:Ei£>i2.'.^. .4 /^n c,^ Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from Princeton Tiieological Seminary Library http://www.arcliive.org/details/diefestederhebrOOgree Die Feste der Hebräer in ihrer Beziehung auf die modernen kritischen Hypothesen über den Pentateuch. Von William Henry Green, Dr. theol. Professor au der Universität zu Princeton N. J. Aus dem Englischen übersetzt Otto Becher, Pastor au der deiitscheu evang. Kirche zu Elniira K. Y. Gütersloh. Druck und Verlag von C. Bertelsmann. 18 94. Durch das freundliche Wohlwollen des Hochwürdigen Herrn J. Warren Merill A, M, sind von der Fakultät des Newton Theologischen Instituts drei Serien von Vorträgen übei' verschiedene Gegenstände angeordnet worden, die während der letzten drei Jahre von Gelehrten anderer Institute vor den Studenten gehalten wurden. Die hier veröffentlichte Serie ist die einzige, in welcher ein und der- selbe Gelehrte ein fortlaufendes Thema behandelt hat. Wir hoffen, dafs im Verlauf der Zeit noch viele andere Bände „Newtonsche Vorträge" der christlichen Leserwelt dar- geboten werden können. Alvali Hovey, Präsident des Newton Tlieolo'äsclien Instituts. Newton Centre am 5. August issö. Vorwort Die neue Wendung in der alttestamentliclien Kritik durch Reufs, Wellliausen und Kuenen beruht auf der Voraus- setzung, dafs die religiösen Institutionen des Volkes Israels, wie sie im Pentateuch dargestellt sind, nicht das Produkt eines Geistes oder eines Zeitalters, sondern das Ergebnis einer langen Entwicklung sind, und dafs die Gesetze, welche dieselben anordnen und gewöhnlich Moses zugeschrieben werden, vielmehr zusammengearbeitet sind und in scharf gesonderte Schichten zerlegt werden können, welche ein- zelnen, weit voneinander abliegenden Perioden entsprechen. Die stufenmäfsige Entwicklung dieser Institutionen kann an den dieselben anordnenden Gesetzen von der primitivsten Einfachheit bis zu den kompliziertesten Formen, in welche dieselben schliei'slich ausgestaltet werden, ganz schön ver- folgt werden. Ebenso wird behauptet, dafs das Resultat einer Analyse der Gesetze durch den Stand der Geschichte bestätigt wird, vorausgesetzt, dafs die Geschichte zuerst einer gehörigen , kritisclien Bearbeitung unterzogen und nach früheren und späteren Bestandteilen genau sondiert worden ist. Wellhausens „Prolegomena zur Geschichte Israels", kürzlich in englischem Gewand erschienen, sind der kräftigste Versuch, seine revolutionären Ideen durch Berufung auf die Gesetzgebung und die Geschichte hin- sichtlich des Kultusortes, der Opfer, der religiösen Feste und des Priesterstandes zu begründen. — V — Der Zweck dieser Vorlesungen, welclie im Newtonsclien Theologischen Institut auf Ersuchen der hochwürdigen Fakultät gehalten und nun veröffentlicht worden sind, ist der, diese kritische Hypothese durch eine Untersuchung der hebräischen Feste einer Prüfung zu unterwerfen. Zwei Gründe haben zur Auswahl dieses Gegenstandes für eine besondere Besprechung geführt. Erstens sollen die Feste eine Hauptstütze sein, aufs klarste die Angehörigkeit der verschiedenen Pentateuchgesetze an verschiedene Zeit- abschnitte beweisen und die verschiedenen . Entwicklungs- stufen des religiösen Lebens des Volkes repräsentieren. Zweitens sind die kritischen Ansichten über das Heiligtum, die Opfer und den Priesterstand bisher schon kräftig und erfolgreich bekämpft worden, während dagegen die Gegner der neuen kritischen Hypothese den hebräischen Festen unverhältnismäfsige ^\'ürdigung angedeihen liefsen. Endlich nehme ich noch Anlafs, dem hochherzigen Freund des heiligen Studiums, der diese Vorlesungen an- ordnete, wie auch der hochwürdigen Fakultät des Instituts, welche mich mit der Aufforderung zu diesen Vorlesungen beehrt und meinen kurzen Aufenthalt in Newton durch ihre ausgezeichnete Aufmerksamkeit äufserst angenehm gemacht hat, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. W.. Henry Green. Princeton X. J.. 8. August 18S5. Vorwort des Übersetzers. Unstreitig hat die Wellhausensclie Hypothese seit ihrem Erscheinen schon manche treffliche Entgegnung erfahren. Aber von allen Schriften und Bearbeitungen, die von bibel- gläubigen Theologen gegen Wellhausen ausgegangen, hat mich keine völlig befriedigt. Unter den zahlreichen mir bekannten Schriften sind es nur zwei, welche hinsichtlich ihres entschiedenen Eintretens für die Wahrheit des ge- olfenbarten Gotteswortes Alten Testaments dem vorliegenden Buche an die Seite gestellt werden können. Es sind dies die Schriften von Dr. Eduard Bohl „Zum Gesetz und zum Zeugnis etc.", Wien 1883, und Dr. Adolf Zahn „Das Deu- teronomium. Eine Schutzschrift wider modern -kritisches Unwesen." Gütersloh 1890. Die verschiedenen sehr ge- diegenen Schriften des Herrn Verfassers dieses vorliegenden Werkes sind in der deutschen Theologenwelt nicht in dem Mafse bekannt und gewürdigt, wie sie es thatsächlich ver- dienen. Manchem deutschen Theologen mag die ungenü- gende Kenntnis der englischen Sprache im AN'ege stehen. Dies ist der eine Grund, der mich beAvog, diese Schrift zu übersetzen. Der andere Grund ist der, dafs die ver- schiedenen Bekämpfer der Wellhausenschen Hypotliese den hebräischen Festen unverhältnismäfsige Würdigung an- gedeihen liefsen. Ich habe mich bei der Übersetzung möglichst streng an das Original gehalten; und vielleicht mögen einige Leser - TU - gerade dies zu beanstanden haben. Aber wer den gelehrten Stil des Herrn Verfassers kennt, wird dies bei einem Bucli von durchaus technischem Charakter wohl beg-reifen. Unter den vielen Citaten habe ich einige nicht an ihrer ursprüng- lichen Stelle nachlesen können . weil mir die betreffenden Schriften niclit zugänglich Avaren. Wer bedenkt, dafs ich, von allen gelehrten Hilfsmitteln verlassen , nur auf meine eigene nicht sehr umfangreiche Bibliothek angewiesen bin, wird dies gewifs entschuldigen. Sollte ich daher den Wort- laut einmal nicht getroffen haben, so glaube ich doch nir- gends den Sinn verfehlt zu haben. Dem verehrten Herrn Verfasser und der hochwürdigen Tlieologischen Fakultät des Ne^vfonschen Instituts sei auch dieses Orts herzlicher Dank ausgesprochen für die bereit- willige Abtretung des Übersetzungsrechtes. Auch meinem lieben Schwager, dem Herrn Pfarrer F. Hagenmeyer in Schmieheim, Baden, welcher die Korrektur besorgt hat, fühle ich mich zu tiefstem Dank verpflichtet. So möge dieses Werk in seinem deutsclien Gewände ausgehen und in der deutschen theologischen Welt gute Aufnahme finden und etwas ausrichten zur Ehre des maje- stätischen Gottes und zum Segen vieler seiner Knechte. Otto Becher, P. Elmira N. Y. im März 1894. Iiihnlt. Seite. I. Wellliausens Hypothese im allgemeinen 1 II. Geschichte der Kritik der hebräischen Feste 33 III. Die Einheit von Exodus Kap. 12. 13 70 IV. Die Einheit von Exodus Kap. 12. 13 (Fortsetzung) . . . 111 V. Die Festgesetze und das Passali läO VI. Das Passah (P'ortsetzung) 18. — 55 — wurde, fallen gelassen, damit die Wallfahrer nicht zu lange von zu Hause fern gehalten wurden. Die erste Gesetz- gebung machte den ersten und letzten Tag des Passah nnd des Laubhüttenfestes zu Ruhetagen oder Sabbathen, die zweite nur den siebenten Tag; eine erleichternde Be- schränkung, die gleicherweise mit Rücksicht auf die Pilger eingeführt wurde. Die erste Gesetzgebung verbietet, die zweite dagegen erlaubt das Passahlamm zu kochen. Die erste Gesetzgebung schärft in dunkein und leicht mifs- zuverstehenden Ausdrücken heilige Versammlungen bei den jährlichen Festen ein, die zweite befiehlt ausdrücklich drei jährliche Wallfahrten nach dem Heiligtum und fügt die Forderung liinzu, dafs sie „nicht leer vor dem Herrn erscheinen sollen." Während in der ersten Gesetzgebung die Monate ein- fach gezählt werden, wird in der zweiten die Zeit des Passah „auf den Monat Abib" festgesetzt. Diese Ansicht Stähelins, welche scheinbar am weitesten von der Hypo- these Grafs und Wellhausens entfernt ist, da seine Anord- nung der gesetzgebenden Körperteile die Kehrseite dazu bildet, nähert sich nichtsdestoweniger der neuen Hypothese, insofern sie das Bundesbuch und das Deuteronomium als aufs engste miteinander verwandt zusammenstellt, anstatt das levitische Gesetz zwischen dieselben lüneinzuschieben, wie Hitzig, Ewald und andere Kritiker dieser Richtung gewöhnlich thun. Hitzig^) behauptet, dafs das Fest der ungesäuerten Brote ursprünglich nur an einem einzigen Tag oder eher einer einzigen Nacht gefeiert wurde und zwar am 1. des Monats Abib, zur Erinnerung an die Austreibung aus Ägyp- ten zur Zeit der Nacht und in grofser Eile, dafs sie keine 1) „Ostern und Pfingsten" 1837. „Ostern und Pfingsten im zweiten Dekalog" 1838. — 56 — Zeit mehr hatten, ihr Brot zu säuern. Die Ausdehnung des Festes auf sieben Tage, welche einen Mangel an Überein- stimmung zeigt, ist in späterer Zeit eingeschoben, als die Feier in die Mitte des Monats verlegt und in zwei besondere Feste eingeteilt wurde, nämlich in das Passah und in das Fest der ungesäuerten Brote. Noch etwas später wurde beides ver- schmolzen, und das Fest der ungesäuerten Brote wurde eine einfache Nachfeier zum Passah, welches an die Verschonung der Erstgeburt erinnerte, während der Umstand, der ur- sprünglich den Gebrauch der ungesäuerten Brote veranlafste, allmählich in den Hintergrund trat oder ganz aus den Augen kam. Das zweite der jährlichen Feste wurde in erster Linie „Das Fest der Ernte" genannt und fand am Anfang der Gerstenernte statt. Gerste ist das frühreifste Getreide. Nächstdem erhielt es den Namen „Fest der Wochen" und wurde auf den 50. Tag nach dem ersten des Monats Abib festgesetzt, wobei ein Tag je eine der fünfzig Wochen des Jahres repräsentieren sollte. So fiel dann das Fest auf den Anfang der Weizenernte, also die Mitte der Gesamternte- zeit. Zuletzt wurde es sieben Wochen später auf das Ende der Weizenernte verlegt, (von der Zeit des vorigen An- fangs, nämlich von der Zeit des Anhiebs der Sichel in die Saat an gerechnet). Der Leviticus giebt den unmittelbaren und organischen Fortschritt gegenüber den ältesten Verordnungen des Bundes- buchs an. Das Deuteronomium basiert auf diesen beiden Elementen, ist das Resultat aus der Vermischung derselben, vereinfacht u. a. das Gesetz durch Entfernung des Festes der Trompeten und des Versöhnungstages und beseitigt das bis aufs kleinste sich erstreckende Ritual im Sinn der reformatorischen Zeit unter Josia. Alles dies kann durch eine scharfsinnige Anwendung des kritischen Messers ohne Schwierigkeit festgestellt werden. — 57 — Eine der besten Erwiderungen auf Hitzigs Phantasien hat Bertheau ^) gegeben. Als er sich an die Arbeit machte, war sein Standpunkt noch ein ganz anderer als später, aber durch seine Forschungen gelangte er zu der Überzeugung, dafs die Gesetze des Pentateuchs und besonders die, welche sich mit den Festen beschäftigen, ein zusammenliängendes, einheitliches, gesetzgeberisches System bilden und das Pro- dukt eines Geistes und einer Zeit sind, und dafs sie nie- mand anders als Moses zuzuschreiben sind, der sie während der Wüstenwanderung verfafst hat. Ewald,-) der an kritischem Scharfsinn keinem nach- steht und dessen Hypothese für die kritische Zerstückelung des Pentateuchs sicherlich so ausgefeilt als jede andere ist, war doch aus inneren Gründen überzeugt, dafs die hebräi- schen Feste zweifellos mosaisch sind. Er giebt zu , dafs über das Leben und die Institutionen Moses nichts Sicheres bekannt ist und beklagt sich darüber, dafs die Kritiker mehr Eifer zeigten in der Aufdeckung dessen, was nicht von Moses gekommen sein kann, als in der Festsetzung dessen, was wirklich von ihm herrührt. Nach ihm hätte Moses selbst nichts Schriftliches hinterlassen, worin die Feste systematisch behandelt sind. Er vermutet, dafs die Festgesetze, wie wir sie jetzt haben, von späteren Verfassern herrühren, jedoch das, was durch Moses festgesetzt und eingerichtet worden ist, durch die Verhältnisse späterer Zeiten modifi- ciert, enthalten. Durch Vergleichung aber ergiebt sich, was den Stempel seines erhabenen Genius trägt und des- halb nur von ihm gekommen sein kann. Ewald leitet die Feste, welche von mancherlei Nationen gefeiert wurden, aus drei verschiedenen Quellen ab: 1. Naturfeste, wie sie ') „Die sieben Gruppen mosaischer Gesetze" 1840. ^) „Die Altertümer des Volkes Israels" und sein Artikel in der „Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes" 1840. — 58 — in dem Jahreswechsel begründet und beinahe allen alten Völkern gemeinsam sind; 2. historische Feste, die ver- gangene Ereignisse von Wichtigkeit oder nationalem In- teresse in das Gedächtnis zurückrufen, sich bei verhältnis- mäfsig wenigen Völkern finden und je nach dem Genius und der Geschichte jedes einzelnen voneinander verschieden sind ; 3. legislative Feste , wenn der Wille eines ein- zelnen hervorragenden Menschen die zusammenhangslosen und disliarmonischen Gebräuche, welche eingerissen sind, aufnimmt, einen neuen Geist in dieselben liineingiefst und sie in ein vollkommenes und harmonisches System zusammen- fafst. Dies ist die hohe Bedeutsamkeit, zu welcher Moses die heihgen Zeiten der Hebräer gebracht hat. Die grofsen jährlichen Feste, sofern sie eines natür- lichen Ursprungs sind, sind vormosaisch und stimmen mit den Festen zusammen, die von allen Völkern des Altertums zur Zeit der Frühlings- und Herbstnachtgleiche gefeiert wurden. Im Herbst drückten dieselben ihre Freude aus über die Einsammlung der Früchte durch fröhliche Fest- züge, wobei Früchte und Baumzweige herumgetragen wur- den. Im Frühjahr trug das Fest einen doppelten Charakter, einmal war es Fest der Darbringung der Erstlinge des an- gefangenen Jahres, dann war es eine Sühnefeier zur Reini- gung von den Sünden und zur Bewahrung vor den Ge- fahren der Zukunft. Die Idee der Sühnefeier hat sich im Passah erhalten, dessen Name schon sein hohes Alter be- zeugt. Es ist von einem verbum abgeleitet, das über die Zeit Moses hinaus nicht mehr im allgemeinen Gebrauch ge- wesen ist, und es bezeichnet ein Opfer zur Erlangung eines glücklichen Durchgangs,^) nicht über ein Meer oder einen Flufs, sondern durch das kommende Jahr hindurch. Sein 1) Passover ist das englische Wort für Passah, zusammengesetzt aus pass und over = überschreiten, übergehen etc. Anm. des Übers. — 59 — Ritus atmet den Geist einer früheren Zeit und ist durch das mosaische Gesetz wegen seines ehrwürdigen Alters sanktioniert. Das Passahlamm wurde von jedem Hausvater in seinem eigenen Hause geschlachtet, alle männlichen Mit- glieder mufsten daran teilnehmen, das Blut mufste an die Tliür- und Thorpfosten gesprengt werden, um das Haus zu weihen, um so alle Gefahren, welche die Familie im kommen- den Jahre treffen könnten, von ihr abzuwehren. Es mufste gebraten werden ; dies war der älteste Gebrauch, das Fleisch zuzubereiten. Es mufste mit bittern Ki'äutern gegessen werden ; dies war eine passendere Zugabe zu einer sühnen- den Handlung, als etwas anderes, das dem Gaumen an- genehm geschmeckt hätte. Es war ein Lamm, nicht im Widerspruch zu dem Aberglauben der Ägypter, wie Spencer behauptet, auch nicht, weil die Sonne zu der Zeit in das Zeichen des Widders eintritt, wie Baur meint, denn es ist gar nicht bewiesen, dafs die Juden damals und noch einige Jahrhunderte später irgend welche Kenntnis von den Zeichen des Tierkreises hatten, sondern weil es ein Tier war, das leicht zu beschaffen und wegen seiner Gröfse für ein häus- liches Mahl wie geschaffen war. Der Gebrauch von un- gesäuerten Broten bei den Frühlingsfesten bildete sich aus der Thatsache heraus, dafs das Brot mitten in der drängen- den Erntezeit, bei der angehäuften Arbeit nicht gesäuert werden konnte. Geschichtliche Anlässe für die Feste finden sich vor der Zeit Moses nicht. Moses hauptsächliches Werk war, dafs er die gesamte mosaische Religion mit einem ganz neuen Geist beseelte und die alten Feste umgestaltete. Der oberste Grundsatz war nun, dafs jedes Individuum, wie das ganze Volk mit aller seiner Habe Gott gehöre, alle sollten durch seinen Willen regiert werden und Ruhe und Er- quickung in dem finden, was rein und heilig ist. Dies kann unter den Sorgen und Zerstreuungen dieses Lebens — 60 — nicht geschehen, deshalb wurden nun heilige Zeiten ein- gesetzt. In ihnen sollte dem Volk das Ideal eines gött- lichen Lebens mit seinem ungestörten Seelenfrieden vor Augen gemalt und Gelegenheit geboten werden, sich, wenn auch nur für kurze Zeit, über den Staub der Erde in reinere und höhere Atmosphäre zu erlieben. Obschon diese Idee bei andern Völkern des Altertums nicht gänz- lich fehlt, erscheint sie doch nirgends so klar und be- stimmt wie bei den Hebräern unter Moses. Unter diesem Gesichtspunkt hat Moses den Sabbath eingesetzt. Die Ein- teilung der Zeit in Wochen war bei den alten Völkern auch bekannt, aber der Sabbath ist Israel ganz eigentümlich und fand seine Weiterentwicklung in dem regelmäfsigen Cyklus des Sabbath- und Jobeljahrs. Die jährlichen Feste tragen in verschiedener Weise den Stempel der Siebenzahl. Es gab zwei grofse Feste, genau abgemessen und systematisch in drei Bestandteile geordnet, nämlich in Vorfeier, Fest und Nachfeier. Sie waren auf den Vollmond am ersten, respektive siebenten festgesetzt, d. i. der erste Monat jedes Halbjahrs. Bei jedem war zuerst eine Vorfeier, bestehend in einem Sühnopfer am zehnten Tag; im ersten Monat wurde das Passahlamm ausgewählt, und Ewald glaubt, dafs es ur- sprünglich an demselben Tag auch geschlachtet wurde, um alle kommenden Übel abzuwenden; im siebenten Monat war der grofse Versöhnungstag, von höherer Bedeutsamkeit und rückwirkender Kraft, an dem für die Sünden der Ver- gangenheit Sühne gesucht wurde, nicht allein für die der Familie, sondern für die des ganzen Volkes. Hierauf folgte am fünfzehnten Tag das Fest selbst und dauerte sieben Tage lang, nämlich in einem Fall war es das Fest der ungesäuerten Brote und in dem andern das Laubhüttenfest. Endlich folgte noch ein Tag als Nachfeier, das Wochenfest — 61 — am Ende der Ernte und der Tag nach dem Laubhüttenfest, welches den Schlufs der jährlichen Feste machte. V. Leng'erke ^) stimmt im wesentlichen der Ansicht Ewalds bei, dafs die Feste alle von Mose eingesetzt und angeordnet sind, nimmt aber bei einzelnen eine vormosaische Grundlage an. Hupfeld ^) dagegen entdeckt in den Festgesetzen viele Inkonsequenzen und Verschiedenheiten ; in keinem derselben, selbst in dem ältesten nicht ist der wahre Ursprung und Grund dieser Feste genau angegeben. Während die Feste selbst mosaisch sind, rühren die Gesetze über dieselben, wie wir sie jetzt haben, von verschiedenen Personen her, die erst lange nachher mit der Niederschreibung derselben be- auftragt wurden, als die Kenntnis ihrer wirklichen Bedeu- tung schon verwischt und verloren war. Diese kann nur durch das Studium der Feste selbst wieder herausgefunden werden. Die heiligen Gebräuche, welche, um in geziemender Weise ausgeübt werden zu können, friedliche Zeiten und blühende Zustände des Volkslebens voraussetzen, wurden durch die traurigen und unfertigen Verhältnisse nach der Besitznahme Kanaans vernachlässigt und blieben hinter anderen Insti- tutionen gänzlich zurück. Es ist bereits keine Spur mehr vorhanden, dafs dieselben in irgend welcher nachherigen Zeit der biblischen Geschichte, vor oder nach dem baby- lonischen Exil, in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Gesetzes gefeiert wurden. Nach Hupfeld gab es nur ein sogenanntes agrarisches Fest, das der Laubhütten oder der Einsammlung, und ein Fest der Heiligung, das der ungesäuerten Brote. Das ») „Kenaan, Volks- und Religionsgeschichte Israels" 1844. -) De vera et primitiva festorum ratione apiul Hebraeos III Part. Herausgegeben 1851, 1852 und 1858 resp. mit einem Anhang 1865. — 62 — letztere wurde nur im uneigentlichen Sinn Fest genannt. Es war eine Feier, aber keine Zeit festlicher Freude wie das Laubhüttenfest, welches deshalb oft „das Fest" x«r' a^oyrjv genannt wird, als stünde es ganz einzig da. Lev. 23, 39. 41; 1. Kön. 8, 2. 65; auch 2. Cliron. 5, 3; 7, 8. 9; 1. Kön. 12, 32; Ezech. 45, 25; Neh. 8, 14; Ps. 81, 3. Man trat in dasselbe durch zwei Vorfeiern, gleichsam zwei Vorhallen, welche im gleichen Verhältnis zur Hauptfeier standen, wie das Passah zu dem Fest der ungesäuerten Brote, und mit ihr sozusagen eine dreigliedrige Stufenleiter bildeten. Am Anfang stand das Erntefest, die Darbringung der Erstlingsgarben mit entsprechenden Opfern, jedoch der Tag wurde nicht eigentlich heilig gehalten. Am Schlufs der Ernte wurden sodann zwei Brotlaibe mit vermehrten Opfergaben dargebracht, und der Tag stand an Rang einem Sabbath gleich. Endlich, wenn die Früchte alle eingeheimst waren, wurde das eigentliche Fest sieben Tage lang, die gewöhnliche Dauer für heilige Zeiten, gefeiert, und die Krone des Festes bildete der achte Tag, welcher als der heiligste von allen die ganze Festfeier beschlofs. Als der Kalender verändert wurde, so dafs der Aus- zugsmonat der erste im Jahre wurde, zählte man den Mo- nat der Laubhütten als den siebenten. Aber nach dem früheren Gesetz, Exod. 23, 16, scheint es, dafs das Jahr ursprünglich mit der Herbstnachtgleiche begann, und das Fest der Einsammlung fiel dann „in das Ende des Jahres", oder wie Hupfeld sich ausdrückt „nach dem Ende des Jahres", nämlich in den ersten Monat des neuen Jahres. Li diesem Monat begann auch das Sabbath- und Jobeljahr, dessen Eintritt durch das Blasen der Trompeten im ganzen Lande feierlich angekündigt wurde. Der erste Tag des Monats, der als Sabbath mit Trompetenblasen gefeiert wurde, war zugleich der Anfang des neuen Jahres, und der — 63 — grofse Versöhnimgstag- , am 10. des Monats, war dazu be- stimmt, am Anfang des Jahres eine Sühne für die Sünden der Vergangenheit zn sein. Auf diese Weise sollte das Volk geheiligt und würdig gemacht werden für die Be- gehung des Dankfestes, an welchem es die Produkte seines Landes seinem Gott, dem G-eber aller Gaben, zum Opfer darbringen sollte. Nach dieser Rechnung ist der siebente Monat der Passahmonat, in der Mitte oder auf dem Gipfel des Jahres, und seine feierliche Begehung bereitet auf die Feste vor, welche am Anfang des Jahres abgehalten wurden. Anfänglich war das Passah kein Erinnerungsfest an den Auszug und auch kein Sühnopferfest, sondern ein Akt der Kommunion und Konsekration. Ungesäuertes Brot war die Nahrung der Priester. Jeder Familienvater übte durch die Sclilachtung eines Opferlammes priesterliche Funktionen aus, welches dieselbe Bedeutung hatte, wie der Sühnebock, der für Aaron und seine Söhne bei ihrer Einsetzung in ihr Priesteramt dargebracht wurde. Die Besprengung der Thür- und Thorpfosten hatte dieselbe Kraft wie die Be- sprengung des Altars und des Heiligtums am grofsen Ver- söhnungstag. Das Haus wurde dadurch geheiligt. Der Zweck des Versölmungstages war ein negativer, nämlich die Schuld des Volkes wegzunehmen, es war eine General- sühne für das ganze Volk, ein Gebrauch, den wir auch bei andern Nationen finden. Der Zweck des Passah war ein positiver, nämlich priesterliche Gemeinschaft mit Gott, indem jedes Familienhaupt mit seiner ganzen Familie dadurch zur priesterlichen Würde erhoben wurde, alle sollten Priester Gottes sein; dies ist eine Erscheinung, die ganz einzig da- steht und nur beim Volk Israel sich findet. Der siebente Monat nach dieser Zählung war dadurch charakterisiert, dafs beide, das Land und das Volk, Gott geheiligt waren. Die Darbringung der Erstgeburt, welche mit — 64 — dem Passall verbunden oder vielmehr durch dasselbe über- flüssig gemacht wurde, und die Darbriugung der Erstlings- frucht in zwei aufeinander folgenden Akten, in fünfzig- tägigem Zwischenraum, korrespondierten mit den zwei Ern- ten, der Gerstenernte und der Weizenernte. Im siebenten Jahre aber wurden nicht nur die Erstlinge von Früchten, sondern auch aller Ertrag des Landes an Grott abgegeben. Im fünfzigsten Jahre fiel alles veräufserte Eigentum an seine früheren Besitzer zurück, und alle Knechte erhielten ihre Freiheit, oder besser gesagt: alles wurde Gott über- geben, als dem unumschränkten Eigentümer und Herrn des Volkes und des Landes, der denen, die Besitz haben, kein absolutes Eigentumsrecht gewährt, sondern nur die zeit- weilige Nutzniefsung gestattet. Knobel ^) ist mehr als alle seine kritischen Vorgänger, welche diese Angaben gänzlich zu ignorieren beliebten, geneigt, die historischen Angaben hinsichtlich des Ur- sprungs der Feste zu deren Erklärung zu berücksichtigen. Dennoch wagt er den Sprung nicht, der mosaischen Er- zählung völligen Glauben zu schenken; wahrscheinlich weil dies ganz unkritisch gewesen wäre. Aus der Geschichte schliefst er, dafs das Passah an keinen früheren Gebrauch anknüpft. Es war kein Naturfest zur Feier des Übergangs aus dem Winter in den Frühling, auch keine Sühnfeier zur Erlangung einer glücklichen Wallfahrt durch das begonnene Jahr hindurch, sondern ein von Moses im Hinblick auf den Auszug aus Ägypten eingesetztes Opferfest, um der Hilfe und des Schutzes des Gottes der Väter sich zu ver- sichern. Die Passallfeier mag verglichen werden mit Brand- opfern, welche am Abend vor grofsen Unternehmungen dar- 1) „Die Bücher Exodus und Levilicus" 1857, besonders seine bei- läufigen Bemerkungen über Lev. 23. — 65 — gebracht wurden, um zur Ausführung derselben den gött- lichen Beistand zu erlangen. Als das Unternehmen ge- lungen war, wurde die Verordnung auch für die Zukunft giltig gemacht, und das Passah zu einer Gedächtnisfeier an den himmlischen Beistand umgewandelt, der dem Volk so gnädig zu teil geworden war. In späterer Zeit brachte es der Volksglaube besonders mit dem Eingreifen Gottes in Verbindung, wie es sich in der Verhängung von Plagen über die Ägypter manifestierte, wovon die Israeliten ver- schont blieben und wodurch der Auszug ermöglicht wurde. Daher wurde es denn Passah genannt. In noch späterer Zeit wurde die Plage der Pestilenz in eine mysteriöse Er- würgung der Erstgeburt umgewandelt, und das Passah und die Besprengung mit Blut eben hieraus erklärt. Allein dies ist eine willkürliche Abweichung von dem wah- ren Sachverhalt. Alles dies zeigt, wie leicht es ein Kritiker nimmt, gerade soviel oder so wenig von einem historischen Bericht zu glauben, als ihm gefällt. Das Fest der un- gesäuerten Brote, der Ernte und das der Einsammlung waren früher existierende Feste, welche Moses beibehielt und mit einem neuen Geiste erfüllte. Passah, Versöhnungstag und Sabbath sind mosaischen Ursprungs. Im allgemeinen giebt die elohistische Gesetzgebung die mosaischen Institu- tionen ziemKch treu wieder, die jehovistische dagegen ent- hält Modifikationen aus späterer Zeit. Der Leviticus be- fiehlt keine Wallfahrten, weshalb in den frühsten Zeiten die Teilnahme an den Festen in jedermanns Belieben gestellt war; dennoch waren die Wallfahrten die vorherrschende Praxis. Die spätem Gesetzgeber, welche uns im Bundes- buch und im Deuteronomium entgegentreten, erhoben diesen Brauch zum Gesetz , mit der näheren Bestimmung , dafs alle Mannsbilder dreimal im Jahre an den grofsen Festen am Heiligtum zu erscheinen haben. Green, Die Feste der Hebräer. 5 — 66 — Dillmann ^) schliefst nach seinen kritischen Grundsätzen, dafs das Bundesbuch aus der Zeit der Eichter stamme, der Leviticus aus der Zeit Salomos und das Deuteronomium aus noch späterer Zeit. Aber obgleich diese Gesetze in der Form, wie wir sie jetzt haben, verschiedenen Epochen der nachmosaischen Zeit angehören sollen, betrachtet er nichtsdestoweniger die Feste als mosaisch oder vormosaisch. Auf den Einwurf, dafs derselben in den Idstorischen Bü- chern so spärliche Erwähnung geschieht, antwortet er, dafs sich so viele Hinweisungen auf dieselben finden, als wir nur in einer so gedrängten Gesclüchtserzählung erwarten dürfen. Dülmann adoptiert die von Ewald vorgesclüagene Gruppierung der Feste und stimmt mit ihm in der An- nahme überein, dafs die jährlichen Feste auf die Frühlings- und Herbstfeste basiert sind, welche sich bei allen alten Völkern ausnahmslos vorfinden. Solche Feste sind wahr- scheinlich von den Israeliten vor der Zeit Moses gefeiert worden, möglicherweise zum Teil mit denselben Gebräuchen wie in späterer Zeit, wie etwa der Gebrauch von un- gesäuertem Brot und die Darbringung von Opfern. Moses hat die Feste neu organisiert und ihnen eine neue Be- deutung untergelegt. Aber bei der Umänderung des Früh- lingsfestes in ein Erinnerungsfest an die Erlösung aus Ägypten wurde die Begehung desselben auf eine bestimmte Zeit festgesetzt, das Schlachten und Essen des Lammes wurde ein Symbol der erlösenden Gnade Gottes und ein Mittel zur Aneignung derselben, und das ungesäuerte Brot war ein Hinweis auf die Reinheit des erlösten Gottesvolkes. Seine alte Beziehung auf den Wechsel der Jahreszeiten verlor man ganz aus dem Auge, und nur ein Rest davon erhielt sich dadurch, dafs es ein Erntedankfest wurde, und 1) Artikel „Feste" iu Schenkels „Bibel-Lexikon" 1869. Band II. p. 265—272. — 67 — da es unter dein Klima Palästinas mit dem erstreifen Ge- treide zusammenfiel, so wurde der Schlufstag sieben AVochen später auf das Ende der Ernte festgesetzt, wodurch es geradezu den Charakter eines besonderen und unabhängigen Festes annahm. Die Zeit des Herbstfestes stand zuvor in Abhängigkeit von dem Charakter der Jahreszeit. Aber als das Fest der ungesäuerten Brote in den ersten Monat ver- legt wurde, wurde das Fest der Einsammlung zusammen mit dem grofsen Versöhnungstag als einer passenden Vor- bereitung darauf und einem Schlufsfeiertag von ausgezeich- neter Feierlichkeit, welcher die Reilie der Feste des Jahres in würdiger Weise abschlofs, auf den siebenten oder Sabbath- monat festgesetzt. Im Bundesbuch und Deuteronomiuni wird nur von drei Festen gesprochen, während das levi- tische Gesetz sieben nennt. Dies ist nach Dillmanns Ur- teil kein Widerspruch und braucht nicht aus der allmäh- lichen Vermehrung der wirklich gefeierten Feste erklärt zu werden, sondern aus der Thatsache, dafs in dem einen Fall ausschliefslich auf die drei Wallfahrtsfeste, in dem andern auf die angefügten Schlufsfeierlichkeiten Bezug genommen ist. Neuerdings scheint der Herr Professor seine Meinung hinsichtlich des mosaischen Ursprungs der zwei Ackerbau- feste: dem Fest der Wochen und dem der Laubhütten, dahin geändert zu haben, dafs dieselben erst nach der Besitznahme Kanaans konnten eingeführt worden sein und dafs die Zeit des Laubhüttenfestes sich zuerst nach der Einsammlung der Früchte gerichtet haben mag und so, je nach der Lokalität und der Jahreszeit, zu verschiedener Zeit gefeiert wurde, nur dafs es wegen der ausdrücklichen Erwähnung dieses Umstandes bei der Einweihung des Tem- ^) „Die Bücher Exodus und Leviticus" 1880 und siehe besonders das über Leviticus 23. 5* — 68 — pels zum mindesten in der Umgegend von Jerusalem in oder nach der Zeit Salomos auf den siebenten Monat fest- gesetzt gewesen sein mufste. Dieser Umstand ist ferner von einem archäologischen Standpunkt aus behandelt worden, wie von De Wette, der in seiner Archäologie in den aufeinander folgenden Aus- gaben 1814, 1830 und 1848, die religiösen Institutionen Israels in vormosaische, mosaische und nachmosaische ein- teilt und als mosaisch alle die gelten läfst, welche durch die pentateuchischen Gesetze verordnet werden; so auch von Winer,^) der in der durchgreifenden und organischen Beziehung der Feste aufeinander eine Gewähr für deren gleichzeitigen mosaischen Ursprung findet und von den kri- tischen Theorien über diesen Gegenstand sagt: wenn jeder Kritiker das Material der biblischen Archäologie in Über- einstimmung mit seiner eigenen, leichthin entworfenen Hypo- these über die Komposition der biblischen Bücher arrangieren wollte, dann würde diese Wissenschaft bald aller historischen Grundlagen beraubt sein. Die mosaische Gesetzgebung in ihrer symbolischen Be- deutung ist in erschöpfender Weise und mit fast den glei- chen Resultaten von Bälir^) bearbeitet worden. Er findet ein zusammenhängendes, harmonisches System religiöser Ideen in den ganzen Kultus eingekleidet, generisch ver- schieden von denen jedes andern Volkes. Alles ist von einem Geist durchdrungen und ist der Ausdi-uck einer Auffassung und zeigt, dafs das ganze Ceremonialgesetz das Produkt eines Geistes ist. Sein Glaube an die liistorische Thatsache, dafs dieser Geist kein anderer als der eines 1) Biblisches Real- Wörterbuch. 3. Ausgabe 1847. Artikel „Feste", „Pascha" etc. 2) Symbolik des mosaischen Kultus. Bd. II. 1839. 2. Aufl. Bd. I. 1874. p. 1. 2. — 69 — Moses ist, steht ihm trotz aller dem widersprechenden Hypo- thesen unerschütterlich fest. Nun sind wir in unserer Übersicht über die verschie- denen Auifassungen zur Hypothese Wellhausens gekommen, nach welcher die hebräischen Feste infolge des agrikultu- reilen Charakters von den Kanaanitern nach der Eroberung des Landes entlehnt sein und sich im Laufe der Jahrhunderte zu der vollendeten Form entwickelt haben sollen, wie sie uns jetzt in den Pentateuchgesetzen entgegentritt. Es genüge nun als Resultat unserer Untersuchung über die früheren Behandlungen dieses Gegenstandes zu bemer- ken, dafs letztere Hypothese mit dem Ergebnis im Wider- spruch ist, das mit überraschendem Grad von Überein- stimmung von denen erreicht wurde, die der kritischen Arbeit Wellhausens vorgeai'beitet haben, trotzdem jeder von einem weitabweichenden Standpunkt ausging ; wie auch von denjenigen, welchen sicherlich keine übermäfsige Ehrerbietig- keit gegen die traditionellen Ansichten beigemessen werden kann, sondern welche kein Bedenken tragen, die Angaben des Pentateuchs selbst kurzerhand zu beseitigen. Absicht- lich habe ich unterlassen, die Meinungen derer anzuführen, welche wie Friedrich Ranke, Hengstenberg, Hävernick, Drexler, Weite, Bachmann, Baumgarten, Kurtz, F. W. Scliultz, Öhler und Keil, das historische Zeugnis des Penta- teuchs als unfraglich echt acceptieren. m. Die Einheit yoii Exodus Kap. 12. 13. Es könnte scheinen, als ob die Untersuchung- über den Ursprung und Zweck der hebräischen Feste eine schnelle und leichte Lösung finden müfste. Wir haben einen gleich- zeitigen Bericht über diesen Gegenstand, welcher darauf Anspruch macht, aus der Feder des grofsen Gesetzgebers selbst zu stammen, und auch von der frühesten Zeit an für mosaisch gegolten hat. Er enthält die Erzählung von der Einsetzung des Passah in der Zeit des Auszugs Israels aus Ägypten und erzählt die Veranlassungen, welche zu dieser Einsetzung geführt haben. Er berichtet die von Moses am Berge Sinai und auf dem Gefilde Moabs gegebenen Gesetze, wodurch die übrigen Feste, aufser dem Passah, eingesetzt, und die Art und Weise ihrer Begehung vor- geschrieben wurde. Allein es wird behauptet: weder die Gesetze noch die Erzählung seien mosaisch, sondern thatsächlich in viel späterer Zeit als der mosaischen entstanden, ja so lange nach Moses, dafs dieselben keinen authentischen Aufscldufs gewähren könnten. Die Geschichtserzählung mag den land- läufigen Glauben der Periode repräsentieren, in welcher sie verfafst wurde, und die Gesetze mögen die Sitten und Gebräuche der Zeit, welcher sie angehören, wiederspiegeln; aber einerseits können die so bis in das kleinste geschil- — 71 — derten Ereignisse keine wirklichen Facta sein, andrerseits ist die Autorschaft Mosis, welche für die Gesetze behauptet wird, ohne jegliche Begründung. Diese ungeheuerlichen Behauptungen ruhen auf drei Voraussetzungen, die man auch beweisen zu können be- hauptet. 1. Dafs die in Frage stehenden Berichte die Probe einer litterarischen Analyse nicht bestehen können. 2. Dafs die verschiedenen Teile des Pentateuchs in Bezug auf diesen Umstand keine einheitliche und zusammen- hängende Darstellung der Feste geben, wie sie in irgend einer Zeit bestanden, sondern so wesentlich voneinander abweichen, dafs sie nur fortschreitende Phasen in ihrer Entwicklung repräsentieren können. 3. Dafs dieselben Phasen der Entwicklung, welche an den Gesetzen verfolgbar sind, auch in den fortschreitenden Perioden der Geschichte nachgewiesen werden können. Wir müssen diese verschiedenen Punkte in ihrer Ord- nung näher ansehen. Der erstgenannte wird uns zunächst beschäftigen und wir werden deshalb zuerst den litterari- schen Charakter der Dokumente untersuchen, mit welchen wir es hier zu thun haben. Die Kritiker geben vor, diese Dokumente trügen kein einheitliches Gepräge, zeigten nicht einerlei Stil und könnten deshalb nicht von ein- und dem- selben Verfasser herkommen, sondern seien auf Grund ver- schiedener litterarischer Kriterien mit ziemlicher Sicherheit verschiedenen Verfassern zuzuschreiben. Ferner seien sie durch Konjekturen und Interpolationen von mehr oder weniger ernstem Charakter entstellt, welche aufgedeckt und ausgeschieden werden könnten; manche der Dokumente seien von zusammengesetzter Natur und könnten leicht in ihre primären Bestandteile zerlegt werden. Mit Hilfe dieses kritischen Verfahrens werde dann alles, was jetzt zusammen- — 72 — hangslos und verworren ist, einleuchtend und klar werden, und das Zeugnis, welches aus diesen Dokumenten für den wahren Ursprung der hebräischen Feste gewonnen werde, werde ein ganz verschiedenes sein von dem Zeugnis, das sie in ihrer jetzigen Form zu geben scheinen. Ehe wir uns in eine Untersuchung dieser kritischen Methoden und ihrer Resultate einlassen, mögen einige vorläufige Bemerkungen gestattet sein. 1. Die supernaturalen Momente in dem mosaischen Be- richt bieten keinen triftigen Grund für eine summarische Leugnung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben oder der Echtheit seiner Gesetzgebung. Das Eingreifen Gottes, um seinem bedrängten Volke in Ägypten die den Vätern ge- gebene Verheifsung zu erfüllen, war in der That etwas Aufsergewöhnliches , aber durch die Lage der Dinge voll- ständig gerechtfertigt. Wenn die wahre Eeligion in dem Volke Israel begründet und erhalten werden sollte, in- mitten mächtigen Heidentums mit seiner Entartung und Verderbnis, so war es durchaus angebracht, dafs die Ein- führung dieser Religion unter der Entfaltung seiner er- lösenden Macht und göttlichen Glorie vor sich gehen mufste, um die unendliche Erhabenheit Jehovahs über die Götter der Heiden der Menschheit vor Augen zu führen. Die An- nahme, dafs jedes Wunder notwendig erdichtet und als Legende späterer Zeit anzusehen sei, ist der leitende Grund- satz der meisten Kritiker gewesen und wird auch mehr oder weniger offen zugestanden. Bei aller Prahlerei mit Wissen- schaftlichkeit in der Verteidigung ihrer Hypothesen ist dies ohne Frage in den meisten beanstandeten Punkten der be- stimmende Faktor gewesen. Solch eine Annahme ist eine rein unerwiesene Voraussetzung und durchaus verwerflich; und jedes Gebäude, welches darauf errichtet wird, ist ebenso unsicher als das Fundament, auf dem es ruht. Das un- — 73 — freundliche Gesicht eines Opponenten hält uns in der That nicht von einer unparteiischen Untersuchung seines Rai- sonnements ah, auch nicht von der Annahme aller Wahr- heitselemente, welche darin enthalten sind, noch auch von seinen Schlufsfolgeruugen, sofern sie nur ehrlich begründet sind. Aber man wird uns entschuldigen, wenn wir keines- wegs in grofser Eile sind, uns solcher Führerschaft rück- haltslos in die Arme zu werfen, oder jedem Irrlicht nach- zujagen, ohne dafs wir wissen, wohin es uns führen wird. 2. Dreiste Behauptungen dürfen nicht als Ersatz für die Mangelhaftigkeit von Beweisen angesehen werden. Die Kritiker scheuen sich nicht, den bestverbürgtesten Berichten und begTündetsten historischen Thatsachen gegenüber mit gröfster Willkür zu verfahren. Ihre kritische Feder in der Hand bilden sie den Text um, indem sie ganz nach Belieben entweder dazu thun oder davon thun, nur um den Text mit ihrer vorgefafsten Meinung in Einklang zu bringen und die Thatsachen für ihre Hypothese zuzustutzen, anstatt ihre Hypothese auf den Thatsachen aufzubauen. Delitzsch spricht mit Recht von „der Allmacht, die in dem Tintenfafs eines deutschen Gelehrten steckt". Aber grundlose Möglich- keiten werden nicht auf einmal in Wirklichkeiten oder Wahr- scheinlichkeiten umgewandelt, weil es den Bedürfnissen einer kritischen Hypothese so genehm wäre. Indem wir weiter gehen, betrachten wir die Fragen, welche die Kritiker hinsichtlich der litterarischen Form der Festgesetze aufgeworfen haben. Dies wird erfordern, dafs wir uns, selbst auf die Gefahr hin langweilig zu werden, mit kleinlichen Fragen, Ausdrucksformen, Verbindungen von Klauseln und Paragraphen beschäftigen müssen, weil dies gerade das Gebiet ist, auf welchem die Streitfrage not- wendig sich bewegen mufs. Ich hoffe dabei wenigstens die Natur der Widersprüche und den Charakter der Verteidigung — 74 — denen erfolgreich klar zu machen, die mir ihre geduldige Aufmerksamkeit schenken wollen, obgleich der G-egenstand besser für privates Studium als für öffentliche Besprechung geeig-net ist. Der erste Abschnitt, mit welchem wir es zu thun haben, ist die Erzählung über die Einsetzung des Passah Exod. 12. 13. Die letzte ägyptische Plage, die Erwürgung der Erstgeburt, hat Pharaos hartnäckigen Widerstand, das Volk ziehen zu lassen, in das brennendste Verlangen, dasselbe so bald wie möglich los zu werden, verwandelt. Israel war von der Plage verschont durch das Blut des Passalüammes, mit wel- chem die Schwellen und Thorpfosten ihrer Häuser bestrichen waren. Von da an war das Passah eine Erinnerung an diese grofse Erlösung und Wegführung aus der Knecht- schaft Ägyptens. Die hier berichtete Erzählung des Exodus ist der Schlüssel zur ganzen Stellung. Ist dies ein bona fide Bericht, so ist das Passah ohne Frage mosaisch und verdankt seine Einsetzung den hier berichteten Umständen. Es ist daher nicht überraschend, dafs dieser Bericht fortwährend aufs heftigste angegriffen und für unecht und mythisch erklärt wird. Das Passah, sagt man, ist nicht eingesetzt, um an die Vorgänge beim Auszug zu er- innern, sondern die Erzählungen darüber sind Erdichtungen, welche, um eine schon vorhandene Institution zu begründen, fabriziert worden sind. Diese Vorgänge haben nicht den Anlafs zum Passah gegeben, sondern das Passah gab An- lafs zur Passahsage. So sagt Wellhausen : ^) „Die Sitte (die Haltung des Passah) wird also nicht blofs geschichtlich motiviert, sondern in ihrem Anfang selber zu einem ge- schichtlichen Faktum verdichtet und durch ihren eigenen Anfang begründet; der Schatten, den sonst doch nur ein 1) Geschichte Israels I. p. 105. Prolegomena. 3. Aufl. 1886. p. 103. — 75 - anderweitiges historisches Ereignis wirft, wird hier ver- körpert und wirft sich selber." Oder wie sich Dr. Robert- son Smith ^) niedlich ausdrückt, wenn er im allgemeinen von Stellen spricht, welche von dieser Erzählung handeln, es ist „nicht wirkliche Geschichte", es ist „ein G-esetz im Gewand der Geschichte". De Wette ^) nennt es noch kürzer einen „juridischen Mythus". Der Bericht in diesen Kapiteln ist eine fortgehende, in sich geschlossene und regelmäfsig sich entwickelnde Erzählung; das Ganze atmet den Geist der Wahrhaftigkeit. Die Erzählung enthält keine Wider- sprüche und ist durch den Gang der Ereignisse völlig motiviert. Als die Zeit der Verhängung der letzten Plage heran- kam, gab der Herr Moses und Aaron 12, 1—13 ausführ- liche Weisungen für die Begehung des Passah in der verhängnisvollen Nacht, verbunden mit der ausdrücklichen Erklärung, dafs er in derselben Nacht durch ganz Ägypten- land gehen und alle Erstgeburt unter Menschen und Vieh schlagen, aber an den Häusern, welche mit Blut bestrichen sind, vorübergehen wolle. Ferner fügt er hinzu V. 14 — 20, dafs zur Erinnerung daran für alle zukünftigen Zeiten all- jährlich ein siebentägiges Fest gefeiert werden solle, wäh- rend dessen Dauer ungesäuertes Brot gegessen, und über- haupt nichts Gesäuertes in den Häusern sein solle. So- gleich, V. 21 — 27, versammelt Moses die Ältesten des Vol- kes und unterrichtet sie hinsichtlich des Passah, indem er ihnen ausdrücklich mitteilt, dafs es bestimmt sei „zu einer Satzung ewiglich", zur Erinnerung an diese bevor- stehende Erlösung; und das Volk that wie ihm befohlen war, V. 28. Dann folgt V. 29 — 42 die Verhängung der Plage und die Bestürzung Pharaos und der Ägypter, welche 1) The Old Testament in the Jewish Church. p. 320. 2) Beiträge II, p. 198. — 76 — das Volk nun drängen, in grofser Eile aus dem Lande zu ziehen, mit reichem Grut beladen, wie der Herr verheifsen hat. Die Zahl des Volkes und die Dauer des Aufenthaltes in Ägypten ist angegeben als die Erfüllung der Ver- heifsung, welche lange zuvor dem Abraham gegeben wor- den war. Der gemischte Volkshaufe, welcher den Israeliten nachfolgte, gab Anlafs V. 43—51 zu einer nachträglichen Verordnung hinsichtlich des Passah, welche die Bedingungen enthielt, unter denen auch Fremdlingen die Teilnahme daran gestattet war. Kap. 13, 1, 2 kündigt der Herr dem Moses ferner an, dafs Israels Erstgeburt unter Menschen und Vieh, welche so wunderbar verschont geblieben war, hinfort als ihm gehörig anzusehen sei, und endlich 13, 3 — 10 eröffiiet Moses dem Volk, welches in solcher Eile Ägypten verlassen hatte, dafs es unmöglich war, das Brot zu säuern, die göttliche Einschärfung, welche er nicht früher wiederholt hatte, da dieselbe mehr für die Zukunft als für die Gegen- wart bestimmt war; dafs nämlich, wenn das Volk Kanaan eingenommen haben werde, der Auszug aus Ägypten alljähr- lich durch das siebentägige Gedächtnisfest der ungesäuerten Brote gefeiert werden solle. Moses fügte dann seiner Bot- schaft, welche er im Auftrag Gottes dem Volk zu verkün- digen hatte, das Gebot der Heiligung der Erstgeburt hinzu V. 11—16. Eichhorn, einer der ältesten und geistreichsten Ver- teidiger der Teilungshypothese für die Genesis, welchem dieselbe mehr als jedem andern ihre plötzliche Popularität zu verdanken hat, hat in den mosaischen Berichten über das Passah und die andern Feste nichts Verdächtiges ge- funden. Er beruft sich auf die Thatsache, dafs der Schrei- ber immer und immer wieder zurückkommt auf denselben Gegenstand in Exod. 12. 13; und dafs er ergänzende Zu- sätze in aufeinander folgenden Paragraphen macht, in der — 77 — Überzeugung, dafs diese Abschnitte an der Stelle geschrieben sind und in ihrer ursprünglichen Form sich erhalten haben. ^) Dr. Dillmann ^) giebt in seinem neuen Kommentar trotz der Behauptung, dafs ganz verschiedene und abweichende Be- richte in diesen Kapiteln zusammengearbeitet sind, und dafs beträchtliche Verschiebungen des Textes und Interpolationen stattgefunden haben, nichtsdestoweniger zu, dafs die- selben „auf den ersten Anblick eine ganz erstaunliche Übereinstimmung" zeigen; so grofs ist die Geschicklichkeit, mit welcher der Schlufsredaktor dieselben zusammen- gearbeitet hat. Vater, 3) der die Fragmentenhypothese verteidigte, will einen Widerspruch finden zwischen Exod. 12, 8, wonach der Gebrauch des ungesäuerten Brotes beim ersten Passah befohlen war, und zwischen V. 34. 39, wo dasselbe auf eine nachfolgende Begebenheit zurückgeführt wird. Er vermutet, dafs verschiedene Abschnitte^) in sich selbst vollendet sind und ohne Unterbrechung der Geschichtserzählung aus- gelassen werden können; woraus gefolgert werden darf, dafs dieselben ganz unabhängig voneinander entstanden sind. Gramberg'') hat entdeckt, dafs zwei verschiedene Ge- schichtserzählungen in diesen Kapiteln zusammengearbeitet sind, welche, jede für sich genommen, ganz verschiedene Darstellungen des ganzen Sachverhalts ergeben. Dem ersten Erzähler oder vielmehr Dichter, denn alles ist reine Er- dichtung, gehört das ganze Kapitel 12, ausgenommen V. 14 bis 20, wo Verhaltungsmafsregeln für die Begehung des Festes der ungesäuerten Brote gegeben werden. Dieser ») Einleitung in das Alte Testament. 3. Ausg. 1803. Bd. II. p. 398. ») „Die Bücher Exodus und Leviticus" p. 99. 3) Kommentar I. p. 32. 33. II. p. 447. *) Nämlich 12, 1 — 13; 14 — 20; 40 — 42; 43—49. 50. 51; 13, 1—16. 5) Religionsideen I. p. 271 ff. — 78 — Passus gehört mit Kapitel 13, 1—16 dem zweiten Dichter an. Nach dem ersten war das Passah ausdrücklich auf eine einzige Nacht beschränkt, V. 42, und war ein Opfer- und Versöhmmgsmahl mit Bezug auf den Mythus von der Verschonung der Erstgeburt, was durch das Blut an den Thürpfosten symbolisch ausgedrückt war. Dafs dabei un- gesäuertes Brot gegessen wurde, wie es auch sonst bei den Opfern der Fall war, war eine durchaus untergeordnete Sache. Er findet dabei keine Schwierigkeiten in der nach- folgenden Bemerkung desselben Schreibers, dafs die Eüe, mit welcher die Israeliten Ägypten verlassen mufsten, sie am Säuern ihres Brotes verhinderte; er sieht sich dem gegenüber nicht gezwungen, sich der De Wetteschen Er- klärung^) auzuschliefsen : dafs der ganze Bericht, obgleich der Verfasser zwei voneinander abweichende Erklärungen über den Gebrauch der ungesäuerten Brote beim Passah gebe, doch so zusammenhangslos sei, dafs die Vermutung sehr nahe liegt, der Verfasser habe sich auch in diesem Punkte selbst widersprochen. Grambergs zweiter Erzähler hatte eine ganz verschiedene Vorstellung von den Festen. Er erwähnt kein Opferlamm, als ob dasselbe eine Sache von ganz besonderer Wichtigkeit und Bedeutung gewesen wäre. Es ist bei ihm ein siebentägiges Fest, an welchem un- gesäuertes Brot gegessen wurde zur Erinnerung an die eilige Verlassung Ägyptens. Der erste und der siebente Tag waren durch heilige Versammlungen und durch Ent- haltung von der Arbeit ausgezeichnet. Er scheint darin, dafs ein Passus nur den siebenten Tag als „ein Fest des Herrn" bezeichnet 13, 6, was anderen so viel Kopf- zerbrechens gemacht hat, nie eine Schwierigkeit gefunden zu haben. Die übrigen Festgesetze im Exodus verteilt 1) „Beiträge." II. p. 197. — 79 — Gramberg unter dieselben beiden Verfasser; die Einschär- fimg Exod. 23, 15; 34, 18, das Fest der ungesäuerten Brote zu halten, gehört dem zweiten Verfasser an; Exod. 23, 18; 34, 25, wo er den Ausdruck „Fest des Passah" gebraucht, gehört dem ersten an. Da nun diese zwei Befehle nicht direkt miteinander verbunden, sondern in beiden Fällen durch Zwischengesetze voneinander getrennt sind, so folgert er, dafs die Verbindung von Passah und Fest der un- gesäuerten Brote zur Zeit der Abfassung des Exodus noch nicht stattgefunden hatte, sondern ein Gesetz aus einer weit fortgeschritteneren, viel späteren Zeit sei. George^) findet auch zwei Erzählungen, welche aber einen grundverschiedenen Charakter tragen. Die eine Er- zählung ist rein historisch, die andere einfach legal. Die eine giebt einen Bericht über die Plage der Erstgeburt mit leiser Anspielung auf das Passah in einem einzigen Vers 12, 42; die andere enthält, von Interpolationen ge- reinigt, Anordnungen über die Begehung des Passah und bezeichnet dessen Zweck, giebt aber keine Beschreibung von dem damit verbundenen Mahl. Stähelin-) schreibt alle gesetzhchen Teile ohne Aus- nahme in Exodus 12 der ersten Gesetzgebung zu; und jene in Kap. 13 der zweiten.^) 1) „Die älteren jüdischen Feste" p. 88 ff.; seine zwei Erzählungen sind: 1. Kap. 11; 12, 29—42, 2. 12, 1. 3 — 7; 12, 13. 21—28. 2) Studien und Kritiken 1835. p. 462. 3) Verschiedene Methoden der Einteilung dieser beiden Kapitel, wie sie verschiedene Kritiker entworfen haben, mögen hier der be- quemeren Vergleichung wegen zusammengestellt werden: Stähelin: Erste Gesetzgebung: Exod. 12, 1—28; 43—51 (mosaisch). Zweite Gesetzgebung: 13, 2—16, Kap. 19— 2i; Kap. 32 bis 34; Deut, (nachmosaisch) Vatke, Religion des A. Test. I. 429, Anmerkung, adoptiert Stähelins Einteilung, versetzt aber die erste Serie in das — 80 — Auch Vatke^) nimmt dieselbe Einteilung an, obgleich er die Ordnung der Gesetzgebung umkehrt. Dies annulliert Grambergs Unterscheidung zwischen den Verfassern, dafs der eine nur vom Passah rede, und der andere nur vom Fest der ungesäuerten Brote wüfste, denn das erste Gesetz umfasse beide. Aber die beiden Gesetze weichen keines- wegs voneinander ab. In der Benennung des Festmonats sagt der eine 13, 4 „der Monat abib", der andere bezeichnet denselben einfach nach seiner Zahl als „den ersten Monat" 12, 18. Dies ist nach Vatke und Wellhausen ein sehr be- zeichnender Umstand und schliefst eine Veränderung des Kalenders und des Jahresanfangs in sich, welche erst nach siebente Jahrhundert a. Chr. und läfst die zweite älter sein, doch mit späteren Zusätzen. De Wette: Einleitung in das Alte Testament: Elohist: Exod. 12, 1—28; 37—51, ausgenommen V. 39; 13, 1-2. Jehovist: 12, 29—36, 39; 13, 3 — 16. Knobel: Elohist: Exod. 12, 1-23. 28. 37 ». 40-51; 13, 1. 2. 20. Jehovist: Exod. 12, 24-27; 29—36. 37^ — 39; 13, 3—19. 21. 22. Dies kann weiter eingeteilt werden in das, was eigentlich vom Jehovisten selbst ist, und M'as er aus anderen Quellen geschöpft hat. Etwa folgenderniafsen: Jehovist: eigentlich 12, 29-34. 39. Rechtsbuch: 12, 24-27. 35. 36; 13, 3-19. 21. 22. Kriegsbuch: 12, 31^. 38. Kayser: Elohist: 12, 1-10; 14—20. 28. 40-42; 43-51; 13, 1. 2. Jehovist: 12, 11 — 13. 21-27. 29-39; 13, 3—16. So auch von Orelli in Herzogs Realencyklopädie. 2. Aufl. Bd. XI. Artikel „Passah". Nöldeke: Grundschrift (Elohist) 12, 1-23. (24 -27.) 2) 28. 37*. 40. 41 — 51 ; 13, 1. 2. 1) Religion des Alten Testaments, p. 429. 2) Späterer Zusatz. — 81 — dem babylonischen Exil stattfand. Ferner machen sie in ihrer Anordnung mit grofsem G-eräusch geltend, das eine Gesetz fordere eine heilige Zusammenkunft und Enthaltung von der Arbeit am ersten und siebenten Tag der un- gesäuerten Brote, das andere dagegen nur am siebenten Tag, da die unruhigen, bewegten Zeiten mit Notwendigkeit eine Erleichterung der an die Anbeter gemachten An- sprüche verlangten, Dr. Dülmann bauscht die Wider- sprüche noch weiter auf durch Pressung des Sinnes des gebrauchten technischen Ausdruckes, indem er meint: Ruhe von der Arbeit wird keineswegs am siebenten Tag ge- fordert, sondern eine Wallfahrt zum Heiligtum. Hier- aus folgert er, dafs, während ein Gesetz die Anwesenheit Jehovist: 12, 29—36. 39; 13, 3 — 16. Kedaktor: 12, 37 ^ 38. Schrader: Elohist: 12, 1—23. 28. 37». 40—51; 13, 1. 2. 20. Jehovist: 12, 24—27. 29—36. 37»>_39 13, 3 — 16, Dillmann: A. Elohist: 12, 1—20. 28. 37». 40. 41. 43—50; 13, 1. 2. B. (2. Elohist): I2, 21.(?) 31—33. 37''. 38. 42. C. Jehovist: 12, 21(?)— 27. 29. 30. 34. 35. 36. 39; 13, 3—16. Wellhausen :Q. Elohist: 12, 1—20. 28. 37». 40. 41. 43—51; 13, 1. 2. J. E. Jehovist: 12, (21—27)') 29-39. 42. (13, 3— 16).2) Vaihinger: 3) Elohist: 12, 1—24.28.29.37.38.40—42.43—51; 13,1—4.20. Präelohist: 12, 35. 36; 13, 17-19. Jehovist: 12, 25—27. 30—36. 39; 13, 5—9. 10—16. 21. 22. Unter all diesen Verschiedenheiten wird man merken, dafs eine allgemeine Übereinstimmung stattfindet hin- sichtlich des : Elohisten: 12, 1-20. 43—50; 13, 1. 2 und des Jehovisten: 13, 3 — 16, Dies scheint nötig zu sein, wenn irgend eine Einteilung plausibel gemacht werden soll. 1) Späterer Zusatz zum Jehovisten oder Zusatz von unbekanntem Ursprung zum Elohisten. 2) Späterer Zusatz des deuteronomischen Ül)erarbei(ers. s) In Herzogs Realencyklopädie. 1. Aufl. Art. Pascha. Green, Die Feste der Hebräer. Q — 82 — am Heiligtum während der ganzen sieben Tage vorschreibe, das andere dieselbe nur auf den siebenten Tag beschränke. Das Passäh wurde anfänglich von jeder Familie allein zu Hause gehalten. Nun wird Deut. 16, 7 ein verschiedener Gebrauch dargestellt, indem darauf bestanden wird, dais das Passah am Heiligtum gegessen werden solle, dem Püger jedoch erlaubt wird am folgenden Tage, dem ersten der ungesäuerten Brote, nach Hause zurückzukehren. Auch zwischen den beiden Gesetzen Exod. 12 und 13 wird ein Widerspruch gefunden, nämKch in der Thatsache, dal's, während beide das Essen der ungesäuerten Brote für die Dauer von sieben Tagen befehlen, das eine ein solches durch die Strafdrohung 12, 15 bekräftige: „des Seele soll ausgerottet werden von Israel," wovon das andere, weniger rigoros, nichts erwähne. Das angefügte Gesetz über das Passah V. 43 — 49 wird von Stähelin, wie den meisten Kritikern, dem Verfasser der vorhergehenden gesetzlichen Bestimmungen in demselben Kapitel zugeschrieben, abgesehen von der Zusammenhangs- losigkeit, welche andere herausfinden, nämlich dafs das eine verlange, das Lamm soUe in einem Hause gänzlich gegessen werden 12, 46, während das andere erlaube, dafs auch be- nachbarte Familien daran teilnehmen dürfen, V. 4. Dal's das eine in Ägypten gegeben wäre V. 1 ; während die Be- stimmungen des andern Ansiedelung in Kanaan voraus- setzten, V. 48. 49. Die grofse Mehrheit der Kritiker weicht von Stähehn ab; er sah keinen Widerspruch zwischen den beiden Abschnitten bezüglich der Erstgeburt in Kap. 13, infolge dessen er beide ein und demselben Verfasser zu- schrieb. Der herrschende Usus aber ist der, dafs dieselben unter verschiedene Verfasser verteilt waren; einer davon wird dem sogenannten Elohisten und der andere dem Je- hovisten zugeschrieben, oder dem Q. und J. E., wie Well- — 83 — hausen die Verfasser zu bezeichnen beliebt. Dies giebt Anlafs zur Behauptung eines neuen Widerspruches, nämlicli dafs das Gesetz alle Erstgeburt, ohne Ausnahme, für Je- hovah beanspruche 13, 2, während das andere V. 12. 13 die Erstlinge von Opfertieren Jehovahs unwürdig erkläre, die erstgeborenen Kinder zu lösen befehle und die Wahl lasse, die Erstlinge von unreinen Tieren zu lösen oder zu töten. Es herrscht unter den Kritikern grofse Verschiedenheit in der Methode des Verfahrens mit 12, 24 — 27, die von der Erklärung der Bedeutung des Passah handelt, welche den Kindern gegeben werden soll. Nach Wellhausen ist dieser Passus in Form und Diktion dem Jehovisten ver- wandt, dem Inhalt nach aber dem Elohisten, also mit bei- den, was den unsophistischen Leser leicht auf den Ge- danken bringen könnte, dafs möglicherweise der Elohist und der Jehovist am Ende ein und dieselbe Person sei. Schrader schreibt diese Verse dem Jehovisten zu und ge- winnt so nach seiner Meinung einen besseren Zusammen- hang durch direkte Anfügung von V. 28 an V. 23. Da aber der Jehovist keine Erklärung geben konnte über etwas, was er vorher nicht gesagt hatte, so nötigt dies zur An- nahme , dafs er früher ein Passahgesetz gebracht hatte, welches aber aus unserm gegenwärtigen Texte ganz und gar verschwunden ist. Knobel entledigt sich der lästigen Verse, indem er dieselben dem „Eechtsbuch", einem tertium quid zuteilt, was aber andere Kritiker für ein blofses Er- zeugnis seiner Phantasie erklären. Nöldeke fafst dieselben als einen späteren Zusatz zum Elohisten auf, weshalb der ursprüngliche Bericht desselben sie nicht entlialten haben könne. Kayser, ,Wellhausen und Dillmann verbinden diese Verse mit dem unmittelbar Vorhergegangenen V. 21 — 23 und wollen so einen natürlichen Zusammenhang herstellen 6* — 84 — und dadurch den Ritus erklären, welchen Moses eben be- fohlen hatte, und machen dadurch die Annahme überflüssig, dafs eine ähnliche Verfügung aus dem Texte ausgelassen sei. Der ganze Passus V. 21 — 27 wird dann von Kayser dem Jehovisten zugeschrieben. Die Konsequenz daraus ist, dafs V. 28 des elohistischen Dokuments direkt an V. 20 sich anschliefst: die Kinder Israels thaten, wie der Herr Mose und Aaron befolilen hatte, ohne dafs sie selbst wufs- ten, was das war. Die Konsequenz aus der Behandlung dieser Verse als liinderliches Einschiebsel wollen allerdings die Kritiker nicht ziehen. Kap. 12, 29 berichtet die wirk- liche Verhängung der Plage der Erwürgung der Erstgeburt durch ganz Ägyptenland. Kap. 11, 4 — 8 enthält die An- kündigung dieser Plage an Pharao durch Mose. Wenn nun alle jene Zwischenfälle als Einschiebsel aus anderer Quelle aus dem Weg geräumt würden, so würde die Androhung mit der Ausführung zusammenfallen. Der so ausgeschlossene Passus würde in keiner Weise vermifst werden, denn die Greschichtserzählung schreitet nicht nur ohne Unterbrechung weiter, sondern der Zusammenhang wird positiv verbessert durch Entfernung dessen, was als fremdes Element aufgezeigt wird; ein neuer Stützpunkt für die Hypothese, dafs verschiedene Quellen hier zusammen- gearbeitet sind, wird gefunden, und alles dies unter der An- nahme, dafs kein Verftisser irgend eine Abschweifung oder eine Einschaltung sich erlauben dürfe. Dillmann macht einen Anlauf, dieses Resultat zu ver- wirklichen, indem er einen Teil in den Text des Jehovisten versetzt, dem er auch diesen Passus zuschreibt. Er zwei- felt jedoch, ob V. 21 nicht einer andern Quelle entstamme, weil es heifst: Moses berief „die Ältesten", während es nach V. 27 „das Volk" war, das er anredete. Aber diese Abwechslung von Ältesten und Volk, dessen beständige — 85 — Vertreter jene waren, hat offenbar dem Redaktor keine Skrupeln gemacht, auch ist beides im Pentateuch und auch sonstwo^) zu häufig und geläufig, als dafs die Anwendung des kritischen Messers geschehen dürfe. Er zweifelt auch, ob der Redaktor die Ausdrücke in V. 22". 23 mit V. 7. 12. 13 nicht in Übereinstimmung gebracht habe, jedenfalls erregt ihre auffallende Älinlichkeit miteinander den Verdacht, dafs sie nicht ganz voneinander unabhängigen Verfassern an- gehören. Wellhausen wird mit dieser Stelle leicht fertig, indem er diesen lästigen Passus ganz und gar auswirft, doch ist er ungewifs, ob er als ein Anhang von unbekanntem Ur- sprung an Q, oder als ein späterer Zusatz an J. E. auf- zufassen ist. Er ist auch in grofser Verlegenheit über den ähnlichen Passus Kap. 13, 3 — 6, wegen der Ähnlichkeit desselben mit dem Stil des Deuteronomiums ; dies ist frei- lich leicht zu erklären, wenn Moses beides geschrieben hat. Da aber der Jehovist nicht aus einem Buch citiert haben kann, das Jahrhunderte nach ihm verfafst wurde, so mufs dies ein Einschiebsel eines Überarbeiters des Deutero- nomiums sein. Nach Nöldekes Einteilung dieser Kapitel ist der Aus- druck „Passah" nur von dem Elohisten gebraucht, und er bemerkt, dafs der Gebrauch dieses Ausdrucks im Pentateuch auf den Elohisten und auf das Deuteronomium beschränkt ist, mit der einzigen Ausnahme von Exod. 34, 35, wo es entweder ein späterer Zusatz oder ein Ausdruck ist, der sich vom Sprachgebrauch eines früheren Gesetzes erhalten hat. Aus dieser Vermeidung des Ausdrucks, die er durch sein kritisches Verfahren selbst geschaffen hat, schliefst er, 1) Siehe Exod. 4, 29—31; 19, 7. 8; Deut. 5, 23; ferner 1. Sani. 8, 4. 7 etc.; 2. Sam. 5, 1. 3; 17, 4. 14 15; 19, 11. 14; 1. Kön. 21, 11; 2. Kön. 23, 1. 2; 1. Chron. 11, 1. 3. — 86 — dafs das Wort „Passah" im nördlichen Königreich nicht im allgemeinen Gebrauch war. Nach dem Jehovisten läfst Pharao das Volk ziehen zur Haltung des Festes in der Wüste . nach dem Elohisten hat das Volk das Fest schon vor dem Auszug aus Ägypten gefeiert. Kayser weicht von der gewöhnlichen Einteilung ab und findet, dafs der Jehovist beides, das Passah und das' Fest der ungesäuerten Brote, auf Vorgänge basiert, die mit dem Auszug verbunden waren, während die vom Elohisten ge- gebenen Gesetze für diese Feste allgemein und ohne Bezug auf ii'gend einen historischen Anlafs gehalten sind. Der Elohist bestimmt die Tage, an welchen das Lamm aus- gewählt und gegessen werden sollte. Der Jehovist bestimmt, dafs es im Monat Abib geschehen sollte, ohne den Tag zu bestimmen. Der Elohist giebt ganz im allgemeinen die Verordnung, dafs alle Erstgeburt dem Herrn geheiligt wer- den mufste, ohne die nähere Bestimmung des Wie oder Wann. Der Jehovist giebt eine Begründung des Gesetzes, welches verlangt, dafs die Opferung oder Auslösung der Erstgeburt am Passah geschehen solle. Doch finden sich Lücken in beiden, sowohl im Elohisten als auch im Je- hovisten, welche zur Annahme nötigen, dafs Stücke aus dem Texte ausgelassen sind. Wellhausen schlägt einen ganz andern Weg in der Teilung ein und kommt dabei auch zu einem andern Re- sultat. Q oder der Elohist basiert die Feier auf die That- sache, dafs Israel vom Würgengel verschont wurde. Diese Idee ist J. E., dem Jehovisten wie auch seinen Quellen J. und E., dem Johvist und dem andern Elohisten durchaus fremd. Diese hatten auch nicht die geringste Ahnung da- von, dafs eine solche Plage auf Israel hätte fallen können, ihnen ist es ein notwendiges Postulat, das gar nicht anders gedacht werden konnte, dafs Jehovah zwischen Ägypten — 87 — und seinem eigenen Yolke einen Unterschied machen müsse. Allen Nachdruck legen sie auf die verhängnisvolle Kata- strophe selbst. Das ist es, woran das Volk sich erinnern solle, aber nicht daran, dafs es selbst von der Plage ver- schont blieb. Nach dem Elohisten ist das Fest eingesetzt im Hinblick auf den Auszug ; nach dem Jehovisten geschieht der Auszug, um das Fest zu feiern. Nach dem Elohisten mufste das Blut einmal an die Thürpfosten gestrichen werden zu einem ganz bestimmten Zweck in Ägypten, nach dem Jehovisten ist es ein stehender Ritus, welcher alljähr- lich wiederholt wurde. Die Verhängung der letzten Plage und Mosis Ankün- digung derselben an Pharao sind in unmittelbare Ver- bindung gesetzt und werden beide dem Jehovisten zu- geschrieben. Aber es besteht ein unversöhnlicher Wider- spruch zwischen den verschiedenen Teilen der Erzählung. Denn einesteils folgt er der einen seiner Quellen J., andern- teils der andern E. Dülmann findet alle drei seiner Quellen in diesen Ka- piteln vertreten; A (Elohist), B (andere Elohist) und C (Jehovist) und giebt dem Schlufsredaktor R alle Hände voll zu thun, bis derselbe durch Veränderung und Verschiebung des Textes alles in Ordnung gebracht hat. Er stimmt mit Wellhausen in der Verteilung von Versen und Versteilen an den Elohisten genau überein, weicht aber in der Ver- teilung des übrigen Textes von ihm ab, woraus eine An- zahl neuer Widersprüche resultiert. Der Jehovist sagt nichts über die Auswahl des Lammes vier Tage vor der Schlachtung; sondern er scheint vorauszusetzen, dafs das Volk alsbald nach empfangenem Befehl dasselbe schlachten -werde. Kein bestimmtes Alter und keine besondere Qualität ist vorgeschrieben, und nichts über das Passahmahl gesagt. Beim Ritual ist Ysop zu gebrauchen , wovon aber der — 88 — Elohist niclits erwähnt. Der Elohist stellt diesen Brauch dar, als sei er damals erst durch Mose eingeführt worden, der Jehovist nennt ihn das Passah, wo er zum erstenmal davon spricht ; darin liegt eingescUossen, dafs es schon vor- her bekannt war und gefeiert wurde. Der Jehovist spricht von einem Würgengel; nach dem Elohist ist Gott selbst der Verhänger der Plage. Es könnte nun scheinen, die Verteilung dieser Kapitel unter die verschiedenen Verfasser biete keinerlei Schwie- rigkeit dar, jeder soll die Ereignisse in einer ihm eigen- tümlichen Weise darstellen. Dies kann in der That auf sehr mannigfaltige Weise und beinahe ohne Grenzen ge- schehen, wofür die Kritiker selbst ein glänzendes Beispiel liefern. Alles, was zu geschehen hat, ist, die eng zusammen- hängenden Bestandteile abzusondern; dann mufs mit Be- harrlichkeit jeder getrennte Teil streng aus sich selbst er- klärt werden, und das nicht nur ohne Rücksicht auf den Kontext, sondern womöglich noch im Widerspruch mit dem- selben. Der Herr giebt Moses Weisungen über das Passah, das ungesäuerte Brot und die Erstgeburt ; Moses übermittelt dies dem Volk, Dies ist dann zur Basis gemacht für die Behauptung, dafs hier zwei ganz selbständige Gesetze mit- einander verschmolzen sind. Der Elohist berichtet, was der Herr zu Moses sagte, und der Jehovist, was Moses dem Volk sagte. Da das eine das andere notwendig in sich schliefst, so wäre es natürlicher gewesen, eher auf Einheit der Autorschaft als auf Verschiedenheit der Verfasser zu schliefsen. Aber, sagt man, das Gesetz, welches Moses dem Volk giebt, weicht nach Form und Inhalt von dem Gesetz, das der Herr Mose gegeben hat, so beträchtlich ab, dafs offen- bar zwei ganz verschiedene Gesetze vorliegen. Diese Be- hauptung ist jedoch im Widerspruch mit den Grundsätzen — 89 — der herrschenden kritischen Hypothese selbst. Diese Be- hauptung riecht sehr nach der alten Fragmenten -Hypothese, nach welcher der Pentateuch ein Mischmasch von Ab- schnitten ist, die in keinerlei Verwandtschaft oder Zu- sammenhang miteinander stehen. Aber die Kritiker heu- tigen Schlags nehmen an, dafs der Pentateuch seine jetzige Form einem Redaktor verdankt, welcher eben zusammen- gesetzt hat, was nach seinem Dafürhalten zusammenhängende Erzählung war, wofür er seine Arbeit auch angesehen haben wollte. Und wenn er zu Zeiten auch des Versuchs be- schuldigt wird, Berichte miteinander in Einklang zu bringen, welche in ihrer abgesonderten Form und in ihrem primären Sinn wirklich voneinander abweichen, so zeigt dies nichts- destoweniger seinen Glauben an deren Übereinstimmung. Er wollte sicherlich seine Leser glauben machen, dafs das Gesetz, welches Moses dem Volk vermittelte, mit dem Ge- setz identisch sei, welches Moses aus Gottes Mund erhalten hatte. Wenn er nun nicht jedes Ehrgefühls und gesunden Menschenverstandes bar war, so können solche haarsträu- bende Widersprüche, wie sie die Kritiker entdeckt haben wollen, nicht vorhanden sein. Ja dies wird mit um so gröfserer Dreistigkeit behauptet, je mehr die Kritiker selbst über die Punkte, in welchen diese Widersprüche erscheinen, miteinander im Streit sind. Oft erleben wir es, dafs der eine Kritiker schreiende Widersprüche entdeckt in Fällen, welche der andere vollständig ignoriert oder als etwas Bedeutungsloses leichten Herzens übergeht. Man darf doch sicherlich nicht verlangen, dafs der Verfasser seine Erzäh- lung mit langweiligen , wörtlichen Wiederholungen belaste, so oft Moses als Vermittler göttlicher Offenbarungen auf- tritt. Warum aber sollte ein Verfasser in Wiederholung der Worte Mosis das, was bereits seinen Lesern in genügender Ausführlichkeit als Äufserung Gottes mitgeteilt worden — 90 — ist, nicht auch abkürzen oder zusammenfassen und andrer- seits das, was er das erste Mal nur in Umrissen gegeben hat, später ausführlicher bringen dürfen? Ganz mit Recht durfte er annehmen, dafs beides als gegenseitige Ergänzung angenommen, und jedes durch das andere verstanden werde. Wenn der ganze Abschnitt mit der Wahrheitsliebe und Un- parteilichkeit, mit der wir jedem Schriftstück entgegentreten müssen, in seinem Zusammenhang betrachtet werden wird, so werden die Widersprüche gänzlich verschwinden. Wir haben daher bei dem reichen Material das Recht, von der Liste der behaupteten Widersprüche überall da die Differen- zen zu streichen, wo keine wirkliche Verschiedenheit vor- handen ist. Nur ein Passus wiederholt einfach die Details nicht, welche in dem andern erwähnt sind, und zwar aus dem Grunde, weil eine einmalige Beziehung darauf aus- reichend erschien, nämlich die vorausgehende Bestimmung des Passalllammes, den Gebrauch von Ysop bei der Blut- sprengung und den Modus, nach welchem das Fleisch des Lammes zugerichtet und gegessen werden soll. Aber es wird uns gesagt, dafs widerstreitende Angaben in diesen Kapiteln sich fänden, dafs Widersprüche in den Gesetzen selbst seien, dafs die Gesetze mit der Geschichtserzählung im Widerspruch ständen, dafs dieselbe mit sich selbst nicht übereinstimme, weshalb die einfachste Erklärung dieser Widersprüche die sei: hier sind gesonderte Bericlite ver- schiedener Verfasser zusammengeschweifst. Wir wollen sehen, wie es sich damit verhält. George und Gramberg sagen uns, dafs die Anordnungen hinsichtlich der ungesäuerten Brote, 12, 15 — 20; 13, 3 — 10, keine Anspielung auf das Passah enthalten, und der Ver- fasser keine Kenntnis von irgend einer solchen Verordnung zu haben scheine. Aber dieses Stillschweigen ist keines- wegs überraschend, da in dem vorhergehenden Abschnitt — 91 — genug darüber gesagt worden ist. In der Festsetzung auf den Abend des vierzehnten Tages im Monat 12, 18, als dem Zeitpunkt, da mit Essen der ungesäuerten Brote be- gonnen werden sollte, liegt eine klare Hinweisung auf den Gebrauch desselben am Passah, und alle Kritiker geben zu, dafs die Abschnitte bezüglich des Passahs und der un- gesäuerten Brote in Kap. 12 von demselben Verfasser her- rühren. Hupfeld und Wellhausen stellen jedoch eine viel unnatürlichere Behauptung auf, wenn sie nur auch begrün- det werden könnte: Nämlich dafs das Fest der ungesäuer- ten Brote und die Heiligung der Erstgeburt in Kap. 13 an Stelle des Passah und der ungesäuerten Brote, Kap. 12, als der jährlichen Gedächtnisfeier von der Erwürgung der Erstgeburt und des Auszugs stehen. Das eine Gesetz be- stimmt, dafs ein Lamm alljährlich geschlachtet und gegessen werden soll, während das andere verordnet, dafs nicht nur ein Lamm, sondern alle Erstlinge von Klein- und Grofsvieh, Jahr für Jahr, Gott zum Gedächtnis an die grofse Erlösung dargebracht werden sollen. Dies zeigt eine gänzlich ver- schiedene Praxis an und stimmt mit dem Gesetz des Deuteronomiums, Kap. 16, 2, ziemlich überein. Aber die Tei- lungshypothese selbst erlaubt keinen solchen Schlufs. Der Elohist setzt in diesen Kapiteln die Heüigung der Erst- geburt ebenso wohl als das Passah und die ungesäuerten Brote in Zusammenhang mit dem Auszug. Mit derselben Unterscheidung verfährt er auch anderswo, Num. 3, 13; 8, 17. Die Darbringung der Erstgeburt ist kein Ersatz für das Passall, sondern ein Zusatz zu demselben. Deshalb sind beide so oft miteinander verbunden in den nachfolgen- den Gesetzen des Pentateuchs, Exod. 22, 29 f.; 23, 15; 34, 18—20; Deut. 15, 19 f.; 16, 1. Ähnlich verhält es sich nach der allgemeinen Übereinstimmung der Kritiker auch im Jehovisten. Hupfeld findet eine Schwierigkeit in — 92 — Exod. 12, 16, wonach der erste Tag der ungesäuerten Brote als Sabbath durch Enthaltung von der Arbeit und heilige Versammlung gefeiert werden soll, und in Lev. 23, 1 1 vergl. mit V. 7 wird er ausdrücklich ein Sabbath genannt. Auch hatten die Israeliten an diesem Tag alles Gesäuerte aus ihren Häusern zu entfernen, das Passah zu schlachten und ungesäuertes Brot zu bereiten, und auf diesen Tag verliefsen sie Ägypten. Aber gerade derselbe Passus, auf den man sich beruft, zeigt, dafs es kein strikter Sabbath war, da ausdrücklich erlaubt war die Nahrung zu bereiten, was nach Exod. 16, 23 flf. ; 35, 2 f. bestimmt verboten war. Aufserdem waren heilige Ritualhandlungen, welche im Ge- setz geboten waren, am Sabbath gestattet. Ein Teil von dem, was hier verboten ist, mufste am Tage, vorher in der Vorbereitung auf das Passah verrichtet werden. Da ferner das Fest der ungesäuerten Brote nur in Kanaan gefeiert werden sollte, was dem Volke noch nicht bekannt gemacht war, als sie in grofser Eile Ägypten verlassen mufsten, so war dieser zwangsweise Marsch sicherlich keine Ver- letzung des Gesetzes. Ein plausiblerer Einwand ist, dafs 12, 16 eine heilige Versammlung auf den ersten und siebenten Tag der un- gesäuerten Brote bestimmt, während 13, 6 nur den sieben- ten Tag als Fest des Herrn hervorhebt. Ein doppeltes fällt hier auf. Einmal dafs der erste Passus zwei einzebie Tage von den sieben für specielle Begehung bestimmt, und dann, dafs bei der Beschreibung dieser Feier die gebrauch- ten Ausdrücke beidesmal verschieden lauten. Der eine be- stimmt, „es soll eine heilige Versammlung sein, und keine Arbeit soll gethan werden" und der andere „am siebenten Tag ist das Fest des Herrn". Hupfeld glaubt, dafs dies dem Sinn nach dasselbe sei, nur mit dem Unterschied, dafs nach dem ersteren Vers bestimmt wird, wie das im zweiten — 93 — befohlene Fest begangen werden soll. DiJlmann ist der entschiedenen Meinung, dafs beide Ausdrücke ganz ver- schieden sind, dafs das Wort „Fest" im Hebräischen durch- gängig ein Wallfahrtsfest bezeichnet, und dafs als das Haupterfordernis die Wallfahrt des Pilgers nach dem Heilig- tum zu gelten hat, welche ganz unabhängig war von einer heiligen Versammlung, die stattfinden konnte, wenn auch niemandes Anwesenheit aus der Ferne erwartet oder be- fohlen werden konnte. Wenn auf dieser Unterscheidung bestanden wird, dann wird die Schwierigkeit anstatt ver- gröfsert zu werden, wie Dillmann sich einbildet, ganz und gar aufgehoben. Denn in den beiden Befehlen findet sich weder die leiseste Kollision noch der leiseste Widerspruch. Wenn zwei Tage für die heilige Versammlung bestimmt sind, und Pilger aus der Ferne an einem anwesend sein mufsten, so stehen die Gesetze in vollkommener Harmonie miteinander. Und in der That fafst Dillmann Deut. 16, 7. 8 gerade so auf. Wenn wir jedoch mit Hupfeld annehmen, dafs die Ausdrücke in der Bedeutung wesentlich identisch sind, so ergiebt sich gar keine Schwierigkeit aus der Er- wähnung des siebenten Tages allein in dem oben angeführ- ten Vers. Der erste Tag ist bereits drei Verse vorher in demselben Abschnitt ausgewählt, und der Nachdruck der ganzen Feier auf jenen Tag gelegt. Der Grund der Ein- setzung liegt in diesem Tag. „Gedenket an diesen Tag, an welchem ihr aus Ägypten gezogen seid." Das war es, was im Gedächtnis behalten werden sollte. Dieser Tag war der Höhepunkt des ganzen Festes, und von seiner Glorie fielen die Strahlen auf die nachfolgenden Tage, die sich so mit dem ersten zu einer siebengliedrigen Festkette zusammenschlössen. Die nachfolgenden Tage trugen den Stempel geringerer Heiligkeit, obgleich gesäuertes Brot während der ganzen Woche nicht gegessen werden durfte, — 94 — welche mit einem Tage von grofser Heiligkeit endigte, wie sie begonnen hatte. Es ist auch zu beachten, dafs diese Anweisung dem Volk durch Moses am Schlufs des ersten Tages der heüigen Woche gegeben wurde. Indem er es für alle künftige Zeit zum Gesetz macht, sagt er, „gedenket an diesen Tag der grofsen Erlösung Gottes, esset un- gesäuertes Brot sieben Tage lang und haltet den siebenten Tag." Wie sich da jemand einbilden kann, dafs ein solcher Befehl den ersten Tag übergehe, als wäre er untergeord- neten Ranges gewesen oder minder feierlich begangen wor- den als der siebente, ist sehr schwer zu begreifen. Ganz genau so verhält es sich mit dem parallelen Passus Deut. 16, 1. 3. 8. Die Vermutung, dafs 12, 19 diese Observanz ebenso den Fremdlingen, wie den Einheimischen, bei Todesstrafe auferlegt, liingegen V. 43 — 49 jeden unbeschnittenen Fremd- ling davon ausschliefst, ist kaum der Erwähnung wert, denn die Gesetze beziehen sich auf ganz verscliiedene Dinge. Das eine bezieht sich auf das Essen der ungesäuer- ten Brote, das andere auf das Passahlamm. Sauerteig, das Symbol der Sündhaftigkeit, war in diesen heiligen Zeiten aus dem Lande verbannt. Die Feier einer so bedeutungs- vollen göttlichen Dazwischenkunft verlangte die gänzliche Entfernung des Sauerteigs der Bosheit und Gottlosigkeit, auf welches Gesetz auch der Fremdling unter dem Volk verpflichtet war. Aber zu dem speciellen Act der Familien- feier, die durch die Teilnahme am Essen des Lammes be- zeichnet war, durfte nur der Beschnittene zugelassen werden. Ferner wird behauptet, die Gesetze ständen in keinem rechten Zusammenhang mit der Geschichtserzählung , in welcher sie sich finden. Allein dies ist ebenso unwahr als die oben geprüfte Behauptung, dafs diese Gesetze unter sich selbst im Widerspruch stehen. Es wird gesagt, dafs — 95 - die Verwirrung und die Eile, welche beim Auszug aus Ägypten herrschte, die Zeit nicht als passend erscheinen lasse für die Einsetzung einer solchen Feier. Allein die Sophisterei übersieht gänzlich die Natur und Bestimmung der Anordnung. Die Besprengung mit Blut garantiert ihnen ihre Errettung, die Teilnahme am Passahlamm war ein Akt der Vereinigung mit Gott und eine Bürgschaft für seine Gegenwart und seinen allmächtigen Beistand. Das war gerade, was sie damals in den Gefahren jener Schreckens- und Todesnacht am .all ernötigsten brauchten. In den Mühsalen, Entbehrungen und Fährlichkeiten , denen sie entgegen gingen, mufsten sie versichert sein, dafs sie unter allmächtigem und sicherem Geleit ständen, und dafs der, welcher den Würgengel ausgeschickt hatte, selbst ihr Schutzherr und Führer sei, der sie sicherlich in das den Vätern verheifsene Land bringen werde. Es wird auch eingewendet : obgleich 11, 4 if. an- gekündigt wurde, dafs die Plage, welche in jener Nacht verhängt werden solle, den Widerstand Pharaos brechen und dem Volk die Freiheit verschaffen werde, und obwohl ihnen befohlen wurde 12, U das Passah in Eile zu essen, um die Lenden gegürtet und den Stab in der Hand, kam ihnen doch der Befehl, Ägypten zu verlassen, so unerwartet, dafs sie selbst nicht einmal die notwendigste Speise hatten zubereiten können, V. 34. 39. Aber abgesehen davon, dafs der Glaube des Volkes wegen der so oft vereitelten Hoff- nung bedenklich ins Schwanken hatte kommen müssen, konnte das Volk weder aus der Mitternachtsplage noch aus der symbolischen Marschbereitschaft, wie sie im Eitual des Passah vorgeschrieben war, soviel entnommen haben, dafs der Auszug in Wirklichkeit nun so plötzlich vor sich gehen solle. Moses selbst hatte offenbar nicht erwartet, vor dem nächsten Morgen ausziehen und Ägypten verlassen zu — 96 — müssen, V. 22. Die schriftlichen Einzelheiten entsprechen der Natur der Sache vollständig. Die ungeheure Bestürzung- Pharaos und der Ägypter bewirkte eine plötzliche Sinnes- änderung gegen die Israeliten, die nun mit solcher Hast aus dem Lande gedrängt wurden, dafs sie unmöglich vor- her eine Ahnung davon haben noch Vorbereitungen dafür treifen konnten. Die Kritiker machen geltend, dafs mit dem ersten Pas- sah die Weisung gegeben wurde , ungesäuertes Brot zu essen, 12, 8. und (V. 15) das Fest der ungesäuerten Brote einzurichten, während doch der Gebrauch von ungesäuertem Brot V. 34. .39 von einer nachfolgenden und unvorher- gesehenen Begebenheit abgeleitet wird, nämlich von der Eile, mit welcher die Israeliten aus Ägypten gedrängt wur- den. Allein diese Schwierigkeit besteht nur in der Ein- bildung. Es wird ganz ohne Grund angenommen, dafs das historische Ereignis erzählt wird zum Zweck der Begründung des Gebrauches von ungesäuertem Brot am Passah, was doch keineswegs der Fall ist. Das Fest der ungesäuerten Brote wurde nicht eingesetzt zur Erinnerung an jene drang- volle Zeit, in der sie genötigt waren, ungesäuertes Brot zu essen, was von dieser Seite aus betrachtet völlig bedeu- tungslos wäre. Der Gebrauch des ungesäuerten Brotes ver- dankt seine ganze Bedeutung dem Fest, das schon ver- ordnet war, das aber nur dem Volk noch nicht befohlen war. Der Ausschlufs des Gesäuerten vom Passah, wie von andern Opfern, ist dem Umstand zuzuschreiben, dafs Sauer- teig als das Symbol der Verderbnis angesehen wurde. Un- gesäuertes Brot allein bezeichnete die einer heüigen Hand- lung angemessene Reinheit. Durch die Teilnahme am Fest der ungesäuerten Brote hatte Israel die Versiegelung eines heiligen Volkes erhalten , das von aller alten Verderbnis befreit war und damit in einen neuen Lebensabschnitt, der — 97 — dem Dienste des Herrn geweiht war, eintrat. Israel mufste schon hier das Brot der Reinheit essen, welches später für das Gedächtnisfest vorgeschrieben war , ein hier scheinbar zufälliger Umstand, den aber Gott in seiner Allwissenheit schon vorausgesehen hatte. Das ungesäuerte Brot, das auf diese Weise gerade mit den Umständen des Auszugs ver- knüpft war, wurde nach jeder Richtung ein Erinnerungs- zeichen an die grofse Erlösung und an die Verpflichtungen, welche dieselbe mit sich brachte. Es ist daher ganz un- nötig, mit Dillmann anzunehmen, dafs der Passus, welcher die Einsetzung des Festes berichtet 12, 14 — 20 durch den Redaktor von seiner ursprünglichen Stellung versetzt wurde, nachdem der Auszug wirklich stattgefunden hatte, wobei er sich auf das Perfekt des Verbums 12, 17 beruft: „denn eben an demselben Tage habe ich euer Heer aus Ägypten- land geführt"; wo indessen dieselbe Zeitform gebraucht ist als da, wo Gott schon vor Isaaks Geburt zu Abraham sagt: „Deinem Samen habe ich dies Land gegeben." (Gen. 15, 18.)^) Ferner wird gesagt, dafs eine Gedächtnisfeier nicht angeordnet werden könne, ehe das Ereignis, an welches solche Feier erinnern soll, auch wirklich stattgefunden habe. Es liegt nahe, hier an den analogen Fall vom Abendmahl zu erinnern. Weiter soll das Passah in seiner ursprünglichen Be- deutung keine Gedächtnisfeier, sondern ein Bewahrungs- mittel vor der kommenden Plage sein. Die spöttische Be- merkung, dafs das Blut deshalb auf die Thürpfosten ge- strichen worden sei, um dem Herrn die Unterscheidung der israelitischen Häuser zu ermöglichen, und dafs es keines- 1) Das hebräische Perfekt "TlHi (Vulgata dabo) ist in der eng- lischen Übersetzung beibehalten : Unto thy seed have J given this land. Anmerkung des Übers. Green, Die Feste der Hebräer. • — 98 — wegs ein Schutzmittel gegen die Pestilenz gewesen, zeigt nur, wie sehr diese durchaus angemessene und be- deutungsvolle Handlung mifsverstanden worden ist. Damit spricht aber die Unwissenheit über die ganze Symbolik des Ceremonialdienstes mit seiner Sühne durch Blutsprengung das Verdammungsurteil aus. Die Weisung „und gehe kein Mensch aus seiner Hausthür heraus bis an den Morgen" 12, 22 vergl. mit V. 10, sagt man uns, beruhe auf einer verschiedenen Vorstellung von der Zeit des Auszugs mit V. 31, 42, wonach das Volk bei Nacht aus Ägypten zog. Da nun beide, der Elohist Exod. 12, 17. 41. 51 ; Num. 33, 3 und der Jehovist Exod. 13, 4 vom Tag des Auszugs sprechen, und dies auf den Morgen nach dem Passah beziehen, so schliefst Dillmann, dafs dieser nächtliche Aus- zug einem dritten Verfasser angehören mufs, nämlich dem zweiten Eloliisten. Aber wir finden beide, den Jehovisten 11, 4. 5; 12, 29 und den Elohisten 12, 12 in der An- gabe in Übereinstimmung, dafs die Erstgeburt in der Nacht geschlagen wurde, während in Num. 3, 13; 8, 17, das nach allgemeiner Übereinstimmung der Kritiker ebenfalls dem Elohisten angehört, derselbe von „dem Tag" spricht, an welchem der Herr alle Erstgeburt in Ägypten schlug. Wenn „Nacht" und „Tag" in diesem Fall für einander stehen können, ohne dafs man zur Annahme verschiedener Ver- fasser seine Zuflucht nehmen mufs, warum kann dies in andern parallelen Fällen nicht ebenso geschehen? Es bietet doch wenig Schwierigkeit anzunehmen, dafs „Tag", in unbestimmtem Sinn, für die Zeit eines Vorfalles ohne Eücksicht auf die Stunde des Eintreffens gesetzt wird; oder in weiterem Sinn, einschliefslich der Nacht; oder dafs der unbestimmte Zeitpunkt, wenn die Nacht in den Tag übergeht, gleichbedeutend mit dem einen oder andern Namen bezeichnet werden kann. — 99 — Nach der neueren Kritik ist aber die Geschichts- erzählung nicht nur mit den hier berichteten Gesetzen, son- dern auch mit sich selbst im Widerspruch. Hupfekl will einen bedeutenden Widerspruch hinsichtlich der Zeit ent- deckt haben. Kap. 11, 4 ff. kündigt Moses dem Pharao an, dafs zur Mitternacht alle Erstgeburt in Ägypten sterben werde. Dies mufste am vierzehnten Tag des Monats ge- schehen, und die Plage der Erstgeburt in der darauffolgen- den Nacht verhängt worden sein. Und doch befiehlt der Herr in den nachfolgenden Kapiteln, was am zehnten Tag des Monats geschehen soll 12, 3, und sagt in derselben Zeit und in demselben Zusammenhang: „Ich will diese Nacht durch Ägyptenland gehen" V. 12 und fährt gleich fort: „an eben demselben Tag habe ich euer Heer aus Ägyptenland geführt" V. 17, da es doch der Tag nach der Plage war und der Auszug bereits vollzogen war. Hier, sagt man, ist eine heillose Konfusion hinsichtlich der Zeitbestimmung, der zehnte, vierzehnte und fünfzehnte Tag des Monats sind in der unerklärlichsten Weise durcheinander geworfen. Aber ein Exeget, der nur ein klein wenig gesunden Menschenverstand anwendet, wird finden, dafs hier nirgends eine Konfusion ist, sondern eine vollkommen klare und ge- ordnete Zeitangabe. In den dem 12. vorhergehenden Ka- piteln findet sich ein fortlaufender Bericht von den Plagen, mit welchen der Herr Ägypten so schrecklich heimgesucht hat. Der Verfasser fährt in seiner Erzählung ohne Unter- brechung durch ÄufserUchkeiten fort, bis er dahin gelangt, wo Moses dem Pharao den letzten entscheidenden Schlag ankündigt, der Israels Befreiung bewirken wird. Hier bricht er den Faden der Erzählung ab, um von der Ein- setzung des Passah zu berichten, welches in der Errettung Israels vom Verderben in jener verhängnisvollen Nacht 7* — 100 - eine so bedeutende Rolle spielte, auf die eindrücklichste Weise seine neue Stellung- und seine neuen Beziehungen zu Jehovah symbolisch darstellte und ein ständiges memento an die Erlösung aus der Knechtschaft Ägyptens für alle künftige Zeit war, eine Erinnerung an den Geburtstag ihi'er nationalen Selbständigkeit und an ihre Heiligung zum Volke des Herrn. Um nun über diese grofse, nationale und gött- liche That eine zusammenhängende Übersicht zu geben, geht er auf den einige Tage zuvor, am 10. Tag des Mo- nats, gegebenen Originalbefehl Gottes an Mose zurück. Dies konnte er nicht vorher thun. ohne die Einheit seiner voraufgehenden Erzählung zu unterbrechen und das Passah auf eine zusammenhangslose und bruchstückartige Weise abzufertigen. Wenn im Verlauf der Unterhandlung der Herr zu Moses vom Durchgehen durch Ägypten in „dieser Nacht" redet, um die Erstgeburt zu schlagen, so gehört die Nacht, auf welche Jehovah sich bezog, nicht zu dem Tag, an welchem er sprach, sondern zu jenem, von welchem er spricht, nämlich dem 14. Tag, der kurz vorher erwähnt ist, an dessen Abend das Passah geschlachtet werden sollte. Es ist der Tag, welcher dann nach der jüdischen Rechnung begann, und an welchem er vom Herausführen der Heere Israels aus Ägypten spricht. Dadurch wird auch der Ein- wand Georges entkräftet, dafs Moses Gottes Absicht, die Erstgeburt zu erwürgen , dem Pharao ankündigt 11, 4, während es Jehovah selbst dem Moses erst im folgenden Kapitel 12, 12 mitteilt. Allein dieses Kapitel datiert wenigstens vier Tage vor Kapitel 11 zurück. Übrigens scheint es gar nicht, als ob in 12, 12 Gott den Moses zum erstenmal von seinem Vorhaben in Kenntnis setze, vergl. 4, 23. Dieser Vers ist hier nicht eingefügt, um in dem Leser den Eindruck hervorzurufen, als ob hier die erste — 101 — Eröffnung- an Moses stattfinde, sondern um eine Begründung für die Einsetzung des Passah abzugeben. Nach Kap. 10, 28. 29 soll Moses das Angesicht Pharaos nicht wieder sehen, und doch berief Pharao 12, 31 Moses und Aaron zu sich und bat sie mit den Kindern Israels auszuziehen. Die einfache Erklärung davon ist die, dafs man den König nach einem gewöhnlichen, aber etwas nach- lässigen Sprachgebrauch selbst etwas thun läfst, was er mittelbar durch andere thut. Es ist ganz das gleiche, wenn die Erwürgung der Erstgeburt 11, 4; 12, 12. 29 Jehovah zugeschrieben wird, und 12, 23 dem Würgengel, der in seinem Dienste stand. Es wird auch steif behauptet: 12, 31 — 33 enthalte eine Darstellung, die dem Jehovisten eigentümlich sei, und in welcher er in sehr auffallender Weise vom Elohisten abweiche. Nach diesen Versen ge- währt Pharao alles, was Moses erbeten hatte, nämlich dafs sie ausziehen mögen, um dem Herrn ein Fest zu halten, und „die Ägypter und Pharao drängten das Volk zum Aus- zug"; während nach dem Elohisten Moses von Anfang an verlangte, dafs Pharao das Volk bedingungslos entlasse 7, 2 und „der Herr selbst werde sein Volk trotz Pharaos beständiger Weigerung ausführen" 7, 4. 5. Aber diese behauptete Verschiedenheit ist gar nicht vorhanden. Um Pharaos unvernünftigen Widerstand in das hellste Licht zu setzen, wird einzig von ihm verlangt, dafs er das Volk auf drei Tage in die Wüste ziehen lasse, um dem Herrn ein Opfer darzubringen. Gar nii'gends sonst ist die Forderung in einer davon abweichenden Form ge- stellt. Der Ausdruck „lafs mein Volk ziehen" 7, 14; 8, 2; 9, 2 etc. wechselt in den jehovistischen Abschnitten mit der volleren Eedewendung ab: „Lafs mein Volk ziehen, dafs sie mir dienen" 7, 16; 8, 1 ; 9, 1. Es liegt gar kein G-rund für eine verschiedene Auffassung dieser Ausdrücke in den — 102 — zwei einzigen Abschnitten vor, in welchen sie die Kritiker dem Elohisten zuschreiben 7, 2; 11, 10. Wenn Pharao und die Ägj^pter Israel austrieben gegen ihre natürliche Neigung und unter einem göttlichen Zwang, ist denn das von der Erklärung 7, 4 verschieden, dafs der Herr seine Hand auf die Ägypter legen und sein Volk wegführen werde? Beides ist nicht nur in vollkommener Übereinstimmung, sondern der göttliche Plan wurde ausgeführt, indem Pharao ge- zwungen wurde, zur Verwirklichung desselben selbst mit Hand anzulegen. ^) Als Resultat dieser Untersuchung glaube ich zuversicht- lich behaupten zu dürfen, dafs die vermeintlichen Wider- sprüche in diesen Kapiteln nichts als kritische Grillen sind und keinen Grrund für die Annahme verschiedener Verfasser abgeben, noch viel weniger gar die Wahrheit und Genauig- keit des Berichts in Frage stellen. Dennoch wird ferner geltend gemacht, dafs ein solcher Mangel des Zusammenhangs, solch offenbare Textverscliie- bungen und sprungweise Übergänge sich finden, dafs diese Kapitel ursprünglich unmöglich so ausgesehen haben konn- ten, wie sie jetzt uns vorliegen. Der gegenwärtige Zu- stand des Textes kann nur einem Redaktor zugeschrieben werden, der in eine Erzählung zusammenarbeitete, was ur- sprünglich gesonderte Berichte verschiedener Verfasser waren. So wird auch durch Pressung des Ausdrucks gefunden, dafs 12, 14 mit dem unmittelbar Vorhergehenden nicht im Zusammenhang stehe. Es wird von „diesem Tag" ge- sprochen, da doch auf keinen Tag, sondern nur auf die Nacht der Plage Bezug genommen ist. Deshalb wirft Kay- ser V. 11 — 13 aus und verbindet direkt mit V. 10. Hupfeld schlägt vor, V. 42 dafür einzusetzen; er stellt V. 15 nach 1) Siehe Bachmaun „Festgesetze", S. 63. — 103 — V. 19 und V. 17 nach V. 20, versetzt den ganzen Ab- schnitt V. 14—20, und ordnet es so an, dafs derselbe an das Ende des Kapitels nach V. 41 zu stehen kommt. Dill- mann klagt über die Isolierung von V. 42, giebt aber zu, dafs die Pronomina zeigten, dafs er nicht nach V. 13 zu setzen sei, wie Hupfeld will. Er giebt ihn dem zweiten Elohisten, da er dort keinen Zusammenhang für denselben herausfinden kann. Er mifsbilligt Hupfelds Versetzungen in dem Abschnitt V. 14 — 20, versetzt aber den ganzen Ab- schnitt nach V. 41, ind^m er vermutet, dafs er dadurch veranlafst wurde, dafs Israel aus. Ägypten ziehen mufste, ohne ihr Brot gesäuert zu haben, V. 34. 39. Diese That- sache wird jedoch nach Dillmanns Versverteilung nur von dem Jehovisten erwähnt, was zu der Annahme dränge, dafs der Elohist dasselbe auch gesagt habe, sein Bericht aber verloren gegangen sei. Wahrlich auf unsre Kritiker läfst sich auch das Sprich- wort anwenden: „Viel Lärm um nichts." Der in V. 14 genannte „Tag" ist derselbe, von welchem die Nacht der Plage, auf welche eben hingewiesen wurde, nach der jüdi- schen Rechnung einen Teil bildete. Die Annahme ist in der Hauptsache ohne Zweifel richtig, dafs das Fest, welches in diesen Versen zu halten befohlen wird, die sieben Tage der ungesäuerten Brote sind, welche der Verfasser auf diese Weise mit dem in Verbindung bringt, was er zuvor über das Passah gesagt hat. Jedoch wii^d die zuversicht- liche Behauptung, dafs das Passah nicht eigentlich „ein Fest" genannt werden kann, durch Exod. 34, 25 widerlegt, vgl. auch den hebräischen Ausdruck in der Parallelstelle Exod. 23, 18; Jes. 30, 29. In V. 42 adoptiert Dillmann Wellhausens Einfall, dafs „eine Nacht der Feier" übersetzt sein sollte durch: „eine Nachtwache". Da wird einem Worte eine Bedeutung beigelegt, wie sie sonst nirgends vor- — 104 — kommt, nur um auf diese Weise eine neue Auffassung der Art und Weise der Nachtfeier zu schaffen, welche verschieden ist von allem, was vorhergeht, und wie man hinzufügen kann: verschieden von der ganzen übrigen Schrift, denn Jes. 30, 29 ist hiefür keine Rechtfertigung. Deut. 16, 1 mit der klaren Anspielung auf diesen Vers zeigt zur Genüge, dafs die gewöhnliche Übersetzung korrekt ist. Statt dafs der Aus- druck isoliert dasteht, wie die Kritiker sagen, gebraucht der Verfasser hier einen emphatischen Ausdruck, in dem alles Voraufgegangene zusammengefafst ist. Die Nacht, von welcher gesprochen wird, ist in den Tag des vorhergehen- den Verses eingeschlossen; und um jenen denkwürdigen Tag und jene denkwürdige Nacht dreht sich das ganze Kapitel. Es wurde ferner dargethan, dafs der einleitende Vers Kap. 12 wie ein ganz neuer x4.nfang klingt, wie wenn das Nachfolgende ein unabhängiger Abschnitt wäre, der mit dem vorhergehenden in keiner Beziehung stehe. Er be- zeichnet den Übergang zu einem neuen Thema, ist aber nichtsdestoweniger mit dem vorhergehenden Gegenstand aufs engste verbunden. In der summarischen Erwähnung der voraufgegangenen Plagen 11, 9. 10 hatte der Herr seine Absicht kund gethan, seine Wunder in iligypten zu mehren. In unmittelbarer Fortsetzung erklärt nun der Ver- fasser, was der Herr ferner „iii Ägyptenland" in der Aus- führung seines Planes gethan hat. Dieser Einwand wäre in der alten ausgespielten Fragmenten-Hypothese ganz an ihrem Platze, welche jeden Titel und Unterschrift irgend einem Abschnitt zuteilte, in der Überzeugung, jedes Stück von dem andern völlig unabhängig betrachten zu müssen. Die Urkunden-Hypothese, welche jetzt floriert, mufs die- selben genauer betrachten als etwas, wodurch der vor- liegende Stoff in passende Unterabteilungen zerlegt, und in die ganze Sache Klarheit gebracht werden solle, darf aber — 105 — in ihnen keinen Beweis gegen die Einheit der Erzählung erblicken. Es wird ferner getadelt, dafs in diesen Kapiteln ver- schiedene Paragraphen von ganz losem Zusammenhang mit dem durchgehenden Faden der Erzählung sich finden, welche davon abgetrennt, gar nicht vermifst werden, und deren Entfernung den Zusammenhang und die Einheit der Erzählung vielmehr verbessert. Solche Abschnitte, wird behauptet, sind offenbar Interpolationen und können nicht zu dem ursprünglichen Texte gehört haben; sie beweisen aber, dafs ursprünglich getrennte Erzählungen in den jetzt vorliegenden Text zusammengearbeitet sind. So stellt George auf, dafs 12, 1 — 28 störend zwischen die Erklärung der Absicht Gottes, die Erstgeburt zu schlagen, und zwischen deren Ausführung tritt. Daher niufs es eine Interpolation sein, in welcher wieder andere Interpolationen vorkommen, wie denn auch V. 2, 8 — 10. 14 — 20. 43 — 50 gleicherweise verdammt wurden. Wellhausen wirft als späteren Zusatz 12, 21—27; 13, 3—16 aus. Jede parenthetische Angabe, jede Abweichung zur Ein- führung dessen, was in vorhergehenden Bemerkungen nicht ganz genau enthalten ist, aber bedeutungsvoll darauf hin- zielt, wird ohne weiteres als Interpolation ausgeworfen. Es giebt kein Schriftstück in der Welt, das nach diesem Verfahren nicht in Stücke gerissen werden könnte. Aus dem allerengsten Geschichtszusammenhang können einzelne Partien ausgelassen werden, ohne dafs der Leser etwas davon gewahr wird. Diese Kapitel sind augenfällig zusammenhängend und verfolgen einen ganz bestimmten Zweck. Nichts ist in Be- zug auf das Hauptthema irrelevant, und es findet sich keine Lücke in dem Zusammenhang der verschiedenen Teile. Jeder Abschnitt und jeder Satz fügt der von dem Verfasser — 106 — repräsentierten Anschauung etwas zur Vollständigkeit hinzu und erhöht den Totaleindruck derselben. Die Kritiker schreiben dies der Geschicklichkeit des Redaktors oder Schlufsredaktors auf die Rechnung, der sein Material mit bewunderungswerter GeschickKchkeit ausgewählt und zu- sammengearbeitet habe. Wenn er wirklich gethan hat, was die Kritiker ihm zuschreiben, so ist ihm das wunder- barste Kunststück gelungen, das die Litteraturgeschichte kennt. Er hat zwei oder mehr Dokumente, die ganz un- abhängig voneinander entstanden sind, denen ein verschie- dener Plan zu Grunde lag, und die eine ganz verschiedene Tendenz verfolgten, genommen und ohne Veränderung der Spracheigentümlichkeit eines jeden zu einem kostbaren Mosaikstück zusammengearbeitet, das den Anschein eines ganz zusammenhängenden, einheitlichen Berichtes hatte, welcher auch allgemein dafür galt, bis endlich das kritische Mikroskop die unendlich kleinen Fugen und Nähte daran entdeckt hat. Nach Dillmann schöpfte er V. 28 aus A, 29. 30 aus C, 31—33 aus B, 34—36 aus C, 37* aus A, 37 ^ 38 aus B, 39 aus C, 40. 41 aus A, 42 aus B. Mit Hülfe dieser ganzen Flickarbeit hat er dann ein scheinbar zusammenhängendes Werk hergestellt. Es ist ein Wunder, dafs ein Verfasser, der solche Aufgabe zu lösen imstande war, sich selbst in solche unnötigen Fesseln geschlagen und nach rein mechanischer Weise gearbeitet hat, anstatt, was ihm leicht möglich gewesen wäre, bei weniger Arbeit, aber mit befriedigenderem Erfolg, das ganze Material, das seine Quellen lieferten, in das Modell seiner eigenen Gedanken urazugiefsen und eine Originalerzählung zu geben. Auch wird behauptet, dafs in diesen Kapiteln Wieder- holungen sich finden, welche die Annahme rechtfertigen, dafs hier verschiedene Berichte kombiniert, und Parallel- berichte ohne weiteres nebeneinander gestellt wurden. So — 107 — finden sich liier, abgesehen von der Nachtragsbestimmung- zum Passah Kap. 12, 43 — 49, welche die Kritiker selbst als solche anerkennen, zwei Abschnitte mit Weisungen über das Passah, zwei Abschnitte über die ungesäuerten Brote und zwei über die Darbringung der Erstgeburt. Allein dies sind in keinem Fall überflüssige Wiederholungen. Zuerst giebt Gott das Gesetz dem Moses, und Moses wieder- holt es dem Volk. Keins wäre ohne das andere vollständig. Sicherlich kein Mensch, als nur ein Kritiker, der seine Hypothese aufrecht erhalten will, würde sich träumen lassen, dieselben auseinander zu reifsen und verschiedenen Urkunden zuzuschreiben. Kap. 12, 35. 36 ist keine un- nötige Wiederholung von 11, 2. 3. Letzteres ist die gött- liche Weisung, welche, als ihre Zeit kam, von Israel mit dem Resultat, das bereits zum voraus erzählt ist 3, 21. 22, befolgt wurde, wobei jeder Passus dann an seiner richtigen Stelle steht. Die offenbare Beziehung des einen auf den andern, die genaue Wortübereinstimmung zeigt zur Genüge die Einheit des Ursprungs und die Zusammengehörigkeit zu demselben fortlaufenden Bericht. Kap. 12, 51 wiederholt die Formel von 41, aber nur um den Faden der Erzählung nach einer kurzen Abschweifung wieder aufzunehmen , ge- rade wie es Kap. 6, 28—30, vgl. mit 10—12 auch geschieht. Bei dem einfachen Stil der hebräischen Erzählung ist es nicht ungewöhnlich, dafs der Verfasser bei Dingen von besonderem Interesse verweilt und wieder auf dieselben zurückkommt und wieder erwähnt, damit seine Leser einen tieferen Eindruck von deren Grofsartigkeit und Bedeutsam- keit erhalten. Daher kommt es, dafs bei der Schilderung von epochemachenden Ereignissen wie der Sündflut, den ägyptischen Plagen, dem Durchgang durch den Jordan und dem Auszug aus Ägypten, eine Masse von Wiederholungen vorkommen, welche die Kritiker schnell bei der Hand sind, — 108 — zu Gunsten einer doppelten Gescliichtserzählung auszubeuten. Aber wenn der ßedaktor so viele Wiederholungen einführen konnte, warum sollte dies der ursprüngliche Verfasser niclit auch gethan haben? Es ist Thatsache, dafs Wiederholungen auch in den Dokumenten sich finden, welche von den Kri- tikern einem und demselben Verfasser zugeschrieben wer- den, während sie sonst derartige Wiederholungen zum Vor- wand für ihre Quellenscheidungen machen. Gerade in diesen Kapiteln finden sich solche Fälle. Kap. 12, 19 wieder- holt, was bereits in V. 15 und V. 17, was in V. 14 gesagt ist, obgleich alles dem Elohisten angehört. Aber bei aller Willkür in der Sonderung dessen, was ganz klar zusammen- gehört, und obgleich verschiedene Partien gewaltsam zu Duplikaten gestempelt werden, was sie in Wirklichkeit nicht sind, bleiben doch bedeutende Lücken in den angenommeneu Quellen und Dokumenten. So wird die Erwürgung der Erstgeburt im Elohisten angedroht 12, 12. 23, allein diese Quelle enthält keinen Bericht über die Ausführung der An- drohung. Sie geht auf einmal von der Begehung des Pas- sah V. 28 zu der unmodifizierten Angabe V. 37 über „also zogen aus die Kinder Israel von Kaemses gen Suchoth", ohne jede Andeutung dessen, was in der Zwischenzeit sich zu- getragen hat. Ferner wird es aus Num. 3, 13; 8, 17; 33, 4, Abschnitten, welche dem Elohisten angehören, klar, dafs die Erwürgung der Erstgeburt vorher schon erwähnt sein mufs, allein diese Erwähnung wird nur beim Jehovisten gefunden. Kayser besteht darauf, dafs 12, 37* unbedingt dem Jehovisten zugeschrieben werden mufs ; allein die Mehr- heit der Kritiker ist infolge der engen Beziehung auf Num. 33, 5 darin einig, dafs dieser Vers dem Elohisten an- gehören mufs. Wenn dem so ist, dann spricht der Jehovist V. 39 von dem Mitnehmen des Teiges ohne irgend welche vorhergehende Andeutung, dafs Israel das Land selbst ver- — 109 — lassen hatte. Er spricht 13, 17 ganz unmotiviert von der Entlassung des Volkes durch Pharao, ohne dafs er früher dieser Thatsache Erwähnung gethan hätte. Nach Kaysers eigener Einteilung erklärt dei' Jehovist 12, 11, wie das Passah gegessen werden soll, ohne zu sagen, worin das Passah eigentlich bestand, und ohne jede Anweisung zur Zubereitung desselben. Wir haben nun einen Überblick gegeben über das, was die Kritiker zu Gunsten der Verteilung dieser Kapitel an die verschiedenen Verfasser zu sagen haben, soweit als dieses auf eine Analj^se der Kapitel selbst nach Zusammen- hang der Gedanken und Verwandtschaft der einzelnen Teile begründet werden kann. Wir haben gefunden, dafs bei der Verteilung der Kapitel, bei welcher jeder Kritiker nach einem andern Grundsatz verfährt, sehr verschiedene Darstellungen sich ergeben von dem, was diese angenommenen Verfasser enthalten, welches einfach beweist, dafs der Teil sich nicht mit dem Ganzen deckt, und dafs verschiedene Abschnitte der Erzählung für sich allein betrachtet, nicht mit dem Gesamtinhalt identisch sind. Die angenommenen Wider- sprüche in den Gesetzen sowohl als in den Erzählungen, und jene, welche zwischen Erzählung und Gesetzen bestehen sollen, beweisen auf Grund der Untersuchung, dafs eine glückliche Versöhnung derselben möglich ist. Die Beschuldigung eines Mangels an Zusammenhang zwischen den verschiedenen Teilen, als ob sie Text- verschiebungen oder Interpolationen in sich schliefseu wür- den, erweist sich als grundlos. Die Wiederholungen, seien sie nun wirklich oder nur eingebildet, sind kein Beweis für die parallelen Erzählungen und können nicht den Verdacht erwecken, dafs verschiedene Berichte zusammengearbeitet sind. Ich denke, es kann mit Sicherheit gesagt werden, dafs - 110 — diese Punkte imerachtet der Zähigkeit, mit der sich die Kritiker unter Anwendung eines erstaunlichen Scharfsinnes an sie festklammern, weder im einzelnen noch im ganzen die Urkundenhypothese stützen, soweit diese Kapitel in Betracht kommen. Für die Bestätigung dieser Ansicht werde ich mich nicht auf diejenigen berufen, welche mit ausgezeichneter kritischer Gelehrtheit die altmodischen An- sichten von Autorschaft, Inspiration und Echtheit der alt- testamentlichen Schriften hartnäckig verteidigt haben, da dieselben nicht als ganz unparteiisch in ihrem Urteil er- scheinen möchten. Aber ich berufe mich auf Gelehrte, welche sicherlich kompetent sind, in einer Frage wie diese ein Urteil abzugeben, und welche selbst Anhänger der Teilungs-Hypothese sind und keiner allzugrofsen Vorliebe für die traditionellen Ansichten beschuldigt werden können. So sagt Winer:^) „Der Ursprung des Festes ist allerdings in das Gewand des Wunderbaren gehüllt," vergi. Exod. 12, 12 f. 29 ff., welches bei ihm natürlich „das Unglaub- liche" bedeutet. Dann fährt er fort: „aber eigentliche Widersprüche oder eine Doppelheit der Erzählung kann ich in jenem Kapitel nicht linden," Und Bertheau^) sagt: „Das ganze zwölfte Kapitel des Exodus giebt eine zusammen- hängende Erzählung, nirgends ist aucli nur die leiseste Spur von Unordnung, nirgends etwas, das den Verdacht rechtfertigen könnte, als stünde irgend ein Vers aufserhalb des Zusammenhangs mit dem Ganzen." 1) Bibl. Real- Wörterbuch 184S, 3. Aufl. Artikel Pascha II. S. 197, 2) „Die sieben Gruppen mosaischer Gesetzgebung" S. 58. IV. Die Einheit von Exodus Kap. 12. 13. (Fortsetzung.) Wir haben die Frage der Einheit von Exodus Kapitel 12. 13, soweit diese beiden Kapitel in den Bereich derselben fallen, betrachtet und nach geduldiger Anhörung aller Ver- mutungen der Kritiker nach dieser Seite hin den Verdacht einer Verschiedenheit der Verfasser unbegründet gefunden. Allem Anschein nach ist es eine zusammenhängende und einheitliche Erzählung, so dafs man sie mit Recht als das Produkt eines Geistes und einer Feder ansehen darf. Sie ist mit einer offenbaren Planmäfsigkeit , welche sowohl durch das Ganze als die einzelnen Teile sich hindurchzieht, verfafst; aUes ist geschickt geordnet, und das Ganze ent- wickelt sich mit Regelmäfsigkeit eins aus dem andern. Es herrscht Einheit zwischen Plan und Ausführung, und wir müssen, sofern von diesem Standpunkt aus geurteilt wird, die Einheit der Autorschaft annehmen. Die Einheit dieser Kapitel ist jedoch auch noch von einer andern Seite aus angegriffen worden, nämlich hin- sichtlich der Diktion und des Stils. Es wird behauptet, dafs in den einzelnen Abschnitten dieser Kapitel solche Verschiedenheiten in dem Gebrauch von AVörtern und gan- zen Ausdrücken sich finden, dafs sie die charakteristischen Gewohnheiten verschiedener Verfasser verraten. — 112 — Es ist deshalb nötig, dafs wir die diesbezüglichen Be- hauptungen prüfen, ehe wir einen sicheren Sclilufs ziehen. Ehe wir dazu übergehen, müssen wir zwei vorläufige Bemerkungen machen: 1. Die Last des Beweises liegt gänzlich a\if jenen Kritikern, welche eine Verschiedenheit der Autorschaft an- nehmen. Die vorhergehende Annahme geht ganz entschieden nach der andern Richtung. Diese Kapitel bilden den Be- standteil eines Buches, das von Anfang einhellig einem Verfasser zugeschrieben wird. Sicherlich bilden sie insofern ein Ganzes, als sie ein gemeinschaftliches Thema haben, welches zusammenhängend und folgerichtig behandelt wird. Die gröfste Spitzfindigkeit bei der Untersuchung ist nicht imstande gewesen , irgend etwas zu entdecken , das mit dieser Behauptung nicht übereinstimmte. Wenn nun vor- gegeben wird, dafs Diktion und Phraseologie dieser Kapitel eine Verschiedenheit der Autorschaft begründen, so mufs der verlangte Beweis klar und schlagend sein ; einmal im Verhältnis zum Gegenzeugnis , welches bereits angeführt wurde und nun entkräftet werden mufs, sodann im Vei'- hältnis zu der Zweideutigkeit und Unbestimmtheit, welche sich so leicht bei derartigen Beweisführungen finden. Es giebt nichts, worüber Sachverständige ernstlicher von- einander abweichen, als die Identität der Handschrift, aufser wenn der Fall so klar ist, dafs gar kein Zweifel möglich ist. So ist es auch mit der Identität des Stils, wenn die Anzeichen nicht durchaus untrüglich sind. Selbst diejenigen, welche die längste und vertrauteste Bekanntschaft mit einem Schriftsteller haben, mögen oft in Zweifel sein, ob ein gegebener Abschnitt aus seiner Feder stammt, wenn er nur nach dem Stil beurteilt werden soll, er müfste denn gerade besonders hervorstechende und charakteristische Eigentümlichkeiten enthalten. Die Schwierigkeit ist natürlich — 113 — da gröfser, wo es sich um einen Schriftsteller in fremder Sprache handelt, welcher einem fernen Zeitalter angehört, aus dem wir nur wenige litterarische Überbleibsel besitzen. Da liegt die Gefahr nahe, falsche Schlufsfolgerungen aus plausiblen Erscheinungen zu ziehen, die auf ganz anderem Wege zu begründen sind. Das Ergebnis des ganzen Ver- fahrens jedoch ist sehr einfach. Es giebt keinen Beweis für die Verschiedenheit der Autorschaft, wenn er nicht in Verschiedenheiten des Stiles und der Sprache gefunden wird. Sind nun diese Ver- schiedenheiten von so klarer und unzweideutiger Natur, dafs sie all die zahlreichen andern Beweise für die Einheit über den Haufen werfen ? 2. Zum andern habe ich zu bemerken, dafs die I)is- kussion jetzt auf die uns vorliegenden Kapitel beschränkt werden mufs. Wir können bei unsrer gegenwärtigen Aus- einandersetzung nicht die ganze Frage von der Einheit des Pentateuchs und der möglichen Existenz von zwei Elohisten, einem Jehovisten, einem Deuteronomiker und einem Re- daktor vornehmen; auch können wir uns nicht mit jenen andern Fragen geringeren Charakters beschäftigen, welche die verschiedenen Anhänger der Urkunden-Hj^pothese zu ihrem Dienste aufgerufen haben, um die verschiedenen Mängel ihrer Aufstellung auszugleichen. Wir beschränken unsere Aufmerksamkeit einfach auf diese zwei Kapitel und die Anwendung der Methoden und Resultate der auflösenden Kritik auf dieselben. Wir beschäftigen uns jetzt nicht mit der Hypothese im ganzen, sondern nur insofern dieselbe für diese besonderen Abschnitte in Betracht kommt. Und da wir uns nicht für berechtigt halten , irgend welche Schlufs- folgerung über unsere Voraussetzung hinaus zu ziehen, werden wir uns auch nicht aussprechen über die Hypothese Green, Die Feste der Hebräer. Q — 114 — im allgemeinen, sondern nnr soweit als es der Grundsatz erfordert: Ex uno disce omnes. Knobel, der in der Anhäufung und Registrierung der Kriteria für die Autorschaft den aufs er ordentlichsten und unverdrossensten Fleifs zeigte, hat ellenlange Listen von Wörtern und Phrasen angelegt, welche dem Elohisten und Jehovisten eigentümlich- sein sollen. Dillmaun, der sich Knobel zum Muster genommen hat, stellt zwanzig oder mehr Ausdrücke in den Elohistabschnitten dieser Kapitel auf und eine ganze Anzahl in den Jehovistabteihmgen , die auch sonst den Unterschied von Elohist- und Jehovist- abschnitten anzeigen. Dafs dabei die Grenze des Erlaubten überschritten wird, und dafs die Forschung von nur allzu- vielem Erfolg begleitet ist, ist der erste Eindruck, den ein solches Verfahren hervorbringt. Es geht über alle ver- nünftige Wahrscheinlichkeit liinaus, dafs so viele charak- teristische Stilverschiedenheiten auf einen so kleinen Raum zusammengedrängt sein sollen. Ein spärlicheres Vorhanden- sein von derartigen Verschiedenheiten würde viel mehr Ein- druck gemacht haben. Ganze Schiffladungen voll gelber Erde erwecken in uns nicht so die Vorstellung von Gold, als wenn dieser Stoff in kleinerer Quantität vorhanden ist. Die hier gebrauchten Worte sind gerade die zum Gedanken- ausdruck der Verfasser geeigneten, und in vielen Fällen wäre es schwierig, ein anderes Wort dafür zu finden. Die- selben gehören zum allgemeinen Sprachvorrat, über welchen keinem Schreiber das Monopol zusteht. Dafs ein besonderer Verfasser eins oder mehrere dieser Worte vorher gebraucht hat, ist keineswegs notwendig ein Beweis, dafs ein anderer Abschnitt, in dem dieselben Wörter enthalten sind, auch von demselben Verfasser herstammt. Dies braucht auch nicht ein Vorurteil zu schaffen gegen die Abfassung eines besonderen Passus von seiner Seite, der zufällig dieselben — 115 — nicht enthält. Der ganze kritische Prozefs nimmt still- schweigend an, dafs derselbe Verfasser beständig auch die- selben Worte gebrauchen müsse, die er zuvor gebraucht hat, und ja keine andere. Dieses Beweis verfahren wird in rein mechanischer Weise geübt und läfst die Thatsache ganz unberücksichtigt, dafs veränderte Redeformen noch lange nicht untrügliche Anzeichen von verschiedener Autor- schaft sind. Sie mögen wohl eine Schattierung des Ge- dankens anzeigen; aber eine gewisse Abwechslung im Aus- druck mufs doch einem Schreiber, der in dem Gebraucli seiner Sprache etwas Gewandtheit besitzt, auch zugestanden werden. In der Würdigung der Folgerichtigkeit dieses kritischen Verfahrens zu dem Zweck, wofür es angewandt wird, sollte ferner in Betracht gezogen werden, dafs jede positive Be- weiskraft dieser Schlufsfolgerungen ebenso statthaft zur Verteidigung der Einheit des Ganzen angewendet werden kann. Es sind nur die negativen und deshalb weniger un- trüglichen Beweismomente, welche dagegen zu sprechen scheinen. Insoweit die langen Listen von Wörtern und Phrasen, welche als charakteristisch für das eine oder andere der angenommenen Dokumente hingestellt werden, eine gegenseitige Verwandtschaft oder einen gemeinsamen Ursprung der einzelnen Abschnitte begründen sollen, haben dieselben einen nicht zu verachtenden Wert für den, wel- cher die gemeinsame Autorschaft beider festhält, denn das Ganze schliefst seine Teile in sich. Der einzige Punkt in der Beweisführung der Kritiker, worüber wir uns im Interesse der Einheit mit Dmen aus- einander zu setzen haben, ist die voreilige und unberechtigte Schlufsfolgerung , welche sie daraus ziehen, weil gewisse Worte, welche in einer Klasse von Abschnitten gefunden werden, in der andern Klasse fehlen. Diese Schlufsfolgerung — 116 — steht offenbar auf sehr schwachen Füfsen, wenn die That- sache nicht aus andern Gründen als Verschiedenheit der Autorschaft vernünftig erklärt werden kann. Der trügerische Charakter dieser kritischen Wortlisten wird uns klar, wenn wir uns die Leichtigkeit vergegenwärtigen, mit welcher diese Listen in beliebiger Länge aufgestellt werden können, wo dieselben eine unmögliche Bedeutung haben. Wenn zwei Abschnitte aufs Geratewohl in der Schrift irgend eines Verfassers ausgewählt werden, so werden ganz unvermeid- lich in jedem Abschnitt Worte sich finden, die in dem an- dern fehlen. Angenommen, dieselben sind wirklich Produkte verschiedener Verfasser, und die Worte und Phra'sen, welche jedem eigentümlich sind, charakterisieren jeden der ver- schiedenen Verfasser; dann lasse man von diesen Para- graphen als Ausgangspunkt die Untersuchung auf nach- folgende Abschnitte und Sektionen desselben Verfassers sich erstrecken und schreibe diese dem einen oder andern dieser Verfasser zu, je nach den darin sich findenden charakteristischen Ausdrücken und — die Liste der eigen- tümlichen Ausdrücke und Redensarten wächst mit dem Fort- schreiten der Arbeit. Dies ist der ganze Prozefs, aus wel- chem die Teilungs-Hypothese entsprungen ist. Während die Väter der Hypothese vorsichtig Schritt für Schritt, mit bedächtiger Miene, anscheinend mit wissenschaftlicher Exakt- heit, vorwärts gingen, haben sie selbst eben dasjenige Phä- nomen geschaffen, dessen Vorhandensein sie triumphierend beweisen wollten. Die Zergliederung ist auf eine Voraussetzung hin ge- schehen, warum sollte nun der Gedanke so ungeheuerlich sein, wenn die Zergliederung in ihrer Vollendung mit jener Annahme übereinstimmt? Gewisse Worte und Rede- wendungen werden zum Kriterion dessen gemacht, was den bestimmten Verfassern zuzuschreiben ist. Jeder Paragraph, — 117 — jeder Satz und jede Wendung, worin diese vorkommen, wird konsequent demselben Verfasser zugeschrieben, und wenn der Prozefs vollendet ist, giebt der Kritiker als Dar- legung des wahren Sachverhaltes aus, was thatsächlich nur sein eigenes Machwerk ist. Die Scheidung stimmt mit der Hypothese überein, einfach weil sie durch die Hypothese gemacht ist. Den Schein der Wahrheit, welchen letztere hat, verdankt dieselbe nicht ihrem Beruhen auf der soliden Basis der Thatsache, sondern dem aufserordentlichen Scharf- sinn, womit dieselbe erfunden und durchgeführt worden ist. Wenn die Kritiker durch beharrlichen Fleifs und unaufliör- liche Verbesserungen zuletzt dahin kommen, aus der Hypo- these ein harmonisches Ganze zu machen, wo findet sich dann das äufsere Zeugnis für ihre Glaubwürdigkeit? Wir gehen nun zur Betrachtung der verschiedenen Worte und Phrasen in den uns vorliegenden Kapiteln über, welche die verschiedenen angeblichen Verfasser anzeigen sollen. Eine Anzahl von denjenigen, welche dem Elohisten zugeschrieben und von uns in dem Nachfolgenden angeführt werden, sind Nöldeke ^ entnommen : „Das Eitual des Passah wird hier zum erstenmal eingeführt, eigentlich nur für die Israehten bei deren Auszug; aber wie Abraham das Gesetz der Beschneidung zuerst erhielt, und diese dann alsbald auf alle seine Nachkommen ausgedehnt wurde, so verhält es sich auch hier. Wir haben demnach das zweite Beispiel von gesetzlicher Ausdrucksweise, welche auch noch in späteren Eitualgesetzen vorherrschend war, vergleiche z. B. D^^nyn ]'^2, zwischen den Abenden, Exodus 12, 6; D3^mib Db^y npn, in euren Geschlechtern eine Ordnung auf ewig, V. 14. 17, so Gen. 17, 7; :ihp NipD heilige Versamm- ') „Untersuchungen" S. 41. — 118 — hing, Y. 16; üinn trs:n nm^ai solche Seele soll ausgerottet werden, V. 19; Gen. 17, 14 etc. Es sollte ausdrücklich er- wähnt sein, dafs hier im ersten Gesetz, welches die Religion betraf und dem ganzen Volk gegeben war, der Ausdruck 7}'^]; Kongregation, Gemeinde (die ganze Gemeinde Israel) zum erstenmal vorkommt, welcher von da an in der Grund- schrift (Elohist) stehende Bezeichnung des versammelten Volkes wird, während der Elohist sehr selten das einfache □yn, Volk, gebraucht (doch siehe Num. 33, 17; Exod. 17, 1)." Hierzu kämen aus Dillmanns Tabelle folgende zu- sätzlichen Gesetzesformeln , welche alle in dem Pentateuch auf Abschnitte gesetzlichen Inhalts beschränkt sind, näm- lich: a3^n::*ii'7Q b22, in allen euren Wohnungen, Exod. 12, 20; so 35, 3; Lev. 3, 17; 7, 26; 23, 3. 14. 31; Num. 35, 29. i3n:!, Fremdling, Exod. 12, 43; ebenso Gen. 17, 12. 27; Lev. 22, 25; P]02"n3pD, ums Gold gekauft, V. 44, so auch Gen. 17, 12. 13. 23. 27; yii^n mrx , in dem Land ge- boren, V. 19. 48. 49, mit einigen Wiederholungen in Le- viticus und Numeri. Insofern nun diese Worte und Phrasen dem Eitualgesetz eigentümlich sind, das Ganze dieses Ge- setzes aber dem Elohisten zugeschrieben wii'd , so sollte man bülig auch erwarten, dafs diese nur in Abschnitten des Elohisten, nicht aber aucli in jenen des Jehovisten vor- kommen. Wenn diese und ähnliche Worte als Beweis der Verschiedenheit der Autorschaft beigebracht werden können, dann wäre es nicht schwer, nach demselben Grundsatz zu beweisen, dafs kein Gesetzgeber etwas anderes als Gesetze schreiben kann. Nehmen wir Herrn Gladstones Gesetz für die Versöhnung Irlands, für die Ausdehnung des Wahl- rechts und andere Mafsregeln, die er während seiner Ad- ministration ergriifen hat , so entdecken wir darin eine Menge von gesetzlichen Termen und Ausdrücken, welche in seinen „Studien über Homer und das homerische Zeit- — 119 — alter" ^) nirgends vorkommen. Darin liegt ebensowenig als in dem kritischen Argument, welches wir untersuchen, Beweis- kraft, dafs dieses letztere Werk fälschlich dem ausgezeich- neten Premier zugeschrieben wird. Wenn die durchgängige Abwesenheit dieser Worte in jedem Paragraphen des Elo- histen selbst, welcher der Ceremonialgesetzgebung nicht gewidmet ist, nicht verhütet, dafs solche Abschnitte als ihm eigen angerechnet werden, was Eigentümliches soll denn in der Thatsache sein, dafs dieselben ebenfalls in allen Paragraphen des Jehovisten fehlen, dem doch keine Cere- monialgesetzgebung zugeschrieben wird? Daher können wir über diese Wortklasse gänzlich hinweggehen , da sie zu der Frage gar nichts austragen, ob die sogenannten Jehovist- abschnitte dieser Kapitel von anderer Hand stammen als die Elohistabschnitte , und wollen nur im Vorbeigehen be- merken, dafs in einigen Fällen nur durch das allerkleinste Guckloch Einräumungen entschlüpfen, die mit der Hypothese im Widerspruch stehen. So spricht der Eloliist 12, 14 vom Passah als einer Ordnung „zur ewigen Weise" und dieser Ausdruck ist unter die gerechnet, welche seinem Stü eigen sind; der Jehovist aber V. 24 nennt es; „eine Satzung für dich und deine Kinder ewiglich;" allein dies, sagt man, ist so abweichend vom Vorhergehenden, dafs es nicht als gleich- bedeutend angesehen werden dürfe. Von den andern Wor- ten, welche Dillmann dem Eloliisten als eigentümlich zu- schreibt, kommen in 12, 4 ein Verbum und ein Nomen von verwandter Bedeutung vor. Das erstere 1ü2r\ , ihr sollt rechneu, zählen, steht nur dies einzige Mal im Alten Testa- ment. Das Nomen noiSD, Zahl, kommt sonst nur einmal und zwar im Ritualgesetz Lev. 27, 23 vor. Ein anderes abgeleitetes Wort findet sich nur noch in einem einzigen 1) Wm. E. Gladstone 'Homer' 1858, 3 Vol. 'Homeric Synchronism' 1876. Anm. des Übers. — 120 — Passus Num. 31, 28. 37—41, imcl zwar in dem Eitual- zusammenhang , wo es gebraucht wird liir „Abgabe", die aus der Kriegsbeute an das Heiligtum zu zahlen ist. Diese sind sicherlich der Ungewöhnlichkeit ihres Vorkommens von der Kategorie der Lieblingsausdrücke wegen entfernt und daher kein Anhaltspunkt von des Verfassers gewöhnlichem Stil. Überdies verbietet uns deren ausschlief sliche Ver- bindung mit dem Eitualgesetz das Suchen derselben in den Jehovistabschnitten. In demselben Vers, 12, 4, ist auch ein präpositionaler Ausdruck als jehovistisch klassiflciert ^Eib nach, gemäfs. Dieser Ausdruck kommt im ganzen Pen- tateuch achtmal vor,^) worunter in vier Fällen in nicht gesetzlichen Teilen, Knobel ist der einzige Kritiker, wel- cher den Ausdruck im ersten Fall Gen. 47, 12 dem Elohisten zuschreibt. Hupfeld, Schrader, Nöldeke, Kayser und Dill- mann sprechen ihn einstimmig dem Elohisten ab. Im zwei- ten und dritten Fall Exod. 16, 16. 18 gehört der Ausdruck nach Wellhausen ebenfalls nicht dem Elohisten an. Wenn wir nun die Autorität des letzteren Kritikers anerkennen woUen, so gehört die in Frage stehende Phrase dem Elo- histen an ; aber einmal unter viermal wird der Ausdruck in irgend einem andern als gesetzlichen Abschnitt gefunden. Ferner werden wir hingewiesen auf li'5:, Seele , in der Be- deutung von „Person", V. 4. 15. 16. 19. Doch ist dies nicht dem Elohisten eigentümlich, denn der Jehovist ge- braucht es ebenso Gen. 2, 7, und nach Schrader und Kayser Jos. 10, 28 ff. auch 11, 11. Nach allgemeiner Übereinstimmung gehört auch Gen. 14, 21 nicht dem Elohisten an. Ein anderes Kriterion ist D"'IO£)tt^, Gerichte, welches in dem ganzen Pentateuch viermal'^) 1) Gen. 47, 12; Exod. 12, 4; 16, 16. 18; Lev. 25, 16; 27, 16; Num. 9, 17; 26, 54. 2) Exod. 6, 6; 7, 4; 12, 12; Num. 33, 4. — 121 — vorkommt, und zwar immer in Verbindung mit den gött- lichen Strafgerichten über Ägypten. Dies ist das einzige Wort, welches in diesem prägnanten Sinn im Pentateuch gebraucht ist. D^LOSU'D , welches sehr häufig vorkommt, und im Englischen durch dasselbe Äquivalent gegeben ist, wird in diesen Büchern nicht im Sinn einer göttlichen Straf- verhängung, sondern im Sinn eines gerichtlichen Urteils- spruches oder einer Verfügung gebraucht. Die meisten Kritiker beanspruchen in allen .vier Fällen D''D£t!' für den Elohisten, nur Kayser schreibt einen Fall Exod. 12, 12 dem Jehovisten zu. Da der Gedanke in keinen andern Jehovist- abschnitten ausgedrückt ist, so ist kein Anlafs für den Ge- brauch des Wortes vorhanden. Auch das wird als eine Eigentümlichkeit des Elohisten angesehen, dafs er den Aus- druck mi«?ri2, Heere, Heerscharen, auf die Israeliten an- wendet. Exod. 12, 17; 41, 51, so auch 6, 26; 7, 4 u. a. St Allein der Jehovist gebraucht dieses Wort in Anwendung auf das Philisterheer Gen. 26, 26 und 21. 22. 32 ist nicht elohistisch. Dafs es nun in einem jehovistischen Teil auf die Israeliten angewandt nicht vorkommt, mufs reiner Zu- fall sein ; dafs er andere militärische Ausdrücke in Beziehung auf dieselben gebraucht, zeigt, dafs er sie als ein Heer an- sieht, z. B. 13, 18 Schrader: bewaffnet oder kriegsbereit; 14, 19. 20, Kayser: Feldlager. Es wird behauptet Exod. 13, 2 n?jnD27 Dli^^j unter Menschen und Vieh, sei elohistisch, allein der Jehovist verbindet dieselben Ausdrücke, doch mit einer verschiedenen Präposition Exod. 9, 25; 13, 15 und auch der Elohist adoptiert diese letztere Form 12, 12. Noch sind zwei Ausdrücke zu erwähnen, auf welche die Kritiker grofses Gewicht legen, und von denen sie zu- versichtlich behaupten, dafs sie für den Elohisten charak- teristisch seien, was auch auf den ersten Blick ziemlich plausibel scheint. Der eine Ausdruck ist Du);, idiomatisch — 122 — gebraucht im Sinn von: „eben derselbe", Exod. 12, 17. 41. 51. Der andere ist liyy ]D in dem pleonastischen Ausdruck V. 28. 50: „Sie tliaten wie der Herr befohlen hatte, so thaten sie." Der erstere einzigartige Ausdruck kommt neunmal^) innerhalb des Pentateuchs vor, durchweg in Elohist- Abschnitten, auch einmal in einem Elohistpassus in Josua , 5, 11, sonst in keinem der nachfolgenden Bücher des Alten Testaments, mit Ausnahme von vier Stellen in Ezechiel, ^) dessen priesterliche Vertrautheit mit dem Gesetz in der freien Adoptierung von dessen Sprache und in der Wiederbelebung der veralteten Wörter und Redewendungen sich zeigt. Es ist eine emphatische Redeweise, die nur selten gebraucht und, wie eine kurze Einsichtnahme uns zeigen wird, auf bedeutende Epochen beschränkt ist, deren Zeit dadurch genau bezeichnet wird. Es bezeichnet zwei folgenschwere Tage in der Geschichte: den Tag, da Noah in die Arche ging. Gen. 7, 13, und den Tag, da Moses, der Führer und Gesetzgeber Israels, auf den Berg Nebo stieg, um daselbst zu sterben, Deut. 32, 48. Zweimal ist der Ausdruck gebraucht in Verbindung mit der ursprüng- lichen Einsetzung der Beschneidung in der Familie Abra- hams, Gen. 17, 23. 26; dreimal in den uns vorliegenden Kapiteln vom Tag. da der Herr Israel aus Ägjqiten führte ; fünfmal in Lev. 23, dem Kapitel, welches die heiligen Fest- zeiten anordnet, um den Tag besonders hervorzuheben, an welchem die Erstlingsgarbe in der Passahwoche dargebracht wurde, V. 14. Dies wird auch bei der Feier des ersten Passah in Kanaan aufs neue nachdrücklich betont, Jos. 5, 11. Auch der Tag, an welchem die zwei AVebebrote dargebracht wurden beim Fest der Wochen, V. 21, wird so bezeichnet; auch der grofse Versöhnungstag wird mit dreifacher Wieder- ») Gen. 7, 13; 17, 23. 26; Lev. 23, 14. 21. 28. 29. 30; Deut. 32, 48. 2) Ezechiel 2, 3; 24, 2, zweimal; 40, 1. — 123 — holung so genannt, V. 28 — 30. Wenn nun alle diese hocli- bedeutsamen Stellen, mit Berufung auf den G-ebrauch dieses Ausdrucks, von den Kritikern dem Elohisten zugeteilt wer- den, dürfte es nicht überraschend sein, wenn der Jehovist denselben gar nirgends anwendet. Und doch wird der Ausdruck in einem anerkannt jehovistischen Abschnitt ge- funden Jos. 10, 27,^) wodurch gezeigt wird, dafs er sowohl in diesen wie in andern Abschnitten stehen kann, wenn für seine Anwendung Grund vorhanden ist. Es ist daher ganz verfehlt, dieses Wort der Quellenscheidung zu Grunde zu legen. Der andere oben genannte Elohist- Ausdruck, sagt man, stimmt mit dessen schulgerechtem, bestimmtem und zu Wiederholungen geneigtem Stü überein. Er kommt im Pentateuch elfmaP) vor, zweimal mit leise modificierter Form, und wird in jedem einzelnen FaU von den Kritikern dem Elohisten gegeben. Nicht ein einziges Mal wird er in Jehovistabschnitten gefunden. Der Eindruck, den eine solche Aufstellung macheu soll, wird jedoch nicht wenig ab- geschwächt, wenn wir etwas tiefer in den wirklichen Sach- verhalt eindringen. 1. Dieser Ausdruck darf nicht als müfsige Tautologie angesehen werden und als blofse G-ewohnheit eines zu Weitschweifigkeiten und Wiederholungen geneigten Ver- fassers übergangen werden. In den allermeisten Fällen, wo die Aufmerksamkeit auf die Übereinstimmung der Handlungsweise mit dem göttlichen Befehl gelenkt wird, gebraucht der Elohist selbst eine kürzere Formel, oft ein- 1) Schrader und Kayser schreiben diesen Vers dem Jehovisten zu, Knobel seinem Kriegsbuch, 2) Gen. 6, 22; Exod. 7, 6; 12, 28. 50; 39, 32. 43; 40, 16; Num. 1, 54; 8, 20; 17, 11 und mit leise modificierter Form Num. 2, 34; 5, 4. k — 124 — fach: „wie der Herr befohlen"^) oder „sie thateii wie der Herr befohlen hatte" ^) oder „sie thaten so wie der Herr befohlen hatte" ^) oder „wie der Herr befohlen hatte, so thaten sie."^) Die längere und vollere Formel : „Sie thaten nach allem, das der Herr ihnen befohlen, so thaten sie," ist im höchsten Grad emphatisch. Sie wird nur für Dinge von der gröfsten Wichtigkeit und bei Befehlen von den allerbedeutsamsten Folgen, welche in der pünktlichsten und gewissenhaftesten Weise ausgeführt wurden, vorbehalten. Im ganzen Buch der Genesis findet sich nur ein Beispiel davon. Sie steht in Beziehung auf die Pünktlichkeit, mit der Noah in seinen Vorbereitungen für die Sündflut den göttlichen Weisungen nachkam. „Und Noah that es, alles, so wie ihm Gott befohlen hatte, that er." Das nächste Mal hierauf kommt sie Exod. 7, 6 vor, wo Mose und Aaron den Befehl erhielten, vor Pharao zu treten und die Kinder Israel aus Ägypten zu führen. Es wird jedoch behauptet: der Jehovist spreche viel einfacher und mit weniger For- malität und Nachdruck, wo er beschreibt, wie Noah die göttlichen Befehle ausführt. Er sagt einfach: „Und Noah that alles, was ihm der Herr gebot" 7, 5 und wenn V. 9 wirklich jehovistisch ist, worüber die Kritiker geteilter An- sicht sind, fafst er sich noch kürzer: „wie ihm (Noah) Gott 1) Gen. 7, 16; 21, 4; Exod. 16, 34; 39, 1. 5. 7. 21. 26. 29. 31; 40, 19. 21. 23. 25. 27. 29. 32: Lev. 8, 9. 13. 17. 21. 29; 9, 10; Num. 1, 19; 2, 33; 3, 42. 51; 4, 49; 15, 36; 20, 9; 37, 7. 41. 47: Jos. 21, 8. In niclitelohistischen Abschnitten: Gen. 7, 9; Exod. 34, 4; Jos. 10, 40. 2) Lev. 8, 4; 16, 34; Num. 20, 27; 27, 22; 31, 31; Deut. 34, 9 mit unbedeutender Veränderung Exod. 38, 22; Lev. 8, 36; Jehovist Gen. 7, 5 ; Knobel schreibt Lev. 24, 23 seinem Kriegsbuch zu, andere geben es dem Elohisten. 3j Exod. 7, 10, 20; Num. 8, 13. *) Exod. 39, 42; Num. 8, 22; 9, 5; 36, 10; Jos. 14, 5; Jehovist oder nach Knobel Kriegsbuch Jos. 11, 15. — 125 — geboten hatte." Die veränderte Formel ist aber keineswegs ein Anzeichen von Verschiedenheit der Verfasser, sondern eher das Gegenteil. Das erste Mal, wo von Noahs Will- fährigkeit dem göttlichen Befehl gegenüber die Rede ist, wird in den stärksten Ausdrücken gesprochen. Aber eine einmalige Anwendung des volleren Ausdrucks mit besonderer Emphase war in diesem Zusammenhang genügend. Andere Angaben dieser Art, weniger sorgfältig ausgedrückt, konnten nun gegebenen Orts folgen. So geht die emphatische For- mel mit der Hauptangabe Exod. 39, 32 voraus, und jener Exod. 40, 16 folgen zahlreiche Einzelangaben nach unter der kürzeren Foimel; aber niemand wird deswegen eine Verschiedenheit der Autorschaft argwöhnen. 2. Zweier historischer Ereignisse von grofser Bedeu- tung ist Erwähnung geschehen, bei welchen die längere Formel angewandt ist. IVlit diesen Ausnahmen wird die- selbe ausschliefslich in gesetzlichen Partien gefunden. Zwei- mal kommt sie vor in Verbindung mit der ersten Feier des Passah Exod. 12, 28. 50. Dreimal bei der Verfertigung und Aufrichtung des heiligen Zeltes Exod. 39, 42. 43; 40, 16; dreimal bei Vorkehrungen, welche die Ordnung im Lager betreffen, und durch die Gegenwart Gottes geheiligt waren, Num. 1, 54; 2, 34; 5, 4 und einmal bei der göttlichen Sanktionierung des aaronitischen Priestertums Num. 17, 11. In der That stehen selbst die kürzeren Formeln bei Be- folgung ritueller Verordnungen in überwältigender Propor- tion. Es ist daher keine Überraschung, dafs die längere und emphatische Formel in den Jehovistabschnitten fehlt, da ja das Ritualgesetz gänzlich dem Elohisten zugeschrieben wird. Sie kommt nur deshalb so selten vor, weü gar kein Grund selbst zur Anwendung der kürzeren Formel vor- handen ist. — 126 — 3. Der Grund, warum die lange und emphatische For- mel in keiner jehovistischen Partie gefunden wird, wird klar werden, wenn wir bemerken, dafs sie, abgesehen von allen andern Gründen, selbst den stärksten Gegengründen einfach auf Grund ihres zufälligen Vorkommens in der Eegel auf den Elohisten bezogen wird. Ein ganz schlagendes Bei- spiel davon findet sich Exod. 12, 28, welchem jehovistischer Kontext vorausgeht und nachfolgt. Mit dem Vorhergehenden steht es in engster Verbindung und erhält erst aus dem- selben sein richtiges Verständnis. Und doch wird es aus seinem Zusammenhang herausgerissen und mit einem ent- fernten Elohistparagraphen zusammengeschweifst, einzig und allein, weil die in Frage stehende Formel darin vorkommt. Dies ist eine der groben Ungehörigkeiten, welche sich die Kritiker beständig erlauben, als wenn Ausdrücke und Sätze ganz ad libitum aus ihrem gehörigen Zusammenhang heraus- gerissen und irgend einem andern eingefügt werden könnten, und als ob eine veränderte Bedeutung aus denselben heraus- geprefst werden könnte, die aber nur das Resultat der Textverscliiebungen ist. So wird vorgeschlagen, in dem- selben Kapitel V. 14—20 aus ihrem eigentlichen Platz vor die Formel in V. 50 zu versetzen und auf letztere zu be- ziehen, anstatt auf den Paragraphen, welcher denselben thatsächlich folgt. Auf dieselbe Weise schneiden Kayser und Dülmann 9, 35 und 10, 20 von ihrem jetzigen Zu- sammenhang ab und schreiben diese dann isolierten Verse einem andern erdichteten Verfasser zu, indem sie einen mutmafslichen Zusammenhang angeben, von dem diese Verse abhängen sollen. Dies geschieht aber aus gar keinem an- dern Grunde, als weil die Mängel ihrer Hypothese es not- wendig machen. Die Hypothese mufs aufrecht erhalten werden, mag im Wege stehen, was da wolle. Wenn der Text den kritischen Annahmen sich nicht fügen will, so ist — 127 — es leicht genug, durch Auswerfungen, Zusätze und Ver- schiebungen einen Text zu schaffen, der sich fügt. Mit Empörung sollte gegen ein derartiges Gebaren protestiert werden. Wenn der Verfasser tlie ihm zugeschriebenen Ver- schiebungen oder Ausstofsungen sich wirklich zu schulden kommen liefs, indem er aus seinen Quellen Sentenzen und Redewendungen aus ihrer ursprünglichen Stelle entfernte und mit einem ganz verschiedenen Zusammenhang ver- kettete, und dadurch deren Bedeutung gänzlich verändert hat, war er entweder ein Schuft oder ein Narr. Dann ist aber auch das Unterfangen, sein GTewebe zu entwirren, ganz hoffnungslos. Thatsächlich sind diese Unterstellungen von selten der Kritiker gänzlich willkürlich. Nach allen anerkannten Gesetzen der Ehrlichkeit mufs der Text ge- nommen und ausgelegt werden, wie er vorliegt, so lange wenigstens, als keine triftigeren Gründe für dessen Um- bildungen aufgezeigt werden können, als der, dafs eine un- bewiesene kritische Hypothese es verlangt. Andernfalls hört alle Sicherheit der Auslegung auf, und der Text und seine Bedeutung wird zum Spielball kritischer Capricen. Eine Hypothese, die zu solchen frevelhaften und unbefugten Mafsnahmen ihi'e Zuflucht nehmen mufs, spricht sich selbst ihr Verdammungsurteil. Die Richtigkeit der Teilungs- hypothese einstweilen zugegeben, und die Existenz eines Redaktors, dem wir die gegenwärtige Form des Textes verdanken, auch angenommen, so mufs nichtsdestoweniger darauf bestanden werden, dafs der Text in seiner jetzigen Gestalt den richtigen Sinn giebt, vorbehaltlich etwaiger Irrtümer, die sich durch die Abschreiber eingeschlichen haben. Jede Zerstückelung, die den klaren Sinn seiner uns hinterlassenen Arbeit ganz oder teilweise zerstört, ist eine unverantwortliche Anfechtung auf die Integrität desselben, und eine Substituierung der Erfindungen der Kritiker für — 128 — das Werk jener uralten Autorität, in deren Namen er aus- gesprochenermafsen handelt. Ob die Urkunden -Hj^pothese richtig ist oder nicht, von der Meinung kann nicht ab- gegangen werden, dafs die emphatische Formel 12, 28 die Beziehung haben mufs, welche sie nach ihrer klaren Be- stimmung haben soll. Notwendigerweise wird sie dann ein Teil eines Jehovistabschnittes , und die in Frage stehende Formel hört auf, ein Kriterium für den Elohisten zu sein. Die Kriteria des Elohisten liegen nach dem Bisherigen meistens aufserhalb des Planes des Jehovisten, der für die- selben keine Äquivalente oder Substituierungen gewährt. Was behauptet wird , ist nur dies , dafs diese Merkmale in der einen Klasse von Abschnitten gefunden werden und in der anderen nicht. Wir haben gesehen, dafs das Fehlen derselben leicht aus andern Gründen als dem der Ver- schiedenheit der Verfasser erklärt werden kann. Es wird jedoch behauptet, dafs beiden Dinge gemeinsam seien, welche jeder Verfasser beständig mit ihm eigentümlichen Aus- drücken beschreibt, das einleuchtendste Beispiel hievon sei die Art der Benennung der Monate. Wie die Mitglieder der religiösen Gesellschaft der „Freunde" die Monate zäh- len, welchen man sonst bestimmte Namen giebt, so soll es unter den Israeliten Gewohnheit der Priester gewesen sein, die Monate des Kirchenjalirs zu zählen, während denen des bürgerlichen Jahres, die zu ganz verschiedener Zeit an- fingen, bestimmte Namen gegeben wurden. Dies sollen die uns vorliegenden Kapitel beweisen. Kap. 12, 2 deutet eine Änderung in der jährlichen Zählung an, dafs hinfort ein Monat am x4.nfang des Jahres stehen soll, was vorher nicht so der Fall gewesen war. In Übei-einstimmung damit setzt das elohistische Dokument oder der P. C. das Passah durch- gängig in den ersten Monat, der Jehovist aber ebenso be- ständig in den Monat Abib. — 129 — Hierauf miifs jedoch bemerkt werden: 1. Dafs es keine Unmöglichkeit ist, dafs ein und der- selbe Verfasser beide Ausdrücke anwendet, sei es in dem- selben oder in verschiedenem Zusammenhang, wie z. B. der Verfasser der Königsbücher in seinem Bericht über die Er- bauung und Einweihung des salomonischen Tempels 1. Kön. 6, 1 den Monat Zif den zweiten Monat und V. 38 den Mo- nat Bul den achten Monat und Kap. 8, 2 den Monat Etha- nim den siebenten Monat nennt. 2. Abib als Monatsname kommt nur in Zusammenhang mit dem Passah oder Fest der ungesäuerten Brote vor. So findet es sich dreimal im Exodus, in Abschnitten, die dem Jehovisten zugeschrieben werden, und zweimal Deut. 16, 1, welches offenbar auf das frühere basiert ist. Der Jehovist gebraucht diesen Namen sonst nirgends, und im ganzen Pentateuch ist sonst auf keinen Monat namentlich Bezug genommen. Hitzig wirft ein, dafs Abib die hebräische Form von Epiphi, dem elften Monat des ägyptischen Jahres war , welches aber eher unserm Juni oder Juli , als März oder April gleichkommt. ^) Der hebräische Name^) bedeutet „grüne Ähren" und wurde dem Monat beigelegt, weil derselbe in die Zeit der Getreidereife fiel. Am Fest der ungesäuerten Brote wurde 1) Da das bürgerliche Jahr der Ägypter von 365 Tagen mit dem Sonnenjahr von 365 V4 Tagen nicht genau übereinstimmt, und nach alten Nachrichten die Priester eine Verbesserung des Kalenders durch Einschaltungen verweigert haben , so war ihr Jahr ein annus vagus, ein AVandeljahr, so genannt, weil hier jeder Kalendertag, wie auch jeder Monat innerhalb löOO Jahren, allmählich durch alle drei Jahres- zeiten des natürlichen Jahres wandert. Hieraus folgert Hitzig, dafs Epiphi und Abib einmal genau sich deckten. ^) 2^Ii5>? = Ähre, von ^^J^^ schwellen, treiben, blühen; pass. Früchte hervortreiben. Anm. d. Übers. Green, Die Feste der Hebräer. jj — 130 — eine förmliche Darbringung der frühesten Erstlingsgarbe der Ernte gemacht, eine Verbindung, welche ganz natürlich auf den Gebrauch dieses Namens in diesem Zusammenhang ge- führt hat. 3. Ferner ist bemerkenswert, dafs der Monat niemals Abib genannt wird, wenn der Monatstag erwähnt ist. Dill- mann mutmafst deshalb, dafs Abib, Zif, Ethanim und Bul Sonnenjahrmonate waren, die sich nicht deckten mit den Mondmonaten, welche gezählt wurden. Andere sind der Meinung, dafs Abib^) der einzige Monat war, der in der mosaischen Periode einen Namen trug, und dieser Name war weniger Eigenname des Monats, als Andeutung der Jahreszeit, in welche er fiel. Was man auch von diesen Meinungen halten mag, die Thatsache bleibt immer stehen, dafs überall, wo ein bestimmter Tag genannt ist, der Monat gezählt wird. Nach 12, 18 fällt die Zeit der Begehung der ungesäuer- ten Brote in den ersten Monat, vom vierzehnten bis zu dem einundzwanzigsten Tag. So wird auch in Lev. 23 und Num. 28, 29, wo die verschiedenen Feste des Jahres in ihrer Ordnung angeführt werden und die genaue Zeit von jedem besonders angegeben ist, dieselbe Nomenklatur beibehalten. Allein in Exod. 13, 4 sprach Moses zu dem Volk am Tag des Auszugs, weshalb gar kein Grund für die nochmalige besondere Zeitangabe vorlag. „Heute seid ihr ausgegangen in dem Monat Abib." Auch in Exod. 23, 15; 34, 18, wo von der Periode des Festes nur im allgemeinen gesagt wird, „um die Zeit des Monats Abib," mufste ganz natür- lich der Name gebraucht werden, der an die Zeit der Ge- treidereife erinnert, zumal die übrigen Feste in gleichen 1) In der Nomenklatur einer späteren Periode wurde dieser Monat Nisan genannt, (pi^ vielleicht von r^ij oder "^x^^ von y]l2) — 131 — Zusammenliang gebracht sind, nicht mit bestimmten Daten sondern mit der Ährenernte und der Einsammlung von Obst. Mit Deut. 16, 1 hat es dieselbe Bewandtnis. Es zeigt sich daher, dafs die Veränderung von Namen in den Abschnitten, in denen sie vorkommt, ihre Erklärung findet und keineswegs die Annahme verschiedener Ver- fasser zu ihrer Erklärung erfordert. Die Behauptung, dafs der Elohist „Ägyptenland" sagt 12, 1 etc., der Jehovist aber einfach „Ägypten" 12, 27 etc., 13, 3 etc. übersieht den elohistischen Passus 12, 40 und den jehovistischen Passus 12, 29; 13, 15, wo es genau umgekehrt der Fall ist. Auch dafs n"'nK'D 12, 13 vom Elohisten im abstrakten Sinn von „Verderben" (destruction) gebraucht ist, vom Je- hovisten aber in der konkreten Bedeutung „Verderber*' (destroyer) ist nicht völlig sicher; aber selbst wenn es der Fall wäre, würde sich gar nichts daraus ergeben. Wenn ferner der Elohist vom Eitual im allgemeinen wiederholt das Wort m^y, Dienst, gebraucht, während der Jehovist hier 12, 25. 26; 13, 5 dasselbe auf den individuellen Ritus des Passah anwendet, so darf man nicht vergessen, dafs dies das ganze bis zu jener Zeit instituierte Ritual über- haupt gewesen ist. Es soll eine Eigentümlichkeit des Je- hovisten sein, Ägypten „das Diensthaus" oder „Haus der Knechte" zu nennen, doch geschieht dies im ganzen nur viermal, nämlich zweimal in den uns 'vorliegenden Kapiteln 13, 3. 14. Einmal in der Einleitung zu den 10 Geboten 20, 2 und einmal in Josuas Abschiedsrede, Jos. 24, 17. Auch die Bezeichnung Kanaans als „ein Land, in welchem Milch und Honig fliefst" Exod. 13, 5 soll dem Jehovisten eigentümlich sein, obgleich Möldeke und Schrader einen von den Versen, in welchen dieser Ausdruck gefunden wird, Num. 14, 8 dem Elohisten zuschreiben, mit Ausnahme eben dieses Ausdrucks. Ebenso soll der Ausdruck „das Land 9* — 132 — der Kanaaniter, Hethiter, Amoriter, Heviter und Jebusiter" 13, 5 dem Jehovisten angehören, doch sagt er auch ein- fach: „Das Land der Kanaaniter" V. 11. Ferner soll allein nach dem Jehovisten der Herr die Schwurformel gebrauchen 13, 5, obgleich auch Nuni. 14, 28 dem Herrn ein Schwur vom Elohisten in den Mund gelegt wird. Die Präposition 112]J2, wegen, soll dem Jehovisten eigentümlich sein und soll beim Elohisten nirgends vorkommen, wie auch IHD in der Bedeutung von „künftig" Exod. 13, 14; obwohl es nur noch in einer andern Stelle des Pentateuchs so von ihm gebraucht wird. Gen. 30, 33. Auch bl2Jt Exod. 13, 7 ge- wöhnlich: „Küste, Rand, Grenze" soll jehovistisch sein, ob- schon Gen. 23, 17 ; Num. 33, 44 und oft Num. 34. 35 das- selbe dem Elohisten angehört. Ebenso soll D^:pt = Älteste, 12, 21 jehovistisch sein, wenngleich es Lev. 4, 15; 9, 1 der Elohist hat. Jehovistisch soll ferner die Formel sein: ]inn:tn ?"ip''1 = neigten das Haupt und beteten an 12, 27, obwohl dieselbe nach Nöldeke und Wellhausen hier nicht dem Jehovisten angehört, und nach Tuch und Stähelin es in Gen. 43, 28 der Elohist gebraucht. Knobel zählt unter die jehovistischen Ausdrücke ''b.'n „Mann zu Fufs" 12, 37 und 2"iy = „Pöbelvolk" V. 38; allein ersteres kommt nur noch einmal im Pentateuch vor Num. 11, 21, und letzteres ist in diesem Sinn im ganzen Pentateuch nicht mehr ge- braucht, und selbst hier teilt Nöldeke diese Ausdrücke dem Redaktor, Dillmann aber dem zweiten Elohisten zu. Ich glaube nun, dafs in dieser grofsen und langwierigen Übersicht alles aufgezeigt wurde, was die Kritiker hinsicht- lich der Diktion dieser Kapitel auszustellen haben. Ein weiterer Grund für eine stückweise Verteilung dieser Kapitel unter diese vermeintlichen Verfasser ist absolut nicht vor- handen. Viele Worte, welche als charakteristisch für die Verfasser bezeichnet werden, kommen so selten vor, dafs — 13S — die Aufstellung derselben als Kriteria ganz unzulässig ist. Beinahe alle Eigentümlichkeiten des einen Verfassers finden sich aucli bei dem andern. Das Vorkommen oder Fehlen von verschiedenen Worten wird auf rein mechanischem Wege erklärt, ohne Eücksicht auf die Frage, ob ein Anlafs für deren Anwendung vorlag. Wo verschiedene Ausdrücke für dieselbe Sache gebraucht sind, wird ein Grund für das Vorhandensein verschiedener Verfasser erblickt, während der abwechselnde Gebrauch derselben nur aus der Gedanken- scliattierung , die im einzelnen Fall hervorgebracht werden soll, zu erklären ist. Für Verschiedenheit des Stils und der Diktion verschiedener Verfasser ist keinerlei über- zeugender Beweis vorhanden. Es kommen Verschieden- heiten in einzelnen Paragraphen vor, welche die Kritiker ein und demselben Verfasser zuschreiben, welche aber sonst gewifslich als bedeutungsvoll angesehen worden wären, wie z. B. wenn der Jehovist sagt T' prriD „mit mächtiger Hand" 13, 3. 14. 16, während die ihm geläufige Phrase lautet: nptn 1^2 „durch eine starke Hand" 6, 1; 13, 9; oder wenn er den Umfang der letzten Plage beschreibt 11, 5 „vom Erstgeborenen Pharaos an, der auf seinem Thron sitzet, bis auf den Erstgeborenen der Magd, die hinter der Hand- mühle ist;" dagegen 12, 29 „vom Erstgeborenen Pharaos an, der auf seinem Throne safs, bis auf den Erstgeborenen des Gefangenen im Gefängnis." Wiederum sprechen ge- wisse Stellen davon, dafs der Herr die Erstgeburt schlagen werde, während andere in allgemeinerer Weise von einem Schlagen Ägyptenlandes oder der Ägypter reden. In Wirk- lichkeit wird hier der Versuch gemacht, zu zeigen, dafs zwei verschiedene Traditionen in Umlauf waren ; nach der einen ist die Plage natürlichen Ursachen zuzuschreiben, nach der andern war dieselbe wunderbarerweise auf die Erstgeburt beschränkt. Allein dieser Ausweg ist durch die einfache — 134 — Thatsache abgeschnitten, dafs beide Angaben sowohl im Elohisten 12, 12. 13 als auch im Jehovisten 11, 5; 12, 23. 27. 29 ganz gleich vorkommen. Insofern als die Kritiker in der Anordnung der Ab- schnitte so willkürlich zu Werke gehen und dieselben mit der weitgehendsten Freiheit dem einen oder andern Ver- fasser zuschreiben, kann man sich nur wundern, dafs bei alledem das Resultat ihres kritischen Verfahrens ein so arm- seliges genannt werden mufs. Wir haben unsere Untersuchung hauptsächlich auf die Diktion der uns vorliegenden Kapitel beschränkt, und nach unsrer Überzeugung kann ehrhch behauptet werden, dafs keinerlei zwingender Beweis beigebracht werden konnte, um die aus der Betrachtung des Inhalts schon gezogene Schlufsfolgerung , dafs dieselben eine zusammenhängende Geschichtserzählung enthalten, zu entkräften. Die Teilungs- hypothese findet in diesen Kapiteln sicherlich keinen Stütz- punkt. Ob dieselbe auf andere Abschnitte des Pentateuchs anwendbar ist, geht uns hier nichts an, jedenfalls kann die- selbe nach dem bisherigen hier keine Anwendung finden. Es mag hier das Urteil Grafs, des Gründers der neueren kritischen Schule, über die herrschende Art und Weise der Zerteilung auf Grund der Diktion und des Stils am Platze sein. Er sagt:^) „auf blofse Spracheigentümlichkeiten aber, namentlich in Dingen, welche Rechtsverhältnisse be- treffen, in denen der Ausdruck nicht willkürlich vom Schrift- steller gewählt wird , eine Zeitbestimmung zu gründen , ist mifslich ; indem man nach vielleicht unzureichenden Kriterien die Verwandtschaft gewisser Abschnitte annimmt, dann an- dere Abschnitte wegen einzelner gleicher Spracherscheinungen anreiht und aus diesen wieder weiter und weiter schliefst, läuft man leicht Gefahr, sich in einem fehlerhaften Zirkel ') Graf „Die geschicbtlicheu Bücher des A. T." S. 3. 2. — 135 — zu bewegen. Jeden Abschnitt und jeden einzelnen Vers bis in das Einzelnste seinem Ursprung- zuzuweisen, wie es Ewald und Knobel versucht haben, wird freiUch nie in völlig befriedigender und überzeugender Weise gelingen und öfter von subjektivem Ermessen abhängen." Aufserdem ist mir nur noch ein weiteres Argument bekannt, welches nolens volens herhalten mufs, um die Er- gebnisse dieser auflösenden Kritik plausibel zu machen, nämlich die allgemeine Übereinstimmung der Kritiker, wenn auch nicht in den einzelnen Details, so doch in ihren Haupt- resultaten. Die früheren Anstrengungen der Kritiker sollen nur Versuche sein, wobei freilich Fehler gemacht wurden, von denen sich jedoch ihre Nachfolger frei hielten. Allein mit den stetigen Fortscliritten der Kritik bekam diese Hypo- these eine festere Grundlage und klarere Fassung in allen ihren wesentlichen Punkten. Es wird offen ausgesprochen, dafs die bedeutendsten, ja beinahe alle deutschen Kritiker, welchen in diesem Zweig der biblischen Wissenschaft die Führerrolle widerspruchslos zugestanden wird, mit merkwürdiger Einmütigkeit für die sogenannte Analyse des Pentateuchs sich erklärt haben. Ebenso wird ferner ausgesprochen, dafs eine allgemeine Übereinstimmung in den Hauptpunkten unter denselben herrscht. Einstweilen jedoch müssen wir es zum mindesten ablehnen, Stimmenmehrheit als unfehlbaren Beweis der Wahrheit einer Sache hinzunehmen, und zwar aus folgenden Gründen : 1. Jene Übereinstimmung, welche unter den Kritikern besteht, kann leicht erklärt werden, ohne dafs damit auch die Richtigkeit der Hypothese zugestanden werden mufs. Dies liegt einfach in der Natur der Sache und folgt aus der ursprünglichen Annahme, welche allen Kritikern gemein ist. Wenn eine Nordpolexpedition über die Bafiins-Bai — 136 — ihre Richtung nimmt, mufs sie einen Kurs einhalten, wel- chen die Erfahrungen früherer Seefahrer vorgezeichnet haben. Soll das Unternehmen überhaupt gelingen, so kann es nur auf diesem Wege geschehen. Aber ob die Expedi- tion thatsächlich ihr Ziel erreichen wird, ist ein ganz ander Ding. Irgend ein Versuch, die Bewegung der Planeten nach der kartesianischen Hypothese von den sogenannten Tourbillons zu erklären, würde mit Notwendigkeit die Aus- dehnung dieser Hypothese auf alle ihre Einzelheiten invol- vieren. Ein scharfsinniger Schachspieler hat das kompli- cierte Problem des Springers gelöst und gezeigt, dafs es möglich ist mit dieser Figur nach und nach sämtliche Felder zu nehmen. Andere Jjösungen mögen auch möglich sein, sind aber bis jetzt noch nicht gefunden. Wenn ein stra- tegischer Übergang über die Alpen an einem gewissen Punkt gemacht werden soll, so mufs zuerst die Topographie festgestellt werden; dann wird die Kunst des Ingenieurs bestimmen, welche Route die gröfste Möglichkeit der Durch- führung bietet. Die Zerstückelung des Pentateuchs nach dem Grundsatz der Teilungshypothese ist ein bestimmtes Problem, auf welches seit langer Zeit das höchste Mafs von Gelehrsamkeit und wissenschaftlichem Scharfsinn angewandt wurde. Jedes Wort und jeder Satz wurde mit mikro- skopischer Spitzfindigkeit untersucht ; innerhalb der Grenzen der aufgestellten Hypothese wurde die bestmögliche Grup- pierung versucht, die Schwierigkeiten mit peinlichster Sorg- falt behandelt, die schwachen Seiten festgehalten, anfecht- bare Behauptungen womöglich vermieden, und alles, was man zur Stützung und Plausibilität des Systems aufgreifen konnte, herbeigeschafft. Das Resultat ist ein bewunderungs- würdiges Musterstück eines künstlichen Scharfsinns. Die ganze Zeit über ist es selbstverständlich als Hypothese immer vervollkommnet worden. Rasch haben die Kritiker — 137 — ans den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt. Höchst wahr- scheinlich wird es keinem mehr einfallen, Vaters Fragmenten- hypothese, die einst so modern war, je wieder aufs neue aufzustellen. Ein Feldherr mag gan-z wohl seine Soldaten im Sturm auf ein Fort aufmarschieren lassen, wenn seine Mannschaften ohne Deckung dem feindlichen Feuer aus der Festung ausgesetzt sind und in jeder Stellung ebenso schnell hingemäht werden, als sie vorrücken können. Als die Mängel der Dokumentenhypothese offenbar wurden, haben Tuch und andere versucht, dieselben durch die Ergänzungs- hypothese zu decken. Als aber die so schnell populär ge- wordene Hypothese Graf -Wellhausen die Auffassung vom Pentateuch völlig auf den Kopf gestellt hatte, wurde mit jener Hypothese summarisch aufgeräumt und die Herren Kritiker nahmen aufs neue ihre Zuflucht zu Hupfelds Ent- deckung des zweiten Elohisten. Bei dem gegenwärtigen Stand der Hypothese mit ihren drei, und wenn wir den Deuteronomiker mitrechnen, vier verschiedenen Verfassern und dem Schlufsredaktor , mit all den willkürlichen Zu- sätzen, Ausscheidungen, Überarbeitungen und Kombinationen sollte man glauben, dieselbe sei dehnbar genug, um selbst mit dem sprödesten Stoffe fertig zu werden. Jeder, der sich einmal für diese Hypothese entscheidet, mufs sich auch schlechterdings innerhalb der Bahn seiner Vorgänger be- wegen. Man müfste den in der That für einen kühnen Aben- teurer halten, welcher, ohne sich auf alle die so geschickt angelegten Bollwerke zu stürzen, mit Ignorierung aller so geistreichen Kombinationen, versuchte, einen selbständigen Weg zu gehen. Die Übereinstimmung der Kritiker ist nichts weiter als ein Zugeständnis, dafs die Hypothese keine wesentlichen Verbesserungen erfahren kann. Sie wird so- mit für immer eine blofse Hypothese bleiben. — 138 — 2. Die Überemstimmung- der Kritiker ist indessen keines- wegs eine vollständige. Wenn nämlich der Wechsel der Gottesnamen zur Grundlage der Quellenscheidung gemacht wird, so kann dieselbe bei den ersten fünf Kapiteln der Genesis nur auf einem Weg geschehen. Folgerichtig herrscht dort keine Verschiedenheit der Berichte, mit Aus- nahme des limitierenden Verses zwischen dem ersten und zweiten Abschnitt, Kap. 2, 4. Dadurch ist ein Hindernis geschaffen , welches niemals erfolgreich beseitigt werden konnte. Anderswo verhält es sich ebenso. Die immer noch bestehenden Verschiedenheiten bilden den hervorstechendsten Zug der Hypothese. In sehr vielen Abschnitten ist die Thatsache sehr einfach. Wenn die Hypothese mit ihren Grundsätzen und ihrer Methode angenommen ist, bleibt nur ein Weg übrig, auf welchem die Quellenscheidung durch- führbar ist. Über jene leichten Stellen marschieren die Kritiker in geschlossenen Reihen hinweg. Daneben aber findet sich viel rauher und unebener Boden, und hier reifsen sie Lücken in die Kolonnen und lassen viele verirrte Nach- zügler zurück, welche schüefslich auch ihren Beitrag zu den sich kreuzenden Urteilen liefern. In vielen Fällen kann die Hypothese keineswegs passend gemacht werden, und jeder Kritiker sucht nach seiner eigenen Manier die Kluft zu überbrücken und die fatalen Schläge zu parieren. So sehr man aber auch die Decke mit den gröfsten An- strengungen lang zu ziehen sucht, sie erweist sich dennoch viel zu kurz, als dafs die Kritiker sich mit ihr umhüllen könnten. Wellhausen hilft sich durch das Notmittel successiver Revisionen aller ursprünglichen Bestandteile, worin Dill- mann ^) aber nur einen schlagenden Beweis seiner Verlegen- heit sieht, welcher er durch eben diese Annahme zu ent- 1) „Die Bücher Exodus und Leviticus." Vorwort S. 7. — 139 — gehen sucht. Dillmann selbst nimmt indessen eine so sub- tile Verwebung- der verschiedenen Dokumente durch den Schlufsredaktor an, dafs jeder Versuch, dieselbe zu ent- wirren, geradezu hoffnungslos erscheint. Der Kritiker, welcher sich in allen diesen labyrinthischen Gängen zurecht finden will, in welche ihn die Hypothese hinein stöf st , mufs seinen kritischen Apparat derart künstlich überladen, dafs er Gefahr läuft, denselben unter der eigenen Last zusammen- brechen zu sehen, bevor er die ihm zugemutete Arbeit leisten kann. Die Meinungsverschiedenheiten, welche immer noch unter den Kritikern selbst herrschen, zeigen zur Ge- nüge, dafs es bis jetzt keinem gelungen ist, die Hypothese zur gänzlichen Zufriedenheit seiner eigenen Gesinnungs- genossen auszubilden. 3. Dem vorurteilsfreien Beobachter erscheint das Ver- fahren, durch welches die Hypothese verteidigt wird, zum gröfsten Teil ohne Beweiskraft und nichtig. Dies wurde einleuchtend illustriert durch die Diskussion über die Gründe, welche zur Feststellung der Verschiedenheit der Autorschaft in den uns vorliegenden Kapiteln beigebracht worden sind. Es ist nicht nötig, die ganze Festungsmauer einzureifsen, um in die Verschanzung eindringen zu können. Wenn in die Hypothese an ihren wesentlichsten und springendsten Punkten eine Bresche gelegt werden kann, so wird dies, gelinde gesagt, unser Vertrauen auf ihre Stärke nicht ver- mehren. 4. Immerhin hat die Hypothese bestechende Momente, welche ihre gegenwärtige Popularität erklären. Dieselben sind verschiedener Art und verfehlen nicht, ihre Anziehungs- kraft auf verschiedene Klassen von Menschen auszuüben. Erstens müssen die, welche keinen Glauben an übernatür- liche Dinge haben, ganz natürlich eine starke Neigung haben, diese Hypothese zu begünstigen. Von Anfang an — 140 — ist dieselbe im Interesse des Unglaubens entwickelt worden, Sie bietet die bequemste Handhabe dar, um die Authentie des Pentateuclis in Abrede zu stellen. Nicht minder ist sie auch für andere sehr verfänglich durch ihre Kühnheit, ihre plausible Erklärung gewisser auf- fallender Erscheinungen, ihre romantische Aufhellung schon lange vorhandener, aber bis dahin unverdächtiger Doku- mente, deren wechselseitige Beziehungen und Tendenzen und Entstehungsgeschichte der Einbildung sehr weiten Spiel- raum lassen. Sie öifnet der Erforschung neue Gebiete und giebt Gelegenheit zu wichtigen und überraschenden Ent- deckungen. Auf diese Weise appelliert sie energisch an diejenigen Menschen, welche von origineller und spekulativer Denkweise sind. Sie entzündet ein ähnliches Strohfeuer des Enthusiasmus wie jenes, das über der Aufsuchung des Steins der Weisen, des Lebenselixiers, der nordwestlichen Durchfahrt, des vermifsten JVIittelgliedes zwischen Tier und Mensch, um die Kluft vom Anorganischen zum Organischen zu überbrücken, der Quadratur des Zirkels, des perpetuum mobile und anderer phantastischer Probleme ausgebrochen ist. Sie ist ein stolzes Denkmal der Gelehrsamkeit und des Scharfsinns aller derer, welche sie ersonnen und so weit fortgesponnen haben. Aber man mufs uns unsern Zweifel darüber auszusprechen erlauben, dafs sie das Problem von der Entstehung des Pentateuchs gelöst habe, obgleich sie fraglos von ganz bedeutenden Vorteilen begleitet war, die aus der gründlichen Untersuchung des Pentateuchs, wozu sie geführt hat, resultierten, denn dadurch mufste ja mancherlei neues Licht in dessen Interpretation , Struktur und Zusammenhang der verschiedenen Teile kommen. Es würde nicht sehr befremden, wenn diese Hypothese infolge der deutschen Vorliebe für alles Neue seiner Zeit in die historische Rumpelkammer geworfen würde. Sollte bei den — 141 — eigentümlichen Überraschungen, welche die Zukunft oft in ihrem Schofse birgt, vielleicht nicht gerade der alte Glaube eine Auferstehung feiern, und längst vergessene und ent- schwundene Anschauungen mit aU dem Reiz und der mäch- tigen Anziehungskraft, welche einer neuen Erscheinung eigen sind, wiedererwachen können? Wir haben nun alle kritischen Einwände gegen die Einheit dieser Kapitel geprüft und, wie ich glaube sagen zu können, ohne jegliche Beweiskraft gefunden. Mit vollem Rechte halten wir darum die fraglichen Kapitel für das, wofür sie nach eigenem Aussehen gehalten sein wollen und immer gehalten wurden, und wofür die innere und har- monische Beziehung und Übereinstimmung der verschiedenen Teile dieselben erklärt: nämlich für eine fortlaufende und zusammenhängende Erzählung. Die Behauptung der Kri- tiker, dafs dieselben aus zwei oder drei verschiedenen Be- richten von verschiedenen Verfassern aus der Zeit von Josua bis Esra geschrieben und von einem Schlufsredaktor in noch späterer Zeit in ihre jetzige Gestalt zusammen- gestellt sind, entbehrt jedes Grundes. Der Standpunkt der Kritiker bringt den Ausleger in die unvermeidliche Ver- suchung, jede scheinbare Variation unter den gebrauchten Ausdrücken zu einer wirklichen Verschiedenheit auf- zubauschen, und schafft auf diese Weise Widersprüche und Verschiedenheiten der Auffassung, wo in der That keine vorhanden sind. Die kritische Zerstückelung dieser Kapitel ist immer mit der Idee verbunden, dafs jeder Verfasser eine andere Tradition von der Entstehung des Passah repräsen- tiere, von denen jede mehr oder weniger von der andern abweiche. Keine von allen sei absolut zuverlässig, weshalb die Wahrheit erst durch gegenseitige Vergleichung und Ab- wägung aus allen herausgeschält werden müsse. Weil nach dem Schlufs mancher Kritiker keinem Bericht Glauben — 142 — geschenkt werden kann, bOden sie sich ein, in der Ent- wicklung ihrer eigenen Ansichten über die Entstehung des Festes freie Hand zu haben, mögen die Angaben auch nocli so stark dawider streiten. Thatsächlich ist aber weder in der Erzählung im ganzen noch im einzelnen Grund zu diesem Vorwand vorhanden. Vielmehr haben wir statt widersprechender Berichte verschiedener Verfasser, welche unmöglich in Einklang miteinander gebracht werden können und darum sorgfältig gesichtet oder gänzlich aufgehoben werden müssen, nur einen zusammenhängenden Bericht. Es erübrigt nun noch zu sagen, dafs wir in diesen Kapiteln eine treue und glaubwürdige Erzählung haben, aber keineswegs ein Statut im Gewand der Geschichte, wie viele Kritiker behaupten. Es ist ein Bericht der wirklichen Geschehnisse beim Auszug, der Umstände, unter welchen das Passah faktisch eingesetzt wurde, und der Erfolge, welche durch die nachherige jährliche Festfeier in das Ge- dächtnis zurückgerufen wurde. Aber es ist keine blofse Ableitung von dem Eitus selbst, wie derselbe in späterer Zeit gestaltet war ; es verhält sich nicht so, als wären diese Deduktionen nur Schlüsse der Verfasser selbst, oder Ein- kleidungen derselben in populäre Erzählungen, welche im Lauf der Zeit in Verbindung mit der Feier dieses Festes aufgekommen sind. Zum sicheren Beweis, dafs es der Bericht von wirklich historischen Vorgängen ist, kann man sich berufen ^ 1. auf die einleitende Angabe 12, 1, dafs dieses Gesetz Mose und Aaron in Ägyptenland gegeben wurde. Hupfeld findet dies wegen der unbestimmten Verallgemeinerung und Überflüssigkeit im Zusammenhang verdächtig. Allein es ist ganz in Übereinstimmung mit dem sonstigen Gebrauch des Pentateuchs. Dafs überall, wo Gesetze gegeben werden, — 143 — auch der Ort genannt wird z. B. Lev. 7, 38; 25, 1; 26, 46; 27, 34 Berg Sinai, Num. 35, 1; 36, 13 Gefilde Moab, das war um so wichtiger hier bemerkt zu werden, weil dies ein Ausnahmefall war und alle übrigen Eitualgesetze in der Wüste gegeben wurden, und weil die Bedeutsamkeit der Einrichtung zum gröfsten Teil auf der Zeit, dem Ort und den näheren Umständen der erstmaligen Feier beruht, Dafs das Fest thatsächlich in Ägypten eingesetzt sein mufste, wie hier angegeben, ergiebt sich aus der Thatsache, dafs es bei seiner erstmaligen Begehung als Bewahrungsmittel gegen die Erwürgung der Erstgeburt gefeiert wurde, wie auch aus der eigentümlichen Art und Weise bei jenem An- lafs. Das ganze Ceremoniell pafst gut in eine Zeit, da noch kein öffentliches Heiligtum, kein Priestertum und kein ge- meinsamer Altar vorhanden war. Das Lamm wurde von jedem Familienvater zu Hause geschlachtet und die Thür- pfosten des Hauses mit dem Blute besprengt. ^) Diese Einzelheiten kommen sonst weder in Verord- nungen noch in Gebräuchen vor. Hier aber werden letztere ausschliefsHch vollzogen, um die Familie durch die Sühn- kraft des geschlachteten Lammes vor der schrecklichen Heimsuchung des Würgengels zu beschützen. Die Annahme, dafs dieses die Beschreibung des Gebrauchs späterer Zeit sei, nur auf die mosaische Zeit und die Scene des Auszugs übertragen, ist ganz und gar willkürlich und entbehrt jeder bekannten thatsächlichen Grundlage. Sie ist in Widerspruch nicht nur mit dem traditionellen Glauben und der Praxis der Juden, sondern auch mit der ganzen späteren Gesetz- 1) Graf, „Geschichtliche Bücher des A. T." S. 34. 35 suciit diesen Brauch ahsurderweise als im Exil aufgekommeil zu erklären, als das Volk vom Heiligtum getrennt war. Allein dies wäre eine grobe Ver- letzung des Fundaraentalgrundsatzes des Priesterkodex, der ja gerade im Exil das Licht der Welt erblickt haben soll. — 144 — gebung über diese Sache. Sie findet gar keine Stütze in allen hier gegebenen gesetzlichen Bestimmungen, welche die Begehung dieses Festes , aber nicht die Einzelheiten dabei, für alle Zeiten festsetzen, welch letztere aus ganz besonderen Gründen nur zur erstmaligen Passahfeier ge- hörten. 2. Es kann kein triftiger G-rund dafür angegeben wer- den, warum gerade das Passah allein von den drei jähr- lichen Festen auf diese Weise ausgesondert und als das einzige in Ägypten eingesetzte dargestellt sein sollte, wenn dies nicht wirklich so der Fall gewesen wäre. In allen nachfolgenden Gesetzen werden die drei Feste zusammen erwähnt als gleichbedeutend hinsichtlich ihrer Pflicht- forderungen. In der späteren Geschichte hat das Laub- hüttenfest — als besonderes Freudefest von allgemeinem Interesse — hervorragende Bedeutung erlangt, und ist des- halb auch häufiger erwähnt. Das Passah kann seine Aus- zeichnung nur dem hier angeführten historischen Anlafs verdanken. 3. Alle nachherigen Festgesetze verbinden das Passah und das Fest der ungesäuerten Brote direkt mit dem Aus- zug. So Exod. 23, 15: „Das Fest der ungesäuerten Brote sollst du halten, dafs du sieben Tage ungesäuertes Brot essest, wie ich dir geboten habe, um die Zeit des Monats Abib, denn in demselben bist du aus Ägypten gezogen." Ebenso in den beinahe gleichlautenden Worten Exod. 34, 18. Von diesen beiden Abschnitten wird ausdrücklich gesagt, dafs Moses dieselben geschrieben habe Exod. 24, 4; 34, 27. Der Grund, warum das Fest der ungesäuerten Brote gerade in dieser Zeit gefeiert werden soll, ist der, dafs sie in eben dieser Zeit aus Ägypten zogen. Ferner beziehen sie sich ganz bestimmt auf den gegebenen Befehl zu dessen Be- gehung Exod. 12. 13. George behauptet die Bezugnahme — 145 — gehe auf das Deuteroiiomiiim , andere Kritiker wollen es auf ein jetzt unbekanntes Gesetz beziehen oder die Worte: „wie ich dii^ geboten habe" als Interpolation auffassen. Allein der einzige Grund, diese Worte als Interpolation zu Yerdächtigen, ist der Wunsch der Kritiker, mit diesen ihnen unbequemen Worten summarisch aufzuräumen. Wie das Buch Exodus uns jetzt vorliegt, ist die Beziehung auf Kap. 12. 13 ganz einleuchtend. Sicherlich wollte es der Redaktor, wenn es einen solchen überhaupt gab. auch so verstanden haben. Ebenso ist die wörtliche Anspielung klar genug. Diese Beziehung mufs festgehalten werden, bis vernünftige Gründe beigebracht werden, welche das Gegenteil an- zunehmen zwingen, oder hinreichen, die Ehrlichkeit oder die Kompetenz des Redaktors, oder beides in Abrede zu stellen. Lev. 23 ist nicht gerade direkte Anspielung auf dieses Gesetz, setzt es aber augenscheinlich voraus. Es ist hier ein vollständiger Bericht über die zu beobachtenden Festceremonien gegeben, welche vorher nicht beschrieben sind. Es ist weder eine Beschreibung über die Art und Weise der Passahfeier noch über die eigentümliche Ab- haltung des grofsen Versöhnungstages gegeben. Die Cere- nionien am Versöhnungstag sind ausgelassen, weil dieselben in Lev. 16 vollständig angegeben sind. Das Ritual des Passah aber ist nirgends genannt als in Exod. 12. 13. Bei der ersten Jahresfeier des Auszugs aus Ägypten wurde das Volk angewiesen, das Passah zu halten zu seiner Zeit „nach aller seiner Weise, Satzung und Recht", Num. 9, 1 ff. Dies schliefst aber in sich, dafs diese Satzungen und Rechte vor- her angeordnet worden waren. Aber ein Bericht von dieser Thatsache der Verordnung findet sich nur in diesen Kapiteln und zwar in ganz deutlicher, wörtlicher Nachweisung V. 1 1 . 12. 42. Deut. 16, 1 — 8 verbindet ebenfalls das Passah mit dem Auszug und enthält zahlreiche wörtliche Anspielungen Green, Die Feste der Hebräer. \() — 146 — auf Exod. 12. 13. Auch wird von dem deuteronomisclien Gesetz ausdrücklich gesagt, dafs es von Mose abgefafst wurde, Deut. 31, 9. 24. Alle späteren Gesetze beruhen auf dem Gesetz Exod. 12. 13 und setzen dieses voraus. Die Verbindung des Passah mit dem Auszug ist ausdrück- lieh erklärt, und zwar in Gesetzen, die nachdrücklich Moses selbst als den Verfasser angeben. Selbst vom Standpunkt der negativen Kritiker mufs dieses einhellige Zusammen- laufen aller Quellen der Tradition, aller hypothetischer Verfasser wie auch des Eedaktors in ein klares Zeugnis als Wahrheitsbeweis angenommen werden, wenn auf irgend etwas aus der mosaischen Zeit überhaupt Vertrauen gesetzt werden kann. Es finde hier noch die Thatsache Erwähnung, welche schon früher aufgezeigt wurde, dafs die meisten der hervor- ragendsten Kritiker, so sehr sie auch in andern Punkten ditferieren, doch in der Beibehaltung des mosaischen, ja selbst vormosaischen Ursprungs der Feste aus Gründen, welche ganz und gar von der Wahrheit der historischen Berichte unabhängig sind, keine Schwierigkeit sehen. Es wird eingewendet: 1. Die formale Erklärung 12, 2, dafs der Monat des Auszugs als der erste Monat des Jahres gezählt werden soll, ist offenbar nachexilisch , denn sie basiert auf der da- mals vorgenommenen Veränderung des Kalenders. Dies wurde aus ganz entgegengesetzten Gründen beibehalten. George^) behauptet, dafs das hebräische Jahr ursprünglich im Frühling begonnen habe; als aber nach Einführung der doppelten Jahresrechnung nach dem Exil das bürgerliche Jahr im Herbst anfing, sei dieser Vers eingeschaltet wor- den, um die Abweichung des kirchlichen Jahres von dem 1) „Die älteren jüdischen Feste" S. 91 — 147 — bürgerlichen anzuzeigen, aber die alte Ordnung festzuhalten. Dem entgegen vertritt Wellhausen die Ansicht, dafs das jüdische Jahr vor dem Exil im Herbst begonnen habe, aber die in diesem Abschnitt enthaltene Zeitrechnung (vom Früh- ling an) von den Babyloniern adoptiert worden sei. Keine dieser Behauptungen ist richtig, denn beide Jahresrechnungen waren lange vor dem Exil in Gebrauch, wie aus vielen Abschnitten ersichtlich ist. ^) 2. Ebenso wird eingewendet, das Fest der ungesäuerten Brote sollte vor der Besitznahme von Kanaan nicht gefeiert werden 13, 5, und die Ausdrücke des Gesetzes schlössen Sefshaftigkeit daselbst in sich 12, 19, 25 ff. 48, 49. Allein der Zweck der Verlassung Ägyptens war ja gerade die Besitznahme von Kanaan, das ihnen als ihr Erbe verheifsen war, und welches sie in der allernächsten Zeit antreten zu können hofften. Deshalb sind die Gesetze mit Bezug auf diesen anticipierten Zustand gegeben. 3. Zu einem ferneren Einwand wird das Vorkommen von Worten benützt, die einer späteren Zeit angehören sollen, wie D^DSt:' = Gerichte, Exod. 12, 12 Diiy in der Be- deutung von „eben derselbe" 12, 17. 41. 51, welches in Ezechiel wieder vorkommt; auch "T'^yn 13, 12 in der Be- deutung die Erstgeburt „dem Herrn aussondern", welches aber in der Periode der späteren Könige der gewöhnliche technische Ausdruck für „durchgehen lassen" ist, nämlich dem Moloch durchs Feuer gehen lassen 2. Kön. 16, 3 u. s. w. allein obwohl die ersten beiden Worte in Ezechiel wieder 1) Beim Anfang des Jalares im Frühling, wenn die Natur neu auflebt, wurden neue Unternehmungen gemacht, 2. Sam. 11, 1; 1. Kön. 20, 22. '26; Jerem. 3'3, 22. Beim Anfang des .Jahres im Herbst wurden die Früchte des vorhergehenden Jahres eingesammelt und für eine neue Ernte gepflügt und gesät. Exod. 23, 16; 34, 22; Lev. 2.5, 9; 10, 22; 2. Kön. 22, 3, vgl. 23, 23; Jesaia 37, 30. 10* — 148 — vorkommen, so sind sie offenbar von dem Propheten nicht dem gewöhnlichen Gebrauch seiner Zeit entnommen, wofür kein Beweis vorhanden ist, sondern der alten Gesetzes- sprache. Das dritte Wort ist auch nicht dem Molochgreuel entlehnt, sondern dem Dialekt des gewöhnlichen Lebens, gerade wie ein Erbteil einem Erben „zugewendet" wird, Num. 27, 7. 8. Oder wie das Königreich dem Hause Saul genommen und dem Hause David gegeben wurde 2. Sam. 3, 10, so wurde die Erstgeburt Jehovah übergeben (made to pass) als ausschliefsliches Eigentum. 4. Wellhausen \) erhebt auf gleiche Weise Einsprache gegen „den Predigerton von 13, 3 — 16, der dem älteren Verfasser ganz fremd ist", wie auch gegen „die Stufe der Eeligiosität, die besonders aus V. 9. 10 zu ersehen ist, auf welcher die Verfasser, welche von den Patriarchen erzählen, dafs sie Steine aufrichten, Altäre bauen, heilige Bäume pflanzen und Brunnen graben, nicht stehen." Allein gerade als die Einsetzung des Passah geschah, um die Erinnerung an Gottes ausgezeichnetste Wohlthaten fortwährend wach zu halten, war die Zeit, in welcher auf immerwährende Vergegenwärtigung dieser Wohlthaten nachdrücklich be- standen und die Bedeutung der Stunde den Kindern ein- geprägt werden mufste, (vgl. auch Gen. 18, 19; Exod. 10, 2). Die pharisäische Buchstabenreiterei zur Verfälschung von 13, 9 ist dem wahren Sinn so fremd, als die Patriarchen von dem ihnen durch Wellhausen angedichteten Fetischis- mus entfernt sind. 5. Den letzten und gewichtigsten Beweis für die Un- glaubwürdigkeit dieser Geschichte finden die Kritiker darin, dafs in derselben aUes so eng mit AVunderbarem verflochten ist, dafs eine Ausscheidung desselben unmöglich erscheint. 1) „Jalirbücher für deutsche Theologie" XXI. S. 544. — 149 — Darin liegt im Grunde das ganze Geheimnis, warum die Kritiker sich dieser Kapitel um jeden Preis entledigen wollen. Eine Pestilenz, welche eine enorme Zahl von Ägyp- tern wegfegt, will man sich gefallen lassen, sowie auch, dafs Israel von der Plage verschont blieb, da es für sich besonders wohnte; aber weil nach ihrem obersten Grund- satz alles Übernatürliche notwendig in das Gebiet der Mythe gehört, so mufs eine Seuche, welcher in jedem Hause nur die Erstgeburt zum Opfer fällt, durchaus unannehmbar sein, obgleich beide zusammen, das Passah und die Heiligung der Erstgeburt 13, 15; Num. 3, 13; 8, 17, einmütig für die Thatsächlichkeit derselben sprechen. Denen, welche diese Grundsätze nicht teilen, wird die Einsetzung des Passah beim Auszug so wenig Mythe sein, als jemand die amerika- nische Eevolution und Unabhängigkeitserklärung mit Be- rufung auf die jährlich wiederkehrende Feier des vierten Juli in das Gebiet der Sage verweisen könnte. V. Die Festgesetze und das Passali. Indem wir nun die Einheit und den historischen Charak- ter von Exodus 12 und 13 festgestellt haben, haben wir eine vorteilhafte Grundlage gewonnen für das Studium anderer Gesetze, welche sich auf das Passah beziehen. Die verschiedenen Gesetze über diesen Gegenstand, sagt man uns, repräsentieren verschiedene Perioden, und an den ver- schiedenen Gesetzen könne man leicht die Spuren der ge- schichtlichen Entwicklung dieses Festes von den einfachsten Anfängen, in stufenmäfsigem Fortschreiten, bis zu ihrer vollendetsten Gestalt verfolgen. Nach der allgemeinen Übereinstimmung der Kritiker finden sich drei Hauptschichten in der Gesetzgebung, welche dem Jehovisten, Elohisten und Deuteronomiker zugewiesen werden. Dem Jehovisten werden die Gesetze in Exod. 23 und 34 zugeschrieben, welches ältere Gesetzeskörper sein sollen, die der Verfasser seinem Werk einverleibt hat. Exod. 23 soll ein Teil vom Bundesbuch Exod. 21—23 sein und Exod. 34 wird aus Gründen, welche wir später er- fahren werden , das Zweitafelgesetz genannt. Gewöhnlich werden auch gewisse Gesetze enthaltende Abschnitte von Kap. 12 und 13 dem Jehovisten zugeschrieben, wie wir uns bereits überzeugt haben; Wellhausen aber behauptet, dafs dieselben ursprünglich nicht der jeho vis tischen Urkunde — 151 — angehören, sondern spätere Zusätze sind. Dem Eloliisten werden der Eest von Exod. 12. 13 und die Gesetze in Lev. 23, Num. 9, 1—14, Num. 28. 29 zugeteüt. George hält das Deuteronomium für das frühste von allen Gesetzen. Dülmann setzt es als das Letzte von allen. Wellhausen weist dem Deuteronomium eine Mittelstelle zwischen der jehovistischen und elohistischen Gesetzgebung an. Nach seiner Meinung gehört der Jehovist der Periode an, welche dem Sturz des Zehnstämmereichs voranging, das Deutero- nomium der Regierungszeit Josias, der Elohist der nach- exilischen Zeit. Im allgemeinen stimmen die Kritiker darin überein, dafs Exod. 23 und 34 die älteste Form der Fest- gesetze und des Kultus überhaupt enthalten. Wellhausen ^) sagt: „In der alten Zeit bestand der öffentliche Gottesdienst der Nation wesentlich in der Feier der jährlichen Feste . . . und demgemäfs beschränken sich die Gesetze über die Gottesverehrung im Jehovisten und selbst im Deuteronomium auf diesen einen Punkt." Abgesehen von einigen bemerkenswerten Variationen ist der Wortlaut der beiden oben angeführten Gesetze bei- nahe identisch, und die Kritiker haben sich gewaltig den Kopf zerbrochen, um deren Beziehungen zu einander und den Grund für die Beibehaltung beider Formen zu er- mitteln. George^) glaubt Kap. 34 habe Kap. 23 zur Grund- lage, indem der Verfasser nur erklärt oder ergänzt habe, was dunkel und schwierig schien. Kuenen^) spricht sehr stark zu Gunsten derselben An- nahme: „Der Verfasser von Exod. 34 entlehnt vom Bundes - buch und einigen andern Gesetzen dieselben Vorschriften, welche ihm als die gewichtigsten erscheinen, und verarbeitet 1) Encyklopaedia Britannica. Bd. 18, Art. Pentateuch S. 511. '^) „Die älteren jüdischen Feste" S. 110. ^) „Die Religion Israels," Bd. 2. S. 8. — 152 — dieselben nach seiner eigenen Fagon in ein Ganzes." Graf hingegen glaubt, dafs Kap. 23 aus Kap. 34 zusammen- gezogen ist, welches früher ein Ganzes für sich war. Eeufs^) bemerkt hierüber: „Es ist sehr schwer zu sagen, in welcher Beziehung der sogenannte zweite Dekalog Exod. 34, 11 ff. zu dem Bundesbuch steht. Ein integrierender Bestandteil von demselben ist er nicht. Es ist unverständ- lich, warum er vom übrigen ausgeschieden wird und Wieder- holungen enthält. Aber letztere scheinen beide dem Zeit- punkt nach teilweise näher zusammen zu bringen." Eeufs zerhaut den Knoten demnach durch die Annahme, dafs die Festgesetze ursprünglich kein Bestandteil des Bundesbuches waren. Dieses enthält bezüglich der Gottesverehrung bei- nahe nichts, und das Loch wird zugestopft in ergänzender Weise durch eine Einschaltung aus Kap. 34. Wellhausen-) wiederum behauptet, dafs die Festgesetze in Kap. 23 weder von Kap. 34, noch die in Kap. 34 aus Kap. 23 entlehnt, sondern beide ursprünglich ganz unabhängig voneinander gewesen und nur gegenseitig interpoliert seien; 34, 18 ist aus 23, 15 und 23, 17—19 von Kap. 34 entlehnt. Hitzig, 2) welchen Delitzsch'^) ordentlich scharf mit- nimmt als einen, „der vom römischen Aberglauben zum protestantischen Unglauben übergegangen ist", hat einer Vermutung Goethes folgend die erstaunliche Entdeckung gemacht, dafs dies eine andere Version der zehn Gebote ist. Wellhausen"') indossiert selbstverständlich diese Ent- deckung nur unter seiner freien Anwendung des kritischen Messers, das ihn in keiner Verlegenheit im Stiche läfst. 1) „Geschichte der heiligen Schriften Alten Bimdes" I. S. 232. 2) „Geschichte Israels" I. S. 89. 3) „Ostern und Pfingsten" 1838. S. 42. *) „Guerickes Zeitschrift" für 1840, Nr. 2. S. 116. s) „Jahrbücher für deutsche Theologie" 21. S. 554. — 153 — Es ist sehr überraschend, dafs er sich die Gelegenheit nicht zu nutze machte und aus dem neu erfundenen Dekalog- die unwillkommenen Worte ausstrich: „Du sollst dir keine ge- gossene GfJtter machen" 34, 17 , welche in Kap. 23 kein Duplikat haben, aber durch das zweite Gebot Exod. 20 und Deut. 5, ganz abgesehen von der Geschichte des goldenen Kalbes, bestätigt, den Kritikern mit vermehrter Evidenz entgegenhalten, dafs Moses thatsächlich den Bilderdienst verboten hat. Dann auch liefern die häufigen Rückfälle der Israeliten in Idolatrie, und der Bilderdienst Jerobeams unter den zehn Stämmen, den schlagendsten Beweis für die Falschheit des kritischen Diktums, nämlich, dafs die öifent- liche und fortgesetzte Mifsachtung eines Statuts einen Schlufs auf dessen Nichtvorhandensein erlauben soll. Nach Wellhausen sind drei ganz unabhängige und sich einander widersprechende Traditionen der Vorgänge am Sinai vorhanden. Die eine dieser Überlieferungen weifs nichts von zehn Geboten oder steinernen Tafeln, sondern nur von einer Reihe von Gesetzen und sonstigen gesetzlichen Be- stimmungen. Kap. 21 — 23, mit deren Niederschreibung Moses beauftragt war. Nach der zweiten Tradition hat Gott die zehn Gebote in schrecklicher Majestät in der Ver- sammlung des ganzen Volkes gesprochen Kap. 20 und Mose, nachdem er 40 Tage auf dem Berg Sinai war, zwei stei- nerne Tafeln gegeben, worauf die Gebote von Gottes Finger geschrieben standen, die aber Moses beim Herabsteigen vom Berg zerbrochen hat. Nach der dritten Überlieferung hat Jehovah die zehn Gebote gesprochen, wie sie in Kap. 34 ^) 1) Wellhauseu, „Geschichte Israels" S. 85 und Prolegomena S. 85 und passim nennt Exod. 34, 14— 26 „das Zweitafelgesetz", indem er behauptet, dafs dies eine Version des Gesetzes sei, das auf Tafeln von Stein geschrieben war. Delitzsch nennt es mit geringer Modifikation „das Zweittafelgesetz", das Gesetz der zweiten Tafel, meint aber das — 154 — enthalten sind, jedoch ganz verschieden von den zehn Ge- boten in Kap. 20; auch sind jene nicht zum Volk selbst gesprochen, sondern zu Mose, welcher sie selbst auf zwei steinerne Tafeln schrieb, die er zubereitet und zu diesem Zweck mit sich genommen hatte; von dem Zerbrechen der- selben aber wird nichts berichtet. Dies alles bringen die Kritiker fertig auf dem Wege, auf welchem sie auch sonst ihre bewunderungswürdigen Kunststücke ausführen, nämlich durch Secieren der Ge- schichtserzählung und dadurch, dafs sie alles, was ihnen nicht in ihren Kram pafst, als Interpolation auswerfen. Unter solcher Führerschaft kann man fürwahr an allem verzweifeln, was wir über die mosaische Zeit oder irgend eine andere Periode wissen. Wenn irgend etwas durch historischen und monumentalen Beweis begründet werden kann, so ist es sicherlich das Gesetz, welches in Steine eingegraben war, die selbst zur Zeit Salomos noch vorhanden waren, und auf welche sogar Jeremia noch Be- zug nimmt. Die Behauptung, dafs die Gesetze in Kap. o4 die 10 Gebote sind, von Moses auf steinerne Tafeln ge- schrieben, verwechselt das, was Mose befohlen wurde zu sclireiben Y. 27 , mit dem , was auf steinerne Tafeln ge- schrieben wurde V. 28, aber nicht von Moses, sondern von dem Herrn, wie dies aus der ausdrücklichsten Angabe in V. 1 ganz klar sich ergiebt. Aus dem Zusatz: „er afs kein Brot und trank kein Wasser" ist völlig klar, dafs Moses das Subjekt ist. Aber in der folgenden Beibemerkung „und er schrieb auf die Tafeln die Worte des Bundes, die zehn Gebote" ist ebenso klar der Herr das Subjekt, der gesagt kurz zusammengefafste Gesetz, das in Verbiaduug mit der zweiten Übergabe des Dekalogs an Moses als ein Kompendium des Bundes- bucbes Kap. 21—23 erlassen wurde, welches in Verbindung mit der ersten Proklamation der 10 Gebote gegeben worden war. — 155 — hat in V. 1 „haue dir zwei steinerne Tafehi wie die ersten waren, dafs ich die Worte darauf schreibe, die auf den ersten Tafeln waren, welche du zerbrochen hast." Der Wechsel des Subjekts in aufeinanderfolgenden Klauseln, wo die Bedeutung- unmifsverständlich klar ist, ist zu bekannt, als dafs er die geringste Schwierigkeit bieten könnte. Ranke hat gezeigt, wie die Verneinung desselben zu den schreiend- sten Unangemessenheiten führt, wie etwa: Melchisedek be- zahlte dem Abraham den Zehnten, Gen. 14, 19. 20; oder Abrahams Knecht hat den Laban gastlich bewirtet, Kap. 24, 32 oder Moses legt sich die Prärogative des allmäch- tigen Grottes bei Exod. 34, 9. 10. Die Beziehung zwischen Kap. 23 und 34, worin die Kritiker so viele Dunkelheit und Verworrenheit finden, ist so klar als eine einfache, unzweideutige Erzählung sie bieten kann. Ersteres ist ein Teü des Bundesbuches, dem sich das Volk in jenem feierlichen Vorgang, durch welchen Israel des Herrn Volk und der Herr Israels Gott wurde, förmlich zum Gehorsam verschrieb. Dieser Bund aber wurde durch die Versündigung am goldenen Kalb ge- brochen, und die Gesetzestafeln wurden in Stücke zer- schlagen. Als auf Moses inbrünstige Fürbitte der Bund erneuert wurde, schrieb der Herr die 10 Gebote noch ein- mal auf steinerne Tafeln, und jener Teil des Bundesbuches, der sich auf die Pflichten des Volkes gegen Gott bezog, wurde von Moses noch einmal schriftlich niedergelegt. Aus der Kürze der Festgesetze in diesen Kapiteln und den allgemeinen Ausdrücken, in welche sie gefafst sind, will man die Behauptung ableiten, dafs dieselben die ur- sprünglichen Vorschriften über den Gegenstand seien, und dafs andere Gesetze, welche mehr auf das Einzelne gehende und umfassendere Bestimmungen enthalten, einer späteren Periode angehören müssen, da diese Institutionen über die — 156 — primitive Einfachheit, wie wir sie hier fiiiclen, weit hinaus sich entwickelt hatten. Dafs dies aber nicht der Fall sein kann, ist nach einer einfachen Einsichtnahme ganz ein- leuchtend. Denn erstens nehmen sie ausdrücklich Bezug auf ein vorausgegangenes Gesetz „sieben Tage sollst du ungesäuertes Brot essen, wie ich dir befohlen habe." ZAveitens geschieht die Bezugnahme auf ein früheres Gesetz in Verbindung mit nur einem Fest, dem der ungesäuerten Brote, welches anzudeuten scheint, dafs zur Zeit als An- weisungen hinsichtlich desselben gegeben wurden, hinsicht- lich der übrigen zwei Feste noch keine Vorschriften vor- handen waren. Drittens ist das, was über die übrigen zwei Feste gesagt ist, so wenig , dafs man weder irgend etwas über deren Natur noch deren Begehung daraus entnehmen könnte. Auch unter den angewandten Ausdrücken herrscht Verschiedenheit, und die Bezeichnungen „Fest der Ernte", „Fest der Einsammlung" scheinen elier von der Veran- lassung zur Begehung der Feste abgeleitete epitheta or- nantia zu sein, als dafs sie Eigennamen derselben sind. Dies ist eine so allgemeine , unbestimmte Beziehungsweise, wie man sie gerade in dem Fundamentalgesetz des Bundes erwarten kann, wobei alle weiteren Details der nachfolgen- den Gesetzgebung überlassen werden. George glaubt, dafs das frühere Gesetz, worauf Bezug genommen ist, das im Deuteronomium sei. WelDiausen aber hält entschieden Exod. 13 dafür, doch sucht er der Konsequenz seiner Ein- räumung durch die grundlose Behauptung zu entgehen, dafs die Worte „wie ich dir befohlen habe" interpoliert seien. Das nächste Gesetz, welches an die Reihe kommt, ist Lev. 23. Dies, behauptet man, niufs einer späteren Periode angehören als das vorige, denn anstatt der drei Feste giebt es deren jetzt fünf. Inzwischen wurde das Fest der Trom- — 157 - peten und der Versöhnimgstag- liinzugefägt. Ferner sind Ceremonien mit allen Festen verbunden, die vorher nicht erwähnt sind. Allein richtig gesagt giebt es hier in diesem Kapitel nicht mehr Feste als die drei zuvor erwähnten. Die einzige scheinbare Vermehrung der Zahl, kommt in der englischen Version von der Verwechselung von zwei ganz verschiedenen Worten her, welche unterschiedslos durch „Feste" gegeben sind. Das erste davon ist dasselbe , was Gen. 1 , 14 ganz richtig „Zeiten" (seasons) übersetzt ist, welches genau bestimmte, festgesetzte Perioden bedeutet. Das Kapitel aber, das wir jetzt betrachten, will nicht ein- fach „die Feste" aufzählen, sondern alle festgesetzten Pe- rioden des Jahres, mit denen die heiligen Versammlungen verbunden waren. Demnach beginnt es mit dem Wochen- sabbath , dann schreitet es fort zu den jährlich wieder- kehrenden festgesetzten Zeiten, in welchen heilige Ver- sammlungen vorgeschrieben waren, ob die Wallfahrten wie bei den drei grofsen Festen gemacht wurden oder nicht. Bei diesen verschiedenen Anlässen ist der Thatsache Er- wähnung gethan, dafs ein Brandopfer dem Herrn gebracht werden mufs; aber über Zahl und Charakter dieser Opfer sind keine speciellen Anweisungen gegeben. In Num. 2) Vgl. 'The Old Testament in tlie Jewish Churcli' by Dr. Robert- son Smith, p. 425. — 214 — Judas." Das wird dahin erklärt, dafs dies das erste Passah war, das je in Übereinstimmung mit dem deuteronomischen Gesetz gefeiert wurde. Vordem gab es nur lokale Feiern, jede Nachbarschaft oder jeder Distrikt feierte es an einem eigenen besonderen Heiligtum. Nun zum erstenmal wurden diese Lokalheiligtümer beiseite gesetzt, und eine Feier für das ganze Volk abgehalten. Wellhausens Meinung ist, dafs das Laubhüttenfest in früherer Zeit als ein nationales Fest in Jerusalem gefeiert worden sein mochte, vielleicht von der Zeit Salomos an, dafs aber das Passah nie diese Auszeichnung erlangt habe. Auch soll die Eigentümlichkeit des Passah, das unter Josia gefeiert wurde, die gewesen sein, dafs es jetzt national wurde. Allein 1. heifst dies eine Bedeutung in den Text hineinlegen, die nicht darin enthalten ist. Dieser Vers zeigt nicht nur keinen Kontrast mit früheren Lokalfeiern, son- dern auch im ganzen Alten Testament ist keine Linie zu finden, die durchblicken liefse, dafs jemals so etwas wie lokale Feier des Passah bekannt gewesen wäre. 2. Dies ist in schlechter Übereinstimmung mit den oben citierten Stellen aus Jesaia, welche aufs deutlichste erklären, dafs das Passah zu Jerusalem gefeiert wurde. 3. Wenn 2. Chr. 30 geglaubt werden soll, so wurde in der Eegierungszeit His- kias ein nationales Passah gefeiert, welches, obschon V. 10 von etlichen zurückgewiesen und verlacht wurde, seit der Zeit des Schismas seinesgleichen nicht gehabt hatte V. 26. 4. Dieser Vers schliefst nach Wellhausens Auslegung not- wendig in sich, dafs solche nationale Passahfeiern am Heilig- tum zur Zeit der Richter thatsächlich stattgefunden haben, wie wir aus 1. Sam. 2, 14 erfahren : „also thaten sie dem ganzen Israel, die daselbst hinkamen nach Silo." Ganz Israel also kam zur Hütte des Stifts. 5. Die natürliche Andeutung dieses Verses ist, dafs die Auszeichnung des — 215 — Passall, welches unter Josia gehalten wurde, nicht darin lag, dafs es als nationales Fest gefeiert wurde im Gegen- satz zu anderweitigen Passahfeiern, sondern in der uni- versalen Beteiligung und Anwesenheit des Volkes, im Gegen- satz zu bisherigen Passahfeiern, an welchen sich nur ein Bruchteü des Volkes zusammenfand. Dies ist oifenbar der Sinn der Worte: „in allen Zeiten der Könige Israels und der Könige Judas", d. h. während der ganzen Zeit des Schismas, in welcher die 10 Stämme an der Beteiligung der Passahfeier zu Jerusalem verhindert waren; man ver- gleiche auch die Umschreibung dieses Verses in 2. Chron. 35, 18. Der Verfasser will dahin verstanden sein, dafs die enthusiastische Begeisterung, in welcher nun das ganze Volk aus allen Teilen des Landes herbeiströmte, um an dieser Feier teil zu nehmen, noch gröfser war, als in den Tagen Davids und Salomos. Nach Wellhausen ist dies die erste Erwähnung des Passah in allen historischen Büchern. Wie er dem Zeugnis hievon im Buch Josua und den Büchern der Chronik kein Gewicht beilegt, so spricht er auch den Stellen, in welchen das Passah erwähnt wird wie zu Gilgal, Jos. 5, 10; der Passahfeier des Salomo 2. Chron. 8, 13, der des Königs Hiskia 2. Chron. 30 alle Glaubwürdigkeit ab. Redslob ^) will nicht einmal dem Passah des Josia historischen Cha- rakter beimessen; er sagt: „Es ist ganz klar, dafs der Abschnitt 2. Kön. 23, 21—23, welcher vom Passah, das unter Josia gefeiert wurde, Bericht giebt, von einer fremden Hand aus anderer Quelle hier eingeschoben ist." Was die Ansicht Wellhausens über diesen Fall anlangt, so müssen wir fragen: Wie kann es sich begeben, dafs, obgleich in dem Gesetzeskörper, den er für den allerältesten hält, drei „Stiftung und Grund der Passahfeier" S. 33. — 216 — Wallfalirtsfeste eingeschärft werden, Exod. 23 und 34 das erste der Feste bis zur Zeit der Regierung Josias nirgends in der Geschichte erwähnt wird? Welche Erklärung er auch immer diesem Umstand geben wird, jedenfalls darf der Schlufs nicht über seine eigene Voraussetzung hinaus- gehen, dafs das Vorhandensein eines Statuts wegen der Auslassung eines Berichts über die Feier seitens der hei- ligen Verfasser unglaubwürdig sein soll. Eine andere Erwägung, die sich uns von selbst auf- drängt, ist die, dafs es Wellhausen völlig mifsglückt ist, die von ihm behauptete Entwicklung der Feste in der Ge- schichte zu beweisen. Vom Passah wird nach der Zeit Josias nur noch zweimal gesprochen, nämlich Ezechiel 45, 21 — 24 und Esra 6, 19 ff., wo gesagt ist, wie es die zurückgekehrten Exulanten gefeiert haben. Die Vergleichung dieser Stellen miteinander und mit den Berichten der Chro- nik über die Feier des Passah, in welchen der Verfasser die Sitte seiner Zeit eher wiederspiegeln läfst, als die Sitte der Periode, welche er beschreibt, könnte auf den ersten Blick die Annahme eines progressiven Fortschrittes in ge- wisser Hinsicht zu begünstigen scheinen. Es wurde im ersten Monat gefeiert, aber die genaue Zeit mag sich von Jahr zu Jahr mit dem Charakter der Jahreszeit und der frühen oder späten Reife der Ernte geändert haben. Aber nachdem es an die Hauptstadt der Nation gebunden, und auf Seiten der Festbesucher Einhelligkeit not war, bestimmte der P. C. das Passah auf den 14. Tag des Monats. In scheinbarer Übereinstimmung damit ist bei Josias Passah- feier 2. Kön. 23, 21 — 22 der Tag nicht genannt, dagegen wird in Ezechiel und Esra, wie auch in dem Bericht der Chronik über die Passahfeier Josias 2. Chron. 35, 1 der 14. Tag des ersten Monats angegeben. Im Kap. 30, 15 nun wird das Passah des Hiskia auf den 14. Tag des — 217 — zweiten Monats gefeiert, wozu in Num. 9, 11 bei Ver- hinderungsfällen die Erlaubnis gegeben ist. Allein die einfachste Untersuchung wird zeigen, dafs alle Schlüsse von diesen Voraussetzungen aus nichtig und unhaltbar sind. Denn 1. in der kurzen Erwähnung des Passah 2. Kön. 23 wird nicht einmal der Name des Monats genannt, während dies in den sogenannten ältesten Gesetzen Exod. 23 und 34 und Deut. 16 ganz genau bestimmt ist. 2. Die Angabe 1. Kön. 12, 32. 33, dafs Jerobeam sein Fest anordnete: „am 15. Tag des 8. Monats, welchen er aus seinem eigenen Herzen erdacht hatte," schliefst offenbar in sich, dafs er den Monat, aber nicht den Tag der Feier ver- ändert hatte, und dafs der 15. Tag der richtige war für Judas Fest im 7. Monat 1. Kön. 8, 2 und für eine festliche Feier im allgemeinen. Hieraus ergiebt sich die Annahme, dafs das Fest des ersten Monats auch an demselben Monats- tag gefeiert wurde. 3. Wenn Assaph, welcher in der Über- schrift von Ps. 81 als dessen Verfasser genannt ist, der Seher und Zeitgenosse Davids war 1. Chron. 16, 7; 2. Chr. 29, 30, so haben wir hier ein ausdrückliches Zeugnis hin- sichtlich der Zeit der Passahfeier in jener Periode. Wenn- gleich einige Ausleger das Laubhüttenfest darunter ver- stehen, so sprechen doch die Anspielungen auf die Plage der Erstgeburt und auf den Auszug als Veranlassung der Festfeier deutlich dafür, dafs es das Passah gewesen ist. V. 3 — 5 heifst es: „Blaset im Neumond Posaunen; im Voll- mond am Tage unsers Festes. Denn solches ist eine Weise in Israel und ein Eecht des Gottes Jakobs. Solches hat er unter Joseph zum Zeugnis gesetzt, da er auszog wider Ägyptenland", d. h. jene Plage zu verhängen, wodurch Israel seine Freiheit erhielt. Aber selbst wenn der Psalm späteren Datums wäre, wovon aber keineswegs klarer Be- weis vorhanden ist, gäbe er doch noch einen Grund an die — 218 — Hand, welcher von Anfang an für die Festsetzung der grofsen Wallfahrtsfeste auf den 15. des Monats von gleicher Wichtigkeit wäre, nämlich dafs es die Zeit des Vollmondes war. Die Zeit des Vollmondes empfahl sich selbst als die geeignetste Zeit, nicht dafs irgend welche abergläubische oder heidnische Vorstellungen mit unterlaufen wären, son- dern weil die Mondhelle das Reisen weit mehr begünstigte. Hier stehen uns jene mysteriösen Kapitel in dem letzten Teil der Weissagung Ezechiels entgegen, seine Vision von dem wiedererbauten Tempel, dem wiederhergestellten Ritual und dem unter die Stämme verteilten Land. Dies, sagt man uns, ist thatsächlich der erste Abrifs des levitischen Tempels. Ezechiel geht kraft seines prophetischen Amtes daran, die Funktionen eines Gesetzgebers hinsichtlich des Heiligtums und des Ritus auszuüben, wozu ihn vielleicht seine priesterliche Abkunft , wie auch seine priesterliche Erfahrung befähigten. Smend ^) behauptet: „Die entscheidende Wichtigkeit dieses Abschnittes für die Kritik des Pentateuchs wurde erst von George und Vatke erkannt. Er wurde ganz richtig der Schlüssel des Alten Testaments genannt. Er ist in der That nur verständlich als ein Mittelglied zwischen dem Deuteronomium und dem P. C. , woraus sich ergiebt, dafs letzterer exilischen oder nachexilischen Ursprungs ist. Die zwäschengliedliche Stellung nimmt er nicht gerade logisch, aber historisch ein. Die Umgestaltung des alten Israel in das moderne Judentum vollzieht sich hier vor unsern Augen; d. h. in diesem Falle vom Deuteronomium in den Priesterkodex." Er sucht im einzelnen nachzuweisen, dafs die Ceremonialvorschriften des Ezechiel jenen des levitischen Gesetzes vorausgegangen sein müssen; allein ') „Der Prophet Ezechiel" S. 312. — 219 — seine ganze Beweisführung beruht auf seinen eigenen Voraussetzungen und hat keine Beweiskraft, solange diese Voraussetzungen nicht als ganz gewifs erwiesen sind. Smend sagt: „Ezechiels Festgesetzgebung ist absolut unerklärlich, wenn er mit dem P. C. bekannt war; im Gegenteil, der letztere ist gerade auf Ezechiels Verfügungen aufgebaut." Indem wir dieses auf seine Richtigkeit prüfen, werden wir uns zuerst mit Smends Hypothese in ihren Grundzügen be- kannt machen. Ezechiel 45, 18 if. teilt das Jahr in zwei gleiche Hälften und beginnt jede Hälfte mit einem Sühn- opfer , das am ersten Tage des ersten und siebenten ') Monats dargebracht wurde. Jedem Sündopfer folgt 14 Tage später ein siebentägiges Passah und das Herbstfest. Von dem Fest der Wochen, das in allen andern Festgesetzen vorkommt, wird nichts erwähnt, vom achten Tag des Laub- hüttenfestes und von den Opfermahlen, die im Deutero- nomium eine so hervorragende Stellung einnehmen, findet sich ebenfalls nichts, sondern nur von Opfern, welche im Namen des ganzen Volkes nach den Vorschriften des levi- tischen Gesetzes dargebracht wurden, aber in den Einzel- heiten durchaus verschieden sind. Dieselben Opfergaben sollten an jedem Fest dargebracht werden: 1 junger Farren zum Sündopfer für den Fürsten und das Volk des Landes, und während der sieben Tage täglich 7 Farren und 7 Widder zum Brandopfer, und 1 Ziegenbock zum Sündopfer. Statt dessen schreibt Num. 28 für jeden Tag das Passah vor: 2 Farren, 1 Widder und 7 Lämmer zum Brandopfer und 1 Ziegenbock zum Sündopfer; und am Fest der Laub- hütten von 13 bis 7 Farren, 2 Widder und 14 Lämmer zum Brandopfer und 1 Ziegenbock zum Sündopfer. Ezechiel 1) Dies beruht auf der Voraussetzung eines Fehlers im Text von V. 20, wo statt „der 7. Tag des Monats" „der 1. Tag des 7. Monats" zu lesen ist. — 220 — sagt auch nichts von der Darbringung der Erstlinge von Garben und Broten und von den sie begleitenden Opfer- gaben, oder dem Wohnen in Zelten am Fest der Laub- hütten. Dies, behauptet man, sei ein ganz neuer Ausgangs- punkt und involviere eine grundverschiedene Auffassung der Feste von der ältesten Gesetzgebung, in welcher Festmahle und Privatopfer die Hauptsache bildeten. Ezechiel hat wie der P. C. nur an öffentlichen Gesamtopfern Interesse, wäh- rend er in den Einzelheiten seiner Vorschriften durchgängig vom P. C. abweicht. Warum, fragt man, hat denn Ezechiel nicht einfach die Bestimmungen des P. C. wiederholt, wenn er damit bekannt war, da dieser doch die Umgestaltung der Feste, welche Ezechiel zu stände bringen wollte, ganz ge- nau schon vollführt hatte? Warum weicht er fortwährend in nebensächlichen Einzelheiten ohne nachweisbaren Grund ab, während er in der Hauptsache durchweg übereinstimmt. Smend schliefst, dafs Ezechiel mit dem P. C. aus dem ein- fachen Grunde nicht bekannt gewesen sein konnte, weil derselbe noch nicht vorhanden war. Ezechiel leitete eine Bewegung ein, die im P. C. weiter geführt wurde; der P. C. ist einfach das Schema Ezechiels in ausgearbeiteter und modificierter Form. Dies Verfahren greift die ganze Sache am verkehrten Ende an. Die behauptete Umwand- lung des Modus der Festfeier von fröhlichen Opfermahlen in formelle, stehende, vorschriftsmäfsige Opfer, welche im Namen der ganzen Volksgemeinde gebracht wurden, ist eine reine Erdichtung. Wir haben bereits gesehen, dafs das levitische Gesetz freiwillige Opfer und festliche Opfermahle nicht ausschliefst, ebensowenig als das Deuteronomium öffentliche Gesamtopfer ausschliefst, und dafs diese Gesetze sich gegenseitig ergänzen und eins das andere voraussetzt. Obschon Ezechiel nichts vom Fest der Wochen sagt, be- hauptet Smend doch, dafs er nicht beabsichtigte, die Wall- — 221 — fahrten, welche das Deuteronomium auf jenen Tag an- ordnete, beiseite zu setzen. Thatsächlich giebt es da1)ei kein Passahlamm, aber Smend bildet sich ein, dafs die Erst- linge bei fröhlichen Mahlen gegessen werden sollten. Ganz dasselbe mag er von Lev. 23 und Num. 28 sagen, wo eben- falls von dem Passahlamm nichts gesagt ist, aus dem ganz begreiflichen Grund, weil es schon Exod. 12 angeordnet ist. Warum versetzt Ezechiel das Passah auf den 14., während das andere Fest am 15. Tage war, wenn nicht für die Feier des Passahlammes, welches als eine zu bekannte Sache vorausgesetzt ist, als dafs es noch besonderer Er- wähnung bedurft hätte? Der Entwurf Ezechiels ist viel einfacher und weit weniger verwickelt als das levitische Gesetz, besonders in Hinsicht auf die Opfertiere, aber wer vermag aus diesem Grunde zu sagen, welches die erste und welches die zweite Skizze ist? Ein Revisor kann ebensogut vereinfachen als verwickeln und weiter aus- arbeiten. Das Alphabet ist viel weniger kompliciert als Hieroglyphen. Sicherlich zeigte Ezechiel die Neigung zu vereinfachen, indem er den alten Cyklus der drei Feste auf zwei zurückführt. Warum soll er beim Ceremoniell der Feste nicht auch dasselbe haben thun wollen? Warum, fragt man, weicht Ezechiel in solchen un- bedeutenden Kleinigkeiten ohne denkbaren Grund fort- während vom levitischen Gesetz ab? Es ist ebenso leicht diese Frage umzukehren, als es schwierig ist, dieselbe zu beantworten; warum sollte der P. C. in diesen gering- fügigen Dingen von Ezechiel abweichen, nachdem Ezechiel auf ausdrückliche Ermächtigung von Gott das Gesetz er- lassen hatte? Ezechiels ganzer Entwurf ist ideal. Er wurde in keinem einzigen Fall buchstäblich befolgt. Der Tempel wurde nicht nach seinen Vorschriften wieder er- baut. Das Ceremoniell wurde nicht nach seinen Verord- — 222 — niingen erneuert. Das Land wurde nicht nach seinen Ge- setzen verteilt. Diese Unwülfährigkeit von Seiten derer, wel- che ihn als Propheten des Herrn hochachteten, zeigt, dafs sie seine Worte nicht als Befehle verstanden, welche hätten ausgeführt werden müssen, sondern als ein idealisierendes Bild der Zukunft, das Gott der Herr verwirklichen werde. Ezechiels Abrifs sollte so wenig zum bestimmenden Führer im Werk der Restauration dienen, als Jeremia ol, 08 — 40 in der Wiederaufrichtung der Mauern von Jerusalem be- folgt werden, oder als nach Sacharja 2, 4 die Einreifsung dieser Mauern befohlen sein sollte. Beim Ausgehen vom levitischen Gesetz, worauf oben Bezug genommen, mag auf der einen Seite der Gedanke zu Grunde gelegen haben, dafs das Ceremoniell nicht als etwas durchaus Vollkommenes und als ein noli me tangere für alle Zeit angesehen werden solle, und auf der andern Seite dürften offenbare Unmöglich- keiten, die sich ebenfalls in dem von ihm gezeichneten Bilde finden, andeuten, dafs dasselbe solange wenigstens nicht realisiert werden solle, als das mosaische Gesetz in Kraft war. Es konnte nie ein Zweifel über die richtige Antwort auf die Frage herrschen, ob deren Befolgung der Vision Ezechiels oder den Statuten Mosis auf Rechnung zu schreiben sei. Das letztere war Gesetz und das erstere war ein Bild der Zukunft, das in mancher Hinsicht ver- wickelte Schwierigkeiten gemacht haben mag, aber es war nicht Regel und Richtschnur für das Leben des Volkes. Wir haben uns nun in jeder Ecke nach dem ver- sprochenen Beweis einer historischen Entwicklung des Passahfestes umgesehen, aber wir sind nicht imstande ge- wesen, denselben zu entdecken. Dr. Delitzsch,^) der die progressive Entwicklung der Feste bis zu einem gewissen 1) Riehms „Handwörterbuch des biblischen Altertums" Art. Passah. S. 1142. — 223 — Grad befürwortet, läfst sich dennoch folgendermafsen aus: „Bei der Rekonstruktion des Entwicklungsganges sind wir gänzlich auf den Pentateuch angewiesen; die historischen Bücher geben uns keinen gewissen Aufschlufs, denn die Praxis hat sich in keiner Zeit sklavisch an den Buchstaben des Gesetzes gebunden und infolge dessen kann kein hin- reichender Beweis für das Vorhandensein oder Nicht- vorhandensein gesetzlicher Bestimmungen aus der Geschichte geschöpft werden." Wir haben das Gebiet der Kritiker hinsichtlich des Passah durchforscht. Mit detaillierter Genauigkeit haben wir nicht nur alle Verschiedenheiten und Widersprüche, welche in der Geschichte der Einsetzung des Passah Exod. 12 und 13 sich finden sollen, geprüft, sondern auch alle Beweisgründe, welche für die Zusammenschweifsung zweier oder mehrerer Berichte beigebracht werden, deren einander widersprechende Darstellungen die ganze Erzählung un- glaubwürdig machen sollen. Allein wir haben nichts ge- funden, das wider die Einheit der Autorschaft noch wider die Glaubwürdigkeit des Berichtes stritte. Wir haben die gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen Festgesetze aufeinander wie auf den gesamten Körper der Gesetz- gebung, in welchen dieselben eingekleidet sind, sorgfältig untersucht und haben gefunden, dafs dieselben, anstatt unterschiedene und für sich bestehende Gesetze zu sein, welche in ihrer Anordnung sich widersprechen und ver- schiedene Stufen der Entwicklung der Passaheinrichtung darstellen, vielmehr in schönster Harmonie miteinander stehen und thatsächlich einander voraussetzen oder ergänzen. Wir haben stufenweise alle Einzelheiten untersucht, welche von den Kritikern zum Nachweis für die Weiterbildung des Passah an den verschiedenen Gesetzen benützt werden, ebenso die ursprüngliche Selbständigkeit und erst später — 224 — erfolgte Verbindung von Passali und dem Fest der un- gesäuerten Brote; den Übergang von einem Fest der Erst- früclite und Erstlinge in eine gescliiclitliclie Gedächtnisfeier; von einem beweglichen Feste, das durch die wechselnde Erntezeit bestimmt wurde, in ein Fest, dessen Feier auf einen bestimmten Monatstag festgesetzt war; ferner auch die behaupteten Veränderungen im Ritual und hauptsächlich die Umwandlung der freiwilligen Privat- und Familienopfer in öflfentliche Gesamtopfer, welche mit unterscliiedsloser Einerleiheit vorgeschrieben waren; von einer Festfeier am nächsten Heiligtum in eine Festfeier am Nationalheiligtum — aber einen Beweis für eine solche Entwicklung haben wir nirgends gefunden; weder in den Gesetzen noch in der Geschichte ist ein solcher vorhanden. Selbst die geheimnis- volle Vision Ezechiels ändert an dieser Sachlage nichts. Da somit gar kein triftiger Grund vorhanden ist, die alte und wohlbezeugte Auffassung von dem Passah preis zu geben, so bleiben wir mit gutem Recht bei unsrer Über- zeugung, dafs das Passah von Anfang an gewesen ist, was es nach der Geschichte seiner Einsetzung sein sollte, und was es nach den verschiedenen mosaischen Gesetzen sein mufste. VII. Das Fest der Wochen. Das zweite Fest im jüdischen Cj^klus wird Exod. 23, 16 „das Fest der Einsammlung" genannt. Es erscheint am Ende der Ernte, wie das Fest der ungesäuerten Brote am Anfang derselben, und wurde in dankbarer Anerkennuno- der Güte Gottes gefeiert, die er in der Segensfülle der Ernte kund gethan hat. Exod. 34, 22; Deut. 16, 10 wii'd es „das Fest der Wochen" genannt, weil es sieben Wochen nach dem Passah statt fand. Num. 28, 26 heifst es „der Tag der Erstlinge", weil an diesem Tag am Heiligtum Brot dargebracht wurde, das aus den Erstlingsgarben der Weizenernte bereitet war. Bei uns ist es unter seinem griechischen Namen „Pentekost" = Fünfzig, Pfingsten weit bekannter. Diesen Namen trug es, weil zwischen ihm und dem vorhergehenden Fest ein Zeitraum von 50 Tagen liegt. Im Neuen Testament ist es mit der Ausgiefsung des hei- ligen Geistes und der ersten Einsammlung in die christliche Kirche, den Erstlingen der grofsen Ernte der Welterlösung verbunden. Dieses Fest wurde von den Juden auch m5iy heilige Versammlung genannt. Josephus, der dieses Faktum er- wähnt, Antiqq. III. 10. 6, verrät die erstaunlichste Un- wissenheit im Hebräischen, indem er sagt, das Wort be- deute „Fünfzig", denn es hat auch keine Spur von Ver- Ureen, Die Feste der Hebräer. 15 — 226 — wandtschaft mit jener Zahl. Wellhausen ^) macht mit mehr geistreicher Kühnheit als gesundem Menschenverstand eine verschiedene Anwendung des Namens „Fest der Wochen" in Exod. 34, 22. Nach seiner kritischen Hypothese ist Vers 18, der von dem Fest der ungesäuerten Brote spricht, kein ursprünglicher Teil des Textes, sondern ist aus Kap. 23, 15 entnommen. Dieses ausgeschlossen findet er in Vers 22^) alle drei Feste zusammen erwähnt, „das Fest der Wochen," „der Erstlinge der Weizenernte" und „das Fest der Einsammlung". Das Fest der Wochen ist nach ihm der gemeinsame Name für das erste und zweite Fest, oder besser für die ganze fi-öhliche Periode der Ernte, die zwischen beiden eingeschlossen lag, die nur am Anfang und Ende in besonderer Weise gefeiert wurde. Die Behauptung, dafs der Text eine Korrektur erfordere, weil die Verse 19 — 21, wie sie jetzt stehen, den Zusammenhang verderben, ist zwar auf den ersten Blick plausibel, aber nicht stich- haltig. Der Befehl, die drei jährlichen Feste zu feiern, anstatt zusammenhängend gegeben zu sein, wie in 23, 15. 16, und wie man natürlicherweise erwarten möchte, ist durch die Einfügung eines andern Subjekts unterbrochen. Erst in V. 18 wird der Befehl gegeben, das Fest der un- gesäuerten Brote zu halten. Dann folgt ein Gesetz von der Heüigung der Erstgeburt V. 19, 20 und von der Heili- gung des Sabbaths V. 21. Hierauf erst folgt der Befehl, die übrigen zwei Feste zu begehen V. 22. Diese Versetzung, sagt man, sei das Werk eines unwissenden Interpolators, welcher, ohne die Aufzählung aller Feste in V. 22 zu 1) „Geschichte Israels" S. 89. 2) In den „Jahrbüchern für deutsche Theologie" 1876, S. 554 be- handelt er V. 18 als echt und wirft V. 22 aus dem Texte aus, aber einem Kritiker ist es ja erlaubt, seinen Sinn zu ändern, so oft es ihm gefällt. — 227 — merken, der vermuteten Auslassung durch Einscliieben von V. 18 einer besonderen Anordnung, das Fest der unge- säuerten Brote zu halten, steuern wollte. Allem die Heili- gung der Erstgeburt war durch eine sehr natürliche Ver- bindung mit dem Fest der ungesäuerten Brote vereinigt, denn beide werden gleichheitlich auf die letzte Plage in Ägypten zurückgeführt, und daher sind sie gleichartig in andern Gesetzen zusammengestellt. Dafs das Sabbathgesetz durch eine ähnliche Verbindung eingeführt wird, geschieht offenbar aus dem hier angegebenen Grund zur Feier: „Am 7. Tage sollst du feiern, beides mit Pflügen und mit Ernten." Gewifslich ist es eine Abschweifung, aber es ist als solche leicht erklärbar; und wenn V. 18 eine Interpolation wäre, müfste doch erst noch erklärt werden, dafs sie nicht in unmittelbarem Zusammenliang mit den übrigen Festen ein- geschoben, sondern in solcher Entfernung angebracht ist. Das würde eben so schwer zu erklären sein, als dafs es ursprünglich geschrieben worden war, wie es jetzt steht. Hitzig^) zieht aus dieser Verschiedenheit der Namen und einigen scheinbaren Widersprüchen in den gebrauchten Ausdrücken hinsichtlich dieses Festes sehr bemerkenswerte Schlüsse. Exod. 23, 16 wird es „das Fest der Erstlings- ernte deiner Früchte, wenn du deine Arbeit eingesammelt hast, die du auf deinem Felde gesäet hast", genannt. Da nun Gerste das frühreifste von allem Getreide ist, schliefst er, dafs das Fest hier am Anfang der Gerstenernte steht, während das Fest der ungesäuerten Brote nach seiner Hypothese, wovon schon früher die Eede war, am Neu- mond des Abib oder am ersten Tag jenes Monats gefeiert wurde. Exod. 34, 22 wird es „das Fest der Wochen mit den Erstlingen der Weizenernte" genannt; und dem- entsprechend wurde es von der Ersternte der Gerste in 1) „Ostern und Pfingsten im zweiten Dekalog" 18.38. 15* — 228 — die spätere des Weizens umgesetzt. Die Bezeichnung „Fest der Wochen" wird dahin erklärt, als bedeute es so viele Tage, als das Mondjahr Wochen hat, nämlich 50 Tage, vom vorausgehenden Feste an gerechnet, das noch auf den ersten Tag des Monats Abib fiel. Deut. 16, 9. 10 werden die 7 Wochen bis zu diesem Fest nicht mehr vom ersten des Monats Abib an gerechnet, sondern „vom Anhieb der Sichel in die Saat" ; dadurch wird es noch später und auf die Zeit verlegt, wo es in der Folge blieb, an das Ende der Weizenernte. Allein das Wort „Erstlingsfrüchte" D''~'13D, das hier gebraucht wird, bezeichnet nicht das Getreide, das am frühsten reif war, in welchem Fall es in sich schliefsen würde, dafs das Fest auf den Anfang statt auf das Ende der Ernte fiel. Die Zeit für fröhliche Anerkennung und Danksagung ist natürlicher am Ende der Ernte, wenn die Früchte erfolgreich aufgespeichert sind, als am Anfang, wenn noch allerlei Möglichkeiten und Zufälle die Aussichten trüben können. Dies scheint sich auch aus der Analogie des folgenden I^estes zu ergeben, dem Fest der Ein- sammlung, das gefeiert wurde, nachdem die Früchte ein- geheimst waren. Dasselbe Wort oniDD Erstlingsfrüchte ist Lev. 23, 17 von Webebroten gebraucht, die nach der Ernte dem Herrn dargebracht wurden, und ist ein ganz anderes Wort als das, das V. 10 von Erstlingsgarben n''irt) Aufser wenn behauptet wird, dafs der Verfasser von Lev. 23 beabsichtigte, dafs „der Sabbath" in dem Zusammenhang, in den er ihn brachte , seine Erklärung in dem Passah des vorhergehenden Ab- schnittes finden sollte, in welchem Fall der erbrachte Beweis, dafs V. 9—22 ursprünglich zu diesem Kapitel gehört, nichtsdestoweniger den vermeintlichen Beweis über einen Wechsel in der Zeit der Feste vollständig entkräftet. — 245 — genützt wird, dafs er sonst irgendwo hingehöre, ist im Gegenteil ein Hinweis auf den bestimmten Plan, welchen der Verfasser verfolgte. Ein vollständiges Detail über den Modus der Passahfeier hat er in Exod. 12 und 13 gegeben, und ebenso über den grofsen Versöhnungstag Lev. 16. Folglich kann darüber mit ein paar allgemeinen Sätzen hinweggegangen werden. Aber über das Ritual des Ernte- festes, oder über den Modus der Feier des Laubhütten- festes hat er in keiner Weise sich ausgesprochen. Deshalb verbreitet er sich über diese zwei Punkte sehr ausführlich. Die Thatsache, dafs er dieses thut, statt den Verdacht zu erregen, dafs diese Abschnitte aus einer andern Quelle ent-- lehnt seien, bestärkt die Überzeugung, dafs es durchgängig ein- und derselbe Verfasser ist. 3. Die auffallende Ähnlichkeit im Ausdruck und der Form des Gedankens zwischen diesen beiden Abschnitten und Kapitel 25, welches offenbar eine Fortsetzung von Kapitel 23 ist und von den Kritikern auch demselben Ver- fasser zugeschrieben wird, zeigt, dafs dieselben einen Verfasser haben müssen, und infolgedessen gehört der in Frage stehende Abschnitt eben in den Kontext, in dem er sich befindet. Beide beginnen mit derselben Einleitung 23, 9. 10; 25, 1. 2. „Und der Herr redete mit Mose und sprach: Sage den Kindern Israel und sprich zu ihnen" etc. Dann folgt die merkwürdige Übereinstimmung der Ernte- dauer von 50 Tagen 23, 15. 16 mit der Dauer des Jobel- jahrs von 50 Jahren 25, 8, indem in dem einen Fall sieben Sabbathe gezählt werden bis zu dem Morgen nach dem Sabbath, in dem andern Fall sieben Sabbathjahre bis zu dem folgenden Jahre. Das eine ist eine Anerkennung von Gottes Eigentumsrecht an die Ernte durch Darbringung der Erstlingsgarbe und der ersten Brote von den ersten Früchten, das andere ist eine Anerkennung von Gottes — 246 — Eig-entumsrecht an das Land durch Darbringung des ganzen Ertrags im Sabbathjahr und des Landes selbst durch Rückfall an die ursprünglichen Besitzer im Jobeljahr. Beides mufs aus derselben Quelle und derselben Vorstellung ent- sprungen sein, wie auch die gebrauchten Ausdrücke ganz dieselben sind. Alles Belege für die Identität der Abfassung. 4. Num. 28 und 29 ist offenbar auf Lev. 23 basiert, und Num. 28, 26 weist deutlich auf den Inhalt von Lev. 23, 15 ff. hin und würde ohne dasselbe ganz unverständlich sein. Dies zeigt wiederum, dafs es an seinem rechten Platze steht. 5. Lev. 23, 22, wogegen ganz besonders Einsprache erhoben wird, ist nur eine Wiederholung von 19, 9. 10, welches hier zu einer ganz natürlichen Verbindung des Zusammenhangs wiederholt ist. Somit kann dieser Abschnitt nicht aus seinem gehörigen Zusammenhang herausgerissen werden, wie George thut. Der Ausdruck „am Morgen nach dem Sabbath" , der uns zui' Betrachtung vorliegt, mufs seine Erklärung in dem linden, was gerade zuvor in Bezug auf das Passah gesagt ist. Hitzig^) giebt sich Mühe, nach seiner eigenen Weise eine Erklärung zu finden. Er behauptet, dafs nach der jüdischen Rechnung der erste Tag des Jahres nicht nur der erste Tag des ersten Monats, sondern auch der erste Tag der Woche zugleich war, so dafs der siebente Tag des ersten Monats immer ein Sabbath war. Nach Ezechiel 45, 20 wird deshalb auch für diesen Tag ein specieller Opferdienst angesetzt. Der vierzehnte Tag, an welchem das Passah geschlachtet wurde, würde dann ebenfalls ein Sabbath sein, und da der fünfzehnte oder der erste Tag der ungesäuerten Brote durch Enthaltung von der Arbeit „Ostern und Pfingsten" 1837. — 247 — und diircli eine heilige Versammlung zu heiligen geboten war, kamen hier zwei Sabbathe zusammen, ein Wochen- sabbath und ein Festsabbath, und dies war nach seiner Meinung der Grund, warum das Passah „zwischen Abend" geschlachtet werden mufste, in jener zweifelhaften Zmschen- zeit, die strenge genommen zu keinem dieser zwei Tage gehörte, sondern zwischen beiden lag. Das Deuteronomium aber, das die Feste nicht auf besondere Tage des Monats oder der Woche festsetzt, läfst diesen eigentümlichen Aus- druck fallen und bestimmt, dafs das Lamm geschlachtet werden soll: „des Abends, wenn die Sonne untergeht". Es war befohlen, am Passah sieben Tage lang ungesäuertes Brot zu essen; am 7. Tag war eine heilige Versammlung und aUe Dienstarbeit war verboten; dann am „Morgen nach dem Sabbath" mögen sie Brot essen Lev. 23, 14, d. i. gewöhnliches gesäuertes Brot. Der siebente Tag des Festes, welches der 21. des Monats wäre, und der Sabbath, auf den Bezug genommen, sind daher identisch. Von hier wird gezählt bis auf Pfingsten, welches als der Tag nach dem siebenten Sabbath immer der erste Tag der Woche sein würde. Josephus Antiqq. XIII, 8, 4 erwähnt, dafs im Krieg wider die Parther das Pfiugstfest gleich auf den Tag nach dem Sabbath folgte, was eine zweitägige Rast für die Armee veranlafste. Hitzig fragt: Wie konnte Josephus von dieser Thatsache wissen und sich darüber aussprechen, wenn das Pfiugstfest nicht immer auf den Tag nach dem jüdischen Sabbath fiel? Auf dieser Grundlage unternimmt er es, den rätselhaften Ausdruck „Aftersabbath" Luk. 6, 1 zu erklären, worunter er den ersten Tag der ungesäuerten Brote versteht. Nach seiner Hypothese fiel dasselbe immer nach einem Wochensabbath und war so selbst ein zweiter Sabbath, während es zu derselben Zeit in Bezug auf den 7. Tag des Festes, welches gleichfalls — 248 — ein Sabbath war, der erste Sabbath war. Es war zweiter Sabbath in einer Hinsicht und erster in einer andern Hin- sicht, daher also ein Aftersabbath , zweiterster Sabbath (second-flrst englisch). Hitzig läfst die Garbe der Erstfrüchte auf den 22. des Monats dargebracht werden, was gänzlich aufserhalb der Bestimmungen des heiligen Festes ist. Mit ihm stimmt Kayser^) überein. Knobel und Kurtz^) suchen dies zu be- richtigen, während sie dieser Hypothese in anderer Weise zustimmen, indem sie diesen Tag eine Woche früher setzen. Sie vermuten, dafs der Sabbath der 14. des Monats sein sollte, und dafs die Garbe am 15. oder am ersten Tag der ungesäuerten Brote dargebracht wurden. Wie diese Hypothese auch immer modificiert werde, sie geht an üirer eigenen hülflosen und unhaltbaren Annahme zu Grunde, dafs nämlich der erste Tag des Jahres immer auch der erste Tag der Woche gewesen sei. Dies würde immer am Ende des Jahres eine angebrochene Woche übrig lassen und mit dem vierten Gebot in Widerspruch stehen. Es widerspricht ebenfalls Exod. 12, 16; Lev. 23, 8, denn obgleich der 7. Tag der ungesäuerten Brote nach dieser Hypothese ein Wochensabbath war, waren nur Dienst- arbeiten verboten, aber gewisse Arten von Arbeit gestattet. Nach den Baithosäern ^) oder Karaiten ist der in Frage stehende Sabbath „der Sabbath der Schöpfung" oder der regelmäfsige Wochensabbath, der in das Fest fiel, gleich- viel auf welchen Tag der ungesäuerten Brote er fallen mochte; und Wellhausen*) und Dillmann finden dies mit ^) „Das vorexilische Buch" S. 74. 2) „Der Alttestamentliche Opferkultus" S. 308 f. «) Lightfoot 'Hebrew and Talmudical Exercitations' on Luke 6, 1 and Acts 2, 1. ■*) „Zeitschrift für deutsche Theologie" XXII, S. 433. — 249 — den spraclilichen Ausdrücken in schönster Übereinstimmung. Allein es ist schwer einzusehen, warum die Darbringung der Garbe durch den Wochensabbath reguliert werden sollte, mit dem sie doch gar keinen Zusammenhang hat, während es doch ganz natürlich wäre, wenn die Ceremonie zu einer besonderen Zeit des Festes stattfinden würde. Ebenso läfst sich noch der Einspruch erheben, dafs, wenn der Sabbath immer auf den letzten Tag der ungesäuerten Brote gefallen wäre, die Erstlingsgarbe nicht dargebracht worden sein würde, bevor das Fest schon vorüber ge- wesen wäre. Die traditionelle Auslegung, welche gewifs eben so alt ist wie die Septuaginta und aufserdem von Josephus, Philo und der Sitte des zweiten Tempels verbürgt wird, versteht unter dem „Sabbath" den ersten Tag der ungesäuerten Brote, der als Festsabbath gefeiert wurde; hienach würde die ErstKngsgarbe am 2, Tag des Festes dargebracht worden sein. Damit stimmt Josua 5, 11 überein, wo uns berichtet wird, nachdem die Kinder Israel zu Gilgal am Passah teilgenommen hatten, „afsen sie vom Getreide des Landes am andern Tag des Passah, ungesäuertes Brot und Sangen, eben desselbigen Tages." Die Beziehung auf das Passah ist hier ganz klar, und es ist offenbar, dafs das Volk nach den Bestimmungen desselben sich richtete. Sie hielten das Passah am Abend des 14. Tages im Monat, ganz genau wie es das Gesetz Lev. 23, 5 verlangte. Zuvor wurden alle diejenigen beschnitten, an welchen dieser Kitus in der Wüste nicht vollzogen worden war, ganz in Übereinstimmung mit dem Gesetz Exod. 12, 48: „Kein Unbeschnittener soll davon essen." Das Brot, das sie afsen, war nach dem Gesetz Lev. 23, 6 ungesäuert. Es war nun nach Josua 3, 15 „die Zeit der Ernte" , aber sie entliielten sich vom Genufs der Produkte des Landes „bis zum Morgen nach — 250 — dem Passall", da sie frei und imgehindert davon genossen „an eben demselbigen Tage". Es ist ganz klar, dafs dies ihre Auslegung des Gesetzes ist Lev. 23, 14, welches ihnen verbot „neues Brot, noch Sangen, noch Korn zu essen bis auf denselbigen Tag", dafs sie die Darbringung der Erst- lingsgarbe „am Morgen nach dem Sabbath" machten. „Der Morgen nach dem Sabbath" wird auf diese Weise durch die Praxis der Greneration erklärt, die unter Josua im Lande Kanaan einzog, nämlich dafs es bedeutete „der Morgen nach dem Passah". Aber, sagen Kurtz und Knobel, sie afsen das Passah am Abend des 14., und der Morgen nach dem Passah mufs, Avie Num. 33, 3 auch derselbe Ausdruck gebraucht ist, der 15. gewesen sein oder der erste Tag der ungesäuerten Brote, welches nach der Tradition der Sabbath ist, auf welchen im Gesetz Bezug genommen, und nicht der Morgen nach dem Sabbath, welches der folgende Tag, der 16. des Monats, wäre. Diese Schwierigkeit scheint die Übersetzer der autorisierten^) Version''^) in Verlegenheit gebracht zu haben, welche, damit nicht der Sinn herauskomme, die Kinder Israel hätten einen Tag früher, als es das Gesetz erlaube, von der neuen Ernte gegessen, hier übersetzt haben: „Sie afsen vom alten Getreide des Landes" (Josua 5, 11), wo es nach dem Urtext einfach lautet : „und sie afsen vom Erzeugnis des Landes" mit offenbarer Anspielung auf die eben geernteten Früchte. Alle diese Schwierigkeiten ergeben sich aus der Zwei- deutigkeit des Ausdrucks: „Jenseits des Jordan." Dies 1) Unter der autorisierten Version ist die unter König Jakob I. von 47 Revisoren besorgte Übersetzung zu verstehen, die 1611 heraus- gegeben und autorisiert wurde. Anm. d. Übers. 2) Die britischen Revisoren haben gleichfalls „altes Getreide" im Text stehen lassen, wofür d«r Anhang „Erzeugnis" substituiert. — 251 — kann beide Seiten des Flusses bedeuten, jenseits des Jordan östlich, wie Josua 1, 15, oder jenseits des Jordan westlich, Jos. 5, 1. Wenn ein Mensch kurz nach Mitternacht am Dienstag: „Morgen" sagt, kann er ja den Mittwoch meinen, insofern es noch nicht Tag geworden ist, oder er kann den Donnerstag meinen, da nach der bürgerlichen Zeitrechnung der Mittwoch bereits begonnen hat. In gewissen Teilen Neuenglands hat früher der Brauch bestanden, den Sonntag mit Sonnenuntergang des Samstag beginnen zu lassen; alle weltlichen Beschäftigungen und Vergnügungen hörten dann auf, und der heilige Ruhetag dauerte bis zum nächsten Sonnenuntergang, welcher den Montag anmeldete und damit den Übergang bildete in die gewöhnliche Werktagszeit. Es ist leicht zu begreifen, dafs dadurch eine Zweideutigkeit in dem G-ebrauch des Wortes „morgen" entstehen konnte. Im Schatten des Abends, nach welchem der Sabbath begonnen hatte, kann es den Tag bedeuten, welcher dem Sabbath folgt, nämlich den Montag oder den Tag, welcher der eben eingebrochenen Nacht folgt, nämlich den Sonntag. In die- selbe Zweideutigkeit versetzt uns der am Sonntag Morgen ausgesprochene Ausdruck: „Die nächste Woche"; die Werk- tagszeit der Woche hat noch nicht angefangen, so mag die Beziehung auf die unmittelbar folgenden Tage gehen, oder, da in dem strengen Sinn der Zeitrechnung die Woche bereits begonnen hat, mag die ins Auge gefafste Periode sieben Tage später sein. So wurde das Passah am Abend des 14. gefeiert; aber jener Abend war zugleich der An- fang eines andern Tags, der bis zum folgenden Abend dauerte. Also kann auch „der Morgen nach dem Passah" den 15. des Monats bedeuten wie in Num. 33, 3, kann aber auch mit ganz gleicher Berechtigung den 16. des Monats bezeichnen, wie in Josua 5, 11 geschieht, was in vollständiger Übereinstimmung steht mit dem Gesetz nach — 252 — seiner traditionellen Auslegung, und erfordert weder eine gewaltsame Interpretation noch eine phantastische und grundlose Hypothese. Aber kann der erste Tag der ungesäuerten Brote blofs auf Grund der Thatsache, dafs alle Dienstarbeit verboten und eine heilige Versammlung geboten war, ein „Sabbatli" genannt werden, in dem Sinn wie der Ausdruck hier ohne begriffliche Begrenzung gebraucht ist? Man sagt uns, dafs ein festlicher Ruhetag ein Sabbathon oder ein Sabbath Sabbathon genannt werden kann, aber nicht einfach ein Sabbath. Allein gerade in demselben Kapitel Lev. 23, 32 lesen wir vom Versöhnungstag: „Ein Sabbath Sabbathoii (ein Ruhetag der Ruhe) soll er euch sein" „von Abend bis Abend sollt ihr ruhen euren Sabbath." Das Sabbathjahr wird ein Sabbathon genannt Lev. 25, 5; ein Sabbath Sabbathon 25, 4 und wiederholt ein Sabbath 25, 2. 4. 6. 8; 26, 34. 35. 43. Der Wochensabbath wird Sabba- thon Sabbath genannt Exod. 16, 23 und Sabbath Sabbathon Exod. 32, 15 ; 35, 2 ; Lev. 23, 3 ebensowohl als auch ein- fach Sabbath. Der vorherrschende Gebrauch von Sabbathon für festliche Ruhetage Lev. 16, 31 ; 23, 24. 39 ist deshalb kein Grund, solche Ruhetage nicht einfach Sabbath nennen zu können, ohne dieselben mit dem eigentlichen Sabbath zu verwechseln. Allein da beide Tage der ungesäuerten Brote, der 1. und der 7., als Sabbathe gefeiert wurden, sucht Kliefoth') zu beweisen, dafs der letztere V. 8 eher gemeint sein müsse in Lev. 23 , 11 als der erstere V. 7 , welcher entfernter liegt ; und Hupfeld ^) fügt hinzu, dafs nach der traditionellen Auslegung die Ernte in den Festtermin fallen, und die Er- laubnis vom neuen Getreide zu essen in Konflikt geraten 1) „Die ursprüngliche Gottesdienstordnung" I. S. 146. -) De primitiva et vera festorum ratione" Pars IT. p. 4. — 253 — würde mit dem Verbot des Gesäuerten. Allein die aus- gezeichnete Bedeutung des ersten Tages als der Grund- lage des ganzen Festes läfst denselben mit Nachdruck als den Sabbath erscheinen. Die einfachste Erklärung für die Heimkehr erlaubnis am Tage nach dem Passah ist der Reife - zustand der Ernte. Die erlaubte Abwesenheit beim Cere- moniell der Ei'stlingsgarbe , welche Kurtz für unmöglich hält, ist ebenso leicht erklärbar als die Abwesenheit bei der heiligen Versammlung, während die Aufschiebung der Ceremonie bis nach dem Ende des Festes ganz unangemessen gewesen wäre. Das Verbot, vor dem Fest Brot zu essen von der neuen Ernte, was in manchen Jahren möglich ge- wesen sein mag, ist gewifslich keine Sanktionierung des Gebrauchs von Gesäuertem, nachdem das Fest begonnen hatte, vgl. Josua 5, 11. Dafs das hebräische Wort „Sabbath" im Sinn von „Woche" gebraucht werden kann, mag abgesehen von diesem Abschnitt am Chaldäischen , Syrischen und Griechi- schen des Neuen Testaments verstanden werden. Lukas 18, 12 sagt der Pharisäer: „ich faste zweimal in der Woche" vi^oreva} öig rov oaßßürov. Ebenso Matth. 28, 1: „aber als die Woche (Sabbath) um war und der erste AVochentag anbrechen wollte," 'Oi/zt de oaßßürcov, rfi smcfcoaxovaj^ fig (.liav oaßßÜTcov. Ferner kann es illustriert werden durch das Wort uhn, welches zwar in erster Linie „Neumond" bedeutet, aber nicht nur für die Zwischenzeit von einem Neumond zum andern gebraucht wird, sondern auch für „Monat", gleichviel zu welcher Zeit derselbe anfängt. Sieben Sabbathe zählen ist daher gleichbedeutend mit sieben Wochen zählen, und der Morgen nach dem 7. Sabbath ist derselbe Tag, als der folgende Tag nach der 7. Woche. Lightfoot') erklärt das SsvxeQonoMTU) {rsußßäxui) Luk. 1) „Exercitations" on Mat. 12:1. — 254 — 6, 1 nicht als „der zweite Sabbath nach dem ersten", son- dern „der erste Sabbath nach dem zweiten", nämlicli der erste der sieben Sabbathe, der auf den zweiten Tag- der ungesäuerten Brote folgt, von dem ab die 50 Tage bis auf Pfingsten gezählt wurden. Der „Morgen nach dem Sabbath", an dem die Garbe vor dem Herrn gewoben wurde, Lev. 23, 11, bestimmt nur genauer, was in Deut. 16, 9 in dem allgemeinen Ausdruck ausgesprochen ist: „Beim Anhieb der Sichel in die Saat." In beiden Fällen ist dieselbe Zeit gemeint, und in der Fest- periode ist keine Änderung eingetreten. Ebenso fand keine Änderung in der Festdauer statt. Thatsächlich wird in den späteren Zeiten der Periode der Zerstreuung Erwähnung gethan, dafs Juden fern von Pa- lästina zwei Tage festlich begingen statt einen, aus Un- gewifsheit über den eigentlichen Tag, da der Kalender nach dem Eintreten des Neumonds zu Jerusalem sich rich- tete. Dies kann aber sicherlich nicht als Beweis für die Tendenz, die Feste zu verlängern, angeführt werden; zu- dem liegt es dem uns vorliegenden Gegenstand gänzlich fern, da es ganz und gar der nachbiblischen Zeit angehört. Auch im Kitual kann keine Veränderung nachgewiesen werden; Exod. 23, 19 und 34, 36 verbinden damit die Dar- bringung der Erstlingsfrüchte. Deut. 16, 10 f. verordnet ein freiwilliges Opfer an einem fröhlichen Fest, Lev. 23, 16 ff. schreibt das Webeopfer von zwei Brotlaiben mit begleitenden Opfern vor, nicht wie George es erklärt, zwei Brotlaibe von jedem Haus, welches milde ausgedrückt, die Priester niemals zu verwenden imstande gewesen wären, sondern zwei Laibe, wie sie in ihren Häusern in gewöhn- lichem Gebrauch gewesen sind, im Namen des ganzen Volkes. Num. 28, 26 f. giebt dann eine Verordnung über die eigent- — 255 — liehen Festopfer. Aber wie wir beim Passah schon gesehen haben, schliefsen sich beide nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen einander. Ein Übergang von Privatopfern in der alten Zeit in öifentliche Gemeindeopfer in der spätem Zeit hat nicht stattgefunden. Beide Opferformen waren von Anfang vorhanden und scharf voneinander getrennt. Die eine Opferart ist genau beschrieben als eine selbstverständ- liche Sache, während die andere in das freie Belieben der Opferer gestellt ist. Aber jedes Opfer hatte seinen ent- sprechenden Platz und konnte nur in seiner Reihenfolge dargebracht werden. Der behauptete Widerspruch zwischen den befohlenen Opfern auf diesen Tag Lev. 23 und Num. 28 ist nicht vor- handen, denn beide wurden dargebracht, sind aber nach Bestimmung und Charakter ganz unterschieden. Das eine ist eine einfache Beigabe zu den Brotlaiben und aus diesem Grunde nur in Lev. 23 angegeben, welches aber in keinem Fall die eigentlichen Festopfer nennt. Die letzteren sind Num. 28 gegeben, wo die Opfer für diesen Festtag als solchen vorgeschrieben werden, und diese sind genau die- selben, wie sie für jeden Tag der ungesäuerten Brote be- fohlen sind. Auch eine Verlegung dieses Festes von den Lokal- heiligtümern nach dem Centralheiligtum hat nicht statt- gefunden, wofür dieselben Beweisgründe wie beim Passah gelten. Die allererste Beziehung auf dieses Fest schliefst dessen Begehung an einer Lokalität und einem centrali- sierten Kultus ein. Exod. 23 und 34 verordnen nicht nur drei Wallfahrten im Jahr, da alle Mannsbilder vor dem Herrn erscheinen sollen, sondern bestimmen auch mit be- sonderer Bezugnahme auf dieses Fest: „Das Erstling von der ersten Frucht auf deinem Felde sollst du bringen in das Haus des Herrn deines Gottes." — 256 — Die Berufimg- auf die Geschichte zur Stützung der kritischen Hypothese ist hier ganz besonders verfehlt. Denn mit Ausnahme der Chronik, welche nur für die Zeit ihrer Abfassung als Autorität gelten darf, geschieht im ganzen Alten Testament aufserhalb des Pentateuchs dieses Festes nirgends Erwähnung. 2. Chron. 8, 12. 13 lesen wir von Brandopfern, die Salomo dem Herrn darbrachte auf dem Altar, den er selbst dem Herrn gebaut hatte, neben andern Anlässen: „Ein jegliches (Brandopfer) auf seinen Tag zu opfern, nach dem GTebot Mosis, auf die Sabbathe, Neumonde und bestimmte Zeiten, des Jahres dreimal: auf das Fest der ungesäuerten Brote, auf das Fest der Wochen und auf das Fest der Laubhütten." Bestätigt wird dies durch die Parallelstelle 1. Kön. 9, 25 „und Salomo opferte des Jahres dreimal Brandopfer und Dankopfer auf dem Altar, den er dem Herrn gebaut hatte, und verbrannte dabei, was sich gebühret vor dem Herrn." Obgleich die besonderen Um- stände und Veranlassungen dieser Opfer nicht weiter speci- ficiert sind, so läfst doch die dreimalige Wiederkehr im Jahre ganz natürlich auf die drei grofsen Feste schliefsen. Diese Einräumung würde aber zugleich das Geständnis sein, dafs zur Zeit Salomos alle drei Feste in Jerusalem gefeiert wurden, was aber ganz im Gegensatz zur kritischen Hypo- these sein würde. Selbst Ezechiel spielt nirgends auf das Fest der Wochen an, wo er ein neues Ritual beschreibt, Opfer verordnet und specifische Weisungen bezüglich des Passah und der Laubhütten giebt. Dies scheint so be- fremdend und unerklärlich, dafs der Text bis zur voll- ständigen Unkenntlichkeit entstellt wurde, nur um das Fest einzufügen. Die Lesart „das Passah, ein Fest von sieben Tagen", Ezech. 45, 21, hat durch die Einfügung eines Buchstabens den Wortlaut erhalten: „Das Passah, ein Fest von Tagsiebenden", Tagwochen (a feast of weeks of days). — 257 — Man hat den Versuch gemacht, diese Lesart auf die An- nahme hin zu rechtfertigen, dafs der Ausdruck beide Feste, wie auch die Zwischenzeit zwischen denselben in sich be- fasse. Die genaue Eichtigkeit ergiebt sich aus der Ver- gleichung mit Num. 28, 16. 17, worauf der Vers in Ezechiel offenbar basiert ist. Wellhaus«n giebt rückhaltslos zu, dafs hier auf das Wochenfest kein Bezug genommen ist. Thatsache ist also, dafs, während das Fest der Wochen als eines der drei grofsen jährlichen Feste in den Codices, welche die Kritiker für die allerältesten halten, eingesetzt ist, Exod. 23 und 34, dasselbe in der ganzen Geschichte vor dem Exil nirgends erwähnt wird; weder ein Prophet noch ein Psalmist thut desselben Erwähnung, obgleich sie Andeutungen machen über Erntefreuden, Erstlinge und Feld- früchte, was eine solche Erwähnung doch als ganz natür- lich erscheinen liefse. Ferner herrscht darüber vollständiges Schweigen in den Anordnungen bezüglich des Kultus und des Heiligtums bei Ezechiel. In den nachexilischen Schriften findet sich nirgends auch nur die leiseste An- spielung ; weder über die Begehung desselben durch Esra noch durch die aus der Gefangenschaft Zurückgekehrten liegt ein Bericht vor. Die erste und einzige Erwäh- nung des Festes ist in den Büchern der Chronik vor- handen, welche aber nach der Meinung der Kritiker nicht vor der Zeit Alexanders des Grofsen ') verfafst sein konnte. Nach der Stelle in der Chronik wurde es in Salomos Tagen gefeiert, aber der einzige Schlufs, welcher nach den sonstigen Grundsätzen der Kritiker allein zulässig ist, ist der, dafs das Fest zur Zeit der Abfassung genannten Buches be- gangen wurde. Hier sehen wir in schlagender Weise den 1) Wellhausens Ausgabe von Bleeks „Einleitung in das Alte Testa- ment" S. 288. (Oder dasselbe herausgegeben von Kamphausen S. 394. Anni. d. Übers.) Green, Die Feste der Hebräer. 17 — 258 — Wert des argumentum e silentio, das in dem modern kri- tischen Verfahren eine so wichtige Rolle spielt. Was wird aus der zuversichtlichen Behauptung, dafs die Sund- und Schuldopfer nicht vorhanden waren vor der Zeit Ezechiels, welcher dieselben erst einführte Kap. 40, 39^) etc., und dafs die Pentateuchgesetze, in welchen dieselben vorkommen, nachexilischen Ursprungs sein sollen? Was wird aus dem grofsen jährlichen Versöhnungstag, der vor den Tagen Esras nicht in das Gesetz inkorporiert sein soll? Das Fest der Wochen reifst ihnen die Hauptwaffe aufs unbarmherzigste aus der Hand. Das Gesetz der Entwicklung, auf welchem die Kritiker so hartnäckig bestehen, findet, wie wir gesehen haben, keine Anwendung auf unser Fest. Selbst George sieht sich zu der Anerkennung genötigt: „Von den jüdischen Festen ist dieses das einzige, welches seinem ursprünglichen Modus der Feier am treusten geblieben ist und im Laufe der Zeit nur eine ganz unbedeutende Entwicklung erfahren hat." Richtiger wäre es gewesen, zu sagen: es hat gar keine Entwicklung durchgemacht. 1) Dabei wird der Bericht oder die Erklärung weggelassen 2. Kon. 12, 16; -2. Chron. 29, 21—24; Ps. 40, 6; Hosea 4, 8; Jesaia 53, 10. vm. Das Fest der Laubhütten. Das letzte der drei grofseu Feste, das den Festcyklus und die festliche Hälfte des Jahres schlofs, wird Exod. 23, 16; 34, 22 das „Fest der Einsammlung" und sonstwo das „Fest der Laubhütten" genannt. Dieses Fest hatte, wie schon sein Name andeutet, speciellen, aber nicht aus- scliliefslichen Bezug auf die Einsammlung der Früchte, auf die Ernte von Oliven, Wein und Öl. Da es in die Zeit fiel, wo die letzten Produkte des Jahres eingesammelt waren, konnte es passend ein Erinnerungsfest an die Güte Gottes im allgemeinen sein. Gott hat alle Arbeit des Landmannes reichlich belohnt. Er hat nach Ps. 104, 14. 15 Brot aus der Erde gebracht, und Wein zu erfreuen des Menschen Herz, dafs seine Gestalt glänze vom Öl, und Brot des Men- schen Herz stärke. Obgleich nun das Fest der Wochen ausdrücklich dafür eingesetzt war, fi^eudigem Dank für die Ernte Ausdruck zu geben, so sind doch beide, Getreide- und Weinernte, miteinander vereint, dafs sie Anlafs seien für die kommende Festfeier. So sagt Deut. 16, 13: „Das Fest der Laubhütten sollst du halten, wenn du eingesammelt hast von deiner Tenne und von deiner Kelter." So waren die heiligen Zeiten Ursache für erhöhte Freude, für irdischen Gewinn und für patriotische Begeisterung, wenn man am 17* — 260 — Heiligtum Gottes zusammen kam und Dank und Preis vor ihm ausschüttete. Das weltliche Leben wurde da- durch geheiligt, und weltliche Freude wurde Freude vor dem Herrn. Eine Absonderung ihrer täglichen Berufsarbeit von ihrem religiösen Leben fand nicht statt. Beides war vollständig miteinander verflochten, und Jehovah, der Aller- höchste, wurde durch beides aufs höchste verherrlicht. Das Fest der Laubhütten war wie das Schlufsfest so auch der Kulminationspunkt der ganzen Festreihe, wie wir schon oben erwähnt haben. Es fiel in den 7. Monat, wel- cher als der sabbathliche oder heilige Monat mit seinem Kranz von Festen die Perle des Jahres war, und das Fest selbst bildete gleichsam den Schlufsstein und die Krone der ganzen Festfeier. In dieser Zeit, da dankbare Freude über die Erfahrung der unerschöpflichen Güte Gottes ihren höchsten Punkt erreichte, wurde das fröhlichste aller Feste gefeiert, zu dem die Darbringung der Erstliugsgarbe und das Fest der Wochen im Verhältnis einer Vorfeier stand, und in welchem auch das Passah. mit seinen historischen Reminiscenzen absorbiert war, weil Dank für die Produkte des Landes Dank gegen Jehovah in sich schlofs, der sie oder ihre Väter aus der Knechtschaft Ägj^ptens erlöset und ihnen das verheifsene Land gegeben hat, Deut. 26, 5 — 10. Das Fest folgte kurz auf den grofsen jährlichen Versöhnungs- tag, an welchem die Sünden und Übertretungen des ver- gangenen Jahres durch eine eigentümliche und einleuchtende Ceremonie in der feierlichsten und eindrücklichsten Weise gesühnt und fern in die Wüste gesandt wurden, in ein un- bewohntes Land, damit ihrer nicht mehr gedacht werde und sie ihnen nicht mehr zur Last gelegt würden. So war das Volk von seinen alten Sünden gereinigt, und konnte dieses Fest im frohen Bewufstsein der Vergebung, der Ver- söhnung und Gemeinschaft mit Gott begehen, wie es ebenso — 261 — die Erweisung seiner Gnade und seines Wohlgefallens in der reichen Segensfülle, die er im vergangenen Jahr über sie ausgeschüttet hatte, gesehen hatte. Daher war dieses Fest in entsprechender Weise durch das sorgfältigste und glänzendste Opferritual vor allen übrigen Festen ausgezeichnet. Während das Fest der Wochen nur einen einzigen Tag dauerte, und während beim Passah den Festgästen erlaubt war, nach der Teilnahme am Passahmahl, womit das Passah begann, wieder nach Hause zurückzukehren, blieben die Festgäste am Laub- hüttenfest die vollen sieben Tage. Ja sogar ein achter Tag war noch angefügt, der in späteren Zeiten wenigstens als der gröfste und herrlichste gezählt wurde. Vgl. Joh. 7, 37 „am letzten Tag des Festes, dem gröfsesten etc." Während in ihrer Seele noch die Erinnerung ah jene Augenblicke nachklang, wo ihr religiöses Leben seinen Höhepunkt er- reicht hatte, kehrten zu ihren Wohnsitzen zurück, die im ganzen Lande zerstreut waren, in dem glückseligen Be- wufstsein, dafs sie das Israel Jehovahs, das Volk des Herrn seien, gesegnet mit seiner Gnade und glücklich in seinem Dienst, bis mit dem neuen Jahre eine neue, heilige Fest- reihe begann in derselben Klimax wie zuvor 2. Chron. 7, 10. Da das Laubhüttenfest auf diese AVeise alle anderen Feste überragte, ist es nicht überraschend, dafs es in den historischen Büchern am häufigsten erwähnt wird. Hupfeld beruft sich auf Lev. 23, 39. 41; 1. Kön. 8, 2. 05; 12, 32; Ezechiel 45, 25; Nehemia 8, 14, was beweisen solle, dafs es mit besonderer Auszeichnung „das Fest" genannt wird. Er behauptet auch, dafs das ungesäuerte Brot unschmack- haft war und mancherlei sonstige Entbehrungen im Gefolge hatte, weshalb es nicht wohl ein Fest genannt werden konnte, denn ein Fest mufste von fröhlicher Natur sein, wie die Verbindung anzeigt: „sie afsen, tranken und fest- — 262 — feierten", I. Sam. 30, 16. Das Fest der Wochen wird Lev. 23, 16; Nnm. 28, 26 ganz und gar nicht Fest genannt, sondern nur als die Zeit beschrieben, in welcher neue Speisopfer dem Herrn dargebracht werden. Hieraus schliefst er, dafs letzteres nicht den Rang eines Festes einnehme, sondern nur eine Vorfeier zum eigentlichen Fest der Laub- hütten sei. Es genügt hierauf zu antworten, dafs Exod. 23 und 34, Deut. 16 ausdrücklich drei Feste nennen; dafs wenn seine Ansicht über das Passah und die ungesäuerten Brote dasselbe kein Fest sein läfst, dies seine Ansicht als gänzlich falsch erweist. Die Auslassung des Wortes „Fest" in der Verbindung mit dem zweiten Fest in Leviti- cus und Numeri ist auf dieselbe Weise zu erklären wie die Versäumnis der näheren Bestimmung der Zeit seiner Begehung, Num. 28, 26. Es wird als bekannt vorausgesetzt, da sonstwo genug darüber gesagt ist. Die Abschnitte, in denen das Laubhüttenfest als „das Fest" besonders hervor- gehoben ist, schliefsen durchaus keine Superiorität oder Exklusivität in sich, sondern bezeichnen es einfach als das Fest, das in der im Zusammenhang verstandenen Zeit ge- feiert wurde, oder als das Fest, von dem im Vorhergehen- den die Rede war. Die Kritiker sagen uns, dafs das Laubhüttenfest eine ähnliche Entwicklung durchgemacht habe wie diejenige, welche sie dem Passah andichten, Ihre Beweisgründe sind dieselben wie die , welche sie bei den übrigen Festen gel- tend machen, und involvieren auch dieselben Trugschlüsse. Sie verkehren die verschiedenen Ansichten, welche die Feste von einer andern Seite aus betrachten und in verschiedenen Gesetzen darbieten, in successive Stufen der Entwicklung. Sie sondieren Gresetze, die in schönster Harmonie miteinander stehen, von denen aber jedes seine besondere Absicht hat, und von denen eins dem andern zur Ergänzung dient, und — 263 — sie bestehen darauf, dafs dieselben als gesonderte und un- abhängige Statuten zu behandeln seien, ohne jegliche wechselseitige Beziehung. Zuerst finden wir im Bundesbuch Exod. 23 und in dessen Wiederholung Exod. 34 die Feste kurz charakterisiert und die Beteiligung an denselben ein- geschärft. Dann werden in Lev. 23 die Tage der Ruhe und die heiligen Versammlungen, welche zu jedem gehören, aufgezählt, und verschiedene Eigentümlichkeiten in der Be- gehung der Feste angeführt, welche sonst nirgends erwähnt sind. Num. 28 und 29 giebt dann eine detaillierte Be- schreibung über die öffentlichen G-esamtopfer , welche bei jedem Feste dargebracht werden sollen. In Deut. 16 be- fiehlt dann der grofse Gresetzgeber mit Eindringlichkeit und mit Wiederholungen, die bei seiner Abschiedsrede an das Volk leicht begreiflich sind, die Feste heilig zu halten, und zwar an dem Ort, den der Herr erwählen werde, dafs sie ihre schuldigen Dankopfer darreichen, ihre bedürftigen Nach- barn mitbringen und an ihren Festlichkeiten teilnehmen lassen. Obgleich dieses nun alles ganz schön stimmt und zusammenhängt, reifsen es die Kritiker beharrlich aus- einander, stellen jeden gesonderten Teil für das Ganze hin, behaupten dann steif und fest, dafs dieselben nicht identisch seien, was ja von vornherein offenbar genug war und auch von gar niemand in Abrede gestellt worden ist. Natürlich sind es gesonderte Einschärfungen und Befehle, aber sie gehören alle zusammen und sind nötig zur Bildung einer richtigen Ansicht von den Festen, wie sie zu irgend einer Zeit gefeiert wurden. Eine derartige kritische Behandlung der Geschichte ist ebenso willkürlich und ungerechtfertigt als die Behandlung der Gesetze. In der ganzen Behandlung der Geschichte werden immer eigene Einbildungen für Thatsachen ein- gesetzt. Offenbare und geflissentliche Verletzungen und — 264 — Mifsachtungen des Gesetzes müssen als Exempel auf- marschieren für das, was als gesetzlich aufgeführt wurde. Ausnahmen unter anomalen Verhältnissen werden als Regel des normalen Verlaufs der Dinge ausgegeben. Abweichungen werden vermehrt und zu einem Umfang aufgebauscht, wie er nirgends als in der verworrenen Phantasie der Kritiker existiert. Geschichtliche Zeugnisse werden nach Belieben anerkannt oder verworfen. Wohlverbürgte und beglaubigte Dokumente müssen sich die rücksichtsloseste Behandlung gefallen lassen. Mit solchen selbstfabrizierten Thatsachen und Zeugnissen, denen sie ganz ad libitum unumstöfsliche Beweiskraft andichten, glauben die Herren Kritiker ihre Aufgabe gelöst zu haben, während doch ihr ganzes Operieren von Anfang bis zu Ende eitel Spiegelfechterei ist. In erster Linie wird nun behauptet, dafs der Charakter und die Bestimmung des Festes beträchtlichen Verände- rungen unterworfen war. George i) sagt uns, dafs die Israeliten das Fest der Weinlese von den Kanaanitern adoptiert haben, welches zuerst ein rein sinnliches Fest mit Musik und Tanz gewesen sei, wobei die Geister durch neuen Wein aufgeheitert waren. Bald kam ein religiöses Element hinzu. Wie die Kanaaniter ihre Trauben kelterten, in das Haus ihres Gottes gingen, afsen und tranken, Richter 9, 27, so haben es die Israeliten ohne Zweifel auch gethan. Das erste Öl und der erste neue Wein wurde Gott dar- gebracht und diente zur Erhöhung der Festfreude beim ge- selligen Mahl, an dem alle Hausgenossen teil nahmen samt dem Leviten, dem Fremdling, dem Waisen und der Witwe Deut. 14, 23 ; 16, 14. Später, mit der Verlegung der Feier in das Centralheiligtum , verlor das Fest seinen ursprüng- lichen Charakter und die Erstlinge von Öl und Wein wur- ') „Die älteren jüdischen Feste" S. 276 f. — 265 — den Einkünfte der Priester, das fröhliche Opfermahl wurde abgeschafft, und aus dem eigentlichen Fest der Weinlese wurde ein allgemeines Danktest. Zuletzt wurde es dann noch von seiner agrikultureilen Bedeutung abgelöst und in ein historisches Gedächtnisfest verwandelt. Die Hütten in den Weinbergen, in denen das Volk während der Weinlese sich aufhielt, wurden von ihrer ursprünglichen Veranlassung und ihrem ursprünglichen Zweck abgetrennt und ihnen die Bedeutung beigelegt, als erinnerten sie an die Wüsten- wanderung und an das Wohnen in Zelten, Lev. 23, 43. Es ist klar, dafs dieses alles nichts als ein Hirngespinst der Kritiker ist. Die Feste der Weinlese der alten Völker hatten gewöhnlich überhaupt einen religiösen Charakter, und dafs in Israel ein solches gefeiert wurde, ohne ein re- ligiöses Element zu haben, ist eine unbewiesene und un- beweisbare Behauptung. Die Behauptung, dafs es von den Kanaanitern entlehnt war, entbehrt jedes Grundes und widerspricht ganz und gar der Thatsache, dafs Moses wirk- lich Gesetze über religiöse Observanzen gegeben hat. Denn in den beiden ältesten Gesetzeskörpern, wofür die Kritiker dieselben ja halten, die Moses zugeschrieben wer- den, und von denen ausdrücklich erklärt wird, dafs sie von ihm verfafst seien, wird die Anwesenheit und Beteiligung an den drei jährlichen Festen beinahe als die einzige reli- giöse Pflicht eingeschärft. Die Parallelen sind in der alten Welt so zahlreich, dafs ebensowohl gesagt werden kann, auch die Opfer seien wie die Feste von den Kanaanitern entlehnt. Allein auf diesen Grund hin sieht sich der gröfste Teil der Kritiker, selbst von denen, welche die Glaub- würdigkeit des Pentateuchs in Abrede stellen und den Ur- sprung des Festsystems Moses zuzuschreiben sich weigern, genötigt, diese Feste für vormosaisch zu halten, wie es in der zweiten Vorlesung ausführlich dargethan worden ist. — 266 — Die Behauptung, dafs die Hebräer erst nach der Besitz- nahme von Kanaan den Ackerbau gelernt haben, kann nicht bewiesen werden. Aber auch selbst wenn sie bewiesen werden könnte, würde noch nicht daraus folgen, dafs Moses keine Gesetze gegeben haben kann, die auf das agrikultureile Leben sich beziehen, in welches einzutreten ihnen nahe be- vorstand. Dafs das Laubhüttenfest seine Verbindung mit der Einsammlung von Früchten verlor und zuletzt eine histo- rische Bedeutung erhielt, ist ebenfalls eine vollständige Verdrehung der Sache. Das Passah wird benützt, um dar- zulegen, dafs die Tendenz vorhanden war, Feste von ur- sprünglich agrikulturellem Charakter später in solche von historischem Charakter umzuwandeln. Aber es ist oben gezeigt worden, dafs das Passah von Anfang an historisches Gedächtnisfest war. Und dafs das Gesetz der Laubhütten, welches gegeben wurde, während Israel noch in der Wüste in Zelten wohnte, die Weinbergshütten in untergeordneter Weise mit dem Marsch durch die Wüste, nach dem ver- heifsenen Land verbinden sollte, involviert kein so grobes Mifsverständnis, wie die Kritiker behaupten. Somit können wii- die drei Gründe in Hupfelds Ausführung ohne weiteres abweisen, dafs die Kinder Israel in der Wüste nicht in Hütten, sondern in Zelten wohnten, dafs das Tragen von Zweigen mit Blättern und Früchten von den edelsten Bäumen in keiner Beziehung dazu steht, und dafs das fröh- lichste aller Feste des Jahres kein Erinnerungsfest an die Strafe des Aufenthalts in der unwirtlichen Wüste gewesen sein kann. Das Gesetz giebt keine Untersuchung oder Er- klärung des Ursprungs der Hütten oder deren anfänglicher Bedeutung , sondern fügt demselben eine erweiterte und nicht sehr fernliegende Beziehung hinzu. Weiter aber wird der Versuch gemacht, eine Änderung — 267 — in der Zeit der Feier dieses Festes nachzuweisen. Es wird behauptet, dafs es in erster Linie mit der Zeit der Wein- lese zusammenfalle, und George ^) vermutet, dafs seine Dauer auf sieben Tage bestimmt war, nach der angeblichen Sitte, dafs die Einsammlung* am ersten Tag der Woche begann und eine volle Woche dauerte. So sollte nach seiner Aus- sage d«r siebente Tag ein Sabbath sein, wie beim Passah, Nur wird diese Thatsache nirgends berichtet. Dülmann -) ist nicht sicher, ob es ursprünglich sieben Tage dauerte, aber es mufs früh so Sitte geworden sein, wie sich aus dem Fest zur Zeit Salomos 1. Kön. 8, 65 zu ergeben scheint. Er hält es auch für möglich, dafs in der ersten Periode der Ansiedelung, in der allgemeinen Zersplitterung des Volkes einzelne Orte und Städte in der Feier dieses Festes ihren eigenen Weg gegangen sein mögen. Als aber die Wallfahrten nach einem gemeinsamen Heiligtum in Gang gekommen waren, wurde es auf die Zeit des Voll- mondes festgesetzt. So wäre die einzige Abweichung in verschiedenen Distrikten nur zwischen dem siebenten und achten Monat. Allein zur Zeit Salomos, wenigstens inner- halb der Jurisdiktion des Tempels zu Jerusalem, fiel die Entscheidung zu Gunsten des siebenten Monats aus 1. Kön. 12, 32 f. Ferner wird gesagt, dafs dieses Fest auch die Tendenz teile, die Feste zu verlängern; dementsprechend wurde ein Tag hinzugefügt, aber nicht wie beim Passah am Anfang, sondern am Ende der eigentlichen sieben Festtage. Das Fest der Einsammlung, Exod. 23, 16, sagt man, soll sein: „am Ende des Jahres, wenn du deine Arbeit ein- gesammelt hast vom Felde." George 3) behauptet, dafs keine solche Angabe vor der Zeit des babylonischen Exils ij ubi supra. S. 278. 2) „Die Bücher Exodus und Leviticus." S. 582. 3) „Die älteren jüdischen Feste" S. 114. — 268 — gemacht worden sein könnte, da das hebräische Jahr ur- sprünglich im Frühling begonnen habe. Dies setzt die nach- exilische Zeitrechnung voraus, da das bürgerliche Jahr ein- geführt war, welches mit der Herbstnachtgleiche anfing. Da aber die Weinlese in Palästina zu der Zeit vollendet war, konnte dieses Fest vor dem Schlufs des Jahres abgehalten werden. In Exod. 32, 22 ist die Form des Ausdrucks nu- anciert; es heifst: „Das Fest der Einsammlung" nicht genau „am Ausgang des Jahres" (at the year's end), son- dern das Fest der Einsammlung „wenn das Jahr sich wendet" (at the return of the year). Nach George zeigt dies höchst wahrscheinlich eine noch spätere Periode an, da das Fest nach der Herbstnachtgleiche in den siebenten Monat des kirchlichen Jahres festgesetzt war, folglich nach dem Anfang des bürgerlichen Jahres. Hupfeld ^) findet in dem Ausdruck „das Ende des Jahres" ein Zeugnis hohen Altertums und eine Spur von vormosaischer Zählung, welche in Exod. 34 in den unbestimmteren Ausdruck: „Wenn das Jahr sich wendet" verändert wurde, um mit dem mosai- schen Kalender in Übereinstimmung zu sein. Wellhausen ^) hält fest, dafs beide Ausdrücke wesentlich identisch seien, und sich beide auf den Jaliresanfang im Herbst bezögen, welches nach seiner Schätzung die gebräuchliche Kechnung vor dem Exil war. Thatsache ist aber, wie gelegentlich schon früher erwähnt wurde, dafs schon vor dem Exil klare Andeutungen sich finden, dafs der doppelte Modus der Jahresrechnung gebräuchlich war, wonach man im Frühling und im Herbst das Jahr anfangen liefs. Hier ist von dem agrikulturellen Jahr die Eede, welches endigte, wenn die Produkte des Landes eingeerntet waren, und die Bestellung 1) De primitiva festorum ratione. p. 6. 2) „Geschichte Israels" I. S. 111. Prolegomena S. 109 f. — 269 — des Feldes mit neuer Saat begonnen hatte. Dieser natür- liche, allerdings etwas unbestimmte Modus der Zeitrechnung stimmte mit dem Kalender des bürgerlichen Jahres, der nachher eingeführt wurde, nicht überein, woher sich der Ausdruck begreift, dafs das Fest, in den Monat Tisri fallend, auf das Ende des Jahres fiel. Hierauf bemerkt Dillmann ganz richtig: „es folgt nicht notwendigerweise, dafs der Tag zur Zeit des Verfassers nicht festgesetzt war, sondern nur dafs die allgemeine Angabe seinem Zweck genügte; solche allgemeine Angabe war in Gesetzesbüchern des Laienstandes hinreichend, die genauere Zeitrechnung nach dem Mond und Mondmonaten war Sache der Priester." Dillmann kommt zu seinen Schlüssen, dafs eine Ver- schiedenheit in der Dauer dieses Festes und der Zeit der Feier möglich sei, durch eine sorgfältige und ausgearbeitete Analyse der Gesetze, indem er jedes davon seinem hypo- thetischen Verfasser zuschreibt, der eine verscliiedene Tra- dition repräsentieren soll. Jedes Gesetz soll seinen Wert für seine eigene Zeit haben, und die Gleichzeitigkeit zweier oder mehrerer über einen bestimmten Punkt begründen eine höhere oder geringere WahrscheinUchkeit der Thatsachen noch früheren Datums. Der Scharfsinn, die Gelehrsamkeit und die Gewissenhaftigkeit, womit hierbei zu Werk ge- gangen wird, verdient das höchste Lob. Nichtsdestoweniger beruht alles auf einer anfänglichen Annahme, welche, ge- linde gesagt, noch nicht bewiesen worden ist, nämlich dafs die Pentateuchgesetze ganz und gar nicht sind, was sie zu sein vorgeben, als was sie einstimmig von allen Ver- fassern des Alten und Neuen Testaments dargestellt wer- den, wofür sie immer gehalten wurden, wofür der innere Beweis bei jeder vorurteilsfreien Behandlung deutlich spricht, und als was dieselben daher mit allem Fug und Eecht be- trachtet werden dürfen, als echtes mosaisches Erzeugnis. — 270 — Wenn wir wirklich keinen glaubwürdigen Bericht von den mosaischen Institutionen hätten, wenn nichts vorhanden wäre als unsichere Traditionen aus anonymen Quellen, die sich oft widerstreiten und erst nach vielen Jahrhunderten nach Mose berichtet werden, dann hat Dillmann vielleicht das BestmögKchste gethan, was an der Hand solchen un- befriedigenden und ungefügigen Materials überhaupt gethan werden konnte. Aber sein Verfahren und seine Resultate müssen nach seiner ursprünglichen Annahme auf ihre Richtigkeit geprüft werden. Er wirft am Anfang genau in den kritischen Schmelztiegel hinein, was er am Ende heraus- bringt. Er sieht diese Institutionen nur als das Spielzeug für seine Phantasie an, und dementsprechend springt er mit denselben um. Er läfst dieselben nicht das sein, was sie nach den Berichten thatsächlich sind, sondern nur was er ihnen erlaubt zu sein. Exod. 23 und 34 sprechen in all- gemeiner Weise von diesem Fest, aber erwähnen nichts über dessen Zeitdauer. Leviticus, Numeri und Deutero- nomium schreiben ihm einen Termin, von sieben Tagen zu. Wenn nun die Festgesetze in Exodus den übrigen Gesetzen um Jahrhunderte vorausdatieren, haben wir kein sicheres Zeugnis über die Länge dieses Festes in jener Zwischenzeit, und Dillmann hat Grund genug, seinem Zweifel über die Sache Ausdruck zu geben. Aber solange nicht durch un- umstöfsliche Argumente das Gegenteil bewiesen ist, müssen diese Gesetze als das angenommen werden, was sie, gegen- einander gehalten, sein wollen, nämlich Ergänzungen, Ge- setze von gegenseitiger' innerer Beziehung aufeinander. So sind sie immer behandelt worden, und als solche mufs sie eine ehrliche Prüfung mehr als notwendig rechtfertigen. Wenn eingeräumt wird, dafs die Gesetze sich gegenseitig ergänzen und vervollständigen, verschwinden auf einmal alle Zweifel, die ganze Verwicklung des Gegenstandes ist — 271 — aufgelöst und abgethan, und wir haben festen Boden unter den Füfsen. In der Geschichte sind keine bekannten Thatsachen, welche diese Schlufsfolgerungen entkräften. In den frühesten Erwähnungen dieses Festes, welche klare Auskunft über dessen Dauer und Zeit der Feier geben, ist die Überein- stimmung mit dem mosaischen Gesetz ganz vollkommen. Unter der Eegierung Salomos währte es sieben Tage und wurde im siebenten Monat gefeiert, 1. Kön. 8, 2. 65. 66, so dafs, obschon der Tempel im achten Monat des vorher- gehenden Jahres 6, 38 fertig war, doch dessen Einweihung auf das Eintreffen dieses Herbstfestes verschoben wurde. Pie übrigen jährlichen Feste waren dazu weniger geeignet wegen des kurzen Aufenthalts der Pilger am Heiligtum, abgesehen von andern in Betracht kommenden Umständen. Nach 1, Kön. 12, 32 scheint es auf den 15. Tag des Mo- nats gefeiert worden zu sein. Nirgends findet sich eine Andeutung von einem Schwanken hinsichtlich der Zeit. In welchem Umfang die Wirren jener Zeit, da die Besitz- nahme des Landes sich noch nicht ganz vollzogen hatte, und dasselbe fortwährend Einfällen fremder feindlicher Nationen ausgesetzt war, auf die regelmäfsige Beobachtung des Gesetzes einwirkten, wissen wir nicht; allein das stellt weder das Vorhandensein des Gesetzes überhaupt noch dessen Bestimmung einer festgesetzten Zeit für die Fest- feier in Frage. Es rechtfertigt auch gewifslich nicht die Schlufsfolgerung, welche man aus der willkürlichen Hand- lungsweise Jerobeams zieht. Der Geschichtschreiber be- richtet, dafs Jerobeam ein Pest im siebenten Monat an- ordnete, auf den fünfzehnten Tag des Monats, eben des Monates, welchen er aus seinem Herzen erdacht hatte. Diese Neuerung — und etwas anderes will es ja auch nicht sein — giebt nicht einmal Grund zur Vermutung, viel — 272 — weniger einer Behauptung, die sonst nirgends einen An- haltspunkt hat, dafs die Feier des Festes vor dieser Zeit in den verschiedenen Teilen des Landes nicht zusammenfiel, sondern zwischen dem siebenten und achten Monat variierte ; noch weniger ist es irgend wie ein Zeugnis für die Meinung, dafs über das Fest kein anerkanntes Statut vorhanden war. Dr. Dillmann ist ebenfalls in Zweifel hinsichtlich des Altertums des dem Laubhüttenfest angefügten achten Tages nik'V = Schlufsversammlung, als eines feierlichen Abschlusses dieses Festes oder aller Feste des Jahres. Von dieser Azereth wird geredet in Lev. 23, 36. 39 und Nuni. 29. 35, aber nicht in Exodus oder dem Deuteronomium. Allein dies macht den mosaischen Ursprung oder die Zugehörig- keit zum Festcyklus von Anfang an als wesentlicher Be- standteil keineswegs zweifelhaft; denn in beiden Abschnitten ist klar gezeigt, dafs dieser 8. Tag nicht im strengen Sinn des Worts zum Laubhüttenfest gehört. Lev. 23, 34 ff. wiederholt nicht weniger als sechsmal, dafs das Laubhütten- fest, seine besondern Opfer und das Wohnen in Zelten sieben Tage lang währte; aber es ist hinzugefügt, dafs der achte Tag ebenfalls heilig gehalten werden soll, und die diesem Tag eigenen Opfer gebracht werden müfsten. Num. 29, 12 ff. erklärt noch einmal, dafs das Fest sieben Tage währt, fährt aber fort, die Opfer, die während dieser sieben Tage dargebracht werden sollen, in regelmäfsiger Stufen- folge von Tag zu Tag zu speciflcieren. Ein achter Tag ist V. 35 ohne eine Kopula angefügt, wie sonst immer zu- vor; die Opfer dieses Tages stehen in keiner Beziehung zum Vorhergehenden und setzen sich nicht in derselben Stufenfolge fort. Demnach konnte nicht erwartet werden, dafs die Gesetze in Exodus und im Deuteronomium, welche sich auf die drei jährKchen grofsen Feste beschränken, von diesem Tag ausführlicher reden sollten als vom Fest des — 273 — Trompetenblasens oder vom grofsen Versöhnimgstag. Wenn das Deiiteronomiuni die Dauer des Laubliüttenfestes als eine siebentägige erklärt, so thun Leviticus und Numeri dasselbe mit der gleichen Ausdrücklichkeit, so dafs sich kein Verdacht erheben kann über eine Änderung der Dauer des Festes in der Zwischenzeit. Dillmann bemerkt richtig, dafs aus 1. Kön. 8, 66 nicht mit Sicherheit geschlossen werden kann, dafs dieser achte Tag zur Zeit Salomos nicht gefeiert wurde. Dort ist gesagt, ctafs er das Volk nach der Fest- feier am achten Tage entlassen habe. Nach der Parallel- stelle 2. Chron. 7, 9 war am achten Tag heilige Versamm- lung und am folgenden wurde das Volk entlassen. Dieser scheinbare Widerspruch schwindet jedoch sehr schnell. Am Schlufs der heiligen Versammlung am achten Tag hat Salomo das Volk entlassen, und am folgenden Tag kehrten die Festgäste wieder heim. Dieser achte Tag ist besonders bei der Festfeier des Esra und Nehemia 8, 18 erwähnt, und durch den wachsenden Zulauf der Festgäste ist dieser Tag zur Zeit Jesu , Joh. 7, 37 , zu grofser Bedeutung ge- kommen. Ferner wird behauptet, dafs in dem Modus der Fest- feier und dem Opferritual eine Entwicklung verfolgt werden könne. So glauben die Kritiker, dafs Lev. 23, 39—43, wo verordnet ist, dafs das Volk Zweige von schönen Bäumen nehmen und sieben Tage in Laubhütten wohnen soll, offen- bar ein späterer Zusatz zu dem Kapitel ist, welches mit V, 37. 38 förmlich endigt, und nach Nehemia 8, 17 wäre dies vor der Zeit Nehemias nicht Observanz gewesen. Über die Behandlung dieses Kapitels in Leviticus herrscht unter den Kritikern keine geringe Verschiedenheit. Wellhausen ^) findet darin zwei verschiedene Festgesetze, die von dem 1) „Jahrbücher für deutsche Theologie" XXII. S. 431 ff. Green, Die Feste der Hebräer. -i o — 274 — Eedaktor in eins verarbeitet worden seien. Das eine soll aus den Versen 9 — 22; 39 — 44 bestehen, über die Webe- garbe und die Webebrote und der ergänzenden Angabe bezüglich des Laubhüttenfestes, welches alles von dem elo- histischen Stil abweiche, während im Gegenteil das ganze übrige Kapitel rein elohistisch sei. Hupfeld ^) wirft mit dem vorigen noch elf weitere Verse aus, nämlich V. 3, das Ge- setz über den Sabbath, und die Verse 23—33: den ersten und zehnten Tag des siebenten 'Monats, und erklärt die so gesonderten Verse als die einzigen elohistischen und von demselben Stil wie Gen. 17 und Exod. 12. KnobeP) nimmt an, dafs das ganze Kapitel dem Elohisten angehört, mit Ausnahme von V. 2. 3 dem Sabbathgesetz , V. 18. 19. 22 und 39—44 dem angefügten Abschnitt über das Laubhütten- fest, der von dem Jehovisten aus einem dem Elohisten in Stil und Diktion nahe verwandten Dokument eingeschaltet wurde, Kayser^) giebt eine noch wunderbarere Zer- stückelung des Kapitels. Er stimmt mit Wellhausen darin überein, dafs er auch zwei verschiedene Festkalender in dem Kapitel findet, doch im einzelnen weicht er von Well- hausen ab. Dem Elohisten schreibt er zu V. 5 — 8. 14*' vom Passah; V. 15*. 16^ 21 vom Fest der Wochen; V. 23— 36 von dem Fest des siebenten Monats zusammen mit der Überschrift V. 4 und den Schlufsunterzeichnungen V. 37. 38. 44. Die übrigen Verse stammen aus anderer Quelle und haben besondere Beziehung auf das Erntefest. Vers 9 — 14* die Garbe der Erstlinge am Anfang der Ernte, V. lö'', 16** — 20 die neuen Speisopfer des Pfingstfestes am Schlufs der Ernte, V. 22 das Verbot der vollständigen Ab- räumung des Feldes, V. 39—43 das Laubhüttenfest als 1) „De Vera festoriim ratione" Pars II. p. 7. 13. 2) „Die Bücher Exodus und Leviticus" S. 530. 3) „Das vorexilische Buch" S. 73. — 275 — Dankfest für die Ernte und Weinlese, Kayser ist niclit sicher, ob der letztere Kalender je etwas über den ersten Tag des siebenten Monats oder den Versölmungstag ent- halten habe, aber er hält sich überzeugt, dafs derselbe in seiner ursprünglichen Fassung die Zeit der verschiedenen Feste angegeben haben mufs, da die sieben wöchentliche Zwischenzeit zwischen Pfingsten und seinem Vorgänger ge- nannt, und das Laubhüttenfest in den siebenten Monat ge- setzt wird. Er mufste daher der Übereinstimmung und Vollständigkeit wegen auch die Zeit des Passah erwähnt haben. Ganz offenbar mufs ihm bedeutet werden, dafs, was er hier vermifst, und was der Kalender klärlich enthalten haben mufs, thatsächlich in dem Kapitel, wie es uns vor- liegt, gegeben ist. Nur seine kritische Hypothese hat aus- einandergerissen, was nach seinem eigenen Geständnis zu- sammen gehört. Wesentlich dieselbe Zerteilung adoptiert Reufs; nur trennt er den ergänzenden Abschnitt V. 39 — 43 selbst in zwei Teile und schreibt die letzten drei Verse dem Elohisten zu, indem er dieselben dem vorhergehenden Abschnitt über denselben Gegenstand anfügt, auf welche Weise er den ganzen Streit beiseite legt, soweit als wenigstens diese Verse in Betracht kommen. Kayser geht in seiner Zer- stücklung so weit, dafs er Sätze entzwei schneidet und die wechselseitigen Hälften in neue Sätze zusammenschweifst, die verschiedenen Verfassern zugeschrieben werden. So er- hält er ein doppeltes Gesetz über das Fest der Wochen. Dillmann, dessen kritisches Messer zeitweise eine sehr scharfe Schneide hat, erklärt Kaysers und Knobels Zer- teilung für „willkürlich und undurchführbar". Wellhausen wirft er vor, dafs keiner seiner Festkalender vollständig sei : der eine enthalte kein Pfingstfest, der andre kein Fest der ungesäuerten Brote, während er Ausdrücke, 18* — 276 — die sich in jenen Abschnitten finden nnd von allen Kritikern für elohistisch erklärt werden, von dem Kapitel in solchem Umfang' abschneide, dafs keine Annahme von Interpolationen mehr angängig' sei. Nach Dillmanns Urteil ist das Kapitel ein einheitliches Ganzes. Wo die Koryphäen der Kritik so völlig miteinander im Widerspruch sind, mag es von einem Dilettanten vermessen scheinen, seine Ansicht darzulegen. Sicherlich hat das Kapitel den Anschein, als ob es nach einem einheitlichen Plan konstruiert wäre, wobei nicht nur alle einzelnen Teile in enger gegenseitiger Verwandtschaft stehen, sondern auch in offener Beziehung zu andern Teilen der Gesetzgebung im Pentateuch. Die Formel „und der Herr redete mit Mose und sprach: Sage den Kindern Israel und sprich zu ihnen" wird viermal gebraucht, V. 1. 9. 23. 33 als Ein- leitung zu den vier Hauptabschnitten des Kapitels. Zwei Überschriften V. 2 und 4 bezw. zwei Schlufsformeln V. 37. 38 und 44 finden sich im Kapitel. Die letztere Schlufs- formel korrespondiert der Form nach mit der ersten Über- schrift und den einleitenden Worten, wodurch die äufsersten Grenzen des ganzen Kapitels und des Festkalenders, der in demselben enthalten ist, markiert werden. Die erste Sektion des Kapitels ist durch eine zweite Überschrift V. 4 in zwei Teile eingeteilt, und die letzte Sektion ist ebenfalls durch die erste der beiden Unterschriften V. 37. 38 in zwei Teile geteilt; die erste der Unterschriften antwortet auf die zweite Überschrift, und zwischen beiden ist der ganze Kern des Festkalenders eingeschlossen, die jährlichen Feste, insofern dieselben zu dem Gottesdienst am Heiligtum in Beziehung standen und in Betracht kamen. Dem Hauptteil und der zweiten Überschrift voraus geht das Sabbathgesetz, V. 2, mit seiner heiligen Versamm- lung. Dies konnte in keinem vollständigen Festkalender — 277 — ausgelassen werden, obschon es weder eines der jähr- lichen Feste war, noch in ausschliefshcher Beziehung zum Heiligtum stand. Der Sabbath wird beschrieben als „der Sabbath des Herrn in allen euren Wohnungen". Recht eigentlich gehörte deshalb diese Bestimmung in das Kapitel, wenn sie auch nach ihrem Charakter von den nachherigen Vorschriften über die heiligen Zeiten verschieden war. Diese werden darum durch eine neue Überschrift eingeleitet V. 4. In ähnlicher Weise wird auch das Laubhüttenfest, dem der letzte Abschnitt des Kapitels gewidmet ist, von zwei Seiten behandelt. Die eine Betrachtungsweise hatte mit dem Heiligtum zu thun, die andere nicht. Die erste Ansicht giebt zuerst eine Beschreibung der heiligen Versammlungen und der täglichen Opfer des Festes, und darauf folgt un- mittelbar die Unterschrift V. 37. 38 und resümiert diesen Teil des Kapitels „das sind die Feste des Herrn, da ihr sollt heilige Versammlung ausrufen, und dem Herrn Opfer thun, Brandopfer und Speisopfer, Schlachtopfer und Trank- opfer, ein jegliches nach seinem Tage" u. s. w. Hierauf folgt dann in einem besondern Abschnitt die andere Seite der Betrachtung des Laubhüttenfestes, welche nicht passend in das Vorhergehende eingefügt werden konnte; und in diesem Paragraphen wird geboten, Früchte und Zweige von schönen Bäumen zu nehmen, und während der Feier des Festes in Hütten zu wohnen. Wellhausen beschwert sich ferner darüber, dafs dieser zweite Abschnitt bezügl. des Laubhüttenfestes von Anfang an interpoliert worden sei, und behauptet, dafs nach Aus- scheidung dieser Interpolationen der unvereinbare Wider- spruch dieser zwei Paragraphen offen zu Tage trete. Er findet in den einleitenden Worten der Zeitbestimmung für die Festfeier eine Interpolation „am fünfzehnten Tag des siebenten Monats" V. 39, welches nach seiner Meinung im — 278 - Widerspruch steht mit dem unmittelbar folgenden: „Wenn ihr das Einkommen vom Lande eingebracht habt." Nach dem ersteren wäre die Periode der Festfeier durch den Stand des Mondes bestimmt, nach dem letzteren dagegen durch die Einsammlung der Früchte. Das erstere sei des- halb kein ursprünglicher Bestandteil des Textes, und dieser Abschnitt gehöre einer Zeit an, da das Fest bald früher bald später, je nach der Jahreszeit, gefeiert wurde. Nur fiel es nach der Angabe von V. 41 immer in den siebenten Monat. Allein der behauptete Widerspruch in der Eröflfnungs- formel Y. 39 ist nichts als ein unumstöfslicher Beweis der eigensinnigen Verkehrtheit der Wellhausenschen Auslegungs- weise. Die unmittelbare Verbindung eines bestimmten Monatstages mit der Phrase „wenn ihr das Einkommen vom Lande eingebracht habt", zeigt in der allerklarsten Weise, dafs beide Bestimmungen •vollständig miteinander überein- stimmen, dafs die Beziehung des Festes auf die Einsamm- lung durch die Bestimmung eines fixierten Tages keineswegs beeinträchtigt wird, dafs das Fest als ein agrikulturelles kein bewegliches zu sein brauchte, und dafs die Hypothese, wonach die Feste infolge ihres landwirtschaftlichen Charak- ters zuerst bewegliche gewesen sein mufsten, später aber auf bestimmte Tage festgesetzt wurden, jeglichen Grundes entbehrt. Die letzte Klausel V. 41 „und also sollt ihr das Fest des Herrn feiern im siebenten Monat" ist nicht so vag gemeint, als ob dieselbe Andeutung gäbe, dafs dieses nur zu irgend einer Zeit des Monats geschehen solle, aber nicht an einem bestimmten Tage jedes Jahres, auch ist die- selbe nicht mit Dillmann als in stillschweigendem Gegensatz mit dem achten Monat zu erklären, was freilich mit seiner Hypothese übereinstimmt, wonach die Sitte in verscliiedenen Teilen des Landes verschieden war, der Gesetzgeber aber — 279 — sich für den siebenten Monat entschied. Der wirkliche Hauptnachdruck liegt auf der Zahl Sieben, dem sabbath- lichen und heiligen Monat. Dafs der Nachdruck auf diese Zahl gelegt ist, ist aus der Thatsache ersichtlich, dafs inner- halb des kleinen Umfangs von vier Versen viermal gesagt wird, dafs die Feier sieben Tage lang währte, und zweimal, dafs es im siebenten Monat war. Wellhausen findet eine andere Interpolation in dem Schlufssatz von V. 39: „am ersten Tag soll ein Sabbathon sein, und am achten Tag soll auch ein Sabbathon sein." Er findet es sehr ungewöhnlich und auffallend, dafs der Verfasser anzeigen mufste, dafs das Fest sieben Tage lang gehalten werde, und dann unmittelbar fortfahren sollte, vom achten Tag dieses siebentägigen Festes zu reden. Wirft man diesen Satz aus, so wird man auf einmal den Widerspruch wahrnehmen, welcher zwischen diesem Satz und dem vorhergehenden Abschnitt sich findet. Als dieser Abschnitt verfafst wurde, war der achte Tag dem Laub- hüttenfest noch nicht angefügt, nichtsdestoweniger wird V. 36 von demselben gesprochen. Wellhausen ist allein in der Aufweisung erfolgreich, dafs dieser Paragraph das Vorhergehende voraussetzt, auf demselben beruht und nur im Zusammenhang damit verstanden werden kann. In mancher andern Hinsicht ergiebt sich ein ähnliches Eesultat. V. 34 wird das Fest der Laubhütten genannt, und bei der erstmaligen Nennung des Festes ist keine Be- gründung des Namens gegeben. Exod. 23 und 34 hat das Fest eine andere Benennung. Diese Benennung wird Num. 29, 12 nicht wiederholt. Deut. 16, 13 findet sie sich wieder, aber ohne Andeutung, warum es so genannt ist. Die ein- zige Erklärung wird in der Weisung gefunden, welche V. 42 giebt: „sieben Tage sollt ihr in Laubhütten wohnen." Ferner ist der Ausdruck V. 39, „wenn ihr das Einkommen — 280 — vom Lande eingebracht habt" eine klare Hinweisung auf die Benennung des Festes in Exodus „Fest der Einsamm- lung", wie es auch eine ebenso klare Bezeichnung seines landwirtschaftlichen Charakters ist. Dies ist eine An- schauung, die in dem vorhergehenden Abschnitt nicht zum Ausdruck gekommen ist, und dies ist der Grund, dieselbe hier ergänzend nachzutragen. Wellhausen glaubt, dafs die Änderung des Namens „Fest der Einsammlung" in „Fest der Laubhütten" die anfängliche Änderung war, die den Weg bahnte für den Übergang der agrikulturellen Bedeu- tung des Festes in ein historisches Gedächtnisfest. Aber wiederum steht ihm dieser unglückliche Paragraph im Wege, denn hier ist die agrikulturelle und die historische Bedeu- tung miteinander verbunden, indem V. 39. 43 zeigt, dafs beides zusammenfiel, und dafs keine Zwischenzeit nötig war für den Übergang der einen Bedeutung in die andere. Eine weitere Erklärung des Festmodus der Laubhütten, wie sie in diesem ergänzenden Paragraphen enthalten ist, mufste hier nach dem Plan des Kapitels erwartet werden. Wie schon früher gezeigt, wird über die heiligen Zeiten, wie Passah und Versöhnungstag, deren eigentümliches Cere- moniell anderswo vollständig erklärt ist, ziemlich flüchtig hinweggegangen. Nur ganz allgemein wird auf die Fest- opfer angespielt, deren Details für Num. 28 und 29 vor- behalten wurden. Dagegen wird hinsichtlich des Festes der Wochen, der beifolgenden und vorausgehenden Dar- bringung der Erstlinge, die vorher nirgends erklärt wurden, ganz in die Einzelheiten eingegangen. Diese Methode der Darstellung erforderte offenbar, dafs in der Behandlung des dritten und gröfsten Festes des Jahres, über welches nir- gends in ausführlicher Weise gehandelt wird, die allgemeinen Bemerkungen von V. 34—36 durch einen vollständigeren und bezeichnenderen Bericht über die Festfeier ergänzt — 281 — werden sollten, wie sich ein solcher denn auch in den Schlufsversen des Kapitels thatsächlich vorfindet. Hupfeld meint, dafs die Zweige, von denen V. 40 spricht, in festlicher Prozession getragen werden sollten, und dafs Nehemia 8, 15 den Zweck und die Bedeutung völlig mifsversteht , wenn daselbst gesagt wird, dafs die- selben zu Hütten gebraucht werden sollen, in denen das Volk wohnen sollte. Allein das Gebot, Zweige zu nehmen und in Hütten zu wohnen, steht in sehr offenbarem Zu- sammenhang, und es ist schwer einzusehen, warum die Zweige nicht für beide Zwecke verwendet werden konnten, wie es denn thatsächlich doch auch geschah. Dafs uns Nehemia 8, 17 nicht anzunehmen zwingt, das Laubhütten- fest sei vor der Zeit Nehemias nicht gefeiert worden, ist ganz klar, und zwar nicht nur aus Erwähnungen desselben in früheren Zeiten der Geschichte, sondern auch aus Esra 3, 4, wo ausdrücklich gesagt wird, dafs „sie das Laub- hüttenfest feierten, wie geschrieben steht". Und hier ist diese kurze Formel nur eine Abkürzung von der zwei Verse vorher benützten: „wie geschrieben steht im Gesetz Moses, des Mannes Gottes." Auch kann der Abschnitt in Nehemia nicht bedeuten, dafs damals zum erstenmal wäh- rend der Festfeier Hütten bezogen- wurden, denn die aus- drückliche Beziehung auf die Zeit Josuas setzt voraus, dafs es zur Zeit Josuas gewifslich von den Kindern Israels ge- feiert worden ist; und zwar in den Tagen Josuas des Sohnes Nun, des Nachfolgers von Mose, und nicht in den Tagen Josuas, des Hohenpriesters, des Zeitgenossen und Mithelfers Serubbabels, wie J. D. Michaelis sonderbarer- weise sich einbildet. Eine fernere Bürgschaft für den primitiven Charakter dieses Festmodus giebt der Name des Festes selbst; Laub- hütten, m^D = Hütten, der nur hier seine Erklärung findet ; — 282 — ebenso auch in der Sitte der Weinleser, während der Zeit der Einsammlung- der Früchte in Hütten zu wohnen, wovon der Name abgeleitet ist. So auch in Hosea 12, 10, wo beides besonders angedeutet ist, die Weise der Festfeier und die historische Erinnerung, die damit verbunden ist: „Aber ich, der Herr, bin dein Gott aus Ägyptenland her, und ich will dich in Laubhütten wohnen lassen, wie in den Tagen der heiligen Feste." Das punctum saliens in diesem Abschnitt in Nehemia liegt nicht darin, dafs die Sache gethan wurde, sondern in der Art und Weise, wie sie gethan wurde. Nicht dafs diese Handlung seit den Tagen Josuas nicht vollzogen wurde, sondern dafs sie nicht so verrichtet wurde, darum handelt es sich. Die Universalität und die allgemeine Freude, mit welcher es nach der unmittelbar folgenden Aussage gefeiert wurde, hatte keine Parallele in der ganzen Geschichte seit den Tagen Josuas, da ganz Israel in Zelten wohnte und sich freute über die manifestierte Gegenwart Jehovahs in ihrer Mitte und über die kurz vorher gegangene Besitzergreifung des Landes, in welchem Milch und Honig fliefst. So war es auch bei den kurz zuvor zurückgekehrten Exulanten, die nun wiederum im Besitz des Landes ihrer Väter waren. Des allmächtigen Schutzes und der Hilfe Jehovahs wieder gewifs, hatten sie sich mit Freude und Einmütigkeit auf jede Forderung des Gesetzes verpflichtet, das ihnen jetzt von neuem erklärt und vorgehalten wurde; ihnen war, als ob jene alten Zeiten des nationalen Glanzes und glücklichen Volkslebens zurückgekehrt wären. Auch hinsichtlich des Laubhüttenfestes wird, wie bei den übrigen Festen, dieselbe Behauptung aufgestellt, aber mit ebensowenig Grund, dafs die freiwilligen Privatopfer, welche in den frühesten Zeiten gebräuchlich waren, in öffentliche Gesamtopfer übergegangen seien, die mit pein- — 283 — lieber Genauig-keit vorgeschrieben, mebr Sacbe der Priester als des Volkes waren; dafs der Zebnte und die Erstlinge von Öl und Wein eine legale Abgabe an die Priester waren statt einer freiwilligen Dankesgabe an Gott. Daher findet man auch nichts mehr von dargebrachten Gaben, die für ein fröhliches Mahl der Darbringer und ihrer Freunde am Heiligtum verwendet wurden. Auf diese Weise, behauptet man, wurde die Eeligion mehr und mehr von dem alltäg- lichen Leben und den Anlässen zu fröhlichen Dankes- bezeugungen, welche der Wechsel der Jahreszeit und der überströmende Reichtum des Landes mit sich brachte, los- gelöst. Jetzt hatte das Opfer wesentlich ein- und denselben Zweck: Mittel des Kultus zu sein. Der Atem des Lebens zog nicht mehr hindurch: die Seele war entwichen, die Schale geblieben. Die Mannigfaltigkeit der Riten trat an die Stelle der individualisierenden Anlässe, die Technik war die Hauptsache, die steife, vorschriftsmäfsige Ausführung nach den Regeln der Kunst. Der Kultus war ehedem spontan, jetzt wird er Statut.^) Das war symptomatisch für den Übergang von dem alten Israel in das spätere pharisäische Judentum. Wie grundlos das alles ist, haben wir früher schon gesehen. Der P. C. des Leviticus und Numeri, welcher die Opfer bestimmt, die während des ganzen Festes Tag für Tag für das ganze Volk dargebracht werden sollen, giebt zu derselben Zeit ausdrückliche Weisungen über alle Gaben, Gelübde und freiwillige Opfer, welche das Volk aus religiösem Drang darbringen wollte: Lev. 23, 38; Num. 29, 39. Es wird ausdrücklich geboten, während der ganzen Festzeit fröhlich zu sein vor dem Herrn, Lev. 23, 40, und zwar in Ausdrücken, welche denen in Deut. 16 sehr ähnlich 1) Vgl. Wellhausen, Prolegoraena S. 80. Anm. d. Übers. — 284 — sind. Dafs die Verbindung- von nationalem und individuellem Gottesdienst, von Gemeindeopfer und privater Festfeier und dankbarem Frohsinn vor dem Herrn diese Feste bis herab in die Zeit Salomos und bis zum Ende des Alten Testaments charakterisierte, ergiebt sich ganz klar aus 1. Kön. 8, 5. 62—64; Esra 3, 4. 5; Nehemia 3, 10—12. In der That war das gemeinsame Heiligtum Israels, der Wohnsitz Gottes zu Zion und der Gottesdienst daselbst, der feste Glaube, welcher darauf ruhte, die Hilfe, welche von da ausging, weit entfernt die Glut der Frömmigkeit zu dämpfen und in einen geist- und gemütlosen, öden Formendienst auszuarten , vielmehr gerade der Born , aus welchem warmes, religiöses Leben hervorquoll, die Quelle heiliger Sehnsucht und brennender Hingabe, wovon der ganze Psalter vom ersten bis zum letzten Psalm ein sprechendes Zeugnis ablegt; denn das centrale Thema des ganzen Buches ist die eine irdische Wohnstätte des Allerhöchsten auf seinem heiligen Berg; dorthin steht alles Hoffen, von dort gehen die Impulse aus zu allem Grofsen und Herr- lichen, das in Israel geschah.^) „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlanget und sehnet sich nach den Vorhöfen des Herrn; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott ! Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit (lechzet) meine Seele nach dir, o Gott. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott; wann werde ich dahinkommen, dafs ich Gottes Angesicht schaue ? Herr, wer wird wohnen in deiner Hütte? wer wird bleiben auf deinem heüigen Berge? Wer ohne Wandel einhergeht und recht thut, und redet die Wahrheit von Herzen. Wer wird auf des Herrn 1) Vgl. den bemerkenswerten Artikel von Sraend : „Über die Be- deutung des jerusalemischen Tempels in der alttestamentlichen Religion" in den „Studien und Kritiken" 1884. S. 718 flf. — 285 — Berg gehen? und wer wird stehen bleiben an seiner hei- ligen Stätte? Der unschuldiger Hände und reines Herzens ist, der nicht Lust hat zu losem Wesen, und schwört nicht fälschlich; der den Segen vom Herrn empfängt und Ge- rechtigkeit vom Gott seines Heils . . . Machet die Thore weit und die Thüren in der Welt hoch, dafs der König der Ehren einziehe. Wer ist derselbe König der Ehren? Es ist der Herr stark und mächtig, der Herr Zebaoth, er ist der König der Ehren. Ich freue mich, wenn sie zu mir sagen: Lasset uns in das Haus des Herrn gehen. Unsre Füfse stehen in deinen Thoren, o Jerusalem, da die Stämme des Herrn liinaufgehen, die Stämme des Herrn, ein Zeugnis für Israel zu danken dem Namen des Herrn. Sende dein Licht und deine Wahrheit, dafs sie mich leiten, und bringen mich zu deinem heiligen Berge und zu deinen Wohnungen. Dafs ich hineingehe zum Altar Gottes; zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir auf der Harfe danke, Gott, mein Gott ... Mit meiner Stimme rufe ich zum Herrn, so erhöret er mich von seinem heiligen Berge." Wir müssen von den Kritikern viel darüber hören, dafe die Centralisation des Gottesdienstes der alten Religion Israels den Todesstofs gegeben und einen Apparat äufser- licher Formalitäten an Stelle der treuen, innigen Hingabe gesetzt habe. Lafst sie doch einmal das Buch der Psalmen erklären und die Glut der heiligen Begeisterung, der reinen selbstverleugnenden Hingabe, die ausgezeichnete und er- leuchtete Frömmigkeit, die uns überall entgegentritt, auf iliren Ursprung zurückverfolgen. Es war das Heiligtum auf Zion. das diesen heiligen Enthusiasmus entflammte. Wo finden wir etwas Ähnliches bei jenen LokalheiHgtümern und jener Volksreligion, worüber uns so vieles gesagt wird ? Ich lenke jetzt nicht die Aufmerksamkeit auf irgend ein Argument hin, das aus der davidischen Abfassung von — 286 — irgend einem Psalm abgeleitet und als Beweis für die Ein- heit des Heiligtums zur Zeit Davids gewonnen wird; son- dern ohne auf die Fragen nach dem Verfasser und die Zeit der Abfassung einzugehen, sehen wir das Buch als ein Ganzes an, als den Ausdruck frommer Herzen in Israel, als die Blume und Krone alttestamentlicher Frömmigkeit. Acceptiert die kritische Hypothese, wenn es euch so ge- fällt, dafs die Psalmen beinahe ohne Ausnahme nachexilisch seien, und dafs wir weiter nichts darüber wissen, als dafs dieselben das Gesangbuch des zweiten Tempels gewesen sind. Denn dann ist das Buch der Psalmen nicht nur in die gleiche Zeit mit der behaupteten x4.bfassung des P. C. durch Esra zu setzen, und der P. C, , sagt man uns ja, habe die Frömmigkeit Israels erstickt und in einen Formen- kram verwandelt, sondern es leitet auch von dem Central- heiHgtum und dem centralisierten Kultus seinen Ursprung ab und nimmt allen Eifer und Begeisterung und schöpft alle hohe und reine, religiöse Verehrung aus demselben. Und dieser Kodex mit seiner ceremoniellen und in Formen erstarrten Gottesverehrung soll ja zur Centralisation des Kultus an einem einzigen Heiligtum die Hauptursache ge- wesen sein. Endlich wird auch hinsichtlich des Laubhüttenfestes, wie der übrigen, behauptet, dafs die Feier desselben an einem Centralheiligtum den älteren Gesetzen, wie den älteren Geschichtsperiodeu unbekannt sei, dafs es zuerst an Lokalheiligtümern in den verschiedenen Teilen des Landes gefeiert und erst im Laufe der Zeit von dem ganzen Volk an einem gemeinschaftlichen Kultort begangen wurde. Wir haben bereits gesehen, dafs diese Behauptung, insofern das Passah und das Fest der Wochen in Betracht kommen, gänzlich unbegründet ist. Gleich also verhält es sich mit dem Laubhüttenfest. Nirgends kann aus dem Gesetz ent- — 287 — nommen werden , dafs dieses Fest jemals an verschiedenen Orten gefeiert wurde, und nirgends in der Geschichte findet sich eine Angabe, dafs es jemals anderswo als am gemein- samen Heüigtum gefeiert worden wäre, nirgends ist auch eine Thatsache berichtet, aus welcher mit Grund auf eine verschiedene Praxis geschlossen werden könnte. Das Ge- bot in Exod. 23 und 34 ist über alle drei Feste dasselbe. Dreimal im Jahre sollen alle deine Mannsbilder vor dem Herrn erscheinen, aber nicht an verschiedenen Heiligtümern und Gotteshäusern, sondern „im Hause des Herrn, deines Gottes". Dieses Haus des Herrn mufs da gewesen sein, wo des Herrn Altar war, und der Altar mufste da sein, wo der Herr seines Namens Gedächtnis stiften werde, Exod. 20, 24. Damit ist die Forderung in Deut. 16, 16 ganz in Übereinstimmung: „Dreimal des Jahres soll aUes, was männlich ist unter dir, vor dem Herrn, deinem Gott, erscheinen, an der Stätte, die der Herr erwählen wird." In allen Gesetzen herrscht hierüber die schönste Einhellig- keit. Es ist an dem einen Haus Gottes, wo ganz Israel alljährlich erscheinen und diese heiligen Zeiten begehen soll. Oder wenn wirklich eine Verschiedenheit unter diesen Ge- setzen gefunden werden soU, und fest und steif auf dem kritischen Grundsatz bestanden wird, dafs jedes einzelne Gesetz absolut aus sich selbst verstanden und erklärt wer- den mufs, abgesehen von einer Beziehung zu irgend einem andern Gesetz, dann würde die Schlufsfolgerung gerade das Gegenteü sein von derjenigen, welche Wellhausen thatsäch- lich zieht. Im Bundesbuch und im Deuteronomium werden Wallfahrten nach dem Heiligtum auf jedes jährliche Fest geboten. Im P. C, in Leviticus und Numeri wird dieses Gebot nicht wiederholt, sondern einfach als bekannt voraus- gesetzt. Aber wenn kein Gesetz ein anderes ergänzen darf, so ergiebt sich nach Wellhausens eigenen Grundsätzen — 288 — unvermeidlich die Schlufsfolgerung , dafs ursprüugiicli das Volk die Feste an einem gemeinsamen Heiligtum feierte, was aber nach dem Exil aufhörte der Fall zu sein. Wellhausen ^) unterfängt sich, uns den Entwicklungs- gang des Herbstfestes der Weinlese zu erklären. Die frühste Kunde von einem solchen Fest findet er in Eichter 9, 27, wo die götzendienerische Bevölkerung von Sichem nach ihrer Sitte hinaufging in das Haus ihres Gottes Baal Berith, nach der Weinlese, wo sie afsen und tranken und dem Abimelech fluchten. Ebenso wird in der Fabel Jo- thams darauf angespielt; denn V. 9. 13 spricht von der Fettigkeit des Ölbaums „die beide, Götter und Menschen preisen'' und vom „Wein, der Götter und Menschen frölilich macht". Diese Feier mufs sich ziemlich früh bei den Israeliten eingebürgert haben. Richter 21, 19 wii'd dann ein ähnliches Fest zu Silo erwähnt, das von Jahr zu Jahr in den Weinbergen dem Jehovah begangen wurde, wobei die Mädchen draufsen zum Reigen antraten. Zwar ist die Erzählung Richter 19 ff. im ganzen höchst unglaubwürdig, doch wird dieser Zug durch den jährlichen Besuch von Samuels Vater zu Silo 1. Sam. 1, 3 bestätigt. Dies ge- schah „wenn die Tage sich wenden" oder „nach Umlauf der Tage" 1. Sam. 1, 20, ein Ausdruck, der mit dem: „am Ausgang des Jahres" Exod. 34, 22 beinahe identisch ist, nämlich der Zeit des Herbstfestes. Sein Ergebnis ist, dafs, anstatt die Feste an verschiedenen Orten des ganzen Landes weiter zu feiern, besondere Centren gegen den Schlufs der Richterzeit sich auszubilden begannen, wie Sichem und Silo, die als Kultorte weit mehr als lokale Bedeutung erlangten und die Wallfahrer der umliegenden Distrikte mächtiger anzogen. Nachdem Sichem eine israelitische Stadt geworden ^) „Geschichte Israels" S. 96 ff. Prolegomena S. 95 ff. — 289 — war, werden die Hilliüim (Weinlesefeste) so wenig ab- geschafft worden sein wie das Gotteshaus. Noch gröfseren Einflufs müssen nachher die grofsen königlichen Tempel - bauten ausgeübt haben. Sowohl zu Jerusalem als zu Bethel wurde seit Salomo und Jerobeam das Fest gefeiert, das- selbe wie zu Sichem und Silo , dort im siebenten Monat, hier vielleicht etwas später. Dies war damals die einzige wirkliche Panegyris oder Versammlung des ganzen Volkes. Das Erntefest mag zwar auch schon begangen worden sein, aber in kleineren lokalen Kreisen. Diesen Unterschied er- kennt man noch im Deuteronomium , denn obwohl hier die Laubhütten theoretisch nicht den Vorgang haben, war dies doch das einzige Fest, das eine volle Woche gefeiert wurde, beim Passah hatten die Wallfahrer nur einen einzigen Tag am Heiligtum zu bleiben, und selbst diese geringe Forderung wii'd viel nachdrücklicher eingeschärft als die gröfsere. Dies zeigt, dafs es eine Neuerung war. Allein der Gottesdienst des Baal Berith hat mit den Festen Jehovahs nichts zu thun. Weder in der angeführten Stelle noch in sonst irgend einer anderen findet sich eine Andeutung, dafs die Feste Jehovahs jemals in Sichem gefeiert worden wären. Dagegen ist ausdrücklich Er- wähnung gethan vom Fest des Herrn zu Silo. Und wenn dies auch in den letzten Kapiteln des Eichterbuches gefunden wird, die hier berichtete Thatsache gehört der frühesten Geschichte dieses Buches an, denn Pinehas, der Enkel Aarons war zu der Zeit Priester, Kap. 20, 28. Silo war der Ort, wo Josua die mosaische Stiftshütte aufgerichtet hatte, Jos. 18, 1, und wo das Haus Gottes während der Eichterzeit sich befand, Eichter 18, 31; 19, 18 bis auf die Zeit Salomos herab, und noch den Namen „Hütte der Ver- sammlung" "ii;7t2 brni trug, 1. Sam. 2, 22, eine Bezeichnung, welche niemals auf ein anderes Gebäude als die mosaische Green, Die Feste der Hebräer. 19 — 290 - Stiftshütte angewandt wurde. Hier versammelten sich nicht nur die Anbeter der umliegenden Distrikte von Ephraim, sondern von ganz Israel 1. Sam. 2, 14. Hier war die Wohnung Gottes, der einzige von Gott befohlene Ort, wo die Opfer für das ganze Israel dargebracht werden mufsten, und wo die eine Priesterschaft, die der Herr aus allen Stämmen Israels erwählt hatte, ihres Amtes warten soUte, V. 27 — 29. Die Kritiker sagen uns, die letztangeführte SteUe sei ein Einschiebsel von dem deuteronomischen Re- visor; der einzige Beweis dafür ist aber nur der, dafs sie ihrer ganzen Hypothese sclilechthin widerspricht. Wir können freilich uns ihrem sehr natürlichen Wunsche, das unbequeme Zeugnis dieser Stelle aus der W^elt zu schaffen, nicht anbequemen. Auf die Geschichte haben sie sich be- rufen, und bei den Thatsachen der Geschichte müssen sie bleiben. Die Erwähnung der „Töchter von Silo", besonders Richter 21, 21, die beim Fest zum Reigen und Tanz draufsen antraten, beweist keineswegs, dafs es nur eine Lokalfeier war. Denn abgesehen von der Thatsache, dafs die Vertreter des Volkes, die sich zum Fest eingefunden hatten, ganz natürlich ihre eigenen Töchter, zu deren Nicht- verheiratung an Benjaminiten sie sich eidlich verpflichtet hatten, von dem Anschlag ausgenommen wissen wollten, waren die Weiber zur Beteiligung an den Festen nicht gesetzlich gezwungen, und dieselben würden weniger wahr- scheinlich in der damaligen kriegerischen Zeit freiwillig ge- gangen sein als in andern Jahren. Bemerkenswert ist es jedoch, dafs das ganze Israel, das unter den Waffen stand, den Kriegsschauplatz verliefs, nach Silo kam 21, 12, und daselbst bUeb, bis das Fest vorüber war, V. 24. Die nächste Erwähnung eines der religiösen Feste ge- schieht bei der Einweihung des salamonischen Tempels, — 291 — welche, um eine echt nationale Feier daraus zu machen, auf die Zeit der Laubhütten, m den siebenten Monat fest- gesetzt wurde. Die Unermefslichkeit der Versammlung und Beteiligung bei diesem Anlafs ergiebt sich aus den Opfern, die Salomo für das Volk darbrachte. „Und Salomo opferte dem Herrn Dankopfer, an Ochsen zweiundzwanzigtausend und an Schafen hundertundzwanzigtausend", 1. Kön. 8, 63, vgl. V. 5. Die Lade des Herrn, die Hütte des Stifts und alles Geräte des Heiligtums wurde in den Tempel gebracht, der dadurch Erbe der ausschliefsüchen Heiligkeit wurde, welche vorher jener beigelegt war. Das „Tabernakel der Kongregation" oder genauer das „Zelt der Versammlung", ist natürlich nicht das Zelt, das David zur temporären Auf- nahme der Lade des Herrn aufgeschlagen hatte, denn dieses wird niemals so genannt, sondern es ist die alte, mosaische Stiftshütte, welche beständig diese Bezeichnung hatte und seit der Zeit der Einbufse ihrer göttlichen Bedeutung durch die Wegnahme der Bundeslade durch die Pliilister ein leeres Gehäuse, ein Leib ohne Seele, zu Nob und Gibeon geblieben ist, bis auf diesen Tag. Die ganze Bedeutung und feierlichste Eindrücklichkeit der Tempelweihe konzentrierte sich in der Überführung der Bundeslade. „Salomo versammelte die Ältesten und alle Obersten der Stämme und Fürsten der Väter unter den Kindern Israel zu sich gen Jerusalem," nicht um das von ihm errichtete Gebäude anzuschauen, zu bewundern oder daselbst anzubeten, „sondern die Lade des Herrn herauf zu bringen aus der Stadt Davids, das ist Zion", 1. Kön. 8, 1. Bei der feierlichen Überführung der Lade an ihren neuen Wohnort ging „der König Salomo und die ganze Gemeinde Israel, die zu ihm sich versammelt hatte, vor der Lade her und opferten Schafe und Kinder, so viel, dafs maus nicht zählen noch rechnen konnte, V. 5. Die Lade, 19* — 292 — das Symbol und Unterpfand der Gegenwart Gottes, enthielt die zwei Tafeln von Stein, die Moses darein gelegt hatte am Horeb, da der Herr einen Bund machte mit den Kin- dern Israel, da sie aus Ägyptenland gezogen waren," V. 9. Und als die Lade an iliren Ort gestellt war „da erfüllte eine Wolke das Haus des Herrn, dafs die Priester nicht stehen und ihres Amtes pflegen konnten vor der Wolke, denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus des Herrn", V. 10. 11, wie ehemals auch bei der Errichtung der Hütte des Stifts geschah. Dann sprach Salomo: „Der Herr hat gesagt, er wolle im Dunkeln wohnen. Ja, ich habe ein Haus gebaut dir zur Wohnung, einen Sitz, da du ewiglich bleibest, V. 12. 13. Seit der Zeit, da Gott sein Volk Israel aus Ägypten führte, hat er keine Stätte erwählt aus allen Stämmen Israel, ein Haus zu bauen, dafs sein Name daselbst wäre, David aber hat er erwählt, dafs er über sein Volk Israel König sein sollte," V. 16. Und Gott hat in keinem Hause gewohnt, seit den Tagen, da er die Kinder Israel aus Ägypten führte, sondern hat in einem Zelt und Tabernakel gewandelt, 2. Sam. 7, 6. Nun aber, da der Herr seinem Volk Ruhe gegeben hatte nach allen Seiten 1. Kön. 5, 3 — 5 hat Salomo nach der Verheifsung, die seinem Vater David gegeben war, die Erlaubnis er- halten, dem Herrn ein Haus zu bauen und der Lade des Herrn eine Stätte darin zuzurichten. Er giebt seinem Er- staunen Ausdruck darüber, dafs der Gott, den der Himmel und aller Himmel Himmel nicht fassen mögen, herab- gestiegen sei, in dem Haus zu wohnen, das er gebaut hatte. Dennoch betet er : „Lafs deine Augen offen stehen über diesem Haus Tag und Nacht, über der Stätte, davon du gesagt hast: Mein Name soll da sein, dafs du hörest auf das Gebet, das dein Knecht an dieser Stätte beten wird; und wollest erhören das Flehen deines Knechts und — 293 — deines Volkes Israel, das sie beten werden an dieser Stätte, du wollest hören an der Stätte deiner Wohnung, im Himmel, und wenn du es hörest, gnädig sein," 1. Kön. 8, 20 if. Nichts ist aus diesem Berichte einleuchtender und klarer, als dafs dies für Salomo und das ganze Israel nicht ein Heiligtum aus vielen andern war, sondern das eine Centralheiligtum des Allerhöchsten, und dafs dessen gröfsere Heiligkeit nicht dem gröfseren Glanz und der gröfseren Pracht des Baues zuzuschreiben ist, auch nicht dem Um- stand, dafs daselbst der königliche Palast war, sondern die eminente Heiligkeit des Tempels hatte ihren alleinigen Grund in der Gegenwärtigkeit der Bundeslade und der hin- fortigen Einwohnung des Herrn Zebaoth. Natürlich machen die Kritiker bei dieser für sie geradezu vernichtenden Er- zählung von ihrem Messer sehr ungenierten Gebrauch. Der nachexilische Verfasser des Buches, sagen sie uns, hat die abergläubische Scheu, mit welcher der Tempel in späterer Zeit betrachtet wurde, auf die salomonische Zeit übertragen, obwohl sie damals gar nicht vorhanden war. Wir fordern sie auf, dies zu beweisen. Ein Ausweg, sich aus der Klemme zu ziehen, ist absolut nicht vorhanden; es mufs zugestanden werden , dafs der klare Buchstabe der Erzäh- lung zu ihrer Hypothese im allergröfsten Gegensatz steht. Jedes Zeugnis, welches aus irgend einer erreichbaren Quelle geschöpft werden kann, weist nach einer Richtung und nach einem Ziel hin, nämlich dahin, dafs der Tempel zu Jerusalem das einzige legitime Heiligtum in Israel nach Silo gewesen ist. Nicht mit einer Silbe wii^d dem wider- sprochen, und nirgends erhebt sich ein entgegenstehender Beweis. Nichtsdestoweniger mufs alles als unglaubwürdig verdächtigt und in den Wind geschlagen werden; einzig und allein weil es den Kritikern nicht in ihren Kram pafst. — 294 — Jawohl, sagen sie, aber die Höhen wurden nicht ab- gethan, selbst nachdem der Tempel gebaut war. Salomos Herz neigte sich in seinem Alter andern Göttern nach 1. Kön. 11, 4. 7, und er baute eine Höhe Kamos, dem Greuel der Moabiter, und Molech, dem Greuel der Kinder Amnion. In der ßegierungszeit Rehabeams, Kap. 14, 23, baute Juda Höhen, Säulen und Astarten auf allen hohen Hügeln und unter allen grünen Bäumen. So machte Aaron und das Volk Israel am Fufs des Sinai ein goldenes Kalb. So hat Judas auch seinen Herrn verraten. Schandbare Apostasien und Abirrungen von Wahrheit und Recht hat es zu allen Zeiten gegeben. Was beweisen sie anders als die Verderbtheit der menschlichen Natur und die angeborne Neigung des Menschen, von dem heiligen Gott und von der Lauterkeit und Heiligkeit seines Dienstes und seiner An- betung abzuweichen, die gerade da zum Ausbruch kommt und aufs tiefste demütigt, wo man es am allerwenigsten erwartet. Oder will man glauben, dafs Salomo der Über- zeugung war, den Göttern Kamos und Molech gebühre die- selbe Verehrung wie Jehovah? Wenn Salomos Übertretung das Nichtvorhandensein des Gesetzes beweisen soll, das er so gröblich verletzte, so ist dagegen zu erwidern, dafs nicht die Einheit vom Heiligtum des Herrn es ist, worum es sich hier handelt, sondern ob Jehovah der Gott Israels war. Wieder werden wir daran erinnert, dafs die zehn Stämme ihr Herbstfest zu Bethel feierten. Allein dies be- weist nicht, dafs Bethel ein gleich legitimes Heiligtum war. Wir haben einen historischen Bericht über die Aufrichtung dieses schismatischen Götzendienstes durch Jerobeam, dessen Ziel es war, den Gottesdienst auf ein vorher an Ansehen hervorragendes, gemeinsames Heiligtum zu centralisieren, damit nicht eine Fortdauer der religiösen Einheit, die erst — 295 — kürzlich zerrissene politische Einheit wiederherstelle. „Und Jerobeam g-edachte in seinem Herzen: das Königreich wird nun wieder zum Hause Davids fallen," daher setzte er die goldenen Kälber, eins zu Bethel und das andere zu Dan, 1. Kön. 12, 26 ff. Diesen Bericht sieht Wellhausen als unzuverlässig an. Ganz natürlich; denn seine Gewohnheit ist es ja, jedes ihm unbequeme Zeugnis einfach zu ent- fernen. Die Kritiker sagen uns, dies sei ein Heiligtum aus der Zeit der Vorfahren gewesen, da es Sitte war, Jehovah unter dem Bilde eines jungen Stiers zu verehren. Auf der einen Seite haben ^vir die ausdrückliche Erzählung des Historikers, und auf der andern Seite die unbegründete Behauptung des Kritikers; wer von beiden verdient Glau- ben? Von diesem Kälberdienst in Israel findet sich von Aaron bis Jerobeam keine Spur, selbst nicht einmal ein Zeugnis, dafs solcher Gottesdienst als gesetzlich betrachtet wurde, aber auch selbst der Abfall von Gott nahm niemals jene Form an. Der Bilderdienst kam aus Ägypten und war eine Frucht von Jerobeams langem Aufenthalt daselbst. Wenn Bethel ein regelrechtes Heiligtum, und der Gottes- dienst daselbst legitim war, warum hat denn Elias sein Opfer, welches dazu bestimmt war, das Volk vom Baalsdienst zum Jehovahdienst zurückzuführen, nicht zu Bethel, sondern auf dem Karmel dargebracht, der gar keine Beziehung und Bedeutung für die heilige Geschichte hatte? Und warum geschah es auf einem Altar, dessen zwölf Steine ein lauter Protest gegen das Schisma waren, und warum zu einer Zeit, die mit dem Gottesdienst im Tempel übereinstimmte? Und warum suchte der Prophet, als sein Leben diu'ch Isebels Drohen und Schnauben in Gefahr war, den Herrn am Horeb, von dessen Spitze nicht nur das Gesetz proklamiert wurde: „Du sollst keine andern Götter neben mir haben"; sondern auch: „Du sollst dir keine gegossenen Götter — 296 — machen" ? Warum hat nicht nur Elias den Aliab verflucht, weil er den Baalsdienst einführte, sondern auch Elisa den König Jorara verworfen, der die Säule Baals abthat, die sein Vater machen liefs, aber an den Sünden Jerobeams hängen blieb, 2. Kön. 3, 2 f. 13? Warum schritt er gleich dazu, Hasael zu salben, damit er Israel züchtige, 1. Kön. 19, 15; 2. Kön, 8, 13? Ferner, warum spricht Hosea mit solcher Verachtung und Abscheu vom Kälberdienst, Hosea 8, 5 f.; 10, 5 f., 13, 2, verwirft diese Feste als Baalsfeste 2, 13, weist hin auf Bethel als die hauptsächlichste Quelle der Korruption und des Ruins 10, 8. 15 ; erklärt die Könige für solche, die sich selbst zum König machen, aber weder göttliche Erwählung noch auch göttliche Bestätigung haben 8, 4, und knüpft alle Hofihung für Israels Zukunft an die Bekehrung von ihrem falschen Regiment und falschen Gottes- dienst zu dem Herrn, ihrem Gott, und ihrem König David 3, 5? Weder Bethel noch die Kälber werden irgendwo sanktioniert. Während nun das Laubhüttenfest, wird ferner be- hauptet, in sehr früher Zeit an einem gemeinsamen Heilig- tum gefeiert wurde, ist kein Beweis vorhanden, dafs dieses mit den übrigen Festen ebenso der Fall war. Nur von einem Fest wird, Richter 21, 19, zu Silo gesprochen. Auf dieses Fest ging Elkana alljährlich hinauf, 1. Sam. 1, 3 if.; dieses Fest ist erwähnt bei der Einweihung des salomo- nischen Tempels, 1. Kön. 8, 2, und geschildert im Gegen- satz zu dem Fest Jerobeams, 1. Kön. 12, 32 ff. Nun wird argumentiert, dafs während dieser ganzen Periode nur ein Wallfahrtsfest gefeiert worden sein konnte, die übrigen Feste dagegen jetzt noch an Lokalheiligtümern durch das ganze Land hin stattgefunden haben müssen. Allein mit Ausnahme von Josuas Passah herrscht über dieses Fest und das Fest der Wochen während dieser ganzen Periode — 297 — totales Stillschweigen. Nirgends ist ein Bericht über eine Lokalfeier, ja nicht einmal eine Andeutung; und doch ver- ordnen die Gesetze , welche die Kritiker für die ältesten halten und die Praxis dieser Periode beherrsclien sollen, drei Feste, und verlangen auf jedes die gleiche Wallfahrt nach dem Heiligtum. Nun ist es ganz klar: entweder war das Gesetz vorhanden, aber wurde nicht befolgt, oder das Schweigen der Geschichte widerspricht der Feier der Feste nicht. Man mag das eine oder das andere einräumen, in jedem Fall wird die Hypothese einer ihrer Hauptstützen beraubt. Die Psalmen Davids erkennen nur ein Heiligtum an, das auf Zion. Aus deren Überschriften haben wir den Beweis für ihre Echtheit genommen; dazu kommt noch in gewissen Fällen ebensowohl starker innerer Beweis, als auch die allgemeinen Beziehungen auf David als „den Ge- salbten des Gottes Jakobs, lieblich mit Psalmen", 2. Sam. 23, 1. Der Hinweis auf sein hervorragendes musikalisches Talent, 1. Sam. 16, 16 ff. ; Amos 6, 5; die Wiederholung von Ps. 18 in 2. Sam. 22, die übrigen poetischen Stücke 2. Sam. 1, 17; Kap. 23; die ausgedehnte Verwendung der Musik im Gottesdienst Amos 5, 23; Jesaia 30, 29; Jerem. 33, 11; von dem ausdrücklichen Zeugnis der Chronik gar nicht zu reden. Allein es ist mit der Hypothese schlechter- dings unvereinbar, die davidische Abfassung irgend eines Psalmen zuzugeben. Alle müssen in die nachexiüsche Zeit versetzt werden. Und was sagen denn die Propheten? Hosea und Amos verwerfen die Heiligtümer Israels in den allerschärfsten Ausdrücken Hos. 4, 13. 15; 10, 8. 15; Amos 3, 14; 4, 4; 5, 4. 5; 8, 14. Hosea nennt die daselbst gefeierten Feste Baalsfeste 2, 11. 13 und verbindet das aufrichtige Suchen des Herrn mit einer Eückkehr zu ihrem König David 3, 5. — 298 — Arnos 1, 2 beruft sich auf Gottes laute Richterstimrae , die er aus Jerusalem werde hören lassen. Jesaia 29, 1 spricht von den Festen, die ihren jährlichen Umlauf machen in der Stadt Davids, von fröhlichen Prozessionen bei der Passah- feier auf dem Berg des Herrn 30, 29; vom Herabfahren des Herrn, zu streiten auf dem Berg Zion und Jerusalem zu beschirmen, wo seine Altarfeuer brennen 31, 4. 5. 9; von Zion. der Stadt unsrer Festlichkeiten, die kein Feind angreifen kann 33, 20; 26, 1; 10, 32; wo Jehovah seine heilige Wohnung hat 8, 18 und König ist über die Könige auf Erden 24, 23 ; wo er angebetet wird auf seinem heüigen Berge 27, 13; wo Geschenke aus fernen Landen an den Ort gebracht werden, da der Name des Herrn Zebaoth ist, zum Berge Zion 18, 7 ; wohin auf einen Tag alle Völker in williger Unterwerfung strömen werden 2, 3; wo der Herr allem Volk ein fettes Mahl bereiten werde 25, 6 ; und wo er erneuern werde Wolkensäule und Rauch des Tages und Feuerglanz der Flamme des Nachts, als Symbol seiner Gegenwart und seines Schutzes 4, .5; dessen Vorhöfe er ihm gehörend bezeichnet, obschon unwürdige Anbeter die- selben zertreten und entheiligt haben 1, 12. Die Thatsache steht unumstöfslich fest, dafs Jerusalem und nicht die Höhen in Israel bei den ältesten Propheten als das wahre Heiligtum Jehovahs gegolten hat. Die Kri- tiker aber verschmähen kein Mittel und keinen Ausweg, die Macht dieser Thatsache zu brechen. Sie sagen, es war nicht die Bevorzugung eines Heiligtums vor andern als solchen, sondern das eine Heiligtum errang den ersten Platz, weil an den übrigen durch allerlei Mifsbräuche, die ein- gerissen waren, und durch falsche Wertschätzung des Kultus derselbe ausgeartet war. Dr. Robertson Smith sagt: „es geschah nicht, weil der Tempel in Jerusalem war, sondern weil Jerusalem die Hauptstadt des Königreichs, der Sitz — 299 — der Herrschaft Jeliovalis war." Allein wie gänzlich ver- fehlt die Yorstellung- von der unbedingten Zusammengehörig- keit eines Heiligtums und einer königlichen Residenz ist, ergiebt sich aus der Thatsache, dafs beim Zehnstämmereich beides niemals beisammen war. Smend^) giebt zu, dafs es das Heiligtum in Jerusalem war, welches die Propheten preisen, aber sie thaten dies, weil sie den Sturz des Zehn- stämmereichs und die Erhaltung Judas anticipieren. Sie stehen oder fallen mit ihren Tempeln. Durch den that- sächlichen Sturz Samarias und die Zerstörung des Nord- reichs wurde Jerusalem von der stolzen Nebenbuhlerin be- freit, vollends aber wurde durch die schreckliche Niederlage Sanheribs die Verehrung des Tempels zu Jerusalem auf den höchsten Grad gesteigert, Smend verwechselt aber dabei gerade die Ordnung von Ursache und Wirkung. Nicht weil Jerusalem beschützt und bewahrt wurde, war daselbst der Wohnsitz Jehovahs, sondern weil Jehovah da- selbst erwählte, die Stätte seines Namens zu haben, war sein heiliger Arm schützend und schirmend über demselben ausgestreckt. Die Propheten Jesaia, Micha, Jeremia und Ezechiel weissagen die Zerstörung Jerusalems und seines Tempels, dies thut aber in ihren Augen der Vorstellung, dafs es die Wohnstätte Gottes war, keinen Abbruch. Je- hovah hat Israel und Zion verlassen wegen der Missethaten, die daselbst geschahen, aber dies hat die göttliche Erwäh- lung weder in dem einen noch in dem andern Fall auf- gehoben. Smend behauptet, dafs wir von der Präponderanz des Tempels zur Zeit Jesaias und Amos nicht schliefsen können, dafs dieselbe auch in der vorhergehenden Periode schon vorhanden gewesen ist, weil die jehovistische Geschichts- 1) „Über die Bedeutung des Jerusalemischen Tempels" Studien und Kritiken 1884. S. 703. — 300 — erzählung der Genesis aus dieser Zeit mit der Anschauung verbunden ist, die Heiligtümer zu Bethel und Beersclieba und anderswo zu preisen und zu rühmen, als seien diese Orte der Sage nach durch göttliche Manifestationen, die den Patriarchen geschahen , geheiligt , ehe sie an diesen Orten Opfer darbrachten. Die Kritiker lassen deshalb eine Periode vorausgehen, in welcher diese Heiligtümer in hohen Ehren standen und von den Frommen fleifsig besucht wur- den. Aber warum mufs denn diese Geschichtserzählung jener Periode angehören? Weil die Heiligtümer damals in hohen Ehren standen. Dies gab Anlafs zur Erzählung. Warum standen die Heiligtümer damals in solchem ehr- würdigen Ansehen? Weil damals die Geschichtserzählung ihren Ursprung hatte. So beweisen sie durch einen Cirkel- schlufs die Erzählung durch die Heiligtümer und die Heilig- tümer durch die Erzählung. Warum aber giebt Hosea, der die Heiligtümer verwirft, die Wahrheit dieser patriarchali- schen Erzählungen zu, ja verschärft seine Verdammung noch durch dieselbe 12, 4? Das Bethel Jakobs ist ein Beth-Aven geworden 10, 5. 8. Das Haus Gottes ist in ein Haus der Bosheit verwandelt. Die Behauptung, dafs die patriarchalische Geschichts- erzählung ein durchsichtiges Gewebe von Erdichtung sei, ist eine ganz willkürliche und entbehrt auch jedes Scheines einer Begründung. Diese Orte verdanken ihre Ehrwürdig- keit Erinnerungen, welche an Vorgänge aus der Patriarchen- zeit anknüpften und dazu führten, dafs dieselben von ab- göttischen Anbetern zu Stätten ihres unbefugten Kultus gemacht wurden. Die Geschichte in ihrem Verlauf war es, welche die Wahl der Heiligtümer bestimmte, aber nicht umgekehrt haben die Heiligtümer die Geschichte gemacht, so wenig als das Bunker Hill-Denkmal die Veranlassung war, dafs die Geschichte von einer Schlacht bei Bunker — 301 — Hill (am 17. Juni 1775) erzählt, welche die amerikanische Revolution einleitete. Zur Erinnerung an die Schlacht bei Bunker Hill wurde das Denkmal gesetzt, aber die Schlacht wurde nicht geliefert, weil das Denkmal errichtet war. Die Bundeslade, sagt uns Smend, verlor ihr Prestige nach der Wegnahme durch die Philister; daher die lange Verborgenheit, in der sie sich befand, bis die Siege Davids sie der Verborgenheit entrissen und zu allgemeiner An- erkennung und Wertschätzung erhoben haben. Die Leichtig- keit, mit welcher die Kritiker ihre Thatsachen fabrizieren, ist ganz erstaunlich. Die Geschichte weifs von einem sol- chen Verlust des Ansehens und des Glanzes nichts. Die Lade wurde nicht deshalb so lange Zeit vernachlässigt, weil sie aufhörte, als eine Macht betrachtet zu werden, sondern weil gerade ihre grofse Macht nur Bestürzung und Furcht verbreitete. Die Plage, womit die Philister ge- schlagen wurden, zwang dieselben, die Lade Gottes nach Bethschemesch zurückzusenden, und die Plage, womit die Bethschemiten heimgesucht wurden, zwang diese, die Lade aus ihrer Mitte wegzuschaffen. Sie verbreitete Schrecken und Verderben, und ihrer Feinde verzweifelnder Notschrei war: „Wer kann stehen vor dem Herrn, solchem heiligen Gott? Und zu wem soll er von uns ziehen?" 1. Sam. 6, 20. Vielleicht sagt man : dies ist in das Gebiet der Sage und des Aberglaubens zu verweisen. Nichtsdestoweniger ist daraus ersichtlich, in welchem Ansehen die Lade in Israel stand, und dafs der Grund der langen Verborgenheit und Vergessenheit nicht in deren Verachtung, sondern in der Furcht vor derselben zu suchen ist. Die Trennung der Bundeslade von der Stiftshütte hat Israel eine Zeit lang der manifestierten Gegenwart Gottes beraubt. Es war eine Zeit der Widerwärtigkeiten für die Wohnstätte Gottes, eine Periode, in welcher der Segen, — 302 — welcher durch sie über Israel kam, abgekürzt war, 1. Sam. 2, 32. Das Gesetz über die Einheit des Heiligtums mufste natürhch mit dem Aufhören des Heiligtums selbst fallen. Samuel hat als Gottes beglaubigter Diener die Funktionen der entarteten Priesterschaft übernommen, in seinem eigenen Hause zu Ramah einen Altar aufgerichtet 6, 17; zu Mizpah 7, 9, Gilgal 10, 8; 11, 15 und Bethlehem 16, 2 Opfer dar- gebracht. Das Volk ging hinauf zu Gott gen Bethel 10, 3, wo Jakob mit Gott gerungen hatte, und suchte ihn sonstwo, wie es konnte, gerade wie die Frommen im Zehnstämme- reich später unter einer ähnlichen Notwendigkeit thateu, als sie am Besuch des legitimen Heiligtums verhindert waren, 1. Kön. 18, 30; 19, 14. Die Überzeugung, dafs der Zwiespalt zwischen Jehovah und seinem Volk endlich auf- gehoben und Jehovah aufs neue seine Wohnung in der Mitte seines Volkes aufgeschlagen hatte, war das Geheimnis der freudigen Begeisterung, mit der die ganze Nation die Ankunft der Bundeslade auf Zion begrüfste, 2. Sam. 6, 15. Hier mag es beiläufig bemerkt werden, dafs die Bundes- lade ein neuer Beweis für die Schwäche des argumentum e silentio ist, das in dem Verfahren der Kritiker die Haupt- rolle spielt. Nicht ein einziges Mal wird die Lade von irgend einem der Propheten erwähnt oder darauf Bezug genommen, mit Ausnahme der einen Stelle Jeremia 3, 16. Weder Hosea noch Amos noch Jesaia noch irgend einer ihrer Zeitgenossen giebt einen Hinweis auf dieselbe. Auch Ezechiel spricht nicht davon, noch irgend ein nachexiUscher Prophet. In dem ganzen Psalter wird nur Ps. 132, 8, vgl. 2. Chron. 6, 41 fi". , davon geredet. Wie natürlich ist es nun, nach den Grundsätzen der Kritiker zu schliefsen, dafs die Lade Gottes erst zur Zeit Jeremias oder überliaupt nicht verfertigt wurde. Und doch ist ihr Vorhandensein, ihre erhabene und unnahbare Heiligkeit und ihr mosaischer Ursprung durch die Bücher Eichter, Samuel und der Könige — 303 — sicher beglaubigt , selbst wenn die Angaben über dieselbe im Buch Josua und der Chronik für unglaubwürdig gehalten werden. Und da es niemals m ehr als eine Bundeslade gab, ist dies für sich selbst ein schlagender Beweis, dafs von den Tagen Moses an auch nur ein legitimes Heiligtum vor- handen war. Und wie kann der P. C, der die Bundeslade so hoch stellt und zum centralen und ehrwürdigsten Gegen- stand des Heiligtums macht, wodurch strenge genommen das Heiligtum zur Wohnstätte Gottes wurde, der nach- exilischen Zeit zugeschrieben werden, da die Lade Gottes gar nicht mehr vorhanden und das Heiligtum Israels von solchen Symbolen der Gegenwart Gottes gänzlich verlassen war? Wenn dies eine pia frans des Esra w^ar, konnte er eine andere Absicht gehabt haben als die, den zweiten Tempel dadurch herabzusetzen, dafs er dem mosaischen Heiligtum in der Buudeslade etwas beilegte, das dessen hohe Herrlichkeit begründete, und auf diese Weise den Wert des Rituals zu verringern, dessen AVichtigkeit er doch nicht hoch genug preisen zu können glaubte? Allein selbst als die Lade wieder zu Ehren gekommen, und der Tempel gebaut war, soll nach der Ansicht der Kritiker in den Büchern der Könige keine Spur davon sich finden, dafs ihr die Heiligkeit als Monopol zukam; mit Aus- nahme der Stellen, welche einfach die Anschauungen des nachexilischen Verfassers wiederspiegeln. Aber wie sollen wir diese Abschnitte unterscheiden? Es sind die Abschnitte, welche über die einzigartige Heiligkeit des Tempels handeln, so dafs wir hier wieder jenen fehlerhaften Zirkelsclilufs haben, an dem überhaupt das Beweis verfahren der modernen Kritiker kränkelt. So verhält es sich durchweg mit der Sache. Die Hypothese wird immer und immer wieder durch die Hypothese bewiesen. Darin liegt das ganze Geheimnis dieser sogenannten wissenschaftlichen Kritik mit ihren auf den ersten Anblick verblüffenden und scheinbar unumstöfs- — 304 — liehen Eesultaten : Die Hypothese wird durch die Hypothese bewiesen. Voihi tout! Meine Herren ! Ich bin mit der mir gestellten Aufgabe zu Ende. Lang und beschwerlich war der Weg, welchen wir miteinander zurückgelegt. Ich danke Ihnen für die Geduld und Aufmerksamkeit, mit welcher Sie diesen oft er- müdenden Auseinandersetzungen gefolgt sind. So viel wir uns bewufst sind, sind wir keinem Punkte aus dem Weg gegangen, den unsre Gegner aufgestellt haben. Ich glaube, dafs wir auf Grund einer gewissenhaften Untersuchung sagen können, dafs die Hypothese Wellhausens mit den jüdischen Festen keinen Stützpunkt findet. Die Feste wer- den zu einem Hauptbollwerk seiner Hypothese, das aber gar keinen Wert hat, gemacht. Die Gesetze bestätigen keine allmähliche Entwicklung dieser Institutionen. Die be- hauptete Bekräftigung durch die Geschichte ist nichts als Einbildung. Die ganze Ritualgesetzgebung protestiert da- gegen in allen Punkten, welche auf gleiche Weise mit ebenso- wenig Grund zur Verteidigung der Hypothese verkehrt worden sind. Kritische Studien sollten aber wegen dieser Verkehrtheit weder gemieden noch verachtet werden. Die Schlange, vor der Moses erschrocken floh, wurde ein Stab der Macht in seiner Hand, als er sie furchtlos am Schwanz erhaschte. Das Firmament mag mit schwarzen Gewitter- wolken überzogen sein, und leuchtende Blitze mögen her- niederzucken aus dem Schofse des Himmels und Bestürzung bei den Furchtsamen und Mutlosen hervorrufen; aber es mag nur der richtige Blitzableiter gefunden werden: und die elektrischen Entladungen werden unschädlich und harm- los voi- sich gehen, das finstere Gewölk wird sich zerteilen, und statt des befürchteten, verheerenden Unwetters wird ein erquickender und befruchtender Regen zur Erde her- niederrauschen. ""^^ ''^^ " ¥■ A0A2 OOOAO 08A8 J' 'WkJ v"'-^ 4« LJui»'> ^^R »-i? Ir f f pi i!