm die Lehrzeit des jungen Malers zu Ende, als dessen Yater, der „diirre Jacob in Yercelli das Zeitliche segnete. Er hatte nocb die Freude gebabt, seine einzige Tochter Amedea mit einem gewissen Giovanni Pietro zu vermablen und ihr hundert mailandische Gulden als Mitgift geben zu konnen. Eicht ohne stolze Hoff- nungen, aber auch nicht ohne ernste Besorgnisse wird sein 14 letzter Gedanke an seine beiden Sohne gewesen sein. Er kannte ihre Begabung, aber aiicli ilire haltlos uberstromenden Naturen. Die Mutter, der er nacli seinen eigenen Worten so von ganzem Herzen vertraute, bestimmte er testamentariscli zur Universalerbin all seiner Habe und zur Sacliwalterin und Leiterin der beiden Knaben. Sie sollte fiir alles Geld und Gut weder zur Aufstellung eines Inventars nocli zur Eechen- schaftsablage verpfliclitet sein. Ilirein AYillen und ihrer Ein- siclit wurde Alles anlieimgestellt. Enter den Zeugen des Testamentes begegnen wir auch ^ier Landsleuten des Giacomo aus Biandrate, einem Hufsclimied, einem Fleischer, einem drit- ten Meister und einem, der als Doctor beider Beclite den juristischen Beiratli gewahrt liatte. Mccolo ubernahm, ohne Frage im Namen der Mutter, die vaterliche Werkstatt und lieiratliete 1499, zwei Jahre nach des Yaters Tode, Catharina, die Toohter Giovanni Battistas di Cherio. Sie braclite ihm eine Mitgift von 140 Gulden; aber dreissig Gulden, die seine Mutter fur ilin verausgabt liatte, konnte er 1501 nocli niclit bezahlen. Aus seineni spateren Leben wissen wir nur, dass er 1503 iniindig gesproclien wurde, dass er einnial 1510 in einem der Tliiinne von Yercelli gefangen sass und dass ilini in den Jaliren 1510, 1513 und 1514 drei Kinder, Giacomo, Lucrezia und Angelina, geboren wurden. Sie sind alle drei in Maria Maggiore in Yercelli getauft: ein Beweis, dass er in diesein Kirclispiel und also wolil aucli in der viiterliclien Woli- nung verblieben ist. Ueber die Scliwester Amedea felilt jede weitere Kunde. AYenig Monate nacli dem Tode des Yaters beendete Gio- vannantonio seine siebenjalirige Lelirzeit. Bei der Ausbildung eines Malers jener Zeit denke man nicht an Aktsal und Mal- klasse, an Yorlesungen iiber Anatomie und Aestlietik, iiber Kostumkunde und Kunstgescbiclite. Damals handelte es sicli vor alien Dingen uni das Konnen, um eine solide Teclinik und Handfertigkeit. Es ist walir, es liegt etwas Handwerksmassi- ges, Banausisclies im Wesen dieser Meisterscliulen. Lmd wir lioren wolil, dass Manclier die Malerei erlernte, wie man ebeu 15 auoh Schuhmaclier oder Schneider wurde, um des Gewinnstes, um des armen leidigen Lebens willen. Allein Niemand ver- hehlte es sich, dass nur der innere machtige Trieb und hohe Begabung, dass nur ein edler Sinn, der animo gentile den wahren Kiinstler machte. Und wenn einer, so verkiindigte sich Giovannantonio als ein Maler von Beruf und von Gottes Gna- den. Aber lernen musste er wie jeder andere. Von der Art und Weise, in der da's geschah, lasst sich aus Cennini „libro dell arte“, einem Buche, das 1437 geschrieben wurde, eine ziemlich genaue Yorstellung entnehmen. Der merkwiirdige Yerfasser, der mit der Schopfung der Welt und mit Anrufung der Dreieinigkeit und aller Heiligen beginnt^ weiss recht gut und sagt es selbst, dass der Kiinstler durch blosse Theorien, durch Bucher und Schriften nichts lernt. Der praktische Lehr- meister sei das Beste, sei Alles. Er verwirft es entschieden, dass der Lernende heut diesem und morgen jenem folge. Kur Zerstreuung und Yerwirrung, nur bodenlose Unsicherheit folge daraus. Der Schuler soil sich unter den Guten den Besten auswahlen, soil so friih als moglich in seine Werkstatt ein- treten und so lange als moglich unter seinem Meister arbeiten. So erreiche er auf jeden Fall etwas Tiichtiges, und werde, falls er nur originales Wesen von Katur in sich habe, auch Originales leisten. Man muss ihn horen, wie er das Ideal eines Kunstj lingers entwirft. Dreizehn Jahre soli die Lehrzeit dauern und schon in friiher Kindheit (da piccino) beginnen. Das erste Jahr iibt sich der Kleine im Zeichnen auf Tafelchen. Daim tritt er in die Werkstatt, die Bottega seines Meisters ein. Sechs Sommer und Winter hindurch muss er hier Farben reiben , Leime kochen, ' Gyps reiben, Tafeln von llolz gypsen, Goldgriinde auftragen und diese bald mit feineren, bald mit starkeren Eisen punktiren oder auch mit Einritzungen von Blattwerk und Engelchen ausschmiicken. In den letzten sechs Jahren malt er mit Earben, lernt er das Yergolden und Beizen zum Yergolden, lernt er Brokatge wander darstellen und geht zuletzt zur Wandmalerei iiber. „Denn wer zuerst die Wand- malerei und nach dieser die Malerei auf Holz und Lein wand 16 betreibt, der wird kein so vollendeter Meister als derjenige, der den umgekehrien Weg einschlagt. “ Bei all den genannten Arbeiten aber darf der Maler weder einen Werk- nock Fest- tag voriibergehen lassen, ohne etwas gezeiclinet zu haben. Er darf nie ohne -sein Skizzenbuch sein. Er gehe allein, oder nur von solchen begleitet, die ihn beim Zeichnen nicht hin- dern. Nnr unaufhorliche Uebung fiihrt zu tiichtiger Praxis. Bei Beginn jeder Arbeit muss der Kiinstler die heilige Drei- faltigkeit und die Jungfrau Maria anrufen. Er lebe nach strenger Ordnung und Kegel, und sei massig im Essen und Trinken. Er meide jede rohe Arbeit, um seine Hand nicht schwer, hart und ungeschickt zu machen. Leicht und sicher aber wird diese immer bleiben, wenn er sich vom haufigen Umgang mit Frauen fernhalt. Yon Taddeo Gaddi hatte es Cennini geriihmt, dass er 24 Jahre lang Giottos Schuler war. Allein selbst in seiner Idealvorschrift hielt er doch dreizehn fiir ausreichend. In der Wirklichkeit begnilgte man sich mit sieben. Die sittlichen Lehren, die Cennini gibt, werden zu alien Zeiten gepredigt und wohl in keiner erfiillt. Giovannantonio aber war seiner Natur nach recht wenig befahigt, ein Muster von Moral und Frommigkeit zu werden. Sicherlich nichts weniger als ein Ausbund von Eastern, war er doch nicht sowohl zur Darstellung des Idealsittlichen in seinem Leben, als vielmehr des Idealschonen in seinen Werken berufen. Zuerst lernte er bei seinem Meister in Yercelli und Casale im ^V^esentlichen alle das, was Cennini in seinem Buche zu Nutz und Frommen der Maler aufgezeichnet hatte. Er lernte Pinsel aus Haaren und Borsten machen. Er erfuhr, dass sich Farben am besten auf Serpentin oder Marmor reiben lassen. Er verstand es bald, sich seine Kohle zum Skizziren zu brennen, seine Federn zum Zeichnen zu schneiden. Er lernte Leime und Bindemittel zubereiten und gebrauchen. Er lernte die Yerfertigung von Tafeln aus Pappeln, Weiden und Linden, wie sie der Maler haben muss. Er sah und iibte die sorgfaltige Behandlung derselben. Sie wurden wiederholt mit Leim iiberzogen , der im AYinter dicker als im Sommer sein musste und am liebsten 17 bei windigem Wetter trocknete. Dann wurden Stiicke alter feiner Leinwand aufgeklebt und iiber diese kam zuletzt der Gfypsgrund, der aus einer groben und einer feinen Schicht bestand. Giovannantonio lernte die Yergoldung, das Aufsetzen und die Ausschmuckung des Goldgrundes , die Darstellung von Heiligenscheinen , Diademen und Brokatgewandern. Er lernte die Farben und deren Zubereitung, ibren verschiedenen Werth und ihre verschiedenen Wirkungen kennen. Er sab bald, dass man mit Gold sparen oder verschwenderisch sein konnte, , dass man statt des theuren Lapis lazuli den billigeren Kobalt zum Blau verwenden konnte. Aber die Bilderbesteller wussten das damals auch. Cennini hatte ernstlich ermahnt, viel Zeit und Fleiss , die besten Earben und das feinste Gold bei den Gemalden zu gebrauchen. So erwerbe man sicb Kubrn und reiche Auftraggeber, die dann fiir den armen mitbezahlen konnten. Aber falls das auch nicbt geschahe, Gott und die heilige Jungfrau wurden es dem braven Maler gewiss ver- giiten. Die Maler scheinen aber nicbt so brav oder die Kaufer nicbt vertrauensvoll genug gewesen zu sein: in alien Con- tracten wird das Material, das der Kiinstler anwenden soil, sebr genau festgesetzt. Tecbniscbe Gebeimnisse und Kunst- griffe waren nicbt die kleinsten Dinge, die der Scbiiler von seinem Meister abseben wollte. Scbriften, die iiber Derartiges bandelten, wurden wie ,ein Scbatz verwabrt, wie eine Offen- barung kostbarer Mysterien. Im boberen Ilandwerk, in Far- bereien, in Mascbinenfabriken lasst sicb nocb beute ganz Aebn- licbes bemerken. Soddoma, dessen Bibliotbek wobl nie die Zabl von drei Biicbern erreicbt hat, besass doch ein Manuscript iiber die Gebeimnisse seiner Kunst. Als Lehrling lernte er ferner die Proportionen des menschlichen Korpers nach Spannweite der Arme, nacb Kopflange, nach Stirnbohen und derartigen An- halten bestimmen. Er lernte die braunlichere Hautfarbe der Manner von der mehr weissen der Frauen unterscheiden und malen. Todte wie lebendige Korper, Wunden und Yerstiimme- lungen anschaulich zu vergegenwartigen verlangte das Christen- tbum und der Zeitgeschmack. Zum ausseren Apparat gehorte Jansen, Soddoma. 2 18 ganz besonders der grosse faltenreiche Mantel der heiligen Jungfrau, und es wurde genau bestiinint, ob sein Blau von Lapis lazuli oder Kobalt sein sollte. Dann werden nocli die scliwarzen Mbnclisgewander besonders erwalint. Besprocben wil’d aiicli die Art der Darstellung von Hausern und Kirchen, von landschaftliclien Scenerien, - von Bergen und Banmen, von Seen und Fliissen „niit oder oline Fisclie“. Tnteressant ist es, wenn Cennini in seiner Theorie sclion die Stoffe untersclieidet, wenn er Samnit oder Seide, Tiicli oder Leinen besonders cbarakterisirt wissen will. In der Praxis ist man dazii dock aiiffallend spilt ge- koinmen. Oline Zweifel liatte Griovannantonio Grelegenlieit genng , jedwede Anwendung seiner Knnst zn beobacliten: Fenster- nnd Miniaturmalerei , Bemalnng von Koffern und Kasten, von Eeliquiensclireinen, von Pferdedecken und Pagen- rocken, Yergoldung nnd Anstreiclien von Statiien, sowie An- fertignng von Falinen nnd Standarten. Audi Wiinde wurden sclion in seiner Heimatli al fresco oder tempera gemalt. All die Werke, die er dort entstelien sail, hat die Zeit liingst wieder zerstort. Yon dem vollends, was er etwa selbst gemaclit hat, kbnnen wir uns anch nicht die leiseste Yorstelliing machen. Die AYandgeniiilde im Palaste Tizzoni in Yercelli hat Graf Mella mit Eecht dem jimgen Kiinstler abgesprochen: sie sind das AYerk eines Stiimpers ans dem Anfange des sechszehnten Jahrlmnderts. , Die friihesten Geiniilde, die uns von Giovannantonio er- halten sind, zeigen ihn uns nach Auffassung und Behandlungs- weise durchaus als Schuler und Aachahmer Leonardo da Yincis. Fnd selbst in seinen letzten Arbeiten bleibt imnier noch ein Anklang an dieseu einzigen und wunderbaren Meister. Das haben sclion Giovannantonios Zeitgenossen hervorgehoben. Allerdings ein urkundlicher Beweis, dass er unter den Augen und der Leitung Leonardos gearbeitet habe, ist bis heuto noch nicht gefunden. Aber seine Bilder, „die Kraft des Colorits, die Grazie der Kbnfe, das Belief wie es das nelldunkel verleiht^, sprechen entschieden dafiir. Und in den iiiisseren Lebens- verhiiltnissen Giovannantonios spricht nichts dagegen. Am Ende 19 des Jalires 1497 mit dem Tode seines Yaters, mit dem Ab- schlusse seiner Lehrzeit war er sich vollkommen selbst iiber- lassen. Was zum Leben gehorte, musste er sich von nun an allein mit seinem Talent und seiner Arbeit erringen. Ein unruhiger, abenteuerlicher Sinn, ein schwarmerischer Drang ins Weite, ein stiirmisclies Yerlangen nach dem Grlanze und Genusse der Welt erfiillte immer seine Seele. Ein neues, unendlich reiches Geistesleben hatte sich von Elorenz aus iiber ganz Italien verbreitet. Aber gerade in diesem Momente schien an diesem glanzenden Himmel Mailand das glanzendste Gestirn zu werden. Denn hier wirkte seit 1482, berufen von Ludovico Sforza, Leonardo da Yinci. Im Jahre 1496 begann er sein beriihmtes schicksalvolles Abendmahl auszu- fiihren. Anfang 1498, in eben dem Jahre, wo es vollendet wurde, muss Giovannantonio di Yercelli nach Mailand ge- kommen sein. Unser heutiges Geschlecht kann nicht im aller- entferntesten den wahrhaft iiberwaltigenden Eindruck ahnen, den seiner Zeit jenes Wandgemalde iibte, hinter dem Alles, auch Ghirlandajos reiche und vornehm heitere Genialitat, so weit zuriickblieb. Nur annahernd fiihlen wir die Gewalt von Leonardos Einfluss, wenn wir uns vergegenwartigen , dass in einer Zeit, wo ein Talent neben und nach dem andern sich erhob,- dort in Mailand Leonardos Kunst, seine Technik, seine Compositionen ,> alle seine einzelnen Gestaltungen ganze Generationen hindurch festgehalten und immer wieder von neuem dargestellt worden sind. Leonardo hat an Zahl weniger W erke geschaffen als die anderen grossen Meister Italiens ; aber keiner hat in seiner Schule eine so reiche Geistessaat auBgestreut, keiner hat seinen Schiilern so scharf und unver- kennbar das Wesen und das Wollen seiner innersten Aatur aufgepragt. Hatte er nun diesen erstaunlich tief und nach- haltig wirkenden Erfolg. gerade in Mailand , so lag das nicht bios daran, dass er hier lange Zeit gerade auf dem Hohe- punkte seines Lebens thatig war. Wie viel kommt nicht auf die Beschaffenheit des Bodens an, der zu bearbeiten ist! End nben im lombardischen Yolksstamme fand Leonardo den Cha- 20 rakter, der seinem eigenen, der seiner ganzen Art und Kunst so durchaus nach Geist und Gemiith entsprach. Er gewann die Herzen des Yolkes; alle Talente nah und fern zog er an sick. Es war als ob es den Werderiif seines Geistes bedurft hatte, um den innersten und eigentlichsten Kunstsinn der Lom- barden zum Licht und Leben zu bringen. Giovannantonio, der dort von Yercelli aus seinen kleinstadtischen altmodischen Meisterschnlen herkam, muss sich wie in .eine andere Welt ver- setzt gefiihlt haben. Hiese stolze erschiitternde Gewalt und Kraft Leonardiscber Mannergestalten , diese seelenvolle Huld iind edelernste Anmuth seiner Madonnen und liberall diese Wahrheit in der Erscheinung, diese Tiefe des Geistes und der Empfindung: wie muss das Alles die achte Kiinstlernatur des Jiinglings erfasst und durchbebt haben! Jahre lang sind an die wunderbaren Schopfungen Leonardos sein Sinn und seine Hand gleichsam gefesselt gewesen. An ihnen ist auch in seiner Seele jenes kostliche, reine und lautere Schonheits- gefiihl gleichsam zum Werden und zum Bewusstsein gekommen, das ihm die Katur eingepflanzt hatte. Mitten in dem hoffnungsreichsten Momente von Mailands Geschichte brack das Ungliick herein. Hie siegreiche Erobe- rungsarmee der Franzosen hielt 1499 ihren Einzug in die Stadt. Die grausen Kriegswirren und' die Bohheit der Soldateska schienen neue barbarische Zeiten herbeizufuhren. Leonardo ging nach Elorenz zuriick. Die Kiinstler, die eben noch um ihn versammelt nur von Buhm und Gliick getraumt batten, sahen sich mitten in Noth und Elend. Es war wirklich wie ein Symbol vom Untergange der staatlichen Freiheit zugleich mit dem Culturleben Mailands, als „die Gallischen Horden“ das Keiterstandbild zertriimmerten, das Leonardo fiir seine Fiirsten modellirt hatte. In diesen traurigen -Zeiten begegneten Yer- treter des Handelshauses Gebriider Spannocchi aus Siena, die ihrer Geldgeschafte wegen in Mailand waren, dem jungen Giovannantonio aus Yercelli. Seine schbne Gestalt, sein statt- liches Wesen, seine ausgelassene geistreiche Heiterkeit gefiel 21 ihnen sofort. Yon seinem Talente erwarteten sie das Beste. Und so luden sie ihn ein, mit ilinen nach Siena zu kommen. Giovannantonio ging mit Freuden darauf ein. Seit dem Jalire 1500 gehort er dann der Stadt Siena. Zweiter Absclinitt. Wanderjahre. I. Uebergang Sienas aus deni Miltelalter in die Renaissance. Es macht nickt den kleinsten Beiz der italienischen Stadte aus, dass sie alle ganz bestimmt nmschriebene und leioht fass- bare Individualitaten sind. Yiele von ihnen haben universal- historische Bedeutung, aber jede in einer anderen eigenen und merkwiirdigen Form. Stadte konnen von Italienern wie Per- sonlichkeiten mit einem einzigen Beiworte charakterisirt und selbst von der bildenden Kunst in sofort erkennbaren Typen dargestellt werden. Diese Stadte sind aber auch durch den Ort, wo sie liegen, durch ihre Bevolkerung, durch ihre Natur, durch ihre Geschichte und ihr Geistesleben eigenartig ausgepragte Existenzen. Die Mittelpunkte grosser selbststandiger Politik sind zugleich die Mittelpunkte eigenthiimlicher Culturen. Und wie es nun geschieht, dass selbst kleine Orte einmal durch eine hervorragende Personlichkeit , durch „einen be- riihmten Tyrannen“ nicht allein eine wichtige inner e Umge- staltung erfahren, sondern momentan sogar fiir ganz Italien be- deutsam werden: so kommen ahnliche Erscheinungen auch in kunsthistorischer Hinsicht vor. Die Stadt Yicenza, wie sie heute noch dasteht, ist fast im vollen Sinne des Wortes eine Schopfung Palladios. Hier lernt man diesen Meister am besten yersteben, wenii man ilm aucli vielleiclit am meisten in Venedig^ bewiindert. Der wesentliclie nnd eigentbumlicbe Bilderschmuck Parmas riilirt von Correggio her, welclien Maler man dann auch niir dort studiren nnd erkennen kann. Die eigentliche Eulimesstatte Giovannantonios von Yercelli sollte Siena werden. Dort findet sicli der Ilaupttlieil seiner Sclidpfimgen, nnd dort daiiert der Name des Malers Soddoma vor alien anderen in der Erinnerung fort. Aus der politisclien Gescliichte hat mir sein iilterer Zeitgenosse, der Tyrann Pandulfo Petruccio, „il 3Iagnifico‘‘, ein gleich lebhaftes Andenken an derselben Stelle hinterlassen. Anmuthig aiif einer TIohe, iiber friichtbaren Fluren iind Geliinden, inmitten einer formenreichen Hugellandschaft , zwi- schen "Weiii- nnd Olivengarten, Kastanien- nnd Eichenwaldimgen : so liegt die Stadt Siena. Nordwiirts schaut sie bis an den schroffwilden ELaiiptstock des Apennin, wahrend Nebenziige desselben im Osten nnd AYesten ihren weiten Ilorizont ein- schliessen, nnd von Siiden her mit seinen ruing majestatischen Linien der Monte amiata herantritt. ^Yas Siena zu Soddomas Zeit war nnd wiirde, das ist es eigentlich heiite geblieben. Fast noch imversehrt nmkranzt hocli iind trotzig der mittelalterliche Maiierzug mit seinen zahlreichen Thiirmen nnd seinen machtigen Tliorwerken droben die Stadt. In ihrem Innern, in den vielen Kirchen nnd Klbstern , in Palasten nnd Burgerwohnnngen waltet noch die Gothik, nnd nnr der Friihrenaissance scheint sie neben sich Banm gegeben zn haben. Noch ganz wie vor Jalirhnnderten schwingen sich die Strassen eng nnd geAvnnden empor von den nralten malerischen Brnnnenhallen am Berges- liange zu der Ilbhe des Castelles, oder sie legen sich in weiten ,P)Ogen um den mnschelfbrmigen grossen Markt])latz, den be- riihmten Campo, dessen schon Dante’s Dichtung gedenkt, nnd der nns noch Jiente so mittelaltcrlicli anmntliet. Wer hier wiilirend der Angnstfeste die praclitigen frbhliclien Spielc nnd die merkwiirdigen Festzhge in den alten Costhmen sieht, der meint sich wirklich wer weiss wie weit in die F erne der Zeiten znrhckversctzt. ^lehr als an jedem anderen Orte liaben sicli 23 mit sammt ihrem Besitzthum alte Namen und Geschlechter in Siena erhalten. Hier scheint keine Kluft die Gegenwart von der Yergangenheit zu scheiden; und es begreift sich, wenn auf diesem Bo den historische Erinnerungen fest und sicker wurzeln, liberall hervortreten und iiberall friscli und lebhaft ersckeinen. Aker nicht dem stolzen Komerthum gehoren sie an, wie so gern an anderen italienischen Orten. Hier atkmet Alles den Geist des Mittelalters. Papste und Cardinale, Gelehrte und Kiinstler, heilige Manner und Frauen bilden den Buhm und das Gliick Sienas. Als politiscke Macht und Gemein- wesen bat es nie eine Eolle ersten Kanges gespielt. In der langen Keibe von Personlichkeiten , die Sienas Namen ver- herrlicben, erscbeint nur ein einziger Staatsmann. Eben dieser war es aber, der das Geschick der Stadt in seinen Handen hatte, als Giovannantonio dorthin kam. Yerschieden von anderen italienischen Stadten, denen Siena an Keicbtbum und Einwobnerzahl gleicbstand, bat es niemals nach Eroberungen gestrebt. Seine politische Kraft rieb sich in inneren Parteikampfen auf, und es hatte von Gliick zu sagen, wenn es sich trotzdem frei und selbststandig erhielt. Anfangs hatte der Adel das Kegiment, die Grandi oder Gentil- uomini. Ende des dreizehnten Jahrhunderts traten an ihre Stelle die Kove oder „Keunmanner“ , welche aus Kaufleuten, Notaren und Doctoren gewahlt die Bourgeoisie vertraten. Ihnen gegeniiber erhielt 1355 die gesammte Biirgerschaft, d. h. erhielten die unteren Yolksschichten das Uebergewicht. Sie schufen als oberste Behorde den Magistrat der Hodici oder „Zwolfmanner‘‘, welcher den Adel und die reiche Bourgeoisie zur Herausgabe der Waffen zwang und diese der grossen Masse anvertraute. Yerbannung oder freiwillige Auswanderung blieb nicht aus. Hie drei Klassen der Gesellschaft standen sich in Hass und Feindschaft gegeniiber. An eine friedliche Yerschmelzung war nicht mehr zu denken ; aber ebensowenig an eine Einheit durch Yernichtung der widerstrebenden Elemente, da sich immerfort dem einen herrschenden gegeniiber die beiden anderen ver- banden. Her grosse Bath begriff die Kothwendigkeit, den zcr- 24 riitteten und zerstorten Staatsorganismus wieder lierzustellen, und erwahlte weise und friedfertige Manner zu „Reformatoren“. Kaum aber gingen diese an die Erfiillung ihres Auftrages, so erhob sich das leidenschaftliche Volk und jagte sie aus der Stadt. Weil jedocli der Anhang der Yertriebenen niclit klein war, so gab es von nun an nicbt nur drei, sondern vier Par- teien. Fiir sich oder durch sich allein konnte die neue Partei^ welche im Gegensatz zu den anderen einen mehr politischen als socialen Charakter hatte, durchaus nichts erreichen, und sie musste sich durch Yerbindung mit der einen oder andern verstarken. Yermittlungsparteien scheinen immer und uberall einer verstockten und bornirten Aristokratie das Yerhassteste zu sein. Auch in Siena waren die Anhanger der versohnlichen Reform gezwungen, sich in die Arme der Demokratie, sich in die Revolution zu werfen. So kamen sie 1482 in den Besitz des Stadthauses. Auf den Strassen wurde blutig gekampft^ Als der Erzbischof Francesco Piccolomini friedepredigend unter die Streitenden trat, gaben ihm nur die Bellanti mit ihrem Anhange Gehor, die Petrucci aber wichen erst der Gewalt. Die Sieger erklarten die Stande fiir abgeschafft und bestimmten, dass unter den Biirgern keine andere Gruppirung als die nach Ziinften stattfande. Hart war das Strafgericht, das sie libten, und doch sollte sich ihm Aiemand entziehen. Die freiwillige Emigration wurde streng verboten und alle Ausgewanderten aufgefordert , binnen Monatsfrist bei Strafe des Giiterverlustes nach Siena zuriickzukehren. Bios Pandulfo Petruccio und sein Bruder Camillo sollten sich fiinf Jahre lang nicht wieder blicken lassen. Zahlreiche Fliichtlinge fanden im Kirchenstaat und in Neapel Schutz. Die Machthaber Sienas dagegen hielten es fiir gerathen, einen Riickhalt an Florenz zu suchen. Ganz Italien, so schien es, wurde in den Sienesischen Biirgerkrieg verwickelt. Im Innern der Stadt aber giihrte entfesselt eine sinn- und ziigellose Leidenschaft. Eine wiiste Bande, die Biribatti genannt, zwangen den Magistral, zuerst die florentinischen Hilfstruppen zu entlassen, und rissen ihm dann die Ziigel des Regimentes aus der Hand. Die Herrschaft des Terrorismus begann. Die 25 Stadt war ungliickliclier als je zuvor, und schon sahen Yiele in der Kiickkehr des Adels die einzige Rettung. Die Biribatti bekamen durch Yerrath Nacbricht vomHeranzug der bewaffneten Emigration und von dem gebeimen Einverstandniss vieler Burger mit derselben. Allein ein zufalliger Uinstand, der den Marsch der adeligen Truppen gleich am Anfange aufhielt, tauschte die Spione, welche von den Biribatti auf Kundschaft ausgesandt waren, Sie batten weit und breit keinen Feind gefunden, und so wurde der Besatzung der Stadt fiir die Yacht Rube und Schlaf gegonnt. Aber in gleicher Weise getauscht, uberliessen sich auch die Freunde des Adels der lang entbehrten Erholung. Lange nach Mitternacht kam der kriegerische Zug, commandirt von Bruno da Yerona, an die Porta Romana. Pandulfo Petrucci war der erste iiber der Mauer, andere rasch hinter ihm drein; die paar Wachen wurden niedergestossen und das Thor geoffnet. Todtenstille empfing den Zug der Ritter und Knappen in der Stadt. Die Feinde schliefen , aber auch die Freunde. Den Kriegern ward es unheimlicb zu Muth; sie fiirchteten Yerrath, ein panischer Schrecken kam iiber sie und plotzlich stiirzten sie in hellen Haufen wieder zuriick, hinab nach dem olfenen Thor, Yur Pandulfos Ruhe und Energie brachte sie zum Stehen und zur Besinnung. Da begann der Tag zu grauen. Arbeiter, die an ihr Geschaft gingen, schlossen sich den Eingedrungenen an. Bald halite die Stadt wieder von Krieg und Kriegsgeschrei. „Frieden und Freiheit!“ war die Losung, und mit Sonnen- aufgang war Pandulfo Herr der Stadt, hatte er seine Residenz im Rathhaus genommen und iibte er Herrschaft und Gericht. Dem Condottiere Bruno da Yerona und dessen 50 Soldnern iibergab er die Wache des Rathhauses. Eine Commission von 20 Biirgern unter Yorsitz von zwei Gonfalonieren wurde als oberste Behorde eingesetzt. Alle Yerbannten konnten zuriick- kehren ; die confiscirten Giiter wurden ihnen zuriickgestellt. Der Erzbischof Francesco Piccolomini, der in Pienza, in der Stadt seiner Familie, Zuflucht gesucht hatte, wurde feierlich nach Siena eingeholt. Gegen die gestiirzte Partei verfuhr Pandulfo mit Milde : nur dem einen Yolkscapitan Andrea 26 Panilini Hess er den Kopf abschlagen ; ein paar andere wurden ins Elend geschickt. Der 22. Juni 1487, der Tag der sieg- reichen Kiickkehr der Aristokraten unter Pandulfos Leitung, sollte fortan als ein politischer Festtag von der Kepublik ge- feiert werden. Was die Geschiclite politischer imd socialer Kevolutionen in alter imd neuer Zeit so oft gezeigt hat, und was dann als ein inneres Gesetz, ja als Nothwendigkeit erschienen ist: eben das tritt uns beim Entwickelungsgange so mancher italienischen Stadte und besonders bei dem von Siena entgegen. Aiif die Herrschaft der Aristokratie folgte die der Bourgeoisie, welche ihrerseits der Demokratie weichen musste. Diese aber schlug in die Pobelherrschaft um, in Anarchie und Terrorismus. Yoin vollstandigen Untergange wurde zuletzt Staat und Gesellschaft durch eine politisch und militarisch hochbegabte Personlichkeit gerettet. Unsere Zeit, welche von den Mommsen und den Carlisle casarisches Genie fast in dithyrambischer Beredtsamkeit preisen horte, hatte natiirlich Macchiavellis principe schon vor- her durchaus gerechtfertigt gefunden. Der Secretar von Florenz aber entnahm seine Theorien nicht bios der Praxis der Medi- caer und der Borgia, sondern auch derjenigen des Pandulfo Petrucci. Er hatte mit ihm zu thun gehabt, er kannte ihn und schatzte ihn ausserordentlich hooh. Und Pandulfo ist in der That ein achter Tyrannentypus der Renaissancezeit. Wie Gelehrte und Kiinstler dieser Epoche, so schliessen sich auch ihre Staatsmanner zugleich mit emer gewissen inneren Noth- wendigkeit und mit bewusster, reflectirter Aacheiferung an wirkliche oder vermeinte klassische Vorbilder an. Pandulfo verstand es, die Soldner in strengster Zucht und Ordnung zu halten und sie gleichzeitig auf Tod und Leben an sich zu fesseln. Ihre Zahl hatte er sehr bald von 50 auf 250 vermehrt. Um sie im Strassenkampfe gegen herabgeworfene Steine und Geschosse zu sichern, Hess er starke Wagen con- struiren , die von Stieren gezogen wurden und von einem starken Blechdache iiberdeckt waren. Die eifersiichtigen Bellanti suchten den machtigen Emporkommling meuchlings auf der 27 Strasse zii ermorden. Dass es ihnen niclit gelang, war ihr eigenes Yerderbeii und eine neue Befestigung der Tyrannis. Anderen Gregnern kam Pandulfo zuvor. Den Ludovico Luti umgab er anch in der Yerbannung mit Spionen, liess ilim erst seinen guten Kuf und dann durcli gedungene Morder sein Leben nebmen. Der eigene Schwiegervater wusste sicli nicht sicker vor ilim und ging nie ohne bewaffnetes Ge- folge aus. Auf Pandulfos Anstiften ist er aiif offenem Platze, als er eben aus dem Dome kam, von seeks Banditen uberfallen und niedergestossen worden, Sterbend nannte der alte Mann seinen Sekwiegersohn und verziek ikm. Seine Tockter Aurelia aber, Pandulfos Gemahlin, brack emport in die ackt klassiscken "Worte aus : „einen andern Gatten katte ick immer wieder finden konnen, niemals finde ick einen anderen Yater‘k Mit ungemeinem Talent und mit jenem energiseken Willen, der nur okne das sogenannte Gewissen moglick zu sein sekeint, kat Pandulfo in sekwerer Zeit und inmitten von Krieg und Parteiung, wie sie ganz Italien erfiillten, sick selbst und seinen Staat unver- sekrt und angeseken erkalten. Zeitgenossen kaben es ikm ganz besonders zum Buhme angerechnet, dass er gegen Cesare Borgia gleickzeitig sein eigenes Leben und die Freikeit Sienas gerettet, dass er ikn erst zu gebraucken und zuletzt zu tau- seken, zu iiberlisten gev/usst kat. Die Stadt verliek ikm den Titel principe und das Pradicat illustrissimo , das souverainen Fiirsten gekorte, aber sie blieb dabei demJSTamen nach Kepublik und bewakrte alle republikaniseken Aemter. Tkatsacklick kerrsekte Pandulfo unbesekrankt. Wie er Siena vor den Borgia bekiitet katte, so verstandigte er sick jederzeit sekr gesekiekt mit den fremden Grossmackten , mit dem deutseken Kaiser, mit Spanien und besonders mit Frankreich. Yor alien aber gab er dem Staate Eintrackt, Euhe und Frieden im Innern und ermoglickte dadurck allein die kerrlicke Bltitke der Cultur, deren sick Siena im Beginn des seckszeknten Jakrkunderts er- freute. Wer nun daran denkt, wird es wokl begreifen, dass politiseke Geister von Macckiavellis Art einen Mann wiinsekten, der fiir ganz Italien, fiir den inneren Frieden, fur die nationale 28 Selbststandigkeit und das Greistesleben der ganzen Halbinsel dasselbe geleistet hatte, was Pandulfo Petmcci fiir Siena leistete. Die Renaissance Italiens wollte nicht bios fiir Kunst nnd Wissenschaft ein Perikleisches , ein Augusteisches Zeitalter sein. Audi fiir das gesammte nationale und politische Dasein wurde ein Perikles, oder noch lieber ein Augustus herzlichst ersehnt. Wie nun Pandulfo den modernen Staat im Sinne seiner Zeit in Siena begriindete, so ist dort auch Kunst und Wissen- . schaft unter ihm und durch ihn modernisirt worden. Carpellini in seiner Schrift „di Griacomo della Guercia“ be- ll auptet mit Recht, dass nicht nur fiir Siena, sondern fiir ganz Italien della G’uercia der erste Bildhauer im Geiste der Renais- sance gewesen ist. Schwerlich wird es gelingen, diesen Rulim ,dem Florentiner Donatello anzueignen. Kacli dem schonen und merkwiirdigen Brunnen, den della Guercia auf dem Campo , ' in Siena errichtete und den pietatsvoll die Gegenwart durch eine Copie dort ersetzt hat, erhielt der Begriinder der italie- nischen Renaissancesculptur seinen Beinamen. Der Einfluss dieses originalen Kiinstlers war bedeutend und weitgreifend. Allein wenn in Florenz in der Zeit Donatellos und Lorenzo Ghibertis alle anderen Kiinste, ja das gesammte geistige, sitt- liche Leben in den Zug der Renaissance eintrat, so iiberdauerte in Siena die mittelalterliche Gothik noch um ein ganzes Menschen- alter die Thatigkeit della Guercias, der, um 1371 geboren, 1438 gestorben war. Der Gothik verdankte diese Stadt ihre Zier und ihren Charakter, ihren Ruhm nach aussen. Der Maler Duccio, ein Zeitgenosse nicht nur Giottos, sondern noch Cimabues, hatte diesem Style in seinen Tafelbildern alle die Schonheit, Grazie und Farbenpracht verliehen, deren er iiber- haupt fiihig war. Vornehmlich aber hatte die gothische Baa- schule Sienas einen grossen und langedauernden Einfluss. Kirchen, Kloster und Palaste wurden weit und breit von ihr gebaut, und die Dome von Siena und Orvieto geboren ohne Frage zu dem Yollendetsten und Erfreulichsten , was Ralien in dieser Richtung hervorgebracht hat. Noch 1458 hat Luca 29 di Bartolo Liiponi den sogenannten Palazzo delle Papesse in Siena in gotliischem Style wiederhergestellt. Erst 1460 wagt es Antonio Federighi, auf die gothische Kapellentialle am Kathhaustliurme Fries und Bedachung im Geschmack der Re- naissance aufzusetzen. In demselben Style hat er den Palazzo Turchi mit der hiibschen Kirche vor Porta Camollia gebaut. Aiich die Loggia dei Piccolomini ist eine Arbeit dieses Renais- sancearchitekten. Papst Pius II., aus der sienesischen Familie der Piccolomini, wirkte in grossartiger und universaler Weise fur die Wiederherstellung der klassischen Wissenschaft und Kunst. Durcli den beriihmten Florentiner Bernardo Rossellino Hess er in Siena, aber n'amentlich in seiner Geburtsstatte Cor- signano bauen, welche er auf jede Weise begiinstigte und nach seinem Ramen Pienza benannte. Am Schlusse des fiinf- zehnten Jahrhunderts hat dann Siena in Francesco di Giorgio Martino einen der angesehensten Reprasentanten des neuen Styles. In seiner Yaterstadt war er vorzugsweise Maler, aber in Diensten des Herzogs Federigo von Urbino Architekt. Hie Anwendung des Pulvers wie in der Feldschlacht, so bei Be- lagerungen erforderte auch ein verandertes Yertheidigungssystem. Francesco di Giorgio hat iiber Befestigungen geschrieben und als der erste 1495 in Neapel bei Belagerung des Castells deir UoYO die Anlegung von Minen gelehrt. Die Mailander zogen ihn beim Bau ihrer Kuppel zu Rathe, und er selbst schuf in der Kirche Calcinajo dicht unter Spoleto ein wahrhaft mustergiltiges Werk. Mit seinen Schiilern Giacomo Cozzarelli und Baldassare Peruzzi ist Soddoma in mannigfache Beziehungen gekommen. Aber auch in der Sculptur traten dem jungen Yercellesen ganz tiichtige Kunstler in Siena entgegen. Francesco di Giorgio war ausser manchem anderen auch Bildhauer. Aber weder als solcher noch als Maler leistete er Grosses. Giacomo Coz- zarelli dagegen zeichnete sich gerade als Bildhauer aus. Als sehr braver Meister, ganz besonders im Erzguss, bewies sich Lorenzo di Pietro, genannt Yecchietta. Yorzilgliche Beachtung verdient Lorenzo di Mariano, genannt Marrina, der das wunder- 30 voile Altarwerk in der Kirclie Fonte giiista gemeiselt liat. Er besass eine Yirtiiositat in der Bearbeitnng des Marmors, die selbst dainals Stannen erregte. In seinen Compositionen offen- bai'te er eine reiclie Pliantasie imd feines Natnrgefiihl, so vie eine entzilckende Anmntli imd edle Lieblichkeit. In der Holz- sclmeidekimst that es Barile alien anderen znvor. Die Sieneser Malerei hatte mit der Entwickelung der ande- ren bildenden Kiinste keinen gleiclien Schritt gehalten. Der gotliisclie Styl hatte hier einst in Duccio einen nnvergleichlichen Yertreter gehabt, iind die Sienesen riihmen sich, dass von ihrer Stadt aus eben dieser Styl durch Simone Martini in Aeapel nnd durch Taddeo Bartoli in Perugia, vielleiclit auch in Genua begriindet worden sei. Wenn die Epoche machende teclmische Ertindung, die neiie Oelmalerei Johann van Eicks, durch Anto- nello da Messina nach Unteritalien kam, so gehdrt der Sienese Angelo Macagnini zu den ersten, welche dieselbe im iibrigen Italien eingefuhrt haben. Aber nicht sowohl in seiner Yater- stadt als in Ferrara ist dieser Kilnstler nachwirkend tluitig gewesen. Filr Siena hat Stefano di Giovanni, genannt il Sas- setta, den Styl des fiinfzehnten Jahrlmnderts begriindet. Allein selbst mit den neuen Mitteln erreicht er weder an Farbenpracht noch an Farbensinn den alten Duccio. Seine besten Schuler sind Sano di Pietra und Domenico di Bartolo d’Asciano. Die historischen Freshen des letzteren im Hospitale von Siena bieten viel Interessantes , allein in rein kiinstlerischer Absicht wird sie kein Mensch jenen Wandmalereien Masaccios in der Kirclie del Carmine in Florenz vergleichen wollen, mit denen die neue grossartige Bichtimg der Florentiner Schule anhebt. Den mittelalterlich katholischen Sinn , seine transscen- dentale Frdmmigkeit, sein reines, zartes , tiefinnerliches Em- pfinden , sein Ahnen voll kindlicher Seligkeit , seinen geheim- nissvollen nnd dock so unbefangen unmittelbaren Glauben: alles das bringt der Florentiner Maler Fra Giovanni Angelico da Fiesole zur umfassenden und hdchsten Anschauimg. Al)er eben darum findet in ihm und mit ihm diese gauze Bichtuug ihren letzten Abschluss. Der Sienese Sano di Pietro stelit 31 doch sehr weit hinter ihm zuriick, wenn uns auch seine milde Keligiositat nnd insbesondere die Holdseligkeit seiner Madonnen an den wunderbaren Fra Angelico gemahnen. Matteo di Grio- vanni Bartoli bewahrt ein grosses Talent in der Technik und Composition. Seine Engel weiss er naiv grazios und seine Madonnen selbst mit einer lieblichen Schonheit darzustellen. Aber in eben demselben reich begabten Manne vollziekt sick der Umsclilag des mittelalterliohen Spiritualismus in den Kealismus, und zwar so widerlich roll und so herbe, wie das ein zweites Mai in ganz Italien nicht wieder vorkommt und selbst in Deutschland nur bei Michael Wohlgemuth sich zeigt. Matteo di Griovannis Doppelwesen spricht sich demjenigen deutlich aus, der sich zugleich seine Madonna in Pienza und seine Compo- sition des Kindermordes vergegenwartigt. Den letzteren an und fur sich schon so greulichen Yorwurf hat er dreimal und drei- mal verschieden und immer mit wahrhaft raffinirtem Behagen behandelt, zweimal als Staffeleibilder in Siena und Neapel und dann als Fussbodenverzierung fiir den Dom von Siena. Das ist in der Florentiner Schule das Crosse und nicht allein fiir Italien, sondern fiir die gesammte moderne Kunst- und Culturentwickelung Bedeutsame, dass sie aus Fra Angelicos iiberirdischer atherischer Welt des Grlaubens und Ahnens nicht etwa zu einer niedrigen und gemeinen Wirklichkeit hinabgesunken ist, sondern dass sie sich einer schonen Hatur und einer vom Geist geadelten heiteren und freien Sinnlichkeit hingab, und dass sie sich dabei mit angeborener Congenialitat von antikem idealen Formengefuhl leiten liess. Aber die sienesische Malerei liess sich von Matteo di Giovanni beherrschen und verderben. Es ist sehr merkwiirdig, dass Kiinstler, wie Francesco di Giorgio, wie Yecchietta und Cozzarelli, die als Architekten und Bildhauer von dem neuen gelauterten Geschmacke durch und durch er- fiillt waren, als Maler hart und herbe, steif und eckig, kalt und trocken sind. Ungeschickter im Zeichnen und unbehilflicher in der Composition als Matteo di Giovanni, haben sie dann nichts anderes von diesem Meister als das Unerquickliche seines Realismus. 32 Bei einer Yergleichung der deutschen mit der italie- nischen Kimst im Beginne der Neuzeit erkliirt die historischp Forscliung die Eigenthiimlichkeiten oder auch Mangel der ersteren gern aus der Entfernung von alien antiken Monumenten und besonders aus dem ebenso schlicht elirbaren als eng be- schrankten Sinne des deutschen Biirgerthums. In gewisser Hinsicht kann man dasselbe von dem Siena des fiinfzehnten Jahrhunderts sagen, wie denn iiberhaupt keine andere italie- nische Stadt als eben diese noch heutzutage den deutschen Eeisenden auffallend heimisch anmuthet. Erst Pandulfo Petrucci bildet den Staat und die Gesellschaft Sienas um,' und ein ari- stokratischer Geist durchdringt dann das Leben und die Bildung. Der Frieden, den er zuriickfuhrt und sicher wahrt, begiinstigt die Erwerbung von Beichthumern und gibt Lust und Muth, den Besitz zu grossen Unternehmungen, zu prachtigen Bauten, zu monumentalen Kunstwerken anzuwenden. Die heimischen Talente finden viele und wiirdige Beschaftigung , und ganz unbekiimmert um die Zopfstatuten der alten Malermeisterzunft werden fremde gefeierte Kiinstler nach Siena berufen. Die ehrenvolle Stellung, welche diese Stadt in der Malerei das ganze sechszehnte Jahrhundert hindurch wieder durch eigene Krafte einnahm, verdankte sie den machtigen Anregungen, die sie am Anfange desselben von auswartigen Meistern erfuhr. Pandulfo Petrucci war keiner von den italienischen Grossen die in Bau- und Kunstdenkmalen die Entfaltung ihrer Macht, die Sicherung und Fortdauer ihres Nachruhmes suchten. Paolo Giovio in seinen „vite degli uomini illustri“ sagt in einem Ge- dichte am Schlusse von Pandulfos Biographie: „er ging schlicht wie ein Burger einher, und seine Wohnung war einfach und anspruchslos. ‘‘ Pandulfo war nicht wie die Medici durch Beich- thum zur politischen Macht gekommen. Aber er wusste sehr gut, dass vor alien Dingen Geld zur Fiihrung der personlichen Herrschaft, zur Begriindung einer Familiendynastie gehort. Fiir Geld hatte ihn der deutsche Kaiser Maximilian in der Signoria von Siena bestatigt, und weil er dem Papste Julius II. Geld vorzustrecken besass, war einer seiner Sohne fast noch 33 als Knabe Cardinal geworden. Das kleine vaterliche Erbtheil von 5000 Gulden bat er in nicht viel Jahren auf.eine halbe Million gebracht. Er trug kein Bedenken, jedes mogliche Ge- schenk vom Staate anznnebmen und jede mogliche Speculation zu betreiben. Er pachtete Staatssteuern und liess sogar heimlich durch dritte Hand gliickliche Ankaufe von liegenden Giitern machen. Der treu ergebene, kluge und discrete Yenafro war wie in der Politik so bei all diesen Geldgeschaften Pandulfos vertrauter Rath und Heifer. Aber der Tyrann verstand es wohl, trotz alledem nicht geizig und geldsiichtig 'ZU erscheinen. Fiir freigebig gab er sich nicht aus, aber merkwiirdig, er wusste auch den schlauesten Eigennutz bestandig in Hoffnung und in Athem zu erhalten, bestandig an den Dienst fiir seine Person und Sache zu fesseln. Pandulfo fiihrte wie Lorenzo Medici den amtlichen Titel magnified. Allein im Sinne des Heapoli- taners Jovianus Pontanus, als ein Prachtliebender in Riicksicht auf grosse Bauten hatte er ihn nie verdient. Ruhm und Glanz der Art iiberliess er Anderen. Was er aber that, dessen Seg- nungen empfanden Alle an jeder Stelle, zu jeder Zeit. Er sorgte fiir Ordnung und Reinliohkeit der ganzen Stadt. So liess er die Fleischbanke in eine einzige Strasse zusammen- legen und die Elachshandler durften ihre Buden nur in der Gasse S. Martino haben. Alle vorspringenden Dacher, die Luft und Licht nahmen, mussten beseitigt werden. Ganze Strassen wurden gerade gemacht. Fiir den Ackerbesitz hat er eine Art Neutheilung oder Sequestration durchgefiihrt, wie sie in Preussen z. B. vor nicht gar langer Zeit erst gemacht worden ist. Fiir Kirchen und Kloster that er Manches, keines- wegs viel. Weil er aber immer that, was nothig war und was gerade allgem ein gewiinscht wurde, so machte sein Thun jedes- mal einen ebenso erfreulichen als weitreichenden Eindruck. Desto mehr gefiel sich der Adel, der wieder zu Ansehen und zu Besitz gekommen war, in der Entfaltung von Glanz und Pracht. Yor alien war es die reiche und beriihmte Familie der Piccolomini, die alle Kiinste zur Yerherrlichung ihres Aamens in Dienst nahm und die grossten Meister Italiens nach Siena Jansen, Soddoma. 3 34 zog. Zur Aufnahme einer wahrhaft einzigen Sammlung durch Sclirift und Miniaturen aiisgezeiclineter Chorbiicher hatte der Cardinal Francesco Piccolomini die Libreria an das linke Seiten- scbiff des Domes anbauen lassen. Die Pforte, welcbe dieselbe mit der Kircbe verbindet , ist ein Meisterstiick der feinen und gescbmackvoll graciosen Bildbauerkunst Marrinas. Links neben ihr an der Wand des Domes wurde die Familienkapelle der Piccolomini erricbtet. Die Marmorarbeit fur diese auszu- fiibren, erschien in Italien nur einer gut genug^ der Florentiner Michel Angelo Buonarotti. Mit ihm wurde am 5, Juni 1501 der Contract abgeschlossen. Fiinfzehn Statuen sollten den imposanten Aufbau schmiicken. Allein gleicb anderen Arbeiten des wunderbaren Mannes hat sich auch diese durch Jahrzehnte hingezogen , um dann zuletzt doch nur theilweise vollendet zu werden. Bios die vier Statuerr der Heiligen Petrus, Jacobus, Grregorius und Pius sind ganz von Michel Angelos Hand. Den heiligen Franz, den Torrigiano begonnen hatte, hat er fertig gemacht. Aber noch andere Werke in Siena werden ihm zu- geschrieben, so das stylvolle Marmor-Ciborium auf dem Haupt- altar von S. Domenico, und die Figuren des Christus nebst den zwei Engelchen am Grabe der Bandini im Dome. Es war ein ungewohnlicher und kiihner Gedanke des Familienstolzes , als Cardinal Francesco beschloss, die Wande der Libreria des Domes mit grossen Fresken aus dem Leben Papst Pius II. zu bedecken. In der Wandmalerei Italiens genoss damals wegen seiner kraftigen, glanzvollen und harmo- nischen Farbengebung und wegen seines einzigen Geschickes fiir decorative Arbeiten Bernardino Pinturicchio den grossten Buhm. In vielen Stadten der Halbinsel, vor alien in Rom selbst sowohl in Kirchen als namentlich in den W ohngemachern Papst Alexanders YI. hatte er sein Talent bewahrt. Daher lud ihn Cardinal Francesco nach Siena ein und iibertrug ihm am 29. Junius 1502 die Ausfiihrung seines Planes. Inhalts- voll und vielbewegt wie das Leben wenig anderer Papste war das Pius II. gewesen. Mcht Momente des Kampfes oder hoch- gespannter Leidenschaften erwablte der Kiinstler fiir seinen 35 Zweck: vielmehr immer nur jene Augenblicke, wo die Ge- faliren liberwimden und das gliickliche Ziel erlangt ist, wo die Bestrebungen beendet und der reiche Lohn geerntet wird. Den Zweck zu erreichen auf jeden Fall mit jedem Mittel entsprickt dem thatkraftigen mannlichen Wesen der Zeit, wie ihrer Kuhmsuclit der offentliche prunkvolle Triumph. Der Erfolg, die laute und glanzende Zurschautragung des Erfolges erscheint als einziges Gliick des Lebens und als das Leben selber. Und so tritt uns denn auch das Dasein Pius II. aus den Fresken der Libreria in lauter Reprasentationen, in Fest- ziigen und Festversammlungen entgegen : die Reise zum Easier Concil, nicht in ihren Abenteuern, sondern in ihrem heitersten Augenblicke; Aeneas Sylvius vor dem schottischen Herrscher und seinem Hole; Aeneas Sylvius, der vor alien Grossen des Reiches vom Kaiser Friedrich III. den Lorbeer empfangt, der durch Papst Eugen lY. Erzbischof wird, der den deutschen Kaiser mit seiner neuen Gemahlin Eleonore von Portugal vor dem There Sienas zur ersten Begegnung zusammenfiihrt, der den Cardinalshut empfangt, der auf den Stuhl Petri erhoben wird, der als Papst Pius II. das Concil von Mantua halt, der Catharina von Siena heilig spricht, und der im Hafen von Ancona erscheint, wo der Heerzug gegen die Osmanen geriistet wird. Soweit hatte es Aeneas Sylvius gliicklich gebracht: „der Rest ist Schweigen.“ Alle zehn Bilder, sowie die geschmack- volle Decoration an der Decke sind noch. heute unversehrt erhalten. Sie scheinen eben erst vollendet zu sein. Pinturic- chios Sicherheit in der Technik der Freskomalerei ist wahrhaft unvergleichlich ebenso wie seine Yirtuositat im Colorit. Seine Werke haben, wie die keines Anderen, Jahrhunderten getrotzt, und sie bezaubern noch das heutige Geschlecht mit der ganzen Fiille ihrer ersten Herrlichkeit und urspriinglichen Frische. Dabei ging ihm die Arbeit ungemein leicht von der Hand, und er pflegte nicht eher zu ruhen, als bis er seine Aufgaben gelost hatte. Diese Art zu arbeiten gefiel den ungeduldigen vornehmen Bestellern gar wohl, und Pinturicchios Yorziige als Kiinstler schmeichelten ihrer ganzen Lebensauffassung, die gerade durch 36 diesen Meister einen nicht weniger wiirdigen als blendenderi Ausdruck fand. Yorziige nun, die Pinturicchio unleugbar^ die er wirklich einzig und allein besass, durfte und konnte Yasari nicht bestreiten. Da er aber gegen den Mann von verblendeter Gehassigkeit eingenommen war und ihn bei jeder Gelegenheit anzuschwarzen und zu verkleinern suchte, so hat er auch die Behauptung aufgestellt, dass wenigstens Erfindung und Composition jener Freshen in der Libreria nicht Pinturic- Chios, sondern Rafaels Werk seien. Die Erorterung dieser Streitfrage, ihre Geschichte und ihre Entscheidung gehort nicht hierher. Hier kommt es bios darauf an, auszusprechen, dass in dem grossartigen Bildercyklus der Libreria die Sienesische Malerschule zum ersten Male ein Werk vor ihren Augen ent- stehen sah, welches durch seinen eigenthiimlichen Gehalt, durch Composition und Farbe den Geist und das Wesen der neuen italienischen Kunst in schoner Yollendung reprasentirte und welches dieselbe eben damit zum Siege iiber das altmodische ziinftige Meisterthum in Siena brachte. Und nach verschiedenen Seiten hin ist Pinturicchio Yorbild und Meister einer neuen Kunstentwuckelung dieser Stadt geworden. Kleinere Freshen rein religiosen Inhaltes malte er in der Kapelle Johannis des Taufers im Dom. Fiir die Kirche San Francesco verfertigte er eine Altartafel. Auch auf die Ausfiihrung des originellen Lieblingswerkes der Sienesen, des bekannten kbstlichen Dom- pavimentes, sollte .sich sein Einfluss erstrecken. Anstati bunte Marmor einfach oder in Arabeskenformen neben einander zu legen, hatte ein Sienesischer Meister die kiiline Idee gehabt, nach Art eingelegter Holzarbeit eine eingelegte Marmorarbeit zu machen und mit diesem Mittel einzelne Figuren, formliche historische Compositionen zu liefern. Das einzige altere Werk der Art, das ich anderswo kenne, sind Heiligengestalten iiber den Seitenportalen des Domes von Messina. In Siena wurde 1369 der erste iiberraschend gliickliche Anfang gemacht. Aber nachdem zuletzt noch die Sibyllen entstanden waren, kam seit 1488 das Werk ins Stocken. Bernardino Pinturicchio betrachtete das vor ihm Geleistete und Gewollte mit Staunen, und zeichnete 37 1504 den Carton der Fortuna, welcher 1506 voin Bildhauer Paolo Manned in dieser Marmor-intarsia gemeiselt wurde. Es ist eine yorzugliclie Composition, und so aclit klassisch gedaclit und gezeiclinet, wie es nur in jener Zeit moglioli war. Pius II. hatte einst durcli den Florentiner Bernardino Rossellino die Sienesisclie Arcliitektur in die moderne Eiclitung iibergeleitet. Sein Neffe, der Erzbischof Francesco, bat durcli Berufung Michelangelos und Pinturicchios um die Sculptur und ohne alle Frage um die Malerei Sienas dasselbe Verdienst. Allein die Vollendung der grossen und sebonen Aufgabe, die er stellte, bat er niebt erlebt. Docb ebe der Tod ibn erreiebte, sollte ibm nocb die boebste Ebre der Kircbe zu Tbeil werden. Im Jabre 1503 starb Papst Alexander YI. , und an seiner Statt wurde der Cardinal Erzbisebof Francesco Piccolomini als Pius III. auf den Stubl Petri erboben. Die Stadt Siena jubelte auf: ibr scblimmster Feind war gestorben und ibr eifrigster Wobltbater war der Erbe seiner Macbt geworden. Wie der Tag von Pandulfos siegreicbem Einzug in die Stadt, so sollte aucb der Tag der Erbebung Pius III. ein Festtag der Bepublik sein und bleiben. Wabrbaft uberscbwanglicbe Feierlicbkeiten wurden von Stadt und Beborde bescblossen. Allein wabrend man sie nocb vorbereitete, sebon am 26. Tage nacb seiner Walil, versebied Pius III* in Folge einer Beinwunde. Damals wurde ein bedeutungsvoller Tod fast von Memand fiir natiirlicb ge- balten. Grewiss kam dem Tyrannen Pandulfo, der kurz vorher, den Borgias glucklich entgangen, nacb Siena und in seine Macbt- stellung zuriickgekebrt war, der Bubm der Familie Piccolomini niebts weniger als bequem und gelegen. Allein die Dummbeit Oder Bosbeit muss wirklicb wabnwitzig verwegen gewesen sein, die ibn als Urbeber einer Yergiftung des Papstes brandmarken wollte. — Die Nacbkommen Pius III. sorgten gewissenhaft fiir das Zustandekommen der monumentalen Kunstwerke, die er an- geordnet batte. Ueberdies Hessen sie im Dome selbst, auf der Wand liber der Tbiir, die in die Libreria fiibrt, von Pinturic- ebio nocb ein weiteres Fresko entwerfen, welches die Berufung Pius III. zur Statthalterschaft Cbristi verewigen sollte. 38 — Wahrend nun die Piccolomini den Ruhm ihrer Familie zum Rulime der Stadt in der Cathedrale selbst auf so gross- artige und fiir die Kimstentwickelung so bedeutsame Weise zur Scliau stellten, baute unten am Osthange des Domplatzes, da wo die Kirche San Giovanni Battista so malerisch an den Chor des Domes angelehnt ist, der Tyrann Pandulfo seinen einfaclien aber dabei vornebm edelen Palast. Das Holz dazu wies ihm die Stadt unentgeldlich aus ihren Waldungen an. Cozzarelli hatte die Zeiclinung zu dem Bane gemacht, den Domencio di Barto- lomeo von Piacenza ausfiihrte. Als Decorationsmaler hatte sich Girolamo del Genga einen Namen erworben, und er wurde zur Ausschmiickung des Palastes nach Siena eingeladen. Selbst Luca Signorelli, der Meister des ernsten strengen Styles der Wandmalerei, war berufen worden. Neben Beiden hat dann auch hier Bernardino Pinturicchio gearbeitet. Nach Yollendung der grossen Aufgaben, deren oben gedacht wurde, war er 1507 nach Spello gegangen und fiihrte dort das schone Altarbild aus. Hier erhielt er ein Schreiben von Gentile Baglioni, wo- durch er ini Namen seiner Magnificenz Pandulfo Petrucci auf- gefordert wurde, nach Siena zuriickzukehren. Der wunderliche Kiinstler hat den ehrenvollen Brief in treuer Copie mit einer Scheere und einem Petschaft daneben unten auf seine Altar- tafel gemalt. Nach 1508 ist er dann bis an seinen Tod in Siena geblieben. Das Schloss des Magnifico ist jetzt leider in Verkommenheit und Yerfall, und die Wandgemalde im Innern sind langst zefstort. Aber noch immer lassen sich die ruhig majestatischen Yerhaltnisse erkennen, und noch immer erregen die bronzenen Fahnen- und Fackelhalter , welche ebenso wie der gauze Bauplan ein Werk Cozzarellis sind, durch unver- gleichliche stylvolle Schonheit das Staunen und Entziicken jedes Beschauers. So hatte sich denn die Renaissance in Siena unter dem Einfluss auswartiger grosser Meister vornehmlich im Dom und beim Palastbau des Tyrannen Pandulfo vollzogen. Ein denkwiirdiges Ereigniss vom Jahre 1506 erscheint wie eine Symbolisirung jenes epochemachenden Momentes. Auf 39 dem Hauptaltar in der Mitte des Domes stand in alien Zeiten ein ehrwiirdiges Muttergottesbild. Das Yolk betete zu ihm in heiliger Scheu und nannte es seine Madonna der Gnade oder seine Madonna mit den grossen Augen. Ihm wurde der Dank fiir den Sieg von Montaperto gezollt. Dennoch geschah es im Jahre 1310, dass es auf Anordnung der Signoria seinen be- vorzugten Platz verier und auf den Altar des heiligen Boni- facius kam. Ein Bildwerk von Duccios Meisterhand sollte von nun an seine Stelle einnehmen. „Und das neue Bild war viel grosser und schoner und sogar viel andachtsinniger als das alte“ ; so sagt das Manuscript eines anonymen Chronisten in der Stadtbibliothek. Feierlich wurde die Weihung vollzogen. Der Bischof mit seinen Priestern und alien Monchen, die Wiirden- trager und Beamten der Stadt, die Reprasentanten der Stande und allerlei Yolk, Frauen und Kinder zogen in grosser Proces- sion festlich gekleidet und mit Kerzen in der Hand erst um den Marktplatz herum und dann zur Kirche. Trompeter, Sackpfeifer und Paukenschlager spielten dabei auf, und alle Glocken der Stadt lauteten dazu. Man betete aber den ganzen Tag und spendete viel Almosen an die Armen und flehte zu Gott und zu der heiligen Jungfrau, der Schutzpatronin der Stadt, um Gnade und Erbarmen, um Hilfe gegen Ungliick und Uebel, gegen Yerrather und Feinde. Die Aufstellung von Duccios Bildertafel war der Sieg des germanisch - romanischen Mittelalters liber das byzantinisch-rbmische. Aber 1506, also fast zweihundert Jahre spater, wurde der Altar aus der Mitte des Domes entfernt und Duccios Meisterwerk zersagt und bei Seite gebracht. Dagegen wurde nun im Ostchor jener reiche Bronzetabernakel aufgestellt, den Yecchietta von 1465 — 1472 ftir das Hospital modellirt und gegossen hatte. Engel von Francesco di Giorgio und von Giovanni di Stefano wurden als weiterer Schmuck hinzugefiigt, zu denen Cozzarelli ein paar sehr geschmackvolle Consolen anfertigte. Dieser Altar steht noch heute. Durch ihn hat die Renaissance den Styl des germanisch - romanischen Mittelalters aus dem Allerheiligsten der Kirche verdrangt. 40 Dass sich die .Schule und die Wissenschaft in Siena zu allererst dem neuen Gieiste, der Pflege des romischen und griechischen Alterthums hingegeben liatte, versteht sicb von selbst. Scbon offenbarten sicb die Friicbte davon sowobl in der Anscbaimngsweise als in der Spracbe der stadtiscben Be- borden. Ein Document, das sogleicb mitgetbeilt werden soil, ist nicbt mebr im barbariscben Moncbslatein, sondern in Cice- ros glanzendem und volltonendem Style gescbrieben. Wer es beute best, meint das Exercitium eines strebsamen Primaners vor sicb zu baben. Selbst aus der deutscben Uebersetzung lasst sicb das erkeiinen. Hier ist sie: „Es war eine alte An- ordnung der Eomer, dass derjenige, der einem romiscben Biir- ' ger in der Scblacbt das Leben gerettet batte, init der Burger- krone beschenkt wurde. Und so baben wir, die Beamten der Balia, denen der Senensiscben Kepublik Yerwaltung mit ober- ster Machtvollkommenheit anvertraut und iibertragen worden ist, geleitet von jenem Yorbild der Romer, deren Grebrauche jeder gute Staat nachabmen muss, so baben wir es fiir unsere Pflicbt gebalten, die Better unserer Burger durcb Dankbarkeit und offentliche Anerkennung auszuzeichnen. Da nun der edle Battista Yieri aus Yercelli, Cbirurg, Physiker und hocbange- sehener Ritter, aus der Zahl unserer Burger, und zwar aus der Zahl der vornebmeren und uns besonders theueren , sebr viele in ibrem Todeskampfe gegen viele und mannigfache Krankheiten und besonders gegen den Blasenstein geschiitzt und dergestalt gerettet bat, dass sie nicbt sowobl von einer Krankbeit gebeilt, sondern nach der Yerzweiflung an ihrer Genesung aus dem Tode selbst dem Licht und Leben zuriick- gegeben zu sein scheinen: so baben wir zuni ewigen Zeugniss fiir seine vorziiglicbe Tiicbtigkeit in Bebandlung aller Krank- beiten und fiir die Errettung unserer Mitbiirger aus freien Stiicken beschlossen, ihn selbst sammt seinen Kindern, Enkeln und alien seinen legitimen Nachfahren in die Zalil unserer , Biirger einzutragen, tragen ihn hiermit als solchen ein, nehmen ibn auf und zahlen ihn unter diese mit derselben Autoritat, Immunitat und Macbtbefugniss , kurz mit all denselben Ebren 41 und Yorrechten, deren sich die in unserer Stadt geborenen und erzogenen Burger erfreuen. Gleichzeitig lieben wir im Allgemeinen und Besonderen alle Gesetze und Statuten unserer Stadt auf, welche diesem unserem Beschlusse entgegen und zuwider stehen. Denn ungemein und ungewohnlicli ist Bat- tistas Kunst und Tiichtigkeit; daher diirfen sie aucli nur mit einem besonderen und niclit mit einem gemeinen und gewohn- lichen Besclilusse geehrt werden. Aber eine ins Einzelne gehende Aufzahlung alter Tugenden des Mamies , sowie der zahllosen scbweren und bis dahin fiir unheilbar gehaltenen Kranklieiten , die er geheilt bat, haben wir nicbt fiir nothig gebalten. Auf dass wir nicbt Yieles auseinandersetzen , ge- bietet uns der Rubm der Kiirze und der Tadel eiuer allzu langen Eede, das Meiste zu ubergeben. Ueberdies bat er andere Staaten und yiele Fiirsten fiir seine Treffliobkeiten zu gewichtigen Zeugen, deren Zuyerlassigkeit nichts hinzugefiigt werden kann oder darf, und seine Werke sind nicbt allein uns, sondern ganz Italien so offenbar und bekannt, dass wir das, was tbatsacblicb ganz ersicbtlicb und klar yorliegt, durcb Worte zu erbarten fiir nicbt weniger iiberfliissig balten, als wenn man, wie es beisst, Licbt in die Sonne bringen wollte. Als Zeugniss und Urkunde dieses imseres ofiPentlicben Actes baben wir dieses Scbreiben erlassen und ibm unsere Insiegel beigefiigt.“ II. Giovaimantoiiios erste Werke und Studieu in Siena und Umgegend. i Im Jabre 1500 kam Gioyannantonio nacb Siena. Bei seinem Landsmann, dem Arzt Battista Yieri, dessen Lob und Anerkennung wir eben yernabmen, mag er ein freundlicb und bilfreicbes Entgegenkommen gefunden baben. Aber zu seinen eigentlicben Patronen macbten sicb docb die Gebriider Span- no ccbi, durcb deren Gescbaftsreisende er in die Stadt gebracbt und empfoblen worden war. Ibr Yater, einst Scbatzmeister Pius II., batte durcb Bossellino oder Cronaca das scbone Pa- lais bauen lassen, das sie bewobnten und das bis beute erbalten 42 ist. Sie standeii den Piccolomini sehr nalie, aber als gute Kaufleute besassen sie Yorsiclit genug, um es nicht mit dem Machtliaber Pandiilfo zii verderben. Iliren Schiitzling, den jungen Maler yon Yercelli, empfahlen sie ebenso dem Gebieter des Staates als dem Cardinal Erzbischof Francesco. Und in kurzer Zeit wurde Giovannantonio ein Liebling der ganzen Stadt. In einem sehr giinstigen Zeitpunkte hatte er sie be- treten. Enter Pandulfos Waltung genoss sie Ansehen nach aussen, Frieden im Innern. Handel und Gewerbe, Kimst und Wissenschaft kamen wieder in Schwung und Bliitlie. Keich- thum zu erwerben eroffneten sich wieder tausend Wege, und das Yerlangen, vornehm und prachtig zu leben, kehrte in die Gemiither der Menschen zuriick. Man fing an, mit den ersten Stadten Italiens zu wetteifern und vor alien Dingen die Kunst- begabung, die jener Zeit beschieden war, in den Dienst des Genusses und der Kuhmsucht zu ziehen. Fiir die Architektur und Sculptur hatte Siena schon am Ende des fiinfzehnten Jahrhunderts Talente ersten Ranges aufzuweisen, welche im Geiste einer hochentwickelten Renaissance thatig waren. Allein die Malerei land - Giovannantonio noch in derselben Richtung befangen, die er selbst in Yercelli kennen gelernt und verfolgt hatte. Das beschrankte Spiessbiirgerthum der alten Maler- meisterzunft machte sich noch in wimderlicher Unbefangenheit breit und geltend. Auf Sano di Pietro und Matteo di Gio- vanni waren Leute gefolgt, welche nur sehr wenige von den Tugenden derselben iiberkamen, aber alle ihre Mangel und noch andere dazu desto auffallender zu Tage brachten, Ben- venuto di Giovanni del Guasto war der Altmeister der Zunft, Neben ihm spielten sein Sohn Girolamo und sein Schuler Ber- nardino Fungai eine Rolle. Ihre Kunst hatte etwas verkom- men Handwerksmassiges. Ihre Heiligenbilder waren nichts als iiberlieferte Formen, welche Geist und Seele verloren hat- ten und von keiner subjectiven Empfindung des Malers belebt wurden. Roll und rauh, ohne .alle Grazie und Anmuth spie- gelte sich die Wirklichkeit in den Kopfen dieser Meister wie- der, die, frei von jedem idealen Zuge, keineswegs eine feine 43 iind zarte, geist- imd gefiihlvolle, ja niclit einmal eine naive Beobachtung der Natur und des Lebens verriethen. Ihre Zeichnung war kleinlich, hart und schwerfallig , ihre Farbe stumpf und unerquicklich. Die reizenden Yorzuge der neuen Malerei zu erringen, -hat sich Fungai nachmals vergebens be- miilit. Im Jahre 1500 hatte er fiir die Kirche Concezione eine Kronung der Maria gemalt, die mit ihrer lichten Farbung noch wenig Sinn fiir wirksame Modellirung merken liess. Selbst Manner von Francesco di Giorgios und von Cozzarellis’ Art, die als Baumeister oder Bildhauer schon vollstandig und mit Yirtuositat in der modernen Bichtung standen, sind als Maler nie aus der alten herausgekommen. Jiingere Sienesische Talente, wie Beccafumi und Pacchia, verliessen zu ihrem Gliick friihzeitig ihre Yaterstadt und suchten in Florenz und Bom ihre Ausbildung. Giacomo Pacchiarotti aber, der an der Scholle kleben blieb, ist in seinem ganzen Wesen, in seiner Kunst- weise wie in seiner politischeh Anschauung allezeit ein Kind des fiinfzehnten Jahrhunderts geblieben. Als nun Giovann- antonio von Yercelli mit der Weihe der Kunst, wie er sie in Mailand von Leonardos Genius erhalten hatte, in Siena auf- trat, da erschien er als der Herold und Apostel einer neuen Zukunft. Ausgestattet mit der Fiille kiinstlerischer Anlagen und mit einem wahrhaft einzigen Schonheitssinn, durchdrungen von dem Gefiihle fiir verklarte Katurwahrheit und begeistert von idealen Gestaltungen , wie sie jene Zeit ersehnte und die Beformatoren ihrer Kunst sie schufen: so riss der fremde, kaum zwanzigjahrige Maler alle Gemiither fiir sich hin und bereitete der alten Zunft der Sienesischen Bildermacher den Untergang. Ein< Gemalde im Besitz des Marchese Costa di Beauregard in Ciamberi gilt fiir das alteste Werk, das von Giovannanto- nios Hand auf uns gekommen ist. Es ist der Best einer grossen Kreuztragung ; nur Christus nebst zwei Henkern und drei Kopfen existiren noch auf der Tafel. Stiicke links und rechts und namentlich unten miissen abgesagt und verworfen Oder verloren worden sein. Der Bestaurator an der Turiner 44 Gallerie, Professor Arpisani, entdeckte bei der Keinigimg uiid Herstellung des Bildes die Inschrift: Jo. An. Cavalir de Yercel 1500. Cum destructa fuisset Maserius reparavit 1541. Die ganze Unterscbrift riihrt von Maserius lier, der 1541 dem Maler vielleicht mit einer Art Yornehmthuerei den Titel geben 'konnte, welclien dieser im Jalire 1500 noch nicht besass. X Kannte Maserius die von seiner Tafel abgesagten Stiicke und las er auf einem von diesen Giovannantonios eigenes Zeichen mit der Zalil 1500? Erfubr er dieses Datum von einem Dritten und auf beglaubigte Weise? Seine Restauration hat eine Untersuchung der Tafel selbst schwieriger gemacht, und wenn man trotzdem in den Gestalten derselben Typen wieder- findet, v/elche an Leonardos Schuler, an Gaudenzio Ferrara etwa erinnern, so beweist das nur, dass das Bild entschieden derjenigen Epoche angehorte, in welcher auch Giovannantonio Leonardos Typen noch ohne weiteres einfach reproducirte. 1501 malte Giovannantonio fiir die Familie Savini in Siena eine Madonna mit dem Christkinde auf dem Schoos. Der kleine Johannes befindet sich daneben und der Nahrvater kommt mit einem Gefass in der Hand. Der beriihmte Holz- schneider Barile fertigte den Rahmen dazu. Tafel und Ein- fassung haben lange Zeit fiir einen Schatz der Stadt und der Familie gegolten, bis sie der letzte Spross der Savini ins Aus- land verkaufte. Yor w^enig Jahren hat das Rundbild mit der Geburt Christi, welches sich im Palaste Chigi Zondadari befand, das- selbe Schicksal erlebt. Einen Stlch nach dem Original ent- halten die „Pitture esistenti nella citta di Siena‘S Kenner, die noch jenes Rundbild selber sahen, haben behauptet, es sei von spaterer Hand so ubermalt gewesen, dass eigentlich nur noch die Composition fiir das Werk Giovannantonios habe gelten konnen. Der Einfluss, der von Leonardo auf die grosse Mailander Schule ausging, ist dock Avesentlich von dem verschieden, den • er in Florenz libte. Es ist sehr beachtenswerth , dass die ersten Arbeiten Giovannantonios bald mehr den einen, bald 45 mehr den anderen Charakter tragen. Aus dem Eremo.di Lecceto ist ein Kimdbild von ihm in die Sieneser Gallerie gekommen, das in iiberraschender Weise an Lorenzo da Cre- dis Hauptwerk, an jene Anbetung des Christkindes in der Florentiner Academie erinnert, in welohem sich die Einwirkung seines Mitschiilers Leonardo am moisten knnd thut. Mit hin- gebendem Fleiss , mit delicater Sorgfalt hat Giovannantonio seine Tafel gemalt. Man mochte sagen, in dieser ernsten Ge- wissenhaftigkeit, in dieser Heilighaltung der Arbeit als Arbeit offenbart sich bei ihm auch ethisch das Yorbild Leonardos. Die heilige Jungfrau kniet am Boden; auf dem Ende des langen blauen Obergewandes , das iiber jenen sich hinbreitet, liegt „in himmlischer Gesundheit“ das Christkind und schaut gliicklich zur Mutter auf. Wie hold, voll Liebe und Demuth sich diese zu ihm nieder neigt! Neben dem kleinen Johannes mit seinem Kreuzchen von Schilfrohr, den das Geschick dem Gottessohn zum Gespielen und zum Yorlaufer im Leben gab, kniet andachtig der Engel, der ihn eben herbeigefuhrt hat. Etwas w'eiter zuriick kniet auch Josef betend. Ueber Buinen im Mittelgrunde hinweg sieht das Auge weit in die Landschaft hinein und schon bemerkt es in ihr den Zug der drei Konige des Morgenlandes , welcher zur Yerehrung des Kindes heran- kommt. Ein himmlischer Eriede, eine stille heilige Feier weilt iiber dem Ganzen und ergreift unmittelbar auch die Seele des Beschauers. Das Rundbild einer Anbetung des Christkindes im Palazzo Borghese in Rom, welches hier als Lorenzo da Credi bezeichnet ist, werden wohl alle Kenner mit den Herren Milanesi und Francesco Pini fiir ein Work Soddomas ansprechen. In Styl und Behandlung dem zuletzt besprochenen Rundbilde durchaus entsprechend, ist es auch wie dieses vortrefflich erhalten. Fiir die „Madonnenbruderschaft unter den Hallen des Hospitals “ in Siena hat Giovannantonio eine heilige Familie gemalt, die sich durch einfache, anspruchslose Lieblichkeit auszeichnet. Bekannt sind die Sitten und Gebrauche der Laienbriider- schaften, welche die Sorge fiir die Bestattung der Todten iiber- 46 nommen haben. Mit Crucifix, Kerzen und Teppicben zieren sie ihre Bahren. In friiheren Zeiten hielten sie auch darauf, dass wiirdig bemalte Tafeln Kopf- imd Fussende des Sarges bekleideten. Zwei Paare solcher Tafeln bat Giovannantonio fiir die Briiderscbaft von Fontegiusta gemacbt: sie werden gegenwartig in der Gallerie Sienas aufbewabrt. In diesen Gestaltungen nun meint man Leonardo da Yinci wieder zu erkennen, wie er in seinen Mailarider Schiilern und Hachfol- gern weiter lebte. Es sind ganz die Wesen, wie er sie scbuf un wie sie von diesen fast typisch festgehalten wurden. Das- selbe Oval des Kopfes bier bei diesen Madonnen, dieselbe scbarf gezeicbnete edle Hase, derselbe Ausdruck in Auge und Mund: das Ideal der wehmuthig ernsten, freundlicb milden und doch so geist- als charakterstarken Matrone. Auf der einen Tafel erscheint sie in halber Figur mit dem segnenden Kinde. Hinter ihr zu beiden Seiten schaut je ein Engelkopf- chen hervor. — Auf der anderen Tafel halt sie mit der linken Hand ein Buch in ihrem Schoose, in das sie niederblickt. Das Cbristkind steht auf ihrer rechten Seite, von ihrem rechten Arm umfasst, die Hand zum Segnen erhoben, wendet aber naiv sein Kopfchen nach links, wo es einen Stieglitz in den Fingerchen hat. Zwei Engelkopfchen dahinter bewegen ihren Mund zum Lacheln und schlagen wie verlegen die Augen nieder. — Zu der ersten Tafel gehort der todte, nach rechts gewandte Christus, gleichfalls eine Halbfigur. Ein Engel halt mit beiden Handen seinen linken Arm, ein anderer seinen rechten Arm, aber nur mit einer Hand, denn seine rechte ruht auf der Stirn des Erlosers. So umgibt die himmlische Liebe kindlich und heilig den verklarten Todten. Denselben Gegen- stand und fast in derselben Weise behandelt Mantegna in einem Gemalde der Berliner Gallerie. Es ist erschiitternd ernst und der Ausdruck des Schmerzens in dem Angesicht der Engel dringt wie ein Yorwurf in das menschliche Herz. Aber Gio- vannantonio redet mild trostend zuuns: es ist vollbracht, alles Leid und Weh der Erde; und auch was irdisch war an Chri- stus, ruht nun in 'dem Herrn, ruht in Engelsliebe und Frieden. 47 Das vierte Bild zeigt liber Schadeln und Knochen ein golde- nes, edelsteingeziertes Kreuz, von gefliigelten Engelskopfen umschwebt. Dnten aber kniet an jeder Seite ein jugendliches, fast madchenhaft hiibsches Mitglied der Bruderschaft und betet einen Kosenkranz. Es hat ein eigenes Interesse, nun auch ein kleines Bild zu sehen, ^das Giovannantonio fiir seine Gonner, die Spannocchi, gemalt hat. Die schone Sammlung, welche diese reiche und vornehme Familie zu Stande brachte, befindet sich gegenwartig in der Stadtgallerie Sienas. Der junge Yercellese stellte fiir sie die heilige Catharina von Siena dar: eine Halbfigur auf goldigem, ganz fein mit Engelkopfchen bedecktem Grunde ; in der rechten Hand halt sie eine Lilie, wahrend unter ihrer linken Kreuz und Buch auf einem Todtenschadel liegen. Yiel- leicht ist dieses Bildchen die erste durch und durch originate, von Leonardos Auffassung entschieden freie Schopfung Giovann- antonios, wie er denn spater die gelehrte und thatenkraftige Heilige Sienas in einzig vollendeter Idealisirung gestaltet hat. Yon den Sienesischen Malern, die er vorfand, konnte er nicht das geringste lernen. Auch die Werke der alten Meister durften ihm nicht als Yorbild dienen: mit ihrer Bichtung hatte die neue Zeit gebrochen. Kur in der Sculptur begegnete er achten Kiinstlern, Mannern wie Cozzarelli und Marrina, und vornehmlich den iiberkommenen epochemachenden Leistungen Giacomo della Guercias. Man weiss, dass er diese Werke studirt und ge- zeichnet hat. Das spricht fiir seinen Geschmack, aber auch fiir das acht Leonardische Wesen seiner Kunst, der es ebenso sehr auf Modellirung, auf den Schein der Kbrperlichkeit aller Formen ankam, als auf den Beiz und Zauber der Farbe. — Schon Cennini hatte in seiner Schrift gesagt: „Die Katur iiber- trifft alle Meister. “ Leonardo da Yinci aber nannte in seinem Tractat iiber Malerei denjenigen, der nur einem grossen Meister nachgehe, keinen Sohn, sondern einen Enkel der Katur. Die Katur selbst muss der wahre Kiinstler studiren und nachahmen. Kur an den Menschen selber und nicht an ihren Kachbildungen wird er die lebens voile Wahrheit und Schonheit des Menschen 48 erkennen und sich zii eigen machen. In diesem Sinne kann filr die historisclie Composition die Uebung im Portraitmalen die beste Yorbereitimg und Scbule sein. Auch diese nun sollte Giovannantonio in Siena nicht entbehren. Wer nur immer die Mittel dazu besass, wollte von ihm gemalt sein. Seine geist- volle Auffassung , sein prachtvoll warmes Colorit , das frische Leben und die innige Empfindung in seinen Bildern entzilckte die Mensclien. Bei uberrascliender Naturtreue gab er seinen Portraits zugleach jene edle Verklarung, die dem Originate nicbt am wenigsten schmeichelt. Eben damit eroffnete er sich zugleich eine reiche Quelle von Geld und Gunst. Yon den vielen Portraits, die er sein langes Leben hindurch gemacht hat, sind als sichere Arbeiten von ihm nur einige wenige, namentlich sein Selbstportrait und das Brustbild eines Unbe- kannten, auf uns gekommen, die aber einer viel spateren Zeit angehbren und sich beide in Florenz befinden. Wir wissen jedoch, dass er einige der friihesten Bildnisse auch fiir sich copirt hat und bis an seinen Tod in seinem Atelier vor seinen Augen behielt. Es waren zwei vornehme Damen, eine Sara- cini und eine Toscani, und ausserdem der Herrscher von Siena, Pandulfo Petrucci. Wer meint nicht beim Lesen einer solchen Notiz einen Blick in die innerste Seele des Jiinglings zu thun? Aus der Werkstatt eines Schuhmachers war das Kind in die herbe Zucht und Lehre handwerksmassiger Kunst gekom- men, aus dem Zwange des Dienstes und aus dumpfer Be- schranktheit war der Jiingling in die Welt und die Ereiheit hinausgetreten. In Mailand eroffnete vor seinen Augen die Kunst ihre Ideale, das Leben seinen Glanz und seine Herr- lichkeit. Aber als er seine Hande darnach ausstrecken will, sieht er sich von der gemeinen Noth umstrickt und gefesselt, und als das Ungliick tiber Stadt und Staat hereinbricht, steht er hilflos und allein. Gliickliche Jugend, die mit lachendem Leichtsinn jeder Eessel spottet, die in der Noth den Humor, in der Gefahr den Peiz des Lebens findetl Wie durch einen Zauber wird er dann nach Siena zu reicher ktinstlerischer Wirksamkeit und zum Yollgenusse des Haseins versetzt. Er 49 kornite ruMg auf den Antheil an dem kleinen vater lichen Yer- mogen zu Gunsten des Binders verzichten, der in Yercelli darauf rechnete. Die Heimath selbst hatte er schon fiir immer auf- gegeben. Die Yornehmen Sienas, die Spannocchi, Sayini, Chigi, Piccolomini , Petrucci, sie alle erfreuten sich an den Schopfungen seiner Muse und nicht weniger an der mannlichen Schonheit und Liebenswiirdigkeit seiner Person. Die Biirger- schaft bewunderte ihn, und der junge reiche Adel liebte in ihm den besten Gesellschafter von der Welt, den heiteren Ge- fahrten durch Dick und Diinn, der nicht bios neumodische gute Bilder malte, sondern sich zugleich auf das Leben a la mode, auf Schick und Eleganz vortrefflich verstand. Auch das hatte er in Mailand gelernt, das schon damals in Sachen des Geschmackes und des „guten Tones “ dem iibrigen Italien Muster war. Die Freiheit und der Erieden, die Pandulfo seit 1487 gewahrt und begriindet hatte, wurden am Anfange des Jahres 1503 bedenklich in Frage gestellt. Cesare Borgia riickte heran; Pandulfo musste fliehen, um der Stadt den Krieg zu ersparen und sich selbst das Leben zu retten; im Innern brach gegen den Adel und die neue Yerfassung die Kevolution der Yenturieri aus, an der sich auch der Maler Pacchiarotti be- theiligte. Kaum zwei Monate spater kehrte aber der Herr- scher zuriick, stellte die Ordnung her und begriindete sein Regiment fiir immer. Der Tod Papst Alexanders YI. befreite Siena von ausseren Gefahren. Die Erhebung des Cardinals Francesco Piccolomini auf den papstlichen Stuhl und der rasche, jahe Tod desselben hinderten keineswegs die Ausfiihrung der 1501 und 1502 beschlossenen monumentalen Werke. Pinturicchio • begann wahrscheinlich noch im Friihlinge 1503 seine Fresken in der Libreria. Ganz Siena staunte iiber die Arbeit und bewunderte den Meister. Giovannantonio gewiss nicht am wenigsten. Er sehnte sich sofort, eine Technik zu erlernen, die so vornehm und grossartig war und die so sehr seinem eigenen Wesen zusagte und entsprach. Sie war eben so weit von der rohen Wandbemalung entfernt, die er in Yercelli Jansen, Socldoma. 4 50 gelernt, als von der peinlich muhevollen AVeise, mit der Leonardo sein Abendmahl in Mailand ausgefiihrt liatte. Es ging Alles so frisch, heiter imd flott, und dabei kamen grosse bistorische Compositionen zu der wiirdevollsten Erscheinung, in der sie nur denkbar waren. Die weiten Wande eines ge- raumigen Saales erbielten dadurch einen Scbmuck, der nicbt weniger anmutliig als imponirend wirkte. Giovannantonio fiihlte Beruf und Talent fiir die Freskomalerei in sich. Und musste nicbt in ibm das Yerlangen entsteben, aucb in ibr der erste Kiinstler Sienas zu werden, wie er das scbon durcb seine Staffeleibilder geworden war? Dass ibm seine boben Gbnner obne weiteres die AYande ibrer Palaste und Kircben anver- trauen wmrden, das durfte er freilicb nicbt erwarten. Er musste sebr frob sein, wenn sie ibm ausserbalb Sienas in kleinen Orten und Klostern Gelegenbeit verscbafften, seine ersten Pro- ben zu macben und gleicb mit diesen aucb seinen Lebens- unterbalt weiter zu verdienen. Dicbt bei Pienza, jener Scbopfung Papst Pius II. , liegt das bescbeidene Kloster Santa Anna in Greta. Nocb vor Ab- laut des Jabres 1503 wurde ibm dort der Auftrag zu einem AYandgemalde besorgt, und auf der Stelle ilbernabm er dessen Ausfiibrung. Grosse Bezablung gab es nicbt; es war aller Ebren wertb, wenn ibm fiir seinen Erstlingsversucb ausser den Auslagen aucb nocb zwanzig Goldscudi bewilligt wurden. Nocb beute siebt man dort im Kefectorium das Fresko, das er dafiir lieferte, das Wunder von den fiinf Broden und zwei Fiscben. Es ist ein angemessener sinniger Gedanke fiir den Ort, der dann aucb von spateren Kiinstlern in anderen kloster- licben Speisesalen wiederbolt aufgenommen wurde. Die kleineren Sacben, die sicb unten an das Hauptbild als Zierde anscblossen, sind ganzlicb zerstort, da der Baum spater als Magazin fiir Brenn- material benutzt wurde, wmbei dann das angescbobene Holz und Beisig die Malereien zerrieb und zerkratzte. Yiel ver- sprecbend war der erste Yersucb der Freskomalerei Giovann- antonios keineswegs. Man abnt daraus entfernt nicbt den kiinftigen Yirtuosen in dieser Tecbnik. Seine Arbeit erscbeint 51 linkisch und unbeholfen, kleinlick und armselig. Als „knickerig und herbe wie unreife Frucht“ hat sie schon einer seiner alten Yerehrer charakterisirt. Man erstaunt, wie tief sie nnter seinen damaligen Staifeleibildern steht. Giovannantonio merkte doch, dass er noch viel, sehr viel von Pinturicchio zu lernen hatte, der damals in der Behan dlung der Freskomalerei unbestritten die meiste Kenntniss iind Erfahrung besass. Kein Anderer wusste, wie er, alle Mittel einer blendenden Decorationskunst, reicher Yergoldung und glanzender Farbenpracht ziigleich so verwegen und so sicher anzuwenden. Alles, was Baldassare Peruzzi und Giovannantonio auf diesem Gebiete nachmals ge- leistet haben, das verdankten sie Pinturicchios Lehre und mustergiltiger Arbeit in Siena. Als Giovannantonio von Pienza zuriickkehrte , hat er ganz anders als friiher, hat er mit ge- witzigter Aufmerksamkeit , viel bescheidener und viel eifriger in der Libreria das Schaffen des tiichtigen Meisters beobachtet und unter seiner Leitung studirt und gearbeitet. Freilich der blosse Gehilfe und Handlanger eines Anderen zu sein, dazu war er, der -eben noch, ehe die grossen Fremden nach Siena kamen, der beriihmteste Maler der Stadt gewesen war, viel zu stolz und hochfahrend. Seine rastlos thatige, reiche und schopferische Phantasie liess ihm keine Euhe; sie riss ihn immer wieder von den Gedanken und Anschauungen Anderer hinweg und drangte ihn, seine eigenen Wege zu gehen. Kaum meinte er nun, dass er der Freskotechnik jetzt entschieden Herr geworden sei, so suchte er auch schon mit Hast und Ungeduld nach neuen selbststandigen Auftragen. Hie Monche des Klosters Montoliveto wollten auf den "Wanden ihres Kreuzganges in einem grossen Bildercyklus das Leben des heiligen Benedict vor Augen haben. Einen Theil davon hatte bereits Luca Signorelli gemalt. Als diesem nun die Eeigung Oder die Moglichkeit zur Fortfiihrung und Yollendung dieser Aufgabe fehlte: da war es schwer, einen wiirdigen Hach- folger an seiner Statt zu finden, und eine Eeihe Jahre hindurch blieb das "VYerk liegen. Wir wissen, dass Luca Signorelli von Pandulfo Petrucci nach Siena berufen wurde, und es ist nicht 52 unwahrscheinlich, dass er selbst Giovannantonio auf Montoliveto hingewiesen hat. Dieser aber verstand noch einen anderen Umstand fiir sich zu benutzen. General des Ordens war vor kurzem Fra'Domencio da Leccio geworden. Ihm nun, dem Lombarden , ■ stellte sich der Yercellese als Landsmann vor, und durch seine liebenswiirdig einschmeichelnde Beredtsamkeit erlangte er in der That den ersehnten Aiiftrag. Sogleich ging er ans Werk, und in den zwei Jahren 1505 und 1506 schuf er jene zahlreichen Wandgemalde, welche heute vielleicht vor- zugsweise Italienern und Fremden das Kloster Montoliveto Maggiore so lockend und anziehend machen. Siidlich von Siena in der Eichtung von Nordwest nach Siidost erstreckt sich ein geologisch merkwiirdiges Terrain, das mit den Gebieten von Yolterra und Orvieto ubereinstimmt und zusammenhangt. Gerade oberhalb des’Klosters Montoliveto in der hoehgelegenen Ortschaft Chiusuri meint man in der Mitte desselben zu stehen. Im Siiden der Mont amiata, dessen Form an die gefeierten Linien des Albanergebirges erinnert. Im Osten und Westen fast parallel untereinander • zwei Hiigel- ketten, beide mit Ortschaften und Dorfern bedeckt: auf dieser fallt uns Mental cino besonders ins Auge und von jener dort begriissen uns die Wahrzeichen von Siena, der schlanke Eath- hausthurm'und die Kuppel des Domes. Zwischen diesen Hiigel- reihen und dem Mont amiata liegt ein weites Plateau, nichts weniger als eben und flach, vielmehr das sonderbarste Ineinander von Oben und Unten, von Berg und Thai. Ein bizarr phan- tastisches Naturbild. Schichten von Tuff und Lehm, Then und Sand, in TJrzeiten von Meer bedeckt, dann von Erdrevolutionen an Luft und Licht emporgebracht, formten sich in den tollsten Eissen und Spriingen, Spalten und Kliiften. Jeder Eegenguss zerriss Zusammenhangendes oder wusch und schwemmte Ge- trenntes in- und iibereinander. Zerstorend nahm er dort und zerstorend gab er bier. Das Bodengefiige war und blieb ein Spiel der Elem^ente, bis die menschliche Arbeit kam, der Pflug und der Spaten. Sie half der Natur, wo sie ausglich, und wehrte ihrer Zerstorung. Abzugsgreben bandigten und leiteten 53 zweckgemass die Fluthen ; Baumpflanzungen sicherten das Erdreich und hielten es fest. Mit der Zeit wird das Plateau mehr und mehr Flache und Ebene. Milde Wellungen, ein sanftes Auf und Meder erinnern dann kaum mebr an die wunder- liche wiiste Zerkliiftung. Diese Umbildung bat sich schon grossentbeils vollzogen. Aber gerade von Cbiusuri hinab und biniiber nach Montoliveto ist noch Alles in wilder Zerrissenheit. Yon einschliessenden Hohen springen zahllose scbarfe Grate nacb vorn, nach rechts und links wie das Kippenwerk eines Blattes. Die blMiche Farbe des Thon.es, der rothliche Schein des Tuffes tauscht das Auge mit Yorstellungen von urharten Dolomiten und Graniten. Aber wenn an diesen Moose und Flechten auch in den hochsten Begionen das schaffende Leben der Yatur noch bekunden, bier dieser Boden, beweglich wie die Woge des Meeres, duldet kein Gras und kein Griines, keinen Strauch und Baum. Bei geringer Differenz des Hohen und Tiefen hat das so schroff und jah geformte, vollkommen ode, vielgegliederte Ganze jene schauerliche Grossartigkeit, die sonst nur gewaltigen Urgebirgen eignet. Dicht neben dieser "Wildniss auf einem Boden, den der Mensch der Natur abgewann, ein schones Siegeszeichen des Geistes und der Kraft, steht das Kloster Monto- liveto. Zuoberst ein gothisches Castell mit Seitenllanken, Graben und Zugbriicke, dann die Kirche mit dem Glockenthurm, endlich die Gruppen der Klostergebaude und iiberall zerstreut einzelne Kapellen. Dichtes Griin unten in den Thalern und Schluchten. Oben um die Ansiedlungen vorzugsweise Oliven und Lorbeeren, Pinien und Cypressen. Das Kloster ist jetzt aufgehoben. Was Kirche und Monche im Mittelalter begannen, bleibt fortan frei und selbststandig gewordenen Kraften zur Fortfiihrung und Yollendung iiberlassen. Es war im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts , als drei sienesische Edelleute, der Rechtslehrer Bernardo de’ Tolo- mei, Ambrogio de’ Piccolomini und Patrizio de’ Patrizj das Benedictinerkloster Montoliveto griindeten. Im fiinfzehnten Jahr- hundert erhielt es seine Yollendung und im achtzehnten seine moderne TJmgestaltung; Der Maler Lorenzetti schmiickte gleich 54 bei der Entstehung die Wande des Baues und von seiner Hand sollen die Gestalten der drei Griinder gemalt sein, die noch heute in der Kirche zu sehen sind. Um 1440 waren dann die sienesischen Meister Sano di Pietro und Mattheo di Gio- vanni thatig. Fiinfzig Jahre spater schnitzte Barile die schonen Scbranke der Sakristei und begann Giovanni da Verona die Chorstiihle mit den geschmackvollen Intarsien, welche 1505 vollendet wurden. Yon ihm sind auch die alien Bilderrahmen, der stattliche Schrank in der Libreria und wahrscheinlich die liebliche Marmorstatue der Maria in der Kapelle des Noviziates. Ein Fresko in der Kapella der Scholastika, die Madonna in der Mandorla von Engelkopfen umschwebt, wird Pinturicchio zugeschrieben. 1497 und 1498 hatte Luca Signorelli die Fresken im Keuzgang gemalt, einen Abschnitt aus dem Bildercyklus^ den nun 1505 Giovannantonio zur Yollendung bekam. Ein grosser viereckiger Klosterhof, der an die Hauptkirche stosst, ist von drei Stockwerken mit offenen Corridoren um- schlossen, von denen das oberste Saulen hat und die beiden unteren auf Pfeilern ruhen. An den "Wanden ebener Erde sind die Hauptmomente aus Benedicts Leben dargestellt. Den nach aussen gehenden Pfeilern entsprechend, scheiden auf der Mauer gemalte Pfeiler die einzeloen Bilder, welche oben alle — wie das die Wolb ungen der Decke bedingen — im Halb- rund abschliessen. Enter jedem Bilde zog sich einst als Ein- rahmung eine breite Borde hin, welche zwischen Arabesken und Medallions die Brustbilder aller Ordensgenerale enthielt. Darunter aber bis auf den Boden, etwa 2 V 2 Fuss hoch, war ein marmorirter Sockel gemalt, auf welchem Inschriften zur Erlauterung der einzelnen Historien standen. Sockel und Borde sind schon in friiher Zeit vordorben und zerstort, die Haupt- sachen aber fast unversehrt geblieben. Da sie wenig bekannt sind und selbst in den Anmerkungen des neuen Yasari nicht immer richtig bezeichnet und gedeutet werden, so darf hier eine erklarende Aufzahlung aller Historien nicht uberfliissig scheinen. Der gegebene Baum und die Art, wie er sich archi- tektonisch gliederte, bestimmte die Zahl wie die Grosse der 55 Bilder. Welche Scenen aus dem Leben des Heiligen dargestellt werden sollten, bestimmten die Insassen des Klosters, vor Allen der Abt. Geleitet wurden sie dabei lediglicb von einem stoff- licben Interesse, da und dort von personlicher Yorliebe fiir den einen oder anderen Gegenstand, Ob dieser maleriscb oder nicht maleriscb war, darnach fragte die Klostergemeinde am allerwenigsten'. Der Kiinstler musste sich dann helfen, so gut es ging. Den Auftraggebern that er immer genug, wenn er nur recht drastisch und sinnlich fassbar jede einzelne Erzahlung illustrirte. Dafiir ward ihm jede Freiheit gelassen. 1) Mit Benedicts Abschied vom Yaterhause beginnt die Le- gende. Auf anspringendem weissem Boss — schon flattert der rothliche Mantel iiber der blauen Tunika im Winde — , die Zugel sicher, fest in der linken Hand, zieht der lebensfrische Knabe von dannen ; aber noch einmal wendet er das Haupt, noch einmal streckt er die Rechte nach den Seinen aus. Bis vor das Stadtthor von Norcia gaben sie ihm Geleit, alle dunkel gekleidet. Der Yater steht ruhig, ernst, sinnend, die Mutter aber, vom Augen- blick iiberwaltigt, ist in Thranen, wahrend ihr jiingstes Sohnchen sich an sie schmiegt, angstlich erschrocken vor dem Hunde, der es anbellt. Die beiden Schwestern daneben mit verweinten Augen haben noch Auftrage und Besorgungen mit der „Amme“ zu besprechen, welche auf einem Maulthier den scheidenden Bruder in die Welt begleiten soil, und durch ihren Blick und durch die Hand auf dem Herzen so zuverlassig als innig ihren treuen Dienst verheisst. Bechts im Mittelgrunde gewahrt man einen Diener in der bunten Traoht der Zeit : er hat die Thiere ans Thor gebracht und nun eilt er hastigen Laufes voraus, um dem jungen Herrn noch einmal nahe zu sein, um ihn am weitesten geleitet zu haben. Im ferneren Hintergrunde ziehen ein paar Saumthiere : sie sind mit dem Gepack vorweggeschickt. Jenseits des Flusses, der die Landschaft durchstromt, dort auf der letzten fernsten Erhebung liegt eine mittelalterlich-gothische Stadt. 2) Eine Ausbauchung der Wand theilt den zweiten Baum in einen kleineren flachen und einen grosseren ausladenden - . 56 Theil. Auf jenem erscheinen die Saumthiere vor der ewigen Stadt, die durch das Mausoleum mit dem rothen Engel oben und der Tiberbriicke davor cliarakterisirt ist.' Auf der Eundung dann ist die Philosophenscbule gemalt: eine saulengetragene Halle mit flacker kassettirter Decke, iiber welcher drei steliende Engel eine Guirlande halten. In dem Bogen liinten, der sich ins Ereie offiiet, thronartig iiber mehreren Stufen erhoben, steht der Lehrstuhl, den wiirdevoll der Professor einnimmt. An den Langseiten links und rechts je eine Bank mit den Zuliorern, gereiften Mannern und Jiinglingen. Alle sind .vornehm gekleidet. Aufmerksam und gespannt, angeregt und belebt folgen sie dem Vortrage des Meisters. Sie ahnen nickt und merken nicht, dass einer enttauscht, unbefriedigt, ungliicklicli von dannen flielit. Benedict sehnt sick nack einer anderen Weiskeit und suckt eine andere Erquickung seiner Seele. 3) Mit kimmliscker Wunderkraft erfiillt der ckristlicke Glaube den Menscken. Er kilft in alien Hingen aus. Hinter einem Tiscke in der Yorkalle eines Hauses stekt weinend die Amme. Ikre Weizenmulde ist zu Boden gefallen und zerbrocken, und Hiikner picken die Korner auf. Her keilige Knabe kniet im Gebet, und schon ist es erkort: keil und ganz liegt die Mulde vor ikm. Aker alle Welt soil das Wunder sehen. An dem Platze neben dem Hause stebt im Hinter grunde ein Tempel. An ein Saulenkapital desselben ist die Mulde aufgehangen, und aufgaffend zu ihr drangt sick vorn die erstaunte Menge. Fiir sick allein links an der Seite stekt ein vornekmer, bart- loser junger Herr. Ein schones feuriges Gesicht des Siidens mit feiner Adlernase, grossen dunkeln Augen. sinnlich frischem Munde. Auf den langen dunkeln Locken sitzt artig das Barett. Hie Kleidung ist elegant, die engen rothen Hosen, das griine Wamms, der dunkelpurpurne Mantel. Er kennt das Wunder schon, und wendet sick selbstgefallig zu uns^ die Bechte lassig in die Seite gestemmt und die Linke auf das Schwert gestiitzt. Es ist der junge Maler selbst, der sich uns kier zum ersten Male und so schmuck uud stutzerhaft vorstellt. Audi Tkiere, die er so gern um sick hatte, feklen kier nickt. Wie drollig 57 die Dachse drein schaueii ; wie schalkhaft eine der Krahen an dem kostbaren Mantel zupft! 1st das Selbstironie ? 4) In weiter Landschaft — nur rechts oben ganz in der Feme wird eine Stadt sichtbar — kniet Benedict vor dem alten heiligen Komano, der ihm das Grewand des Einsiedlers iiberwirft. 5) Aus Rom und dem Leben geflohen wohnt Benedict in dtisterer Hohle bei Subiaco, die bier nach Mantegnas Art etwas barock phantastisch gemalt ist. San Romano lasst ihm Speise und Trank an einem Soil herab ; aber der Teufel zerwirft mit einem Stein die kleine Grlocke, durch die Benedict seinem alten Freund das Zeichen gab. San Romano kniet auf dem Fels, unter dem die Hohle ist. Halt er den Jungling drunten schon fur todt? 6) Gott aber erweckt einen Mann, der dem Yerhungernden Nahrung bringt. Reben dem Bogen des Fensters, das in dieser Wandflache ist, schwebt Gott Yater, Links sitzt der Heilige wohlbedient mit Speise und Trank und von den Gebern in x^ndacht verehrt. Rechts berei'tet ein Knabe am Herd des Hauses das Essen. 7) Und schon eilen die Bauern der ganzen Umgegend herbei und verehren dem wunderbaren Jungling ihre besten Friichte, Wie neugierig und scheu zugleich die verblufPten Leute auftreten! Dumm lachelnd lauscht ein kahler Alter auf die ErzMung, die ihm ein junger Bursch ins Ohr raunt. Dann aber eine acht italische Figur, die schon in alten romischen Bildwerken erscheint und die den Reisenden noch heut auf Triften und Bergen auffallt, das ist dort rechts der Hirte. Unter der linken Schulter den langen Stab eingestemmt, nach welchem die rechte Hand iiber die Brust zum Festhalten heriiber- greift, die Beine libereinandergeschlagen : so steht er traumerisch da und starrt in die Welt und lasst die Zeit, Wind und Wetter, Menschen und Hinge an sich voriibergehen. 8) Yielleicht ist es dem Jungling leichter, der Weisheit und Bildung dieser Welt zu entsagen, als die Liebe und Lust der Erde zu vergessen. Yor uns sitzt Benedict, das Antlitz erregt und verziickt, als ob er wundersame Melodien hore, als 58 ob reizende Bilder vor seiner Seele schwebten, als ob der Liebe holdester Zauber ihn umfinge. Das ist die Versuchimg des Fleisches und des Teufels, sagt das ascetische Christenthum. Des Korpers Lust vertreibt des Korpers Schmerz. Und nun walzt sich dort nackt der junge Heilige in dem rauhen stachelnden Dorngestriipp. — Was nicht zu malen war, hat der Kiinstler oben in der Luftregion geistreich symbolisirt. Ein Engel des Himmels, angethan mit Wehr und WafFen, verjagt siegreich eine Frauengestalt , die verfiihrerisch schon ist, aber durch * Horner und grellrothe Fliigel biblisch genug gekennzeichnet wird. 9) W er sich selbst beherrscht, verdient, Anderen zu gebieten. Ein langer Zug braunkuttiger Eremiten naht sieh dem Jiingling, der hier im weissen Gewande erscheint. Uralte wiirdige Manner sind die vordersten, die bereits vor ihm knieen und ihn bitten, ihr Fiihrer und Gesetzgeber zu sein. 10) Allein auch in einer solchen christlichen Gemeinschaft gibt es Herrschsucht und Neid. Eine Judasnatur mischt dem heiligen Benedict Gift in deh Wein. Das ist die eine Scene des Bildes. Die andere enthiillt die geheimniss voile Macht der Kirche, ihrer Symbole, ihrer Diener. Der Heilige sitzt in einem Saal an einer Tafel, der Wein wird ihm kredenzt, er macht das Zeichen des Kreuzes, und von selbst zerbricht der Becher in der Hand dessen, der ihn darreicht. Grausen und Erstaunen fasst die Monche. Sehr lebendig wird es veranschaulicht , wie die fernstehenden heran vorwartsdrangen. Ein jiingerer Bruder ganz hinten hebt sich auf den Zehen empor und reckt den Hals mit riickwarts ubergebeugtem Kopfe. 11) Das Kloster Montecassino wird gebaut, und der Maler vergegenwartigt ein Ideal, wie es nur die kunstliebenden Bene- dictiner der Friihrenaissance sich wiinschen konnten. Eine lange imposante SMenhalle fiihrt in die Tiefe. Dort hinten steht ein Monch und bemalt mit seinem Pinsel an langem Stiele oben die Decke. Yorn auf einem Brett, das iiber zwei Saulen- kapitalen ruht, sitzt ein Arbeiter und mauert an der Wolbung. Unten am Boden meiselt ein anderer die Yerzierungen eines Kapitals, wahrend der fertige Schaft schon daneben liegt. 59 Andere sind anders beschaftigt, und yon links her kommen Monche, die sich wie billig an dem Fortgang des schonen "Werkes erfreuen. 12) Der heilige Benedict nimmt die Knaben Maurus und Placidus im Kloster auf. Er steht links Yor einer Gruppe yon Monchen und yor ihm knieen die beiden Knaben, deren Aeusseres ihren hohen Bang, deren Wesen und Benehmen ihre Demuth und liebeyolle Hingabe zeigt. Ein heiteres, reiches Leben lassen sie hinter sich. Bis in das Innere des Klosters ist es ihnen nachgefolgt. Hinter ihnen ihre Kosse mit den Eeitknechten ; zahlreiche Diener, auch ein Mohr ; ein Bursche halt einen Affen an der Kette; endlich Gefolge yon Bittern und das Yolk. Koch ein anderer Zug yon Beitern sprengt oben durch die Saulenhalle im Mittelgrunde. 13) Hart und streng ist das Klosterleben. Es ist so natiir- lich, wenn sich hier ein Monch yom Teufel wieder weglocken lasst und seinen Fuss iiber die Schwelle zuriick in die Welt setzt. Haneben sehen wir freilich sogleich die Strafe. Der Heilige hat ihn yorgenommen, die Kapuze iiber den Kopf gezogen und geisselt ihm nun den entblossten Kacken blutig. Dass man aber die Strafe gerecht finde, offnet sich uns im Hinter- grunde eine Zelle, und wir gewahren, wie dort der schwache Bruder yor dem Falle yon dem Heiligen gewarnt und er- mahnt wird. 14) Denen, die sich ihm weihen, gibt Gott alles Both- wendige. Am Bergeshang des Klosters fehlte es an Wasser. Auf das Gebet des heiligen Benedict sprudelt ein Quell aus dem Gestein heryor und durchfliesst dann fruchtbringend unten das Land. Entziickt stehen oder sitzen Monche herum, wahrend andere dankbar yor dem Wunderthater knieen. 15) Aber das Wasser bringt auch Gefahren mit sich. Ein Monch, der im Garten am Bachesrande arbeitet, lasst das Eisen seiner Hacke ins Wasser fallen. Die zweite Scene stellt den Heiligen dar, der den Stiel genommen hat und ins Wasser halt. Sofort zieht dieser wie ein Magnet das Eisen aus der Tiefe wieder an sich. Es gibt eine kirchliche Anschauungs- (30 weise, der auf Erden niclits gering iind niclits gross ist. — Der Maler benutzte hier den freien Raum liinter den Hauptgruppen zu einem reiclien Landschaftsbilde. Mit dem Fluss bringt er einen See in Yerb indung. In der Feme liegt eine Stadt; im Mittelgrunde ist eine Briicke, die aber von der Fluth ziim Tlieil zertriimmert wurde. Jetzt baden dort lustige Bursclien. Finer macht von der Briickenruine einen Kopfsprung ins Wasser, wahrend ein anderer, der es vor ilim that, eben nocli mit dem Hinteren und den strampelnden B einen aus denWellen hervor- guckb Am Ufer unter einem Baume balgen sich ein paar Aackte, imd dort kauert einer, der sich mit Miihe in seine engen, rothen Hosen hineinarbeitet. 16) Mit dem ^Yasser ist nicht zu scherzen. Benedict redet in seiner Zelle mit Maurus. Dieser aber ist es, der auf der Scene daneben liber die Wogen geht und Placidus aus der Fluth rettend emporzieht. 17) Eine Thiir in der Wand theilt hier die Flache zwischen beiden Pfeilern in zwei Theile. Auf der einen Seite verneigt sich vor dem Heiligen ein Knabe, der eine Weinflasche in der Hand birgt. Auf der andern, wo dieser sich allein weiss, will er sich daran erfreuen, aber statt des Rebensaftes kommt eine Schlange heraus. Has ist die Strafe fiir den, welcher den guten frommen Yatern iiber den Wein geht. 18) Der Heilige sitzt an reichbedeckter Tafel und wird ehrfiirchtig, wie es scheint, von Monchen bedient. Aber wieder einmal wollte ihn die Bosheit verderben. Das Brod vor ihm war vergiftet. Da kam ein Rabe und trug es fort. Wir sehen den Raben mit dem Brode unten am Boden und daneben eine Katze, die zwar in Klostern immer gern gehalten, aber von Malern sehr oft symbolisch neben Judas placirt wird, wenn er mit Christus und den anderen Jiingern zum letzten Abend- mahle bei Tische sitzt. 19) Yon dem Augenblicke an, wo der heilige Benedict an die Spitze des Ordens getreten ist, gibt es fiir ihn keine Ge- fahren und keine Yersuchungen mehr. Die Seinen vor diesen zu wahren ist sein Beruf. Aber die Ileerde, die er dem Himmel 61 zufiihren will, mochte der bose Priester Fiorenzo dem Teufel ins Garn treiben. Einmal, natiirlich durch die Kiinste des Bosen, baute er im Nu ein Freud enhaus Yor die Klosterpforte. Oben im Fenster spielen junge Leute lockend die Laute und die reizendsten Buhlerinnen sind unten Yor’s Haus getreten. Eben kommen nun die Monche, die im Feld oder in der Gemeinde zu thun haben, aus ihrem Kloster. Welche Ueberraschung, welclie Aufregung! Die Kutte ist auch kein Harnisch gegen Frauenschonheit. Den Alten Yorn schiitzen nicht einmal seine Jahre. Was er fiir Augen macht! Der junge Monch neben ibm, der den Esel halt, hat sich rasch Yon den Madchen weggewandt, und fiihlt nun an dem Eindruck, den sie auf den Alten machen, erst recht ihren Yerfiihrerischen Zauber. Zum Gliick ist bereits der heilige Benedict auf dem Seller iiber dem Klosterportal erschienen. Es ist als hatte der Kiinstler den Moment gemalt, wo Yor des Heiligen Blick und Wort der Zauber Yerschwindet, Gesang und Musik Yerstummt, die Freudenmadchen Biisserinnen werden, und bei den Monchen zitternde Liisternheit in er- schreckende Siindenerkenntniss umschlagt. Nun folgen neun Historien, die nicht Yon Soddomas Hand sind. Die erste derselben, die Aussendung Yon Benedictinern nach Gallien und Spanien, hat in einer Yiel spateren Zeit sein Schuler und Schwiegersohn Biccio entworfen, die anderen waren bereits Yor ihm Yon Luca Signorelli gemacht. Der Teufel stiirzt den Klosterbau ein und todtet dabei einen Monch, den Benedict wieder auferweckt. Der Heilige predigt Unglaubigen, die auf sein Wort ihr Gotzenbild zerstoren. Er macht einen Stein federleicht, den Yordem die Monche nicht Yon der Stelle riihren konnten; weil der Teufel darauf sass. Er rettet you Tod und Wunden Menschen, iiber denen der 'Teufel wieder einmal ein Gebaude zertriimmert hatte* Er speist mit einem Monche bei zwei armen Madchen und errath deren Gedanken. Er bethatigt seinen prophetischen Geist Yor dem angeblichen Gothenkonige und hat darauf eine Begegnung mit dem wirk- lichen Herrscher der Gothen. Die letzten Abschnitte der Legende hat wieder GioYann- 62 antonio gemalt. Wir bezeichnen seine Arbeiten mit fortlaufen- den Zablen. 20) Die Gothen zerstoren Montecassino. Die Flammen schlagen aus den Fenstern. Die Monche flielien zerstreut. Der Yordergrund ist von Kriegsleuten erfiillt, die natiirlich nicht das sechste, sondern den Anfang des sechszehnten Jabr- bunderts reprasentiren : Tartaren mit den Adlerprofilen imd den boben Pelzmiitzen, Tiirken, abendlandiscbe Ritter und Reisige. Der Konig in voller glanzender Eisenriistung will eben fort- reiten und ist mit dem einen Fuss scbon im Steigbiigel seines unrubigen Pferdes — ein Ritter daneben beugt sicb beriiber und bait ibm den Sattel fest — : nocb einmal aber w'endet sicb der Konig bastig nacb links und nimmt aus den Handen eines Bauern den Brief, den ibm der beilige Benedict zusendet. — In Burck- bardts Cicerone wird von Miindler bebauptet, dass in diesem Bilde die deutlicbsten Reminiscenzen an Leonardos Reiter- scblacbt zu finden wareii. A.llein Leonardo vollendete den Carton zur Scblacbt von Angbiari erst 1504, und Giovannantonio ist damals, so viel wir wissen, nicbt in Florenz gewesen. Er kannte das Work gar nicht. Und — man vergleicbe nur die erhaltene Gruppe aus Leonardos Bilde mit unserem Fresko. Yergebens wird man Uebereinstimmungen suchen. 21) Der Ordensstifter auf der einen Halfte vor einer Reihe gefullter "Waizensacke, auf der anderen mit Moncben bei Tische. Die braven Moncbe verkommen nicht trotz Krieg und Kothstand. 22) Der beilige Benedict erscheint zwei schlafenden Mon- cben mit einem Klostermodell im Traum. Daneben wird es dann gleicb ausgefiihrt; Zwei Manner loschen Kalk, andere setzen Backsteine auf; Alles ist in vollem Gauge. 23) Als Benedict erst sicb selbst zum Manne Gottes vollendet, dann seine Gemeinde gegriindet und zuletzt auch fiir alle Zukunft Form und Norm seines Ordens bestimmt bat: da kommt er zum Sterben. In der Kircbe wird Messe gehalten: am Hochaltar drei Geistliche in Funktion, davor die singenden Cborknaben, im Yordergrund Nonnen und Manner und Frauen aus dem Yolk. 63 24) Der Leichnam des Heiligen liegt am Boden und erhalt von einem Monche eine Hostie in die Hand. In ernster Andacht steht das Yolk herum. 25) Hier durchbreclien eine Flache zwischen zwei Pfeilern zwei Fenster, deren Mscben mit Bundbildchen verziert sind und die unter sicb eine bronzefarbige breite Borde baben. Auf dieser sind Seegottbeiten gezeicbnet, wie wir sie auf an- tiken Sarkophagen finden. Auf der nachsten Wandflache kommt der Heilige noch einmal als "Warner und Troster. Ein M5nch, der aus dem Kloster fliehen will, wird an der Schwelle von einem Hrachen zuruckgeschreckt. Hann steht er niedergebeugt und weinend vor dem heiligen Benedict. 26) In ofFener freier Landschaft sprengt ein Bitter auf seinem Schimmel mit hochgeschwungenem Schwerte einher. Er verfolgt den armen Bauer, der sicb bier ins Schilfdickicht fliicbtet, wo ihn dann ein zweiter Kriegsmann, der sein Pferd von einem Knappen halten lasst, einholt und ergreift. Die Hauptscene, die den Yordergrund einnimmt, stellt den Bauer dar, wie er gefesselt von den beiden Bittern fortgeschleppt wird, der heilige Benedict auf sein Anrufen erscheint, und nun auf dessen Wort zum Entsetzen der Bitter die Fesseln in Stiicke zerrissen zur Erde niederfallen. So spricht denn der Kiinstler in seinem letzten Gemalde zu der ganzen Bauern- gemeindc, die das Kloster umgab, und zeigt ihr in einer gewalt- thatigen rohen Zeit ihren macbtigen, immer bereiten Heifer. Das sind die 26 Bilder, die Giovannantonio aus dem Leben des heiligen Benedict in Montoliveto gemalt hat. Da die Kummern 6, 10, 17 und 21 jedesmal zwei Hauptscenen ent- halten, so ist in den Klosterrechnungen von 30 Historien die Bede, fur welche 1504 Gulden bezahlt wurden. Aber eben dort bat der junge Meister noch andere Freshen hinterlassen. Im Innern des Bogens,'der in den Klosterhof fiihrt, stellte er in Halbfiguren rechts Christus an der SMe und links den kreuz- tragenden Christus dar. An einer Treppenwand bemerken wir die figurenreiche Composition: Christus auf dem Wege nach Golgatba und die heilige Yeronica. Die widerliche Pieta etwas G4 weiter oben wird ihm unrichtig beigelegt; sie ist eine schlechte Arbeit eines spateren Malers. Dagegen gehort die Madonna zwischen Petrus und demErzengel Michael entschieden Giovann- antonio. Die grosste Ehre von diesen zerstreiiten Arbeiten macht ihm die Kronung der Maria. Holdselig in Demuth ge- neigt, empfangt sie von Christus das Diadem als Himmels- konigin. Aus der Lichtglorie, die beide umfliesst, heben sich zarte Engelchore ah. Eine kleine fein gezeichnete Landschaft imten am Eande des Bildes deiitet die Erde an, fiir die sich ja durch das Christenthum alle Ilimmel erschliessen. Gelebt hat Giovannantonio irdisch geniig in Montoliveto. Es war die Zeit halkyonischer Kuhe fiir die Kirche: der Gewitter- sturm der Keformation w^ar noch nicht an ihrem Horizonte heraufgezogen. Die ganze Clerisei vom Papste bis zum letzten Monche genoss mit Lust und Behagen das Leben und seine Giiter: ohne Furcht und Bedenken, ohne jede Ahnung einer Gefahr Hess sie eine neue Wissenschaft und einen anderen Geist machtig werden; mit unbefangenem Yergniigen sah sie die hochentwickelten Kiinste im Dienste der Kirche nach Ge- setzen arbeiten, welche im innersten Grunde sehr wenig Yer- wandtschaft mit christlicher Moral und Dogmatik hatten. Yon asketischer Strenge war nicht einmal bei Ordensgeistlichen und Monchen viel zu spiiren. Der Himmel war ja langst er- obert und durch einen unendlichen Ueberschuss von guten Werken gesichert ; 'man freute sich nun auch der schonen Erde von ganzer Seele. Die Olivetaner Kutten schiitteten sich vor Lachen iiber die ausgelassenen Streiche des jungen Malers aus Yercelli. Seine Person stand ihnen nicht weniger zu Sinne als seine Kunst, und sicherlich waren es ihnen selbst die heiter- sten Stunden, wenn er das ganze Kloster mitsammt den ehr- wiirdigen Yatern auf den Kopf zu stellen schien. Sie nannten ihn lachend nie anders als ihren Erznarren, ihren Mattaccio. Einmal kommt ein Mailander Edelmann und vertauscht gegen die Monchskutte seine eleganten Weltkleider. Mattaccio lasst sich diese von den Monchen schenken, stolzirt mit dem ge- schniirten und garnirten kostbaren Mantel im Kloster herum 65 und verewigt sich mit diesem ritterlichen Costiim sogar in seinen Fresken, wo wir ihn denn anch bewundern mussten. Die Historie von Benedicts Monchen und den sckonen Buhlerinnen war sehr nach seinem Greschmack. Er mackte ein Haupt- stiick daraus, und liess es Niemand sehen, bevor es fix und fertig war. Die Monche und ihr Greneral standen und drangten in gespannter Erwartung vor dem Bilde, bis der Yorhang fiel. Welcbe Yerwirrung iiberrascbte sie aber, als nackt von oben bis unten, in frecher Lust, jubelnd, tanzend und springend die schonste Madcbenschaar vor ihren Blicken stand! Die Legende wurde in der That noch einmal zur Wirklichkeit, und wie Sanct Benedict einst gegen Fiorenzos Teufelsspuck, so fuhr jetzt der Ordensgeneral gegen den Maler und seine nackten Frauenzimmer los. Giovannantonio aber verwandelte sein frivoles Bild in jene ernste bedeutsame Scene, die nun immerfort mit christlich dogmatischer Stimmung be^ trachtet werden kann, ' Harmlose Spasschen im Hintergrunde seiner Fresken an- zubringen blieb dem Kiinstler nicht verwehrt. Auch das nahm ihm keiner iibel, dass er in die kleinen Medaillons der ein- rahmenden Borde die Kopfe der iebenden Klosterbruder por- tratirte und sie fur diejenigen der Ordensheiligen und Generate gelten liess. Unbedingt seiner Laune iiberlassen waren die gemalten Pfeiler und Bogen, womit er die einzelnen Historien einfasste und von einander trennte. Pinturicchio ist in diesem architektonisclien Beiwerk sein massgebendes und bestimmendes Yorbild. Die Pfeiler sind nach Art und Weise der Friihrenais- sance behandelt, die sich bei den Pfeilerfiillungen mit reicher Beliefverzierung nie genug thun konnte. Giovannantonio liess breite weisse Bander oder Kanten und legte in diese eine goldgelbe Fiillung, auf die er dann buntfarbige Arabesken, sowie kleine Bundbildchen anbrachte, welche als zierliche Beliefs von weissem Marmor gedacht waren. Christliches und Heidnisches kommt nun auf diesen letzteren vor: die Taufe Christi, Herkules und die Hydra, Bitter Curtius vor dem Schlunde, welchen Arbeiter vergebens durch Einschiittung von Erde zu fiillen suchen, ferner Jansen, Soddoma. 5 66 Mucius Scavola, die Statue Marc Aurels mit einem Beschauer davor, mid Lucrezia, die sicli erdolclit. Wir bemerken sogar eine Scene, bei der uns liermapliroditische Bildungen im tJn- klaren lassen, ob damit Judith und Holofernes oder David und Goliath gemeint sein soil. Alles Mogliche und Unmogliche bieten die Arabesken: phantastische Thiere, Yogel in jeder Form 'und Farbe, Yogelkafige, Greife, Drachen, fratzenhafte Ungethiime, ein Kerl mit Storchhals und Storchschnabel, Affen in den drolligsten Geberden und Geschaften, barocke Fontanen mit allerlei Figuren, Missbildungen , wie z. B. ein AfFe statt mit zwei Beinen mit einem einzigen riesig langen Bein, oder ein Mensch mit dem Gesichte auf der Brust, ein anderer mit verschrobenen und verrenkten Extremitaten , ein dritter mit einem Eselskopfe im Bett liegend und vom Teufel mit einer Yisite beehrt; selbst wahre Mephistophelestypen treten auf. Eeber dem Scavola-Medaillon sind ein paar gefliigelte Teufel, welche sich auch ihre Hande liber einem Feuerbecken ver- brennen. In einer Arabeskenranke sitzt und lehnt wie in einer Schaukel ein Maler und colorirt eine Heilige auf seiner Tafel: das affectirte Wesen eines albernen Pinselfiihrers kann nicht hiibscher carrikirt werden. Alle diese Dinge aber sind un- glaublich fluchtig und liiderlich gemacht; sie erinnern durchaus an die leichtfertige Koutine, die den Besucher Pompejis iiber- rascht. Es sind Improvisationen, die der Maler ohne alle und jede Yorbereitung und Yorzeichnung auf seinen nassen Kalk hinschrieb. Leider bemerkt man aber auch, dass selbst die grossen Compositionen sehr ungleich behandelt sind. Der Ordens- general hatte wohl Grund, seinem Landsmann auf die Finger zu sehen. Als er ihm einmal seinen Leichtsinn und seine Nachlassigkeit tadelnd vorhielt, erwiderte Giovannantonio : er konne nie anders als nach Lust und Laune malen, und sein Pinsel tanze nur nach dem Klange des Geldes. Pater Domenico bezahlte darauf etwas mehr, und nun ging es in der That eine ganze Weile besser. Den sittlichen Fleiss, die miihsame Arbeit, den strengen kiinstlerischen Ernst, den der Mattaccio in Luca Signorellis 67 Werken bestandig vor Augen sab, liat er sich nie angeeignet und nie erstrebt. Die peinlich6 Art dieses Yorgangers, der die Haare womoglich auch in den Augenbrauen einzeln malte, war ihm zuwider. Und vielleicbt erfreute sich damals schon Niemand mehr an dessen stylvollen Gewandern, an der iiber- scharfen Markirnng der Muskeln, an seiner harten und trockenen braungelben Fleischfarbe. Giovannantonio entziickte durch kost- liche Kaivitat, durch geistreiche Gedanken, durch Keichthum und Beweglichkeit der Phantasie. Mcht die Wenigsten blendete seine liebenswiirdige , aber noch oberflachliche Anmuth, sowie seine poetisch feine Sentimentalitat. Alle aber bewunderten seine ungew5hnliche Gewandtheit, seine lebendige Frische und den Zauber seiner Farbe. Man wiirde freilich sehr Unrecht thun, wenn man diese Olivetaner "Wandgemalde mit den klas- sisch vollendeten Meisterschopfungen damaliger Florentine!* ver- gleichen wollte ; sie erreichen nicht einmal die Freshen Benozzo Gozzolis in Arezzo und Pisa, oder jene Lebensgeschichte des heiligen Benedict, wie sie in I^eapel im Kreuzgange von San Severino der ausgezeichnete Zingaro dargestellt hat. Weniger weit als in Pienza, aber immer noch sehr weit ist Giovannantonio auch in Montoliveto hinter Pinturicchio zuruckgeblieben, dem er als seinem Yorbild mit wahrer Leiden- schaft nachstrebte. Der Kunst ist allerdings stets erst das Beste gut genug; allein alles acht Urspriingliche, alles wahr- haft Eigenthiimliche wird doch auch in ihr sehr gern auf- gesucht und anerkannt. Giovannantonio fesselt uns durch sein Schonheitsgefuhl. Seine kiinstlerische Bedeutung liegt in seiner Originalitat, in seiner merkwiirdigen, ja sonderbaren Eigenart. Und diese nun ist es , die in seinen Olivetaner Schopfungen zum ersten Male zum Durchbruch und zur Freiheit kommt. Das Fresko bestimmt von nun an seine Technik und sein ganzes kiinstlerisches Yerfahren. Fine Art zu malen, die sich in peinlicher Miihe und Gewissenhaftigkeit nie genug thun konnte, hatte Leonardo da Yinci von seinem Meister Yerrocchio uberkommen ujid bis an die Grenze des Menschenmoglichen fortgetrieben und gesteigert. Am liebsten 68 hatte er daim diese Technik der StafFeleibilder auch auf die Wandmalerei libertragen. Giovamiantonio aber begann sehr bald ein umgekehrtes Yerfahren imd behandelte die kleinste Tafel Oder Leinwand als ob er es mit grossen Mauerflaclien zu tbun hatte. Cennini warnte in seiner Schrift nachdriick- lich davor, die Malerei mit Erlernung der Wandmalerei zu beginnen. Er kannte die Grefahr, obgleich er die Ereskoarbeit „die siisseste iind reizendste Arbeit “ nannte, die es gabe. In diesem Sinne hat sie auch Giovannantonio am meisten geliebt und wohl nicht darum, weil sie nach Michel Angelos Auf- fassung die einzige dem Manne wiirdige Malerei war. Blitz- schnell zu malen, wie seine Phantasieen eine nach und mit der anderen in ihm emportauchten, wird seine Lust, und die Yirtuositat gilt ihm iiber Alles. Lurch die Freskomalerei, wie er sie von Pinturicchio iiben sah und dann nach eigener Weise fiir sich ausbildete, befreite er sich von dem iiberwaltigenden Einflusse Leonardos und gab zugleich mit dessen Technik dessen Styl auf. Alles Ueberlieferte, mag es auch noch so verstandig aufgenommen, noch so liebevoll wiedergegeben wer- den, bleibt doch immer eine Art kalter Begrilf und Symbol, Phrase und Manier. Die Lombarden, Luini, Cesare da Sesto, Salaino u. A., horen eigentlich ihr Leben lang nicht auf, Schuler zu sein, und oft sind sie uns bios darum worth, weil wir bei ihnen Compositionen und einzelne Gestalten linden, die wir von ihres Meisters Leonardo eigener Hand nicht besitzen und die uns auch in matterem Widerschein unschatzbar worth und theuer sind. Giovannantonio aber hat sehr friih begonnen, unmittelbar aus dem unendlichen Strom der JSTatur und des Lebens zu schopfen. Er folgte jenem Worte des grossen Meisters und wurde nicht ein Enkel, sondern ein Sohn der Natur. Was er auf der Hohe seines Konnens geschaffen hat, ist dann auch ganz sein eigen, ergreift uns durch eigenes inneres Leben und erweitert und bereichert zugleich das Gebiet der Kunst. Nicht mit einem Male offehbart der Genius vollkommen, frei und selbststandig sein eigenes Ich. Auch fiir den gewor- denen und fertigen Kiinstler wird es zuweilen Nothwendigkeit, 69 ,sich dem Wesen eines anderen Meisters anzubequemen , wenn dieser ausscliliesslich den Geschmaok des Publikiims, sein Geld und seine Neigung fiir sich hat. Kafaels Yater liatte in einer Keiinchronik Leonardo und Pietro Perugino schon in ilirer Jugend als gottliche Maler gepriesen. Beide waren zusammen Schiller Yerrocohios gewesen, und Beide haben dann, wenn auch unendlich yerschieden untereinander , in ihrer Zeit den grossten Einfluss auf die Entwickelung der Kunst und der Kiinstler gehabt. GioTannantonio sollte yon Beiden Einwir- kungen erfahren: das "Wesen Peruginos ergrifF ihn gerade in der Epoche, wo ihn die Freskomalerei yon Leonardo wieder entfernte. Yon Perugino kamen zwei bedeutende Bilder nach Siena : eine Andacht am Kreuz, die noch heute ein Schatz der Kirche Sant Agostino ist, und dann spater eine andere Altar- tafel in San Francesco. Yon dieser letzteren und yon einer Geburt der Jungfrau Maria, welche Pinturicchio fur dieselbe Kirche ausfiihrte, yon beiden Bildern sagte der gleichzeitige sienesische Chronist Sigismondo Tizio, sie waren an Werthe dem Werke gleichgekommen , das yor ihnen Gioyannantonio ebenfalls fiir San Francesco gemalt hatte. Da alle drei Altar- bilder durch einen Brand 1655 zerstort worden sind, so konnen wir den Ausspruch des Chronisten nicht beurtheilen. Wir wissen nur, dass Gioyannantonios Tafel Christus auf dem Wege nach Golgatha darstellte. Sigismondo Tizio aber, der yon 1448 — 1528 lebte, schrieb in einer Zeit, wo man wenigstens in Siena Gioyannantonio nicht sowohl an Perugino als Peru- gino an Gioyannantonio mass. Betrachten wir seine hierher gehorenden Bilder. Es sind uns zwei erhalten. Eine Mutter Gottes mit dem Christkind im Palast Torrigiani in Florenz zeigt auffallend die Hinneigung Gioyannantonios zu Perugino. Die Kreuzabnahme , die er fiir San Francesco in Siena com- ponirte, gehort derselben Bichtung an. Das beriihmte grosse Bild steht gegenwartig in der Gallerie yon Siena, und klart uns besser als jene Bemerkung des Chronisten iiber das Yer- haltniss auf, in welchem der junge Maler zu Perugino und Pinturicchios Kunstthatigkeit stand. 70 Genau in der Mitte der hohen, oben halbkreisformig ab- geschlossenen Bildflache erhebt sich das einfache Kreuz. An dem Qiierbalken ist links imd rechts symmetrisch je eine Leiter schrag angelehnt und mit datternden Bandern oben befestigt. Sitzend imd lehnend auf einem langen Tuche, das an dem linken Kreiizarm angebimden ist, wird der Leichnam des Erlbsers lierabgelassen. Nicodemus fasst ihn unter dem rechten Arm und am Haupte und steigt behutsam mit ihm herab , wahrend der Mann auf der Leiter rechts Christus am Handgelenk ergriffen hat, und mit seiner Linken jenes lange Tuch zugleich an sich zieht und Stiickchen fiir Stiick- chen beim Herunterkommen nachlasst. Unten aber steht Johannes und halt beide Fiisse des Erlosers. Mit zartlicher Aufmerksamkeit dient er bei dem schmerzlichen Liebeswerke; aber welche tiefinnere Seelenwehmuth spricht aus den auf- warts gehobenen Augen! End der Vorgang oben kann nicht , drastischer und nicht wundervoller charakterisirt werden. Man meint in der That die Manner hiedersteigen , den Leichnam von ihnen gehalten auf dem Tuche niedergleiten zu sehen. Nicodemus, eine tiichtige achte Mannesgestalt, ist der ernst er- griffene, thatig handelnde Freund ; sein Gehilfe geht in gewissen- haftem geschaftigem Eifer auf; nicht in Empfindungen, nur in der Erfullung seiner Arbeit aussert sich bei diesem Diener das, was man Herz nennt. Zwei Krieger an der Leiter rechts erzahlen sich das Ereigniss der letzten Tage, unbekiimmert und unbewegt von dem, was eben vor ihnen geschieht. Sie sind keine fratzenhaft gemeinen Kriegsknechte ; sie sind stolze romische Soldaten, denen nichts anderes zu Sinne geht als ihre Welt und ihr Dienst. Ihr Interesse kommt uns fast eben so beschrankt und vornehm trocken vor, wie etwa die kurze ^ Notiz des Tacitus iiber die Kreuzigung Chris ti. Ganz anders die beiden Manner an der anderen Leiter: beide fiihlen Mitleid und ein menschliches Buhren, der eine aufwarts sehend mit dem Gekreuzigten und der andere vorn mit der Gruppe der Frauen. Tm Gegensatz zu dem ruhig engelmilden Johannes steht Magdalena in Angst und Schmerz, in leidenschaftlicher 71 Erregung unter dem Kreuze und blickt empor. Sie zittert und bangt fiir den geliebten Todten, dass er ja so sanft, so zart als moglich niedergelassen werde. Jede Bewegung dabei schreckt sie : in ihrem starren Blick, in dem halbgeoffneten Munde, in dem Ausstrecken der Arme, in dem Ansspreizen der Hande spricbt sich das aus. Ihre langen pracbtigen Haare sind aufgelost; die Bliithe ibrer Jugendschonbeit ist dem Grram zur Beute geworden. Und trotzdem und trotz der Aufregung des Momentes adelt sie nicht bios ibre Liebe, sondern nocb immer aucb die Herrlicbkeit ibrer Gestalt. Wie immer ist sie in jedem Momente mit ganzer Seele bei dem Herrn. Sie siebt es nicbt und abnt es, dass Maria, die eben nocb ibr zur Seite stand, vom Web liberwaltigt zusammengebrocben ist. JN^eben dieser links und rechts am Boden sitzen und knieen die Frauen, umfassen sie mit ihren Armen, stiitzen sie, sucben sie emporzurichten. Eine dritte, die das jetzt erst bemerkt, wendet sich erschrocken um und beugt sich nun in Hast, gleichfalls um zu helfen, iiber die obnmachtige Mutter Gottes nieder. Hier atbmet Alles ergreifende Innigkeit und Tiefe der Empfin- dung, und die himmlische Schonheit dieser Gestalten scheint als nothwendig sich von selbst zu verstehen. Ueber den Keichthum der Gedanken herrscht die Einheit der Composition und gibt den ideal verklarten Formen eine energische Cbarakteristik , Leben und Wabrheit. Ein edler, boher Sinn geht durch das Gauze. Selbst in der wehmuthigen Stimmung der idyllischen Landschaft und des bewolkten Him- mels iiber ibr offenbart sich dieser Geist. Das beschrankte, aber vornehme Yerhalten der romischen Welt, die Werk- tbatigkeit gefiihlvoller, aber aucb praktischer Freunde und im Unterschiede davon das Benehmen der Diener, die hochstens der Augenblick riihrt, die Resignation des sanften Johannes, die Leidenscbaft der Magdalena, die Liebe des Mutterherzens, das im Schmerze bricht : hier erscheint jede Form der Theil- nahme und des Mitleids, bedeutsam, riihrend oder erschiitternd ; hier erklingt rein und voll jeder Ton der bewegten Seele, und ibr Zusammen wirkt als ergreifende Harmonie. Die kiinst- 72 lerische Ausfulimng, mit Ausnahme der fiinf Bilder aus Cliristi Leidensgeschichte auf der Predella, ist gewissenliaft sorgfaltig. Die symmetrisclie Composition, die Aufstellung des Kreuzes uud der Leitern, das Flattern der Bander, das zackige, unruliige Auseinandergeiien einiger Gewander, die griine Farbe gewisser StofFe : das und Anderes inelir erinnert an die Schule von Pe- rugia. Aus Battista di Yermiglioli „di Bernardino Pinturicchio‘‘ erfaliren wir, dass das Bild wirklicli eininal fiir eine Arbeit Pinturicchios oder Peruginos gehalten worden ist. Allein die Gebilde dieser Manner sind docli von ganz anderem Stoff und Wesen, als die ebenso idealen wie lebendigen Gestalten Gio- vannantonios. Dagegen ist es wahr, einzelne Kopfe geinahnen wobl nocli an Schopfungen Leonardos; aber auch sie inacben den Eindruck vollkommener Unmittelbarkeit und Wahrheit, weil sie niclit deni Gedachtniss, sondern dem innersten Fiililen und Einpfinden des Meisters entsprangen. Er sieht, kann man sagen, mit den Augen Leonardos, aber er sieht auf dieWerke der Aatur selbst und nicht mehr auf die Werke seines grossen Maiiander Lehrers. Otto Miindler irrt sehr, wenn er in Burk- liards Cicerone behauptet, dass die alten K5pfe, die fliegenden Ge wander und die Farbung an Gaudenzio Ferrari erinnere. Als Giovannantonio' die Lombardei verliess, war der mindestens vier Jahre jiingere Gaudenzio erst 15 bis 16 Jalire alt, und so viel wir wissen, hat Giovannantonio niemals weder diesen Maler noch dessen Werke zu Gesicht bekommen. — Paolo Lasinio hat die Kreuzabnahme Giovannantonios gestochen. Annibale Caracci stand einst vor ihr in San Francesco und betrachtete das Werk mit Entziicken. Er pries seinen Urheber als einen sehr grossen Meister und als einen Kiinstler von vollendetem Geschmacke, der nur wenige seines Gleichen habe. Ill, (xiovaimantouio in Rom. Pandulfo Petrucci hatte seine Tochter Sulpicia dem Giulio di Leonardo Bellanti als Yerlobte zugesprochen. Als aber beide Familien in politische Todfeindschaft geriethen, war eine derartige Yerbindu^ig nicht mehr moglich, und der Tyraiin gab 73 seine Tochter dem reichen Sigismondo Cliigi aus Siena. Abends am 2. Februar 1507 land die Verlobung und am 19. Marz die Hoclizeit statt* Sie wurde fiirstlicli begangen. Um die Fasten, die eben waren, kiimmerte sicli die klassisch-lieidnische vornehme Welt sehr wenig. Den strengen Kirchengesetzen und, alien Pfaffen und Pliilistern zum Trotz jubelten und schmausten die Festgenossen, fiibrten Dilettanten Comodien auf und vollzogen die Neuvermahlten ihren Beischlaf. Unter den Grasten befand sich der Bruder des Yerlobten, Agostino Chigi aus Bom. Die moderne Macbt des Grosskapitals be- ginnt gleicli mit der Friihrenaissance. Die Fugger liessen die ersten Kirchenscliriftsteller ^ liber das Becht, Zinsen zu nehmen, Abliandlungen scbreiben. In Italien war das iiberflussig: dort wurden die Kapitalisten nicbt nur Fiirsten, sondern aucli Cardinale und Papste. Agostino Cliigi war Bankier Julius II. und Leos X. und einer der angesehensten wie der reichsten Manner Italiens. Die Stadt Siena hatte Julius II. bei seiner Erliebung zum Papst damit gesclimeichelt , dass sie seine Familie von einem uralten sienesischen Geschlecbt ableitete. Er seinerseits be- elirte 1509 seinen sienesischen Bankier und dessen Bruder mit der Yerleihung seines Wappens und Familiennamens. Aber Agostino war niclit bios Greschaftsmann und Freund der Grrossen dieser Erde. Er schatzte die Wissenschaft und hat durch Errichtung einer Druckerei .in Bom das Studium der Griechen und Bonier gefordert. Er erfreute sich im Uingange mit gelehrten und geistreichen Mannern, die seine Gunst reich- lich erfuhren. Aber vor alien Dingen liebte er die Kunst und die Kiinstler. Das entsprach seineni ausgelassen froh- lichen Sinn am meisten, seinem Wohlgefallen an vornehmer Eleganz und fiirstlicher Pracht. Ein Macen der Kiinste und Wissenschaften, ein Held in galanten Abenteuern, ein Lucullus in iippig festlichen Gelagen: so war auch er eine klassische Erscheinung in jener Zeit, der es mit der Wiederherstellung des klassischen Alterthurns so griindlich Ernst war. In dem Beginn des 16. Jahrhunderts war wirklich erlaubt, was gefiel; Agostino Chigi aber gab sich dieser reizeoden Freiheit des 74 individuellen Daseins mit voller Seele hin. Und gerade Rom gewahrte dieses Gliick mehr als jede andere Stadt der Christen- heit. Man begreift das Aergerniss Luthers, der eben dieses Rom im Jahre 1511 zu sehen bekam. Was verstand der Monch von der grossen Politik Julius II., was der nordische Barbar von den sclionen Kiinsten Italiens ! Proplietischen Blickes sab er den nalien Untergang dieser Welt, aber seine kindliche Demuth ahnte nicht, dass in ilim selbst der Riesen- geist wohnte, der sie zertrilmmerte. — In Siena horte Alles mit Staunen auf die Wunderdinge, die Agostino Chigi von Rom erzahlte, wo tausend und aber tausend Hande daran arbeiteten, Rom aus der Ruinenwelt des Mittelalters zu einer neuen Stadt, zur wiirdigen Residenz des gewaltigsten Fursten auf Erden zu maclien. Port war jedes Talent und jede Kraft willkommen. In Siena aber gab es manchen Kiinstler, der dem Bankier gefiel, und mit dessen Erwerbung er dem Papste eine Freude zu bereiten hoffte. Zwei junge Manner stachen ihm vor alien anderen in die Augen, Baltliassare Peruzzi und Giovannantonio di Yercelli. Und beide beredete er, ilim nach Rom zu folgen. Hier hatte Bramanti eben die Cancelleria. fiir Cardinal Rafael Riario und den Palast Giraud fiir Cardinal Hadrian von Corneto vollendet. An der Via Julia wurde unter Julius II. das Gerichtsgebaude begonnen. Agostino Chigi brachte die beiden sienesischen Kiinstler in einem bedeutungsvollen Zeitpunkte nach Rom. Am 15. April 1507 wurde der Grundstein zum grossten Home der Welt, zum neuen Sanct Peter, gelegt. Kach Beendigung des Schisma war der Vatican anstatt des Lateran Residenz der Papste geworden. Den Verbindungsgang mit der Engelsburg errichtete Johann XXIII. In Xicolaus V. erwachte dann der moderne leidenschaftliche Bausinu. In wenig Regierungsjahren (1447 — 1455) hat er fiir die Ilerstelhing der Stadt, der Befestigung und der Kirchen Unglaubliches geleistet. Rom sollte die erste Stadt, der Vatican der erste Palast der Welt werden. Enter den Malern, die der Papst berief, war auch Fiesole, der die Kapelle des Vatican mit Fresken aus dem I^eben Sail Lorenzos iind Santo Stefanos schmiickte. 75 Sixtus IV., den Platina einen zweiten Romulus und Erbauer der Stadt nennt, Hess durcb Baccio Pintelli die Sistina bauen, fiir welche Cosimo Roselli, Sandro Boticelli, Domenico Ghir- landajo und Perugino grossartige Wandgemalde ausfiihrten. Alexander VI. Hess durch Pinturicchio die Appartements Borgia malen und Julius II. beschloss, die Gemacher, die einst Mco- , laus V. gebaut hatte, zu einer glanzenden Wohnung fiir sich herrichten zu lassen. Der alte Perugino wurde zu diesem Zwecke herbeigeholt, und neben ibm, you Agostino Chigi empfohlen, Giovannantonio von Yercelli angestellt. 1507 haben beide in zwei aneinanderstossenden Zimmern ihre Arbeit be- gonnen. Drunten auf dem Platze baute Bramanti am Sanct Peter und gleichzeitig fiilirte er die Gallerieen auf, die den Vatican mit dem Belvedere verbinden sollten. Am rechten Tiberufer, nicht weit von der Leostadt, errichtete Peruzzi die Villa Chigi. Die Guilst des Schicksals hatte den Maler von Vercelli wie im Traume auf die Hohe des Lebens erhoben. Kaum ein Jahr spater, und er sah sich von dort mit sammt dem alten Routinisten von Perugia wieder vertrieben. Nicht sie waren berufen, den heiligen Mittelpunkt der katholischen Kirche und Herrschaft auch zum Heiligthum der modernen christlichen Kunst zu machen. Am Anfange des Jahres 1508 begann Michael Angelo die Deckenbemalung der Sistina, und am Ende desselben Jahres ubernahm an Peruginos und Gio- vannantonios Stelle Rafael die Ausschmiickung der Zimmer Julius II. , die aber fortan nicht mehr nach dem Papste, sondern nach dem Maler benannt werden sollten. Mit dem Jahre 1508 erreicht die Malerei mit einem Male in Form und Gestalt eine derartige Vollendung, dass auch das Beste, was eine fiiihere Zeit, was die unmittelbare Vergangenheit hervorgebracht hatte, tief unter ihr zuriickblieb. Trotz aller vorhergehenden Entwickelung und Ausbildung kommen die Schopfungen Michel Angelos und Rafaels mit einem Male zum Vorschein, wie aus dem Haupte des Zeus Pallas Athene. "Wer mit den Werken von 1508 das vergleicht, was die eigenen Ur- heber derselben, was Michel Angelo und Rafael vor dieser Zeit 76 gemalt liaben: der erstaunt iiber die wunderbare Veranderung in ein und derselben Person. Der auserwahlte Genius, Frem- den und sicb selbst ein Geheimniss, wandelt wolil anfangs in den alten Bahnen der anderen: aber sowie seine Zeit erfiillt ist, dann liebt er sicb plotzlicb aus jenen hocli einpor zu neuen Spbaren und zu neuem Liclite. Das Schioksal, das nach manclien Anderen auch Perugino und Giovannantonio , zuletzt aber Michel Angelo und Rafael in den Dienst der Papste stellte , wollte der Welt beweisen , dass nicht die grossen Aufgaben den Kiinstler gross maclien, ^ondern dass einzig und allein die grossen Kiinstler ilire Aufgaben auch gross zu losen im Stande sind. Alles, was in den Stanzen einst unter Mcolaus V. und soeben noch unter Julius II. gemalt war, wurde zerstort, um, wie billig, den Offenbarungen rafaelischen Geistes Platz zu inachen. Wenn der edle Urbinate, als er 1517 die Stanza del incendio malte, Peruginos Decke unversehrt liess, so war das eine Pietat des Schulers gegen den alten Meister. Dass er aber 1508 in der Stanza della segnatura die Deckenein- theilung Giovannantonios beibehielt, das war eine Anerkennung, die der Genius dem Talente bewies. Und in der That, Gio- vannantonios Arbeit ist in ihrer Art so schon, dass sie nicht nur diejenige Peruginos weit iibertrifft, sondern manche Vor- ziige sogar vor derjenigen hat, welche Rafael selbst an der Decke der Stanza d’Eliodoro ausfiihrte. Das anregende Yor- bild fiir den Vercellesen war Pinturicchios musterhafte Be- handlung der flachen Decke in der Libreria des Domes von Siena und ganz besonders in Rom selbst die Kuppel von Maria del Popolo , welche derselbe Meister viel friiher gemalt hatte. Als Michel Angelo sein Work in der Sistina beendet hatte, da erschien freilich alles Andere der Art, auch das Gelungenste, was bis dahin entstanden war, in Styl und Wesen als weibischer Flitter und Tand , als kindliche Spielerei , als kleinlich be- schrankt und armselig. Aber was ein Rafael der Schonung fiir werth hielt, was selbst Giovannantonios gehassiger Feind, Vasari, gelobt hat: wer mochte dem alle uTid jede Beachtung versagen? 77 Ueber den vier Wanden der Stanza della segnatura erhebt sich ein Kreuzgewolbe. In der Mitte desselben brachte Giovannantonio ein grosses Achteck an , nm dieses vier Quadrate und zwischen diesen, an den herableitenden ab- gerundeten vier Bogenzwickeln, oben doppelkelchartige Theile und unter denselben kleinere Kechtecke. Alle diese so ab- getbeilten Kaume waren fiir Figuren und Historien bestimmt, 'welcbe nack Yasaris Angabe mit sehr viel Yerstandniss aus- - gefiihrt wnrden. Da sie aber mit Kafaels Idee allzn sehr im Widerspruch standen, so sah sich dieser gezwungen, wenigstens die Bilder aus den Quadraten iihd Kechtecken wieder heraus- schlagen zn lassen. Die anderen fielen weniger in die Augen, und so konnten sie erhalten bleiben. In den vier doppel- kelchartigen Theilen sind je zwei Bilder, ein oberes und ein unteres, von denen dieses auf Goldgrund in bunten Farben gemalt ist, wahrend jenes grau in grau, wie ein eingelegtes Belief von weissem Marmor wirken soli. Auf diesen letzteren bemerken wir Darstellungen , wie sie sich auf Beliefs des Constantinsbogens befinden : einen Imperator , der an Krieger eine Anrede halt — einen Beiter im Gefecht mit Fuss- soldaten — einen Krieger an der Spitze seines Gefolges von der Yictoria bekranzt — einen Sieger, der am Altar dankend opfert. Die vier dazu gehorigen kleinen Bildchen auf Gold- grund zeigen die Beize oder die Macht der Liebesgottin: Ein gewaltiger Mann, mit den Handen an einen Baum gefesselt, wird von einem Amor durchs Herz geschossen, wahrend er vor sich uber dem Wasser den schonen Biicken einer Frau sieht. — Eine hingestreckte Frauengestalt scherzt mit einem Amor, indess ein anderer mit einem Packchen in der Hand vorn in das Wasser geht. Hinter einem ausgespannten rothen Tuch kommt ein Satyr hervor und halt giessend ein Gefass liber das Haupt der Schonen, woran sich ein zweiter Satyr links zu ergotzen scheint. — Auf einer Muschel, den Schleier als Segel entfaltend, schwebt Yenus liber das Meer. Ein Mann am Ufer schaut ihr nach. — Auf einem Ambos, neben dem WafPen liegen, schmiedet ein bartiger Mann einen Schild, als 78 eben Amor zu ihm von hinten her lierabfliegt, und er sich nun zu diesem uinwendet. An einer Feuerwerkstatt im Hinter- grunde geht ein befliigelter Genius voriiber. Fine Deutung dieser kostliclien kleinen Sachen auf Casar, den Helden und den Spross der Venus, liegt nahe. Mit einem Anflug koketter Geistreichigkeit hat der Maler die Kriegsscenen einfarbig relief- artig, aber die Triumphe der Liebesgottin im Glanze des Goldes und der Farben dargestellt. Aecht antik gedacht und ' empfunden sind die, einen wie die anderen. Ein speciell kunst- historisches Interesse bietet die Art und Weise dar, in der Giovannantonio das grosse achteckige Feld oben in der Mitte der Decke behandelt hat. Es ist, als ofFne sich hier das Ge- wolbe frei in den blauen Himmelsraum, Die achtseitige Ein- rahmung erscheint dann als eine Briistung oder Balustrade, auf welcher zwolf Engel sich befinden und das von einem Kranz umfasste papstliche Wappen man weiss nicht ob festhalten oder niederziehen wollen. Sitzend oder stehend, schwebend oder knieend treibt dort oben die heitere Schaar ihr Spiel. Die einen strecken ihre beiden Hande nach deni Wappen empor, die anderen stiitzen und heben es mit den Spitzen ihrer Fliigel, und wieder andere scheinen es dagegen mit Stricken an die Balustrade festbinden zu wollen. Mcht unahnlich dieser Er- findung Giovannantonios hat Mantegna ein Menschenalter friiher den mittleren Abschluss einer Decke im Herzogspalast von Man- tua behandelt. Man weiss, dass er und kurz vor ihm Melozzo da Forli zum ersten Male bei Deckenbildern die Yerkiirzung von unten nach oben, das sotto in su, anzuwenden wagten. Sehr wahrscheinlich hat Giovannantonio das Freskobild Melozzos in der Kirche Santi Apostoli in Rom gesehen und dem alten Meister das reizende Kunststiick abgelauscht. Die Arbeit Mantegnas in Mantua aber hat er gewiss nicht gekannt. Wie dem auch sei, er malt das sotto in su mit einer so anmuthsvollen und sicheren Leichtigkeit, dass er weit weniger an die genannten Yorganger als auf den spateren Correggio hinweist. Die Yerkiirzungen sind uberraschend, ein allerliebstes Kunststiick, und dabei hat er den nackten Kinderkorperchen jede nur denkbare Stellung 79 und Bewegung gegeben, ohne ihnen aucb nur entfernt den Zauber reizender Natiirlicbkeit zu nehmen. Der eine Engel, der so schalkhaft lieb zu uns niederschaut , und der andere, der sein Kopfchen auf die rechte Schulter beugt, sind hin- reissend holde Kindergestalten. Ob nicbt Bafael gerade daran inniges Woblgefallen gefunden hat? — Zwischen dem Acht- eck, den Quadraten, Bechtecken u. s. w. dienen als kleinere Fiillungen spharische Dreiecke mit dem Wappen der Kovera, der goldenen Eiche auf blauem Grunde. Alle genannten grosseren und kleineren Flachen aber haben — ganz wie dort an Pinturicchios Kuppel in Maria del Popolo — als Ein- fassung breite Bander mit Arabesken und Grotesken auf Gold- grund. Diese Bander sind ihrerseits von weissen stuckartig gedachten architektonischen Gliedern eingerahmt : von Stab- werk, Hohlkehlen, Wulsten, Eierstaben. Bosetten aus wirk- lichem Stuck unterbrechen diese Einfassungen in sick selbst und verbinden sie unter einander. Bei aller reichen Mannig- faltigkeit und Pracht wirkt das Ganze durchaus mild har- monisch auf den Beschauer. — Vor Michel Angelo und Bafael verschwanden die anderen Maler aus dem Yatican oder traten als Schuler in den Dienst dieser Heroen der Kunst, machten ihren Dienst zu einem Kultus und ihren Kultus zu einer Parteisache. Giovannantonio, der dem Alter nach zwischen Michel Angelo und Bafael stand, dachte gar nicht daran, weder bei dem einen noch bei dem andern noch einmal in die Lehre zu gehen. Personliche Beziehungen hat er zu keinem von Beiden, weder in Liebe noch in Hass, ge- habt. Um den intriguanten Bramanti kiimmerte er sich erst recht nicht. Er hat niemals um die Gunst eines andern Menschen gebettelt und niemals durch Andere etwas haben oder gar werden wollen. Die junge Ktinstlerwelt mit ihrem Autoritatsglauben und ihren Bedientenseelen, die sich als Tra- banten um die grossen Gestirne drehten oder herumdrehen liessen, dieses ehrgeizige und selbstsiichtige, neidisch gehassige und feige Geschlecht war seiner Katur unsympathisch, zuwider und greulich. Leidenschaftliche Buhmsucht stand seiner Seele 80 fern. Yor Denen, die grosser als er waren, trat er gelassen und oline Gemiithserregung wie vor der Nothwendigkeit aus dem Wege. Den kleinen Larmmachern kehrte er einfach den Eiicken. Mit den Grossten zu wetteifern, feklte ihm die Tiefe und Energie, die Gluth, das Pathos des Charakters, fehlte ihm der innere stiirmische Drang, fehlte ihm die voile Grosse des Genies. Denn das ist doch wohl das Wesen der wahrhaft grossen Naturen, dass sie herrschen, dass sie alles Andere iiberwinden miissen, dass sie an den Sieg ihr ganzes Dasein setzen. Giovannantonio fand das Gebieten ebenso imbequem als das Gehorchen. Steile Wege vermied er. Ein bequemes Sichgehenlassen gefiel ihm am besten. Ethische -Ideale wollte jene Zeit nicht darstellen, wohl aber Yirtuositaten des Thuns und Konnens oder des Seins und Geniessens. Mit feinerem Geschmack, mit verwegenerer Piicksichtslosigkeit als damals hat man sich nie allem nur menschenmoglichen geistigen und sinnlichen Genusse hingegeben. Aber auch niemals erschien in einzelnen Personlichkeiten zugleich vielseitiger und ener- gischer menschliches Kbnnen und Leisten. Auf jedem Lebens- gebiete zeigt sich das. In der Kunst treten die grossen Meister als Eeprasentanten aller Kiinste auf. Eine Titanennatur wie Michel Angelo muthet obendrein jeder einzelnen das Unerhorte wenn nicht XJnmogliche zu und mit Geist und Hand zwingt er sie, seinem Willen gefugig zu sein. Im Wollen und Thun gehen solche Existenzen auf. Ihr ganzes Dasein erscheint wie ein Kampf des schopferischen formgebenden Genius gegen die rohe ungefuge Welt des Stoffes. Alle Kunst ist ihnen nichts Anderes als Mitarbeit an der Losung des grossen Problemes der Mensch- heit, an der Befreiung’ des Geistes von der Materie und an der Erhebung des Geistes in jene Regionen, wo „er in Werdelust schaffender Freude nah“ in gottlicher Yerklarung sich vollendet. Zu Michel Angelos Charakter ist vielleicht kein schrofferer Gegensatz denkbar als derjenige Giovannantonios. Fiir Giovann- antonio war die Malerei niemals der hochste und letzte Lebens- zweck, sie war ihm stets nur ein Theil, nur eine Aeusserung seines Daseins. Nicht in der Arbeit als solcher, sondern im 81 Genusse fiihlte er sein Gliiok. Ein rastlos Suchen und Streben, Kampfen und Ringen lag nicbt in seinem Wesen. Ihn reizte das Leben mit seiner Lust, und jeden Augenblick war er bereit, sich ganz dem Genusse Mnzugeben. Seinen Genius aber ver- scbonte er mit jedem Zwang und jeder peinlichen Scbulung: er iiberliess ihn unbesorgt der allgemeinen Atmosphare seiner Zeit, in der er sich dann entfalten mochte wie die Pflanze draussen im Morgenthau und Sonnenschein. Yon Roms wunderbarem und iiberwaltigendem Einfluss erzahlen alle Jahrhunderte. Keins aber hat ihn mehr und tiefer empfunden, als dasjenige, welches die antike Kunst und Wissenschaft, das gesammte alte Leben wieder herstellen und alien Ernstes die Yergangenheit wieder zur Gegenwart machen wollte. Das klassische Alterthum trat damals nicht im Kleide pedantischer Schulmeisterei und langweiliger Biicherweisheit Yor die Menschen. Es erschien als eine Umwandlung und Wiedergeburt, als eine Errettung aus dumpfer Askese oder entgeisteter Yaturrohheit in das lichte und heitere Reich des Schonen. Die Gotter Griechenlands stiegen wirklich wieder auf die Erde herab. Allen Musen und Grazien wurde geopfert, aber auch Bacchus und Amor feierten wieder ihre Triumphe, und der irdischen wie der himmlischen Yenus flammten Altare. Man kennt das damalige Leben Roms, die Hofe des Papstes und der Cardinale, der Fiirsten und Reichen. Glanzender und ausgelassener als im Palaste Agostino Chigis ging es an keinem zu. Alles, was Rom an Talenten fiir klassische Kunst und Wissenschaft besass , war dort willkommen. Die klassische Liiderlichkeit , geistvoll und masslos wie sie sein musste und sein durfte, hatte dort ihren beriihmtesten Schauplatz. Agostino besass Yerstandniss , Geschmack und zum Gliick auch Geld fur Alles. Giovannantonio war wie geschalfen fiir diesen Kreis, und der Macen hatte gerade an ihm seine besondere Freude. Yasari riimpfte die Rase dariiber, aber Scandalgeschichten weiss er nicht zu erzahlen. Sie waren nicht bis auf seine Zeit gekommen; denn in Rom fehlte es in der Hinsicht nie an Keuigkeiten, und noch immerfort wurden die von gestern Jansen, Soddoma. 6 — . 82 durch frische von heute ersetzt. Giovannantonios Werke stehen aber als unverganglicher Beweis vor jedem Beschauer, dass er in Agostinos Kreise noch etwas anderes als jenes fein aus- gewablte und stark ausgelassene sinnliche Leben fand. Auch auf ihn ging von dort eine unendlicne Fiille von Anregung und Bildung aus. Ein reicber Strom antiken Geistes drang gleioh- sam unmittelbar in seine Seele und gestaltete sein Inneres um. Dann erfasste ihn die Ruinenwelt Roms mit unwiderstehlicher Gewalt; ihre Mauern und Briicken, ihre Tempel und Palaste, ihre Thermen, Colosseen und Theater, ihre Triumphbogen und Saulenhallen, ihre Grabmonumente, ihre Gotter- und Menschen- bilder von Stein und Erz : das ganze Rom der Casaren wurde in seiner dichterischen Phantasie noch einmal Wirklichkeit, wahrend vor seinen Augen durch die Renaissance die neue Stadt der Papste geschafFen wurde. Die Erinnerung an Rom dauerte von nun an auch in Giovannantonios Heiligenbildern , in den Architekturen land- schaftlicher Hintergrunde, in decorativen Details, in grossen und kleinen Nebendingen bestandig fort. Zunachst bildete Jahre lang romische Geschichte und Mythologie fast ganz aus- schliesslich den Inhalt seiner Kunst. Wir bemerkten schon, mit welch feinem Sinn und Verstandniss jene Verherrlichungen Julius Casars und der Yenus in den vaticanischen Decken- bildchen entworfen waren. In grossen Fresken den Ruhm der romischen Republik zu schildern', bot dem Kiinstler den geeigneten Ort und die Gelegenheit das Capitol. An beiden Enden der ewigen Stadt haben sich die Herrscher- sitze des Papstthums, der Lateran im Mittelalter, in der Neuzeit der Vatican erhoben. Was das alte Rom Heiliges und Herrliches besessen hatte, lag zwischen beiden und war dem Verfall, der Yerwiistung und Zerstorung anheimgegeben. Auf und zwischen den Ruinen des Capitols, dea Forum, der Kaiserpalaste standen ein paar Kloster und Kirchen, wohnten arme Leute in diirftigen Hiitten und weideten Hirten ihre Ziegen und Kiihe. Bedeutend war nur das ziemlich spat gebaute Franciskanerkloster mit der Kirche Aracoeli auf dem Capitol. Zu seinen Fiissen, in der 83 Einsenkung des Hiigels stand das alte Tabularium, welches in barbarisohen Zeiten elend genug zum Sitze der romischen Stadtbehorde hergerichtet war. Nach der Pest von 1348 war nus zusammengeschleppten alten Marmorn eine hohe und breite Treppe zur Kirche Aracoeli emporgefiihrt worden. Zum Tabu- larium ging es nach wie vor den ungepflasterten holprigen Berghang hinauf. Andere als die beiden genannten Gebaude gab es auf dem Capitol nicht. Aber die Erinnerungen alter Grosse blieben unausloschbar, wenn auch verzerrt in den Formen, an diese Stelle gefesselt, und der Geist Cola Eienzis, der sie mit n’euem leidenschaftlichen Leben erfiillt hatte, liess sich nicht wieder von dem Capitole verbannen. In derselben Zeit, in der Papst Nicolaus Y. zum erstenmale seine Eiesenplane fiir den Bau des Yatican und den Sanct Peter fasste, hat die romische Stadtbehorde den Gedanken aufgenommen, das Capitol zu einem wiirdigen Sitze ihres Amtes zu machen. Und so entstand dann in der zweiten Halfte des fiinfzehnten Jahr- hunderts der Palast der Conservatoren. Saulen trugen die Arcaden des Erdgeschosses und die Halle, die den Hof umgab. So ist der Bau noch in den Abbildungen bei Bernardo Gamucci 1565 zu sehen; erst nach diesem Jahre erhielt er sein heutiges Aussehen und unter Papst Clemens YIII. im capitolinischen Museum am Fusse der Kirche Aracoeli seinen entsprechenden Gegenbau. Sale und Gemacher im Innern des Senatoren- palastes blieben bei der Umwandlung grossentheils unversehrt erhalten. In der kleinen Kapelle ist noch immer die liebliche Madonna, die Pinturicchio um 1486 al fresco gemalt hat. Die vier Wande in dem Saale unmittelbar daneben hat Giovann- antonio ausgeschmiickt. Sie sind von erbarmlicher Hand mit schamloser Dreistigkeit iibermalt und erneut worden; aber sie lassen selbst durch diese rohe Entstellung den Geist des Urhebers noch immer erkennen. Jede Wand ist fiir ein grosses Bild bestimmt, das links und rechts von einem gemalten Pfeiler abgeschlossen wird. Diese Pfeiler, die sich Soddoma von Pintu- ricchio fiir immer zu eigen gemacht hat, zeigen wieder zwischen weissen Kanten auf goldgelbem Grunde buntfarbige Arabesken, — 84 wahrend die Capitale als Bronze gedacht sind. Ueber den Bildern oben unter der reichen getafelten Holzdecke zieht sich ein Fries bin, architektoniscbe Glieder einfach grau in grau gemalt. Die hohere untere Einfassung, der Sockel, erscheint als Marmorbekleidung der Wand imd schliesst mit kleinen Mschen ab, in denen gemalte Biisten romischer Helden stehen. Eine folgenreiche und glanzvolle Epoche der roniischen Republik vergegenwartigen die Ereskogemalde. Auf der von Thiir und Fenster durcbbrochenen Wand an der Kapelle selien wir den Sieg bei den agadischen Inseln. Zahlreiclie Fahrzeuge im Kampf mit einander: alle mit einer Buderreihe, vorn mit einem kleinen Segel und hinten auf dem Deck mit einem bedachten Aufbau. Die mit Kriegern ange- fiillten Schiffe suclien sich gegenseitig in den Grund zu bohren Oder zum Handgemenge aneinander zu kommen. Vorn unten zwischen Fenster und Thiir halt ein Meergott eine IN’ymphe umschlungen. Nach dem Entscheidungssiege erfolgt die triumphirende Heimkehr. Rechts eine Insel mit Bergen und Stadten, es ist Sicilien, dann das Meer mit Fahrzeugen bedeckt, links das Festland Italien. Schon haben die Romer den vaterlandischen Boden betreten. Eine Quadriga, umstanden, gefiihrt und gefolgt von jungen und alten Soldaten, bringt die siegreiche Roma heran, eine bekleidete, liebliche Frauengestalt auf einem Throne sitzend, die Victoria in der Hand, und unter ihr gefesselt, das Haupt geneigt die eroberte Sicilia. Ganz links ein Thor und Triumphbogen bedeutet die Stadt Rom, aus der das kriegerische Volk dem Triumphzug seiner Helden entgegeneilt. — Rach Krieg und Sieg folgt der Frieden. Von Ruinen eines alten machtigen Baues im Halbrund, der das Colosseum sein mag, sitzen im Kreise auf erhohten Banken die Vertreter und Ge- sandten Carthagos, ernste Gestalten, meist tiirkisch costiimirt, im lebhaften Gesprach unter einander. Vorn in der Mitte, auf der Basis einer Statue, die ihm zu Ehren eine Inschrift tragt, thront Quintus Lutatius Catulus. Hinter ihm und zu beiden Seiten das romische Volk: man blast Posaunen, man ^treut — 85 Blumen, man bringt Korbe und Kranze dar. So sind das Ende, der Triumph und Erfolg des ersten punischen Krieges dargestellt. Und damit der Beschauer den Sinn des Werkes nicht yerkenne, redet in einer Inschrift an der Seite Cicero selbst zu ihm: ^Uie Insel Sicilien, dem Uolke,- das sie bebaute, ein fruchtreiches Grefilde und den Bomern in Krieg und Frieden ^ine sichere Kornkammer, ist das erste Land, das sich in treuer Freundschaft der Eepublik anschloss, das erste, das den Namen einer Provinz erhielt, das erste, welches unsere Ahnen den erhabenen Keiz lehrte, zu herrschen iiber fremde Nationen.‘‘ In diesem Gedanken, in dieser antinationalen Idee sonnte sich das Italien der Renaissance wieder, und das in demselben Momente, wo es Franzosen, Spaniern und Deutschen zur Beute wurde! Allein die Geschichte, welche die Italiener mit Stolz schwellte, hat in triiben Epochen ihre Herzen auch mit Yer- trauen und Glauben an die Zukunft erfullt. Und das soli das letzte Bild uns lehren. Hannibal ging iiber die Alpen, zog durch Italien iiber Strome und Berge, besiegte die romischen Heere und eroberte die romischen Stadte. Bis yor Bom selber ist er gekommen. In der Mitte des Gemaldes, hoch oben auf seinem Elephanten, im tiirkischen Gewand, umgeben yon seinen Kriegern, die ihn beschiitzen, die sein Gepack und die Beute tragen, iiberall in der weiten Landschaft seine siegreich yor- dringenden kampfenden Heere: so sehen wir den „treulosen Punier “ yor uns und zur Bechten die hohen Mauern der ewigen Stadt. Er wird sie nicht erobern. Boms Kraft hat er nicht gebrochen. Machtiger als je wird sie sich nach allem Ungliick und Unheil erheben. Wie Bafael dort im Vatican in der alttestamentlichen Er- zahlung yon Heliodors wunderbarer Yertreibung aus dem Tempel Jerusalems das Yorbild fiir die Errettung des Kirchenstaates durch Julius II. fand, so sah die romische Stadtbehorde in der Geschichte Hannibals den Spiegel der Gegenwart, aber auch der Zukunft Italiens, Wie im Vatican der papstlich-kirchliche, so wurde auf dem Capitol der national-weltliche Stolz der ewigen Boma symbolisirt. 86 Giovannantonio verfulir mit unglaublicher Kiihnheit bei seiner Freskomalerei. Sehr selten nur ritzte er die Contouren nach dem Carton vor, und selbst wo er dies that, richtete er sich nie gern darnach. Frei wie ^eine Hand ging, schuf er bei der Ausfiihrnng seine Gestalten von Neuem. Das hat nun seinen elenden Kestaurator zu vielem Irrthum und Unsinn verleitet. Auf dem dritten Bilde sind links ein paar nackte Knaben, die jetzt als ein tolles Zusammen, als eine Missge^ hurt erscheinen. Zeichenfehler finden sich liberall , wo der wiederherstellende Pfuscher ganz getrost erhaltene Linien und erhaltene Einritzungen zusammenbrachte, die im Originate einst sehr wenig mit einander gem ein hatten. Manche Figuren machen daher jetzt den Eindruck von dummen und falschen Gliederpuppen. Ganz zerstort ist durch die neue Uebermalung jener Liebreiz der Gesichtsbildungen, welcher unsern Kiinstler auch in seinen nachlassigsten Erzeugnissen charakterisirt. Nur da Oder dort klingt noch einmal eine leise Ahnung davon durch : so bei den jugendlichen Heldengestalten des zweiten, so nament- lich bei der herrlichen Gruppe des dritten Bildes, welche im Vordergrund rechts erscheint. In solchen Figuren erkennen wir immer wieder das Ideal der Mailander Schule Leonardo da Yincis. In anderen, so in Hannibal und seinen Kriegern, begegnen uns Ttirken, wie sie Pinturicchio in der Libreria und nach diesen Giovannantonio selbst in einer Figur seiner Kreuz- abnahme entworfen hatte. Im Mittelgrunde endlich, die kleinen Figuren und Gruppen marschirender , reitender, fechtender Soldaten, erinnern durchaus an Peruginos Manier, die in solchen Fallen auch Eafael bei friiheren "Werken nachahmte, wahrend Michel Angelo nach Luca Signorellis Yorgange auf seinem Florentiner Tafelbilde ganz beziehungslose Actstudien hinter der Hauptscene angebracht hat. Und so sehen wir denn bei Giovannantonio den Einfluss derjenigen Kiinstler, die wenigstens bis 1508 unbestritten fiir die grossten Italiens galten. Wenn ihm aber Yasari Tragheit und Mangel an jedem Weiterstreben vorwirft, so bezieht sich das darauf, dass die Originalitat des Kiinstlers immer ent- 87 schiedener heryortritt, dass er Rafael wenig oder gar nicht auf sich einwirken lasst und sich gegen Michel Angelos Art und Kunst ganz entscliieden abweisend verhalt. Die Freshen in Montoliveto erscheinen ganz ungleich freier, selbststandiger und lebenswahrer als diejenigen des Conserva- torenpalastes. Der ganze Inhalt der christlichen Lehre und Legende war durch die Kunst des fiinfzehnten Jahrhunderts und besonders durch die Florentiner dem Bannkreise der Ueber- oder Unnatur entzogen und in eine reiche, heitere Wirklichkeit verwandelt worden. Bei Domenico Ghirlandajo werden die Manner und Frauen der Bibel zu Florentinern seiner Zeit, und die Yorgange des alt- und neutestamentlichen orientalischen Lebens zu florentinischen Alltagsgeschichten. Allein ganz umgekehrt wollte sich nun eine Zeit lang die Renaissance zur Antike ver- halten. Sie wollte das Heidnisch-Romische genau und mit historischer und archaologischer Gewissenhaftigkeit wieder ver- gegenwartigen. Sie wollte ihre Yorwiirfe ausschliesslich der Antike entnehmen und dieselben streng mit ihren Mitteln und nach ihren Formen ausfiihren. Die humanistischen Literaten benahmen sich in der That als waren sie Zeitgenossen und Kebenbuhler von Horaz und Cicero. Die Maler und Bildhauer dagegen waren iiber Alles gern Apelles und Phidias gewesen. Allein von antiken Gemalden war absolut nichts vorhanden, was man als Muster nachahmen konnte. Kicht einmal Be- schreibungen derselben gab es in gewiinschter Zahl, und auch die besten waren unzulanglich. Andererseits fasste jene Zeit die gesammte antike Architektur und Sculptur wesentlich als ein Ganzes auf, kaum dass Romisches und Griechisches, ge- schweige gar dass einzelne Entwickelungsstadien unterschieden warden. Wo nun die antiquarischen Kenntnisse nicht aus- reichten, batten Geschmack und Phantasie freies Spiel; unbe- kiimmert um alien Wechsel der Zeiten bestimmte jener ganz einfach, was gut oder schlecht sei, und fiillte diese in sorgloser Kaivetat jede Liicke aus. Wollte die Malerei antikisiren, so blieb ihr kein anderes Yorbild als das Relief, und sie unter- warf sich dann ganz unbefangen alien Bedingungen des Reliefs. 88 Giovamiantonio componirte z. B. auch einen Triumplizug des Titus, der uns durch Marc Antonios Sticli erhalten und irrthiim- lich einmal fiir eine Arbeit Mantegnas ausgegeben worden ist. Fiir den Cliarakter des Bildes ist es sehr bezeicbnend, dass es in Katalogen auch unter dem Namen „ Belief Marc Aurels“ aufgefuhrt wird. Es sind zwei Beihen Figuren, vorn grossere und hinter und iiber diesen kleinere. Bechts im zweiten Grunde stehen ein paar Gebaude, wie sick eben die Benaissance romische Hauser dachte. Von bier aus geht der Zug lorbeerbekranzter Manner nach links. Hie mittleren tragen eine Art Kasten oder Lade mit einem Palmbaum oben, vor dem eine Matrone in Trauer sitzt und ein entwaffneter Krieger mit riickwarts ge- fesselten Handen stelit. In der Mitte des Yordergrundes iiber Schilden und Waffen stelit nackt ein junger Held, den Helm auf dem Haupte und in der Linken einen Schaft mit Trophaen. Eine Frau eilt zartlich zu ihm, gefesselte Knaben knieen neben ihm, und von beiden Seiten kommen Manner und Frauen in freudiger Huldigung herbei. Ganz herrlich ist die eine der beiden Frauen rechts, die dem Heros entgegen den vollen Lorbeerkranz emporhalt. Die Knaben zeigen zu den Erwacli- senen dasselbe Missverhaltniss der Grosse, das bei der Lao- koongruppe immer auffallen wird. Selbst Sonderbarkeiten, die sie nicht verstand, ahmte die antikisirende Malerei nach, nahm sie als bedeutsam am liebsten auf. Giovannantonio, der schon in Montoliveto seine Pferde naturgetreu gezeichnet hatte, copirt fiir seine Darstellungen aus der romischen Geschichte den wunderlichen Pferdetypus, der uns besonders auf alten Triumph- bogen begegnet. Auf Beliefs werden Thore und Hauser winzig klein gebildet, sie sind gewissermassen nur Zeichen und Symbol. Auch darin glaubte Giovannantonio bei seinen Freshen auf dem Capitol den Alten folgen zu miissen, wie er ihnen zu Gefallen dann selbst die Landschaft nicht nach Katur und Wahrheit, sondern conventionell behandelte. Die Bomer costiimirte er ge- treu nach den Monumenten, aber die semitischen Punier werden in seiner Einbildung zu Tiirken, und so hiitte es denn die Weltherrschaft der romischen Bepublik und die der romischen 89 Hierarchie zu alien Zeiten mit ein und demselben Feinde zu thun. Giovannantonio hatte in dem decorativen Sockel unter seinen Bildern auf dem Capitol die Biisten beriilimter Romer gemalt. Das eine Mai, wo wir ihn als Miniaturmaler kennen lernen, stellt er eine Beihe romischer Kaiser dar. Sie be- finden sich in der Sammlung des Louvre in Paris und werden im funften Bande von Mariettes Abecedario erwahnt, das Chenevrieres und Montaiglon herausgegeben haben. Es ver- dient bemerkt zu werden, dass eben damals, als Giovannantonio punische Kriege und romische Kaiser malte, Giovanni Battista Caporali aus Perugia sowohl die Kampfe der Romer gegen die Cartliaginienser als das Leben der Casaren in lateiniscben Yersen besang. Er war Maler und Diphter zugleich und ge- borte wie Pinturicchio und Perugino zu dem Kreise von Kiinst- lern und Gelehrten, die Bramante im Anfange seines romischen Aufenthaltes in seinem Hause um sich versammelte. Gegen Ende des Jahres 1509 ging Agostino Chigi nach Siena, um den Kaufcontract der Einkiinfte von Porto d’Ercole zu erneuern. Giovannantonio, der in Rom vor der Hand keine weiteren Auftrage hatte, begleitete seinen reichen, vornehmen Gonner. In Siena gait er jetzt filr einen gemachten Mann und fand keinen, der ihm seinen Ruhm streitig machte. Die hiibsche Wirthstochter in der goldenen Krone draussen im Stadttheil Camollia gefiel dem Kiinstler, und er erhielt sie von ihrem Yater Luca Gallo zur Frau und 400 Gulden Mitgift noch obendrein. So begriindete er mit Beatrice im Jahre 1510 den eigenen Herd. Es ging ihm gut, an Arbeit und Geld war kein Mangel. Dem Maler Benedetto Tamagni aus San Gimi- gnano konnte er einmal 25 Goldducaten borgen: als dieser zur rechten Zeit nicht zahlte, liess er ihn allerdings ruhig ein- stecken. Im Jahre 1511 wurde ihm ein Sohn geboren. Der Tyrann Pandulfo hatte seinen Erstling Julius Casar genannt, der Maler Giovannantonio gab dem seinigen den Kamen Apelles. Girolamo del Genga aus Urbino, der damals mit Luca Signo- relli und Pinturicchio im Palaste des Machthabers malte, hielt 90 ihn am 29. August iiber die Taufe. Ein Jahr spater gebar ihm Beatrice eine Tochter, die den Namen Faustina erhielt. Sie hatte nachmals den Maler und Architekten Eiccio, einen Schuler ihres Yaters, geheirathet; der kleine Apelles aber ist schon in fruher Kindbeit gestorben. Siena stand auf dem Hbhepunkte seines Ruhmes und Glanzes. Machtiger und schoner ist die Stadt nie gewesen. Seine Burger lebten herrlich und in Freuden. Yon Pandulfo, der dem Staate Frieden und Wohlstand verlielien hatte, er- warteten die gelehrten Schwarmer, er werde nun auch darin dem Sulla und Diocletian nachfolgen, dass er seiner Herrschaft zu Gunsten der vermeintlichen republikanischen Freiheit ent- sage. Der aber dachte vielmehr, nach alien Sorgen und Kampfen nun auch als Herrscher zu geniessen. Zum ersten Male im Jahre 1511 gewann eine Frau Einfluss auf ihn, nicht in den grossen Dingen, aber in den kleinen Interessen und Alltags- fragen, die schliesslich die Menschen doch am meisten beriihren. Sie war die Tochter eines Schmiedes und vor nicht langer Zeit mit einem Sattler verheirathet , eine imposante Gestalt, Brust und Arme vortrefflich gebaut, den Kopf yornehm schlank und frei auf den Schultern: spada a due mani hiess sie bei ,den Sienesen; wie das gewichtige zweihandige Schwert unter Degen, so erschien Pandulfos Buhle unter den Frauen. Yerse- macher am Hofe des Herrschers haben ihre Schonheit und ihre Klugheit gefeiert. Liess sich aber Pandulfo gehen, so ergab sich das Yolk erst recht jeder Lust und Ausgelassenheit. Auf ihren sprichwortlich frohlichen Sinn thaten sich die Sie- nesen allezeit etwas zu Gute, obschon sie wussten, dass sie dafiir von dem ernsten Dante fiir Narren, fiir Pazzi erklart worden waren. In diesem Sinne gab es keinen achteren Burger ihrer Stadt als den Maler von Yercelli. Sein Haus verwandelte er in eine der tollen Wirthschaften , von denen man meint, dass sie nur in Breughels phantastischen Bildern existiren. An alien Ecken und Enden hatte er dort Dachse und Nuss- haher, Zwerghiihner, indische Turteltauben, Eaben, die sprechen konnten. Alien und Papageien. Seine Bibliothek nahm nicht 91 viel Raum ein, sie bestand aus einem handschriftlichen Tractat liber Malerei und einer Abhandlung iiber Negromantie. Ueberall berum lagen und standen Bilder oder Sculpturen, Bizarrerien jeder Art, tiirkische und andere Costiime, allerlei Waffen und Gerath. Sehr witzig nennt Yasari die Wohnung Giovann- antonios „die Arche Noahs Wer nur immer an seiner Thiir klopfte , dem rief der Babe von drinnen sein krachzendes Herein entgegen; aber den gesuchten Yogel fand er selten im Bau. Mit Sienas lockerster Jugend, die viel Geld und noch mehr Zeit zum Wegwerfen hatte, war er bestandig auf dem Plan und zu jedem tollen Streiche bei der Hand. Hie zeitgenossischen Historiker machen darauf aufmerksam, wie liberall mit dem Eintreten der Renaissance die altfrankische Einfalt und Ein- fachheit verschwindet, um der Eleganz und dem Luxus, oder auch dem Stutzerischen und Geckenhaften Platz zu machen. Hie alte Zucht und Strenge der Sitte hort auf, eine reizende Ereiheit beginnt, und mit Witz und Geschmack verbunden findet selbst die Frechheit ihre Bewunderer. Her junge reiche Adel Sienas huldigte mit Leib und Seele der neuen Mode, dem ausgesuchten Prunk und der ausgesuchten Liiderlichkeit. Her Maler von Yercelli aber, der nicht umsonst in Mailand und in Rom gelebt hatte, war sein Liebling und sein Yorbild. Er liebte es , sich schmuck und vornehm zu kleiden , und fragte nie darnach, ob er durch Bizarrerie und Fantastik auffiele. Er sah es gern, wenn sich die grossen und kleinen Kinder an der Menagerie in seiner Wohnung belustigten, wenn in den Strassen alle Welt mit Fingern auf ihn wies. Seine Schonheit und Liebenswtirdigkeit riss die Menschen fiir ihn hin, und sein Talent als Kiinstler diinkte den Gefahrten seiner Lust wie dem ganzen Yolke um so wunderbarer und imposanter, je weniger seine Werke die Friichte miihseliger Arbeit und angestrengten Studiums waren. Ihn selbst aber schmeichelte es jederzeit eben so sehr, wenn die ganze Stadt von einer seiner Narrheiten oder Ausschweifungen erzahlte, als wenn ein neues Bild von ihm bewundert wurde. Eine wahre Alkibiadesnatur stack in diesem sonderbaren Menschen. An iibler Nachrede konnte es 92 ihm nicht fehlen. Aber er liess sich wenig davon anfechten; er forderte sie vielmehr riicksichtslos heraus und scheute sich nicht, mit wirklichen oder angedichteten Siinden offen zu prahlen. Seine Feinde haben dann freilich alle das nnd noch weit mehr geglaubt, wahrend seine Freunde und Gonner seiner unver- stellten Otfenherzigkeit jeden Leichtsinn verziehen. Vasari nennt ihn nicht nur in einem fort bizarr, fantastisch und ausschweifend, sondern beschimpft ihn wiederholt als Vieh und Bestie. Er traut ihm alle natiirlichen und unnatiirlichen Siinden zu. Ita- lien hat nie aufgehort, das Land klassischer Grobheit und Schmahsucht zu sein , und auch gewisse klassische Siinden sind hier niemals ausgestorben. Yielleicht mehr als jedes andere Land hat Italien zu alien Zeiten Menschen hervor- gebracht, die, von sinnlicher Leidenschaft beherrscht, die Liebe zur Schonheit nie von der Fleischeslust trennen konnten. Medertrachtige Nachrede hat sich selbst an den erhabenen, reinen Charakter Michel Angelos gewagt, und sein zeitgenos- sischer Biograph Condivi hielt es nicht fiir iiberfliissig, zu seiner Eechtfertigung an das edelschone Yerhaltniss zwischen Sokrates und Alkibiades zu erinnern. Wenn die weite Yerbreitung eines Lasters das gemeine Tagesgeschwatz zu jeder Yerleumdung veranlassen mag, so hat die historische Betrachtung erst recht die Pflicht, die Aussagen einer schmahsiichtigen Zeit auf das strengste zu priifen. Zu einer gerechten Beschuldigung Giovann- antonios fehlt Yasari jeder Beweis, und nicht eine einzxge be- stimmte Scandalgeschichte weiss er von ihm zu erzahlen. Ein Charakter, wie der Giovannantonios, vermied so lange als moglich die Kreise der gesetzten ernsten Manner. Eur in der Gesell- schaft der unbartigen Jugend ging es lustig und nach seinem Sinne zu; nur hier rauschte jederzeit der voile Strom des Genusses und Behagens, von dem sich das achte Naturkind am liebsten durchs Leben treiben liess. Die aber ausserhalb dieser Gesellschaft standen, erzahlten Alles, was da verging, entstellt oder iibertrieben; sie schilderten das Tolle noch toller, das Schlechte noch schlechter. Giovannantonio kam nicht am besten dabei weg- und ergotzte sich gewiss am meisten dariiber. 93 Fiir angedichtete Laster Hess er sich von Anderen lachend den ScMmpfnamen Soddoina gefallen oder nahm vielleiclit ihn selber an, um durch riicksichtslose Frechheit der Dummheit oder Bos- heit die Stirn zu bieten. Es war eine weitverbreitete Sitte, die Manner einfacb nach dem Orte zu benennen, aus dem sie herstammten. End so wurde Giovannantonio durch den Namen Soddoma zu einem Angehorigen jener alttestamentlichen Stadt gemacht, die ihrer entsetzlichen , ja widernatiirlichen Frevel und Siinden halber von Jehova verflucht und durch Fener und Schwefel vom Erdboden vertilgt wurde. Noch bei Lebzeiten wurde er in Briefen und Urkunden mit diesem Namen be- zeichnet, und in der Kunstgeschichte ist er eigentlich nur unter diesem Namen bekannt. Das alteste uberlieferte Document, in dem Giovannantonio schlechtweg als Soddoma bezeichnet wird, ist vom Jahre 1513. Um die Mitte des fiinfzehnten Jahrhunderts batten zwei Stadttheile Sienas die siegreiche Kiickkehr der Partei der Riformatori durch Stier- und Biiffelkampfe gefeiert, und der Herrscher Pandulfo, der sich auf sein Amt und sein Yolk verstand, hatte daraus regelmassige Voiksfeste gemacht. Bunte Aufziige und aufregende Spiele gefielen den Sienesen, die Pferderennen aber waren ihre hochste Lust. Wer der Stolz seines Stadttheiles sein, wer von alien Mitbiirgern bejubelt, gefeiert, beneidet werden wollte, der brauchte nur ein Pferd zu haben, das besser als andere lief. Giovannantonio liebte diesen Sport, und bald Melt er sich seine Renner. Von Ago- stino Bardi erwarb er sich ein Pferd, das 30 Goldducaten werth war, und fiir das er in einer Urkunde vom 9, November 1513 sich verpfhchtete, dem ehemaligen Besitzer desselben binnen acht Monaten entweder die Fagade des Hauses zu bemalen, oder ein 4 Altarbild zu verfertigen. Agostino Bardi wahlte das erstere, aber die Zeit hat das Werk des Malers langst zerstort. In dem ge- nannten Jahre war auch das Rennen nach dem Palio, dem Kampf- preise des Ambrogio Sansedoni gewesen. Das Yerzeichniss nun, welches die dazu gestellten Pferde und ihre Besitzer angibt, enthalt zum ersten Male den Namen Soddoma und berichtet 94 uns, dass diesem zwei der Eenner angehorten. Fast sein ganzes Leben lang hat er dies ritterliche Spiel gepflegt. Die zahlreichen Preise, die er dabei gewaim, bildeten die Haupt- zierde seines Hanses. Mit Stolz zeigte er sie seinen Grasten und erzMte immer wieder mit erneutem Behagen alle die Umstande, unter denen sie errungen wurden. Er hing sie wohl auch ab und zu draussen vor seinen Fenstern auf, um sie und sich selber vom Yolke bewundern zu lassen. Auf seinen Stall hielt er mehr als auf sein Atelier, und es mag ihn nicht weniger geschmeichelt liaben, wenn die schnellen Beine seiner Eenner, als wenn seine kunstgeiibte Hand ge- feiert wurden. Einmal, es muss im Jahre 1517 gewesen sein, ist er mit seinen Thieren als Sportsmann auch nach Florenz gezogen. Ein Bild, das er dort im Kloster Montoliveto vor Porta San Fiano an die Wand malte, zeigte zum Entsetzen der Besteller nichts als seine Nachlassigkeit und Lotterei. Ihre argerlichen Yorwiirfe jedoch und der hohnische Spott anderer Leute machten wenig Eindruck auf ihn. Denn sein Pferd gewann den Preis beim Eennen nach dem Palio San Bernaba. Im Triumph mit der errungenen Fahne wurde es durch die Stadt gefiihrt, und die Buben und allerlei Yolk schrieen hinterher den Namen des Siegers aus. Soddoma, Soddoma! halite es in den Strassen wieder. Die Florentiner horten mit Wuth diesen Ekelnamen. „Was fiir eine Sauerei ist das,“ riefen sie aus, „was fur eine Nichtswiirdigkeit, einen so abscheulichen Namen durch unsere Stadt zu schreien!“ Und als die Leute nun aus den Hausern stiirzten und hinter der Fahne, unter den jubelnden Jungen, auf seinem siogreichen Berber mit sammt seinem Affen den Sieneser Kiinstler gar lustig einherziehen sahen : da hatten sie ihn am liebsten steinigen mogen — wenn sie nur vor lauter Lachen gekonnt hatten. Die Geschichte aber verfehlte nicht, grosses Aufsehen zu machen, und Giovannantonio hiess von da an, wie bereits seit Jahren in Siena, so jetzt aller Orten nicht mehr anders als Soddoma. Im Jahre 1513 war Julius II. gestorben und der Medicaer 95 Leo X. auf den papstlichen Thron gestiegen. Wo die Ande- ren muhsam erobert und schwer gekampft batten, scbien er zum sicheren und friedlichen Genuss berufen. Italiens Geistes- leben prangte in seiner wunderbaren Bliithenfulle und zeitigte seine berrlichsten Fruchte.- Lurch seine Familie, durch seine Anlage und Entwickelung, seiner Xatur und seinen Neigungen nach lebte und webte Leo X. im Geiste der Eenaissance. Seine klassische Bildung, sein femes, geistreiches Wesen, sein wohlwollender, sinnlich heiterer Charakter waren in ganz Ita- lien bekannt, wie denn iiberall die Gelehrten und Kiinstler nicht weniger als die Fiirsten und Yornehmen ihn liebten und verehrten. Und nun erwarteten Alle Alles von ihm. Auch was Julius II. durch seine Herbe und seinen strengen Ernst abgeschreckt und niedergehalten hatte, wagte sich unter einem Papste frei und munter ans Tageslicht, von dem man wusste, wie sehr er selbst im Leben nach der Weise seines Freundes Agostino Chigi dem klassischen Yorbild huldigte. Aus seiner Umgebung und von seinem Hofe war Furcht und Zwang im Denken und Thun, in Worten und Werken verbannt. Erlaubt ist, was gefallt, schien jetzt aller Welt aus dem Yatican selber zugerufen zu werden, wo mit Leo X. die Prachtliebe und eine verschwenderische Freigebigkeit ihren Sitz aufschlugen. Aus ganz Italien, abgesandt von ihren Fiirsten, oder aus eigenem Antriebe und in der Hoffnung, in dem Rom Leos X. ihr Gliick zu machen, erschienen die Reprasentanten und Schopfer der modernen Bildung. Andere, die schon friiher in der ewi- gen Stadt waren, erhoben sich jetzt erst zur Geltung. Welche Manner wurden da neben einander gesehen! Marc Antonio Raimondo, Fra Bartolomeo, Cesare da Sesto und vor Allen Leonardo da Yinci. Er hatte mit einer ganzen Anzahl seiner tiichtigsten Schuler im September Mailand verlassen, war unter- wegs mit Giuliano de Medici zusammengetroffen und zog in dessen Gesellschaft in Rom ein, um iiber zwei Jahre dann hier zu verweilen. Aus der Zahl der Schriftsteller und Dichter werden Jacopo Sanazzaro und Antonio Tebaldeo' unter den Angekommenen genannt; dann die Yenezianer Xavagero und 96 Agostino Beazzano. Pietro Bembo und Jacopo Sadoleto traten in den Dienst Leos X. Der Graf Baldassare Castiglione re- prasentirte das Ideal des modernen Hofmannes, und Ludovico Ariosto die unvergleichliche Grazie der modernen Sprache und Poesie Italiens. Auf dem Schlachtfelde von Bavenna batten sicb 1512 'Ariosto und Leo X. zuletzt gesehen. Mit ehr- furcbtigem Staunen betrachteten die Fremden die Deckep- gemalde der Sistina und den starren , gewaltigen Michel Angelo, der selbst mit einem Leonardo da Yinci in heftigem Streit zusammengerieth. Bafael entziickte Alle durch seine Werke und seine Personlichkeit. Es war als ob dieser fiir Leo X. , jener fur Julius II. wie geschaffen gewesen ware. Enter den romischen Architekten glanzte vor alien der alte Bramante von Urbino und Baldassare Peruzzi aus Siena. Jener starb lbl4, dieser aber erreichte eben die Kobe seines Kuhmes. Aus Siena war auch der beriihmte Holzschneider Giovanni Barile nach Bom gekommen, der von 1514 bis 1521 Tbiiren und Fenster der papstlichen Zimmer kunstreich ausfiihrte. Agostino Chigi konnte auf seine Landsleute stolz sein; er nahm sicb ihrer auf das freundlichste an, empfahl sie und begiinstigte sie und erfreute sicb ihrer Erfolge. Auf seine Aufforderung geschah es, dass auch sein besonderer Liebling, dass auch Soddoma im Anfange des Jahres 1514 noch einmal in die Tiberstadt zuriickkehrte. Er durfte sicb von dem Bom Leos X. viel angenehmere Hoffnungen machen, als von dem- jenigen Julius II. Baldassare Peruzzi hatte 1512 den Ban der Villa Chigi dicht am rechten Tiberufer vollendet und ihre Ausschniiickung im Innern bereits begonnen. Sie tragt heute den Xamen Far- nesina, aber ihre durcbaus veranderte Umgebung hat ihren urspriinglichen Beiz beeintrachtigt. Sie lag ehedem fast voll- kommen frei und isolirt inmitten zwischen gepflegten Garten und einer malerischen Wildniss. Ihr gegeniiber jenseits dem Tiber dort auf dem Marsfelde baute eben die Friihrenaissance ihre ersten Kirchen und Palaste. Stromabwarts, durch die alte Septimianische Mauer von ihr getrennt, lag das Trasteverinische 97 Kom. Eine ziemlich weite Entfernung schied sie stromaufwarts von der ummauerten Leostadt, wo sich der none Vatican und der none Sanct Peter eben erst erhob und wo von der Farnesina aus nur das Hospidale Santo Spirito in Saxia in die Augen fiel, das Innocenz III. erbaut und Sixtus IV. durch Baccio Pintelli hergestellt und erweitert hatte. Zwischen Leostadt und Traste- vere aber zog sich das Hiigelgelande des Janiculus und eine schmale Ebene am Tiber hin, wo es in Wald und Busch und Weideland kein anderes Gebaude gab als dort an der Berges- halde das einsame stille Kloster von S. Onofrio. Hier auf diesem Gebiete im Angesichte der Stadt, dem Verkehr mit den Machthabern und dem Volke nahe, war zrfgleich die un- gestorteste, ruhigste Abgeschlossenheit einer Villeggiatura mog- lich. Die Villa, die nun Peruzzi in einer romantischen Einode und dock mitten in der ewigen Weltstadt haute, konnte beides, Palast und Landhaus , sein. Der Baumeister verstand den Charakter von beidem in^ seinem Werke iiberraschend und einfach zu losen. Mit einheitlichen Motiven und ohne jede Aufhebung der Symmetrie ist das Haus errichtet. Freie An- und Zuthaten, landwirthschaftliche Gebaude, der altiibliche Thurm, offene Hallen auch im Obergeschoss : Alles, was sonst einer Villa so eigen oder nothig ist, durfte hier als fremdartig oder iiberflussig fehlen. Architektonische Launen und Fan- tastereien, die draussen auf dem Lande, fern von aller Welt, dem Bauherrn oder Baumeister unverwehrt sind, waren hier eine Narrheit gewesen. Und dennoch besass das Gebaude alle wesentlichen Eigenschaften einer Villa: ohne alien Bezug auf Markt oder Strasse gedacht, stand es da frei wie ein Baum im Felde. Zwei Fliigel schliessen eine hohe luftige Halle des Erdgeschosses ein , welche so schicklich als einfach vornehm Wohnung und Garten verbindet, Offenes und Geschlossenes vermittelt. Zimmer und Sale im Innern haben die verschie- densten Formen im Eund und Viereck und doch alle ein schones Verhaltniss. Ganz schlichte, feine, wenig hervor- tretende dorische Pilaster an beiden Stockwerken, dann oben unter dem Dach ein Fries von festontragenden Putten geben Jansen, Soddoma. 7 98 dem Aeusseren seinen bescheidenen Schmuck. Das Material ist anspruchslos. Aus guten Backsteinen bestebt das Mauer- werk, die Ornamente aus P’eperin. Der edle Organismus des Ganzen kann nicht treffender charakterisirt werden als durch die Worte Yasaris: es scheint — sagt er — nicht von Mau- rern errichtet, sondern von der Natur selbst hervorgebracht zu sein: non murato ma veramente nato. Peruzzi strebte auch nach dem Euhme eines guten Malers, aber wirklich Yorziig- liches hat er doch nur in der architektonischen Decorative geleistet. Die Deckeneintheilung, die er unten in einem Saale der Farnesina gemacht hat, erregte selbst Tizians Erstaunen, der die tauschende Malerei in der That fur Stuckarbeit hielt» Im oberen Geschoss verwandelte er die Wande eines grossen Gemaches durch seinen Pinsel wieder in Saulenhallen und Hess das getauschte Auge durch sie hindurch auf feme weite Gegen- den, auf Berg und Thai mit Gebauden und Ortschaften schauen. Allein den schonsten malerischen Schmuck sollte die Yilla durch Soddoma , durch Rafael und die Rafaelische Schule erhalten. Der letzteren sind sammtliche unteren Raume vor- behalten gewesen, der erstere aber wurde zur‘ Yerzierung des Obergeschosses berufen. 1514 malte Rafael nach Philostrats Erzahlung vom Cyklopen die beriihmte Galathea. Wahrschein- lich genau zur selben Zeit war Soddoma oben im Palaste thatig. Ueber den Kamin im grossen Siidsaale des ersten Stockes entwarf er die Colossalfigur des Hephastus, der auf seinem Ambos Pfeile schmiedet. Es lag in Agostino Chigis Geschmack, alle Gotter und Mnsen in den Dienst Amors treten zu lassen, dem er sich selbst mit Leib und Seele widmete. Auf den Wanden seines Schlafgemaches musste ihm Soddoma die Familie des Darius vor Alexanders d. Gr. Hochzeit mit Roxane vergegenwartigen. Die Erhebung der osmanischen Macht, der Aufschwung des Halbmondes in Asien, Afrika und Europa fiel in die Epoche der Renaissance. Das Mittelalter und die spatere katholische Reaction fanden ihre Ideale in Carl dem Grossen und in den Helden seiner Tafelrunde, oder in Gottfried von Bouillon und in' den Kreuzziigen. Aber auf 99 der Schwelle beider Zeiten, in dem Momente der Eenaissance, wo man antik heidnisch empfand, wo um der Auffindung griechischer Schriften widen und nicht wegen Eroberung des heiligen Grrabes Nayagero Papst Leo X. zu einem Tiirkenkrieg aufforderte: in einer solchen Epoche warden die christlichen Heroen durch Alexander d. Gr. yerdrangt* Und war er nicbt auch grosser als jene alle? Hatte nicht er den verhangniss- yollen, immer verderbendrohenden Orient bis an den fernen Ganges erobert? Die Eenaissance sympathisirte mit dem konig- lichen Heldenjiingling, der von dem grossten Philosophen er- zogen war, der am Homer sich begeisterte, der dem Dionysos and der Aphrodite leidenschaftlich haldigte. Soddoma stellte Alexander dar, man mochte sagen vor dem Fraaenhaas, vor dem Harem eines grossen asiatischen Saltans, wie vor ihm za seinen Fiissen die Familie des Darias flehend aaf den Knieen liegt and seine Entscheidang in Demath erwartet. Eine edelwiirdige Matrone ist die Matter des Darias. Um sie heram die Fraaen, strahlend in Jagendschonheit ; welch wanderbar sanfter, hinreissender Liebreiz liegt in diesen drei Kopfen! Ganz Hald and Milde aber steht der jagendliche Sieger da, herrlich wie ein Held Ariosts, schwarmerisch, weich, sentimental wie gewisse Ideale moderner Eoman- dichtang. Alexander d. Gr. ist der galante Eitter. Der abendlandische Held macht die Fraaen nicht za Sclaven, er vergottert sie darch seine Liebe. Der Macedonier wahlt sich die schonste Perle des Orientes aas ; Eoxane ward seine Gemahlin and damit die Theilhaberin an seiner Macht and Grosse. Dies nan schildert Soddomas zweites Wandgemalde. Die Eenaissance hatte eine gliihende Sehnsacht, die antike Malerei wieder herzastellen. Aas Eeliefs and Beschreibangen wollte sie sich einen BegrifF and eine Vorstellang davon ver- schaffen. Und nicht nar die Malerei der Alten im Allgemeinen, sondern ganz bestimmte Bilder sollten der Welt zariickgegeben werden. Alessandro Botticelli malte genaa nach Lacians Schil- derang die Allegorie der Yerleamdang, die Apelles erfanden and componirt hatte. Leser desselben Lacian reizte ganz — ' 100 besonders die Beschreibung eines Bildes, auf dem der Maler Aetion die Hochzeit Alexanders d. Gr. imd der Koxane dar- gestellt, und womit er sich grossen Kuhm und das Gliick seines Lebens erworben hatte. Da sie nun meinten, das Ge- lesene wirklich yor Augen zu sehen, so^waren sie auch iiber- zeugt, dass ein Kiinstler eben darnach das Werk ganz getreu wiedergeben konnte. Bafael und Soddoma baben sicb beide an diese Aufgabe gemacht: jener zeichnete nach Lucians Worten fast mit archaologiscber Gewissenhaftigkeit ; dieser aber verfubr freier, insofern er niclit Einzelnes neben Einzelnes reihte, sondern das Ganze in seinem innersten Wesen erfasste und davon begeistert eine lebensvolle Einheit schuf. Bafaels Both- stiftzeichnung befindet sich in der Sammlung des Erzherzogs Carl in Wien. Das darnach ausgefiihrte kleine Fresco im Pa- lazzo Borghese in Kom ist dem Perin del Yaga zugeschrieben worden. Das Brautgemach ist bei Soddoma so schon, als sich nur die Kenaissance die Antike denken konnte. Wir sehen die lange Hinterwand und die schmale Seitenwand sehr fein architektonisch gegliedert und mit eingelegten Marmorreliefs verziert. Durch jene lasst eine offene Pforte die stattliche Saulenhalle des Hofes erblicken, wahrend rechts an der Klein- seite der Hauptzugang von draussen herein ist. In der Mitte steht das breite Ehebett: vier korinthische SMen an seinen vier Ecken mit Architrav, Fries und Gesims tragen baldachin- artig die Decke iiber dem Lager, zwischen sich selbst aber reiche schwere Teppiche, welche vor- oder zuriickgezogen werden konnen. Der Fries und die hohen Basen der SMen, sowie das Bettgestell selbst : Alles ist mit artigen Beliefs geziert, mit Liebesgottinnen und Amoretten, mit Seejungfrauen und Tri- tonen. Eben hat sich, den Geliebten zu empfangen, die Braut gebadet, gesalbt und geschmiickt, und die Dienerinnen, welche dabei zur Hand waren, sind im Weggehen begriffen. Eine ganz links tragt die grosse silberne Schiissel fort. Eine zweite mit dem schlanken Gefass auf dem Haupt gleicht einer gra- ziosen Kanephore; sie hat uns auch den Bucken schon zuge- kehrt, allein verstohlen, neckisch lachelnd wendet sie noch ein- 101 mal ihr Angesicht nach der schonen Herrin um. Hie dritte Magd, eine Negerin, schaut hinter dem Behang zwischen den Saulen des Bettes sinnlioli liistern zu uns hervor. Auf den yorderen Band des Lagers hat sich die reizend schone und lieblioh holde Boxane niedergesetzt , mit dem ausgestreckten rechten Arm stiitzt sie sich auf das Bett, mit der linken Hand hat sie das einzige weite Grewand, das sie nur leise lose umhiillt, von den Fiissen weg nach dem Schoose heraufgezogen , damit unten die beiden Amoretten die Sandalen losen konnen. Wie drollig ernsthaft angestrengt der eine den Schuh auszieht : er ist ganz wichtiger Hiensteifer. Her andere dagegen kniipft an den zu- riickgezogenen linken Fuss hehaglich erst die Bander auf und schaut dahei schelmisch schmunzelnd zu jener Kanephore auf, die sich umwendend noch einmal an dem Anblick ihrer Herrin — Und schon ist der konigliche Brautigam heran und hereingekommen : eine wundervolle Gestalt, den weiten Mantel mit der Linken an der Hiifte zusammenhaltend, das schwarme- rische Haupt mit den langen Locken ein wenig geneigt, bietet er seine Krone der Geliebten dar. Sie aber schlagt ihre Augen nieder, ihre Seele gerath in Bewegung, und nur ihr Korper bleibt wie von einem Zauber gebannt unverandert in der Hal- tung und Stellung, die ihm Empfindungen vergangener Momente gaben. In der heiter kecken Gesellschaft der Hienerinnen noch im letzten Angenblicke kindlich ubermiithig in sehnshchtigem Erwarten, und gleichzeitig beunrnhigt von stillem Bangen und Begehren, wird die herrliche Jungfrau jetzt im Angesichte des liebeerfiillten Heldenjiinglings lauter Angst und Scheu, Hemuth und holde Scham. Alles offenbaren uns diese Ge- stalten, diese ausdrucksvollen Gesichter. Aber der feinsinnige poetische Kiinstler redet zu uns auch im Symbol. Has Ge- w^and , das auf der einen Seite von Boxanes Brust herabge- glitten ist , halt auf der andern einen Amor ' noch hastig fest und zuriick; und dieser Amor allein von alien ist selbst ver- hiillt ; er ist selbst erschrocken, und in ernster Erregung blickt er auf den koniglichen Brautigam. Geistreicher und ange- messener ist niemals kiinstlerische Symbolik gewesen. Hinter 102 Alexander d. Gr., dem Zimmereingange nahe, steht Hephae- stion schon wie Apollo an Haiipt und Gestalt; der Mantel, der auf den Schultern hangt und nur an der linken Seite zu- sammengefasst 1st, lasst fast ganz den nackten Korper seken. Es liegt etwas von Antinoos zweideutig weicher Melancholie in dem Ausdruck seines Gesichtes, wie er vor sick den Welt- erokerer betracktet, der der Frauensckonheit und Liebe seine Krone beut. Yon hinten her legt ihm rukig Hymenaeos seine linke Hand auf die Schulter, wahrend er mit der anderen die Hockzeitsfackel emporhalt. Yon dieser so sonderbaren, durch- aus klassisch empfundenen und behandelten Gruppe ziekt den Beschauer der Amoretten loses Spiel hinweg. Sie fiillen den Baum uberall. Sie bedienen und behiiten Boxane, sie fiihren und geleiten Alexander .d. Gr. Einer bat ikn herangebracht ^ jetzt, wo der K5nig zaudernd stockt, ziekt und zerrt er an ihm, dass er vorwarts komme. Ein anderer hinter dem Konig, in seiner Bewegung aufgehalten, kniet jetzt am Boden und halt ein Waffenstiick iiber seinem Kopf. Her Haupttross der Amoretten ist die Stiege heraufgepoltert und purzelt nun zum Gemach herein. Hie Yerwirrung, die hier die Braut , den Brautigam selbst ergriffen hat, wirkt auck auf sie, der vor- derste lauscht kauernd verlegen vorwarts ; zweie , die einen dritten auf des Konigs Sckild tragen, kommen aus dem Schritt und lassen ikn herabfallen, der grosse Helm ist von seinem Kopfcken herunter w'eit fortgerollt. Her letzte, der sick in ein sckwer Stuck Harnisck gesteckt katte, schleppt sick eben erst die oberste Stufe herauf. Beizvoller konnte der Moment ver- wirrender Aufregung Keuvermaklter in ihrem Brautgemache unmoglich gesckildert werden. Allein wenn auck die eine Halfte der Liebesgotter in bestiirzter Auflosung ist, die andere Schaar oben in der Hoke fiihrt um so leidenschaftlicher und energiscker den Kampf. Links aus der Hecke herab dort iiber der weggehenden Hienerin schiesst einer hastig Pfeil auf Pfeil. Hie Amoretten, welche iiber dem Baldachin des Ehebettes eine reicke Hraperie in die Hoke halten, verhiillen sick wokl spassig schiichtern in deren Falten, als ok sie an der lieb- 103 reizenden Yerlegenheit der Braut unten Theil nahmen, aber sie scbauen doch auch vergniiglich und scbelmisch liistern nacb den anderen Liebesgottern , als ob sie viel lieber mit ihnen berumfliegen und herumscbiessen mochten. Einer auf dem Eck reicbt einem der Schiitzen Pfeile dar. Sie brauchen Waffen in Menge ; der kriegerischen Scbaar bringt im Eluge ein Amor einen ganzen Kocber yoII neuer Geschosse. Kostlicb ist das Paar, das mit dem Schwerte des Welteroberers in die Hohe zu den Kampfern geflogen ist. Wehr und Waffen bat der Held verloren, der sicb der Liebe Hienst ergibt. Allein draussen in der Welt geben docb die Hinge ibren Lauf. Her Maler lasst sie uns auf scbmalem, aber bedeutsamem Kaume recbts in seinem Bilde seben. Wir blicken ins Freie auf Landschaft und Stadt, und iiberall gewabren wir bier Krieger in gewapp- netem Zug oder in Yollem Gefecbte. Hem Zauber jungfrau- licber Scbonbeit erliegt aucb der Welteroberer , und seine Eiistung und Waffen werden Amors Spolia opima, aber in des Helden Leben ist die Liebe docb nur ein Moment. Auffassung und Composition in Soddomas Wandgemalde kann niobt genug bewundert werden. Her denkbar Mcbtigste Act, die liberraschende, verwirrende, bestiirzende erste Begeg- nung des Brautigams und der Braut im Schlafgemacb ist der Hauptvorwurf des Kiinstlers. Her Beschauer nimmt mit voller Seele an der entziickenden Aufregung der Liebenden Tbeil; der verduzte Wirrwarr der Amoretten am Boden erfasst aucb ibn, die Pfeile der leidenscbaftlicben Amoretten aus der Hobe treffen aucb ibn; und mitten im Sturm und Wirbel wider- strebender Gefiible abnt er die Wonnescbauer des kommen- den Augenblicks, den kein Hicbter zu scbildern, kein Maler zu malen yermag, — Hie drei Hienerinnen zur Linken, jede anders und jede so sprecbend charakterisirt , versetzen uns in die Zeit , die dem Hauptmoment yoranging : wir beob- acbten, mit welcber naiy eiteln Liebenswiirdigkeit die Braut fiir ibren Brautigam sicb scbmiickt, wir boren nocb die bald ernsten , bald scberzenden Mabnungen der Hienerinnen , wir erratben die scbelmiscben Scenen, die bier yorkamen, und be- 104 greifen und fiililen nun erst recht die anmuthig reizende Ver- legenheit in der Seele der Jungfrau. Indem aber die Magde noch nicbt verschwunden sind und Alexander schon vor uns steht, errathen wir nicbt bios die Sorgfalt, mit der die Greliebte sicb scbrniickte, sondern auch die Hast und Unrube, mit der der Jiingling zu ibr bineilte. Entbiillt uns nun dergestalt die linke Seite des Bildes auf das Anmuthigste und Heiterste die Geheimnisse des Frauengemaches , so fiihrt uns auf der an- deren Seite der ins Freie gehende Blick auf die ernste Helden- bahn des Jiinglings. Der Kiinstler wahlt den pragnantesten Augenblick, der am Yergangenen nocb hangt, der in die Zu- kunft uns drangt, und offenbart uns zugleicb das innerste und tiefste Wesen der Hauptpersonen. An Genialitat des Gedankens bat sicb Soddoma iiber Lu- cians Bescbreibung und vielleicbt aucb iiber Actions Gemalde erboben. Lucian erzablt nicbts von den drei Dienerinnen ; sie sind Soddomas geistreicbe Erfindung. Lucian erkennt in den Amoretten, die mit den Waffen des Heldenkonigs spielend scberzen, eine Andeutung des Malers, dass der Krieger aucb in der Liebe seines Waffenbandwerkes nicbt vergesse. Wie ganz anders wusste uns Soddoma davon zu iiberzeugen, und wie ganz anders fasste er den Sinn jener Amoretten ! Lucian lasst den kleinen Liebesgott in den grossen Harniscb scbliipfen, um die anderen wie aus einem Hinterbalt zu erscbrecken. Bei Soddoma kommt er vielmebr als der letzte binter den anderen bergekeucbt , was viel natiirlicber und viel bumoristi- scber ist. Von Amoretten, die oben in der Hobe fliegen und Gescbosse niedersenden , weiss Lucian gar iiicbts. Bei ibm bebt ein Amor den Scbleier von Roxanes Haupte. Unendlicb feinsinniger und zartfiiblender lasst ihn Soddoma vielmebr das Gewand der verlegenen bolderrotbenden Braut iiber der Brust zusammenbalten. Lucian kennt nur einen Amor , der sebr „dienstfertig“ die Sandale abziebt. Soddoma nimmt diesen kostlicben Zug, den Rafael iibersab, sebr gescbickt auf, aber fiigt nocb einen zweiten Amor am andern Fusse bei, den er mit seinen Dienerinnen in Zusammenbang bringt. I — 105 - Die geistreiche Symbolik der Liebesgotter , wie sie das unausgesprochene Wort, das Greheimniss der Seele, den Wider- streit der Empfindungen ausdriicken, hat Soddoma in voll- kommen einziger Weise verstanden und mit so dnrch und durch klassischem Grefiihle angewandt, dass nur die Wand- gemalde von Pompeji Aehnliches und Gleiches enthalten. Rafael und seine Sohiiler erreichen ihn anf diesem Gebiete in Erfindung und Originalitat doch nicht. Hier ist er wirklicli zugleich naiv und feinsinnig wie die Antiken, und so bringt er ein Werk zu Stande, das einzig und allein in der gesammten Malerei des fiinfzehnten, sechszehnten und siebzehnten Jahr- hunderts mit den spater entdeckten antiken Fresken verglichen werden kann. Bei seiner tiefpoetischen Empfindung, bei seiner, den Alten wahrhaft congenialen Auffassung bedauern wir um so mehr, dass der sonderbare Mann keine Ausdauer im Fleisse, keine Gewissenhaftigkeit in der Ausfiihrung besass. Seine Ge- stalten und besonders die Kopfe zeigen ein Verstandniss der Charaktere und ein Gefiihl fiir Formenschonheit, das selbst in der Glanzepoche italienischer Kunst Staunen erregt, Roxane ist in der That die kostbarste Perle : sie ist unsagbar lieblich und sohon, und dabei ist der Ausdruck ihrer momentanen Stimmung die Wahrheit, die ISTatur, das Leben selbst. Die Malerei jedoch ist oberflachlich, fliichtig, keck und verwegen. Bei der „Familie des Darius“ bemerkt man, wie durchaus ungleich- artig die linke und rechte Halfte dieses Gemaldes behandelt sind. Dort herrscht ein wirklich auffallender Fleiss, eine liebevolle Genauigkeit; hier dagegen verrath sich nichts als das leicht- sinnige Streben des Kiinstlers, so rasch als moglich mit seiner Arbeit zu Stande zu kommen und fertig zu werden. Leonardo da Yinci hat gewiss die Bilder gesehen: er muss entsetzt ge- wesen sein, dass ein so talentvoller Sohiiler da und dort so diirftig modellirte und so unverzeihlich nachlassig in der Tech- nik verfuhr. An vielen Stellen kommt man auf den Gedanken, das ganze Bild sei wieder eine Improvisation des Meisters auf frischen Kalk. Und einen genauen Carton hatte er allerdings auch hier nicht zu Grunde gelegt. Nur die Umrisse einzelner 106 Figuren, ja nur gewisse Partien ritzte sich Soddoma vor, aber ohne sich bei der Ausfuhrung iiberall und mit Strenge daran zu halten. Wie ganz anders hat da Rafael gearbeitet! Seine wundervollen Schopfungen in der Farnesina sind weltbekannt. Allein um gegen Soddoma gerecht zu sein, diirfen wir auch die Mangel seines grossen Rivalen nicht iibersehen. Rafaels Galathea hat doch etwas Derbes und Hartes und sogar manchen Zeichenfehler. In den Darstellungen aus der Amor- und Psychefabel , die nach Apulejus goldenem Esel gemacht wurden, imponirt „die einfache Grossheit, womit der Gedanke zur Anschauung gebracht wird“, ebenso die Schonheit der Composition und der Linien. Die Ausfuhrung riihrt von seinen Schiilern her, und Vasari vermisste mit Recht die stisse Anmuth des Meisters. Das Nackte macht durchweg einen unerquicklichen Eindruck ; es ist durchaus ohne „morbidezza“. Giulio Romano hat dann selbststandig grossere und kleinere Friese unter den Decken entworfen und ausgefiihrt: Apollo mit den Musen, Marsyas Schindung, Zeus und seine Liebes- abenteuer. In dem grossen Sale, wo Soddomas Hephastion sich befindet, malte er auf einen breiten Fries ein Stiick Ur- geschichte, nicht nach dem alten Testamente und wie sie gang und gabe geworden war, sondern 'wie sie Agostino Chigi am meisten gefiel: die Deukalionische Fluth, Deukalion und Pyrrha, Apollo und Daphne, Adonis, Diana und Endymion, die Ge- schichten des Meleager und des Pelops. Agostino Chigi hatte seine Villa in ein Heiligthum der Aphrodite und des Eros verwandelt. Was die vollendete Kunst Italiens an Geist und Grazie, an Bildung und Geschmack besass, das Alles stand ihni dabei zu Dienste, Wahrend dort in der Leostadt der grossartigste und erhabenste Tempel der Christen- heit gebaut wurde, wurde nicht weit davon in der stillen reizen- den Wildniss am Tiber dem klassischen Heidenthum, der an- tiken sinnlichen Lust und Schonheit eine Statte geweiht. Hier feierte Agostino Chigi seine glanzenden Feste. Hier vollzog er seine Vermahlung, und unter den Gasten erschien von zwolf Cardinalen begleitet Papst Leo X. Er hat die Verlobten selbst 107 getraut und ihren Erstgeborenen aus der Taufe gehoben. Als Agostino sein Testament machte, unterscbrieb Leo X. das Docu- ment, und eine Anzahl Cardinale waren als Zeugeii zugegen. Bei dieser Gelegenheit gab es ein herrliches Bankett. Der klassisch gebildete und klassiscb gesinnte Bankier lebte wie die Schlemmer der romischen Kaiserzeit. Lebendige Fiscbe waren von Spanien , von Erankreich her und selbst von den Gestaden des Bosporus besorgt worden. In einer Loggia, die unten am Tiber in einer Xacht entstanden und fiir das Fest hergerichtet war, wurde gespeist. Die Diener nahmen nach jedem Gauge die silbernen und goldenen Gefasse, von denen gegessen war, und warfen sie in den Fluss, wo dann freilich ein ausgespanntes Xetz dafiir sorgte, dass sie dem reichenManne doch nicht verier en gingen. Wunderbare Zeit, wo schon aus der Mitte Deutschlands die Keformation welterschiitternd ihr Haupt erhob, und die ganze katholische Christenheit, Papst und Cardinale und Moncbe noch unbesorgt und unbefangen den Taumelbecher irdischer Lust am Munde hielten! Wie hatte sich Eom ein Jahr- hundert spater verandert, als droben zwischen Yilla Chigi und dem Yatikan in der schlichten Halle von Sant Onofrio Domeni- chino seine frommen Bilder mit den asketischen Unterschriften malte ! Da vernehmen wir die Klage des heiligen Hieronymus, dass er selbst unter Dornen, Disteln und Scorpionen Roms siisse Lust und schone Frauen nicht vergessen kann ; oder wir sehen und lesen, dass er vor Gottes Throne von den Engeln im Himmel gegeisselt wird , weil er sich zwar einen Christen nennt, aber nicht in Christus, sondern in Cicero lebt. Wohl haben die furchtbaren Papste der katholischen Reaction auf Obelisken das Kreuz, auf Imperatorensaulen die Apostel Petrus und Paulus gestellt, wohl haben sie iiberall auf jedem Reste der antiken Welt das Symbol des Christenthums wie einen Sclavenstempel aufgepragt : aber sie wurden ebenso wenig Herr iiber „ Cicero “ und Roms schone Frauen, als liber die deutsche Reformation. Wenn Yoltaire Recht hatte, dass die vollkommene Frei- 108 heit des Wortes und die Ausschweifung in den Sitten stets im umgekehrten Yerhaltniss stehen, so ware das in Rede und Bild ganz einzig offene und naive Zeitalter Leos X. auch ganz einzig moralisch zu nennen. Von 1505 bis 1516 hat Ludovico Ariosto seinen Orlando Furioso gedicbtet. Leo X. erfreute sich an des Cardinals Bibbiena Calandra und an Mac- chiavellis Mandragola. Sein Secretar Bembo verfasste damals jene lateinischen Sohriften, die noch ungleich mehr durch ihren Inhalt als durch ihre Form klassisch sind. Pier Francesco Griambullari verbffentlichte seine Canti carnascialleschi und Fierenzuola sowie Francesco Maria Molza liessen der sinnlichen Ausgelassenheit alle Ziigel schiess'en. Und eben trat in Rom Pietro Aretino auf. Fine achte Bankertiiatur, wie sie Shake- speare schildert. Korperlich und geistig vortrefflich ausgestattet, voll Kraft und Schonheit, geistreich, talentvoll, masslos frech und verwegen, eine halt- und ruhelose isolirte Existenz, die riick- sichtslos sich Alles herausnimmt und um des lieben Ich willen auch wieder scham- und sittenlos jeden Augenblick sich selber wegwirft ! In Arezzo von einem Edelmanne unehelich erzeugt, kam er nach Perugia „in den Garten wo seine erste Jugend bliihte^. Hier erwarb er sich als Buchbinder eine Art litera- rischer Kenntniss und durch schlechte Streiche einen schlechten Ruf. Um das Jahr 1513, als er etwa 21 Jahr alt war, ging er nach Rom, „zu Fuss und ohne anderes Gepack als das, was er auf seinem Leibe trug.“ An Agostino Chigi, der sich auf'Talente jeder Art verstand, fand Aretino eine Stiitze. Es ist moglich, dass er anfangs in dessen Druckerei beschaftigt war, aber sehr bald kam er zur Geltung in der Gesellschaft, wurde er von Leo X. in Uienst genommen und gut bezahlt, und spielte dann eine Hauptrolle in den vornehmen und geistreichen Cirkeln. Yon Schriftstellern gab es keinen, dem er sich nicht fiir gewachsen hielt; unter Kiinstlern erregte er durch sein treffendes Urtheil und seinen Geschmack Aufsehen; mit den Stutzern und Lebemannern wetteiferte er in Eleganz und Liebes- abenteuern. Seine Gonner berauschte er durch massloses und doch hochst geschicktes Loben und Schmeicheln, aller Welt 109 aber imponirte er durch schamlosen Hobn und Spott iiber alle gottlicben und menschlichen Dinge, was in der Geschichte wiederholt fiir das untriiglicbste Zeichen starker Geister ge- golten hat. Das grosse Geheimniss der Charlatanerie, durch HotFnung und Furoht auf die Menschen zu wirken, ist im letzten Grunde auch das ganze Geheimniss der Macht gewesen, die Pietro Aretino ausgeiibt hat. Im Hause Agostino Chigis lernte er Soddoma kennen und schloss sich an den talentvollen, sinn- lich leidenschaftlichen , phantastischen Kiinstler mit herzlicher Freundschaft an. Soddoma hatte ehen in den Fresken der Farnesina Alles iibertroffen, was er bis dahin geleistet hatte, und gleichzeitig etwas Einziges und Bedeutendes in der Kunst iiberhaupt ge- leistet. Auch Leo X. land Wohlgefallen an dem Maler, der ihm durch Chigi vorgestellt und empfohlen wurde. Soddoma aber malte Seiner Heiligkeit eine Lucrezia, die sich den Dolch in den Busen stosst. Es war ein Gegenstand, den die Renais- sance sehr liebte; auch Rafael hat ihn damals behandelt. Gerade weil man die vollste Freude am sinnlichen Genusse hatte, yerehrte man auch die Strenge klassischer Tugend; jeder wilnschte sich wohl eine so wunderschone und so unglaublich- treue Frau, und mancher hatte ihr in die Hand fallen, ihr den Dolch entreissen, sie fiir rein und engelhaft erklaren, ihr alle seine Liebe widmen mogen — aber sie todtete sich. Auch in den Bliitheepochen der Kunst ist das stoffliche Interesse ausser- ordentlich gross. Leo X. nahm die Lucrezia huldvoll entgegen. Er ernannte den Kiinstler zum Ritter. Das war eine Aus- zeichnung , die dem Manne , der Tor alien Dingen im Leben und in der Gesellschaft etwas vorstellen und sein wollte, hochst erwiinscht kam, und auf die er sich nicht wenig zu gute that, Ein grosses politisches nationales Dasein war den Italie- nern versagt. Religiose Kampfe und Interessen gab es nicht: zu alien Zeiten verhielten sich die Italiener ziemlich lau und indifferent dagegen, oder es musste sich dabei um sehr mate- rielle Vortheile und Yerdienste handeln. Der Genius der Xation gab sich der Kunst und Wissenschaft hin, und erst no sehr spat hat Graf Leopardi erkannt, dass diese doch immer nur ein Surrogat fiir ein Leben der That, fiir politische Frei- heit und nationale Grosse bilden konnen. In diesem Sinne steht die deutsche Reformation ganz unendlich iiber der ita- lienischen Renaissance* Aber man hiite sicb, die Moral des Einzelnen so obenhin zu beurtheilen und zu verdammen. Michel Angelo ist ein so sittenreiner und edler Stoiker, wie ihn das ganze Alterthum nicht kannte und selbst das Christen- tbum vielleicbt nicht zum zweiten Male besitzt. Die Entwicke- lung seiner Personlichkeit und seiner Kunst behandelt er wie eine ethische heilige Aufgabe und Pflicbt. Nicht den Sinnen will er schmeicbeln, er dierif^ nur dem Geiste und der Kraft, nur der ewigen 'Wahrheit. Darum ist es sehr hezeichnend, dass das schonste Mannesideal, das jemals geahnt und gemalt wurde, jener Adam in der Sistina ist, wo er vom Geiste Gottes durchdrungen wird. Die schonste Frau, die in der ganzen Kunst ihres Gleichen nicht hat, ist wieder Michel Angelos Schopfung. Es ist Eva, aher vor ihrer Yertreibung aus dem Paradiese, in dem Momente, wo die verhangnissvolle Yerfiih- rung eintritt. Denn von da an wird ja Kampf und Arbeit, Krankheit und Siechthum bis zum Tode das Loos der Mensch- heit. Im Schweisse ihres Angesichts soil sie die Erde bebauen und mit Furcht und Zittern die verlorene Seligkeit sich wieder schaffen. Im Gegensatz zu Michel Angelo geht Rafael durchs Leben, indem er ganz ihre Schonheit und ihre Lust geniesst und doch nie die ideale ^Yelt in seinem Innern verliert: ungetriibt strahlt der Abglanz des Gottllchen und Ewigen in seiner Seele wieder. Uns Deutschen scheint der Leichtsinn nicht recht zu Gesichte zu stehen; wenn wir galant sein wollen, stiimpern wir dem Yorbild der siidlichen romanischen Yolker oder den Fran- zosen nach. Weit gefalliger noch als die Grandezza der Spanier, als die Courtoisie der Franzosen verbindet sich die leichte Grazie der Italiener mit dem heiteren, geistreichen Lebens- genusse in Liebe und Lust. Essen und Trinken wird nie zu nordischer Yollerei; die Kleidung zeigt immer Wiirde und Geschmack ; der Umgang mit Frauen hat zugleich Leidenschaft Ill imd Anmuth, und selbst die irdische Yenus hort doch niemals auf, eine Gottin zu sein. Die Form vergeistigt und veredelt Alles: keine Zeit aber verstand sick besser darauf, als die Epoche Leos X. Und so mag man denn versuchen, den Hof dieses Papstes und den Kreis Agostino Chigis in seiner Ein- bildungskraft wieder wirklich werden zu lassen. Jener Papst und dieser Bankier sind Yirtuosen des Genusses. Eine Zeit lang erscheint der Genius Italiens in diesen Zauberkreis gebannt. Aucb Soddoma stand ihm in den gliicklichsten Jahren seines Lebens nabe. Wie gefiel er sich dort in der Pracbt und Lust ! Man meint ihn noch vor sich zu sehen, wie er damals durch Korns Strassen stolzirte: liber dem Wamms von Brokat den reichen goldgestickten Mantel, um den Hals die goldene Kit- terkette, das feine schone Gesicht glatt rasirt und iiber den langen dunkeln Locken die kokett herabhangende Kaputze. Sein Gonner Agostino, seine Landsleute Peruzzi und Giovanni Barile, sein Freund Aretino lebten lustige Tage mit ihm. An Xeid fehlte es ihm freilich nicht, am wenigsten in den Kiinstler- kreisen niederen Kanges, die sich als Schulen Michel An- gelos und Rafaels aufthaten. Es ist als klange ihr gehassiger Aerger noch nach Jahrzehnten aus Yasaris Worten heraus. Man fand es unverzeihlich, dass Leo X. und Chigi Soddomas Gonner waren, und man erklarte ihre Freude an dem Son- derling von Kiinstler nicht gerade aus ihren besten Eigen- schaften. Als Soddoma, sagt Yasari, in den Kitterstand erhoben war , da meinte er wahrhaftig , er sei ein grosser Herr ge- worden und brauche fortan nicht mehr zu malen und zu ar- beiten. So oft Yasari ihn auch in seinen Leistungen aner- kennen muss, in seinem Charakter sieht er nichts als alberne Phantastik oder wahrhaft bestialische Ausschweifung, und in seinem Benehmen nur Xarrheiten, Bankelsangermanieren oder gar Gemeinheiten. Paolo Giovio, der seit 1516 am Hofe Leos X. lebte, hat Soddoma wohl auch nur vom Horensagen gekannt. Er berichtet aber jedenfalls,* was die Ansicht der Zeitgenossen in Kom iiber ihn war. Yollstandig haltlos und bis zum Unsinnigen iiberstiirzt wird auch von ihm dieser 112 Maler genamit. „Aber wenn er/‘ heisst es weiter, „sein stiir- misches Gerniitli der Kunst zuwendet, dann schafft er Wun- derbares, dann fiibrt seine leidenschaftliche Hand "Werke aus, welche die strengste Sammlung des Geistes und eine vollkommene Hulie der Seele athmen.“ Eine Beurtheilung von Soddomas Personlichkeit ist sehr schwer. Wenn man sich die Schrankenlosigkeit der Sitte im Zeitalter der Renais- sance, wenn man sich das damalige Rom, die Charaktere am Hole Leos X., die Gesellschaft in der Villa Chigi ver- gegenwartigt : dann ist man allerdings iiber die Pradikate erstaunt , mit denen Soddoma charakterisirt wird , und fiihlt sich ausser Stande, sich eine Yorstellung von dem Charakter eines Mannes zu machen, der selbst in solchen Yerhaltnissen und unter solchen Individualitaten ein Ungewohnliches war. Allein es ist doch hochst merkwiirdig, dass bei einer so riick- haltslos offenen Xatur, die sich durchaus gehen liess, die nur dem inneren Drange oder Instinkte und niemals einem berech- neten reflectiven Willen folgte, dass bei einer solchen Xatur, deren ganzes Hasein vor Aller Aiigen klar wie das Tageslicht dalag, immer nur allgemein und obenhin geurtheilt und nie- mals eine bestimmte Thatsache zum Beweise angefiihrt worden ist. Wir verfolgen jede Spur und jede Kunde von seinem Leben, und niemals erfahren wir eine Handlung, die ihm zur Unehre, zum moralischen Yorwurfe gereichen konnte. Wir kennen die Liebschaften der Papste und Cardinale, der Kiinstler und S chrifts teller , wir wissen von den galanten Abenteuern Chigis, Bembos, Aretinos : nichts von alledem wird uns in Sod- domas Leben berichtet. Wir horen von den elenden Kriechereien gegen die Machtigen und Reichen, von dem noch elenderen Xeid und Hass der Kiinstler unter einander ; Soddoma hat nie den Grossen geschmeichelt und nie gegen Andere Seines- gleichen intriguirt: in alien Yerhaltnissen seines Lebens hat er die personlichc Ereiheit iiber Alles gestellt, und ist seiner- seits niemals einem Anderen durch Wort oder That zu nahe getreten. Er hat durch feige Unterwerfung nie sich selbst, durch gem eine Yerleumdung nie einen Anderen verkleinert. 113 Er ist iiberall den Weg gegangen, der ihm beliebte: er Hess sicb von Memand leiten oder hindern; aber es fiel ihm auch nie ein, sich um Andere zu bekiimmern. Er war gewiss durch und durch ein Sonderling, aber niemals wollte er auf Kosten anderer Leute etwas Besonderes sein. Und das verdient doch gewiss der Beachtung, dass in einer Zeit, wo man so klassisch lebte, so klassisch schrieb und klassisch malte, dass damals Soddoma niemals ein obscones, sinnlich liisternes Bild gezeich- net hat. Michel Angelo und Bafael ausgenommen, hat viel- leicht kein anderer Kiinstler, als nur noch Soddoma, in jener Epoche so durchweg decente Kunstwerke geschajffen. Er hat nie etwas Gemeines und nie etwas gemein gemalt. Priiderie oder Heuchelei war das bei demManne gewiss nicht, der sich mit solcher riicksichtsloser Unverhiilltheit im Leben gab, und bei dem Alles, was er als Maler schuf, unmittelbar aus seiner Seele kain. Frivolen Sinnenkitzel oder prickelnde Zweideutig- keit kennt seine Muse ebensowenig, als klassische Unverschamt- heit, wie sie etwa Giulio Eomano in jenen sechszehn Blattern an. den Tag legte, die Marc Antonio stach und Arretino durch Verse erlauterte. Alles Sonderbare und Eigenartige ist rath- selhaft,. eben weil es sich alien Allgemein- und Gattungs- begriffen entzieht, die zwar auch nicht immer verstanden werden, aber mit denen wir uns doch wie mitNothwendigkeiten zufrieden geben. Und wie im Leben, so ist Soddoma in der Kunst eine ganz originelle Erscheinung. Die Malerei ist ein Theil seines Ich, ein Bedurfniss seiner Seele. Seine Muse hat etwas Zartes, Yornehmes und Edles ; die duftigste Poesie umgibt sie, und Formenschonheit versteht sich bei ihm gleichsam von selbst. Er besitzt eine reiche Erfindungsgabe und eine kunstfertige, geschickte, sichere Hand. Trotz alledem betrachtet er die Malerei nie anders als eine Arbeit, der man sich so bequem, so schnell, so leicht als moglich entledigen muss. Yon ern- stem, zusammenhangendem, folgerichtigem und auf einen be- stimmten Zweck gerichtetem Studium ist bei ihm nichts zu bemerken. Zeitgenossische Maler wie Leonardo, Pinturicchio und Perugino wirken wie zufallig auf ihn ein; auch die Jansen, Soddomr.. 8 114 Antike erfiillt und belebt seine Seele nicht anders, als wie die Luft den Korper, der sie athmet. Dauernd ist er von keinem Meister beberrscht und bestimmt oder gar in der Entfaltung seiner Originalitat gehindert worden. Nur das decorativ Arcbi- tektoniscbe in seinen Wandgemalden erinnert bestandig an Pintu- ricchio. Dass er aber seine Madonnen niemals in boldseliger, madchenbafter Jugend und Weicbbeit, sondern immer mebr als eine edle, ernste, wurdevolle Matrone darstellt: das mag den tiefgebenden Einfluss Leonardo da Yincis beweisen. Obne ein Ideal im Leben, im Staate oder in der Kircbe, obne ein Ideal in der Kunst, in das er sicb vertieft und dem er sicb mit Be- geisterung bingibt, entwickelt sicb Soddoma als Maler sowobl in seinen Ideen, als in seinen Formen dennocb unaufborlicb. Diese Entwickelung aber interessirt den aufmerksamen Forscber darum nicbt weniger, weil sie willenlos und unreflectirt, weil sie fast gebeimnissvoll organiscb wie die Entwickelung einer Pflanze ist. In der Yermahlung Alexanders d. Gr. mit der Roxane zeigt sicb Soddoma zum ersten Male sowobl vollstandig un- abbangig vom Einflusse Leonardos und der Peruginer Scbule, als von einer bescbrankten und angstlicbbefangenen Auffassung der Antike. Dass die wiederbolte Rederei von einer Ein- wirkung Rafaels albern ist, wird Jeder erkennen, der Soddomas Fresko mit Rafaels gleichzeitiger Galathea vergleicbt. Nacb- dem Soddoma die Antike geistig durchdrungen und erfasst hatte, entfaltet sicb sein Genius ganz aus sicb selbst und bait sicb von jeder anderen kiinstleriscben Art und Weise fern. Die Lucrezia, welcbe er fiir Papst Leo X. gemalt batte, soil dieselbe sein, die im Anfange unseres Jabrbunderts in den Besitz des Hannoveraners Kastner gekommen war. Eine andere, die sicb in Gegenwart des Yaters und Gatten ermordet, ver- fertigte er fur Assuero Rettori da San Martino. Sie ist ver- scbollen. Eine dritte endlicb bat das Museum von Turin. Andere Darstellungen aus der alten Welt sind nur dem Namen nacb bekannt. So ein Xumitor, welcber Rbea Sylvia mit ibren Kindern ’verurtheilt; so eine Dapbne, die in den Lorbeer ver- wandelt wird, und endlicb Pbaetons Sturz. Herr von Rumobr 115 besass Fragmente einer Metamorphose des Cephalus, die auf sehr feines Nesseltuch gemalt waren, und an denen die ausser- ordentliche Formvollendung imd die wirksame Modellirung geriihmt wurden. Wohin sie gekommen sind, wissen wir nicht zn sagen. Und so batten wir denn alle Werke mit antiken Darstellungen aufgezahlt, welche von Soddomas Hand uns erhalten sind, oder von denen wir aus Schriften Kunde haben. An gewisse Gegenstande haben sich die verschiedensten Meister gemacht: jene batten eben damals ein ganz allgemeines Interesse. Um nur das Bekannteste zu erwabnen, so compo- nirte auch Eafael eine Lucrezia und nach Lucian die Hpcbzeit Alexanders des Grossen. Aus seiner Schule haben wir eine Zeicbnung von Phaetons Sturz. In Deutschland, wo der mo- derne Styl, wo die italienische Renaissance in Architektur und Malerei um das Jahr 1513 zuni Durchbruch kommt, bemerkt man dieselben antiken Sujets. Hans Holbein der Jiingere und spater Lucas Cranach malten Lucretien, und jener zeichnete iiberdies einen Sturz Phaetons. Sein alterer Bruder Ambrosius hat nach Lucian Apelles Bild „die Yerleumdung‘‘ und den soge- nannten „Gallischen Herkules“ entworfen, von denen in Italien die eine Sandro Botticelli gemalt und der andere von Rafael ge- zeichnet worden ist. Antike Triumphziige nach Mantegnas Vor- gange waren diesseits und jenseits der Alpen am meisten beliebt. "Wir haben Soddoma in Rom unter den Papsten Julius II. und Leo X. gesehen. Wir trafen die Elite des italienischen Geistes in der ewigen Stadt und lernten in der Yilla Chigi den ganzen Zauber des modernen romischen Heidenthums kennen. Es war eine Zeit unendlicher Wonne, die Keiner wieder vergass, der sie erlebte. Fiir Soddoma war sie ein wesentliches Moment in der Entwickelung seiner Kunst, ob gleich er in ihr einzig und allein den Yollgenuss des Daseins fiihlte. Fiir ihn so wenig wie fur jeden Andern sollte sie eine langere Dauer haben oder gar zum zweiten Male zuriickkehren. Sie war fur ihn der Inbegriff alles Gliickes, das Himmel und Erde bieten kann. An der Erinnerung daran hat er sich noch am Abend seines Lebens gelabt und erquickt. — 116 Dritter Abschnitt. Meisterwerke. I. Soddoma und die neue sienesische Scliule. Noch ehe Soddoma seine zweite Komreise angetreten hatte, war der grosse Staatsmann Pandulfo Petrucci gestorben. Bei der Eiickkebr aus den Badern von San Filippo, wo er Heilung gegen seine asthmatiscben Leiden gesucbt, auf seinem Castell San Quirico nicht weit von Siena liberraschte ibn 1512 der Tod. Seine Leiche wurde auf das Feierlichste in die Stadt eingebolt und dann .bei den Monchen der Osser- vanza beigesetzf. Der Eepublikaner Paccbiarotti batte die Trauerfabne gemalt. Yor dem Palaste des todten Herrscbers bielt Pier Marino ' von Foligno die weltlicbe Leicbenrede, wabrend spater bei dem Hocbamte der Franciskaner Maestro Giovanni spracb. Viele Fiirsten und Stadte batten ibre Ge- sandten gescbickt. Unter ibnen ist aucb der Stadtscbreiber Eiccolo Maccbiavelli gewesen, der durcb seine Scbriften einen immergriinen Lorbeer auf das Grab Pandulfo Petruccis legte. Fortzudauern in einer gliickbcben und macbtigen Dynastie war dem Tyrannen vom Scbicksal nicbt vergonnt. Sein leicbt- sinniger und unreifer Sobn Borgbese, der sicb Venafros kluger Fiirsorge und weisem Eatbe entzog, wurde am 9. Marz 1515 durcb einen Aufstand, den sein eigener Vetter ange- stiftet batte, sammt seinen beiden Briidern vertrieben und seiner Giiter fiir verlustig erklart. Der Cardinal Alfonso Pe- trucci ist 1517 auf Papst Leo X. Befebl von der Hand eines Xegers in Eom erdrosselt worden. Der jiingste Petrucci, Xamens Fabio, kam zwar 1522 wieder zur Macht und zu seinem Besitz und fand an Papst Clemens VII. eine Stiitze; allein obne Tugend, obne Talent und Gliick wurde er bereits 1524 vertrieben und ist in seinem 24. Lebensjabre als papst- 117 licher Grouverneur 1529 in Spoleto gestorben. Da die Macht Pandulfos durchaus personlicher Natur war und nur durch per- sonliche Tiichtigkeit geerbt und weiter gefubrt werden konnte, so war Siena schon 1512 mit Pandulfos Absterben wieder ein Freistaat vollstandig in der alten Weise geworden. Aber die gesellschaftliche Yerfassung und die Sitten, wie sie unter dem Einfluss des Herrschers sich gebildet batten, widerstrebten dem Wesen der Republik, und die aristokratische oder monarchische Tendenz der Zeit liberhaupt war fast nirgends der Ausbildung und Erhaltung von Freistaaten giinstig. Mordet eure Fiirsten so viel ihr wollt, scbrieb Gruicciardini , es wird immer neue und andere geben. Auch fiir Siena sollte die Stunde kommen, wo es seine Freiheit und Selbststandigkeit verier. Dass es sicb bei mannigfachen^inneren Kampfen dock noch Jahrzebnte hindurch hielt, ist merkwiirdig genug. > Die fremden Kiinstler Luca Signorelli von Cortona, Pietro Perugino und zuletzt 1512 auch Soddomas Freund Girolamo del Genga aus Urbino batten Siena wieder verlassen. Bernar- dino Pinturicchio starb am 11. December 1513 in Siena hilflos und elend, verlassen von seiner Dublin, die ihm zwei Tochter geboren hatte und nun einem gemeinen Manne von der Strasse nachlief. In der Kirche San Yincenzo ist Pinturicchio begraben worden. Die Stelle auswartiger Maler ersetzten jetzt geborene Sienesen : der sehr talentvolle Girolamo del Pacchia, welcber sich mit aller Leidenscbaft politiscben Parteikampfen hingab, und der eifrige, immer strebsame Domenico Beccafumi, welcber wegen seiner kleinen unscheinbaren Personlichkeit den Beinamen Mec- cherino oder Mecuccio erhielt und sicb nur in der zuriickge- zogensten Einsamkeit und Stille wobl fiihlte. In Florenz und Rom, unter Rafael und Michel Angelo batten beide ihre kiinst- leriscbe Ausbildung erhalten und mogen um 1512 nach ihrer Yaterstadt zuriickgekebrt sein. Pacchia schloss sich an Rafael an. Beccafumi wurde der unbedingte und unermudliche JSTach- folger Michel Angelos, so dass er zuletzt am wenigsten gefallt, wo er diesen am meisten erreicht zu haben glaubt. Das alteste Werk, das von ihm bekannt ist, ist vielleicht-auch sein 118 bestes, jedenfalls dasjenige, das uns am wohlthuendsten an- spricht. Im Jabre 1512 als Altarbild gemalt, ziert es gegen- wartig die Gallerie von Siena. Wir blicken in eine freie offene Kirchenhalle. Ganz vorn an den Seiten stehen S. Benedict und S.' Hieronymus. Im Innern zur Rechten kniet in Inbrunst die heilige Katharina von Siena, der gegeniiber an der an- deren Wand Cbristus am Kreuz erscbeint, unter dem Johannes und Maria sich befinden. Pacchia zeichnet sich durch be- stimmte Zeichnung, sowie durch den Schmelz und die Energie seiner Earbe aus. Man nimmt leicht wahr, dass Era Bartolo- meo, Andrea del Sarto und namentlich Rafael seine Yorbilder waren. Originalitat , Ereiheit des Geistes und eine reiche, schopferische Phantasie besitzt er nicht. Ein wahrhaft voll- kommenes Werk ist auch ihm nur einmal wie ein gliicklicher Wurf gelungen. Es ist das ausserordentlich schone Bild, das noch heute auf dem Altar Bandinelli in der Kirche San Christo- fano in Siena seinen Platz hat. Unter prachtvollem Baldachin sitzt die Madonna mit dem Christkind auf dem Throne. Unten davor stehen links Sanct Lucas und rechts Sanct Raimund vom Orden der Camaldulenser. Der Adel und die Gross- artigkeit der Gestalten, die natiirliche Einfachheit der Compo- sition und die musterhafte Ausfiihrung machen das Bild zu einem der besten in der besten Zeit italienischer Kunst. Das waren nun die Sienesen, die jetzt als Rivalen Soddomas gelten konnten und von denen es Beccafumi auch mit aller Energie sein wollte. Baldassare Peruzzi kam als Maler nicht eben sehr in Betracht und lebte racist ausserhalb Sienas; der alte Eungai aber fand sich trotz allem guten Willen aus der Weise der alten Meisterschule nur schwer in die moderne geniale Zeit, obgleich man seine Kronung der Maria in Eonte giusta und seine Madonna mit Heiligen, die er 1512 fiir del Carmine malte, nicht ohne Interesse und 'Wohlgefallen betrachten wird. Er hatte seit 1500 doch auch Manches gelernt. Wir besinnen uns, wie Soddoma noch kurz vor seiner zweiten Romfahrt fur ein hiibsches Rennpferd die Eagade des Palastes Bardi malte. Ihn auszustechen hatte sich dann Beccafumi sofort angeschickt. 119 das Aeussere des Palastes Borghesi mit Fresken zu schmiicken. Wohl waren die Sienesen auf den Eifer und die Talente ihrer Stadtkinder stolz, allein sie sahen dock auch in Soddoma einen der Ikrigen. Die Yornehmen und das Yolk katten ikre Freude an dem sonderbaren, aber kinreissend liebenswiirdigen Mann. Sie staunten ihn als ein Wunder an, wie jedes sickere geniale Talent, dem nickt der Zufall, sondern blesses Wollen das Gelingen verleiht, und das nickt im Sckweisse seines Ange- sickts, sondern gleicksam spielend und durck ein Zauberwort seine Sckopfungen entstehen lasst. Die Kiinstler aber vertrugen sick vortrefflick mit ikm, weil er, dessen Seele nickt einmal die Leidensckaft der Kulimsuckt kannte, von jedem Hockmutk und Neide fern war. Gunst und Gliick des Lebens konnten ikn hochstens liebenswiirdiger machen, und das Gold, das er mit leickter Hand erwarb, streute er mit nock leickterer wie- der aus. Als nun Soddoma im Jahre 1515 von Rom zuriickkekrte, wo er als Kiinstler so unbestreitbar Erfolge errungen hatte und wo er vom Papste Leo X. in den Ritterstand erhoben war, da freute sick ganz Siena mit ikm und sak ikn mit Stolz wieder in seinen Mauern. Seine Ausgelassenkeiten, die in Rom den Macktigen der Erde gefallen, gefielen nun in Siena erst reckt ; und sein Talent , das dort die Anerkennung der Begab- testen gefunden, fand nun hier jede Ehre. Die Dombauver- waltung zeicknete ikn sofort durck Auftrage aus. Modelle fiir zwei Apostel, die dann in Erz gegossen werden sollten, wurden bei ikm bestellt. Denn auck die Leistungen des Bildkauers erwartete man von ikm. Das ekrenvolle Amt, junge Leute der Dombaukiitte, der bottega della opera del duomo, unent- geldlick im Zeicknen zu unterrickten, wurde jetzt Soddoma an- vertraut. Yor ikm katten es nack einander Antonio Federigki, Cozzarelli und Turapilli innegehabt. Ein Kiinstler, Matteo Balduccio, der schon 1509 Sckiiler Pinturicckios gewesen war, trat 1516 bei Soddoma in die Lehre und verpflichtete sick auf seeks Jakre, jakrlick 20 Goldducaten zu zaklen, wofiir er denn freilick auck seinen Unterkalt bekommen wollte. 120 Wer die Bilder Soddomas, deren Entsteliungszeit sicher gestellt ist, in ihrer Eeihenfolge betrachtet, der findet sehr bald die verschiedenen Entwickelungsstufen des Kiinstlers mit ihren Eigentbiimlichkeiten heraus. Sick mit blosen Worten und im Allgemeinen dariiber zu verstandigen , bat allerdings grosse Schwierigkeiten. Man muss sick damit begniigen, das Charakteristische bei Darstellung der einzelnen Bilder kervor- zuheben. IS^ur darauf sei kier kingewiesen, dass in demselben Grade, in dem sick Soddomas Freskotechnik aus unsickeren Anfangen zur bewunderungswiirdigsten Yirtuositat erkebt, die Sorgfalt bei Behandlung der Staffeleibilder geringer wird und mehr und mehr in fliichtige, oberflackliche Nacklassigkeit um- scklagt. Zuerst gewahrt man den Maler unter dem Einfluss versckiedener Meister nach einander, dann in einer befangenen Nachahmung der Antike und zuletzt in unbedingter freier Ori- ginalitat, Aber auch in diesem letzten Stadium verandern sick mit der Zeit die Formen, die Korper und Kopfe seiner Ge- stalten, sowie der seelische Ausdruck derselben. Wer darauf und gleickzeitig auf die Yeranderung in der Ausfiihrung ach- tet, dem wird es an Anhaltspunkten fiir die ckronologiscke Festsetzung der Staffeleibilder nicht feklen. Und so diirfte man sckwerlich irren , wenn man den Ursprung seiner heiligen Fa- milie, die seit 1681 in der Rathhauskapelle Sienas ist, im Jakre 1516 findet. Zudem war sie urspriinglich fiir den Altar San Callisto im Dome bestimnit, und gerade nack seiner zweiten Romreise war es, dass die Dombauverwaltung den Maler in ihre besondere Zuneigung nakm. Jeder Anklang an andere Meister ist yerschwunden , wahrend die Behandlung verhalt- nissmassig nock genau und fleissig ist. Die Farbe ist ener- gisck und voll, aber durckaus harmonisck verschmolzen und durck das Helldunkel von ungemeiner Wirkung. Allein sckon zeigt sick, dass Soddoma nicht nur mit der unendlich miike- vollen Tecknik Leonardo da Yincis, sondern auch mit der-. jenigen der Peruginer Sckule in der Oelmalerei gebrochen hat. Die conventionellen Gestalten hat er sckon fruher auf- gegeben, jetzt entsagt er auch der conventionellen Behandlungs- 121 art. Sein Yerfahren wird kiihner und freier: er yerharrt nur noch bei den friiheren Mitteln. ^ Indem er aber mit der Zeit immer gleichgiltiger gegen die StafFeleibilder wird , indem er diejenigen Farben am liebsten wahlt, mit denen er am rasche- sten fertig wird, und diejenigen Mischungen alien anderen vor- zieht , welche momentan am wirksamsten sind: so verliert er in der Oelmalerei mehr und mehr die Grediegenheit des Co- lorits, die vollkommene Sicherheit des Stebens und Bestehens der Farben und ibrer Harmonie. An spateren Werken solcher Art, die fiir den Augenblick und gleichsam im Augenblick hingeworfen waren, bat sicb aucb rascb genug die Zeit ge- racbt- und sie mebr oder weniger um den Keiz barmoniscber Farbung gebracbt, welcben sie seinen altesten Tafeln unver- sebrt und seinen Bildern aus dem Ende des zweiten Jabr- zebntes zum guten Tbeile Hess. An den Altargemalden des San Callisto kann man sicb in dieser Hinsicbt nocb ungestort erfreuen. In der Mitte des Bildes vorn vor (jebiiscb sitzt die Madonna. Das Cbristkind von ibr gebalten, stebt auf ibrem Scboos, scblingt sein linkes Aermchen um den beiligen scbwarz- gekleideten Callisto und greift mit der Becbten nacb dessen Martyrinstrumenten. Maria bat eben ibr Haupt nacb der anderen Seite gewandt, wo S. Josef in einem Bucbe best, das auf seinem linken Beine rubt. Eeizend ist der Blick zu beiden Seiten des vorderen Buschwerks hinein in die reiche Landschaft mit See und Strom, mit der Stadt in der Feme und der Buine, die ans Colosseum erinnert. Ein Stick nacb diesem Bilde be- findet sicb in der Etruria pittrice I. 41 . Aus gleicber Zeit mit jenem schonen Altargemalde ist die bekannte Madonna in throno der Turiner Gallerie. Maria sitzt auf einer ganz einfachen Marmorbank. Ueber ibr links und recbts anmutbig schwebend balten zwei Engel den auf- und zuriickgezogenen Baldachin, der eine blickt empor, der andere niederwarts. Ein weiter, faltenreicher Mantel, der iiber das Haupt gebt und unter dem Kinn zusammengezogen ist, um- gibt die Gestalt der Madonna. Yon ibr mit beiden Handen am Kopfcben zart gebalten, stebt das Cbristkind neben ibr 122 auf der Bank und fasst nit der linken nach der Palme, mit der reckten Hand nach dem Bad der heiligen Catharina. Neben dieser, mehr nach vorn zu, kniet der heilige Hierony- mus mit seinem Lowen zur Seite. Gegeniiber befindet sich die heilige Lucia und der Evangelist Johannes. Jene halt die Schale mit den Augen in der etwas erhobenen Rechten, wah- rend sie mit der anderen Hand das iiber Schulter und Riicken unter dem linken Arm herabfallende Obergewand festhalt. Her Apostel Johannes steht mit aufmerksam niedergesenkten Augen und schreibt. 1st dort Catharina wahrhaft koniglich vornehm , so ist Lucia schiichtern und bange und wagt nicht aufzuschauen. Jener hat sich das Christkind zugewandt, dieser neigt sich die Madonna mit riihrender Innigkeit zu und mit ihr blickt auch der Beschauer immer wieder auf Lucias schones Haupt, auf die weichen, grazios herabfallenden Locken, auf den demuthsvollen, sanften Ausdruck des Antlitzes. Ein herrliches Altarbild in Asinalunga, gleichfalls eine Ma- donna mit Heiligen darstellend, zeichnet sich durch vorziigliche Farbengebung aus und gehort wahrscheinlich mit den zuletzt genannten Werken seiner Entstehungszeit nach zusammen. In Gastello di Treguanda, das ebenfalls wie Asinalunga im Yal di Chiana liegt, hat Soddoma fiir die Kapelle der Familie Sozzini ein grosses Fresko gemalt, das mir aber unbekannt' ist. Wenn das Wandgemalde im Palazzo pubblico in San Gimignano wirklich von Soddomas Hand sein sollte, so muss es den archi- tektonischen Hecorationen nach zu seinen friihesten Freshen gezahlt werden. Es ist ganz auffallend griin in griin gemalt mit aufgesetzten Lichtern und da und dort mit einer bunten Farbe. Es vergegenwartigt den heiligen Ivo, der an Arme Gaben spendet und von Reichen Geld und Gut fiir diesen Zweck erhalt. Zeichnung und Composition wiirden dem jungen Sod- doma keine Schande machen. Ein paar Kopfe, die Haltung ein- zelner Personen und da und dort eine Nebensache erinnern in der That an seine Art und Weise, aber ich wage nicht definitiv zu entscheiden; vielleicht findet ein Anderer im Rathhause von S. Gimignano ein Document, das dariiber sichere Aufklarung gibt. 123 Im Klosterhofe von San Francesco in Siena malte Sod- doma al fresco im Jahre 1517 die Ausstellung Christi an der SMe. Es war eine figurenreiche Composition. Um den ge- schmahten und gegeisselten Erloser standen hohnend die Juden in der Colonnade, wahrend Pilatus’ ernste Eomergestalt der traurigen Scene zuschaute^ Der Maler hatte auch sein Portrait angebracht, bartlos mit langem Haar nach der Mode der Zeit. Aber wir wissen nicht mehr, in welcher Kolle er sich darstellte. Denn das einst vielgepriesene Werk ist von der Zeit und der Unbill der Menschen zerstort, und es ist nichts weiter davon gerettet, als die Christusgestalt, welche heute die Academie von Siena verwahrt: ein ungemein edler und bolieitsvoller Typus, in Wabrheit der Gottmensch, dessen freierwahltes, erbarmungsvolles Leiden , dessen Seelenschmerz liber die verblendete, armselige Welt nicht erschiitternder und energischer ausgedriickt werden konnte. Durch Einritzung. der Contouren des Carton hat sich der Maler das Bild nur an einer einzigen Stelle auf dem Kalke vorgezeichnet, da namlich, wo durch eine gelinde Einbiegung der linken Seite des Kor- pers so schwierige Lagen der Muskeln und der Haut ent- stehen. i Ein Jahr nach Ausfiihrung dieser Composition (1518) wett- eiferten Pacchia und Beccafumi als Freskomaler in ein und demselben Saale mit Soddoma. Die Bruderschaft von San Ber- nardino iibertrug namlich alien Dreien zugleich und gemein- schaftlich die Ausschmiickung ihres Oratoriums, das sich iiber der kleinen Kapelle unmittelbar neben San Francesco erhebt. Turapilli hatte hier 1496 die geschmackvolle Decoration in geschnittenem Holze gemacht, die flache Decke, den unter ihr herumlaufenden Fries und die Pfeilerchen an den Wanden. Bernardino von Siena, dem dieses Heiligthum geweiht wurde, war bald nach seinem Tode, bei dem grossen Jubilaum von 1450 in Bom canonisirt worden. Er gehorte dem Franciscaner- orden an und war in seiner Yaterstadt eine populare und be- liebte Personlichkeit. Die witzigen Sienesen nannten ihn wegen seinen eingezogenen Wangen mit dem spitzen, gleichsam schliir- 124 fenden Munde sehr bezeichnend den Feigenlutscher, den succia ficbi. Eine wechselvolle Geschichte hatte er nicht gehabt und in- teressante Scenen gab es aus seinem Leben nicht zu malen. Daher halfen sich die Kiinstler damit,'* dass sie an der ihm geweihten Statte die Geschichte der heiligen Jungfrau darstellten, der er so fromm und eifrig ergeben gewesen war. An den zwei Enden beider Langseiten des Saales brachten sie die lebens- grossen Gestalten des Ordensgriinders San Francesco, seiner heiligen Nachfolger Antonio und Ludovico , sowie Bernar- dinos an. Links und rechts vom Hochaltar, auf den erst im Jahre 1537 ein Tafelbild von Beccafumi gestellt wurde, malte Pacchia die Verkiindigung, auf die eine Seite den Engel Gabriel, auf die andere die heilige Jungfrau. Yon seiner Hand ist ausserdem die Geburt der Maria und das wohlbekannte Bild- niss San Bernardinos. Zwei Fresken, die Vermahlung und den Tod der Madonna, hat Beccafumi ausgefiihrt. Composi- tion und Zeichnung sind geschickt und correct. Aber seinen Schopfungen fehlt inneres Leben; sie haben etwas Erkiin- steltes und Gemachtes, Geziertes und Berechnetes, und anstatt innig warmer, unmittelbarer Empfindung geben sie nur die siiss- liche Phrase. Girolamo del Pacchia bewahrt dagegen seinen gelauterten Geschmack , seine edle Auffassung und seine Sorg- falt in der Darstellung. Er hat Yerstand und ein feines Ge- fiihl, aber die Originalitat des Genies geht ihm ah. Beiden gegeniiber entfaltet nun Soddoma Unmittelbarkeit und Eigen- art, Eeichthum der Erfindung, poetische, schwarmerische Gluth der Seele. Seine irdischen und himmlischen Wesen sind nicht der Idealwelt eines anderen Kiinstlers entnommen, sondern freie und selbststandige Schopfungen der eigenen Phantasie. Sie iiberraschen durch ihre Eigenthiimlichkeit und sind uns^ doch im Innersten sympathisch. Betrachten wir zuerst die Darstellung der Maria im Tempel. Wir sind im Innern des' einfach ernsten Heiligthums .* links und rechts SMen mit ge- radem Gebalk, nur iiber den beiden Saulen im Hintergrund spannt sich ein Bogen. Links vorn eine Gruppe von elf Frauen > so lebenswahr als gefallig. Wie lieb die eine ihr Kind an den 125 Busen driickt! Die andere neben ibr, die den blauen Mantel liber dem weissen Kleide mit der einen Hand unter dem Kinn zusammenfasst und mit der recbten -an der Seite ein wenig aufbebt, scbeint eben mit ibr gesprocben zu baben; nocb ist ibr Haupt gleicbsam lauscbend nacb derselben umgewandt, wabrend siob ibre Blicke' bereits auf den Hauptvorgang richten. Bechts stehen fiinf Manner. An dem einen springt ein Hiindchen empor, als ob es die Aufmerksamkeit auf sicb zuriicklenken wollte. Denn schon richtet Alles Sinn und Auge nacb der freien weiten Mitte des Tempels. Hier kommt Maria ; segnend wendet sicb das lieblicbe Madcben nocb einmal nacb der scblicbten alten Mutter mit einer .Sanftmutb im Blicke, die in die Seele dringt. Yon den Stufen des Hochaltars berab, gefolgt Yon zYv^ei Greistlicben , tritt der Hobepriester feier- licb zur Empfangnabme Marias beran und beriibrt jetzt ibre Hand. Von da an ist sie des Herrn. — Das zweite Bild ist die Heimsucbung. Eine mit Pfeilern gescbmiickte "Wand, mit einer Mscbe in der Mitte, bildet den Hintergrund. Gerade Yor dieser JJ^iscbe findet die Begegnung statt. Elisabeth, binter sicb den Gatten und fiinf Frauen, bat die Freundin erYs^artet und als diese nun erscbeint, ist sie imBegriff, Yor ibr nieder- zuknieen. Aber Maria kommt ibr zuYor, erfasst rascb ibre Kecbte und Yv^ird die scbY^esterlicb Geliebte im Augenblick an ibr Herz driicken. Das Momentane, das fliicbtige Jetzt, in dem sicb das Yorber und Nacbber Yerkniipft, ist mit erstaun- licber Wabrbeit ausgedriickt. Die beilige, zarte Scbeu und Yerebrung, woYon Elisabeth beim Anblick der gottbegnadeten Jungfrau ergriffen wird, die lautere Demutb der Maria, welche gerade im Moment der Ueberrascbung als ibr inner stes. Wesen so natiirlicb und notbY^endig herYortritt: Y^ie iiberzeugend hat bier der Maler die Seelen der beiden Heiligen offenbart! Erst spat richtet sicb unser Auge auf das Gefolge der Maria, auf Josef und die Yier Frauen. An die eine scbmiegt sicb ein Knabe an, dessen nacktes Korpercben gar reizend durcb das diinne Hemd durcbschimniert. — Eine Composition yoII feier- licber Hobeit ist die Himmelfabrt der Madonna. Im goldigen 126 Gewand, vom blauen weiten Ueberwurf schleierartig leicht um- wallt, Yon Engeln umgeben, die diesen nicht sowohl halten und heben, als zierlich leise beruhren und fassen : so schwebt Maria empor in die Himmelsspbaren , die regenbogenfarbig , golden Oder silbern im milden Lichte strahlen und ihren iiberirdischen Glanz am Erdenhorizonte purpurn wiederscheinen lassen. Rosen und liilien erbliihen aus dem offenen Sarge, der unten in der Mitte des Bildes seine vordere Schmalseite zeigt. Links und rechts davon sind die Apostel, von denen einer jetzt erst dies irdische Wunder sieht, andere iiber das verlassene Grab und die Blumen sprechen, andere bereits mit anbetungs- Yollem Staunen aufwarts zum Himmel schauen. Der jugend- licbe Johannes hebt entziickt und verklaR sein Haupt empor. Ehe aber die Himmelskonigin den Blicken der Jiinger ganz entschwebt, lasst sie aus der Linken ihren Giirtel fiir den heiligen Thomas niedergleiten und erhebt sie ihre Rechte zum letzten Segen iiber die heilige Schaar. An diesem Bilde wird der glaubige Katholik sein Gemiith wie an einer Yision er- heben und erbauen. Uns aber mag es auch einen Einblick in das ahnungsvolle dichterische *Herz des Kiinstlers eroffnen. Die Weihestunden seines Schaffens sind auch Weihestunden seines Lebens. Si cor non orat, invanum lingua laborat: wenn das Herz nicht betet, ist die Bewegung der Lippen eitel Werk. So schrieb er auf den Rand des Sarges in diesem Bilde, den Kirchgangern eine schlichte und ernste Mahnung. Aber ist nicht jegliches Thun eitel, das nicht aus tiefinnerem Eiihlen quillt ! Auch die grossen Gedanken des Kiinstlers haben ihren Ursprung im Herzen. Yon den zuletzt beschriebenen sechs Freshen befinden sich drei auf jeder der beiden Langwande des Oratoriums. Durch die Yon Turapilli so elegant geschnitzten Wandpfeilerchen werden sie von einander getrennt und durch eben dieselben in Yerbindung mit dem Fries dariiber so einfach als wiirdig eingerahmt. An den beiden Enden jeder Wand stehen dann die erwahnten vier Heiligen. San Bernardino selbst ist von Pacchia gemalt, die anderen drei von Soddoma und gerade 127 diese sind von besonderer Schonheit. San Ludovico ist eine so vornehme und doch so anspruchslose Erscheinung ; in seinen Adorn fliesst das konigliche Blut dor Capetinger und dennoch findet er in der Nachfolge des Heiligen von Assisi das wiirdigste Erdenleben. Er halt ein Buch in seiner Hand und ist lesend, niit ganzer Seele in dasselbe versenkt. San Antonio sinnt und lebt in dem tiefsten Mysterium des Christenthums ; das Wort ward Fleisoh, das Grottliche ward Creatur, aber der Mensch erhebt sich durch die Entsagung von allem Creatiirlichen iiber die Erde und nimmt am Ewigen Theil. So fiihlt Antonio das Himmlische als ein Irdisches : in seinen Armen selbst hat er das Christkind gehalten ; und hier nun erscheint iiber seinem Haupte die Madonna mit demselben, und seine Andacht ist Verziickung, sein Glauben ist schon auf Erden Schauen. — Her Stifter des Ordens, San Francesco, ist viel- leicht nie bedeutsamer aufgefasst und vollendeter gemalt, als hier in diesem Oratorium von Soddoma. Her Heilige, der die Ar- muth dem Glanz und Eeichthume, der die Einsamkeit einem vor- nehmen Leben vorzog, der in der einfach stillen Grosse der Natur iiberall den gottlichen Odem spiirte und durch Entsagung und Entbehrung den eigenen Leib zu einem Tempel Gottes machte, der Christum im vollsten Sinne in sich Gestalt gewinnen liess, der in ihm lebte und webte, der nur ihn empfand und der in der schwungvollen, gliihenden Inbrunst seines Herzens die Seelen- leiden des Erlosers in seinem Innern und die Wundenmale des- selben an seinem Korper fiihlte: dieser Heilige braucht kein irdisches Martyrium, er ist ein Martyrer im Geiste und in der Wahrheit, und als solcher steht er vor uns, ein Engel weist ihn nach oben, und San Francesco sieht fiir sich den Himmel offen. Sein Antlitz ist jetzt beruhigte sichere Siegesgewissheit und strahlt in entziickender Verklarung. Ein wahres Wunder der Kunst hat Yasari dieses Haupt genannt. Links und rechts vom Altar des Oratoriums hatte Pacchia den Engel Gabriel und die Madonna dargestellt. An der Schmal- wand gegeniiber, durch welche zwei Fenster gebrochen sind, hat Soddoma erst vierzehn Jahre spater (1532) die Kronung 128 der Maria al fresco ausgefiihrt. Die Scene- ist der Himmels- , raum, ohne jede Andeutung der Erde darunter. Unten am Kande des Gemaldes liegen Liclitwolken mit Engelkopfchen. Maria, im weissen Kleid mit weissem Mantel dariiber und auf dem Haupte ein feiner Sckleier, neigt sick, die Arme iiber der Brust gekreuzt, demuthsvoll dem gottlichen Solme zu, der ihr die Krone aufsetzt. Cliristiis triigt iiber dem blauen Un- tergewande den Piirpurmantel als Herrscher des Himmels. Der alte Gottvater, der hinter ilim sitzt, verliiilt sicli zu ilim .etwas zu auffallend, wie Saturn zu Jupiter. Kecbts und links umzieben Kreise von Heiligen die Mittelgruppe : die eine Beilie beginnt Adam, ein achter verwilderter alter Urmenscli ; an der Spitze der anderen ist Eva, deren Jugend und Sclionheit gleich der der Helena im Himmel und auf Erden unverganglich bleibt. In die Tiefe liinein spannen sich liorizontale Eegen- bogen , walirend ganz oben in der Mitte iiber der Kronungs- scene die Taube des heiligen Geistes, von Engeln imigeben, aus goldenem Liclite niederschwebt. — Das Bild ist nicht ohne Geist gedacht und entschieden effectvoll behandelt: aber die Earbentone sind bier , wo Alles zarteste Luft und Licht sein sollte, zu hart und ohne milde Ineinanderschmelzimg. Der . Yorgang selbst ist durch die Composition imseren Augenzu nahe gebracht, er driingt sich ims mit einer gewissen Schwerfallig- keit auf, und beleidigt uns sogar durch etwas Holies und \Yiistes einzelner Gestalten, und so wendet sich der Beschauer lieber zuriick zu der Gestalt des heiligen Francesco oder zur Himmelfahrt der Maria. Die Inschrift auf diesem letzteren Bible sagt uns, dass Soddoma das Gebet verwirft, wenn es blose Lippenarbeit ist. Er wusste es so gut als einer , dass auch den Kiinstler nur das Herz, nur das von einer Empfindung voile Herz zum wahren Kiinstler macht. Die Kunst ist keine blose Handarbeit. In Soddoma aber war sie in ein und derselben Person bald die hohe himmlische Gottin, der er mit heiliger Begeisterung diente, bald die melkende Kuh, zu der ihn das Bediirfniss zwang. Der sonderbare Mann heuchelte nie und verleugnete sich nie. Als Mensch und als Kiinstler erscheint 129 er in jedem Momente ganz wie er ist. Er kannte niclits von moralischer Zucht des reflectirten "Wollens in seiner Lebens- weise, und so Hess er auch seinen Genius machen, was er wollte. Ohne sittlichen und kiinstlerischen Ehrgeiz konnte er seine Handlungen wie seine Gemalde von Anderen tadeln und verspotten horen. Selbstironisch tadelt und spottet er selber mit, Allein ware das moglich gewesen, wenn diese Natur an sick selbst in ibrem tiefsteil Innern gar keinen sicberen Halt gebabt batte, wenn sie iiberall und stets obne jedes Selbstgefiibl und Selbstbewusstsein gewesen ware? Im Oratorium von S. Bernardino batte sicb 1518 Soddoma gegen Paccbia und Beccafumi weitaus als der iiberlegene Meister bewabrt. Hie Bruderscbaft bezablte ibn nicbt iibel. "Wabrend er in Montoliveto fiir jede grosse Composition nur sieben Hucaten erbalten batte , bekam er bier acbt fiir die Einzelnfigur des beiligen Antonio und fiir den Francesco sogar zebn, fiir jede Historie aber dreissig Goldducaten. Hacb Vollendung der besprocbenen Eresken verschwindet uns Soddoma auf fast sieben Jabre aus den Augen. Vergebens sucbten wir in Biicbern und Scbriften nacb irgend einer Kunde von seinem Leben oder seinen Arbeiten aus dieser Zeit. Seine Bilder bat er sebr selten bezeicbnet und wir kennen auch nicbt ein einziges, das eine von den Jabreszablen 1519 bis 1524 triige. C. Camparri erwabnt in seinem "Werke: „gli artisti italiani e stranieri negli stati Estensi,“ einen Maler Giovannantonio de Baziis, welcber nacb einem Hocumente von 1518 in Reggio war und in diesem als Parmense bezeicbnet wird. 1st das nun ein und dieselbe Person mit Soddoma? Carlo Milanesi im zweiten Bande der Heuen Eolge des „Ar- cbivio storico Italiano‘‘ spricbt sicb entschieden dafiir aus. Hie Bezeicbnung als Parmesaner ist freilich 'auffallend. Aber Soddoma liess sicb manchen Hamen gefallen und legte sicb selber mancben bei. Er kann von Siena nacb Parma ge- gangen sein und sicb dann in Reggio nacb dieser Stadt haben benennen lassen. Yiel sonderbarer ist es, dass er in jenem Jansen, Soddoma, 9 130 Documente niclit mit seinem Eittertitel auftritt, auf den er doch sehr stolz war. Gerade im Jahre 1518 nimmt er sicli einmal im Gefiihle seiner Adelswiirde die Freiheit, sich Gio- vannantonio dei Tizoni zu schreiben, sicb also zn einem An- gehorigen jenes vornehmen Geschlechtes zu macben, das in seiner Yaterstadt Yercelli die Signoria innegebabt und von dem einer als Zeuge bei Abscbluss seines Lebrcontractes fun- girt batte. In Siena ist Soddoma aller Wabrscbeinlicbkeit nacb in den Jabren 1519 bis 1524 nicbt gewesen. Denn bier, wo sein Name einen solcben Klang batte, wo in neuerer Zeit mit besonderem Interesse fiir ibn offentlicbe und private Archive durcbforscbt wurden, bat sicb keine Spur von ibm aus dieser Zeit gefunden. Moglicher Weise haben ibn politiscbe Yer- baltnisse der Stadt, die der Kunst und ibm nicbt giinstig waren, wenn nicbt aus Siena verscbeucbt, docb wenigstens in der Feme zuriickgebalten. Yon Deutschland her ergriff die grosse reformatorische Bewegung die ganze Christenheit, und in Italien fochten Carl Y. und Franz I. um den Besitz der schonen Halbinsel und mit ibr um die Yormacht in Europa. Alle politiscben und kirchlichen Parteien, alle socialen Gegen- satze, alle offentlichen und privaten Feindscbaften entbrachen zu offenem Kampfe. In Siena batte 1515 eine Revolution mit der Yertreibung Borgbese Petruccis und seiner Briider geendet. Einige Jabre ging es mit der wiedererlangten Freiheit ganz gut. Aber dem jiingeren, klassiscb geschulten Gescblecht war das nicbt genug, und 1521 rotteten sicb die talentvollen un- ruhigen Kopfe zu der politiscben Yerbindung der Libertini zusammen. Die sienesischen Localbistoriker baben iibersehen, dass gleicbe Tendenzen und unter gleichen Namen auch in anderen italienischen Stadten auftraten, vor alien in Florenz, wo die Libertini oder Arrabiati im Jabre 1529 auftauchten. In Siena erbielten sie sicb lange, aber die erste Folge ibrer Erscheinung war doch die, dass sofort die Tyrannis zuriick- kehrte, dass Fabio Petrucci 1522 nacb Siena zuriickberufen wurde und den Besitz und die Macht des Yaters wieder erhielt. 131 Aber dieser siebzehnjalirige Mensch, der so recht wie ein Prinz von Grebliit unter den erfahrungsreichsten Menscben ohne alle Erfahrung aufgewachsen war, ergab sich blind jeder Aus- schweifnng nnd liess das Regiment seinem verhassten Anhange. Der Medicaer, Papst Clemens YII., der ihm aus seinem eigenen Geschlechte eine Gattin gab, vermocbte nicbt ihn zu halten. Schon 1524 wurde Fabio Petrucci wieder vertrieben. Alexander Bichi, der sich dann an der Spitze des Adels erhob, fand den Tod nnd vernrsachte nur die Yertreibung vieler Edelleute. Die Exilirten, von Papst Clemens YII. mit Geld nnd Truppen unterstiitzt, erklarten der Stadt den Krieg, aber vor der Porta Camollia warden sie blutig besiegt, nnd die socialdemokratische Partei der Libertini bekam erst recht die Oberhand. Die Maler Pacchia nnd Pacchiarotti gehorten mit Leiden- schaft den Heuerern an; seit 1519 war der letztere wieder- holt Gonfalonier seines Stadttheils gewesen. Der kleine Becca- fumi war kein Mann weder fiir das offentliche Leben noch fiir die Gesellschaft ; er liebte nur die stille Zurhckgezogen- heit nnd die Arbeit. Soddoma aber kannte keine andere Freiheit als die des Individnums ; leben nnd leben lassen hiess sein Programm. Er vergniigte sich ansserordentlich gern mit dem Yolke, allein seinem Wesen nnd seinen Heigungen nach fiihlte er sich doch unter den Aristokraten und Reichen am wohlsten. Abhangig machte er sich von Memand, und jedes Parteiinteresse blieb ihm fremd. Eine merkwiirdig isolirte Existenz ! Ohne Schmerzen lost er sich friihzeitig von seiner Heimath und seiner Familie , und in Siena wird er Burger und Yater, ohne sich weder in der Eigen- schaft des einen noch des andern Fesseln anzulegen.' Um die Ideale in Staat und Kirche , wie sie seine Zeit er- strebte, bekiimmerte er sich nie. Als Kiinstler liess er sich eben so wenig von einer Schulrichtung als vom Zunftzwange beirren. Er brauchte die Gesellschaft, er ging ganz in ihr auf: aber er schloss sich keiner ihrer organischen Gliederungen an. Was im Geistesleben der Nation seiner Natur entsprach, das eignete sich diese wie durch einen organischen Assimila- 132 tionsprocess von selber an: von doctrinaren Idealen wusste er nichts. Wer nur sich selbst und dem Augenblicke lebt, wer Zwecke und Ziele einer Geineinschaft verschmaht, wer ihre Pflichten und Scbranken von sich fern halt: ist der nicht der grosste Egoist? Und dooh kann man wiederum demjenigen schwerlich Selbstsucht vorwerfen, der niemals einem Anderen hindernd in den Weg tritt und der weder Habgier noch Ehr- geiz besitzt. Erhabener und wiirdiger ist nichts fiir den Men- schen, als mit Bewusstsein und consequenter Energie auf die Geschicke seines Geschlechtes in engeren oder weiteren Spharen einzuwirken. Soddoma aber ertrug ganz indilFernt die "Wechsel- falle des offentlichen Lebens wie den Begen oder Sonnenschein des Himmels. Der Sturz der Petrucci und das Ungliick mancher Adelsfamilie in Siena mag ihm personlich nahe gegangen sein, wie der Tod seines Gonners Agostino Chigi, der 1520 in Kom erfolgt war. Allein was kiimmerte es ihn, ob in der Stadt ein Pandulfo oder die Libertini die Herrschaft iibten! Wenn sich’s nur heiter leben Hess, dann waren ihm alle recht und gleich. II. Soddoma auf dem Holiepunkte seiner Knust. Mit dem Jahre 1525 treffen wir Giovannantonio in Siena wieder. Er hatte vollauf zu thun. "Wie ein paar Jahrzehnte friiher malte er auch jetzt Bahren fur die Laienbriidersohaften, denen die Todtenbestattung oblag. Die Bahre, welche er fur die Briider der heiligen Dreieinigkeit fertigte, soil dieselbe sein, die heute in der Sacristei von San Donato bewahrt wird. Allein diese ist recht wenig verth und hat nichts, wodurch sie sich als eine Arbeit Soddomas beweisen Hesse. Ganz vor- zuglich dagegen ist ein ahnliches Werk, das ei* 1527 um 68 Lire fiir die Genossenschaft von San Giovanni und Gennaro fertigte , ' und dessen beide Tafeln noch jetzt in der Kapelle derselben zu sehen sind. Die Madonna sass nach rechts und wandte sich eben nach links: ihr Korper ist nur theilweise, ihr Haupt ganz umgekehrt. In dem Hebevollen Gesicht ein ergreifender Zug der Wehmuth, des Zusammenklingens von Lust und Leid, so schaut Maria nieder. Das Christkind, das \ 133 mit grossen Augen erstaunt nach rechts blickt, steht auf ihrem Schoose, schmiegt sich an sie, umfasst ihren Hals mit beiden Handchen und wird von ilir gar zart unter dem Arm und am Beinchen festgebalten. Die Madonna ist Halbfigur, ebenso der todte Christus, der auf der anderen dazu gehorigen Tafel dar- gestellt ist. Im Jahre 1525 entwarf Soddoma fiir die Bruder- schaft von San Sebastiano im Stadttheil Camollia eine Pro- eessionsfahne , welche heute als umrahmtes Gremalde in der Gallerie der TJffizi zu Florenz hangt. Auf der einen Seite der Leinwand thront die heilige Jungfrau mit dem Chris tkind auf “Wolken und unten in reicher Landschaft sind die Heiligen Eocco und Gismonda, sowie drei Laienbriider. Auf der andern Seite der Fahne sehen wir San Sebastiano. In der Mitte des Bildes an einem Baum, der sich in zwei Aeste theilt, ist der Heilige mit dem rechten Arm oben an den einen Ast, mit dem linken hinter seinem Eiicken an den Stamm selbst ge- bunden. Ein Pfeil durchdringt seinen Hals, ein anderer seinen Schenkel. Er ruht auf dem rechten Fuss und zieht den linken mit Einbiegung des Knies ein wenig zuriick. Wie sich nun der Oberkorper vom Stamme weg etwas vorwarts beugt, wah- rend das Haupt zuriickgeneigt emporgerichtet ist hin nach dem Engel, der die Martyrer krone vom Himmel niederbringt: so entsteht die wundervollste Bewegung der Korperlinien. Alles ist milde Anmuth, Schonheit und Harmonie, und in dem seelen- vollen Antlitz verklart sich irdischer Schmerz zu himmlischer Freude. Der scheinbar anspruchslose landschaftliche Hinter- grund ist beachtenswerth als reiche Composition und durch seinen einfachen, ernstbedeutsamen Charakter. Das himmlische Licht, das den Engel umfliesst, erfiillt die Luft mit goldigem Scheme und verliert sich erst unten am fernen Horizonte in violettem Tone. — Kaufleute aus Lucca, welchen die schone Processionsfahne in Siena auffiel, boten vergeblich 300 Gold- scudi dafiir. Soddoma jedoch hatte nicht mehr als 20 Ducaten erhalten, und erst nach langem Drangen und Sohelten liess sich die zahe Genossenschaft bewegen, ihm im November 1531 noch weitere 10 Ducaten als Zulage zu geben. 134 Yor niclit langer Zeit wurde ein Gemalde aus Staub imd Yer- gessenheit ans Licbt gebracht, das gegenwartig in der Sacristei von San Domenico in Siena sich befindet. Ein Werk Soddomas, mag es um dieselbe Zeit wie die Processionsfahne entstanden sein. Madonna, die Hande betend erhoben, sitzt aufWolken, die sie emporzutragen scbeinen. Zwei Engel links und rechts neben ihr strenen Blumen, und Blumen streuen auch alle die Engelcben nieder, welche den Saum ihres schleierartigen Gre- wandes umgeben, in dessen Fallen sich bergen oder aus diesen so reizend hervorschauen. Auf der Erde unten steht das leere Grab, aus dem Eosen und Lilien spriessen, und hinter diesem in der Feme ist die Stadt Siena, liber der so lieblich als gna- dig die Himmelskonigin waltet. Und sollte denn nicht der ganze christliche Olymp mit Wohlgefallen auf eine Stadt niederschauen, welche demApostel- fiirsten Petrus so manchen gewaltigen Eachfolger auf Erden gegeben und den Himmel um so manchen Heiligen bereichert hatte ? Am Anfange des sechszehnten Jahrhunderts konnte sich die altere Generation der Sienesen mit Stolz erzahlen, dass allein wahrend ihrer Lebenszeit zwei Sienesen aus ein und demselben Adelsgeschlechte den Stuhl Petri bestiegen, und dass zwei Sienesen die Ehre der Canonisation erhalten batten , zuerst ' der Franciscaner Bernardino Albizzeschi und dann Catharina Benincasa, die den Dominicanern nahe stand. Catharina war in demselben Jahre 1380 gestorben, in dem Bernardino geboren wurde. Sie zahlte kaum 33 Jahre, als sie der Tod erreichte, aber ihr inneres und ausseres Leben war erstaunlich reich und bewegt gewesen. Gegenwartig sieht die katholische Hierarchie die Bedeutung dieser Heiligen darin, dass sie das Papstthum zur Aufgabe Avignons und zur Eiick- kehr nach Eom ermahnte, dass sie das Heil Italiens, der Welt und der Kirche an den Aufenthalt der Papste in der ewigen Stadt kniipfte. Allerdings hat schon Yasari im Zeitalter der grossen katholischen Reaction dort in jenen historisch merk- wiirdigen Eresken der Sala regia des Yatican die Heilige von Siena dargestellt, wie sie den im Triumphe nach Eom zuriick- 135 kehrenden Papst Gregor XI. geleitet. Allein erst Pio dem Neunten, der so viele wunderliche Heilige und Dogmen machte, es vorTbehalten bleiben, Catharina von Siena 1866 unter die Zahl der Scbutzpatrone der ewigen Stadt zn erheben und ihrer Fiirbitte bei Gott es anheimzustellen, dass die nationale Wiedergeburt und Einigung Italiens unter Kom als weltlicher Hauptstadt niemals eintreten moge. Unbegreiflicher Weise hat es aber der heilige Yater 1867 doch geschehen lassen, dass der franzosische General das Wunder von Montana nicht der neuen himmlischen Schutzpatronin , sondern seinen Chassepot- gewehren zuschrieb. Beschrankte Selbstsucht der Franciscaner hatte einst 80 Jahre lang die Heiligsprechung Catharinas ge- hindert, und beschrankte Pries terherrschsucht maohte sie in unseren Tagen zum Schutzengel des Pontefice-Ke. Mchts desto weniger liegt all diesem Thun immer noch viel mehr Wahrheit der Auffassung zu Grunde, als dem vermeintlich geistreichen Gerede gewisser protestantischer Theologen und liberaler Geschichtschreiber, die sie gar nicht genug „korper- los“, „atherisch“, „friedensengelhaft“ und „irisartig“ schildern konnen, die sie mit ganz moderner Siisslichkeit und Xervositat auftreten lassen und die ihr Geist und Princip der modernen Reformation recht ungeschickt unterschieben. Sie war durch und durch ein Kind des katholischen Mittelalters , durch und durch mit dem Feuergeiste der Dominicaner erfiillt. Die Re- formation, die sie predigte, war die diistere monchische Askese, die einst der heilige Domenico nicht bios sich selbst und seinem Orden, sondern dem Clems uberhaupt und der gesamm- ten Christenheit aufzwingen wollte. Sie trug nicht bios das Gewand der Predigermonche, sie besass auch ihre Bildung und volksthiimliche Beredtsamkeit, ihre Energie und Kiihnheit, mit der sie die Welt durchwanderte und vor Papsten und Fiirsten auftrat. Ihre Briefe sind als die ersten Privatbriefe in Italien bereits im Jahre 1500 gedruckt worden und haben auch in der Literaturgeschichte ihren Platz und ihre Bedeutung. Aber Alles, was sie ist, ist sie darum, weil sie ein Ideal der mittel- alterlich katholischen Kirche verwirklicht. Das ist der Kern 136 ihres Wesens, darum wirkt sie ergreifend auf das Yolk', darum' wird sie ihrem Orden theuer und werth. Auf ihr ruhte die Griiade Grottes, aus ihren Worten sprach und in ikren Wundern wirkte der heilige Greist. "Wolil hatte Christus in S. Francesco Ge- stalt gewonnen, aber viel inniger konnte sich mit ihm Catha- rina, konnte sich mit dem Manne die Frau vereinen. Die heilige Catharina von Alexandrien hatte sich schon mit dem Christkinde verloht und von ihm den Eing erhalten. Der hei- ligen Catharina von Siena erschien die Gestalt des Erlosers schon von Kindheit an , und jeder Genuss des Abendmahles wurde fiir sie eine ganz besondere mysteriose Yereinigung mit dem Gottessohn und erregte und verziickte sie v^ol bis zur Starrsucht. Sie hat dann aus ihrem Busen das eigene Herz genommen und dafiir das des Erlosers an seine S telle gesetzt. Auch sie wurde gewiirdigt, seine “Wundenmale zu empfangen, aber unsichtbar fiir jedes sterbliche Auge und nur ihrem himmlischen Herzen fiihlbar und gcwiss. Mit Freuden — sie spricht es selber aus — hatte sie sich auch als Siihne fiir die siindige Welt dem Opfertode hingegeben. Indem nun die Dominicaner diese wunderbare Jungfrau als die ihrige be- trachten durften, sahen sie durch sie ihren Orden verherrlicht und gesegnet, und waren iiberzeugt durch die Gnade des Him- mels, die ihnen in ihr verliehen war, alle das und vielleicht noch . mehr als alle das zu besitzen, was bis dahin die Franciscaner nur durch den Stifter ihres Ordens selbst vor ihnen vorausgehabt hatten. In ihr besassen sie eine neue Kraft und Macht, Heil und Segen fiir die christliche Gemeinde. Wer wie Catharina eins mit dem Herrn ist, wirkt auch mit seinem Geiste. Offenbarend verkiindete sie die Geheimnisse Gottes oder hob sie von der Zukunft den Schleier. Pestkranke wurden durch sie gesund, und unter ihrer Beriihrung regte sich noch einmal das Leben in den Todten. Wie Christus trieb sie Damonen aus, und wie er verlieh sie selbst der Seele des Yerbrechers, ^ der unter Henkershand fiel , durch ihre Fiirbitte das Paradies. Gegen cendenziose oder unhistorisch phantastische Auf- fassungen des Charakters der heiligen Catharina von Siena 137 muss man sie aus dem Gesichtskreise des Dominicanerordens und der mittelalterlich christlichen Gemeinde betrachten. JSTur so begreift man ganz die bildlichen Darstellungen, welcbe die Friihrenaissance von ihr und ilirem Leben entwarf. Als Bernardino' heilig gesprochen wurde, stand sein charak- teristisches Gesicbt noch vor Alter Augen und konnte von den sienesischen Meistermalern in ailer Naturwahrheit wiedergegeben werden. Allein bei der Canonisirung Catharinas waren scbon drei Gescblechter seit ihrem Tode dahingegangen. Das An- denken an ibre irdische Gestalt war zwar in Bildern ilires Freundes Andrea Yanni erhalten, aber im Geiste der Menschen langst idealisirt worden. Die wunderbare Jungfrau sollte eben sowolil von der Kunst ibrer Yaterstadt ein neues ideales Dasein erbalten, als dieser das ibrige mittbeilen. Mit Liebe und Begeisterung versenkten sich Sienas Maler und Bildhauer in das Wesen der Heiligen, und der Beiz und die Beuheit des Gegenstandes sobien ibre Kunst zu verjiingen, zu veredeln und zu verscbonen. Konnen erbauten 1479 Catbarina eine Kapelle und lebten ibrem Yorbild nacb. Yor Allem wurde das elterlicbe Haus, das sie bewobnt batte, ein Heiligtbum. Unmittelbar daneben und daran erricbtete Francesco del Guasta jene scbone Kapelle, die bereits 1475 vollendet war und an der alle Talente wett- eifernd mit arbeiteten. Deber dem Portal meiselte Urbano da Cortona das lieblicbe Beliefbild der Heiligen zwiscben zwei Engeln. Cozzarelli macbte die Biiste von ibr, die iiber der Seitentbiir stebt. Keroccio di Bartolomeo Landi scbnitzte und bemalte, kaum acbtzehnjabrig, 1465 die Statue, welcbe auf den Altar zu steben kam. Das erste Bild der 1450 beilig gesprochenen Catbarina ist ein Fresko im liatbhause, 1461 von Sano di Pietro erfunden. Eben dieser Meister, der 1481, und Giovanni di Paolo, der 1482 starb, haben sie dann auf Staffeleibildern auch in Gemeinschaft mit anderen Heiligen dargestellt. Sano di Pietro naherte sich vielleicht mehr als jeder andere Meister dem Fra Angelicoj da Fie- sole, und so hat er auch seinem Typus der Catbarina alle 138 die zarte, heilige, stillinnige Anmuth verliehen, welche den Frauengestalten jenes kunstbegabten Moncbes eigen war. Gui- doccio Cozzarelli componirte zuerst ein Bild, wo Catharina ihr Herz mit dem des Heilandes vertauscht. Beccafumis schonstes Werk, dessen bereits gedacht ist, stellte die Heilige dar, wie sie die Wundenmale empfangt. Auf der Predella dazu entwarf er folgende Scenen: Catharina bekommt durch drei heilige Dominicaner das Kleid ihres Ordens, das Kreuz und die Lilie ; ferner ein Engel ertheilt ihr die Hostie, und endlich Catharina vermahlt sich mit Christo. Matteo Balducci aber brachte bereits auf einem Madonnenbilde San Francesco und Santa Catharina beide mit den Wundenmalen neben einander an. Alle zuletzt genannten Gemalde befinden sich gegenwartig in der Gallerie von Siena. Dass Pinturicchio in der Libreria unter den Scenen aus dem Leben Papst Pius II. auch die Heiligsprechung der Catharina „wegen vieler Mirakel“ dar- gestellt hat, ist schon friiher erwahnt worden. Ihre Glorie endlich malte Bernardino Fungai als Altarbild fiir den Baum, wo einst ihr Wohnzimmer war. Etwas Lieblicheres hat dieser Kiinstler nie geschaffen. Hie Yerherrlichung dieser Ileiligen sollte aber das schonste Werk Soddomas und zugleich eines der schonsten Werke der gesammten italienis chen Kunst werden. Wir wissen, dass gleich eines seiner ersten Bilder, welches er bei seiner An- kunft aus der Lombardei in Siena fiir die Spanocchi malte, ein Brustbild der heiligen Catharina war. Merkwiirdig genug zeigte er sich schon bei dieser Schopfung unabhangig von dem Einflusse Leonardo da Yincis und unabhangig von dem Typus, den Sano di Pietro erfunden hatte. Yiel spater hat er in der Kapelle-am Hause Benincasa die Lunette iiber dem Altar al fresco gemalt. Es sind Engel, die einen Baldachin empor- ziehen. Ihre Schonheit kann wirklich eine himmlische ge- nannt werden; ihr ganzes Wesen athmet die selige Wonne ihrer paradiesischen Heimath. Selbst die Grazie der Amoren, die Soddoma in der Farnesina dargestellt hat, ist hier iiber- boten worden. 139 Die Predigermonche Sienas weihten in der Kirche ihres Ordensstifters , in San Domenico, der heiligen Catharina eine Kapelle und beauftragten Soddoma mit der Ausschmiickung derselben. Es ist ein viereckiger Eaum, iiber den sich ein Kreuzgewolbe erhebt das in einer Lanterna absohliesst. Die drei innern "Wande endigen oben in Halbkreisbogen, wahrend sich die vierte Seite als freie Oeffnung in die Kirche darstellt. Aussen iiber dem Eingangsbogen , also auf die innere Kirchenwand, malte Soddoma Grottvater. Er ist beim Erdbeben Ton 1798 zu Grunde gegangen. Die innere Leibung des genannten Dnrchgangsbogens theilte der Maler in verschiedene Felder ab. Oben in der Mitte brachte er einen Engel an, der in jeder Hand einen Kranz halt. Darunter links und rechts in yiereckiger Umrahmung dort zwei blumen- streuende, hier drei neugierig hinabschauende Putten. Unter jenen ist der Evangelist Matthaus, ein grosses Buch am oberen Eande mit der linken Hand haltend; die Feder hat er in der rechten. Seine Augen sind auf den Engel gerichtet, der ihm eine Stelle in einem Buche zeigt. Auf der anderen Seite, ihm gegeniiber, sehen wir einen anderen Heiligen mit einem Zirkel, zu dem eben ein Engel herantritt, um ihn nach oben zu weisen. Die beiden untersten Bilder links und rechts im Bogeninnern, den Dominicanergeneral Eaimondo von Capua und Tommaso Kacci , beide Beichtvater und Biographen der heiligen Catharina, hat erst im Jahre 1596 Fran- cesco Vanni gemalt. Betrachten wir nun das Innere der Kapelle. Hier hat Soddoma die im Halbkreis abschliessenden Wandflachen ausserordentlich elegant und geschmackvoll um- rahmt, und die Eestauration , die 1840 vorgenommen wurde, hat die schonen Ideen des Meisters zum Gliicke nicht verdorben. Yiereckige Pfeiler, von denen wir immer eine Seite voll und die andere in der Yerkiirzung sehen, lasst er in den vier Ecken zusammenkommen. Die vier Ecken aber hebt er malerisch als solche auf, indem er die beiden hier in der Kante sich beriihrenden Yollseiten der zwei Pfeiler jedesmal als eine einzig^ Bildflache behandelt. Auf dieser breiten Flache 140 nun, so wie jedesmal links und rechts auf den verkiirzten Seiten der Pfeiler nimmt er Candelaber zur Pfeilerfiillung- Sie sind prachtvoll phantastisch antik geformt und buntfarbig auf goldigen Grund gemalt, welcher von schmaler architekto- nischer Gliederung eingefasst wird. Wie schmuck und wiirdig zugleich nehmen nur diese vier grossen Candelaber die vier Ecken des Paumes ein! Auf einer Basis, die den dreiseitigen antiken Altaren nachgebildet ist, erheben sich eine Keihe Schalen fiber einander, auf und zwischen denen tragend oder verzierend artige Figuren erscheinen. So balten an den beiden hinteren Candelabern nackte Fackeltrager die zweite Schale, auf der Pfauen sitzen, und dariiber beben im Tanze sicb umschlingende Madchen die dritte empor, von der dann eine Draperie baldacbinartig auf sie herniederfallt , wahrend von bier gleicbsam als eberner Opferdreifuss die letzte Scbale nacb oben gebt, aus welcber zwiscben zwei am Rande bockenden Amoretten eine voile Plamme hochaufschlagt. Bei den beiden grossen Candelabern der Yorderwand stehen auf der unteren Schale zwei grossere Frauengestalten, welche gleich die Schale init der Drapirung und dem flammenden Breifuss dariiber tragen. Sie reprasentiren die vier Tugenden, bier die Ge- rechtigkeit in dem diinnen, ganz durcbsichtigen Gewand, und die Kraft mit der Saule, dort die Massigkeit mit dem Misch- gefass und die Weisheit mit dem Spiegeb Die acht schmalen Candelaber auf den verkiirzten Pfeilerseiten , also immer zwei links und rechts von jedem grossen im Eck, ruhen auf antiken Lowen- oder Greifenfiissen und sind mit mytbologiscben Ge- stalten und Amoretten verziert. Dariiber auf den Kanten der sehr fein und stylvoll behandelten Capitaler sitzt jedesmal ein Amor, so dass sich zwei auf jeder Wand von biiben und driiben symmetrisch entsprechen. Der eine versteckt sicb hinter eine Maske, der andere giesstWasser aus, andere balten Blu- men oder Kranze, und alle in reizender Haltung sind voll kindlich schalkhafter Liebenswiirdigkeit. An jeder Wandflache nun unter den Wolbungen der Decke bin spannt sich von den Pfeilern aus ein breiter gemalter Bogen, von denen sich jeder 141 in drei Kundungen anscheinend in den freien Himmel offnet. Hier aber in diesen Oeffnungen treiben wieder Amoretten ihr kostliches Spiel. Sie sind dazu da, um die dichten, festlich heiteren Blnmenguirlanden festzubalten, aber sie gefallen sich dabei in allerlei losem Scherz. Sie gucken neckisch berab Oder wenden sich komisch ernsthaft von uns fort, sie klettern in die Oeffnungen hinaus oder schliipfen eben drollig hervor. — Auch die Basen unten an den Wanden verdienen noch unsere Beachtung. Der Maler hat sie als sockelartige Yor- spriinge gedaoht, nnd unter jeden Pfeiler ein gemaltes Marmor- relief mit Engeln zur Yerzierung eingelegt; an der Hinterwand aber sind noch insbesondere zwei Medaillons angebracht, welche gleichsam in getriebener Metallarbeit die Einsegnung nnd den Tod der heiligen Catharina zeigen. Ueber diesen Basen nun nnd zwischen jenen Pfeilern mit den Bogen sind auf den drei halbkreisformig abgeschlossenen "Wanden die grossen Fresko- gemalde, die wir jetzt beschanen wollen. Links die reiche Composition stellt uns die Macht der Fiirbitte der heiligen Catharina dar. In der Mitte am Boden, zusammengebrochen , die Hande auf den Eiicken gebunden, liegt enthauptet der Yerbrecher. Ein Henkersknecht rechts steckt eben das blutige Schwert wieder in die Scheide, ein anderer links in zerrissenem Hemd packt bereits den entseel- ten Korper und schaut, den weiteren Befehl erwartend, um nach dem Hauptmann. Dieser, eine jugendliche, kraftig schone Mannesgestalt, biirgt uns durch sein offen freies, ritterlich edles Wesen, dass hier ein Act gewissenhafter Grerechtigkeit voll- zogen worden ist. Hinter dieser Gruppe stehen ein Krieger und ein paar Dominicaner, von denen der eine das Kreuz noch vor sich halt, wie er es dem Missethater im letzten Momente hinhielt, der andere aber hebt das bluttriefende Haupt empor. Bingsum dichtgedrangt Krieger und Yolk bis hinein-in die Landschaft, wo uberall auf erhohten Punkten eine gaffende Menge Platz genommen hat. Ein dreister Bube hat sich mit dem Kopfe zwischen den Beinen des Soldaten und des einen Dominicaners durchgedrangt, und ein Hiindchen ist ganz nach 142 vorn gekommen. Eeckts am Kande befindet sicb eine Gruppe von Frauen in ernster Betr.achtung stebend oder im Gebete knieend. Auf der andern Seite aber neben dem Hauptmann, der uns das Eecht und die Gewalt des irdischen Konigs und Gesetzes so an- standig vergegenwartigt, knieen in sicb versunken zu frommer Fiirbitte zwei Nonnen. Und hinter ihnen, verklart in gottlichem Entziicken, schaut schon zum Himmel empor die heilige Ca- tharina. Das allmachtige Flehen ihrer reinen, unendlich liebe- vollen Seele ist erhort: auch dem Sunder offnet sicb der Himmel in Gnade, und aus ibm berniedergesandt tragen und geleiten nun drei Engel die Seele des Ungliicklicben ins Pa- radies. Weg von der widerlicb grasslicben Scene auf der Erde ziebt die Heilige aucb unsere Seele ganz zu sicb und erbebt sie mit sicb empor in die Eegionen des Friedens und der Er- barmung, der Milde und Scbonbeit. Catbarina von Siena war in Rom in Santa Maria sopra Minerva beerdigt worden. Aber nacb ibrer Heiligsprecbung kam ihr Haupt als Reliquie in ibre Vaterstadt zuriick und wurde in kunstvoller silberner Urne auf dem Altare der Ca- tbarinenkapelle in San Domenico aufgestellt. Durch diesen Altar nun wird die Hinterwand des Heiligthums in zwei Halften getbeilt. Auf die eine malte Soddoma den Erloser, der in gottlicher Herrlichkeit der Heiligen erscbeint. Das Himmelslicht umfliesst den Gottessohn in goldener Fiille und Engelchore umschweben ihn. Ein weites blaues Gewand be- deckt seinen linken Arm und Riicken und wallt weitbin vorn liber seinen Korper; der freie recbte Arm ist trostend und segnend, verbeissend und verleibend erboben, und aus dem bebren Antlitz leucbtet Gnade und Huld. Catbarina aber ist vor einem Pfeiler obnmacbtig in die Arme der beiden Kloster- scbwestern gesunken, mit denen sie eben andachtsvoll die heiligen Schriften las. Das Buch und ihr Symbol, die Lilie, liegen vor ibr am Boden. Doch das ist keine irdiscbe Obn- macht. Wo die Seele eins werden soil mit dem Erloser, muss sie von allem Korperlicben sicb losringen, muss alles Irdiscbe im Menschen ersterben. — ^Wo Drei in meinem Namen 143 versammelt sind,“ so verheisst Christus, '„da bin ich mitten unter ihnen.“ Doch bier fiihlen wir nicbt bios eine gewobn- licbe G-eistesgemeinscbaft. Hier erscbeint der Gottessobn mit seiner bimmliscben Glorie in Wabrbeit und Wesenbeit. Hier bat sicb die Jungfrau in gliibender Inbrunst auf den Scbwingen beiliger Liebe erboben bin in jene Kegionen, wo der Glaube zum Scbauen wird, wo der Gottessobn vor ibrem Auge stebt, wo seine Nabe mit Wonnescbauern sie durobbebt* Aus diesem bingesunkenen scbonen Korper ist fiir einen Augenblick der Geist in seine ewige Heimatb zuriickgekebrt; alles irdische Leben ist aus ihm geflohen, aber ein Abglanz bimmliscben Daseins verklart ibn und strablt aus ibm beseligend aucb uns entgegen. — Der visionare Moment ist mit einer Wabrbeit und Erbabenbeit dargestellt, wie das vielleicbt der gesammten Kunst nicbt zum zweiten Male gelungen ist. Selbst die Erde feiert bier einen Tag des Herrn. Rube und Frieden weilt liber der zugleicb grossartigen und lieblicben Landscbaft, und indem sicb mit ibr eine imposante monumentale Arcbitektur barmoniscb vereint, wirkt sie bedeutsam und feierlicb. Eine Yision anderer Art vergegenwartigt uns der Kxinstler auf der Wandbalfte recbts vom Altar. Das Sacrament der Messe ist der Gipfelpunkt aller Gnaden und Mysterien des katboliscben Cultus. Die beilige Catbarina nabm die Hostie nie obne von einer wunderbaren Sebnsucbt nacb der Yereini- gung mit dem Gottlicben, nacb der Anscbauung des ewigen Gebeimnisses durcbzittert zu sein. Ibrer gewaltigen Begeiste- rung, ibrem scbwarmeriscb-kiibnen Gemiitbe erscbliesst sicb in Wabrbeit der HimmeL Ein Engel selbst ist es, der bernieder- kommt und ibrem Munde die wunderbare Speise darreicbt, und ibrem Geiste offenbart sicb der dreieinige Gott. "Wiederum an einem Pfeiler und zwiscben zwei Nonnen seben wir die beilige Catbarina. Die eine Scbwester, die in der berab- bangenden Recbten ein Bucb bait und die Linke auf die Brust legt, wendet sicb in lieblicber Demutb zur Seite; die andere kreuzt ibre Arme iiber der Brust und ziebt bier scbiicbtern und sinnend den Scbleier zusammen. Todtenkopf und Crucifix, 144 Bibel und Lilie hat Catharina in diesem Augenblick neben sich auf den Boden gelegt, noch sind seitwarts zu diesen hinab beide Arme gerichtet ; aber ihr Haupt ist bereits in entziickter Freude emporgehoben ; ihren Mund nahert sie der Hostie mit blutrothem Kreuze darin, welclie ihr der Engel bringt; ein zweiter neben diesem hat eine Blumenkrone auf dem Kopfchen und in der Hand ein Kreuz. Dariiber im Schoose der Madonna strebt das Christkind mit Kopf und Handcheii vor- und nieder- warts, als ob es nach der heiligen Catharina verlange und sich ihr entgegensehne. Noch weiter aufwarts links liber der Ma- donna schwebt die Taube des heiligen Geistes und ihre gol- denen Strahlen leiten uns zuletzt zu dem hoch oben weilen- den Gott-Yater. Ein Altar, an dem die Messe gelesen und den Glaubigen die Hostie gespendet wird und der der heiligen Catharina ge- weiht ist, konnte keine geeigneteren Harstellungen zur Seite haben. Alles ist hier edle Zeichnung und milde, sanfte Har- monie der Farben ; zarte Empfindung und Tiefe des Gedankens, ideale Schonheit und erhabene Auffassung. Jedes der beiden Bilder ist eine Yollendete Composition in sich selbst und beide zusammen bilden mit dem Altar ein bedeutungsvolles Ganzes. In der Hohe des Altars, links und rechts dicht an diesen sich anschliessend , die himmlischen Yisionen : dort Christus und hier die Hreieinigkeit ; unten aber symmetrisch, nach den Kandern der Wand hin von einander entfernt, jedesmal die Heilige zwischen zwei Nonnen am Pfeiler. Hiese Pfeiler im Bilde selbst sind ein sonderbaier Gedanke des Kiinstlers, der dadurch gerade dem Ganzen einen eigenthiimlich feierlichen Effect zu geben wusste. Uebrigens erinnern sie merkwiirdig genug eben dadurch an die SMe, unter der die Jo in der Scene mit Hermes und Argos sitzt, wie wir diese auf Wand- gemalden in Pompeji und im romischen Hause des Palatini- schen Hiigels finden. Wir bemerkten, dass schon in der Innenwolbung des Ein- gangsbogens zwei Bildnisse nicht von Soddomas Hand waren, sondern dem spateren Francesco Yanni angehorten. Eben 145 dieser hat aiicli das Gemalde auf Leinwand ausgefiihrt, das am Ende des sechszehnten Jahrhunderts auf die dritte Innen- wand der Kapelle aufgekleht wurde. Hier ist die Heilige dargestellt, wie sie Damonen aiistreibt. Die Arbeit verdient jede Anerkennung , und doch bedaiiert man schmerzlich, an dieser Stelle ein Fresko yon Soddoma zu vermissen. Es ist viel dariiber gesprochen und nach den Griinden davon gefragt worden. Vasari bericiitet , dass der Maler theils aus Tragiieit und Laune, theils weil er nicht bezahlt wurde, die Vollendung der Kapelle aufgegeben habe. Hatte er halb so viel gesagt, er wiirde viel mehr gesagt haben. Uebertriebene Arbeitslust lag nicht in Soddomas Katur, und aus reiner Devotion hat er nie einen Pinsel in die Hand genommen. Wenn die Monche kein Geld mehr besassen oder ausgeben wollten, dann erhielten sie selbstverstandlich auch nichts mehr gemalt. Soddoma hat vielleicht niemals einen vollstandig ausge- fiihrten Carton angefertigt. Moistens malte er auf den frischen Kalk nach seiner Skizze und nur einzelne Figuren, nur einzelne, besonders schwierige Partieen zeichnete er mit Kohle in der- selben Grosse, in der er sein "Work zu machen hatte. "Wenn von derartigen Studien oder Hilfsarbeiten nichts mehr vor- handen ist, so braucht das nicht aufzufallen. Wohl aber ist es auffallend, dass wir von einem Meister, der doch in seinem langen Leben ziemlich viel Freshen und Staff eleibilder ent- worfen hat, so ausserordentlich wenig Skizzen und Hand- zeichnungen besitzen. Fine Sammlung davon, die Padre della Valle im Museo Ciaccheriano sah, ist fur uns verschwuiiden und verschollen. Ein Bild wie die Judith in der Gallerie von Siena darf nicht sowohl eine Studie, als ein wirklich fertiges Work genannt werden, und nur die kleine Anbetimg der Konige dort ist als eine Farbenskizze zu bezeichnen. Mancherlei bewahren die Uffizi in Florenz; viele Blatter sind es allerdings auch nicht, und die moisten von ihnen konnen nur fiir ganz fliichtig hingev/orfene Ideen gelten. Sorgsarn durchgefiilirt ist nur eine einzige Bothstiftzeichnung ; sie verrath noch das strenge Vorbild Leonardos in der Art, wie sie gemacht ist. Jansen, Soddoma. 10 146 Ausdruck und Charakter des Kopfes aber sind so sebr der Typus dieses grossen Meisters, dass er noch bis vor Kurzem als der Autor der Zeichnung gait. Sie stellt das Brustbild eines Jiinglings in halber Lebensgrbsse dar.‘ Der eng anliegende Kock, der pelzverbramte Ueberwurf sind sebr gescbickt ge- zeichnet. Das schwarmeriscb jungfraulich-weiche Antlitz wird von dicbten Locken umrahmt, auf denen ein voller Lorbeer- kranz ruht. Auf keinen Fall kann die Arbeit spater als in das Jahr 1515 gesetzt werden; sie gehort in die Epocbe, die mit den Fresken in der Farnesina abschliesst. — Aus einer spateren Zeit ist eine nocb leidlicb gut bebandelte Kreuz- Abnahme, braun in braun, mit weissen aufgesetzten Licbtern. Auffassung und Composition sind wesentlich von dem Altarbilde in der Gallerie Sienas verscbieden. — Eine kleine Cbristusfigur stimmt fast durchaus mit derjenigen liberein, die wir in der Catbarinenkapelle bewundert baben. — Ganz entscbieden als Vorarbeit fiir die Fresken derselben erweist sicb eine Feder- zeichnung, welcbe die heilige Catbarina obnmacbtig zwiscben den beiden Nonnen bingesunken darstellt. Auf dem Pfeiler stebt die Jabreszabl 1526 und es ist bezeugt, dass diese friiber aucb auf dem ausgefiibrten Gemalde an betreffender Stelle zu lesen war. Wer Soddomas riesiges Talent und seine leicbtfertige Art zu arbeiten bedenkt, der darf billig erstaunt sein, dass er docb in einem langen Leben verbaltnissmassig sebr wenig Werke gescbaffen bat. In den Gallerien Italiens ist er nur da und dort und meist diirftig genug vertreten. Ausserbalb Italiens zablen seine Bilder zu den grbssten Seltenbeiten. In Berlin ist vor einigen Jabren ein kreuztragender Cbristus erworben worden, der nur mittelmassig ist. Nacb England sind ein paar seiner besten Arbeiten aus seiner friibesten Zeit von Siena aus verkauft worden, woriiber wir friiher gesprochen baben. Turin besitzt ausser der erwabnten Madonna in tbrono und der Lucrezia nocb eine beilige Familie, die nicbt libel ist. Eine andere beilige Familie im Palazzo Borgbese in Rom, wo Joseph und Maria in Halbfigur und nur das Cbristkindcben 147 in ganzer Grestalt erscheint, macht gerade keinen bedeutenden, dock einen heiter angenehmen Eindruck und muss um das Jahr 1517 gemalt sein. Die beiden sogenannten Ecce homo der Uffizi und des Palastes Pitti in Florenz, auf denen wir jedesmal Christus zwischen Schergen in Halbfigur sehen, konnen keine besondere Beachtung beanspruchen. Das Brustbild eines Unbekannten, das sich im Pitti be- findet und um 1530 entstanden sein wird, ist zwar eine ganz ordentliche Arbeit, aber nicht gerade ein Meisterstiick. Ein kleines Gemalde , Madonna mit dem Leichnam Christi und der Apostel Johannes in Halbfiguren, befindet sich seit Kurzem in der Gallerie von Pisa und ist kaum der Bede werth. Ugurgieri erwahnt eine Bahre in Grosseto, sowie ein schones Altarbild in S. Agostino in Massa, die ich beide nicht gesehen habe, die aber beide ausserer Umstande willen in die letzte Periode Soddomas gesetzt werden konnen. Wir haben auf den verhangnissvollen Einfluss hingewiesen, den Soddomas Freskomalerei auf seine Staffeleibilder ausiibte. Wenn er im Fresko selbst immer kiihner und dreister wurde, so hat das doch derartigen Werken keinen Eintrag gethan. Im Gegentheil, wir werden sie von Jahr zu Jahr als vollendeter und bedeutender anerkennen miissen. Nach meiner festen Ueberzeugung hat er auch fiir die Catharinenkapelle keine grossen vollstandigen Cartons gemacht. Bur wenige Contouren sind vorgeritzt, ohne dass auch sie von seiner beweglichen unstaten Phantasie und seiner rasch verwegenen sicheren Hand eingehalten worden waren. Bastlos schaffend und umschaffend bethatigt sich dieser stiirmische ungestiime Kiinstler bei jeder seiner Arbeiten. Leichter und sicherer als er hat vielleicht niemals ein Maler gezeichnet. Mitten in der Ausfuhrung drangt sich bei ihm noch ein Gedanke nach dem anderen in seine ersten Entwiirfe ein, taucht noch eine Figur nach der anderen in seiner Einbildungskraft auf: daher wachsen unter seiner Hand da oder dort, wo sich nur noch Baum dafiir bietet, immer neue Gestalten hervor, und so erhalten seine Compositionen nicht selten etwas Beengtes und Ueberladenes. Das schone 148 Maass, das Soddoma im ausseren Leben nicht besass, wird dann aiicli zuweilen in seineii kiinstlerischen Scliopfimgen ver- niisst. Denn ganz imd gar lasst sicli docli in keiner Indivi- diialitat der kiinstlerisclie Genius und der sittlicbe Charakter scbeiden. Die innigste Identitiit, die liarmonisclie Yersclimelzung von beiden ist freilich selir selten. "Weil sie in Eafael und Micliei Angelo so wunderbar vorlianden war, darum ersclieinen aucli beide so einzig gross in Hirer Art. Bei Eafael sind ilberdies Natur und Geist in imveranderlicliem Gleicligewiclit und desslialb wirkt beides, seine Persdnlichkeit und seine Kunsk so anzieliend und erqiiickend. Micliel Angelo regt uns in der innersten Seele auf, durcliscliauert und erscbilttert uns: Eafael aber versolint uns in uns selbst und mit der menscliliclien Wesenlieit. Jener ist ganz Erliabenheit und Energie des Strebens, dieser milde Harmonie. Jener iibertrifft alle Kilnstler durcb sein Ivbnnen und die Grossartigkeit seiner Erfindung; allein indem er seine ganze Personliclikeit an ein Mensclien- unmoglicbes setzt, bat seine Ersclieinung etwas duster Melan- cbolisclies und hat sein kiinstlerisches Leisten als Ganzes be- traclitet etwas Skizzenliaftes, etwas unvollendet Symbolisclies gleich jenen Domen des Mittelalters, an denen der Mensclien- ^eist ein halbes Jaiirtausend schiif, um sie docli zuletzt als ein Unfertiges, als ein ungelostes Eatlisel in eine ganz neue Zeit und in eine ganz andere AYelt Inneinragen zu lassen. An Scliopfer- kraft stelit Eafael tief unter Micliel Angelo. Weil jedocli jeder Widersprucb zwisclien Wolleii und Kbnnen bei ilim aufliort, weil er iramer nur will, was er kann, und kann, was er will, so bringt er uns immer ein in sicli Fertiges, Abgesclilossenes, Yollendetes vor Augen. In seiner Kunst und in seiner Per- sonlickkeit sclieinen alle Disliarmonien der menscliliclien Yatur aiifgelost, und eine liolde Tauschung versetzt uns bei ilirer Betraclitung in jene Eulie und in jeneil Einklang mit uns und mit der Welt, welclie die Mensclilieit als ilir hoclistes Glilck suclit und dock niemals finden darf, wenn in Kampf und Streben, in Eortscliritt und Entwickeliing ilir wabres Glilck imd Y^esen besteht. 149 Ein Zeitalter nun, dem zwei solche Manner, dem in zwei so liolien Potenzen nicht bios die grossen Gegensatze innerhalb der Kunst, sondern aucb die beiden Pole , die ewigen Diver- genzen innerbalb der menschlichen Matur, vor Augen gestellt waren, ein solches Zeitalter mocbte wolil in einen leiden- scbaftlichen Streit iiber den Yorrang des einen Meisters vor dem anderen geratlien. Ob es ihn aber loste oder nioht, immer- fort blieben Michel Angelo nnd Rafael der absolute Maass- staab ftir alle iibrigen Kiinstler. Yasari emport unser Gefiihl diirch die Ungerechtigkeit seines Ertheils in einzelnen Fallen. Allein im Grossen und Ganzen behalt er, wie so oft, auch gegen Soddoma Recht. 'Wir iniissen ihm zugeben, dass Soddoma sich weder Schranke noch Ziel gesetzt hat, dass er nicht nach den hochsten, nicht nach ewigen Idealen selbstbewusst und mit ethischer Energie ge- strebt hat. Wir mtissen ihm zugeben, dass Soddoma seine excen- trische Ratur nicht durch Besonnenheit der Erkenntniss und durch sittliches Wollen beherrscht und gestaltet hat. In seinen Kunstleistungen und in seinen Lebensschicksalen musste sich das rachend und strafend offenbaren. Ihm fehlte eben- sowohl ein bewusstes, reges und consequentes Yorwartsstreben, als eine gleichmassige Gewissenhaftigkeit und fleissig treue Ausdauer bei der Ausfiihrung seiner Werke. Darum hat er sein reiches Talent nicht bis zu dem Grade entwickelt, bis zu welchem es entwickelt werden konnte; und darum hat er — wenige Ealle ausgenommen — seinen Schopfungen nie diejenige Yollendung gegeben, welche er ihnen zu geben gewiss im Stande war, Dass er dennoch geleistet hat, was er leistete, dass er dennoch von einem Kiinstler und Kunst- kenner, wie es Annibale Caracci war, wegen seiner hohen Meisterschaft und wegen der Reinheit seines Geschmackes verherrlicht werden konnte: das spricht fiir die Ausserordent- lichkeit seiner Befahigung und fur seine wunderbare Anlage. Allein nur um so weniger ist dann ein ethischer Yorwurf ver- wehrt. Wir haben mit unbedingter Anerkennung seine Werke in der Catharinenkapelle geschildert und Jeder, der sie betritt. 150 wird von all der Schonheit iiberrasclit und ergriffen sein. Damals, sechs Jahre nach Kafaels Tode, ist wenigstens von der gesammten Florentiner und Eomischen Schule nichts ge- malt worden, was einen so erfreulichen und wohlthuenden Eindruck machte. Desto schmerzlicher empfindet dann der wohlwollende und verstandige Beobachter da oder dort einen Mangel in der Zeicbnung oder Composition und im Ganzen eine gewisse Hast und Fliichtigkeit in der Arbeit. So einzig die Fresken der Catharinenkapelle in jener Zeit dastehen,. bleibt dennoch auck hier das Wort wieder wakr: „waren sie nock ein klein wenig besser, so wiirden sie ganz unendlick besser sein.“ Wir sagten, dass Soddoma wakrkaft Grosses gelungen ist und dass er dennock nickt zu den Grossten ge- kort. Wir fragen jetzt, ob es nickt seine sittlicke Sckuld ist^ wenn er nickt unmittelbar neben den Heroen seiner Zeit seinen Platz errungen kat; allein wir kaben nickt den Mutk, diese Erage zu beantworten. Mcht bios das Talent, sondern auch der Ckarakter ist dock im letzten Grunde ein iN’aturgegebenes, das sick wokl unter dem Einfluss der Zeit und unter dem bewussten reflectirten Willen der Personlichkeit gestalten, aber niemals umgestalten lasst, das einer ethiscken Beurtkeilung nur sekr besckrankt Baum gibt und von ikr jede Yorsickt und Zuriickkaltung fordert. Im Jakre 1527 beauftragte die Sieneser Hombaukiitte den Maler Soddoma mit einem Carton fiir das eigentkiimlicke Marmorpaviment des Domes, fiir das Beccafumi sckon seit zekn Jakren vorziiglicke Zeicknungen geliefert katte. Soddoma aber -kat jenen Auftrag eben so wenig ausgefiihrt, als jene Sculpturen, die ihm 1515 iibertragen waren. Ueberkaupt ver- fliessen jetzt wiederum ein paar Jakre, aus denen uns jede Nackrickt iiber sein Yerbleiben und sein Sckaffen feklt. Wir wissen nur nock, dass er sick 1527 wieder bei dem Kennen in Siena betheiligte, dass er dann in demselben Jakre in Florenz im Spitale von Santa Maria nuova krank darniederlag und dass inzwiscken sein Atelier in Siena von seinem eigenen Sckiiler Girolamo di Francesco Magagni ausgestoklen wurde. 151 Eine allgemeine leidenscliaftliche Aufregung und gewaltige Ereignisse erfullten die Welt. Durch die Besiegung und Ge- fangennahme Franz I. war Kaiser Carl Y. zunachst iiber Ita- lien alleiniger Herr geworden. Her darauf erfolgte Bruch mit dem Papstthum forderte in einem ihrer bedenklichen , ja ge- fahrlichsten Momente die Sache der Keformation und fiihrte im Mai 1527 zu jener Eroberung und Pliinderung Korns, die an die Schreckenszeiten barbarischer Yolkerwanderung erin- nerte. Hatte diese die Weltherrschaft der romischen Casaren zertriimniert , so schien jetzt die Gewalt der Kachfolger Petri iiber die Christenheit ihr letztes Ende erreicht zu haben. Aus Schmerz iiber diese Ereignisse soli das edle Herz des Grafen Castiglione, der in Spanien bei Carl Y. Gesandter Clemens YII. war, gebrochen sein. Die nationale Bedeutung und die poli- tische Freiheit Italiens waren in Wahrheit auf Jahrhunderte hin vernichtet. Mit welchen Gefuhlen ist wohl damals im Juni 1527 Macchiavelli gestorben ! Die Wohlfahrt und der Keichthum des Landes fingen an in Yerfall zu gerathen. Die schopferische Geisteskraft des so schon als mannigfach begabten Yolkes wurde gebrochen. Allerdings hat sich die Hierarchie und der Clerus noch einmal in kiihnster Reaction erhoben, aber der Lebenshauch, der von dieser iiber Italien ausgehen sollte, fiel wie ein Giftthau auf eine Cultur, die eben noch in der Geistesfreiheit so wonnevoll als iippig sprosste und bliihte. Man erstaunt wol, wie schnell sich Italien, wie schnell sich namentlich die ewige Stadt nach dem Sturme von 1527 wieder erholte. Allein es ist viel staunenswerther , wie vollkommen verandert mit einem Male diese Welt erscheint, Staat und Kirche, Kunst und Wissenschaft — Alles nimmt ein ganz neues Aussehen an. An ein und demselben Menschen, je bedeutender seine Individualitat oder seine Stellung ist, desto mehr lasst sich an und in ihm selbst diese Umgestaltung wahrnehmen. In der Epoche der Yolkerwanderung mochte das Schiff Petri als die Arche erscheinen, die alle Cultur iiber die Fluthen hin in eine schonere Zukunft rettete. Mit dem sechszehnten Jahrhundert aber verwandelte es sich in eine 152 Strafgaieere , welclie die freien Geister in ihre todtlichen Fes- seln selling und auf der nur noch Sclaven oder Sclavenvogte zu sein scliienen. Zuerst freilich packt den armen Menschen immer und uberall die Noth und Sorge des Tages. Kunst und Handwerk mussten nach 1527 froh sein, wenn sie nur erst wieder Brod und Arbeit fanden. Manch Leben ging dariiber zu Grunde, und ungesagt und ungezahlt sind die Leiden, die auf Tausenden lasteten. Fiir Charaktere von Soddomas Art, die nur allzu sehr dem Tage und dem Augenblicke sicli iiberlassen, sind solche Zustande und Epoohen gewiss besonders schmerzlich und ver- hangnissvoll. 'Wenn die Ueberlieferung in dieser Zeit iiber ihn verstumnit , so mag sie uns diesmal wolil nur Trauriges verscliweigen. Nachdem wir Soddoma zuletzt 1527 auf dem Krankenbette in Florenz gesehen haben, finden wir ihn 1529 in Siena wieder, wo er im Auftrage der stadtischen Behorde beschaftigt war. Ein ehrwiirdiges und stolzes Denkmal von Sienas Geschichte und Kunst erhebt sich im Mittelpunkte der Stadt, an der unteren Seite des Campo, das gothische Bathhaus, welches im Ueber- gange aus dem dreizehnten in das vierzehnte Jahrhundert ent- stand und dessen Inneres nach und nach von den Meistern spaterer Kunstperioden ausgeschmiickt wurde. Lorenzetti schil- derte im Friedenssaale 1337 in umfangreichen Wandgemalden so naiv als gelehrt, so tiefsinnig als anschaulich Wesen und Folgen des guten wie des schlechten Begimentes. Taddeo Bartoli entwarf 1415 auf deii Wanden der Kapelle die Geschichte der Madonna und die Gestalten der Evangelisten und Kirchenvater, wahrend er die Wolbungen der Decke durch seine lichten und leichten Engelgestalten auf blauem Grunde zu einem Abbild des Himmels machen wollte. In der Yorhalle, die aus der Kapelle in den sogenannten grossen Saal fiihrt, malte er Helden und Y eise aus der judischen und der heidnischen antiken Welt, sowie Symbole und allegorische Figureli mit ernsten mahnenden In- schriften. Drinnen aber im grossen Saale selbst hatte bereits 1315 Simone di Martino, Petrarkas gefeierter Freund, auf der 153 Hanptwand die thronende Madonna, umgeben von Engeln mid zahlreiclien Heiligen, graiidios in den Formen und Yerhaltnissen dargestellt. Denn die Mmmlisclie Schiitzpatronin der Stadt sollte an erster Stelle und in majestatischer Weise verlierrlicht werden. An der, der Fensterseite gegeniiber liegenden Lang- wand, sowie an der anderen Schmalwand wurden spater unten in gemalten Mschen, ahnlicb wie jene Papste Sandro Botticellis in der Sistina, die Einzelngestalten alle der Heiligen angebracht, welche Siena der Kirche gab und welcbe seinen Ruhm und Schutz im Himmel bilden. In der Hobe iiber diesen Heiligen bemerkt man anspruchslos und in bescbeidener Grrosse drei Be- gebenheiten aus Sienas Gescliichte : die Belagerung Montemassis sowie die Scblachten von Torrita im Yal di Chiane und von Poggibonsi. Wir verweilen bier bei den Bildnissen der kanonisirten Sienesen. Sano di Pietro scbuf 1461 in der edlen und lieb- licben Gestalt Catharinas „die wunderwirkende Jungfrau und gl orreicbe Braut Cbristi“, als welche die Heilige in der Unter- scbrift bezeicbnet wird. Gleichzeitig batte neben ihm Meister Yecchietta den alten wohlbekannten Typus des San Bernardino Succiafichi gemalt. Andere Heilige waren von anderen Kiinst- lern dargestellt. Wenn aber nun im Jabre 1529 die sienesiscbe Begierung die Ausfiibrung der Heiligen Ansano, Yittorio und Bernardo Tolomei anordnete, so diirfen wir darin ein Zeichen erkennen, dass sie es bei den schwierigen Zeitlauften fur sehr nothig hielt, sich im Himmel der Gnade und Fiirbitte jedes einzelnen Stadt-Patrones zu versichern. Soddoma aber loste die ibm gestellte Aufgabe in grossartigem Style. Ansano, aus dem vornehmen Geschlecbt der Anicier in Bom , war nach Siena gekommen , um dort das Cbristenthum zu verkiindigen und im Jabr 303 in der Bluthe seiner Jugend fiir das Evangelium zu sterben.' In griiner Toga, den weiten rotben Mantel dariiber, einen langen Stab mit einem Fahnen- wimpel in der Linken, hold und schon wie ein Gott, so schreitet der begeisterte, vornehm edele Apostel heran und tauft einen Mann, der sicb vor ibm auf die Kniee niedergelassen hat. Man 154 sieht, man fiihlt es diesem Manne an, mit welch innerer Gliick- seligkeit und mit welcher Demuth er das Sacrament empfangt. Ein anderer, der indess wartend an der Seite kniet, geht ganz in Hoffnung und in Sehnsucht auf. Ein Engel vorn an der rechten Seite hockt vor einer grossen, vorziiglich schon geformten Yase und giesst Wasser in dieselbe ein. Geschaftig, in kindlicher Munterkeit und aufmerksam gewartig auf den Wink des Heiligen, wendet er sich ein wenig um und hebt seinen Kopf riickwarts nach diesem empor. Eine Msche mit Muschelwolbung im Fond^ Yor diesem erst kleinere Pfeiler mit einem Bogen und dann grossere mit geradem Gebalk als Schlusseinrahmung : das ist der wiirdige, weibevolle Kaum, worin Sant Ansano die Tauf- handlung vollzieht. Die Niscbe, die nicbt eine gewohnliche Statue aufnebmen soil, verwandelt sicb bier gleichsam in eine kleine halbrunde Kapelle. Der Architekt wird die ganze Composition, der Bildhauer die decorativen Details als Muster der goldenen Benaissance ansprechen. Der Kenner Soddomas indessen findet sicb bochlich uberrascht, wenn er die Geduld und liebevolle Hingabe bemerkt, mit der diesmal der Meister seine Ideen bis ins Kleinste durchgefiihrt bat: die ausserordentlich feinen architektoniscben Gliederungen, die freien Yerzierungen, die Yictorien oben links und recbts in den Zwickeln des Bogens, die Bildwerke auf jener grossen Yase. Alles ist eben so ge- wissenbaft construirt als sorgfaltig gemalt. Der Kiinstler zeigt bier eine Ueberfiille von Erfindungen und weiss sie stylvoll zu beherrschen; sein reger und weicher Geist offenbart sich in seiner ganzen Kraft und Eigenheit, aber auch zugleich mass- und haltungsvoll. Hier scheint wirklich einmal das Bild, wie es im Innern Yor der dichterischen Phantasie des Malers stand, ungeschadigt, ungetriibt und unYerletzt heraus in die Erscbeinung getreten zu sein. Die kunstYerstandigen Eklektiker Yom An- fange des siebzebnten Jahrhunderts gaben dem Bilde auch das beste Lob, das ibnen zu Gebote stand. Yon dem wasser- eingiessenden Engel sagte der Padre della Yalle, er scheme gezeicbnet YOn Bafael und colorirt Yon Tizian. In ganz ahnlichem architectoniscbem Baume — hur dass 155 sich bfei den decorativen Einzelnheiten die Phantasie in voller Freiheit ergebt — steht der heilige Yittorio. Er gleicht einem triumpbirenden romiscben Imperator, angetban mit dem praebt- vollen Brustbarniscb und dem zuriickgeworfenen blauen Mantel. Sein Heldenkorper mag uns an ein Mars-Ideal denken lassen, aber aus seiner Haltung und seinem Antlitz redet doch ein anderer Geist. Diese Engel zu seinen Fiissen sind keine Ameren, wie sie den heidnischen Kriegsgott umspielen. Der eine, der mit dem bochbebuschten Helme recbts am Boden sitzt, ist freilicb naiv kindlicb gedacbt, aber keineswegs als scherzender Liebes- gott. Der andere vollends, der auf der linken Seite steht, ein entwickelter Knabe, das Haupt mit Blumen umkranzt, spricbt seine Bedeutung deutlich aus. Die Linke mit einem vollen Lorbeerzweig hat er auf den Band des hohen Schildes gelegt, der aufgerichtet „libertas“ lesen lasst. Dass wir uns aber iiber die Inschrift nicht tauscben und dabei Irdisches im Sinne baben, so weist uns die erhobene rechte Hand des Engels hinauf zum Himmel, wo allein wahre und ewige Freiheit ist. Und fur diese Ereiheit hat Yittorio gekampft und gesiegt : seine vorgestreckte Bechte halt das Schwert empor ; in seiner herab- hangenden Linken hat er den Palmzweig des Siegers und des Martyrers. Wohl glanzt aus dem jugendherrlicben Antlitz die Freude des Sieges, aber nicht ohne einen starken Zug milder Weh- muth. So offenbart sich kein Mars, sondern eher der kriegerische Engel Michael. Es ist das Ideal des christlichen Helden: die hochste menschliche Kraft und Schonheit, aber dem Himmel geweiht und vom Gottesgedanken durchdrungen und verklart. Die xaXox ayadta im christlichen Sinne ist Yielleicht nicht zum zweiten Male so bestimmt erfasst und so vollendet dargestellt als hier in diesem San Yittorio von Soddoma. Yon Bernardo Tolomei erzahlt die Geschichte, dass er das Benedictiner Kloster Montoliveto maggiore griindete und dass er sich nicht nur um Kunst und Wissenschaft, sondern auch um die sittliche Erziehung des Yolkes verdient machte. Und so vergegenwartigt uns ihn auch Soddoma als einen ehrwiirdigen Yertreter jenes verdienstvollen Ordens, als alten Mann im 156 langeii weissen Gewande, den hohen Abtstab in der einen Hand und ein Bucli in der anderen, in das er aufmerksam niederblickt. Ihn umgibt keine geschlossene Nisclie, sondern liinter seiner Gestalt sehen wir in die freie Landschaft, als ob wir durch diese auch an die andere Mission der Benedictiner, an die Cultnr der Erde, gemahnt werden sollten. Die Ein- rahmung des Bildes bestelit in einem buntverzierten Bogen. Hatte Soddoma bei den beiden ersten Mschen noch einnial eine Arcliitektur entworfen, die scbon vorher verbliiht war, so eilt bier seine Phantasie in die Zukunft vorans und zeigt uns die bizarren Forinen des spateren Barrockstyles : Allerlei farbigen Manner, gewundene und in der Mitte unterbrochene Saulen, Basen und Kapitale von Bronze. Oben auf dem Bogen ist eine scbwere bauschige Draperie, welclie von Amoretten in mannigfaclien Stellungen sowohl gebalten als artig verziert wird. Ein paar in der Mitte, die an den Weicben einer Wolfin liegen, erinnern an Bomulus und Bemus. Auf dem Rande stebt ein dritter Amorin, welcber beiter lacbend Wasser aus einem Gefasse berabgiesst. Andere scberzen anders. — Die beiden ersten Heiligen bat Soddoma 1529, den dritten erst 1534 vollendet. Yon 1529 bis 1535 malte Beccafumi die Decken- fresken im Saale del consistoro des Sieneser Ratbhauses. Sie sind in vortrefflicbem Zustande auf uns gekommen und zeigen viel Talent und noch mehr Studium, aber sie lassen uns kalt. Man wird die Kunststiicke des Zeicbners nicht verkennen, aber die Gegenwart hat kein Wohlgefallen mehr an den erkiinstelten und erzwungenen Stellungen.- Die Farben sind correct und ' bestimmt, gewisse Effecte sind gut gelungen, wenn man nur nicht den Scbmelz und die zarten Uebergange der einzelnen Tone vermisste. Schonheit der Gesichtsbildungen scheint ab- sicbtlich hintenan gesetzt zu sein. Beccafumi nun und Bar- tolomeo de Davis batten die iiberlebensgrossen Heiligenbildnisse Soddomas abzuschatzen. Darnach bat er fiir die beiden ersten 27 Goldducaten erhalten. Wer den ganzen Werth dieser Ge- staltungen begreifen will, darf sie nicht nur mit dem ver- gleichen, was damals in Siena selbst entstand. Man vergleiche 157 sie mit den Einzelfiguren , wie sie vor ihm Fiesole fiir die Lorenzokapelle im Yatican und Sandro Botticelli fiir die Sistina componirt liatten. Man vergleiche sie mit den spater ent- worfenen Papstgestalten in den Ecken des Constantins-Saales im Yatican, und man wird finden, dass Soddoma jenen alten Meistern an Tiefe der religiosen Auffassung und Lebenswalirkeit dur chans nicht nachsteht, dass er aber an Idealitat und wirklicher Grossartigkeit des Styles die letztgenanntenWerke weit iibertrilft. Soddomas drei Heilige im Kathhaus von Siena verdienen in ihrer Art ganz einzig genannt zu werden. Sie machen dem Kiinstler die hochste Elire. Es ist fast als hatte der Ernst der Zeiten aucli ihn einmal im Innersten seiner Seele ergrilfen. Bein und voll entfaltet er, den kostlichen Schatz seines kiinst- lerisclien Genius vor unseren Augen, und indem er mit der geistigen Erhabenheit seiner Auffassung, mit seinem Sinne fiir idealschone Gestaltung eine wiirdig angemessene Behand- lung verbindet, so erreicht er ein Hochstes nicht allein seiner Individualitat, sondern der gesammten Malerei. Im Jahre 1526 ward der Emigrantenadel vor den Thoren Sienas zuriickgeschlagen und 1527 wurden die Medici noch einmal aus Florenz verjagt. Allein Carl Y., dessen Armee Eom gepliindert hatte, trat gleich nachher als Haupt der reactionaren Eestauration in Italien auf. Elorenz, auf dessen Wallen Michel Angelo als Yertheidiger erschien, erlag nach eilf Monaten, und Alessandro Medici erhielt aus Carls Y. Hand die erbliche Herrschaft dieser Stadt und seine natiirliche Tochter zur Gemahlin. Nach Siena aber fiihrte damals Hon Ferrante Gonzaga die vertriebenen Adelsgeschlechter zuriick. Geheim- biinde und Yerschworungen wurden nun die einzigen Waffen der Sienesen, wie sie in Zeiten der Ohnmacht immerfort die einzigen aller Italiener waren. Nach dem Y orbilde der Laien- briiderschaften und nach der Art der Organisation der Stadt- theile bildete sich in Siena die sociaidemocratische Gesellschaft der Ereizecher, Accademia de’ Bardotti genannt. Ein Ober- barclotto stand jedesmal auf zwei Monate an der Spitze. Ein Kammerer, drei Sindaki, ein Meister der Novizen, zwei Friedens- 158 richter, zwei Krankenpfleger, ein Kapellan und zwei Tamboure waren ihm untergeordnet. IhrHaupt- und Bundesfest war der Sanct Catharinentag. Die Heilige Sienas sollte sie im Kampfe gegen Tyrannei und Fremdberrschaft unterstiitzen. In Sonntag- versammlungen wurden Livius’ Decaden, sowie Yegezios und Maccbiavellis Schriften iiber Kriegfiihrung gelesen. Die zwei besten Fechter der Stadt gaben den jungen Leuten Unterricht im Waffenhandwerk, welche dann bei Feierlicbkeiten Kampf- spiele und Kriegsscenen aus der griechischen und romischen Geschicbte auffiihrten. Mit Gut und Blut stand Finer fiir den Anderen ein. Sie baben wol die Ihrigen mit List und Ge- walt aus Gefangnissen befreit. Der alte politische Schwarmer Pacchiarotti hatte sich sein Zimmer mit den Portrats alter Helden ausgemalt; er stellte sich in ihre Mitte, hielt ihnen politische Beden und meinte zuletzt ihre Zustimmungj ihren Beifall zu vernehmen. Geraume Zeit wurde die geheime Yer- bindung durch die spanische Besatzung in ihren Schranken und in ihrer Yerborgenheit gehalten. Man fiirchtete die fremde Uebermacht. Selbst der ruhige Burger war vor dem rohen Hochmuth der Soldateska nicht sicher. Der Maler Soddoma, der von keiner politischen Partei etwas wissen wollte und sich gegen Jeden harmlos und liebenswiirdig erwies, musste dennoch von einem spanischen Posten am Stadtthore eine gemeine Be- leidigung erdulden. Er beklagte sich dariiber beim Fiirsten Ferrante Gonzaga und forderte Genugthuung. „Gewiss ware ich dazu bereit,“ erklarte der General, „aber wer in aller Welt soil jetzt den Schuldigen herpusfinden?“ — „Hier ist er,“ versetzte der Kiinstler, und brachte das Portrat des Soldaten aus seinem Mantel hervor. Mit seinem ausserordentlichen Ge- dachtniss hatte er ihn zu Hause ganz getreu gezeichnet und colorirt. Der Maler wurde vom Fiirsten und seiner Umgebung bewundert, und der schuldige Soldat erhielt seine Strafe. Noch lange haben sich die Sienesen diese Geschichte ihres Lieblings- kiinstlers erzahlt; die vornehmen Spanier aber bezeugten ihm sofort ihre Achtung und iibertrugen ihm die Ausschmiickung ihrer Nationalkapelle in San Spirito in Siena. 159 Ueber dem Altar derselben stellte er ein Tafelbild auf, das unten in viereckigem Raume San Domenico und Michael einfach neben einander zeigt und das erst in dem Halbrund dariiber eine reichere Composition enthalt. In diesem namlich reicht die Mutter Gottes dem vor ihr knieenden Sant Alfonso das Ordenskleid der Dominicaner. Zwei Engel schauen mit ihren Kopfchen von hinten hervor. Links steht die heilige Caecilia und rechts Lucia, die uns durch ganz besondere Schon- heit anspricht. Dies Altarwerk wurde am ^16. April 1530 vollendet, die Fresken auf der dazu gehorigen Wand aber waren bereits im Januar desselben Jahres fertig geworden. Links und rechts malte er wieder in seiner Weise zwei Renaissance- pfeiler mit geradem Gebalk, iiber das sich aber noch ein Bogen spannt. In dem grossen Halbrund nun zwischen Gebalk und Bogen erscheint auf dahinsausendem weissen Pferde, mit flat- terndem rothem Mantel iiber der vollen schweren Riistung Sant Jago di Compostella. Mit seinem machtigen Schwerte- haut er von rechts her nach links herunter, und unter den Hufen seines Rosses liegen neben und iibereinander todt oder sterbend die getroffenen Mauren. Das Ross ist von der hochsten Schonheit. Soddoma verstand sich darauf. Kaiser Carl, der spater das Bild sah, meinte wol, er wiirde seinen ganzen Marstall dafiir geben, wenn er dafiir nur ein einziges Pferd wie dieses bekommen konnte. Und in der That die ganze modern-klassische Kunst Italiens hat kein Pferd gemalt, das an Lebenswahrheit und Idealitat demjenigen gleichkame, das Soddoma hier hervorgebracht hat. — Unten an dem Pfeiler rechts steht Sant Antonio Abbas, sparliche Locken auf dem schon ovalen Haupte, die weiss wie der voile Bart sind. Den rechten Arm iiber die Brust gelegt, in der linken Hand Stab und Glockchen, so schreitet er nach links hin, und sein Schwein- chen unten folgt ihm. Zwei Engel iiber seinem Kopfe halten ein Wappen mit rothem Kreuz im weissen Felde und mit vier Muscheln. Am anderen Pfeiler links ist ebenfalls ein Wappen von zwei Engeln links und rechts gefasst ; es zeigt den kaiser- lichen Doppeladler. Dort nun ist die vielgeriihmte Gestalt des 160 lieiligen Sebastian. An eine SMe, liier mit dem erhobenen rechten, dort' mit dem herabhangenden anderen Arm festge- bunden, rubt er auf dem linken Fuss imd hat den rechten ein wenig zuriickgezogen. Der Korper ist so tiberraschend edel und schon, dass Beschauer dabei an den Apollo von Belvedere gedacht haben, obgleich er weit eher mit jener Idealgestalt des Adam verglichen werden konnte, welche Michel Angelo an der Decke der Sistina schuf. Sehr interessant aber und wirklich belehrend ist es, diesen al fresco gemalten San Sebastian mit dem besprochenen Florentiner Staffeleibilde zu- sammen zu stellen. Dort ist er reizend, hier imponifend; dort anmuthig, hier -majestatisch; dort zart empfindsam, hier tief empfindend. Dort mag der Kilnstler einst mit zauberischen Farbeneffecten fur den Moment gewirkt haben, welche heute aber nach der eingetretenen Yerderbniss der Farben nicht mehr existiren. Hier hat er ein naturfrisches , lebensvolles Colorit gegeben, das zugleich wohl erprobt, zuverlassig und sicher in seiner Substanz war,- wesshalb es denn auch seinen ersten warmen Hauch und seinen zarten Schmelz voll und unversehrt bewahrt hat. — An der linken Seite ist der Hals, an der rechten sind Brust, Arm und Bein des Heiligen von Pfeilen getroffen. Er wendet das mannlich schone Haupt mit den ernsten, grossen Augen nach oben: im. Anschauen des Himmels vergisst der Martyrer jede Erdenqual. So wirkt hier im Fresko der Maler durch die einfachste Composition, die sich auch der Bildhauer von ihm aneignen konnte, wahrend er auf dem Florentiner Staffeleibilde den lichtumflossenen Engel und die bedeutsame Landschaft fiir seine beabsichtigte Wirkung braucht. Fiir den San Sebastian erhielt Soddoma sechs und fiir den heiligen Antonio sagar nur vier Gulden. Hatten ihn die Spanier gezwungen, fiir einen solchen niederen Preis zu arbeiten ? Im Bathhause war er doch das Jahr vorher unverhiiltnissmassig besser bezahlt worden. Heimgesucht von arger Zeit, von Noth, Krieg und Fremd- herrschaft, wandte sich die itahenische Welt im Leben und in der Ivunst von den heidnischen Idealen der Friihrenaissance 161 wieder ab. Der christliche Olymp trat wieder an die Stelle des griechisch-romischen ; das Offenbarungsdogma siegte iiber den Geist der Aufklarung ; fromme Devotion und stronger Kirchen- dienst verscheuchten den ungebunden heiteren Sinn und das Wohlbehagen an weltlicber Lust. Wenn der Protestantismus mit dem Werkdienste brack und in seinen Kirchen den Bilder- sturm begann, so musste der Katholicismus schon aus Oppo- sition seine Heiligen auf den alten Gemalden desto atfectirter verehren oder durch neue desto prunkvoller verherrlicben. Die Jesuitenkircbe mit ibrem iiberscbwanglichen Pomp und Luxus, mit ihrer barbarischen Pracht von Marmor, Gold und Edel- steinen, mit ihren widersinnig phantastischen Bauformen und mit ihren wahnwitzig exaltirten Statuen und Gemalden zeigte bald genug den vollen grellen Gegensatz zu dem niichternen und strengen Betliause der Puritaner, dessen weissgetiinchte ode kahle Wande das neu erwMte Yolk Gottes umschlossen. Auf alien Platzen und Strassen, auf alien "Wegen und Stegen restaurirten die Italiener die lange vernachlassigten Kreuze und Bilder, oder errichteten neue. An den Mauern und Thoren der Stadt liessen sie die Bildnisse der Schutzpatrone auf- frischen oder zum ersten Male entwerfen. Stadt und Land, Haus und Herd, die sie nicht mehr mit ihren Waffen schiitzen konnten, empfahlen sie wieder mit Eifer der Eiirsorge des Himmels und aller Heiligen. Die Sohriftsteller fanden es fiir gerathen, nicht mehr ausschliesslich antik und sinnlich zu sein, sondern wenigstens in Schriften theologisch und fromm zu scheinen. Pietro Bembo hat es durch diesen Umschwung bis zum Cardinale gebracht, und der unverschamt freche Pietro Aretino war ganz emport, dass er nicht dasselbe Ziel erreichte. Die Kiinste aber, welche eben noch nur aus der Antike und der JSTatur ihre Yorbilder entnahmen und keine anderen Ge- setze als die der Wahrheit und Schonheit anerkannten, traten jetzt in den Dienst der Dogmatik und unter das Joch des fanatisirten Clems zuriick. Aus dieser allgemeinen Yeranderung der Dinge begreift man nun, was sich in jeder einzelnen Stadt ereignete und weiss dann selbst dem Kleinen und Geringfiigigen Jansen, Soddoma. 11 162 seine Bedeutung zu geben. Wie anderwarts, so nahm aucli in Siena Magistral und Yolk seine Zufluclit zu dem , alien Werkdienste der Kirche und klammerte sich wieder an ilin mil seiner Furcht und mil seiner Hoffnung. In der geheimen Yerbindung der Bardotti vereinte zwar die klassiscli geschulte Jugend mil dem Cultus der Catharina immer noch den der alien romischen Welt, aber alle anderen Corporationen dachten doch anders. Privatleute, Zunftgenossenschaflen und stadtiscbe Behorden suchten ihr Heil wieder in der Kirche und in der Erfiillung der Yorschriften derselben. Hier kann nur Einzelnes der Art, nur Zerstreutes erwahnt werden. Die Schuhmacher- Innung liess sich aussen an ihrem Zunflhause unweit von San Martino ein Fresko anmalen, das theilweise noch jetzt erhalten ist. Soddoma fiihrte es 1530 aus, und gewiss musste dabei der Bitter an die Werkstatt in Yercelli denken, in der er seine Kindheit verlebt hatte. Er stellte die Madonna dar mit dem Christkind im Arm, umgeben von den Heiligen Gio- vannino, Francesco und Bocco und dem Zunftpatron Crespino, der einen Schuh in der Hand halt. Yortrefflich erhalten ist ein anderes Yotivbild der Art. Es ist jene ergreifende Pieta aussen am Hause Bambagini Galletti, deren „wundersame Anmuth und Gottlichkeit“ Yasari riihmt und die noch heute in Siena unter dem Namen Madonna del Corvo so popular ist. Die unendliche Liebe der Mutter zum Sohne, die bei ihr immer mit der demuthsvollen Yer- ehrung des Heilandes eins ist, erscheint nun hier als Leid und Schmerz. Unbeschreiblich ist der Ausdruck, der Blick, mit dem die Madonna nieder auf den Leichnam Christi schaut, der liber ihrem Schoose liegt. Lebend war er ihr nicht bios der gottliche Erloser, er war auch das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, ihr hochster irdischer Schatz. Wie edel und zart halt sie stiitzend ihre Bechte unter seinem Haupt, legt sie ihre Linke iiber seine Brust! Der todte Korper ist naturgetreu und doch so sehr ohne alles Abschreckende , dass seine erhabene Bildung Auge und Seele anzieht und fesselt. Die Madonna wird ganz von ihrem grossen blauen Gewande um- 168 liiillt, alls dem nur der weisse Schleier ein wenig hervorsielit, der das hoheitsvolle Haupt der schmerzensreiclien Madonna umgibt. I^ach Abzug der spanischen Besatzung im Jalire 1581 malte Soddoma an der Porta Yiene, der jetzigen Porta Pis- pini, im Auftrage der Pepnblik das merkwiirdige 5Yeihebild, das leider im Laufe der Zeit nicht wenig gelitten hat. „Der Mutter Gottes und Jungfrau, “ so sagt die lateinische In- schrift, „fiir den Sieg, fiir die Freiheit und fiir das Heii der Stadt widmet das Yolk Sienas in heiliger Yerehrung dieses YVerk.“ — Die alten There Sienas gleichen Burgen. Durch ein Aussenportal tritt man in einen grossen yiereckigen hofartigen Baum, den hauserhohe zinnengekronte Mauern urn- schliessen, und erst aus diesem fiihrt eine andere Thorhaile durch die Festungsmauer in das Innere der Stadt. Wie nun der Wanderer auch wol im katholischen Deutschland an einem Gemauer oder an einem Baum ein schlichtes Heiligenbild sieht, das ein kleines Begendach kapellenartig umgibt: so hat hier liber dem Innenportale von Porta Yiene Soddoma dasselbe Motiv in grossartigster Weise benutzt. Ein umfangreiches Fresko wird von einem vorspringenden Umbau wie von einem Heiligenschreine umgeben und umrahmt. Im unteren Theile ist das Bild gegenwartig fast ganz zerstort; nur mit Miihe erkennt man noch, dass hier in der Mitte das Christkind liegt. Die Geburt und erste Anbetung desselben wird jedoch nicht sowohl nach der schlichten Legende der drei Synoptiker dar- gestellt, als nach der mystischen Auffassung des Evangelisten Johannes. Das Wort ward Fleisch; der Himmel erschliesst sich der Erde und vereint sich wieder mit ihr. Das Christ- kind auf der Erde wird von seinen Eltern und von dem Yolke angebetet, aber in der Hohe dariiber lobsingen die Engel- schaaren, und im Himmel selbst erscheinen die Symbole des heiligen Geistes und des menschwerdenden Gottes. Links unten kniet die Madonna, der sich vier andere Gestalten an- reihen, und gegeniiber lasst sich noch eine gleiche Anzahl herausfinden. Aber diese Anbetenden zu beiden Seiten sind nicht weniger verwischt als in ihrer Mitte das Christkind. Iii). 164 Mittelgrunde ist links eine Stadt, deren stolz hervortretender Thorbaii durch Statuen in Mschen geschmiickt ist. Kechts davon ofFnet sich die Landschaft, die zuletzt mit einem hohen Baume vorn abschliesst. Als Friedenssymbol spannt sich ein Kegenbogen liber Stadt und Flur. Und nun erfreut man sich des imversehrten oberen Theiles der Composition. Engel er- fiillen den klaren hellen Luftraum. Drei in der Mitte, hinter denen noch eben so yiele andere mit ihren Kopfchen sichtbar werden, halten einen breithin flatternden Streifen, von dem sie singen. Neben dieser Gruppe schwebt links ein Engel, die Arme iiber der Brust gekreuzt, und rechts ein zweiter mit gefalteten Handen: beide schauen begliickt in seliger Freude zur Erde nieder, der die frohe Himmelsbotschaft zugesungen wird. Alle aber sind die denkbar - schonsten Jugendgestalten und wundervoll in Composition und Farbe. Ueber ihnen nun oben in dem vorspringenden Bogen der Umrahmung ist eine achteckige Oeffnung gemalt, in der iiber der Taube des heiligen Geistes, umstrahlt von goldenem Lichte, ein Genius hervortritt, weiss befliigelt, in der Linken ein Kreuz, die Bechte deutend nach oben erhoben. Auf diese Art ist vom Kiinstler der An- fang des Johannesevangeliums bildlich dargestellt worden. An den Innenseiten der gemauerten Einfassung des Wandgemaldes schweben wieder jugendliche Engelgestalten , die gleichfalls hinab auf das Christkind blicken, wahrend zu ihren Fiissen Amoretten sitzen und spielen. Auf den Yorderflachen der Umrahmung aber hatte Soddoma als Pfeilerfiillung wieder Idealcandelaber angebracht, in deren obersten Schalen der Phoenix sich selbst verbrennt: ein bekanntes, sinniges Symbol vom Tode und der Auferstehung. Das Kunstwerk ist durchaus vollendet, eine atherisch lichtvolle Composition, tiefsinnig und grossartig im Gedanken, ernst und edel in der Durchfiihrung,. so dass es sogar in seinem heutigen Zustande einen iiber- waltigenden Eindruck auf den Beschauer macht und ihn zur Ehrfurcht zwingt. Die geheimnissvollste christliche Mystik tritt uns in diesen naiven, holden Gestalten unsagbar lieblich, so einfach und 165 fasslicli, so wahr und schlicht entgegen, wahrend das Work als Granzes uns immer von neuem durch seine majestatische Feierlickkeit, durch seinen weihevollen himmlischen Ernst im- ponirt. Sehr leicht begreift man den Grrossherzog Cosimo Medici III., der um Alles gern das ganze Fresko absagen und in sein Museum bringen lassen wollte. Gewiss bewog ihn dazu nichts weniger als politischer Grund; zu seiner Zeit wurde Siena schon ohne alle Gefahr an die verlorene Herrlichkeit der Republik durch jene lateinische Inschrift erinnert, welche unter dem Yotivbilde zu lesen war. Es ist eine interessante Hotiz, dass sich Soddoma unter den Figuren rechts vom Christuskinde wieder einmal selbst portratirt hatte, diesmal mit vollem Bart, den Pinsel in der Hand und die Augen auf ein Blatt gerichtet, auf dem ge- schrieben stand: „fac tu“. „Mach auch Du,^^ versuche auch Hich an einem solchen Werke, das hatte einst Donatello mit Hindeutung auf eine seiner Arbeiten herausfordernd zu Bru- nellesco gesagt. In demselben Sinne hat man nun auch jenes „fac tu“ auf dem Blatte in Soddomas Hand gedeutet uod auf den kiihnen Kiinstlerstolz des Meisters bezogen. Jedenfalls hatfe ihn kein anderes Werk in hoherem Grade zu trium- phirendem Selbstbewusstsein berechtigt als dies Wandgemalde liber der Porta Pispini. ”Wir bedauern, dass sein Portrat auf dem Fresko verwischt ist, Zum Gliick entschadigt uns dafiir ein Oelbild in den Uffizi in Florenz, das gleichfalls in der Bliithezeit von Soddomas Leben und Schaffen entstand, und das Campiglia im vorigen Jahrhundert durch einen Stich in Folio allgemeiner bekannt machte. Die langen dichten Locken und der voile Bart sind fast glanzend schwarz ; die Nase, der Stirnenrand iiber den Augen sind scharf geschnitten. Der schwellende Mund mit wenig vortretender Unterlippe verrath die Freude am sinnlichen Genuss, aber doch auch den heiteren Liebling der Musen und Grazien. In den grossen, dunkeln, etwas tief liegenden und doch so frei und offen herausschauenden Augen lebt eine naive, empfindungsvolle, schwarmerische Seele. Das unruhig nervose Wesen des unverstellten , unmittelbaren 166 Mamies lasst sich nicht verkennen. Selbst in den Handbewegun- gen aussert es sicli : in der recliten, die den Handschuh zusam- menpresst und doch anscheinend ruhig am Giirtel liegt, in der linken, die mit den ausgestreckten feinen Fingern leise erregt zu zittern scheint. Yornehm elegante Kleidung liebte der Eitter Sod- doma. Das breite, scbwarze Barett auf die Seite geriickt, fallt leicht in die Stirne. Unter dem schwarzen Talar schaut vorn das rothe Wamms mit der zierlichen Spitzeneinfassung kokett hervor. Man meint aus diesem Portrat das gauze Wesen, den innersten Charakter des Mannes entnehmen zn konnen, und kehrt mit Tlieil- • ' nahme immer von neuem zu der Betrachtung desselben zuriick. Ein unverwiistlich froher Sinn war Soddomas Erbtheil. Ausgelassene Thorlieiten einer geistreichen Jugend werden gern verzieben und meist mit Yergniigen ertragen; Soddoma aber blieb ewig jnng. Yoll Neigung filr vornehmes Behaben war er dennoch oline Eitelkeit und fiihlte sich in jeder Ge- sellscliaft wohl , so lange es dort nur drunter und driiber ging. Eine achte grossangelegte Kunstlernatur von innerem Beruf, spiirte er trotzdem wenig freien eigen en Trieb zur Arbeit und verstand weniger des Buhmes, als des Geldes lockenden Silberton, das er dann doch andererseits wieder gar nicht zu gebrauchen wusste. Bingen und Kampfen nach politischen und religiosen Idealen iiberliess er gleich- giltig alien Anderen, nur fiir seine Person nahm er sich immer und iiberall jede Freiheit heraus. Die Sienesen, stolz auf seinen Kiinstlerruhm und hingerissen von seinem Talente, liessen ihn lachend gewahren. Nach Abzug der Spanier athmete man wieder* freier und gliicklicher auf. Als der Magistrat 1531 an alle Burger das Gebot ergehen liess, ihre liegende und bewegliche Habe genau zu verzeichnen, durfte sich Soddoma in seinem Documente folgendermassen vernehmen lassen: j,Kund und zu wissen Euch, meinen ehrsamen Mitbiirgern, thue ich, Meister Johann Anton Sodom von Lochstopfer, in Anbetracht meines Besitzpfennings hiemit wie folget : Erstens also habe ich einen Garten am Neubrunnen, wo ich sae und andere Leute ernten. 167 Dann in Yallerozzi zu meiner Wolinung ein Hans mit- sammt einem Processe gegen ilicolo de' Libri. In meinem Stalle achtPferde, welclie man alsmeine Lammer nnd als deren Leithammel man micli selbst bezeiclinet. Ferner babe icli einen Affen ; dazu einen Paben, der sprechen kann nnd den icb mir darnm balte, weil er einen gottesgelabrten Esel im Kafig das Peden lehren soil. Ueberdies babe icb eine Eule, um Parren krnseln zn machen, zwei Pfauen, zwei Hnnde, zwei Katzen, Sperber nnd andere Paubyogel, sechs Hennen nnd achtzehn Kiichlein, zwei manrische Hiihner nnd noch viele andere Yogel, die anfziizahlen nur Confusion macben wiirde. Yocb babe icb aucb drei scbeusslicbe bose Bestien nnd das sind meine drei Frauenzimmer. Endlicb besitze icb dreissig erwacbsene Kinder, nnd was mm diese Ladung anbetrifft, so werden Eure Excellenzen wol zugeben, dass icb darin En- gros-Besitzer bin. Wer nun Yater von 12 Kindern ist, der darf laut Gresetz nicbt zn den Communallasten berangezogen werden. Damit will icb micb Encb denn zu Gnaden empfoblen baben. Lebt wobl.“ Frobe Zeiten bielten damals nirgends lange an. Kaum waren 1531 die Spanier fort, so bracb 1533 Hungersnotb nnd Tbeurung im Lande aus. Der Magistral that sein Bestes ; wir finden, dass er sogar aus Sicilien Getreide kommen liess. Allein das Yolk grollte dem Adel, der nacb seiner Piickkehr noch ubermiithiger auftrat nnd seinen Scbutz immer an den Fremden suchte. Y^ie immer aber in Zeiten der Hungersnotb sab das Yolk mit ISTeid nnd Hass anf die Peicben. Die socialdemo- kratischen Bardotti bielten die Stunde fiir gekommen, Pacbe an ihren Feinden zn nehmen nnd das Yolk zu revolntioniren. x4.nf dem Platze vor San Francesco kamen sie zusammen. Allein da keiner nnter ihnen den Mutb besass, den Anfiihrer zu machen nnd das erste Zeichen zu geben, so liefen sie erschrocken liber ihre eigene Schwacbe nnd Feigheit nacb alien Seiten aus- einander. Die Behorden aber, vor alien der Generalcapitan Herzog von Amalfi, schritten nun desto stronger ein. Ein Fleischer, der sicb an einem anderen Manne vergriff, wurde 168 sofort gehangen. Anderen ging es ebenso. Die Bardotti duckten und versteckten sich und wurden jetzt aus Angreifern Ange- griffene. Der alte Pacchiarotti hat sich in der Pfarrei von San Griovanni zwei Tage lang bei einem Leichenskelett in einem Sarge verborgen gehalten, bis er zuletzt zn den Monchen der Osservanza entfliehen konnte. Der talentvolle Pacchio aber rettete sich nach Prankreich. Die Bardotti wurden aufgelost und bald vollzog sich auch in Siena die Bildung der modernen Gesellschaft, wo die Burger zu Unterthanen und die alten edeln Geschlechter zu dienstbarem Hofadel wurden. Die Eroberung der Bepublik Siena, die der Bepublik Florenz unmoglich ge- wesen war, sollte dann durch die Herzo^e von Florenz wie von selbst erfolgen. Zunachst beugte sich ganz Italien wie kaum je vor einem andern Kaiser vor Carl Y. Gleichsam im Triumphe durchzog er 1536 das Land, Bom und Florenz^ wetteiferten in Furcht und kriechender Ergebenheit, ohne dass weder das eine noch das andere dafiir mit Yertrauen belohnt worden ware : an der Spitze seiner Armee, die Alba als Generalissimus fiihrte, durchzog er das Gebiet beider Stadte. Bur Siena hatte die sehr zweideutige Ehre, den Kaiser ohne Heeresmacht bei sich zu sehen. „Hier sind wdr im eigenen Hause“ — sagte Carl Y. zu seinem Gefolge gewandt, als er die sienesische Grenze iiberschritt — „hier mag jeder thun, was ihm beliebt.“ Der zahlreiche Adel und die stadtische Begierung war ihm durchaus ergeben, und es ist sehr bezeichnend, dass der Bevo- lutionar Pacchiarotti einen der Triumphbogen fiir den Kaiser herrichtete. Mit Beden von ilberschwanglicher Unterthanig- keit wurde Carl Y. begriisst. -Die Accademie degli intronati fiihrte ein Lustspiel auf, „Amore costante,“ das der Erzbischof Alessandro Piccolomini gedichtet hatte, und worin ein Keapolitaner seinen Landes- dialect, ein Hauptmann Castilianisch und ein Deutscher komisch gebrochenes Italienisch sprach, wahrend’ die anderen Personen die reine und gefallige Sprache Sienas redeten. Mit Interesse besuchte der Kaiser alle historisch denkwiirdigen Orte der Stadt und erfreute sich an deren reichen Kunstschatzen. Die 169 Sienesen aber fiihlten sich hoclibeehrt und begliickt. Unmittel- bar nach der Abreise des Kaisers genossen sie noch ein ganz besonderes Schauspiel. Es kam eine maurische Gesandtschaft aus Tunis mit Saumthieren und Dromedaren , welche dem Herrscber nachreiste , um ihm drei Hengste und drei Stuten von ungemeiner Schonheit als Geschenk zu iiberbringen. Der sienesiscken Tradition zufolge hatte Soddoma ganz besondere Gnade vor dem hohen Gaste gefunden. Und es ist sehr wahrscheinlich , dass Carl Y., der fiir Tizians lebens- wahre , imposante Gestalten , der fiir die sinnliche Gluth und das effectvolle Colorit der venezianischen Schule so viel Yor- liebe hatte, auch an Soddomas Werken gerade das fand, was ihm Herz und Sinn bewegte. Allein wenn der Padre della Yalle behauptet, dass Soddoma vom Kaiser zum Pfalzgrafen erhoben worden sei, so findet sich doch in den sehr eingehenden zeitgenossischen Berichten kein Wort davon, und in keinem Documente wird der Maler als eques et comes Palatinus be- zeichnet. Das einzige Fresko, wo della Yalle diese Bezeichnung als Unterschrift gelesen haben will und das schon seiner Zeit schadhaft war , lasst heute keine Spur mehr davon sehen. Sollte sich Soddoma wieder einmal einen Scherz mit dieser Titelbeilegung gemacht haben? Oder hat sich della Yalle geirrt? Der gute Padre ist dem Kiinstler aufrichtig zugethan und glaubt ihm keine grossere Ehre anthun zu konnen, als wenn er ihn zum vornehmen Herrn und zum begnadeten Giinstling der Grossen dieser Erde macht. Bang- und Titel- flitter hat die Welt nicht bios im Zeitalter Louis XIY. ge- blendet; nach alien Kevolutionen gibt es noch immer Leute genug, welche die Gunstbeweise von Fiirsten hoher schatzen als die Anerkennung auch der Besten und Weisesten. Es wurde bereits erwahnt, dass Soddoma im Jahe 1532 die Kronung der Maria als letztes Fresko im Oratorium San Bernardino, und im Jahre 1534 den heiligen Bernardo Tolo- mei im grossen Saale des Bathhauses von Siena malte. Im letztgenannten Gebaude war er auch 1535 beschaftigt. ' Er fiihrte die Auferstehung Christi als Wandgemalde aus, das vor 170 nicht langer Zeit von seiner urspriinglichen Stelle abgesagt und in ein anderes Zimmer, in das des Gonfaloniere, gebracht worden ist. Vorn unten der Lange nacli steht der steinerne Sarkopbag. Christus ist daraus emporgestiegen : nur der eine Fuss ist noch iiber dem Grabe , der andere rnht bereits auf dem Felsblock davor. Ein blaues Gewand wallt um die maje- statisclie Gestalt und goldiges Licht strablt um die ganze Er- scbeinimg. Engel scliweben iiber seinem Haupte, und Engel sind unten auf der Erde am oberen Ende des leeren Sarko- phages, in den sie liineinschauen. Christus steigt empor, nicht bios ein irdischer Leib zum Lichte zuriickgerufen aus Grabes- nacht, sondern als der siegreiche Gottessohn, der den Tod und die Holle iiberv^and, der lebend erst seine Gegenwart und die Zukunft erloste und der dann sterbend hinabfuhr zur Holle, um die vergangenen Geschlechter aus der Hand des Satans zu befreien, um Konige und Propheten, um die Patriarchen und das erste Menschenpaar zur Seligkeit des Paradieses zuruckzufiihren, Darum erscheint Christus mit himmlisch ver- klartem Leibe und hoherer Gestalt in erhabener Freude als gottlicher Triumphator. Er hat dem Tode seinen Stachel und der Holle ihren Sieg genommen. Wie konnte eine Wache irdischer Krieger jetzt seinen Gang ihm hindern! Wider ihren Willen, in erzwungenen unbequemen Stellungen waren sie ein- geschlafen. Links und rechts, der eine einen Tiirkenbund um das Haupt, die Anderen durchaus romisch mit Helm und Brustharnisch angethan, so liegen sie nun in schwerem un- ruhigem Schlafe oder erwachen eben, starren empor und werden von der iiberirdischen Lichtfiille geblendet. Die verkiirzten Gestalten sind meisterhaft gezeichnet. Der eine der Krieger, hier vorn in der Mitte, war eingeschlafen, den linken Arm unter dem Haupte. Er erwacht, richtet sich auf diesem Anne als seine Stiitze auf, wendet sich, stemmt deu rechten Arm auf die Erde, um sich emporzuschwingen, und bleibt wie gelahmt in dieser Haltung. Sein Sinn ist verwirrt und sein Auge ge- blendet von dem unbegreif lichen Yorgange und dem wunder- baren Lichte. Mit langgestrecktem und verrenktem Halse starrt 171 er empor. Entsprechend dem gewaltigen christlichen Drama, ernst imd feierlich ist der landschaftliche Hintergrund gedacht, links in der Feme auf einem Hiigel hat sich verzweiflungsvoll der Yerratlier Judas aufgekniipft. Weiter vorn, dort aus der Gegend her, wo Stadt und Strom sichtbar werden, wandeln die drei Frauen sclimerzerfullt zu dem Grabe herbei. Aber hier wird ilinen die Engelsbotschaft werden : den ilir suchet, Christus, ist nicht bier, Chritus ist erstanden. Und ihr Leid wird wieder Freude werden. Ueber Himmel und Erde bin geht von dem Erstan- denen aus ein neues Licht und ein neuer Tag, der mit gol- denem und purpurnen Glanze den Horizont rings umstrahlt. Die Gallerie von Neapel besitzt ein grosses Staffeleibild^ das gleicbfalls die Auferstehung darstellt und unten auf einem kleinen Streifen die Inschrift Jo. Ant. Eques Ye. auct. A. 153 .. . erkennen lasst. In welchem der dreissiger Jahre des sechszehnten Jabrbunderts der Fitter Giovannantonio von Yercelli dies Ge- malde vollendet hat, wissen wir freilich nicht. Jedenfalls ist es kurz vor oder nach dem Fresko entstanden, das wir eben beschrieben haben. Fine Yergleichung von beiden Werken aber belehrt uns noch einmal liber den grossen Unterschied zwischen Soddomas Wand- und Tafelgemalden, den wir schon zwischen seinem San Sebastlano in Siena und dem von Florenz fanden. Das Fresko in seiner kraftigen Farbe ist unverletzt und frisch geblieben, das Staffeleibild aber, das einst gewiss durch effectvolle Farbenpracht iiberraschte, muss uns heute durch stumpfgewordene und griingraue Tone, durch die zer- storte Harmonie des Colorits unangenehm beriihren. Das Fresko hat einen schlichteren, grossartigeren Charakter, einen einfacheren, imposanteren Styl; das Staffeleibild ist bewegter und unruhiger, weicher und sentimentaler. Jenes wirkt mehr durch die Tiefe des Gedankens, dieses spricht eine phan- tastischere Stimmung aus. Auf dem Gemalde in Aeapel schwebt Christus bereits ein gutes Stuck iiber dem Grabe und beriihrt mit seinem Haupte fast den oberen Eand des Bildes. Seine Bechte streckt er bedeutsam vor, als wolle er verktinden, dass unter ihm Tod und Holle iiberwunden seien. In der erhobenen 172 Linken halt er eine Fahne mit rothem Kreuz auf weissem Felde. Aus dem tiefblauen Himmel lasst sich anbetend ein Engel nieder. Die Lenden Christi umgibt ein hellblauer Schurz. Yon der linken Schulter herab liber den Riicken flattert ein langes dunkelblaues Gewand. Kleine Wolkchen, welche von Lichtstrablen durchbrochen werden und mandorlaartig den gold- gelben Grund hinter der Gestalt Christi abschliessen, bedecken einen Theil jenes Gewandes und lassen dann das Ende desselben wieder frei herauswehen. Solche Motive haben etwas Ge- sucbtes, modern Manierirtes und Kokettes. / Das Gewolk der Mandorla hatte urspriinglich wahrscbein- ' lich einen purpurn durchsichtigen Farbenton; jetzt ist er ein herbes , deckendes Griinlichgrau geworden. Auf dem hinte- ren Sarkophagrand sitzt ein Engel auf seinem linken Bein, worauf er nachlassig seine rechte Hand legt, wahrend er sich auf den linken Arm gestiitzt halt. Ein anderer Engel fasst mit beiden Handen den an, der Seite liegenden Sargdeckel und beugt sich iiber, um in das leere Grab zu sehen. Von den Kriegern liegen zwei auf der rechten Seite schlafend, ringt sich einer auf der linken Seite verstort aus dem Schlafe auf und schaut der letzte mit dem rothen Mantel vorn in der Mitte, eben erwacht, erschrocken in die Hohe. Er stemmt sich auf seinen linken Arm und fahrt mit dem anderen wie mecha- nisch nach Schwert undSchild, die bei ihm am Boden liegen. — Die Landschaft wird in der Feme von violetten Bergen mit sanften Contouren abgeschlossen ; weiter vorn auf Hiigeln, an denen zwischen Baume und Gebiisch ein Strom vorbei fliesst, bemerken wir Buinen antiker Architektur. Links ist eine steile Felswand und ein hoher Baum dabei. Yon dieser Seite her nahen die drei Marien, und so ahnen wir auch hier den ersten Eindruck des folgereichen, wunderbaren Ereignisses. Fiir die Gebriider Giovanni und Arduino Arduini malte Soddoma 1536 die Anbetung der Konige als Altarbild. Den Streit , der iiber die Preisbestimmung entstand , schlichtete Yannoccio Biringucci. Lange Zeit war das Gemalde im Besitze der Familie Piccolomini und steht gegenwartig auf dem Altar 173 der Sacramentskapelle in Sant Agostino in Siena. Kechts hoch und steil eine ausgedehnte Ebene iiberragend erhebt sich ein Bergzug, der nach vorn abfallt. Nach langer Zeit werden wir durch diese in Farbe und Zeichnung mehr symbolische als naturalistische Landschaft wieder einmal an Meister Leonardo da Yinci erinnert. Links im Yordergrunde steht die Herberge der heiligen Eamilie. Zu ihr hin fiilirt den Gebirgsriicken hinab die grosse Strasse, welche in diesem Momente das prach- tige Schauspiel des Zuges der drei Konige mit ihrem Gefolge darbietet. Bis in die hochste Feme verfolgt das Auge den Tross der SaurntMere und Kameele. Hirten, die dort ihre Heerden weiden, sind an die Strasse geeilt, um all die seltene Herrlichkeit zu sehen. Die einen warten, bis auch das Letzte Yoriiber ist, andere sind schon zu ihren Thieren zuriickgekehrt und erzahlen sick von den Wunderdingen. Die Hauptpersonen sind im Yordergrunde angekommen. Ueberdies gedrangt auf pracktigen Bferden in tiirkisckem Kostiim oder in sckwerem Harnisck die vornekmsten Diener. Finer davon, ein’ Mokr, zeigt den Stern, der sie gefiikrt, der dort unten uber der Hiitte straklt und feststekt. Die Konige selbst sind bereits von ikren Rossen gestiegen. Eine jugendlick sckone Gestalt, auf vollen Locken den griinen goldbordirten Turban, um den Hals die sckwere goldene Kette, kalt mit der Linken seinen Purpurmantel zusammen und in der Reckten eine Yase. So sckreitet dieser Herrscker zu dem Kinde der Yerkeissung keran. Kaker stekt sckon der mokrenfarbige Konig, iiberreick mit Edelsteinen, Okr- ringen und Ketten gesckmiickt, mit griinem Mantel, weissem Turban und weissem Unterkleid. In der Reckten kat er die goldene Sckale. Er wendet sick dem kommenden jungen Konig zu und mackt mit der linken Hand eine Bewegung, die so zart und deutlick freudige UeberrasOkung vereint mit ekrfurckts- voller Zuriickkaltung ausdriickt. Der alteste der drei Konige mit dem Hermelin iiber gelbbraunlickem Wamms ist zuerst vor dem Ckristkinde niedergekniet ; die Linke in Demutk und Yerekrung auf die Brust gelegt, die Reckte nack dem Fiisscken des Kindes ausgestreckt, auf das er seine Lippen driickt. Der 174 kleine Heiland aber hat, betrofFen und verlegen, kindlich imbe- holfen seine Hand zum Segnen erhoben und wendet sich wie fragend zu der Mutter, in deren Schoose er sitzt und der er bereits das Greschenk des Konigs eingehandigt hat. Diese Madonna aber ist wohl die lieblichste, reizendste, holdeste der Frauen, die Soddoina jemals gemalt hat. Ihr ganzes Wesen strahlt von himmlischer Schonheit, Anmuth und Reinheit. "Wie inimer ist sie mit rotliem Untergewand und blauein Mantel bekleidet. Dichte goldblonde Locken fallen um das edle Haupt. Hen linken Fuss ein wenig zuriickgezogen sitzt sie so naturlich als anspruchslos da: nicht um ihretwillen erscheint sie ja; nur fiir den Gottessohn in ihrem Schoose hat sie ihr Dasein. Her Nahrvater Joseph zur Linken mit dem Stab in der Hand ist im Begriff, stillbescheiden bei Seite zu treten und wendet nur noch einmal ruhig gelassen sein Haupt nach dem wundersamen Yorgange um. Hicht hinter ihm ist seine Hiitte mit Ochs und Esel : altes Mauerwerk einer Huine, iiber das ein Hach gelegt ist, das von ein paar Baumstammen davor getragen wird. Zwischen dieser nun hat ein anderer Mann neugierig den Kopf vorgestreckt. „Man glaubt wirklich er lebt,“ sagt Yasari. Und diesmal kann sich Yasari gar nicht genug daniit thun, das ganze Werk Soddomas zu loben. Hie Yorziiglichkeit der Pferde und den einen der drei Konige hebt er noch besonders hervor. Hie Zeichnung ist wie immer ge- radezu tadellos zu nennen, aber was besonders auffallt, ist diesmal die vorziigliche Farbung des Staffeleibildes. Sie hat wenig Oder nichts verloren, und beweisst, dass es nur auf Soddomas Willen ankam, wenn auch seine Oelfarben Soliditat und Hauer haben sollten. Has Bild ist im Yerhaltniss zu seiner Hohe sehr schmal: es ist in die Hohe und nicht in die Breite componirt. Ein kiihner Gedanke des Kiinstlers: diese Konige, , dies berittene Gefolge, diesen Tross, den ganzen langen Zug steil von oben herab gerade auf uns zukommen zu lassen. Wohl entsteht dadurch im Yordergnmd ein Gedrange, eine gewisse Ueberfiillung: allein nur so konnte uns der Meister mit einem Male ein Hochstes von Prunk und Glanz und Herrlich- 175 keit vor die Augen treten kssen, das aus der Holie in die Tiefe gekommen lauter Demutli, Ehrfurcht und Anbetung wird : bier Yor dieser Hiitte, angeklebt an Ruinen, iiber der der Wunder- stern des Himmels strahlt, bier vor der Madonna mit dem Cbristkinde, die in jungfraulicber Holdseligkeit, eine Lilie des Paradieses, berrlicber ist als alle Salomoniscbe Konigspracbt. Yasari riibmt als sebr scbon eine Greburt der Maria, die auf dem Altar der Kapelle neben dem Cbor von del Carmine stand. Icb babe dieses Bild nicbt geseben und weiss nicbt, ob es iiberbaupt nocb existirt. Unterbalb der Kircbe San Agostino, in der sicb die An- betiing der Konige befindet, batte die Briiderscbaft vom beiligen Kreuze eine Kapelle, in welcber Soddoma und sein Scbwieger- sobn Riccio ein Malerkunststiick macbten und Presken bei Lampenlicht ausfiihrten. Aus einer historischen Kotiz des alten Sieneser Cbronisten dieser Zeit entnehmen wir, dass sie an der AYand hinter dem Altar die "Wiederfindung des beiligen Kreuzes zur Zeit Constantins des Grossen dargestellt batten, und dass die Kaiserin Helena und die Frauen ibres Gefolges Portrait- figuren der secbs Tocbter Pandulfo Petruccis waren. Leider ist dieses Werk langst zerstort. An anderen Wanden war das Leiden Christi vergegenwartigt , und von diesen Presken sind wenigstens einige Triimmer auf uns gekommen. Eine Kreuz- tragung, die dazu gehorte, ist jetzt in der linken Wand der Kircbe eingelassen, v/elcbe mit dem ebemaligen Kloster Sant Eugenio, dem beutigen Landgut Griccioli, eine Stunde von Siena, in Yerbindung stebt. Has Bild zeigt viel Leben, aber aucb eine gewisse Robbeit der Auffassung und Bebandlung. Im dicbten Gedrange des Zuges tragt Cbristus auf seinen Scbultern das Kreuz ; um seinen Hals ist ein Strick gescblungen, und ein Ebieger treibt den Todesmatten mit seiner Lanze vorwarts. Simon von Cyrene, der das vordere Ende des Kreuzes aufgenommen bat, ist eine widerlicb naturalistiscb derbe Figur. — Zwei andere Stiicke, die von den Wanden jener unter- irdischen Kapelle abgesagt wurden, baben die Herren Griccioli und Bandini der Academie in Siena gescbenkt. Auf dem 176 einen ist das Gebet Christi im Garten von Gethsemane. Die Arbeit kann kaum nachlassiger gedacht werden. Yon Yor- zeichnung bemerkt man kaum eine Spur: man meint eine vollkommene Improvisation vor sich zu baben. Trotzdem hat der Meister mit seiner pracisen Einbildungskraft und seinem unvergleichlichen Formengedachtniss die drei schlafenden Jiinger wie den Erloser selbst wahr und sicher gezeichnet. Die Cha- rakteristik zeigt Yerstandniss und Empfindung. Johannes ist von jungfrMicher Milde , schwarmerisch und sanft. In dem Antlitz des Erlosers spricht sich die ganze Klarheit eines heiligen, aber schmerzvollen Entschlusses aus : ihn bewegt kein Leid, er fiihlt nur Mitleid mit dem Bosen und dem Ungliick dieser Welt. — Das zweite Stuck, Christus in der Unterwelt, ist in Composition und Farbe schwerfallig und herbe. Aber Eva, die ewig junge Mutter unseres Geschlechtes , reizt uhs auch hier durch ihre Schonheit. Die letzte Arbeit aus Soddomas bester Zeit, ein Fresko im Secretariat des Rathhauses von Siena, entstand im Jahre 1537. Es ist eine thronende Madonna. Das Christkind hat die Hand zum Segnen erhoben, aber schaut nieder auf den kleinen Johan- nes 5 der ihm ein Kreuzchen hinhalt. Hinter der Madonna, die wehmiithig auf die beiden Kleinen schaut, sind rechts und links die beiden Heiligen Galgano und Ansano. Das ernste, schone Bild hat auch eine al fresko gemalte Umrahmung : an beiden Seiten einfache gelbe Streifen, oben aber — als ob dort das Gemalde von der Wand abstiinde — hangt eine Draperie heriiber und herab. Wer bei Betrachtung dieses Bildes an gleichzeitige Werke der romischen und Florentiner Schule denkt, der wird sich doppelt des Meisters erfreuen, welcher unbeirrt von Schulen und Doctrinen aus dem lauteren Urquell der Katur schopfte, welcher jede Phrase, jede auf- genothigte fremde Idee verschmahte und nur seinem eigenen dichterischen Genius folgte. Darum zahlen seine Schopfungen auch immerfort zu denen, die nie ihren Reiz verlieren und stets zu unserem Herzen sprechen. 177 Sellings. Letzte Lebensjahre. PaccMa war 1533 nach Frankreich gefloken und ist dort yerschollen. Pacchiarotti betheiligte sick 1539 wieder bei einem Tumulte, wurde zur Strafe ausgewiesen, durfte auf Bitten seiner Frau 1540 auf sein Landgut zuriickkehren und ver- sekwindet seit der Zeit aus der Gresckickte. So endeten die beiden Politiker unter den Malern Sienas. Beccafumi lebte bis an seinen Tod still fiir sick kin seiner Arbeit und seinen Studien. Mcht seine Leistungen, aber sein Fleiss und sein Streben yerdienen immer das Lob, das ikm Vasari reichlick spendet. Memand wird die abgewogene und iiberlegte An- ordnung seiner Compositionen, sein Talent im Zeichnen, seine gewissenkafte Tecknik yerkennen; allein sein affectirtes Wesen, seine gesuckte pedantiseke Sckulmanier, sein berecknetes kaltes Colorit, seine erdackten aber nicht empfundenen Gestaltungen konnen den Beschauer nie einnekmen, nie gewinnen und be- geistern. Er war ein tiichtiges Talent. In seinen Werken ist yiel Yerstand, aber wenig Geist, yiel „Stimmung“, aber wenig tiefes Gefilkl. Was er yon angeborener Originalitat be- sass, gab er an die Theorien und Dogmen seiner Zeit kin. In unseren Tagen ware er das Muster eines Academikers geworden. Und wie es so oft mit Professorenweiskeit ge- sekiekt, so wurde Beccafumi seiner Zeit yiel gesuckt und yiel bewundert, und fand dock immer, dass er nie ganz yerstanden und nie genug gewiirdigt wurde. An yielen Stellen Italiens bis nack Genua kin ist er tkatig gewesen. In Siena selbst feklte es ikm nie an Arbeit; und die Cartons zum Payiment des Domes erreicken zwar die einfack grossen alten Arbeiten keines- wegs, sind jedock okne Zweifel das Erfreulickste , was er ge- sckalfen kat. Soddoma bewakrte sick in jeder Hinsickt als Jansen, Soddoma. 12 178 sein Gegentheil. Er war durcli und durch Natur, Urspriing- lichkeit imd TJnmittelbarkeit ; ein bodenlos leichtsinniger Cha- rakter, aber ein gltihendes, tief empfindendes Dichtergemiith ; ein schopferisch begabtes Talent, aber oline Anlage zu ernster, strenger Arbeit. ISTachtwandleriscb geheimnissvoll erscheint dieser Kiinstler auf den schwierigsten Babnen , und erwacbend oder von Anderen angerufen, stiirzt er aus seinen Hohen und stromt seine Krafte in vollem sinnlichen Lebensgenusse aus, bis er plotz- licb wieder zu ganz wunderbaren Leistungen sicht erhebt. Sehr passendhat man das Wort Senecas auf ihn angewandt, dass nocli kein Genie ohne eine Art Hinneigung zum Wahnsinn existirte. Me hat ein Menscli seinen Launen grossere Freiheit gelassen und genoinmen, nie ein Kiinstler unbefangener seinem Genius gelebt. Freilich hat das auf dieser Erde auch seine bedenklichen Seiten. Soddoma, der sich keiner Kunstschule anschloss und aueh keine eigene begriindete, vorhandenen allgemeinen Kich- tungen fern blieb und eine eigene nicht anbahnte, ein solcher Kiinstler musste in die gefahrliche Stellung der Yereinsamung gerathen. Er kiimmerte sich wenig um Andere, aber die An- deren noch weniger um ihn. Man findet nirgends, dass seine grossen Zeitgenossen irgendwelche Kiicksicht auf ihn, irgend- welche Kotiz von ihm nahmen. Die Kiinstlerrepublik vertragt so wenig, als die der Gelehrten, jene Absonderung von der Gemeinschaft , die entweder auf Eitelkeit oder auf Gleichgil- . tigkeit beruht. Die Kunst, die ein Ganzes ist, die eine Auf- gabe der Zeit als Gesammtheit zu losen hat, lasst ungestraft Niemanden seine Privatwege ziehen. Soddoma wirkte desshalb nicht, wie er wirken konnte, und gait desshalb nicht, was er werth war. Wagte er nun iiberdies gleichgiltig gegen Ehre und Nachruhm zu sein, so rachte sich auch dafiir das Geschick an ihm: seine Werke sind niemals allgemein bekannt geworden. In anderer Weise biisste er als Mensch. Von Heimath und Familie loste er sich friihzeitig los. In der Lehre fand er an Spanzotti nur den Handwerksmeister, der ihm entfernt nicht werden kcniite, was Francisco Squarcione dem Mantegna, was Verrocchio dem Leonardo war und Perugino dem Eafael wurde. 179 Herzens- und Freundschaftsbeziehungeii sind zwiochen Meister und Lehrling nicbt geschlossen. Leonardo, Pinturicchio, Perugino libten grossen Einfluss auf Griovannantonio aus : aber personlicb vertraut wurde er mit Keinem. In Rom kommt er in die Rabe Micbel Angelos und Rafaels : indem er zu keinem von beiden weder in Liebe noch in Hass seine Stellung nimmt, wird er beiden indifferent, und damit der Masse der Kiinstler und Kunstfreunde, ja der Entwicklung der Kunst iiberbaupt. Es kann nichts tborichter sein, als von einer Malerscbule zu reden, die Soddoma gegriindet babe. Er scbuf keine neue Ricbtung im Reicbe der Kunst, die nun ganze Greschlechter batten weiter verfolgen und ausbeuten miissen. Er stellte nicbt, wie Leonardo und Perugino, wie Rafael und Micbel Angelo, feste, bestimmte, gattungsartige Kunsttypen auf, in denen eine ganze Zeit ibre Ideale siebt und welcbe von Scbiilern und Nacb- abmern wie allgemein-giltige Kormen und For men immer wieder reproducirt werden konnen. Er erfand keine neue Tecb- nik oder besondere Gebeimnisse und Kunstgriffe, die nur bei ibm zu lernen gewesen waien und die dann aucb in den Werken Anderer immerfort als seine Eigenthumlicbkeiten batten angesprocben werden mussen. ^ Scbiiler, die niemals selber Meister werden, baben fiir die Kuiistgescbicbte immer nur einen sebr zweideutigen oder gar keinen "Wertb. Alleiu ibre "Werke sind wenigstens in dem einen Falle unentbehrlicb, wo sie Ausfiibrungen vonideen des Meisters oder Copien von ver- lorenen Arbeiten desselben sind. Mcht einmal Herartiges baben wir bei denen zu sucben, welcbe von Soddoma das Malen lernten. Mcbt ein einziges acbtes Talent war imter ilinen. Lorenzo, genannt Rustico, ein sebr hasslicber, aber geistreicber und liebenswiirdiger Menscb, fertigte docb nur mittelmassige Sacben. Girolamo de Magagni, welcher Giomo del Soddoma ge- nannt wurde, ist ein recbt stiimperbafter Kacbabmer seines Meisters. An der unerqiiicklicb kalten, reizlos eintonigenFarben- gebung Riccios erkennt Memand, dass er ein Scbiiler Soddomas war. Ein inniges personlicbes Verbaltniss zwiscben beiden darf man nicbt daraus scbliessen wollen, dass Riccio die Tocbter 180 seines Meisters heirathete. Soddoma ging niemals ganz in seiner Kunst auf. Sie zu lehren , sie zu pflegen , fiir sie mit Hingabe und Selbstverleugnung ein neues Grescblecht zu unter- weisen und zu erziehen, fiel ihm nocb yiel weniger ein. Der- jenige, der keinen Begriff von den idealen ethiscben Gemein- schaften des Staates und der Familie hatte, hat auch die Noth- wendigkeit eines Bandes zwischen Meister und Scbiiler, zwischen dem Gewordenen und dem Strebenden, zwischen dem Lehrer und Lernenden niemals in seinem Leben gefiihlt. Den Menschen, die ihm gefielen, mit denen er lebte und das Leben genoss, gehorte er ganz. Man meinte, er wiirde sich nie wieder von ihnen trennen konnen, und doch wechselte sein Umgang eben so oft, als Ort und Gelegenheit. Nicht dass er wankelmiithig oder untreu gewesen ware ; im Gegentheil. Aber sein Leben ging immer in der Gegenwart auf: seine Freunde waren ihm immer nur die Genossen des Momentes, und er selbst wollte auch ihnen nie etwas Anderes sein. Schwarme- rische, weiche Naturen vertraumen sich wohl in der Erinnerung an die Yergangenheit , Energischstrebende drangen ruhelos vorw^arts weiter in die Zukunft, w^o immer ihre Gedanken und ihre Ziele vor ihnen sind und vor ihnen forteilen. Beide geben sich der reinen Idee hin , verlieren sich auch wohl in dem tauschenden Scheme eines Unverganglichen und Yollkom- menen. Soddoma hatte mit keinem von beiden etwas gemein. Seine Art zu existiren hat etwas Zeitloses, nicht wie die der Gotter, sondern eher wie die der Pflanzen, die keine Erinne- rung an die Yergangenheit fesselt und kein Wille in die Zukunft fortreisst. Soddoma liebte die Welt und die Menschen, aber die Bande schoner oder strenger Pflichten kannte er nicht. Er war gewiss ein recht guter Gatte und Yater, aber Weib und Kind durften ihn nur nicht geniren wollen, oder es war um seine entziickende Laune gethan. Fiir sie wie fiir seine Freunde wollte er immer nur der beste Gesellschafter unter der Sonne sein. Allein Alles, Avas ihn draussen sehr liebenswiirdig machen konnte, konnte ihn daheim recht un- vortheilhaft und unausstehlich erscheinen lassen. Das zer- 181 streute Wirthshaus- und Strassenleben mit all seinen geist- reichen oder tollen Ausschweifungen mocliten andere Leute ertraglich, ja ergotzend finden; Frau und Kinder empfanden es oft mit Angst und Verzweiflung. Hatte doch selbst eine Xantippe nicht ganz Unrecht, Socrates etwas weniger als Phi- losoph und etwas melir als Ehegatten zu beurtheilen. Dem Kiinstler offneten sicli auch die bochsten und vornehmsten Kreise der Gesellscbaft, aber nur fiir seine Person, niemals zugleich fiir seine Frau, die an ihr Haus und ihre niedere enge Sphare gebunden blieb. Die Maitresse eines Kiinstlers war fiir die elegante Welt weit eber nocb ein Gegenstand des Interesses als seine Frau. Micbel Angelo und Eafael bielten sicb von dem ebelicben Jocbe frei; Albrecbt Diirer ertrug es mit Scbmerz und Qual, der jiingere Hans Holbein befand sicb am woblsten, als zwiscben ibm und seiner Frau die ganze Entfernung von London bis nacb Basel lag. Soddoma besass in Beatrice eine ausgezeicbnete Gattin, die ibr Hauswesen gut im Stande bielt, die Tocbter brav erzog und in der Stadt bocbgeacbtet war. Wir boren nicbt, dass er dessbalb irgend welcbe Biicksicbt auf sie nabm. Jabre lang war er wiederbolt von Siena fern und liess sie dann gleicbgiltig allein. Eine Ein- wirkung auf seinen Charakter vermochte sie schwerlicb aus- zuiiben , jeder blose Yersuch dazu verwandelte sicb obne Zweifel in eine unerquicklicbe bauslicbe Scene. Es tbut web, ein bartes Wort auszusprecben, aber vielleicbt darfman von Soddoma sagen, dass er die Pflicbten der Liebe und Dankbarkeit nie gekannt und nie geiibt hat: weder gegen seine Frau, die ihn mit zarter Schonung, mit Geduld, zuletzt mit Aufopferung durch das Leben begleitete, nocb aucb gegen die Stadt Siena, die ibn mit den ehrenvollsten Auftragen iiberbaufte, die seinem Bubme Alles verzieh, die sicb wie von einem verzogenen Lieb- ling Alles bieten liess und ibm immer wieder von neuem alle Huld und Gunst erzeigte. Sie sollte recht unangenebm er- fabren, wie wenig sie sicb den Maler Soddoma zu eigen und geborsamst ergeben gemacht batte. Am 6. Marz 1537 verpflichtet sicb Soddoma, die Kapelle 182 am Kathhausthurm al fresco zu malen, welche in der Pest 1348 gelobt, dann 13/6 gebaut und 1460 von Pederighi mit einer neuen Renaissancebedacliung versehen worden war. Wie der Brimnen Giacomo della Quercias oben am Markte, so gait an der unteren Seite desselben diese Kapelle fiir ein Kleinod der Stadt, das sie hoch und wertli hielt. Der Preis, der dem Kilnstler versproclien wurde, war nicht unerheblich, und fiinfzelin Scudi erhielt er gleich vorausbezahlt. Die Kapelle ist eigentlich nur eine pfeilergetragene Loggia, und bot also bios die einzige Kiickenwand dem Kiinstler zur Aussclimuckung dar. Er konnte bald damit fertig werden und maclite sich auch ohne Yerzug ans Werk. Allein mitten in der Arbeit borte er wieder auf, Hess Alles liegen und stehen und folgte einer Einladung des Fiirsten Jacob Y., der ihn zu sich nach Piombino rief. Jacopo d’Appiano aus vornehmem Pisaner Geschlechte hatte im vierzehnten Jahrhundert die Herrschaft Piombino gegriindet und konnte sie sterbend 1399 seiner Familie als erbliches Furstenthum hinterlassen. Cesare Borgia riss 1501 Piombino und Elba an sich, Jacob lY. floh nach Frankreich und gelangte erst nach dem Tode Papst Alexanders YI. in- den Besitz seiner Macht zuriick. Den 5. April 1511 folgte bei seinem Absterben sein Sohn Jacob Y. in der Kegierung des kleinen Landes. Wiederholte vornehme eheliche Yerbindungen brachten ihn den beriihmtesten Familien nahe. Seine erste Frau, die bei der Geburt des ersten Kindes starb, war eine Prinzessin von Saleina aus koniglich aragonesischem Blute und eine Yerwandte Ferdinands des Katholischen. Seine drei anderen Frauen, eine Bidolfi, eine Medici und eine Salviati, waren alle drei Nichten Leos X. An den wissenschaftlichen und kiinstler is chen Interessen seiner Zeit nahm er regen und ver- stan digen Antheil. "Wenn Piombino zu Zeiten nicht einsam und unbekannt in der Welt lag, hat es das jedesmal seinen kleinen Filrstenhofen zu verdanken gehabt. Der Reiz eines vornehm- gebildeten heiteren Lebens zog im sechszehnten Jahrhundert auch von dort aus manchen Fremden an. Jacob Y. verstand 183 sich auf Welt und Leute, auf Kunst und Kiinstler und wusste durch Wohlwollen zii gewinnen. Freundschaftsbiindnisse , die trotz der Kleinheit der Verhaltnisse doch mit dem ganzen Formelwesen politischer Tractate auftraten, verkniipften sein Haus schon langst mit der Republik Siena. Mit dem Adel dieser Stadt hatte er mannigfaclie personliche Beziehungen. Wann und wie er den Maler Soddoma kennen lernte, wissen wir nicht. Aber er hatte eine grosse Meinung yon dessen Talent und gewann sein Wesen lieb. Der Fiirst erregt unser Interesse und man bedauert, im Archive des Fiirsten Buoncompagni-Piombino in Rom nur sehr sparliche handschriftliche Notizen iiber ihn zu finden. Der Ritter Soddoma kam 1537 an seinen Hof. Erst von seiner vierten Gremahlin Elena de’ Salviati hatte Jacob Y. 1530 einen Sohn und Erben seiner Macht erhalten. Dem Fiirsten und der Fiirstin wie dem siebenjahrigen Prinzen ward der geistreiche Kiinstler und lustige Mann sehr bald zur unentbehrlichen Ge- sellschaft. Man iiberhaufte ihn mit Geschenken und Gunst- bezeugungen; man schmeichelte seinen bizarren Neigungen. Jagden und kleine Ausfliige, Gesellschaften zu Fuss und zu Pferde fehlten nie. Kebenbei konnte auch hier Soddoma eine „ Arche Koah‘‘ um sich sammeln. Allerlei drolliges Gethier wurde ihm geschenkt, und der Fiirst liess ihm sogar muntere Ponis von Elba kommen. Aber man meine ja nicht, dass er die allerunterthanigste Ergebenheit eines Hofmalers, die Willen- losigkeit eines allezeit bereiten Hofnarren besessen hatte. Sod- xloma ist iiberall einer der personlich freiesten Menschen, die es je gegeben hat. Wo die Welt nicht nach seinem Sinne war, wandte er ihr ungescheut den Riicken. Weder den Fiirsten noch den Republiken unterwarf er sich, und nach keines anderen Menschen Sinne hat er den seinigen umgemodelt. Die Noth konnte ihn zur Arbeit zwingen ; zur Unterwiirfigkeit und Selbst- verleugnung hat sie ihn nie gebracht. Wie in Rom bei Agostino Chigi lebte er in Piombino bei Jacopo d’Appiano als Freund des Hauses und als absoluter Herr seiner selbst. Die Sienesen aber murrten dariiber, dass ihr verwohnter Liebling der Heim- 184 kelir vergass und dass die lieilige Kapelle am Markt vorAller* Augen unvollendet dastelien blieb. Diesmal war Soddoma durcb einen Contract nacb Eeclit und Gresetz seiner Stadt verpflichtet, und sie bescbloss, jedes Mittel anzuwenden, um seiner wieder babhaft zu werden. Der Briefwechsel, der sich dessbalb entspann, ist zum Gliick nocb vorbanden und in Milanesis Documenten abgedruckt. Die Gesinnung der Ee- publik und des Fiirsten sowie das Benebmen des Kiinstlers ofFenbaren sicb anscbaulicb darin. Am 16. April 1538 scbrieb die Beborde YOn Siena zuerst an Soddoma in Piombino: „Edelmutbiger Eitter! Du weisst, es scbickt sicb fiir einen braven Maler, auf dass seine Tiicbtigkeit einem Jeden in gleicber Weise kund werde, nicht allein ein scbones Werk zu be- ginnen, sondern dasselbe auch so scbnell und solcber Gestalt zu Ende zu fiihren, dass Alle gerechte Ursachen haben, darob zu erstaunen. Und da Du nun, wie es Dir bewusst ist, in unserer Marktkapelle etwas angefangen hast, uns aber miss- fallig ist, dieselbe unfertig zu sehen, so wirst Du nicht ermangeln, allweil die Zeit dazu angethan ist, angesicbts dieses unyer- ziiglich zu erscheinen und die begonnene Arbeit zu vollenden. Hiermit wirst Du Deine Schuldigkeit thun, denn Du bast Dicb dazu verpflichtet und solltest der Uebereinkunft gemass mit Deiner Sacbe schon zu Stande sein. Uns wirst Du dann nacb Wunsch bandeln. Anderenfalls , werden wir nacb Eecbt und Gesetz vorgeben.“ Der Eitter zeigte dies Scbreiben seinem Eiirsten. Dieser aber wandte sich sogleich an die Signoria von Siena und er- sucbte sie, ibm den Maler nocb fur den Monat Mai wenigstens zu iiberlassen. Darauf erwiederten die Herren der Eepublik: „Dem gerechten Verlangen Euerer Herrlicbkeit konnen wir uns auf keine Weise entzieben, da wir Hochderselben Nutzen und Ehre nicht weniger als unsere eigene im Auge baben. Bediene sich also Euere Herrlicbkeit nacb Bequem- licbkeit des Eitters Sodom fiir den Monat Mai ganz wie Hoch- dieselbe begehrt und sende uns denselben nur nacbher zuriick, damit er bier Angefangenes vollende, was sclion seit Monaten 185 hatte Yollendet sein miissen. Falls aber genannter Fitter seine Scbuldigkeit nicbt thut, so werden wir gerechten Grund baben, uns iiber ilm zu beklagen und gegen ihii Yorzugehen, wie es Recbt und Billigkeit erbeisclien. Euere Herrlichkeit, der wir uns zu Diensten erbieten, segne Gott.“ Aber der ganze Mai Yerging und die Halfte Juni dazu, und wer nicbt in Siena ankam, war Soddoma. Die Hochlob- lichen und Selirgestrengen der Stadt waren entrtistet und Hessen sich am 17. Juni also gegen den Maler Yernehmen: „Auf Yiele Worte w'ollen wir uns nicbt einlassen, um Dicb an die Pflicbt zu erinnern, die Dicb uns gegeniiber in Betreff der Kapelle bindet. Du bast sie unfertig gelassen. Und weil nun scbon seit geraumen Tagen die Frist Yerstricben ist, die ^Yir Dir zur Befriedigung des Fiirsten eingeraumt baben, so wisse, dass wir jetzt obne Weiteres unserem gegen- -seitigen Contract entsprecbend, unser Eecbt Yerfolgen werden. Besorg Deine Sacben und macb auf das Scbleunigste , dass wir uns Deiner zu loben baben. Denn es wird uns web tbun, Dir unsern Entscbluss merken zu lassen, dessen Folgen einzig und allein Deine Schuld sein werden. “ Und um ganz sicher zu geben, scbrieb die Signoria gleicbzeitig aucb an den Fiirsten: „ Euere Herrlicbkeit entsinnen sicb, dass Sie Yor einiger Zeit darum nacbsucbte, sicb des Ritters Sodom zu Ibren Auf- tragen bedienen zu konnen, und dass wir, um freundlich zu 'VYillen zu sein, kein Bedenken trugen, uns selbst zu incom- modiren und den erbetenen Urlaub fiir Monat Mai zu bewilligen. Euere Herrlicbkeit Yerspracb aus eigenem Entschlusse, dass Sie nach Ablauf dieser Zeit uns den Kiinstler zuriickschicken wiirde. Sie ist langst abgelaufen, und aucb uns diinkt es nicbt unan- gemessen, ein angefangenes Werk Yollendet zu seben. Darum erwarteten wir die Zuriicksendung des Ritters you Seiten Euerer Herrlichkeit. "Weil dies bis jetzt nicbt erfolgtist, baben wu’ fur gut gebalten, Euerer Herrlicbkeit unseren Sinn dariiber zu offenbaren und Hochderselben zu wiederholen, dass wir ge- zwungen sein werden, gegen den Ritter kraft des mit ibm 186 geschlossenen Yertrages vorziigehen. ^Yir halten uns ver- sichert, Eiiere Heriiichkeit werde nicht weniger thun, als wir vorkommenden Falles fiir Hochdieselbe thun wiirden. Gott segne Euere Herrlichkeit. “ Aiif diese beiden Briefe erhielten die Herren von Siena weder vom Ritter noch vom Fiirsten eine Antwort. Bereits am 3. Julius ausserten sie dem Fiirsten ihr grosses* Erstaunen dariiber. „Der Ritter ist nicht zuriickgekehrt und Euere Herrlich- keit hat uns mit keiner Sylbe geantwortet. Wir wiirden uns dess hochlich verwundern, wenn,wir sicher waren, dass unser Schreiben zu Hochderselben Handen gekommen ist, da wir Hochdieselbe toll Courtoisie und Freundschaft gegen uns kennen. Allein da wir uns dess fiir gewiss halten, dass Euere Herrlichkeit unseren Brief nicht erhalten hat, so wollten wir bios daran erinnern, dass der Termin langst verflossen ist, bis zu dem uns Hochdieselbe den Ritter zuriickschicken wollte. Wenn Hochdieselben denselben unverziiglich heimkehren lassen wird, so wird Hochdieselbe das thun, was sich gebiihrt und wir werden uns nicht iiber Sie zu beklagen haben.“ Diese Entschiedenheit verfehlte ihre Wirkung nicht, und am 13. August beAvog der Fiirst den Maler zur Riickkehr nacli Siena und gab ihm folgendes Schreiben mit: „Grossmachtige und erhabene Herren, hochzuverehrende Gonner! Es unterliegt keinem Zweifel, , dass sowohl das innige Verlangen des Ritters Soddoma, mir zu gefallen, als auch meine eigene Freude an der Ausfiihrung eines lange verheissenen Staffe- leigemaldes die Ursache waren, dass nicht sowohl iiber den Ritter als iiber mich, den Urheber des Yergehens, Euere Excellenzen etwas verwundert gewesen sind. Da ich nun in mir erwogen und erkannt habe, dass ich an dem Irrthum in gewissem Sinne die Mitschuld trage, vornamlich weil das Unrecht seiner Yer- saumniss ganz zu meinem Yortheil ausschlug, so bekenne ich freimiithig, dass fiir diesen Fall meine Person gegen Hoch- dieselben die Yerpflichtung und die Belastung zu tragen hat. Ich behaupte dies um so entschiedener , weil von Seiten des 187 Kiinstlers der Feliler gerade diirch die iimere Natur des Kiinstlers entschuldigt wird, der ja — wie das bei Dichtern so oft ge- schielit — von begeisterter Leidenschaft geleitet und beherrscht, selbst mit dem besten Willen von einem begonnenen Werke nicht wieder ablassen kann. Zudem babe ich, von der Lebens- walirheit seiner Scliopfungen gleichsam verblendet und bezaubert, unbedacht mir eine allzu grosse Freiheit Eueren Excellenzen gegeniiber genommen, so dass ich ihn nicht so zum Gehen antrieb, wie es nothig gewesen ware. Allein ich darf Hoch- dieselben versichern, er wird nun mit desto grosserem Eifer zu Ihrem Dienste sich stellen und wird jede Yersaumniss durch den Werth und die Yortrefflichkeit seiner Arbeit wieder gut machen. Desshalb und auch aus Liebe zu mir werden ihn Euere Excellenzen zufrieden und ohne jede Yerstimmung mit gnadigem Antlitz aufnehmen. Er ist dessen wiirdig durch seine Tiichtigkeit und seine treue Unterthanigkeit gegen Hoch- dieselben. End so empfehle ich ihn verdientermassen und als eine von mir innig geliebte Personlichkeit auf das Herz- lichste.“ So zeigt sich der Filrst als gewandten Diplomaten, der fein und geschickt mit einer republikanischen Behorde urn- zugehen verstand. Gleichzeitig aber bekundet er auch ein voiles Yerstandniss fiir Soddomas eigenthumiiche Kiinstler- natur. Mit einer besseren und schmeichelhafteren Empfehlung konnte Soddoma seine Biickreise nicht antreten. Unruhe uber den Empfang in Siena hat er sich sicher keinen Augenblick gemacht. Stolz auf seinen Gonner, gliicklich iiber alle Ehren und Auszeichnungen , kindlich vergniigt iiber die neuen Thiere, namentlich iiber die kleinen Pferde aus Elba, die er mit nach Hause bringen konnte : so kehrte er nach Siena zuriick, Seine Kapelle hat er dort in aller Eile fertig gemalt, und erhielt 1539 am 2. April 56 Goldgulden als Eest der Bezahlung ein- gehandigt. Am obern Theile der Wand, der spitzbogig ab- schliesst, thront Gott-Yater im Lichte. In der Linken halt er die Weltkugel, mit der erhobenen Kechten segnet er. Ueber 188 ilim schweben Amoretten, unten aber balten jugendlicbe Engel- gestalten den langen blauen Mantel, der vom Scboose nacb beiden Seiten binabwallt. Die Taube des beiligen Gieistes leitet niederwarts zn der sitzenden Madonna, liber deren Haupte zwei Engel einen Kranz balten und an deren Seiten links und recbts andere Engel bervortreten. Auf ibrem Scboose stebt das Cbristkind und setzt dem beiligen Victor den Kranz auf, binter welcbem S. Ansano, der Apostel Sienas, zum Yorscbein kommt. Auf der anderen Seite der Madonna entsprecben diesen beiden Heiligen zwei andere, ein Biscbof und Catba- rina von Siena. Zu den Fiissen der Letzteren wird der Kopf eines Engels sicbtbar, welcber, im Ausdruck an Correggios Jo in Berlin erinnernd, allzu sehr die nabe Yerwandtscbaft zwiscben bimmliscber Yerziickung und entzilckter Wollust zeigt. Ausserbalb der flacben Mscbe, welcbe die Madonna mit den genannten Heiligen umfasst, steben links und recbts nocb €inzelne Figuren, namentlicb S. Bernardino und S. Sebastiano. — Yasari tadelt das Kapellenfresko als oberflacblicbe , leicbt- fertige und leicbtsinnige Arbeit; und man findet nicbt, dass es jemals Lob erfabren batte. Im Jabre 1848 wurde das sebr zerstorte Bild restaurirt. Als Granzes wirkt es wenig erfreulicb. Kur in den Engelskopfcben zeigt sicb Soddomas unverwiistlicber Scbonbeitssinn und in der Erscbeinung Gott-Yaters die Hobeit seiner Yorstellungsweise. Der Maler batte keineswegs geleistet, was er leisten konnte, und somit keineswegs die Yerheissungen erfullt, die der Eiirst von Piombino in seinem Kamen gemacht batte. Si cor non orat, in vanum lingua laborat. Soddoma war sebr wenig mit seinem Herzen bei dieser Arbeit gewesen. Leicbtsinnig batte er sie 1537 unvollendet liegen lassen; und verstimmt dariiber, dass es in Siena langweiliger als in dem lustigen Piombino zuging, batte er sie- 1539 fertig gemacbt, bios um fertig zu sein, bios um eine Last vom Halse zu baben. Der Gedanke,' dass er dock an der Stadt ein grosses Unrecbt wieder auszugleicben batte , kam ihm gar nicbt in den Sinn: er argerte sicb vielmebr iiber die sebr gestrengen Ratbsberren, die sicb erlaubt batten, ibn in seinem Yergniigen am Piombiner 189 Fiirstenhofe so energisch zu storen. Er vergass alle LiebOy die er in Siena so reichlicli erfahren hatte und die er nie hatte vergessen sollen ; und er benahm sioh gerade da auf das Eiicksichtsloseste, wo er stets die schonendste ISTachsicbt erfahren hatte. Durch die Schonheit seiner Werke hatte er sich auch die Zuneigung seiner ernstesten Mitbiirger bis dahin noch immer gewonnen und erhalten. Selbst 1539 hatte er als Kiinstler wieder gut machen konnen, was er als Mensch ge- fehlt hatte. Man bedauert um seinetwillen , dass der "Willey dass das Grefuhl dafiir seinem "Wesen so fremd sein konnte. Anstatt zuversohnen, verletzte eryon neuem und so empfindlich, dass es ihm die bittersten Friichte trug. Sowie er aufhorte, der Stadt als Kiinstler Freude zu bereiten, fingen seine Mit- burger an, an seinem Leben Anstoss zu nehmen. Wir erfahren nicht wieder, dass er in Siena yon Behorden oder Priyatpersonen neue Auftrage erhielt. Wohl aber hat dort yon da an jener Unwillen iiber den lange yerwohnten Giinstling, jenes harte TJrtheil iiber seinen Charakter Raum gewonnen, das uns noch heute so grell und herbe aus Yasari entgegenklingt. Soddoma war doch schon zu alt geworden, als dass er die Liebe seiner Mitbiirger hatte noch einmal yerscherzen diirfen. Dem be- jahrten Manne yerzeiht man nicht mehr, was an dem Jiingling yielleicht noch reizend gefunden wird. Soddoma war geblieben, was er war. Aber die "Welt hatte sich doch sehr yerandert. Die harmlosen seligen Tage der Friihrenaissance waren nicht mehr. Das Leben hatte sich sehr ernst gestaltet. Die katholische Kirche zog sich in sich selbst zuriick, yersenkte sich wieder in ihr innerstes Princip, machte es yon neuem mit Leiden- schaft und Scharfe geltend und wurde jetzt in ihrer Yer- theidigung weit fanatischer, als sie es in den barbarischen Zeiten des Mittelalters bei ihren Eroberungen gewesen war. Sie war allerdings- in der grossten Gefahr. In den yierziger Jahren des sechszehnten Jahrhunderts kurz yor Luthers Tode kam die Reformation jenseits der Alpen auf den Hohepunkt ihrer ausseren Ausbreitung. Und schon ergriff ihr Geist Italien selbst. Gerade Siena, das den Deutschen so deutsch an- 190 muthet , wurde aucli fiir die italienische Reformation be- deutend. Die grossteii Namen der kirchliclien ^ Neueriing steben mit dieser Stadt in Yerbindung. Yor alien zuerst Fra Bernardino Occbino. Yon friih auf im Kloster, war er jenen iibertrieben strengen Uebungen ergeben, die so oft in den Mensclien ein iibertrieben stolzes Selbvertrauen hervorrufen. Zweimal hat er das Kloster verlassen, und zweimal ist er in dasselbe zuriickgekehrt. Erst Franiscaner und zuletzt Capii- ziner, wirkte er durcli sein ergreifendes, hinreissendes "Wort. 1536 und 1539 glanzte er als Fastenprediger InNeapel; 1538 wurde er durch Bembos Einfluss nach Yenedig berufen und 1540 trat er in Siena auf. Yolk und Fiirsten bewunderten die sittliclie Energie, die Reinheit des Cliarakters, die gliiliende Beredtsamkeit des Monches. Die Welt war ganz darnach an- gethan, dass der asketische Occbino inehr interessirte, als der sinnlicb heitere Soddoma, dass die mystiscbe Exaltation des Moncbes mehr Eindruck inachte, als die lichte Begeisterung des Malers. Die frohlichen Sienesen thaten Basse : die Advents- predigten Occbinos batten sie im Inner sten erschiittert. Als der kuhneMoncb nacb Yenedig ging, wo er an Bembo undAretino Yerebrer und an Paleario einen Freund und Gesinnungsgenossen fand, als er dort in demselben Jabre 1542, wo, wie man an- il immt, der letztere das Bucb von der Y^ohlthat Christi veroffent- lichte, seinen Kampf gegen die Kirche begann : da fand er scbon an den verscbiedensten Punkten Italiens lauten Anklang. Selbst Michel Angelos Freundin , die Marchese von Pescara Yittoria Colonna, stand den Mannern dieser Richtung nahe. Docb den grossten Erfolg batte Occbino in Siena. Die Sozzini, die eine universale Stellung in der Entwicklungsgeschichte der Religions- freihejit baben, sind sienesische Edelleute. Yom dortigenAdel waren auch nocb andere der neuen Sadie zugethan: Pecci, Cinuzzi, Euoninsegni und selbst ein Spannoccbi werden ge- nannt. Antonio dei Pagliarici wurde sogar als Yerfasser des Buches von der Woblthat Christi in Ansprucb genommen. Enter den Handwerkern aber begeisterten sicb nicbt wenige fiir die neue Lebre. Man kennt die kurze Rolle, die der 191 Keformation in Italien vergonnt war, imd das tragisclie Ge- scliick ihrer Vertreter. Allein mindestens eben so sehr, als die grosse katholische Keaction, beweist sie uns den Umschwung der Gerniither, der nach der Periode Leos X. erfolgt war, und der sich jetzt in Siena insbesondere so merkwiirdig offenbarte. Wir wdssen, wie die Lage der Dinge nicht nur einen Bembo, sondern sogar einen Aretino zur Kundgebung romiscb- katholischen Diensteifers bracbte. Soddoma war gegen kirch- liche Fragen genau so gleichgiltig, als gegen politische. Schmerz- licli empfand er weiter nichts, als dass es sicli in seinem spateren Alter auf der Erde entfernt nicht mehr so imbefangen liistig leben Hess, wie in seiner Jugend, und dass selbst die „tollen“ Sienesen auffallend gesetzte Leute und sonderbare Kopfhanger wurden. In der Kunst hatte sich eine frische sinnliche Leidenschaft bereits bei Correggio hinter eine affectirte religiose Schwar- merei versteckt. Die Florentiner und romischen Schulen malten das neue Pathos, mit dem sich die katholische Orthodoxie spreizte, und schon gab es Leute, die an den Werken eines Cola deir Amatrice und Marco Palmezzaro Gefallen fanden, die beide zwar unter sich yerschieden, aber doch beide roman- tisch fromm in der Weise des fiinfzehnten Jahrhunderts zu malen wagten. Xur Yenedig, das in der Politik und in der Kirche als freie und selbststandige Grossmacht handelte, das kirchlich oder politisch Yerfolgten eine Freistatt eroffnete, bildete auch in der Kunst eine Welt fiir sich. In Siena hatte man Jahrzehnte hindurch Soddomas Charak- ter um Soddomas Talentes willen Alles yerziehen. Die allgemeinen Griinde, die wir zuletzt erwahnten, machtendiebesondere Yeran- lassung, deren wir yorher gedachten, zueinerunsiihnbarenSchuld. Der Kiinstler hatte es mit Siena yerdorben, und eine Kiickkehr der alten freundlichen Beziehungen war nicht mehr zu er- warten. Beccafumi wurde jetzt unbedingt und allgemein iiber Soddoma gestellt. Jetzt stimmten die Sienesen den Akademi- kern und schulmassigen Aesthetikern yiel leichter als yordem bei, und es war ihnen nicht mehr so schwer wie sonst. 192 ' — seine Compositionen geistreich zii finden imd die „kuhnen Ver- kiirzimgen“, sowie die ^uberraschend modellirten Figuren“ zu bewundern, um derentwillen er mit Correggio verglicben wurde. Es gibt Naturen, die nur an ihrem Gegensatze erstarken, die nur an einem Widerstande ihre voile Kraft, ilir Leben, ihr ganzes Ich finden und aiisleben. Sie scheinen nur in demselben Grade wachsen und ihr Wesen bethatigen zu konnen, in welcliem ihre Gegensatze sich entwickeln. Sod- doma gehort nicht zu ihnen. Er spiirte nicht den gering- sten Drang, seine unmittelbar tiefe Empfindung und seine edle Lebenswahrheit gegen inoderne Stylisten und Raffinisten zur Geltung zu bringen. Es gibt Charaktere, die im Miss- geschick liebevoll und liebenswiirdig werden. Soddoma brauchte die ganze Warme und das ungetriibte Licht der Sonne des Gliickes, wenn er die Menschen bezaubern und entziicken sollte. Mcht sobald wandte sich die Stadt Siena kalt und murrisch verstimmt von ihm ab, als er auch schon sofort Jahrzehnte des Gliickes und der Gunst vergass, und sich unter seinen Mitbiirgern, sich am eigenen Herde fremd und ruhelos fiihlte» ^ Alls diesen driickendenYerhaltnissen riss sich 1540 der sechzig- jahrige Mann ohne Bedenken los und nahm noch einmal wie ein Jiingling den Elug ins unbestimmte Weite. Tadel und bittere Yorwiirfe wurden hinter ihm drein noch heftiger und lauter als zuvor, und Yasari wiederholte sie ohne das ge- ringste Wort der Milderung. Eine strenge historische Betrach- tung wird nichts beschonigen wollen, allein sie hat das Recht und die Pflicht, jeden Charakter nicht bios nach einer abstracten Moral, sondern auch nach seiner ^inneren Kothwendigkeit zu beurtheileA. Wer Mitgefiihl und Yerstandniss fiir unmittel- bare, unreflectirte , gleichsam organische Menschennaturen be- sitzt: der wird die geheimnissvollen schonen Aeusserungen ihres Genius mit Entziicken wahrnehmen, und er wird Schmerz und Mitleid empfinden, wenn sie Yerkehrtes und Ungliick- seliges beginnen. Soddomas kiinstlerische Erfolge sind nicht zugleich sittliche Errungenschaften. Der Padre della Yalle mochte sie freilich dazu machen und wendet auf Soddoma 193 sogar das Horazisclie sudayit et alsit an. Dass er geschwitzt und gefroren liat, wird Memand bezweifeln, aber wahrscbein- lich sebr wider seinen Willen, wie jeder Lazzaroni Neapels, imd niemals im Sinn des strebsamen Horaziscben Muster- schiilers. Soddoma hat am wenigsten beansprucht, dass man ihm Schonheiten seiner Bilder und Liebenswiirdigkeiten seiner Person als moralische Vorziige anrechne. Er hat aber auch alles Anrecht darauf, fiir das Gegentheil nicht kalt ver- urtheilt und verdammt zu werden. Um die Erziehung seiner Kinder und um die Verwaltung seines Hauswesens hat er sich nie bekiimmert, weil er sicherlich beides nicht verstand. Sein einziger Sohn war friihzeitig gestorben und seine Tochter in jungen Jahren mit dem Maler und Architekten Riccio vermahlt. An ihrem gliicklichen Eamilienleben erfreute sich Beatrice und erntete hier den Lohn fiir ihre treuen Mutter- sorgen, fiir die tilchtige Erziehung, die sie der Tochter ge- geben hatte. Yor materieller Noth schiitzte sie der Besitz, den sie von Hans aus mitgebracht hatte, und die Erwerbungen, die ihr Mann machte und die. er stets ihrer Obhut iiberliess. Wiederholt hat er sie Jahre lang in Siena allein gelassen; aber auch andere Kiinstler pflegten Weib und Kind nicht mit auf ihre Greschaftsreisen zu nehmen. Yon boswilligem Yerlassen kann da nicht die Rede sein. Wohl aber mogen wm glauben, dass der wunderliche Mann bei seinem Weg- gange 1540 erklarte, er werde nun fiir immer weggehen, er werde Siena mit sammt den Seinigen niemals wiedersehen. Das Gliick, das dem sechszigjahrigen Soddoma in Siena den Riicken gekehrt hatte, empfing ihn draussen wieder mit freundhchem Angesicht. In Yolterra nahm ihn der reiche und angesehene Lorenzo di Galeotto di Medici mit offenen Armen auf und gab ihm Wohnung in seinem Palaste. Hier malte er Phaetons Sturz vom Sonnenwagen, ein Bild, das wir schon anfiihrten, aber iiber dessen Yerbleib wir nichts wissen. Ya- sari tadelt das Werk als eine lotterige Arbeit. Dennoch ist der Yerlust desselben zu bedauern. War dem Kiinstler das 13 Jansen, Soddoma. 194 Thema gestellt worden, oder kam es aus seinem eigenen Sinn und aus personlicher Stimmung? In der Sacristei des Domes von Yolterra ist eine kleine, etwa zwei Fuss hohe Kreuzabnalime Soddomas. Am Kreuze lelinen zwei Leitern, auf denen die beiden Manner stehen, die den Leich- nam berabbringen. Johannes steht unten und halt die Fiisse. Die Leiter rechts wird von einem Diener gehalten, an der andern sind zwei Reiter im Gesprach. Unmittelbar vor ihnen ist Maria zusam- mengesunken zwischen ihren Frauen. Der landschaftliche Hin- tergrund ist mit feinem Gefiihl und sehr ansprechend behandelt. Yon Yolterra wanderte Soddoma vielleicht erst nach Gros- setto und dann nach Pisa. Battista del Cervelliera, der 1538 Beccafumi begiinstigt hatte, kam jetzt 1541 auch Soddoma wohlwollend entgegen und empfahl ihn angelegentlich dem Dombaumeister Bastiano della Sete. Durch diesen erhielt der Sienesische Kilnstler nicht unerhebliche Auftrage, und so ent- standen die Opferung Isaaks und die Grablegung Christi, die sich im Chore des Domes von Pisa befinden. Das erste Bild ist ein hohes Rechteck , das grossentheils von der Gestalt Abrahams eingenommen wird. Der gewaltige Mann tritt hier vor unsere Augen als der Heros des Gehor- sams und des. Glaubens. Er hatte schon das Schwert iiber dem nackten Knaben, hier rechts, auf dem Steinaltare zum Todesstreiche erhoben, als ihm von oben her der Engel Gottes in die Waffe fiel und ihn mit iiberirdischer Gewalt weg und herumwandte. Wie energisch-rasch , wie momentan ist diese Bewegung! Die weissen Locken am Scheitel, der lange voile Bart sind wie vom Winde seitwarts geweht. Der rechte Arm mit dem Schwerte ist noch iiber dem Haupte erhoben, aber horizontal, von rechts nach links, gleichsam mechanisch herum- gedreht und festgehalten von dem Himmelsboten , zu dem nun der Erzvater so erstaunt als ehrfiirchtig emporblickt. Der Knabe, knieend auf dem Altar, wendet den Kopf, den er eben zum Empfang des Todesstreiches geneigt hatte, iiberrascht, von einem Hoffnungsstrahle durchzuckt, nach dem wunder- baren Yorgange seitwarts herum. Links am Boden, von Dornen 195 umstrickt, erscheint der Widder. Bei ilim liegt das liellrotlie Gewand, das der Vater dem Sohne zuletzt abgezogeii und hinter sich geworfen hatte. Indem uns der Maler die liimm- lische Intervention bei dem grausen Acte darstellt, lasst er uns docli zugleich auf das deutlichste alles Yorhergegangene noch erkennen und das Kommende ahnen. Man fiihlt es, noch ein Augenblick, und der Yater wird den vom Altar herabgesprungenen Sohn an sein Herz driicken, und mit un- endliclier Freude und Dankbarkeit den Widder Jehova als Opfer darbringen. Die Charakteristik des Patriarchen ist vor- ziiglich. Er ist einfacli und schlicht und doch so majestatiscli und erhaben. Er ist in der That der Urvater des Moses und der Kichter, der Propheten und Konige. Weisheit und Kraft offenbart sich in dieser imposanten Erscheinung, aber anch Demuth und Ergebung in den Willen Jehovas. Das blaue Untergewand hater festgegiirtet ; der rothe Ueberwurf bedeckt die linke Schulter und ist unter der rechten in den breiten Gurt gesteckt, damit er die Bewegung nicht hindere und den rechten Arm ganz frei lasse. Sehr eigenthiimlich ist Farbe und Composition des Engels. Er schwebt nach vorn hernieder, die blonden Locken wallen zuriick; ein weisses Gewand flat- ter! liber seine Beine; die oben dunkelrothen Fliigel enden unten in blauen Farben*^ belles Licht umgibt sein ganzes Wesen, umstrahlt, von ihm ausgehend wie ein Heiligenschein das Haupt des Patriarchen und leuchtet noch in der Land- schaft wieder. — Links neben Abraham ist ein uralterBaum; seine Krone ist zerstort, und nur ein einziger Ast steigt in strotzender Kraft frisch griinend an seiner Seite aus ihm em- por. Dahinten in einiger Entfernung am Fusse des Hiigels Abrahams Knechte mit dem Esel, Um den Opfer altar auf der anderen Seite ist dichtes Gebiisch. Der Hintergrund, eine weite Ebene, wird von einem Strome durchzogen, der sich in das Meer ergiesst, das von Schiffen belebt, unsern Blick in ein Unendliches zu leiten scheint. Der Horizont ruht in lich- tem, rosafarbenem Tone auf ihm. Man meint die ernste, gross- artige Kiistenlandschaft von Pisa vor Augen zu haben, und 196 doch erscheint uns jener alte Stamm mit dem einen Ast sym- bolisch bedeutsam, und erinnert uns das Gestade an die Yer- heissung, welche Abraham erhielt, dass seine Nachkommen- schaft zahllos werden sollte, wie der Sand am Meere. Die Grablegung Christi ist in die Breite componirt. Yor die Grabeshohle in der Felswand, die dunkel und duster phan- tastisch den Mittelgrund des Bildes einnimmt und iiber der hinweg die Landschaft mit dem Calvarienberg und mit der Stadt in der Feme sichtbar werden, ist der Leichnam des Herrn gebracht werden, Eben ist man im Begriff, ihn auf- zunehmen und an seinen letzten Buheort zu bringen. Josef von Arimathia mit einem tiirkisch gekleideten Diener zur Seite steht hinter dem vor uns liegenden Leichnam und hat ihn mit beiden Armen unter den Schultern gefasst und aufgerichtet. Johannes, links zu Christi Haupten, schaut in das edle, liebe- milde Antlitz des Todten, wahrend er dessen rechten Arm in seinen Handen halt. Magdalena aber sitzt noch einmal zu den Fiissen des Herrn und driickt sie an ihr Herz, ihr Blick hinstarrend in dumpfem, verzweifeltem Schmerz. Hinter ihr zwei Diener erwarten die Weisung Josefs von Arimathia, der eine hat bereits den Zipfel des Linnentuches erfasst. Bei dieser Gruppirung der Personen kommt der Leichnam vollkommen frei in den Yorderraum des Bildes. Im Momente wird er fortgetragen werden. Maria hat ihm bereits den letzten Kuss auf die Stirne gedriickt. Hier links an s einem Haupte, ganz vorn ist sie zwischen ihren Frauen zusammengesunken , ihre Augen schmerzgebrochen. Die e‘ne der Frauen halt die Gottes- mutter unter den Armen; die andere aber, welche die linke Hand so riihrend auf die Brust legt, gibt mit der rechten den Freunden das Zeichen, die irdische Hiille des Erlosers jetzt in die Graft zu bringen. Wieder ist es die geistvolle, poetische Aiiffassung des Gegenstandes , die uns in beiden Bildern anzieht. Zeichnung und Composition haben "Wahrheit und Leben. Allein wir ver- missen den Keiz einer harmonischen Farbengebung. Manches mag die Zeit zerstort haben, allein auch darin ist dann die 197 unvorsiclitige, naclilassig gleicligiltige Behandlung des Kiinstlers nicht oliiie Schuld. Im zweiten Bilde wirkt grell mid hart das vorherrschende Both und Blau der Gewandung; der Mittelgmnd ist monoton schwarz dumpf verdunkelt, und um so unerquick- licher heben sich dann die gelhen Tone in Luft und Feme davon ah. Vasari, der in seinen Werken beweist, dass er sich griindlich auf eine feststehende sichere Farhung verstand, durfte in gerechten Unwillen und Tadel gegen Soddoma aus- brechen. Allein er hatte gar keinen Grund, Beccafumi iiber Alles zu erheben, dessen Arbeiten man gleichfalls im Chore des Domes von Pisa sehen kann und iiber die er diesmal sehr geschickt hinweggeht und noch geschickter den Maler selber sprechen lasst. Vasari stand mit ihm vor den Bildern und kritisirte wahrscheinlich die Werke des einen Sienesen mit Worten und die des andern mit Schweigen. Beccafumi ver- stand das bald und entschuldigte sich damit, dass er ausser- halb der Atmosphare von Siena nicht recht malen konne. Fern von dieser Stadt, so ausserte er sich, und von alien meinen gewohnten Bequemlichkeiten fiihle ich mich immer be- hindert und befangen und bekomme die Sachen nie so heraus, wie ich will. Als die Franzosen des ersten Kaiserreiches mit antik romischer Dreistigkeit die Kunstschatze Italiens pliinderten, liessen sie Beccafumis Bilder in Siena ruhig hangen, aber Sod- domas Abraham hielten sie fiir wiirdig, nach Paris geschickt zuwerden. Erst nach Napoleons Sturze ist er an seinen alten Ort zuriickgekommen. Die grossen Erwartungen, die sich der Dombaumeister Bastiano della Sete von Soddoma gemacht hatte, fand er frei- lich nicht bestatigt. Es war Wasser auf Vasaris Miihle, als er zu diesem einmal sagte: „Ich weiss nicht, Leute, die nicht bestandig weiter studiren, haben doch in ihrem Alter hoch- stens noch Tourniire und Manier, was schliesslich gar wenig zu loben ist, wahrend sie mit der Zeit Alles verloren, was sie in ihrer Jugend Tiichtiges besassen.‘‘ Das Urtheil war zum Mindesten recht wenig am Platze. Denn Beccafumi, der, als ewig strebsamer Schuler, alle Wandlungen der romischen — 198 Schiile aus clem Giiten ins Schlimme unci aus clem Schlimmen ins Sclilimmere durchgemaclit hatte, war in Pisa gerade mit den sclileclitesten Leistungen aufgetreten. Soddoma aberhatte nocli einen vollen reinen Haucli aus den Tagen der gol- den en Kenaissance bewalirt und sicli in seinen Schopfungen trotz alledem als geniale Kiinstlernatur erwiesen. Und so wurde denn an ihm niclit sowolil das getadelt, was zu tadeln war, als vielmelir der Fortscbritt mit der Mode vermisst, die in der Kunst ilire bedenkliclie Herrscliaft niclit am wenigsten iibt. Dass er sich clieser entzog, scliatzt gerade die Gegenwart an ihm, welche sein angeborenes freies Talent wieder unbefangen zu wiirdigen weiss. Ein Yorzugliches Altargemalcle fertigte Soddoma fiir die kleine gothisclie Kirche Santa Maria della Spina, die dort in Pisa so maleriscli an clem Uferrande cles Arno hervortritt. Gegen- wiirtig belindet sicli das Bilcl in der dortigen Stadtgallerie. Es ist eine Madonna mit Heiligen. Ein diinner Baum mit spar- liclier Krone erliebt sicli in der Mitte cles Bildes. Ueber ilim scliwebt ein Engel liervor, der in der Rechten einen Kranz und in der Linken ein Kreuz lieranzubringen sclieint. Das gottliclie Liclit, das ilin umgibt und von ilim weiter stralilt, gelit am tieferen Himmel in rotliliclie, clann in blaiie und in griinliclie Tone iiber, uni zuletzt in weissem Scliein am Horizonte zu zerfliessen. Vor clem sonderbaren Baum und unter clem Engel sitzt auf einfaclier Stein bank die Madonna mit clem Christkind. Der blaue Mantel iiber clem rotlien Kleicle legt sich auch iiber das Haupt und liisst hier an Stirn und Wangen einen feinen, weissen Schleier herworsehen. Das Christkind, im linken Arm der Mutter sitzend und von deren Rechten uni- fasst, wenclet sein Kopfchen zu San Sebastian und streckt beicle Hiincle nach dessen Pfeilen aus. Der Heilige erscheint hier fast niadchenhaft zart; ein rothes Gewand bedeckt einen grossen Theil seines nackten Korpers. Hinter ihm steht der heilige Kiihrvater, dessen Heiligenschein die Zeit verwischt hat. Auf der anderen Seite cles Bildes erscheint Petrus im rotlien Mantel. Er halt mit beiden Haiiden die zwei Schliissel und zugleich ein Buch, in clem ein Christus am Kreuz genialt 1^)9 ist. Neben ibm befindet sich Johannes der Taufer mit seinem Kameelsfell iiber rothem Untergewande. Vorn unten vor der Madonna, gleichsam auf den Stufen ihres Thrones sitzen Maria Magdalena und die heilige Catharina von Alexandrien : ein kost- lich lieblicher Gredanke und zugleich eine meisterhaft gelungene malerische Yerbindung der Heiligen links und rechts von der Madonna. Maria Magdalena halt das Buch und das symbo- lische Gefass und blickt auf die vornehme Martyrin. Die Krone auf dem Haupte, den purpurvioletten Mantel iiber griinem Kleide und reich mit Goldschmuck verziert, so erscheint die hei- lige Catharina. Sie erhebt betend ihre Hande, wendet aber ihr Profil der Maria Magdalena zu, so dass sich die beiden edel- schonen und doch so verschieden charakterisirten Kopfe im An- schauen begegnen. Und auf sie blickt die Gottesmutter mild und hold hernieder. Yon Pisa ging Soddoma wahrscheinlich nordwarts nach Massa und von da nach Lucca weiter. Der Abt von San Pon- ziano, einem Kloster der Montolevitaner, war ein alter Freund von ihm. Bei diesem fand er Aufnahme und malte dort an der Wand der Treppe, die zum Schlafsaal fiihrt, eine Madonna. — Die Bahre zu Grossetto und das Altarbild in Massa, von welchen friiher die Rede war, sind ^meiner Meinung nach auf dieser Reise entstanden. Das Fresko in Ponziano ist das letzte Bild Soddomas, von dem wir Kunde haben. Kach dreijahriger Abwesenheit kehrte Soddoma 1543 in seine Stadt Siena zuriick. Diesmal hatte er draussen in der Welt weder Ruhm noch Schatze gefunden, was ihn am Ende wenig kiimmerte, aber auch keine Lust und Freude, und das ging dem alten Manne sehr zu Herzen. Mcht Schaden- freude Oder Groll seiner Mitbiirger empfing ihn in der Hei- math. Kur das Mitleid stand dort still auf der Schwelle und neben ihm hochherzige Frauenliebe , die Yieles erduldet und nie erkaltet. Beatrice wurde dem gebrochenen Gatten der Trost und die Stiitze fiir seine letzten Lebensjahre. Dass er in Armuth und Elend verkommen sei, ist ein grosser Irrthum Yasaris. Er besass ein wohlausgestattetes Haus mit Atelier im Stadttheil Camellia und draussen in der Commune Murli 200 eine Yigna mit Wolin- und Wirtliscliaftsgebauden. Ohne Frage liatte Soddoma in seinem Leben wirkliche Scbatze und Reich- thiimer aufhaufen konnen, aber er batte dann ein Anderer sein miissen, als er nun eininal war. Yasari stellt eine son- derbare Moral als Hauptfacit an die Spitze seiner Biograpbie. ,,Wenn die Menscben, da wo ibnen das Grliick Gelegenbeit gibt, durcb die Gunst der Grossen reicb zu werden, ibre Lage ricb- tig erkennen, wenn sie andererseits in der Jugend sich an- strengen wiirden, um die Tugend zu erringen und diese dann ihrem Gliicke zugesellten: so wiirde man wunderbare Folgen aus ihren Handlungen hervorgehen sehen. ... Wer sich auf das Gliick allein verlasst, wird meist getauscht werden, 'aber auch die Tugend an und fiir sich, ohne das Gliick, kommt zu nicbts Grossem. Wenn Giovannantonio von Yercelli mit dem vielen Gliick, das er batte, Tugend unk Tiicbtigkeit verbunden batte, wie es ibm bei ernstem Willen moglich gewesen ware, dann wiirde er sich nicht wie ein Narr am Ende seines Lebens, das immer bestialisch und ausser Rand und Band war, dahin gebracht haben, im Greisenalter erbarmliche Noth zu leiden.^^ Die Moral ist gewiss sehr brav, aber schon aus gewohnlicher Menschenliebe wird man sich dariiber freuen, dass der Schluss sehr wenig bei Soddoma eintraf. Grosse Scbatze batte er nicht, und er war auch im Alter nicht mehr im Stande, mit leichter Hand Gold zu gewinnen und mit noch leichterer wieder aus- zustreuen. In gliicklichen Zeiten batte er in seinem Stalle acht Pferde nebeneinander gehabt : jetzt stand dieser leer. Mit dem glanzenden Leben war es vorbei ; ein bescheiden behaglich, gemacbliches Dasein aber war dem alten Manne nicht versagt. Freilich empfand er jetzt mit Scbmerzen, was ibm fehlte; es that ibm doch manchmal leid, keine Scbatze gesammelt zu haben : er spracb es offen seinen Freunden aus, er schrieb es sogar Are- tino in Yenedig. Er traumte von den goldenen Tagen, die er einst in Yilla Cbigi in Rom verlebt batte, und vergegen- wartigte sich die ganze Lust, die er noch zuletzt am Fiirsten- bofe von Piombino genoss. Der alte Ritter dacbte alien Ernstes daran, noch einmal dorthin aufzubrechen und Fiirst Jacob Y. 201 zu besuchen. Mit einem Yorgefuhl der Freuden, die er dort wieder finden wiirde, Hess er sich in seinem ScHreiben an Are- tino dariiber aus. Der aber war seit den dreissig Jahren, seit seiner ersten Bekanntschaft mit Soddoma, ein grosser Mann ge- worden. Er nannte sich selbst „gottlich“, „von Gottes Gnaden“, „eine Geisel der Fiirsten^. Kaiser und Konige, Papste und Cardi- nale batten diesen Charlatan der Renaissance mit Ehren und Ge- schenken iiberhauft und Kiinstler und Gelehrte hatteri seinen Namen und seine Person verherrlicht. Tizian war sein Freund und hat das hochmiithig anmassende, das herausfordernd freche Wesen, aber auch den kraftigen, scharfschneidigen Geist dieses Mannes in dem Florentiner Portrait meisterhaft ausgedriickt. Aretino ver stand sich auf Kunst und wusste tiichtige Maler zu schatzen. Es ist angenehm zu lesen, mit wie viel Geist und mit welch herzlich innigen Formen er seinen alten Jugend- freund Soddoma zu trosten und zu beruhigen suchte. Im August 1545 schickte er auf dessen Brief die folgende Antwort ausYenedig: „Als ich das mir libersandte Schreiben offnete, als ich mit meinem Namen den Ihrigen wieder ver- eint sah: da war es mir in meiner Seele zu Muthe, als ob wir uns beide in den Armen lagen, mit all der leidenschaft- lichen Herzensliebe, mit der wir uns damals zu umarmen pfleg- ten, als uns Rom und der Palast Chigi so ganz begliickte, wo wir fiber Jeden wiithend geworden waren, der uns gesagt hatte, dass wir auch nur eine einzige Stunde ohne einander leben sollten. Aber die Welt bewegt sich, und die Menschen bleiben nicht stehen. Und so haben denn Dieser und Jener, die Einen und die Anderen, die hier und die dort, vom Schick- * salsloose Statten als bleibende Wohnung erhalten, die auch nur zu sehen, ihnen niemals in den Sinn gekommen ware. 0 tausend- mal lieber, tausendmal braver, tausendmal galanter Ritter, wahrhaftig Sie sind in meinem Gedachtniss jetzt nicht aufer- standen, denn Sie waren hier niemals gestorben. Aber als Jiing- ling stehen Sie wieder vor meiner Seele und ich mochte wohl, wir Beide konnten uns so noch einmal in aller Wirklichkeit verjiingen. Doch wozu! Haben wir nicht durch alien Zeiten- wechsel bis in miser Alter den Sinn der Jugend uns bewahrt ? — Man redet von der Maclit des Eeichtliiims. Ich bitte Sie, was bedeiitet denn das, wenn dieser seinen Besitzer nur in jammerliclie Angst bringt und den Geist desselben aufreibt; wenn derjenige am wenigsten geniesst, der am meisten an- sammelt! Icli fiir meine Person babe allein in Yenedig einen formlielien Scliatz aiisgegeben, gross genng, urn jeden Fiirsten, der ilin fande, zu beglilcken. Mag man micli desslialb tadeln : in meinem Gewissen maclit micli die Erinnerimg an meine Freigebigkeit viel gliickliclier, als der Gedanke an meinen Nacli- riilini, den ich kiinftigen Jalirhimderten zii iibermaclien hoffe. Dariim lassen Sie ims das Leben geniessen, so lange es Gott gefallt; mid lassen Sie mis ilini dafiir danken, dass mis seine Gnade nocli erlialt, naclidem von nnseren Bekannten schon melir miter die Erde gebraclit sind, als wir beide Pinsel- und Federstriclie von deni Aiigenblicke an gemaclit haben, wo wir als Maler oder Scliriftsteller Kulim erlangten. Und oline Zweifel werden wir uns durcli Christi Gnade aucli nocli einmal wieder- sehen. Aus ganzem Herzen flelie ich darum. Inzwischen aber lassen Sie uns fleissig brieflich verkehren und zusamniensein. AYenn Sie Ihrer Mittheilung gemass nach Piombino gehen, so kiissen Sie dort Ihrem Herrn, auch in meinem Namen, die Hand.“ — Soddoma sah weder Aretino wieder, nocli kam er ein zweites Mai nach Piombino. Fiirst Jacob Y. erkrankte und starb 1546 mit Hinterlassung seiner AYittwe und eines Thron- erben, der kaum sechszehn Jahre zalilte. Her Maler verier an dem Fiirsten seinen besten Gonner, der ihn vortrefflich zu behandeln gewiisst hatte , der ein sehr feines und richtiges Yerstandniss fiir sein ganzesAYesen besass mid der ihn darum auch wohlwollender und gerechter als jeder Andere beurtheilte. AYir stehen am Ende von Soddomas Leben und AVirken. Sein Hasein fiel in eine der schonsten Epochen der Mensch- heit, deren Grosse und Herrlichkeit Hiejenigen, die ihr ange- horten, als ein personliches Gliick erkannten und empfanden. „Es ist eine AYonne zu leben jubelte Ulrich von Hutten, 203 und es war der Freudenruf de^ gesammten Humanismus. Ka- fael dankte Gott am innigsten dafiir, dass er im Zeitalter Michel Angelos geboren sei, und mit ihm und nach ihm war die gesammte Kunst von einem gleichen Gefiihl beseeltund durch- dr ungen. In iiberlegenden, reflectirenden Geistern kam das Zeit- alter zur Erkenntniss und zum Bewusstsein, wie seiner Errungen- schaften, so seiner Aufgaben. Strebende Menschen stellten die Ziele in voller Klarheit auf, wahlten mit Umsicht die geeig-, neten Wege und Bichtungen fiir dieselben und verfolgten sie mit unermudlicher Energie und Ausdauer. Man weiss nicht, ob man mehr iiber die Fiille und Yollendung der Kunst- schopfungen aus der Epoche der italienischen Renaissance er- staunen soli, oder iiber den bestimmten einheitlichen Charakter, der sie auszeichnet; iiber die Grosse und Mannigfaltigkeit der Talente oder iiber die Energie und Harmonie ihrer Ausbildung. Die Kunst im Allgemeinen erscheint als die sittliche Aufgabe der Zeit, und jedem einzelnen Kiinstler wird die Hingabe an sie zum Inbegriff von Pflicht und Gewissen. Im Streit und Wetteifer entwickeln sich die schroffsten Gegensatze der Per- sonlichkeiten und der Leistungen, aber es sind Gegensatze, die sich nicht ausschliessen, sondern die sich zu fordern scheinen. In eine solche "Welt tritt nun Soddoma, sowohl durch seinen Beruf, als durch seine Keigung. Geboren in den abhangigsten Verhaltnissen , die sich denken lassen , lebt er frei und unab- hangig, wie vielleicht kein Zweiter. Einzig und allein ange- wiesen auf seinen Genius und seine Arbeit, wenn er seine Existenz und eine Stellung in der Gesellschaft finden will, fiihlt er sich nichtsdestoweniger immerfort zuerst als Mensch, und dann vielleicht auch nebenbei als Kiinstler, sieht er in seiner kiinstlerischen Thatigkeit nicht sowohl die hochste Ent- faltung seiner Personlichkeit , als vielmehr allzu oft eine Be- schrankung seines Daseins. Das Schicksal verleiht ihm jede Anlage zu einem der originalsten und gefalligsten Maler seiner Zeit, allein es kommt ihm nie in den Sinn, diese seine Eigen- thiimlichkeit iiberall in das giinstigste Licht zu setzen und mit jedmoglicher Anstrengung zur Geltung zu bringen. In seiner 204 Seele rulit ein wunderbarer Schatz poetischen Empfindens und eine ungewohnlicbe Geistreicliigkeit ; aber er scheint gar- nicbt zu ahnen, dass es bios auf seinen Willen ankommt, um durcb den einen alle Welt zu bezaubern und sie durcb die andere zu entziicken und zu blenden. Eine nichts weniger als passive, eine vielmehr durcb und durcb leidenscbaftlicbe, feurige Natur, tritt der bocbbegabte Kiinstler in einer Zeit grossen, ja zuweilen iiberspannten Wetteifers rubig lacbend bei Seite und lasst Andere die Palme erringen, deren er vielleicbt allein wiirdig war. Es spricbt fiir die ausserordentlicbe Giite seines angeborenen Cbarakters, dass er, obne die leiseste Spur von einem reflectirten moraliscben Wollen , von Besonnenbeit und Planmassigkeit, im Leben eine eigentlicb scblecbte Handlung dennocb niemals begangen bat. Es spricbt fiir eine unge- wobnlicb scbone, sicbere und grosse kiinstleriscbe Begabung, dass Soddoma obne ein bewusstes, unablassiges Bingen und Streben, obne consequenten Fleiss und obne treue Sorgfalt, vorziiglicbe, ja vollendete und bocbste Werke. in der Malerei bervorgebracbt hat. Indem sich sein Genius wie von selbst und aus sich selbst in aller Freiheit entwickelt, indem er sicb von Aussen alles Geeignete obne jeden Zwang assimilirt, so offenbart er immerfort die seltenste Frische, Wahrbeit und Unmittelbarkeit. Er wachst auf, wie ein Baum im Walde, der durcb Zufall oder Gunst des Gescbickes seinen geeigneten Ort, einen erspriess- lichen Boden und ein heilsames Klima gefunden hat. Von selbst treibt er dann Blatter, Bliithen und Friichte, und so lange seine innere Kraft wach«t, so lange sein Zustand der Vollendung dauert: eben so lange werden aucb seine Hervor- bringungen immer herrlicher oder kommen sie, Jabr aus, Jahr ein, in gleicher VortrelFlichkeit zum Vorschein, bis zuletzt mit einem Male Alles versiecbt und endet. — Die italieniscbe Kunst des fiinfzehnten Jabrhunderts setzt an die Stelle eines cqnventionell Idealen die Natur in ihrer Freiheit und Unendlichkeit ; allein kaum fiihlt sie sicb darin sicher, so strebt sie aucb wieder aus dieser heraus und iiber diese empor zu einem individuell Idealen. Leonardo da Vinci sucht dazu zu gelangen, nicbt 205 unahnlich dem Philosophen , der sich aus dem unendlich Ein- zelnen zum Allgemeinen, zur Gattung, zur Idee erheben will. Michel Angelo dagegen tritt sofort intuitiv mit der Darstellung des vollendeten Typus auf. Wenigstens in sofern ware jener (wenn man das Wort einmal nicht missyerstehen will) durchaus objectiv und dieser durchaus subjectiv zu nennen. An Jenen schloss sich Soddoma in seiner Art und Kunst wie durch eine innere Nothwendigkeit an, von diesem hat er auch nicht den allergeringsten Einfluss erfahren. Mit dem Natura- lismus von Masaccio bis Domenico Ghirlandajo mochte sich das kirchliche Gefiihl viel eher und leichter vertragen, als mit den vollkommen neuen und wesentlich kiinstlerischen Idealen, welche Leonardo, welche Michel Angelo an Stelle der alten und dogmatisch-christlichen zu setzen im Begriff waren. Allein bei einem Umschwunge des geistigen Lebens konnte sich jener harm- lose, unbefangen heitere und sinnliche Kealismus am wenigsten in der Kirche halten. Seine bedenkliche Seite machte sich Allen fuhlbar. Das Alte war nicht wieder herzustellen und gegen das Neue wehrte sich der kirchliche Geist. Da trat Perugino und seine Schule im giinstigsten Momente als eine Art Uebergang und Yermittlung ein. Er erfand, kann man sagen, eine Art kirchlichen Styl, der vor der Hand der Beligion und der ent- wickelten Kunst zugleich genug that, und der darum einen so raschen, als allgemeinen Einfluss gewann. Als ausschliess- liche Sache des „Gefuhls“ ist ja die Beligion sehr oft und noch in unserem Jahrhundert mit allem Anschein von Wissen- schaftlichkeit durch Schleiermacher „gerettet‘‘ worden: was Wunder, wenn Perugino durch schwarmerische , sentimentale Heilige , die er durch immer gleiche Wiederholung zu Typen modelte, dem Bildercultus der Kirche so wesentliche Dienste leistete? Als Kiinstler wirkte er auf Soddoma, well auch in dessen Seele von Katur sehr viel Welches , Zartgestimmtes, Empfindsames lag. Allein nur auf sehr kurze Zeit. Denn das Unwahre, Gemachte und Affectirte in Peruginos Wesen musste bald genug einen Charakter abstossen, der in seinem Innersten unmittelbar und lauter war. Yiel nachhaltiger und 206 dauernder konnte Pinturiccliios Einfluss sein. Seine unver- gleichliche Freskotechnik mid seine glanzende Decorationsart zog den jungen Yercellesen unwiderstehlich an und sollte ihm fiir sein ganzes Leben als Norm dienen. Herzliches Wolil- gefallen fand er iiberdies an der naiven, anmutliigen, leiden- schaftslosen "Weise, in der Pinturicchio seine Einzelcharaktere auffasste und seine Historien zur Anscliauung brachte. Denn das ist wieder ein sonderbarer Zug in • Soddomas sonderbarem Charakter, dass dieser leidenschaftliche Mann in seinen Ge- malden nichts weniger als extreme Leidenschaften schildert. Seine dicliterische Natur ist idyllisch-religios , durcliaus nicht dramatisch. Zorn, Wutb und Eache, Entsetzen und Grausen bat er nie gemalt. Zu Furcht oder Mitleid zwingt uns keines seiner Werke. Leonardo da Yinci sucht nicbt bios die Wohl- gestalt auf, er strebt auch nach dem Charakteristisclien, und selbst an der Missbildung und an der Carricatur findet er noch ein kiinstlerisches Interesse und iibt an ihr seine kunst- reiclie Hand. Da ist es denn sehr merkwiirdig, dass der plian- tastiscbe Soddoma hierin mit seinem Meister nie zusammen- geht, dass er vielmehr jede unschone Gestalt vermeidet und alles Unnatiirliche , Yerkriippelte und Hassliche flieht. Eine durcli und durch sinnliclieNatur und der Sohn einer ungewohn- lich sinnlichen Zeit, hat er dock niemals ein Bild gemalt, das liistern und frivol in der Form oder im Gedanken irgend- welclien Anstoss geben konnte. Seine Wesen sind liebens- wiirdig und rein : durch seine Kunstschopfung weht ein paradie- sischer Hauch. Wenn er sich iiber sein Lebensideal hatte Eechenschaft geben sollen, er wiirde ein Dasein sorgenlos und frei, wie das der Blumen im Felde, der Yogel in der Luft, liber Alles gestellt haben. Aus dieser Anschauung und Em- pfindung heraus erwachst auch wie von selbst sein kiinst- lerisches Ideal. Er ist mit der Erde, wie sie ist, mit den Menschen, wie sie sind, durchaus zufrieden, aber er erlost sie von dem harten Geschicke, das auf ihnen lastet, und gibt ihnen das goldene Zeitalter zuriick. Ohne zersetzenden , auf- losenden Zwiespalt in sich selbst, ohne den aufregenden Kampf 207 der Gedanken, die sich unter einander verklagen und ent- schuldigen, ohne den verliangnissvollen Bruch des Geistes mit der Natur, vollkommen instinktiv und organisch, leben seine Mehschenkinder immer gleiche, ungetriibt. harmonische Tage. Sie sind keine Schopfungen eines subjectiven kunstlerischen Gedankens, sondern wirkliche und natiirliche Existenzen, wie sie noch jeden Augenblick geboren werden, die aber durch- aus ungehindert die ganze Fiille ihrer schonen Anlage ent- wickeln konnten und die sie unbefangen in sich selbst und unangefochten von einer rauhen Aussenwelt jeden Augenblick bethatigen und zur Erscheinung bringen. Darin nun liegt der Grund, dass sie fiir keine Zeit etwas Fremdes und Befrem- dendes haben, dass sie noch unmittelbarer als selbst Eafaeli- sche Wesen ansprechend und verstandlich werden, und dass sie uns alle, gleich den gelungensten modernen Hervorbringungen, iiberraschend sympathisch beriihren und fesseln. Beizendere Kindergestalten , als Soddoma sie malte, kann man nirgends sehen: ganz himmlische Gesundheit und frohliche Lust, er- gehen sie sich im frischen Morgenglanz des Lebens. Bei seinen Frauen besteht der Zauber in der unaussprechlichen Anmuth und Lieblichkeit ihrer Erscheinung, in der engelmilden Ge- lassenheit, die uns aus ihren Taubenaugen anblickt und zu Herzen dringt. Jiinglingen und Mannern verleiht er eine edle Schonheit, Hoheit und Kraft. Er organisirt sie fiir ein Leben der That und befahigt sie fiir alles Kiihne und Bedeutende. Aber an der Harmonie, an dem Gleichgewicht ihres Wesens erkennt man wohl, dass sie sich nicht im Kampfe mit wider- strebenden, feindlichen Elementen entwickelt haben. Und da sie auch vor uns fast immer in ruhigen Situationen auftrefcen, so sind wir leicht geneigt, sie fiir zu mild und zu passiv zu halten. Der Krieg ist der Yater allerDinge. Kur ein bewegtes, stiirmisches Leben entwickelt schliesslich alle Krafte der Men- schen und jede Form derselben. Kur so vollzieht sich bei einer Allgemeinheit der ersten Katurlage die unendliche Individuali- sirung. Auf ihr beruht der Keichthum und der Fortschritt des Daseins. Soddoma nahm in seine Kunstschopfung den Menschen auf, wie er sein kann, aber er versetzte ihn nicht 208 in ein Leben , wie es ist iind wie es urn der Entwickelung der Menschheit widen sein soli, sondern er lasst ihn injenem paradiesischen und goldenen Zeitalter, das Dichtimg und Re- ligion am Anfang oder am Ende aller Tage gefunden haben. Da er jedoch wesentlich religiose Zustande und Yorgange zu schildern hat, so behalt er wohl auch in dieser Hinsicht wieder Recht. Sein Ideal ist schlicht, einfach, wahr und anspruchs- los. Er wagt es nicht, eine hoher, grossartiger, reicher orga- nisirte Menschennatur construiren zu wollen. In unserem Ge- schlechte, wie es eben lebt und webt, sieht sein Auge noch immer. die erste urspriingliche Reinheit und Schonheit , die vollendete Form, die ihm der Schopfer am Tage des Werdens gab. Himmel und Erde fiihlt er noch immer in ungestortem Einklang. Der Ausdruck und die Offenbarung desselben wird dann seine Religion. Seine Frommigkeit hat nichts Gesuchtes und Dogmatischbestimmtes , nichts Aufgedrungenes und Ten- denzioses. Vielmehr wirkt sie so sehr als ein Allgemeines und Humanes im hbchsten Sinne des Wortes, dass sie Katho- liken und Protestanten, Glaubige und Unglaubige erregt und bewegt. Fiir Menschen, wie sie Soddoma malt, ist die Religion die natiirlichste und eigentlichste Function der Seele. Ueberall auf der weiten Erde und im Innern ihres eigenen Herzens fiihlen sie bestandig den Wiederschein des Gottlichen, das in seiner Wesenheit anzuschauen ihnen dann um so leichter ver- gonnt wird. Liebe verbindet den Himmel und die Erde. Aus Huld und Gnade nehmen die Gotter Menschengestalt an, und entzilckte Hingabe des Herzens verklart die Sterblichen. Die Liebe fiihrt die Einen zur Erde nieder und hebt die Andern zum Himmel empor. Milde und Friede weilt in und iiber den Schopfungen Soddomas, und well dem Beschauer dies innere Gliick aus Wesen entgegenleuchtet , denen er sich doch so nahe und verwandt meint, zieht es auf einen Augenblick auch in' ihm selber ein. Soddomas Charakter und die Geschichte seines Lebens zeigen den entschiedensten Gegensatz zu der Form und dem Inhalt seiner Werke. Man mochte glauben, dass in ein und 209 derselben Person niemals eine grossere Kluft zwischen dem Menschen und dem Kiinstler gewesen sei. Allein sein eigenes Wesen und das der Kinder seiner Phantasie ist trotz alledem im letzten Grunde, in der natiirlichen Anlage und Voraus- setzung genau ein und dasselbe. Hier wie dort fehlt von Anfang an und immerfort jeder Dualismus zwischen Materie und Geist, zwischen Leib und Seele; vielmehr gewahren wir hier wie dort eine unbedingte absolute Identitat. Hier wie dort beruht die Existenz ausschliesslich auf dem, wozu sie die Natur in sich selbst machte und was sie ihr aussen finden Hess. Beides sind unveranderliche Nothwendigkeiten. Von reflectirter Erkenntniss, von freiem Wahlen und Wollen ist auch nicht eine Ahnung zu finden. Gotter und Menschen, Engel und Heilige sind das, was sie sind, nicht durch sich selbst, sondern durchaus durch Kothwendigkeit. Kampfen, Ringen und Streben gibt es hier nicht, kaum ein Werden. Man mochte sagen, Alles ist ein Sein und jede Yeranderung in diesem Sein ist nur die nothwendige Entfaltung einer anderen Seite, einer anderen Eigenschaft desselben. Aus diesem Grunde haben Soddomas Lebensausserungen und seine kunstlerischen Com- positionen etwas Passives. Aus diesem Grunde ist der Mann ohne Verstellung und Heuchelei, haben seine Werke keine Spur von Gesuchtem und Affectirtem, Erkiinsteltem und Fremd- artigem. In dem Einen gewahren wir nur Offenheit und Wahrhaftigkeit, in dem Andern Unmittelbarkeit und Wahr- heit. Soddomas Leben und Kunstthatigkeit entfalten sich aus seiner angeborenen Eigenart und unter den Einfliissen seiner Zeit, wie ein Baum mit seinen Bluthen und Friichten aus seinem Kerne und unter den Bedingungen seines Standortes. Darum ist Soddoma nur aus dem allgemeinen Charakter seiner Zeit zu verstehen, aber eben darum spiegelt er sie auch rein und treu wieder. Willenloser und unbefangener als er kann sich der Einzelne nie an das Ganze hingeben. Er entbehrte in seltener Weise jene Selbsterkenntniss, die mit klarem Bewusst- sein das Ich von der umgebenden Welt unterscheidet , und vollstandig war ihm die Willenskraft jener Heroen versagt, Jansen, Soddoma. u 210 die sich nur darum ganz von ihrer Zeit durchdringen lassen, um sie ganz zu beherrschen und dem Allgemeinen den Stempel ihrer Eigenart aufzupragen. Andererseits war jedoch Soddomas Individualitat so umfassend, so bedeutend und stark in sich selbst, dass er ein wesentliches Moment von dem Geiste seiner Zeit, von der italienischen Renaissance nicht nur in sich auf- zunehmen, sondern auch in eigenthiimlichster Form wieder zum Ausdruck und zur Erscheinung zu bringen vermochte. In der Hochzeit Alexanders des Grossen und der Roxane hat er das Beste geleistet, was die antikisirende Malerei des sechszehnten Jahrhunderts aufzuweisen hat. Die Einzel- figuren von Heiligen im Rathhause von Siena und in der- selben Stadt das Votivbild iiber der Porta Pispini zeigen uns nicht allein den Kiinstler auf der hochsten Stufe seines Konnens, sondern bieten uns auch ein Yollendetes der Kunst liberhaupt. Hoheit des Styles und charakteristische Lebenswahrheit, antike FOrmenschonheit und moderne Sentimentalitat, riicksichtslos profane heidnische Denkungsweise, verbunden mit einem an- geborenen Sinne fiir die Mystik und Innerlichkeit des Christen- thums ; dieses rathselhafte Zusammen und Ineinander von Gegensatzen der Kunst, von Gegensatzen der geistigen Welt, wie es nur das eine Mai in der kurzen Bliithezeit der Renais- sance in die Erscheinung getreten ist: gerade das hat sich in alien Werken Soddomas, ich will nicht sagen auf die vollendetste, aber jedenfalls auf die naivste , auf die fasslichste und greifbarste Weise ausgesprochen. Dieser Kiinstler kommt uns wie ein willenloses Medium vor, durch das sich seine Zeit offenbarte. Soddomas Leben und Wirken ist ein interessantes Phiinomen: wie ein Stuck Katurgeschichte erscheint es und reizt es uns. Aber das erhebende Schauspiel eines geistig- sittlichen Kampfes gewahrt die Betrachtung desselben durchaus nicht. Wir erkennen sein ausserordentliches Talent mit Freuden an und erstaunen iiber seine Schdpfungen ; allein mit Schmerz gestehen wir ein, dass sein Charakter ohne alle und jede acht menschliche Grosse ist und dass wir ausser Stande sind, sein Dasein beneidenswerth und gliicklich zu nennen. Nur die 211 Aufstellung eines hohen Zieles hebt den Menschen fiber sich selbst hinaus, nur das selbstbewusste, Irene, consequente Streben darnach verleiht ihm innere Befriedigung und wahren Werth. Ich kannte einen Mann, der in wahrhaft ungewohnlicher Art in und mit der gesammten Natur lebte, der instinctiv in ihr aufging und sich unglficklich ffihlte , wenn er einmal einen Tag lang nicht in Flur und Wald gekommen ware. Als ihn zuletzt Krankheit an sein Zimmer fesselte, wurde ihm jeder Blick ins Freie zur unfiberwindlichen Qual; er Hess sein Lager vom Fenster entfernen und versenkte abgewandt sich in sich selbst, bis er verschied. Ganz so hatte sich Soddoma draussen zur Welt, zum Leben, zum Thun und Treiben der Menschen ver- halten. Nicht mehr mitzuschwimmen in diesem ewig vollen und ewig jungen Strome , ruhig am Ufer zu stehen, wie ein Wrack von der Welle auf den Sand geworfen: das vermochte selbst der fast Siebzigjahrige nicht zu ertragen. Lieber vergrub er sich in die Einsamkeit seines Hanses, wo er nichts mehr sah und horte. Und draussen verstummte natfirlich auch jede Kunde von ihm. Als er sein Ende herannahen ffihlte, machte er sein Testament. Es ist noch vorhanden und beweist uns, dass der alte Mann wenigstens nicht in Noth und Elend ver- kam. Zugleich haben wir darin ein erfreuliches Zeugniss, dass er in seinen letzten Lebensjahren in voile Eintracht mit seiner treuen guten Frau kam und dass er ihren Charakter und ihre Tugenden zuletzt wohl zu wfirdigen und zu schatzen lernte. Beatrix wurde von ihm zur alleinigen und unbedingten Erbin aller seiner liegenden und fahrenden Habe eingesetzt. Sod- doma starb in der Nacht auf den 14. Februar 1549. Ein stiller Mann war er schon seit Jahren geworden. Wie einst 1513 Pinturiccho, so wmrde auch Soddoma ohne Prunk und Feierlichkeit zur Kuhestatte gebracht. Kein Stein bezeichnet sein Grab, und selbst die Sienesen wissen nicht, v/o die Gebeine ihres Mitbfirgers liegen. Aber sein Name lebt noch heute unter ihnen in Aller Munde, und seine Werke sind ein unvergangliches Denkmal seines Genius. W' ' o' / V , ' * \