LIBRARY flWEAU OF RA'LWAY ECONOMIC' vv George Stephenson dcr Vater der Locomotiv-Eisenbaliiieii. Historische Stndien zur Sacularfeier seiner Gelnirt. Yon KARL ENGELHARD Professor der Wiener Handels-Akademie, Redacteur der Oesterreichischen Eisenbahn-Zeitung, emeritirter Ingenieur der Kaiser Ferdinands -Nordbabn. (Separat-Abdruck aus der „Oesterreiehisehen Eisenbahn-Zeitung".) WIEN, 1881. iJruck und Verlag von L. C. Zamarski, k. k. Hof-Buclidruckorei und Hof-Lithographie. I STECHERT & CO. ■1 fi hom George Stephenson's Leben und Wirken cas-g-se^- ii ra 9. Juni 1881 waren hundert Jahre verflossen, seit George Stephenson, einer der grossten Manner aller Zeiten, der Erfinder der schnell fahrenden Locomotive, geboren wurde. Aus schuldiger Pietat hringen wir im Nachfolgeuden einen Abriss seines Lebens und Wirkens. Wir hoffen unseren Lesem damit einen lira so willkommeneren Dienst zu leisten, als das einschlagige Material sich in vielen, nicht Jedermann zuganglichen Quellen zerstreut vorfindet. George Stephenson stammt von einem ehrsamen Arbeiter- paare, Robert Stephenson und Mable Carr, ab, welches sich in den Wylam-Kohlengruben in Northumberland, etwa 12 Kilo¬ meter von Newcastle am Tyne entfernt, eine diirftige Existenz uuter Plage und Sorgen erwarb. Der Yater, Heizer einer Dampfmaschine daselbst, erhielt nur sechs Gulden Wochen- lohn. In der Hiltte dieses armen Mannes erblickte unser George am 9. Juni 1781 das Licht der Welt. Wer hatte es geahnt, dass das Proletarierkind der grosste Reformator des Transportwesens, der Begrunder einer neuen Cultur-Aera werden wiirde?! George, das zweite von secbs Kindern, wucbs last obne alienUnterrieht heran: dieArmuth derEltern konnte ibm den Lebensweg nicht ebnen; er musste seine kleiuen Geschwister warten und von der beim Hause vorbeifuhrenden Kohlenbahn fernhalten. Spiiter wurde er erst Hirtenjunge, dann Waiter bei einem Pferdegopel und bereits im 14. Lebensjalire Gehilfe eines Kesselheizers. In dieser Eigenschaft machte er sich durch besonderes Geschick bemerkbar, so dass er im Alter von 17 Jahren Maschinenbursche zu Water-Row wurde, denselben Lohn wie seinVater bezog und diesem ubergeordnet war. Erst in seinem 18. Lebensjalire besuchte George die Abendschule raehrerer Wanderlehrer, um lesen, schreiben und rechnen zu lernen. Die Familie Stephenson wechselte, je nach Ausbeutung der Kohlengruben, mehrmals das Domicil, doch blieben Vater und Sohn immer bei derselben Maschine bedienstet. Da Letzterer im Bremsen der Fordermaschiue, sowie als Maschinenwarter grosse Geschicklichkeit zeigte, wurde er in seinem 20. Lebensjalire bei der Dolly-Grube in Black Callerton als Bremser angestellt und bezog als soldier den viel beneideten Wochenlohn von zehn Gulden, musste sich aber seither von seinem Yater trennen. Die Gegend von Northumberland, schon darnals ein Indu¬ strie-Centrum, wirkte auf George Stephenson's mechauisches Talent fordernd ein; es kann auch als ein gliicklicher Um- stand bezeichnet werden, dass er von Jugend an die Berg- werksbahnen mit den kleinen, auf Schienen laufenden Wagen vor sich sah. In seiner neuen Stellung verschmahte Georg Stephenson keineswegs einen Nebenerwerb; er flickte die alten Schuhe seiner Arbeitsgenossen und verfertigte spater sogar neue Schuhe. Nachdem er es zu einem Vermogen von einer Guinee gebracht hatte, dachte er, 20 Jahre alt, an's — Heiraten. Seine Herzensgebieterin, Fanny Henderson, war Dienstmadchen bei seinem Brodherrn Als er ihr den Heiratsantrag machte, hielt er >,zur Unterstutzung des Antrages < ein Paar selbstverfertigte, fur Fanny bestimmte Schuhe in der Hand. Mit einem solchen Maune liess sich schon »durch's Leben wandeln« und in der That konnte das unbewachte Herz der um zwolf Jahre alteren Fanny der Bewerbung nicht widerstehen. Am 28. Nov. 1802 wurde Hochzeit gehalten und am Willington Quai ein gemie- thetes Arbeiterhauschen bezogen, wobin Stephenson als Ma¬ schinenwarter versetzt worden war. Die Ehe war trotz des Altersunterschiedes der Gatten eine gliickliche, denn Fanny war nicht i:ur hiibsch, sondern auch arbeitsam und sanftmuthig. Die freie Zeit verwendete der junge Ehemann zur Ver- besserung seiner Schulbildung und zur Pllege seines Gemtise- gartchens. Nebenbei verstieg er sich von der Schuhmacherei zum Leistenschneiden, Zuschneiden von Frauenkleidern (!), Putzen und Repariren von Uhren. In seinem Hauschen wurde ihm am 10. October 1803 sein Sohn Robert, der nachmals so beriihmt gewordene Ingenieur, geboren. Den Erlos seiner »freien Kiinste ' verwendete der Vater dazu, seinen Sohn »Dick« in der Sammelsclmle eines gewissen Bruce zu Newcastle dasjenige lernen zu lassen, dessen Mangel George Stephenson, wie er sagte, abhielt, »ein grosser Mann zu werden «. Der Sohn sollte nach dem Wunsche des Vaters einst die Stutze einer grtind- lichen wisseuschaftlichen Bildung nicht entbehren, die der eminente Praktiker George Stephenson so oft vermisste. Solche Aufopferung ist leider nicht bei vielen El tern aus demArbeiter- stande iiblich. Unser George war aber trotz seiner diirftigen Verhaltnisse einer jener musterhaften Vater, dereu grosster Stolz es ist, sich einst vom Solme iibertrotfen zu selien. Gegen Eude des Jahres 1804 wurde George Stephenson, nocli immer als Bremser und Maschinenwarter, zum West- Moor - Kohlenwerk nach Killingwoi'th versetzt; er bekam 1 Pf. lb sli., also circa 18 Gulden Wochenlohn. Killing-worth sollte die Wiege von Stephenson's Rulnn werden. Yorlautig _ 4 - wohnte er wieder in einem gemietheten Hauschen, das aus Einer Stube und Dachkammer bestaud. Stephenson versali das Hans mit allerlei »Comfort" und baute selbst drei Zimmer dazu. Nebenbei warden Werke fiber Mechanik, wie sie ilim zur Hand kamen, studirt und die oben gen ami ten > freien Kiinste« fortgesetzt. Es gelangen ilim verschiedeue meelianische Ver- besserungen; so construirte er Weeker fur Wacliteruhren, durch Wind getriebene Vogelscheuehen fur sein Gartcheu und derlei Sachen. Am 14. Mai 180G verlor Stephenson seine Gattiu, der es leider nicbt beschieden war, die glorreichen Erfolge ihres Mannes und ihres Sohnes zu erleben. Bald dar- auf wurde Stephenson Maschinenmeister in der Spinncrei zu Montrose in Schottland, verblieb jedocli kaum ein Jalir in dieser Stellung und kelirte i. J. 1808 wieder als Mascbinen- warter und Bremser nach Killingwortb zurtick. Als braver Solin unterstiitzte er seinen alien Yater, der durch ausge- stromten Dampf erblindet war. Stephenson machte sicli jetzt durch mancherlei Verbesserungen an den Maschinen bemerk- bar; insbesondere gelang ihm 1811 die Reconstruction einer alten Newcoinen'schen Dampfmaschine, woran sich vorher Fach-Ingenieure vergeblich abgemiiht hatten. Diese Leistung bewogdiePacbter der Killingworther Kolilengruben, Stephenson im Jahre 1812 als Maschinenmeister sammtlicher Gewerke anzustellen. Er erhielt nun schon 1000 11. Jahresgehalt und ein Reitpferd zu Inspectionsreisen. Das Schuhtlicken wird der »Herr Maschinen-Director« von dieser Zeit an wohl aufgegeben haben, doch betrieb er noch immer seine anderen Kunst- fertigkeiten als Nebenerwerb. In seiner neuen Stellung verbesserte er die automatisch wirkenden schiefen Seilebenen und fiihrte dabei thunlichst die Maschineuarbeit als Ersatz der Pferdeverwenduug ein. Bei den Arbeitern erfreute sich Stephenson holier Aehtung und des unbedingtesten Vertrauens; eine Katastrophe im Jahre 1814 sollte hievon den schonsten Beweis liefera. Er war gerade wieder in seinem Gartchen und pflegte sein von den Nachbarn so oft bewundertes Gemiise, da wurde er durch den Donner einer Gruben-Explosion aufgeschreckt. Nicht lange wahrte es, so kamen schon die Weiber und Kinder der eiuge- fahrenen Arbeiter zu ihm gelaufen, ihn um Hilfe anflehend; sie riefen, sich gegenseitig trostend: »Stephenson wird helfen! ■ Ergabnur derStimme der Menscbenliebe Gehor, kiisste seinen Solin und eilte zum Bergwerke. Als die beherztesten Berg- leute mit ihm in den qualmenden Schacht niclit einfahren wollten, erklarte Stephenson, dies allein zu tlmn; er beauf- tragte den Maschinisten, die FOrdermaschine moglichst schnell gehen zu lassen, »damit er nicht unterwegs ersticke*. Dieser Muth bewog drei Bergleute, dieGefahrmit ihrem Yorgesetzten zu theilen und die Rettung der eingefahrenen Arbeiter zu versuchen. Unter unsiiglicher Miihe und Gefahr gelang es Stephenson, die Mundung des brennenden und qualmenden Stollens zu vermauern; dann liess er zuerst die Schwiichsten in das Fordergefiiss steigen und aiTs Tageslicht schaffeu, denen die anderen Lebenden folgten; zuletzt fuhr er mit den drei Genossen der Hollenfahrt und den zwolf Leichen der bei der Explosion oder bei den Rettungsarbeiten Verungliickten empor. Vor dieser heroischen That ware wohl so mancher »wissenschaftlich gebildete« Berg-Ingenieur zuruckgeschreckt. Der Grulienbrand erlosch schon am niichsten Tage und das Millionen wertlie Bergwerk war gerettet. Das vorerwiihnte Grubennngluck regte Stephenson an, auf Abwendung der Gefahren durch schlagende Wetter zu sinnen. Unabhangig von dem beriihmten Chemiker, Professor Humphry Davy, und gleichzeitig mit diesem, erfand der Praktiker und Empyriker Stephenson 1815 die bekannte Sicherheitslampe fur Grubenarbeiter, welche schon Tauseiule von Menschenleben rettete. In den Biographien Stephenson's werden meist nur seine Verdienste um das Eisenbahnwesen hervorgeben, audi wird die Erfindung der Sicherheitslampe gewohulich nur dem Professor Davy zugeschrieben; wir hielten uns deshalb fur verpfiichtet, die geschichtliche Thatsache richtigzustellen. Die Erfindung der Sicherheitslampe trug Stephenson einen Preis von tausend Guineen ein. Bei dem Fest- mahle, welches Stephenson zu Ehren gegeben wurde, erklarte er, die erhaltene Geldsumme fur die bessere Erziehung seines Sohnes Robert verwenden zu wollen, der audi spater das angeborene Genie des Yaters mit grundlicher wissenschaftlicher Bildung verband. George Stephenson wurde in Folge seiner hervorragenden Leistungen zum Director der in den Besitz des Lord Ravensworth tibergegangenen Kohlenbergwerke zu Killing- worth ernannt. In dieser Stellung machte er Yersuche wegen Construction einer fahrenden Dampfmaschine, wozu ihn die Arbeiten seiner Vorganger auf diesem Gebiete angeregt hatten. Bevor wir jedoch diesen Gegenstand besprechen, miissen wir uns die Verkehrs- und Transport-Verhaltnisse vor der Zeit der Locomotiv-Eiseiibahnen ein wenig vergegenwartigen In den altesten Zeiten, bis weit indie nenere Zeit hinein. war mau zu Yerkehrszwecken vorzugsweise nur auf die natur- lichen Wasserwege angewiesen. Kunststrassen zu Lande wurden in der ausgedehntesten und vollkommensten Weise von den Chinesen, den alten Persern und Romern gebaut; die Scliiipfungen der Letzteren verfielen wahrend der Zeiten der Volkerwanderung. Kfinstliclie Wasserstrassen (Schifffabrts- und Bewasserungs-Caniile) wurden schon vor unserer Zeit- rechnung in Aegypten, China, Persien und Indien angelegt. gelangten jedocli erst nach Erfindung der Kammerschleusseu (Ende des 15 Jahrhunderts) zu grosserer Verbveitung. nament- lich in Holland, Frankreich und zuletzt, seit 1755, in England. Der ausgedehntere Ban von Kunststrassen (Chausseen) begann im Frankreich im 17., in den anderen europaischen Culturstaaten aber erst in der zweiten Hiilfte des 18 Jalir- huudertes. Die successive Vervollkommnung der Briefpost liatte aucli jene des Personen- und Waaren-Verkehrs zur Folge, worin jedoch England den europaischen Contiuental-Landeru weit voraus war; in letzteren herrschten noch bis in das jetzige Jahrhundert hie und da wahrhaft mittelalterliche Verkehrs- Hindernisse, nicht bios von Land zu Land, sondern audi von Provinz zu Provinz, ja von Stadt zu Stadt. In diesem mittelalterlicheu Sclmtt hat die franzosische Revolution etwas aufgeraumt. Ilir undankbarer Solin, Napoleon I., baute inmitten seiner Kriege seine berfihmten Alpenstrassen, die freilich nur aus • strategisehen Rucksichten« entstanden; docli wnrde hiedurch die Strassenbau-Technik sehr vervollkommnet, was den spiiteren Strassen- nnd Eisen- bahnbauten sehr zu Statten kara. Die Strassen blieben aber im Allgemeinen bis fiber das erste Viertel unseres Jahrhnnderts schlecht, und musste deshalb beira Frachten-Transporte vor- herrschend der zweiradrige Karren verwendet werden. Da lernte Mac Adam 1812 in China die dort seit Jahrhunderten fibliche Strassenbau- und Erhaltungs-Methode kennen und fuhrte dieselbe spiiter in England ein. Das »Macadamisiren" bewahrte sicli so vorzuglich, dass es jetzt in der ganzen Welt verbreitet ist. Mac Adam erhielt 10.000 Pf. St. National- Belohnnng. Er hat viel Antheil an dem segensreichen Fort- schritte, dass es jetzt in den Culturlandern fiberall so gute Chausseen oderwohl unterhaltene Wege gibt, wie sievorkaum hundert Jahren nicht einmal in der Nahe der Residenzstiidte zu fiuden gewesen sind. Die verbesserten Strassen gestatteten nun einen leb- hafteren Personen- und Waaren-Transport, der freilich nicht iin Entferntesten mit dem der Eisenbalin-Aera verglichen werden kann; namentlich blieb die Post-Abfertigung und Briefzustellung noch lange Zeit sehr schleppend. Eine nie geahnte Vervollkommnung stand jedoch dem Personen- und Gfiterverkehr, sowie der Gedankenmittheilung noch bevor. Die Dampltnaschine fand Anfangs des 19. Jahr- hunderts mehr und mehr Yerbreitung, wnrde zwar nnr als stationarer Motor zu industriellen Zweckin beniitzt, sollte aber schliesslich uuch auf dem Gebiete des Transportwesens die Ein- ffihrung der Maschinenarbeit ermoglichen. Die Ehre der Er¬ findnng der Dampfmaschine gebfihrt den Englandern, da sie in England jcne Yerbesserungen erhielt, durch welche sie erst lehensfahig wnrde. James Watt nnd sein scharfsinniger Mit- aibeiter Boulton haben (1769 — 1785) mit ihrer doppelt wiikenden C'onclensations-Dampfmaschine »das Zeitalter des Dampfes « eroffnet. Als Locomotions-Maschine versuchte man die Dampf¬ maschine zuerst zurBcwegung von Schiffen zu verwenden. Wir Qbergehen die altesten Versuche auf diesem Gebiete und be- gnfigen uns mit der Bemerkung, dass der Lowenantheil an der Ehre der Erfindnng des Raddampfers dem Nordamerikaner Foulton gebfihrt, wall rend die Prioritat der Erfindnng des Scbraubendampfers dem osterreichisclien Er finder-M arty rer R e s s e 1 nicht streitig gemacht werden kann. Nach Beendigung der napoleonischen Kriege nahmen Handel, Industrie und Verkehr einen ungewohnlichen Auf- schwnng, namentlich in dem alien anderen Landern hierin bereits vorgeschrittenen England. Das treffliche Strassen- und Ganalnetz, sowie die tlmnlichst schiffbar gemachten Flfisse und die rasch sicli vermchrenden Dampfschiffe vermochten schon in den Zwanziger-Jahren das Transportquantum dieses Landes nicht mehr zu bewiiltigen. Francis schildert uns in seiner »History of railways* die Verkehrs-Calamitaten zwischen Liverpool und Manchester im Jahre 1824, zu welcherZeit auf den Wasserstrassen sieben- mal so viel als auf den Landstrassen transportirt wurde: »Ob- wohl der Reichthum und die Bedeutung der Stadte Manchester und Liverpool enorm zugenommen hatten, waren um das Jahr 1824 die Yerbindungsstrassen zwischen beideu Orten in keiner Weise verbessert, noch ffir die Moglichkeit gesorgt, grossere Massen als bisher transportiren zu konnen. Die Canal - Gesellschaften erfreuten sich eines vollstiindigen Monopols, und ihre Agenten traten selbst grosseren Hand- lungshausern gegenuber wie Despoten auf. Die Tarife waren hoch, aber ertraglich, wenn nur die Zeitverluste nicht so uner- traglich gewesen waren. Dabei war auf den Canal-Transport, selbst wenn die Gfiter verladen und schon unterwegs waren. in keiner Weise mit Sicherheit zu rechnen; im Sommer waren die Caniile zuweilen langer als Eine Woche durch Trockenheit, im Winter sogar auf mehrere Wochen durch Frost ffir alien Yerkehr vollstiindig gesperrt und die Canalschiffe gerietlien haufig auf den Grund. Die Agenten nahmen nur dann Gfiter zur Beforderung an, wenn es ihnen gerade beliebte (!); sie hielten Levers wie Konige; ihre Vorzimmer waren geffillt von Leuten, die sie anflehten, ihre Gfiter zu befordern. In Folge dieser mangelhaften Gfiterbeforderung waren mitunter ganze Fabriken aus Mangel an Rohmaterial zum Stillstande ge- zwnngen. Dazu kam die ausserordentliche Langsamkeit der Beforderung. Die Borse von Liverpool und die Comptoirs der grossen Fabriken in Manchester ertonten von Klagen fiber die Tyrannei der Canal-Gesellschaften. Wenn die Gfiter in 21 Tagen von Nordamcrika her fiber den Ocean gekommen waren, so blieben sie haufig langer als sechs Wochen in den Docks von Liverpool, bevor sie nach Manchester weiter be- fordert wurden.« Diese charakteristische Schilderung lasst uns entnehmen, wie es meistbestelltist, wenn unentbehrliche offentliche Verkehrsanstalten als Speculationsobjecte in den Handen gewinnsuchtiger Privaten sich befinden und keine entsprechende Gesetzgebung das Correctiv gegen solche Auswfichse bildet; wir entnehmen ferner, wie wenig die vorhandenen Trausport- mittel Englands den immer mehr steigenden Bedfirfnissen des Handels und der Industrie genflgten, wie sehr die Nothwendig- keit eines anderen Trausportsystems schon in den Zwanziger- Jahren sich geltend machte. Nachdem man mit der Ver- besserung des Weges so ziemlich bei dem fur das Allgenjeine erreichbaren Culminationspuukt angelangt war und die Jahr- tausende lange Zfichtung der Zugthiere aus unabanderlichen natfirlichen Grfinden keine nennenswerthe Steigerung der Kraft, Schnelligkeit oder Ausdauer des a n i m a 1 i s ch e n Motors herbeiffihren konnte, so musste die Erlindung eines maschinellen Land-Motors nebst Zugehor an- gestrebt werden, um dadurch auch dem Landtransporte alle Vortheile der Maschinenarbeit gegenfiber der unzureichenden menschlichen oder thierischen Arbeitsleistnng zuzuffihrcn. Und diese rettende That — vielleiclit die schonste, die je dem - 6 - menschlichen Geiste gelang — wurde vollbracht und mit ihr begann eine neue Aera, »d a s Zeitalter der Eisen- bahnen«. Hauptsaclilich durch letztere wurde jeue Cultur- epoche eingeleitet, in welcher zu leben wir das Glfick baben. Die vorstehend dargelegte Sachlage brachte es mit sich, dass viele scharfsinnige Kfipfe sich mit der Idee befassten, auch beim Landtransporte die Maschinenkraft anzuwenden, wie dies beim Wassertransport durch die Erfindung des Dampf- scliiffes bereits gelungen war. Diese Bestrebungen fiihrten schliesslich zur Erfindung der Locomotiv-Eisenbahn, welche gloriose Erfindung aus unsclieinbaren Anfangen sich entwickelt hat. Wenn man von dem maschinellen Motor absieht, so ist die Erfindung des Spurweges, d. i. eines Weges mit festliegendem Wagengeleise, belmfs Herstellung einer ebeneren Fahrbahn und Herabminderung der Reibungswiderstande, nicht so neu als man glaubt. Wir mfissen uns, der Kflrze wegen, auf die Bemerkungbesehranken, dass im alten Griechen- land Strassen, die zum Transporte der Opferaltare dienten, mit einem in Stein ausgehauenen Geleise versehen waren; dass ferner sclion vor Jahrhunderten sogenannte „Riegel- b a h n e n« oder >,11 o 1 z b a h n e n« in deutschen Bergwerken gebraucblich geworden. Durch deutsche Bergleute wurden solche Holzbahnen in verscbiedenen englischen Bergwerken angelegt. Unabhangig hievon wurden schlechte Stellen auf den Strassen mit darfiber gelegten Pfosteu und Balken verbessert. Aus diesen bescheidenen Anfangen entwickelten sich endlich, Ende des vorigen und Anfangs des jetzigen Jahr- hunderts, die Spurwege mit eisernem Fahrgeleise. Hinsichtlich der successiven Yerbesserung des Spurweges seien folgende Hauptmomente bervorgehoben: Die ersten sicheren Nacbrichten fiber Pfosten- oder Kohlenbabnen in England datiren von 1620—28. Ein gewisser Beaumont, der zu jencr Zeit eine Kohleubahn nach dem nahen Hafen angelegt hatte, verarmte desshalb; so gering war nocb der Steinkohlen- Verbrauch. Auf den verbesserten Pfostenbabnen konnte ein Pferd viermal mehr als auf dem gewohnlichen Wege Ziehen Im Jahre 1738 soli man auf die holzernen Langschwellen gusseiserne Platten genagelt baben, die aber unter der Last braehen Reynolds liess i. J. 1767 wegen zu niedriger Eisenpreise eine Partie Roheisen in Form von oben concaven Platten giessen und einstweilen die Spurwege der Eisenwerke zu Colebrook-Dale damit belegen. In Folge der uuerwarteten Yortheile wurde diese erste Eisenbahn bei spater gestiegenen Eisenpreisen niclit nur nicht cassirt, sondern die gleicbe Con¬ struction in derganzen Umgegend eingeffihrt. Benjamin C urr ffibrte im Jahre 17 76 die erste Eisenbahn mit gusseisernen Schienen aus und erfand den Spurkranz der Rader. Dies gab Aulass zur Entstehung der »Normalspur ■ der Locomotiv- Eisenbabnen. Die Spurweite der englischen Strassenwagen wurde namlich mit 5 Fuss bemessen; die gleiche Breite gab man dem Geleise mit Flachschienen, woraus eine lichte Spur¬ weite von 4 Fuss 8 '/„ Zoll englisch = 1 435 Meter er- wuchs. Glficklicherweise hatte man damit eine gute Wahl getroffen. Josua B urns wendete i. J. 1793 Steinblficke statt Holzschwellen an; Outram baute i. J. 1800 die Little- Eaton-Bahn in Derbyshire mit gusseisernen Fischbauch- schienen und Quertragern statt der bisher fiblichen Langen- unterstiitzungen. Diese Construction fand unter dem Namen »Outram ways« weite Verbreitung. Einige Jahre dar- nach erzeugte man gusseiserne Schienen von der jetzt ge- brauchlichen Pilzform; 1803 construirte Woodhouse eine gusseiserne Schiene in Kastenform ohne weitere Unter- stfitzungsmittel, welche als der erste »eiserne Oberbau« an- gesehen werden kann. Seit 1808 verwendete man ge- schmiedete Schienen rechtwinkeligen Querschnittes. Die Erzeugung schmiedeiserner gewalzter Schienen mit rationellerem Querschnitte ist von Berkinshaw erfunden worden, und im October 1828 wurden die ersten »hochkantigen« Schienen gewalzt. Der sogenannte »englische Oberbau« der Locomotiv-Eisenbahnen (symmetrische Schiene mit parallelen Ober- und Unterflachen, gusseisernen Schienenstfihlen und Holzschwellen) rfihrt von dem Sohne George Stephenson's her. Die bisher erwfihnten Eisenbahnen waren jedoch fast durchwegs Pferdebahnen; bios in der nachsten Nahe von Bergwerken oder Steinbrfichen wurde, wenn die Abladestelle tiefer als dieGewinnungsstellelag, mitunter eine doppelgeleisige Seilbabn angelegt, auf der man eine stabile Dampfmaschine oder eine vorbandene Wasserkraft anwendete; auf dem einen Geleise liess man die beladeuen Wagen hinab, die durch ihr Gewicht die am Naehbargeleise leer fahrenden Wagen emporziehen halfen, welch' letztere gleichzeitig gegenfiber ersteren als Bremse wirkten. Die nur ffir den Transport von Rohmaterialien bestimmten Wagen waren bei Auwcndung von gusseisernen Schienen klein und die nicht stark belasteten Rader auf den Achsen starr befestigt. Die Achslager befanden sich am Wagcnuntergestelle. Tragfedern, Puffer jetziger Art und die durchgehende Zugvorrichtung fehlten gi'inzlich. An die Construction einer fab r bar en Dampfmaschine dachten zuerst der deutsche Physiker Pap in, der unglfick- liche Erfinder des ersten ..Ruderradschiffes« (1707) Die gleicbe Idee scheint ein Dr. Robinson zu Glasgow i. J. 1769, gehabt zu baben, aber er liess sie, abgeschreckt durch die grossen Schwierigkeiten, wieder fallen. Auch Erasmus Darwin, der Grossvater des beruhmten Naturforscbers, hat sich i. J. 1766 mit dem Plane eines >*feurigeu Wugeus < befasst; desgleicben spater James Watt, welcher im Jahre 1784 ein diesbezugliches Patent nahm. Watt hat jedoch nach seinen Angaben keinen Dampfwagen ausffihren lassen; er verfolgte sein Patent nicht weiter. da er durch den schwunghaften Betrieb seiner Dampf- maschinen-Fabrik zu Soho bei Birmingham vollauf in Anspruch genommen war. Oliver Evans in Philadelphia ist nach- weislicb der Erste, welcher die Construction einer Locomotive und zwar einer Strassen-Locomotive, begann und i. J. 1801 vollendete. Im Winter von 1803—1804 erhielt die Mascbine verschiedene Verbesserungen und ist, wie es in einem Berichte aus jener Zeit heisst, »im Angesichte von wenigstens 20.000 - 7 Zuschauern durch die Strassen von Philadelphia bis an den Schuylkillfluss« gefahren. Alleiu auf der rauhen Strasse kann die fahrende Dampfmaschine ihre Kraft nielit recht bethatigcn. Leider war Evans zu unbemittelt, um eine Eisenbahn-Versuehs- strecke herstellen zu konnen; er fond keine Unterstiitzung und vermochte mit dera Projecte bei seinen sonst so riibrigen Landsleuten nielit durchzudringen. Mit wunderbarera Scharf- blicke prophezeite er in seiner damals erschienenen Brochure: »Die jetzige Generation will sich mit Can a leu beguiigeu; die nacbste wird Eisenbalinen und Pferde vorziehen; aber ibre mehr aufgeklarten Nachkommen werden meinen Dampfwagen als die grfisste Vollkommenheit des Trans- portes anwenden.« War es Oliver Evans auch nicht vergonnt, an der Vervollkommnung seiner Erfindung zu arbeiten, so ist seine Propbezeiung, dass die Zukunft dem Dampfwagen gehore, dennocli vollstandig eingetroffen. T r e v i t b i k und Vivian in London nabmen 1802 ein Patent auf Anwendung der Hochdruck-Dampfmaschine fur Wagen und 1803 erregte ihre Strassen-Locomotive das Staunen der Londoner. Schon im Jahre 1804 bauten sie ihre erste Eisenbabn-Locomotive, welclie auf der Merthyr-Tydfil- Bahn in Wales einen Kohlenzug von 10 Tonnen Gewicht mit 5 engl. Meilen per Stunde auf eine Steigung zog. Die Maschine hatte innere Feuerung, aber nur einen Horizontal-Cylinder; die Bewegung wurde mittelst einer Kurbelstange und zweier Zahnrader fibertragen. Den expandirten Dampf leitete Trevitliik in den Rauchfang, »um die Pferde nicht scheu zumachen«, keineswegs also wegen Belebung des Feueruiigs-Processes. Die Rader waren ausserhalb der Laufflache mit stumpfen Nageln versehen, welche sich in die holzerne Langschwelle eindrfickten, »weil sonst (nach Trevithik's Meinung) die vom Dampf getriebenen Rader auf der Scbiene gleitend sich drelien wiirden, ohne die Last zu ziehen«. In Folge dieses Irrthumes qualten sich die Constructeure vierzehn Jahre lang damit ab, die Adhasion der Locomotivrader zu erbohen, statt — ein- gedenk der Weisheit des Sprichwortes: »Probiren geht fiber Studiren" — sich zu fiberzeugen, ob denn die Adhasion wirklich zu gering sei. Es gewahrt ein hohes Interesse zu erfahren, wie man von der im Lastwagen-Tempo fahrenden Strassen-Locomotive nach und nach zur Construction der Kohlenbahn-Locomotive kam, ohne aber von letzterer eine Revolution der Personenbefor- derung zu erwarten; wie und unter welchen Schwierigkeiten es Stephenson endlich gelang, mit seinem Werke durchzu¬ dringen. Wir sind in der angenehmen Lage, aus bereits seltenen Quellenwerken einige der >,vorsintfluthlichen < Locomotiven den Lesern im Bilde vorffihren zu konnen. Blen kin sop setzte 1811 auf der Middleton-Bahn die auf Tafel I abgebildete Maschine in Gang, welche nach Mathew Murray's Angabe zwei verticale Dampf-Cylinder oben auf dem Kessel hatte; ein von der Maschine bewegtes Zahnrad griff in eine, seitwarts an einer Schiene angegossene ZahnstaDge. Der Kessel war cylindiiscli und hatte nur ein einziges Feuerrohr. Durch An¬ wendung verschiedener Zahnrader konnte man die Falir- geschwindigkeit verandern, audi konnte Blenkinsop's Maschine staike Steigungen iiberwinden. Mit solchen Mascliinen transportirte man zwolf Jahre lang Kohle von Middleton nach Leeds. Durch verschiedene Gebiechen an der Zahnstange oder dem Zabnrade und sonstige Zufiille fiberzeugte man sich endlich, dass die Rader-Adhasion genfigend sei, wesshalb man spater die Verzahnung wegliess. Bevor dies geschah, wurden nocli andere Constmctionen zur Vermehrung der Adhasion er- sonnen. William und Edward Chapman brachten inmitten des Scliienenweges eine Kette an, die um ein mit Rinnen ver- sehenes, unter der Locomotive betiudliches Rad geschlungen war; diese Construction musste wegen zu grossen Kraft- verlustes aufgegeben werden, findet aber gegenwartig in abgeiinderter Form bei der Kettenschleppschiffahrt gedeihliche Anwendung. Wir verwenden bekanntlicli behufs Erhohung der Adhasion die Kuppelung, welche nach Bedarf auf zwei," drei oder vier Raderpaare, immer aber nur in der zulassig engsten Grenze, ausgedebnt wird, weil die Anwendung der Kuppelung wieder andere Nachtheile im Gefolge hat. B r u n t o n auf dem Butterley-Eisenwerke construirte 1813 eine Locomotive mit mechanischen Beinen, welche sich abwechselnd auf den Weg zwischen den Schienen stemmten. Dieses Maschinen-Monstrum, auf Tafel I abgebildet, hat zu der lang gebrauchlichen Benennung »Dampfpferd« Ver- anlassung gegeben. Der Kessel ist jenem an Blenkinsop's Maschine ahnlich. Die Maschine besass riickwarts einen Horizontal-Cylinder, dessen hin- und hergehende Kolben- stange mittelst des in der Figur abgebildeten Hebelwerkes die beiden den Boden berfihrenden Ffisse abwechselnd in Bewegung setzte, wodurch die Locomotive bewegt wurde. Das »Dampfpferd« machte jedoch stundlich nur 2'/a engl. Meilen und besass ungefahr 6 Pferdekraft. William Blackett, dem Eigenthfimer der Wylam- Mine-Bahnen, gebfihrt dass grosse Verdienst, unwiderleglich nachgewiesen zu haben, dass die Adhasion glatter Rader auf Schienen, Schneewetter ausgenommen, ausreiche, wenn die Bahn horizontal oder schwach geneigt sei. Zuerst constatirte man durch Bewegung, mit der Hand, wie viel Gewicht das Rad eines gewohnlichen Wagens iiberwinden kfinne, ohne rund zu laufen. Dies fflhrte zu der wichtigen Erkenntniss, dass das Gewicht der Locomotive sogar auf glatten Schienen eine entsprechende Adhasion erzeuge. Die auf der Wylam-Bahn verwendete Maschine hatte nur Einen Dampfcylinder mid Ein Schwungrad, allein die stoss- weise Bewegung des Kolbens war fur die Maschine nachtheilig; ausserdem kann sich eine solche Locomotive nicht selbst be- wegen, wenn die Kurbel auf dera todten Punkte steht. George Stephenson, um diese Zeit, wie schon erw'ahut, Maschinenwarter, spater Director der Kohlenbergwerke zu Killingworth, fand ffir seine Plane bei Lord Ravensworth, dem Eigenthfimer der Bergwerke, Unterstiitzung und baute in der erstenHalftedesJahres 1814eineLocomotive, dem Lord Ravens- worth zu Ehren »My Lord« genannt, welche auf den Bahnen des - 8 - Bergwerkes in Gang gesetzt wurde. Sie liatte zwei senkreclite Cylinder von 8" Durchmesser und 24" Hub; der cylindrische Kessel besass ein einziges, 20" weites Feuerrohr. Durch An- wenduug zweier Cylinder und um 90° einander vorgestellte Kurbeln arbeitete genannte Mascbine viel gleiclimassiger als die alteren Locomotiven mit Einem Cylinder und Schwung- rad. Hie Bewegung des Kolbens wurde auf Zahnriider iiber- tragen, die in zwei grossere, auf den Achsen sitzende Zahu¬ rader eingriffen. Am 27. Juli 1814 zog >• My Lord« auf einer Steigung von 1:450 aclit beladene Kolilenwagen, ungefahr 30 Tonnen Gewiebt, mit 4 engl. Meilen per Stunde. Hie Maschine hatte keine Tragfedern und besass gusseiserne liuder von 4' Hurcbmesser. Hie Uebertragung der Bewegung der Kolben auf die Rader mittelst Zahnradern verursachte grosses Geriiusch, ausserdem an einigen Punkten des Kolbenhubes bedeutende Stosse, wodurch die Radzahne stark abgeniitzt wurden und in Folge dessen ein scbadlicber Spielraum zwischen ihnen ent- stand. Behufs Vermeidung dieser Uebelstiinde nahmen Stephenson & Hodd Anfangs 1815 ein Patent auf dieMethode, die Bampfkraft auf die Rader ohne Hilfe von Zahnradern zu iibertragen. Eine nach diesem Patente construirte Maschine ist auf Tafel I abgebildet; sie wurde im Marz 1815 auf der Killingworth-Kohlenbahn in Betrieb gesetzt und hat fur diesen Zweck sehr befriedigt. Her Kessel war noch immer mit innerer Feuerung und einem einzigen Feuerrohr versehen, also ganz nach Art der Fabriks-Bampfkessel gebaut, weshalb begTeiflicherweise die Bampfproduction nur gering war. Hie beiden Vertical-Cylinder befanden sich oben an den Enden des Kessels und ragten in den Bampfraum hinein Hie Maschine ruhte auf drei Riiderpaaren. Hie Bewegung der Kolben wurde mittelst Traversen und Leitstangen auf die Kurbeln des vorderen, bezw. hinteren Raderpaares iibertragen. Urn die Kurbeln rechtwinklig zu erhalten, verbanden Stephenson & Hodd dieselben mit einer Stange, oder sie wendeten die in der Figur abgebildete Construction an: Auf jedem Riiderpaare befand sich in der Mitte der Achse ein Zahnrad; (iber diese drei Zahn- rader ging eine endlose, aus kurzen und langen Gliedern bestehende Kette. Hie Radzahne griffen in die kurzen Glieder ein; es konnte sich also kein Rad ohne das andere bewegen und die Kurbelstellung blieb constant rechtwinklig. Bei der geschilderten Maschine wurde audi von der Elasticitat des Hampfes eine geistreiche Auwendung gemacht. Ueber jedem Achsstummel befand sich ein oben mit dem Kessel communi- cirender und nach unten offener Cylinder, dessen Kolben dampfdicht schloss. Hie Kolbenstange war unten am Gestelle oder iiber der Achse des Raderpaares befestigt Hie Con¬ struction diente also zum Ersatze der Tragfedern; die Mangel ersterer liegen aber darin, dass die Maschine zu tief herab- ging oder fest auf dem Gestelle sass, wenn der Bampf die zum Tragen der Maschine erforderliche Elasticitat noch nicht hatte. Als die beste Maschine jener Zeit gait jene Locomotive, die nun auf Tafel I folgt und lange Zeit auf der Killing- worth - Eisenbahn in Verwendung stand. Her Kessel zeigt zwar auch noch keine epochemachende Verbesserung; gegen Abkiiblung war er durch eine Holzverschalung geschiitzt. Hie Maschine ruht mittelst Blattfedern auf dem vierradrigen Untergestelle; die Rader haben 4 Fuss Burchmesser, Naben und Speichen sind aus Gusseisen. Wasser und Kohle wurden auf einem Tender (damals Convoi carriage genannt) mit- geftihrt. Seit 1819 wurden melirere derartige Maschinen gebaut, so z. B. die fiiuf ulron horses« und die »Puffing Billys«. Hie grbsste Leistung der mit dem Tender ungefahr 10 Tonnen wiegenden Maschine bestand im Transporte von circa 40 Tonnen mit 5 — 6 englischen Meilen, wobei stiindlich circa 15 Gallons Wasser verdampft wurden. Hie letztgeschilderte Killingworth-Locomotive zeigt uns jene Construction, welche mit unwesentlichen Abanderungen bis zum Jahre 1829 angewendet wurde. Gegen seine erste Maschine >»My Lord« hatte Stephenson wohl einen erfreu- lichen Fortschritt erreicht, aber Zugkraft und Geschwindigkeit dieser Maschinen waren noch immer sehr gering, weshalb man nicht glaubte, dass die Locomotive je zum Personen-Transport sich eignen werde, umsoweniger, als die englische SchneUpost 10—12 englische Meilen per Stunde zuriicklegte. Stephenson verzagte trotzdem nicht und stellte in Aussicht, einst mit dem »Bampfwagen« doppelt soviel wie die Schnellpost zuruck- zulegen; hieftir wurde er von der »offentlichen Meinuug« als »Narr« erklart. Wie man i. J. 1819 in England fiber Locomotiv- Eisenbahnen und den Personen-Transport mittelst derselben dachte, mag aus einer Nummer der »Quarterly Reviews ent- nommen werden, welche im Londoner Kensington - Museum unter Glas und Rahmen aufbewahrt ist. Has genannte wissen- schaftliche Organ liess sich in unverdunnter englischer Grob- heit wie folgt vernehmen: » Wir sind niclit die Befiirworterphantastischer Projecte, welche sich auf nutzliclie Institute hcziehcn. Wir verspotten die Ldee einer Eisenbahn als pral tisch unausfiihrbar ! Gibt es eticas Ldchcrlicheres und Absurdcres als das Project eines Bampf wag ens, welcher siveimal so gcschivind gchcn soli als tinsere Poshvagen ? Eher liessc sich erivarten, dass man sich im Artillerie-Laboratorium zu Wooltvich mittelst einer Con- greveschen Rakete befordern Itisst, als durch die Gnade einer doppelt so sclincll ivic unscrc Poshvagen gchenden Locomotive. «■ Ich vermuthe, dass dieses famose Urtheil Stephenson veranlasst hat, seiner spateren Preislocomotive den ungewiihn- lichen Namen >,Rakete« zu geben; ubrigens sollte die Zeit noch kommen, wo die Locomotive so gniidig war, fiinfmal so schnell wie die englische Schnellpost zu laufen. Ein weiterer Fortschritt ergab sich im Jahre 1825 an- lasslich des Banes der Stockton-Barlington-Bahn, welche zu- nachst ftir die Kolilentransporte aus dem Auckland - Bistrict projectirt wurde, um sich von der das Transport-Monopol miss- brauchenden Canal-Gesellschaft unabhangig zu machen. Has Vorbaben, einen Concurrenz-Canal zu bauen, musste, zum gros- sen Gluck fur das Eisenbahnwesen, aus Geldmangel aufgegeben werden. Wahrscheiulich hatte sich auch das Eisenbahn-Project zerschlagen, weil das Parlament letzteres lediglich als Privat- untevnehmen betrachtete; da gab Edward Pease, der Vater des Joseph Pease, dessen Monument in Darlington Ende September 1875 gelegentlich des fihifzigjlihrigen Jubiliiums dieser Balm enthullt wurde, 1O.000 Pf. St. zum Dau der Eisenbahn her. So wurde Edward Pease der ot)erste Leitei; und erste Eigenthiimer der Stockton-Darlington-Bahn, auf weleher man ausser Kohmaterialien aueh audere Outer und Passagiere zu befordern sich vornahm, ohne dass jedoch gleich von An- l'ang an die Anwendung der Dampfkraft beabsichtigt gewesen ware. Wenn auch anfanglich nur eine Pferdebahn, so war die Stockton-Darlington-Babn doch die erste Sffentliche, ftir Personen- und Giiter transport einge- richtete Eisenbahn. George Stephenson hot dem Edward Pease seine Dienste an und wurde auch schliesslich als Bauleiter beschaftigt. Auf Antrag Stephenson's wurde der Personen - Transport eingefiihvt und seit 15. October 1825 cursirte der erste, von Stephenson »Experiment« getaufte Personenwagen, weleher freilich mit einem Menageriekasten eine bedenkliche Aehnlich- keit hatte und taglicli zweimal verkehrte. Es wurden noch andere Personenwagen gebaut und Eelais-Pferde aufgestellt, mitdenen man die damals unerhorte Schnelligkeit von 17 Kilo¬ meter erreichte; denVersuch, diese Leistung nochzu steigern, musste man jedoch aus Schonung ftir die Pferde wieder auf- geben. Niemand kam auf den Gedanken, diese Personenwagen durch die auf der Stockton-Darlington-Bahn versuchsweise zum Gutertransport verwendete Stephenson'sche Locomotive j)Nr. 1« ziehen zu lassen, denn die Stage-Coach aufderLand- strasse entwickelte eine grossere Geschwindigkeit. Die Betriebsweise auf genannter Pferdebahn war voll- sfSndig abweichend von der jetzigen. Die Bahngesellschaft ffihrte den Transport nicht selbst aus, sondern erhob nur eine Gebiihr fur die auf der Balm beforderten Personen und Giiter. Den Transport besorgten Unternehmer, und es stand Jedem frei, die Bahn mit eigenen Pferden und Wagen zu befahren. Die »freie« Bahn schwebt Manchen als Ideal des Eisenbahn- betiiebes vor, das sich aber wegen der weit complicirteren Einrichtungen der Locomotiv-Eisenbahnen wohl kaum je verwirklichen wird. Pease reiste auch nach Killingworth hehufs Besichtigung von Stephenson's Locomotive » Puffing Billy«. Zur Einfiihrung derselben auf der Stockton - Darlington-Bahn kam es wegen der viel zu geringen Geschwindigkeit nicht, jedoch hat Ha ck- worth, der sich 1829 an der Locomotiv-Concurrenz bewarb, mit seiner Locomotive auf genannter Bahn Versuche an- gestellt. Es ist interessant zu vernelimen, in weleher Weise ein Correspondent der »Timcs«, neun Monate vor Eroftnung der Stockton-Darlington-Bahn, fiber die Eisenbahnen sich geaussert hat; er schrieb auf Grund eines Local-Augenscheines Fol- gendes an sein Weltblatt: »Es gilt als ausgemacht, dass sehr viele dieser Projecte von Personen ausgehen, die nur wenig Begriffe vom Wesender Eisenbahnen haben. Siewollen hier durch die Locomotiven 10, 15, selbst 20 englische Meilen in der Stunde zuriicklegen. Vorliiufig haben sie nur die Aussiclit, etwa 6 Meilen in der Stunde laufen zu konnen; ob sie in der Zukunft eine Ver- besserung erreichen, ist problematisch. Wir haben uns auch nur um Operationen zu kummern, die uns gegenwiirtig vor- liegen. Die jetzigen Locomotiven sind von ausserordentlicher Schwere; jene der Killingsworth-Kohlengewerkschaft halt acht Tonnen Dieses immense Gewiclit, das man mit soldier Schnelligkeit vorwarts bringen will, wird sowohl die Strasse als auch die Maschine zerstoren; die Wagen werden aus den Schienen fallen, und welche Kraft will man dann anwenden, um sie wieder emporzubringen? Die Ausgaben zur Instand- haltung des gegenwartigen Schienenweges sind sehr gross und werden jonen gleichkommen, die man ftir einen Canal gebraucht hiitte. Ein Kieselstein allein vermag eine Schiene zu zer- brechen (?), welche dann wieder durch eine neue ei setzt werden muss, und der bestandige Gebrauch wird auch die Schienen abnutzen. Canale sind allerdings mitunter unbrauchbar durch Froste, Ueberschwemmungen oder Wassernoth; aber haben die Schienenwege nicht auch gleiche Hindernisse durch Schnee und Frost zu erwarten ? «■ So lautete der Ausspruch eines die Sache nuclitern beurtheilenden Zeitgenossen. Wie liess sich dagegen George Stephenson vemehmen, dessen Genie die Zukunft War vor seinem geistigen Auge sah V Er besichtigte mit seinem Sohne Robert und einem Freunde den Fortschritt des Bahnbaues; beim Mittagstische in Stockton kam man auf die Eisenbahnen zu sprechen, und da sagte George Stephenson zu seinen Ge- fahrten: »Ihr werdet jenen Tag erleben, wenn auch ich nicht so lang leben werde, an welchem die Eisenbahn alle anderen Beforderungsmittel dieses Landes verdrangt haben wird, wo Frachtwagen auf Eisenschienen laufen werden und eine solche Bahn das hauptsachlichste Beforderungsmittel ftir den Konig wie fill- seine Unterthanen sein wird. Die Zeit wird kommen. wo es fur den Arbeiter billiger sein wird, mit der Eisenbahn zu faliren als zu Fuss zu gelien. Ich weiss, dass noch grosse und fast uniiberwindliche Schwierigkeiten besiegt werden mussen, aber was ich gesagt habe, wird so gewiss eintreffen, als wir leben.« Diese kiihne Prophezeiung wurde, wie wir wissen, in einigen Decennien volliuhaltlich erfullt. Eines der wichtigsten Ereignisse fiir die weitere Ent- wickluug der Locomotiv-Eisenbahnen fiillt in das Jahr 1829. Der Betrieb auf der am 27. Sept. 1825 eroffneten Stockton- DarlingtoueT Pferdebahn gestaltete sich sehr schwunghaft. Man projectirte deshalb zwischen Liverpool und Manchester ebenfalls eine Eisenbahn, um das Transport-Monopol der Canal-Gesellscliaft zu brechen und den Transport regelmassiger zu gestalten. Stephenson erbot sich, fiir diese Eisenbahn eine Locomotive zu bauen, die stiindlich zehn englische Meilen zurucklegen werde; er bat das Parlameut um Unterstutzung, wurde jedoch als »Phantast« zuriickgewiesen. In dem die Ablehnuug beantragten Parlaments-Ausschusse sassen ver- mutlilich einige Caualactien-Besitzer. Das famose Gutachten dieser Korperschaft verdient gleichfalls, zur Erheiterung der Nachwelt, im Kensington-Museum ausgestellt zu werden. 1 Das Directorium der Liverpool-Manchester Bahn dachte zunachst ebensowenig wie jenes der Stockton-Darlington- Bahn an die Anwendung der Locomotive, sondern man beabsichtigte, weil animalische Krafte fur die zu erwartenden Massentransporte nicht ausreichten, stabile Dampfmaschinen in entsprechenden Zwischenraumen aufzustellen und die Wagen- ziige mittelst Drahtseil von einer Maschinenstation bis zur anderen Ziehen zu lassen. Die Frage, ob zum Eisenbahnbetriebe die fahrende Dampfmaschine der stabilen vorzuziehen sei oder nicht, sollte dicsmal zur Entscheidung gelangen. Henry Booth, General-Secretar der Liverpool-Manchester Bahn, erwarb sich das grosse Verdienst, die Directoren auf dieKohlen- balin-Locomotiven aufmerksam gemacht zu haben; er war es auch, der Stephenson die Anwendung kleiner Rohren zur Ver- grosserung der Heizflache des Locomotiv - Dampfkessels empfalil. Das Directorium der Liverpool-Manchester-Bahn beorderte zwei praktische Mechaniker zur Berichterstattung iiber den Betrieb auf der Stockton-Darlington-Bahu und den Newcastler Kohlenbahnen. Das Gutachten hob hervor, dass den Locomotiven noch viele Mangel anhaften; dennoch war die Mehrzahl der Directoren, wahrscheinlich durch Booth's Einfluss, mehr fur die Locomotiven eingenommen. Um den Gegenstand einer definitiven Entscheidung zuzufiihren, wurde am 15. April 1829 ein Preis von 500 Pfund Sterling fur eine Locomotive ausgeschrieben. Die Concurrenz - Bedingungen zeigen, welche bescheidene Anspriiche man stellte; es wurde verlangt, dass die Maschine Tag fur Tag auf einer gut con- struirten ebenen Bahu einen Wagenzug von 20 Tonnen Ladung, einschliesslich des Tenders, mit 10 englischenMeilen per Stunde befordern solle, wobei der Dampfdruck im Kessel 50 Pfund per Quadratzoll nicht iibersteigen durfe; ausserdem war fur die Maschine sammt Tender, Wasser und Kohle ein Maximalgewicht von 6 Tonnen und fur die Rauchfangmiindung eine Maximal- hohe von 15 Fuss vorgescbrieben. Die Probefahrten begannen am 6. October 1829 bei Rainhill, nachst Liverpool, auf einer 13/i englisclie Meilen langen, fast horizontalen Bahnstrecke. FiinfMaschinen waren zur Concurrenz angemeldet worden, von welehen aber die »Perseverance" von Burstall auf dem Transporte bescliadigt wurde. Sie wurde wahrend der Probefahrten wieder reparaturs- bedtirftig, konnte die vorgescliriebene Geschwindigkeit nicht erreichen, worauf der Bewerber von der Concurrenz zuriick- trat. Eine andere Maschine, der »CykJopcnfuss von Brand- reth, wurde von einen verborgenen Pferde bewegt und selbst- verstandlich als nicht entsprechend zuruckgewiesen. Die Ma- schinen der iibrigen drei Bewerber waren folgende: 1. Die »Sans PareiU von Timotheus Hackworth (Tafel I) Der cylindrische Kessel war 2*39 Meter lang, Ps3 breit, hatte im Innern an der links liegenden Feuerstelle ein 0 s Meter weites Feuerrohr, das sicli im Kessel zu dem rechts ueben der Feuerstelle situirten Rauchl'ange wendete, wo es mit 0'4 Meter Durchmesser einmiindete. (Tafel II) Der expandirte Dampf wurde in den Rauchfang getrieben Die siebenzolligen Cylinder standen senkrecht iiber den Hinterradern, welche mit den Vorderradern gekuppelt waren. Die Maschine hatte programmmassig sechs Rader und elastische Tragfedern haben sollen. 2. Die »Novclty« von Braithwaite & Ericson (Tafel I). Der Kessel bestand aus einem horizontalen und einem verticalen Dampf-Erzeuger; ersterer enthielt ein von der Feuerbfichse ausgehendes, nach und nach enger werdendesRohr, welches nach drei Windungen an der Vorderwand des Lang- kessels in den Schlot mundete (Taf. II). Die Luft wurde mittelst eines von der Maschine bewegten Geblases in das Feuer ge- rieben. Die . Novelty war als sogenannte Tender-Locomotive construirt, hatte also keinen Transportwagen fiir Wasser und Kohle hinter sich. 3. Die nliocket« von Robert Stephenson (Tafel II), welche aber doch nur eine Scliopfung des Vaters George Stephenson war, der dem Sohne die Ehre der Preisbewerbung uberliess. Der cylindrische, eben begrenzte Langkessel war Ps3 Meter lang bei Poi Meter Durchmesser. Ruckwarts befand sich ein viereckiger Feuerkasten von 0 92 Meter Breite, ebenso viel Hohe und Ogi Meter Lange. Der nach unten offene Feuerkasten enthielt im Inneren die eigentliche Feuerbiichse mit dem unten liegenden Roste. Yon der Feuerbiichse gingen durch den horizontalen Langkessel 25 kupferneRauchrohren, die in den Schlot miindeten. (Taf II). Durch eine aussen angebrachte Rohre wurde aus dem Lang¬ kessel das Wasser in den Feuerkasten geleitet, wahrend eiu ober letzterem angebrachtes Knierohr den Dampf in den Dampfraum desLangkessels fiihrte. DieDampfcylinderbefanden sicli riickwarts am Feuerkasten, 45 Grad gegen den Horizont geneigt. Das vorne situirte Triebraderpaar hatte 4 Fuss 8 '/„ Zoll Durchmesser, ein Laufriiderpaar von 3 Fuss 3 Zoll Durch¬ messer war ruckwarts hinter dem Feuerkasten angebracht. Die Kraft wurde in der heute noch iiblichen, einfachsten Art von der in Gleitbacken gefuhrten Kolbenstange mittelst Leitstange und Kurbel auf das Triebrad iibertragen. Der expandirte Dampf wurde in den Schlot geleitet. Die Maschine besass Blattfedern und fiihrte einen Schlepptender, auf dem das Wasser in einem holzernen Fasse sich befand. Die Probefahrten ergaben folgende Rcsultate: Die »Sans PareiU zog drei beladene Wagen, 10 Tonnen und 19 Centner schwer, mit circa 15 englischen Meilen Geschwindigkeit. Nach der achten Fahrt wurden die Versuehe wegen schadhafter Speisepumpe eingestellt. Die »Novelty < zog zwei beladene Wagen, G Tonnen und 14 Centner schwer, und zwar das erste Mai 3'/2 englisclie Meilen, das zweite Mai 4% englische Meilen; die weiteren Versuehe mussten wegen erheblicher Ge- brechen des Kessels aufgegeben werden. Die durchschnittliche Geschwindigkeit der »Novelty« soil circa 16 englisclie Meilen betragen haben. Die »Pocket wurde von George Stephenson selbst gefuhrt, dem John Fox, der spater so beriihmt ge- wordene Erbauer des Londoner Krystallpalastes, als Heizer diente. Die Maschine zog zwei beladene Wagen, 9 Tonnen und 11 Centner schwer, bei 20 Fahrtcn hin und zuruck auf zusammen 70 englisclie Meilen mit einer Maximal- - 11 - Geschwindigkeit voii 20 englischen Meilen und einer durch- schnittliclien Geschwindigkeit von 14 englischen Meilen per Stunde. Der Preis wnrde Stephenson zuerkannt, weil nur seine Maschine den Concurrenz-Bedingungen mehr als entsprochen hatte. Die »Rocket« iibertraf in der That alle Erwartungen, denn trotzdem sie beinahe nm 50 Percent leichter war als die bisherigen besten Locomotiven, zog sie dennoch die gleiche Last mit gleicher oder hoherer Geschwindigkeit und 40 Percent Brennstoff-Ersparniss, Diese Leistung liess sich noch erhohen; man brauchte nur die Dimensionen des Kessels, der Cylinder etc. zu vergrossern, und das Gewicht der Maschine zu vermehren. Stephenson hatte seinen Sieg zwei besonderen Ein- richtungen zu verdanken, namlich: dem Rohrenkessel und dem Blasrohre; dnrch ersteren erzielte er in der kleinen Maschine eine rasche Dampfproduction, durch letzteres wurde der Feuernngsprocess ungemein belebt. Beide Einrichtungen bedingen sich gegenseitig; die historische Gereehtigkeit ver- langt aber, auzufuhren, dass Stephenson hierin bereits Vorgiinger gehabt hat. Die Priori tat derErfindung des Rohren- kessels gebiihrt wohl dem franzosischen Ingenieur Segnin, doch war Stephenson's Rohrenkessel, dessen Autorschaft unbestritten dem Secretar Booth zukommt*), einfacher und viel solider. Beziiglich des Blasrohres muss erwiihnt werden, dass es bereits 1803 von Trevithik angewendet worden ist, doch hat auch schon Stephenson bei seinen alteren Killing- worth-Maschinen den expandirten Damf behufs Belebung des Feuerungsprocesses (und nicht, wie Trevithik, zur Yerhutung des Scheuens der Pferde) in den Rauchfang geleitet. Die Wirkung dieses Blasrohres war aber unvollkommen, weil es an der Ausmiindung nicht verengt war, somit der Rauchfang nicht mit wiinschenswerther Energie evacuirte. ffackworth hat bei der »Sans Pareil« zuerst die Yerengung des Blasrohres an der Ausmiindung angewendet, wesshalb seine Maschine anfanglich auch einen kraftigeren Luftzug als die »Rocket" besass. Mit der preisgekronten Maschine » Rocket < beginnt das mo deme Eisenbahnwesen, welches sich durch die schnell- fahrende Locomotive (von Stephenson ursprunglich uReise- maschine® genannt) charakterisirt. Alles seither Geschaffene, so anerkennenswerth es auch ist, kann doch nur als weitere Vervollkommung des von Stephenson Angebahnten betrachtet werden. Was Arago einst in seiner Lobrede auf James Watt sagte: »Es gibt Genies, welche nicht allein die grossten Ideeu haben, sondern dieselben auch der Nachwelt so vollkommen hinterlassen, dass dieselbe, mehrere Generationen lang, daran nichts Wesentliches zu verbessern fand,« — das gilt voll- inhaltlich auch von George und Robert Stephenson. In Folge der siegreichen Betheiligung an der Preis- Concurrenz iibertrug man den beiden Stephensons den Bau der benbthigten Locomotiven. Mit den erhaltenen Geldvorschiissen erweiterten sie die Locomotivfabrik zu Newcastle am Tyne, *) Stephenson selbst hat dies xviederholt in der offenherzigsten Weise anerkannt und pllegte zu sagen: ®Mr. Booth's Itohren sind das lilut der Locomotive.® welche lange Zeit fur englische und aiislandische Eisenbahnen die-Maschinen lieferte und ihren Besitzern rasch ein grosses Vermogen einbrachte. Die weiteren Vervollkommnungen, insoweit sie von der Finna Stephenson herriihren, haben Vater und Solm gemein- schaftlich erfunden. Die preisgekrbnte »Rocket > wurde bald genug ausser Betrieb gesetzt. Schon in den Jahreu 1830—32 bauten Stephenson's vierradrige Locomotiven, die der »Rochet «■ an Grosse, Leistungsfahigkeit und constructiven Details mannigfach uberlegen waren; sie besassen nicht mehr 25, sondern schon 90 Rauchrbhren. Seit 1833 haute die Firma nur mehr sechsradrige Maschinen mit vergrosserter Heizflache, bei denen das in der Mitte befindliche Triebrad keinen Spur- kranz hatte. In das Jahr 1833 fallt auch der unblutige Ivrieg gegen die von Adrian Stevens (gest. am 24. Dezember 1876 zu Merthyr-Tydvil in Wales) erfundene Dampfpfeife. Der »Globe < liess sich am Schluss eines diesbeziiglicheu Schmerzensschreies also vernehmen: »Es muss geradezu als ein Ruckschritt in der Civilisation betrachtet werden, wenn man gestattet, dass dieses entsetzliche Geschrei, gegen welches das Kampfgeheul der Rothhaute noch ein Wohllaut sei (!), mitten in grosseu Stadten, imWohnplatze der stillen geistigen Thatigkeit ertonen dtirfe.« Trotz dieser journalistischen Styliibung hat sich die Zahl der Eisenbahnen und Dampfpfeifen ohne Beintrachtigung »der stillen geistigen Thatigkeit® erstaunlich vermehrt. In den Jahren 1834—1836 construirten die Stephen- sons Maschinen mit beweglichem Vordergestelle; Norris in Philadelphia ist daher nur der Verbesserer dieser Con¬ struction. Im Jahre 1837 wurde die Steuerung verbessert: 1842 wurde die »Patentmaschiue« mit der Coulissensteuerung gebaut, wodurch mit einfachem Dampfschieber eine variable Expansion des Dampfes und in Folge dessen eine grosse Brennstoff-Ersparniss erzielt wurde. Der Sohn Robert widmete sich von 1832 an auch dem Eisenbahn- und Bruckenbau ; auf beiden Gebieten hat er be- kanntlich Grossartiges geleistet, so namentlich durch den Bau derRbhrenbriicken (Britannia-Brticke in England und Victoria- Briicke in Canada). George Stephenson war kein Biicherheld; er gab mehr auf eigenes Naclulenken und Ergrunden, doch hegte er fur wissenschaftliche Leistungen hohe Achtung, denn er wusste recht wohl, welches Ftihrers der Praktiker und Empiriker so oft bedarf. Auch Robert Stephenson besass trotz seiuer wissen- schaftlichen Bildung, gleich seinem Vater, doch nur geringe Kenntnisse in der Mathematik; er scherzte oft selbst daruber und sagte einst in Gegeuwart des Freiherrn v. Weber: »Wir haben immer Ideen gehabt, und Leute, die das rechneten, was dabei zu rechnen war, liessen sich immer leicht und wohl- feil findeu.« Zuletztwar George Stephenson auchEigenthiimer mehrerer Kohlenbergwerke und der grossen Eisenwerke von Clayross; er lebte auf seinem fiirstlich eingerichteten Landsitze Tapton- House bei Chesterfield, woselbst er zwar nicht wie einst Gurki n - 12 - undKohlkopfe zog, aber in lierrlichen Treibhausern und Garten die werthvollsten Schatze der Horticultur pflegte. Hier starb ev, reich an Ehren und Besitz, am 12. August 1848, im 67. Lebensjahre und wurde in der Trinity Church zu Chesterfield beigesetzt.*) Sicherlich wird Stephenson, den Superkluge einst ffir einen »Narren« und »Phantasten« erklarten, immer zu den grossten Wolilthatern der Menschheit gezahlt werden, In New¬ castle amTyne, der Statte seines langjahrigen Wirkens, wurde George Stephenson i. J. 1845 neben der von seinem Sohne erbauten High Level Bridge, jetzt Stephenson-Briicke genannt, ein Denkmal gesetzt. Dasselbe zeigt die stehende Figur »des Vaters der Eisenbahnen«; das regelmassig geformte Antlitz verrath Geist, EntscblossenbeitundMilde. Derbertihmte Bild- bauer Marochetti sagte daruber: »Es ist daftir geschaffen, in Erz gegossen zu werden.« Der Socket ist in den Ecken mit vier Figuren geziert, welche einen Grubenarbeiter, einen Hand- werker, einen Maschinenfiihrer und Oberbauleger darstellen, auspielend auf den Lebensgang des Mannes, dessen ebrender Erinnerung das Standbild gewidmet ist. Aucb ist am 16. Oc¬ tober 1877 in Chesterfield der Grundstein eines aus Privat- mitteln errichteten und seither eroffneten, Schul- und Vereins- zwecken dienenden Gebiiudes gelegt worden, welches den Nam en » Stephenson Memorial Hall« fiihrt. Ohne Stephenson waren die Locomotiv-Eisenbahnen wobl erst spater — und wer weiss, ob gleich in so vollkommener Form — entstanden. Sollen wir fiber den Nutzen der Eisen- bahnen etwas beiffigen? Das hiesse Eulen nach Athen oder Staub nach Wien tragen. Wir begnfigen uns mit der Be- merkung, dass durch keine andere Erfindung, selbst die der Buchdruckerkunst nicht ausgenommen, die Welt binnen wenigen Jahrzehnten so umgestaltet und das Wohl der Mensch- *) Freilierr v. Weber sagt in seiner iFestrede zum fiinf/igsten Geburtstage dor Locomotive" fiber George Stephenson: .Die Ivbnigin,der Adel und das Volk von England haben ilim neben Watt, Wellington, Nelson und Sha kes p ear e ein Denkmal errichtet." Diese Angabe beruht auf Namensverwechslung. In der Westminster- Abtei zu London wurde der am 12. Oct. 1859 gestoibene Solin Robert Stephenson beigeseizt, wiihrend der Vater George Stephenson, wie bemerkt, in der Trinity Church zu. Chesterfield ruht. K. E. heit so gefbrdert worden ist, als durch Stephenson's Schopfung. Ganz besonders aber haben die nach Tausenden zahlenden Eisenbahn-Bediensteten alle Ursache, Stephenson zu verehren, denn ohne sein Meisterwerk hatten sehr Viele von ihnen mit einem weit minderen Loose ffirlieb nehmen mfissen; sie hatten es nicht zu mitunter sehr auskommlichen Stellungeu, zu Verm 8 gen und ausseren Ehren gebracht. George Stephenson zeigte in jeder Lnge des Lebens den »starken angelsachsischen Geist", eine eiserne Willenskraft, gepaart mit grosser Herzensgfite und Menschenliebe. Solchen Naturen muss Hervorragendes gelingen Was bedeuten im Vergleich zum Leben und Wirken eines Stephenson Dinge, die Anderen durch Zufall der Geburt, durch Glfick und Gunst als reife Frucht mfihelos in den Schoos fallen? George Stephenson ist eines jener leuchtenden Beispiele, das jungen Strebern nicht oft und eindringlich genug vorgehalten werden kann. Er hat sich die Unsterblichkeit gesichert; ihm gebfihrt der innigste Dank aller civilisirten Menschen. Wir aber wollen uns nicht nur des Nutzens seiner herrlichen Schfipfung erfreuen, wir wollen auch sein Andenken hoch in Ehren halten: wir werden nie vergessen, dass wir nur seinem Genie, seiner un- erschfitterlichen Ausdauer das herrlich gelungene Werk zu verdauken haben. Georg Forster, »der Naturforscher des deutschen Yolkes", schrieb mit Recht folgende beherzigens- werthe Worte: »Der Nachruhm ist das einzige Erbe der wenigen Edlen. Oft ziindete die Ehre, die man dem Andenken eines grossen Mannes weihte, denFunken des Genius in einem anderen Busen an Mit einem Eifer, der alle Hindernisse besiegt, kampft er dann um diesen Preis, der ihm so gross, so rein und gottlich diinkt; und wenn er am Ende seiner Lauf- bahn einen Blick in das Vergangene wirft, verlasst er diesen geschaftigen Schauplatz zufrieden, froh und mit dem festen Vertrauen, dass sein Beispiel und der Rubm seines Namens die wohlthatige Flamme fortpflanzen werde, so wie er sie einst empfing. So wird der Nachruhm gleichsam eineSchuld, welche die Nachwelt tilgen muss, und ein Zeitalter, welches bei den Verdiensten eines grossen Mannes schweigt, verdient die Strafe, dass es keinen ihm aliulichen aus seiner Mitte hervor- bringen kann.« -—<3- o--(Y>- Drei Ehrentage aus dem Leben George Stephenson's. Wir haben im vorigen Artikel jener Bergwerks-Kafastrophe erwahnt, bei welcher George Stephenson i. J. 1814 als Vater und Vorgeset/.ter das eigene Leben wagte, um jenes seiner Untergebenen zu retten. Der verstorbene Max Maria v. Weber veroffentlichte hiertiber in seiner eigenthiimlichen fesselnden Schreibweise nach- stehende Scbilderung (»Gartenlaube«, 1863): An einem Sommer- abende des genannten Jahre (1814) befand sich George Stephenson in dem kleinen Garten, der an seinem Hiiuschen lag, emsig mit der Pflege seiner Kohlpllanzen und Gurken beschattigt. Die Gemuse- cnltur, die stets bei ilim cine wahre Leidcnschaft gohlieben ist und die er spater, in den grossten Dimensionen, mit ungemeinem Auf- wande trieb, interessirte ihn schon damals sehr, und er war stolz darauf, dass seine Nachbarn zr ihm zu kommen pflegten, um die ungewbhnliche Grosse seiner Kohlkopfe und Ruben anzuschauen. Plotzlich drohnte durch die Stille des Sommerabends ein duinpfer, den Boden erschiitternder Donnerschlag, dem augen- blieklich ein markorschutterndes Geschrei von der nahegelegenen Kohlengrube her folgte. Stephenson war keinen Augenblick in Zweifel daruber, dass eine Explosion schlagender Wetter in der- selben stattgefunden haben miisse, und noch weniger fiber die Pllichten, die er dabei zu erffillen hatte. WelcheGefahrensichdara.il knfipften, das war ihm, dem Erfahrenon, am wenigsten verborgen. - 13 - Schuhe und Hut anzulegcn, dazu liess er sicli nicht die Zeit; aber ohne einen, vielleicht den letzten Kuss von seinem Weibe, seiner treuen guten Fanny, zu gehen, das war ihra unraoglich, und d i e s e Vers&umniss musste ihm der gerechte Gott sclion ver- zoihen!*) Aber kaum hatte er sich aus den Arraen, die ihn fest umschlungen hielten, losgerungen, so trieb schon der "Instinct dos Yertrauens" heulende und schreiende Schaaren von Arbeitsgenossen, Weibern und Kindern der in der Grube steckenden Le ite zu ihm in's Haus, die es mit schreckverzerrten Gosiehtern tullt'Mi und die Hande nach ihm streckten, ohne zu wissen, was sie eigentlich von ihm, dem einzelnen Manne, wollten. Ohne ein Wort z l verlieren, bahnte er sich einen Weg durch die dichte Masse, die dem Voraneilenden getrculich folgte. Dampf und Brodem schoss in machtigen Saulen aus dem Schachte; das I)ach des Maschinenhauses war durch den machtigen Luftdruck der Explosion zerstort. Die Grube hatte nur einen Forder- und Fahrschacht, aber mehrere Luftschachte; es war also moglich, da--s die Leute unten, wenn sie nicht verschuttet waren, unerstickt geblieben sein konnten. Es gait, sie herauszuschaffen, oder das Feuer, das offenbar unten brannte, zu dampfen. Stephenson unter- suchte ruhig seine Maschine, raumte dazwischen gefallene Triimmer weg, setzte sie in Gang, fand, dass sie sich gut bewegte, mchte ein grosses Tuch in's Wasser und wickelte es sich um Kopf und Oberkiirper, und in das zur Kohlenf'iirderung bestiramte Gelass steigend, das vier bis fiinf Mann fassen konnte und das der Dampf aus dem Schachte umqualmte, rief er mit starker Stimrne in die Schaar, die ihn leichenblass und stumm umstand, hinein: »Wer fahrt mit hinunter?« Entsetzt wichen diejiingsten und beherztesten, wie die altesten und erfahrensten Leute vor diescr wahren Hollen- fahrt zuruck. Da befahl Stephenson seinem Stellvertreter, die Maschine in Gang zu setzen, indem er allein hinnnter wolle, und sie schnell laufen zu lassen, damit er nicht schon unterwegs ersticke. Doch da siegte der »Instinct des Veitrauens« bei drei Mannern im Kreise; sic sprangen zu ihm in das Fordergefiiss — die Maschine zog an und die vier Beherzten verschwanden, unter einem allgemeinen Schrei des Entsetzens, in dem dampfenden Schlunde. Die Grube war nur wenige hundert Fuss lief; die Hinabfahrt war daher ohne vieles Athemholen auszuhalten, und etwas betaubt, aber wohlbehalten langten die Manner unten an. Stephenson fiber- zeugte sich bald, dass die Zerstorungen nur gering, nur zwei Leute durch die Explosion getodtet seien und die anderen, entsetzt und ohne Geistesgegenwart, sich unter einen der Luftschachte zusammen- gedrangt hatten. In einem der Stollen brannte Zimmernng und Kohlenflotz; aus ihm qualmte der Brodem empor, der, inzwischen vermehrt, die Ausfuhrt aus dem Schachte ganz unmoglich gemacht hatte. Bei Stephenson's Anblick brachen die Leute in ein Jubel- geschrei aus; starken Herzens und nur das Nothwendige im Auge, wies er schroff und hart alle Freudenbezeugungen zuruck, befahl zehn von ihnen, die er als die besten Maurer kannte, sich mit Wasser zu begiessen und ihm mit Maurerwerkzeng nach dem brennenden Stollen zu folgen. Zugleich mussten die Anderen eine dichte Handlangerkette von dem im Schacht befindlichen Depot von Ziegeln und Kalk nach jenom Orte der Gefahr bilden. Als ob ein machtiger Geist und nicht ein armer Maschinenwarterbefehligte, gehorchte die Masse. Auf dem Leibe hinkriechend, naherte sich Stephenson mit den zehn Maurern der Mtindung des brennenden Stollens; fiber ihre Leiber hin wurden ihnen Kalk und Steine zu- gereicht, und die Leute selbst wurden mit Wasser begossen. So begannen sie, unter unsaglichen Beschwerden der Athemnoth und *) Wohl nicht zu treflcnd. Stephenson's Gattin war schon i. J. 180G gestotben; es wird daher der Abschied nur demtheuren Vermachtniss seiner Fanny, dem elfjahrigen Robert, gegolten haben. K, E. Gluth, aber — trotzdem, dass mehrere von ihnen immer matter und stiller wurden, bis sie endlich regungslos ausgestreckt Iagen — mit aller Kraft, die ihnen die furchtbare Lage liess, und, am rtistigsten unter ihnen arbeitend, Stephenson, eine Mauer an der Stollenmundung aufzuffihren. Je nachdem diese emporstieg und sie gegen Rauch und Hitze schfitzte, konnten sie sich mehr empor- richten, und um so schneller und freudiger forderte die Arbeit. Immer enger wurdo das Loch, aus dem Rauch und Flamme heraus- qualm'c; schon wollten sich einzelne Freudenrufe horen lassen, als Stephenson, der sehr wohl wusste, wie nahe die Gefahr einer zweiten Explosion lag, denselben Stille gebot, bis der letzte Stein in die Mauer gesetzt, der brennende Stollen verschlossen und die letzte Qualmwolke zur Schachtmundung hinausgezogen war. Dann liess er die Schwachsten in das Fordergefiiss steigen und an das Gotteslicht emporfahren, und so alle Lebendigen und zaletzt die zwolf Leichen der bei der Explosion oder bei der Arbeit Er- stickten, die seine rfistigen drei Gefahrten der Hollenfahrt ihra in das Fordergefiiss laden helfen raussten. Endlich fuhr er auch selbst hinauf, wo die Ingenieare und Eigenthfimer der Grube ver- sammelt waren. Die Ersteren lobten sein Verfahren und sagten, sie hatten es selbst nicht besser machen konnen (sie hatten aber die »Ehre« und — Cefahr der Rettung ihm fiberlassen. »Vom sichern Port lasst sich's gemiichlich rathen.« — K. E.); die Anderen, denen er die Grube gerettet hatte, denn der Brand des Flotzes erlosch noch denselben Tag, er'nohten seinen Wochenlohn um 10 Shillinge!! *) Einer unter diesen frug Stephenson im ersten Eindruck des neuen, durch die furchtbare Gewalt der schlagenden Wetter herbei- geffihrten Unglfickes und mit einem Anwehen des Genies des Ver- trauens: »Mann! lasst sich denn gar nichts gegen dieses Unheil th in?" Und der noch in seinen nassen Kleidern triefende Stephenson sagte im Weggehen: ulch sollte meinen, dass Gott Hilfe dagegen schicken wfirde, wenn sich ein guter Mann recht ernstlich damit boschiiftigen wollte.« Zwanzig Jalire spater rang der Erfinder der Locomotive mit dem grossen Humphry Davy um die Prioritiit der Erfindung der Sicherheitslampe. **) Wir haben dieser Schilderung des nun verewigten Eisenbahn- Schriftstellers nichts beizuffigen, aber unwillkfirlich fragtman sich: Was ware aus den Locomotiv-Eisenbahnen, was aus der armen Waise Robert Stephenson geworden, wenn der Vater bei seinem edel- miithigen Rettungswerke verunglfickt ware? Von was ffir gering- fugigen Dingen hangen oft die grossten Ereignisse der Welt ab! Als den zweiten Ehrentag in Stephenson's Leben mochten wir seinen Sieg »auf dem Feld der Ehre« zu Rainhill bei Liverpool bezeichnen. Bald nach der bekannten Preisausschreibung gingen Vater und Sohn an die Ausffihrung der Concurronz-Locomotive > Rocket', deren Bau Robert, als Yorstand der Fabrik, leitete. Der reiche John Pease schoss das Geld zur Anlage der Fabrik vor. George Stephenson hatte kurz zuvor bei zwei Maschinen fur die Lyon- St. Etienne-Bahn nach Seguin's Muster den Kessel mit Rohren versehen, welche das Wasser enthielten und vom Feuer umspfilt wurden. Diese Construction musste als fehlerhaftwieder aufgegeben werden. Henry Booth, Generalsecretar der Liverpool-Manchester Bahn, empfahl, im Kessel Rohre von kleinem Durchmesser an- zubringon, jedoch Feuer und Rauch, nicht aber das Wasser, durch sie streii hen zu lassen. Stephenson entschloss sich, das Experiment zu machen; die »Rocket«- erhielt 25 dreizollige Kupferrohre. Bei den ersten Versuchsfahrten rait der »Rockct« auf der Killing- worther Montanbahn erstaunten Vater und Sohn fiber die Rasch- *) Stimmt mit anderen Daten nicht iiberein. Stephenson hezo^ i. J. 1814 schon Jahresgehalt und nicht mehr Wochenlohn; er war Masehinenmeister und nicht mehr Maschinenwiirter. K. E. **) Stephenson erfand die Sicherheitslampe gleichzeitig und unah- hiingig von Prof. Davy i. J. 1815/lti; der Prioritatsstreit ist daher gegi-n- standslos. K. E. - 14 - licit der Dampf-ErzeugungunddieSchnelligkeitder kleinenMaschine. Freiherr v. Weber bomorkt hiezu in seiner Festrede »Zum fiinf- zigsten Geburtstage der Locomotive« (»Z d. V. D. E.-B.-V.«, 1879:) »So hat es eine der wunderbarsten Fiigungen, an denen die Ge- schichte dor Locomotiv-Construction so reich ist, gewollt, dass gerado dasjenige Organ der Locomotive, das ihr ganz aussehliess- lich eigen war, und das sie mit don Eigenschaftcn, welche sie zum specifischen Werkzeuge des Geistes der modernen Zeit machte, der Schnelligkeit und concentrirten Leistungsfahigkeit, beschenkte, der vielrohrige Kessel, der Denkkral't eines volligen Laien in der Mechanik entsprungen war.« Die Priifung der vier Concurrenzmaschinen sollte am 1. Oc¬ tober 1829 beginnen, verzogerte sich aber durch einige nothig gewordene Eeparaturen bis zum 6. und dauerte bis 12. October. Frcih. v. Weber berichtet hieruber: Nie hat die Priifiing einer Erfindung so tiefgehendes, weites und stiirmisch kundgegebenes lnteresse erregt, wie die der vier Locomotiven zu Bainhill. Liver¬ pool fiillte sich mitWissenden und Laien, die Zeuge derselben sein wollten; Zuschauertribiinen wurden gebaut und stromweise nach dem Kampfplatz gewallfahrtet. »Es war,« schreibt der »J[(:rald< vora 5. emphatisch, » als ob der »St. Legerv. (das beriihrate Renn- pferd) laufen sollte,« und glaubt damit der grossen Ersclieinung viel Ehre angethan zu haben. Durch die englische Nation, vornehmlich aber die Bovolkerung von Liverpool und Manchester, ging eine weit tiefere, ernstere Autfassung derselben und eine Ahnung davon, dass gegen den Wettkampf, der sich hier vor ihren Augen vorbereitete, an Wichtigkeit fur ihr Land und die ganze Welt, alle Wettstreite, die zu Olympia und Korinth, oder unter den Augen der romischen Casaren, oder zu Derby und Epsom zu alien Zeiten ausgefochten worden waren, eitel Kinder- spiel gewesen seien. Geriichte von dem Geschwindigkeitsinass, welches einige der Maschinen zu erreichen ira Stande sein sollten, waren in das Publi¬ cum gedrungen. Parteien bildeten sich fur die verschiedenen Maschinen, und hohe Wetten wurden auf dieselben eingegangen. Bemerkenswerth ist, dass Stephenson's Maschine, die »Rocket;Metropole deutscher Intelligenz" fiber die Eisenbahnen. Der Berliner Zeitungsschreiber mit dem kaltkritischen Blick konnte es vermuthlich nicht verwinden, dass die gloriose Erfindung wo anders als in Spree-Athen gemacht worden war; darum gerieth ihm Gift und Galle in's Tintenfass. In- zwischen konnen wir mit einem ahnlichen Urtheile eines oster- reichischen Kreishauptmannes dienen. Derselbe antwortete auf die Urgenz eines Projectanten der Wien-Triester Eisenbahn im An¬ schluss an die lombardo-venetianischen Eisenbahnen: »Wollen Sie, dass die Carbonari noch leichter nach Oesterreich kommen konnen? Ich rathe Ihnen von dem Unternehmen ernstlich ab. Machen Sie sich nach oben nicht noch mehr verdachtig.'< Der dem Projectanten eigentlich wohlgesinnte, biedere, aber in den Anschauungen der Zeit befangene Beamte hatte sich auch ganz gewiss verpfiichtet gefuhlt, die hochortige Aufmerksamkeit auf dieses »verdachtige Sujet« submissest lenken zu mfissen, um spater keiner Unter- lassungssunde geziehen zu werden. Beim Zustandekommen der Kaiser Ferdinands-Nordbahn aussersten sich Mandarins vom blauen Knopf dahin, » dass mit der Eisenbahn nur lauter Gesindel in's Land kommen werde«; sie trosteten sich aber damit, »dass die G'schicht'keine zehn Jahr' lang sich halten werde«. So urtheilten in dem damaligen vermettemichten Oesterreich hohe Staatswurdentrager fiber die Eisenbahnen. Schade, dass Prof. Biepl, »der geistige Schopfer der Kaiser Ferdinands- Nordbahn«, keine Memoiren hinterlassen hat. Die amtlichen Be- scheide der verschiedenen Landesstellen, die Aeusserungen ver- schiedener »hohor Personen« waren ein unschatzbarer Beitrag zur Geschichte der Eisenbahnen. Jedenfalls wurde der Mann bei manchen loblichen, hochloblichen und hohen Aemtern als Neuerer, Quaerulant und Projectenmacher angesehen — das Schlimmste, was einem ehrlichen Manne in dem damaligen Oesterreich passiren konnte. Wenn der grosse Banquier Freiherr v. Bothschild fiber Biepl nicht die schfitzende Hand gehalten hatte, wer weiss, ob dem gefahrlichen Projectenmacher nicht eine Dosis Beobachtungszimraer verordnet worden ware? Vielteicht hatte irgend ein Angsthuber hoheren Banges es ffir das Staatswohl als nothig befunden, zu beantragen, dass man »den unruhigen Kopf« vom Lehramte entferne, » damit er mit seinen Hirngespinnsten keinen verderblichen Einfluss auf die studirende Jugend ausfibe". Einzelne osterreichische Stadtvertretungen setzten es durch. dass die Eisenbahn weit genug von der Stadt gefiihrt werde, » damit die Wirthshauser nicht Schaden erleiden«. Das Beispiel des hoch- weisen Stadtrathes von Northhampton, welcher darauf bestand, dass die Eisenbahn ausserhalb des Stadtgebietes, 5 engl. Meilen weit entfernt, in einem Bogen um die Stadt gefiihrt werde, b'.ieb - If, - kein vereinzeltes. Heute haben diese Stiidto eine Localbahn zu der einst gefiirchteten Hauptbahn oder — mochten sic haben. Aber nicht nur edelgestrenge, fursichtige, hoch- und wolil- weise Magistrate von Schilda und Schoppenstedt, sogar Vertrcter des Handelsstandes erkannten nicht gebiihrend den Nutzen der Eisenbalinen. DemFreiherrn v. Rothschild wurde von Geschiifts- Mannern vorgehalten, woher denn die Reisenden kommen sollen, nachdem der wochentlich zweimal verkehrende Wien—Briinner Stellwagen selten voll besetzt sei. Freiherr von Rothschild gab darauf die richtige Antwort, dass die Reisenden sich schon ein- finden werden, wenn nur erst eine billige und schnelle Reisege- legenheit geschaffen sein werdo. Das Aeltesten-Collegium der Berliner Kaufmannschaft erliess am 22. Juni 1835 an die Ministerien des Innern und der Finanzen eine Vorstellung gegen Anlage der Eisenbahnen. Ueber das Treiben auf den Bahnh5fen und die Fahrgeschwin- digkoit der ersten Bummelzuge gibt uns ein Inserat des > Berliner Intelligenz-Blatt" Aufschluss: »Die Bettelei auf dem Bahnhofe, die schon oft Gegenstand der allgemeinen Klage war, nimiut so uberhand, dass wir uns gezwungen sehen, die Augen der Polizei auf diesen Gegenstand zu lenken. Vor Allen unverschamt benimmt sich ein Invalide mit einem Stelzfuss; derselbe belastigt nicht nur die Reisenden auf dem Perron, er humpelt auch, den Hut in der Hand, bis zur nachsten Station neben dem Zuge her (!), unab- lassig die Passagiere anbettelnd. Mehrere Reisende.« Ein stelz- fussiger Invalide, der dem Personenzuge eine Station weit nach- humpelt, da sind die heutigen Personenzuge der Niederoster- reichischen Staatsbahnen noch wahre Courierzuge dagegen! Selbst der nachmalige Minister und Staatsmann Thiers war in den Dreissiger-Jahren als Deputirter ein heftiger Gegner der Eisenbahnen. Als es sich urn Anlage eines einheitlichen Eisen- bahnnetzes und Einfiihrung des Staatseisenbahn-Betriebes in Frank- reich handelte, triibten Doctrinarismus und Oppositionseifer gegen die Regierung derart seinen Blick, dass er von der Tribune herab die Eisenbahnen fur einen Luxus erklarte, den nur Grossstadte in ihrer nachsten Nahe sich erlauben konnten; der Staat habe sich daher gar nicht um derlei Dinge anzunehmen; ausserdem stellte Thiers eine jahrliche Vermehrung der Eisenbahnen in seinem Lande um hochstens 20 bis 30 Kilometer in Aussicht. Wenn sich doch manche Abgeordnete und Gemeinderathe in spateren Jahren recht oft an ihre »ziindenden Roden« erinnorn mochten, die haufig nur ein Schlag in's Wasser waren, oder das Wolil des Landes und der Stadt sogar empfindlich geschadigt haben! Vielleicht liesse dann die Redesouche etwas nach. Die Rededisteln des Abgeordneten Thiers, der eben daraals noch nicht dor Thiers von 1870/71 war, liessen auch andere Redner nicht schlafen. Selbst Manner, die einen europaischen, ja einen Weltruf besassen, suchten die Einfiihrung der Eisenbahnen in Frankreich zu verhindern. Framjois Arago secundirte seinem Freunde Thiers; er riiumte zwar ein, »dass sich allenfalls eine Eisenbahn zwischen Paris und Versailles rentiren diirfte, weil sich vielleicht genug Besucher des koniglichen Lustschlosses und der koniglichen Garten finden werden, welclie die Eisenbahn zu benutzen sich entschliessen; aber Schienenverbindangen zwischen Paris und den grossen Seehandelsplatzen anzulegen, sei ein Unding, weil Giiter auf Eisenbahnen nie befordert werden und Reisende diese Fahrgelegenheit nie beniitzen wiirden (!). Und dann, meine Herren,'< fuhr der beruhmte Mathematiker und Phjsiker fort, wbedenken Sie doch, dass bei Anlage von Eisen¬ bahnen Tunnelbauten vorkommen werden. In Tunnels herrscht selbst in den warmsten Sommertagen die mittlere Jahrestemperatur (Wo, grosser Arago, hattest Du das beobachtet?); bedenken Sie, dass fiir alle Reisende, wenn sie plotzlich aus einer Temperatur von 20, 25 Graden in eine von 8 Graden kommen, der Sclilagfluss unausbleiblich ist.« Eher kdnnte Einen der Schlag treffen, wenn man so etwas aus dem Munde eines standigen Secretars der Pariser Akademie der Wissenschaften liest. Es fand sich auch kein Abge- ordneter, der die grandiose Beliauptung des beriihmten Phjsikers durch den Hinweis widerlegt hatte, dass jeder fertige Tunnel grosserer Lange eigentlich ein Blasrohr sei und deshalb in dern- selben eine abnorme Temperaturdifferenz gegen Aussen gar nicht herrschen konne. Es ist nur gut, dass uns die grossen Geister durch solchen gelegentlichen Gallimatliias wieder menschlich naher ge- ruckt- werden, die wir armen Menschenkinder sonst als Halbg&tter zu verehren genothigt waren. Trotz aller Hemmnisse, welche Unverstand und Sonder- interesse den Eisenbahnen entgegenstellten, hat Stephenson's Schopfung in alien Landern der Erde Verbreitung gefunden, und ist ein Stillstand im Bau von Eisenbahnen noch lange nicht zu befiirchten. 0-C o x> V Locomotive von Stephenson fur die Killkigworth-Kohlenbahn (1814—20). Locomotive von Stephenson & Dodd (1815) Preisconcinrenz-Loeomotive. Parcel* von Hackworth (1829). »Novelty * von Braithwaite & Ericson (1829). PreisgekrOnte Concurreriz-Locomotive »Rocket*- von Stephenson (1829). W «Rocket.« Dampfkessel dor Preisconcurrenz-Locomotiven. » Sans PareiL* »Novelty.« oooooooo oooooo oooooo w oooo ^