•6663 LIBRARY OF CONGRESS DOQQlSflETbB Hollinger Corp P H 8.5 D 15 -fr ,Gc 6. 15 3 GOBELWUS PERSONA. EIN BEITRAG ZUE KRIT1K DEE GESOHICHTSCHEEIBEE DES XIV. UND XV. JAHRHUNDERTS. THEIL I. LEBEI UND ZEITALTERJIOjBELINS. 1358 — 1424. -""" HISTORISCH - KRITISCHE INAUGURALDISSERTATION HOCHANGESEHENEN PHILOSOPHISCHEN FACULTAT DER UNIVERSJTAT LEIPZIG ZUR ERLANGUNG PHILOSOPHISCHEN DOCTOR- UND MAGISTERWURDE VORGELEGT / VON / / EDMUND ALFRED BAYER AUS ERFURT. LEIPZIG, DRUCK VON ALEXANDER EDELMANN, UNIVEESITATS -BUOHDEUCKEE. MEINEM LIEBEN BRUDER AUGUST BAYER RUDOLSTADT. Digitized by the Internet Archive in 2011 with funding from The Library of Congress http://www.archive.org/details/gobelinuspersonaOObaye E1NLEITUNG. Der westfalische Chronist, dessen Leben unci Werk auf den nachfolgenden Blattern von uns naher in's Auge gefasst werden soil, ist vor einigen Jahren in einer scharf- sinnigen Schrift Paul Scheffer-Boichorsts 1 ) nach langerer Vergessenheit wi'eder an's Licht gezogen worden. Bei dem Versuche einer Wiederherstellung der im Laufe der Zeit untergegangenen paderborner Annalen, einer fiir westfalische Geschichte und Chronograpbie hochst wich- tigen Quellenschrift des zwolften Jahrhunderts, hat nam- lich der genannte Alitor neben einer Anzahl von Kloster- annalen und umfassenderen Werken des eigentlichen Mittelalters auch das Cosmodromium des spateren west- falischen Geschichtschreibers Gobelinus Persona zu Rathe gezogen und dasselbe bei dieser Gelegenheit als eine reiche Fundgrube von Notizen und Mittheilungen, welche ihm fiir seine Restitutionszwecke von grosster Wichtigkeit sein mussten, kennen und schatzen gelernt. Zwar ware der moderne Kritiker in de/r kurzen Be- sprechung, welche er dem paderborner Kleriker und dessen Chronik widmet 2 ), nicht abneigt, ihm letztere ganz zu „schenken", wenn er uns nur eine sorgfaltige Abschrift 1) Annales Patherbrunnenses. Eine verlorene Quellenschrift des zwolften Jahrhunderts aus Bruchstiicken wiederhergestellt von Paul Scheffer-Boichorst. Innsbruck 1870. 2) A. a. 0. p. 44—46. — 6 - der von ihm benutzen Annales Patlierbrunnenses hinter- lassen hatte; auch spricht er sich im allgemeinen ziem- lich abfallig iiber seinen Landsmann und dessen historio- graphische Leistung aus; doch niacht er selbst darauf aufmerksam, dass bis auf die Zeiten eines Fiirstenberg und Schaten, also bis weit in das siebzelmte Jahrhundert hinein, Gobelin unstreitig der grosste Geschichtsclireiber gewesen ist, den Paderborn besass. Audi abgesehen hiervon liat das Werk Gobelins trotz aller ihm anhaften- den Mangel seinen eigenthiimlichen, weit iiber die Griinzen seines engeren Vaterlandes hinausgelienden Werth und verdient' um so mehr die Beachtung des spateren Historikers, als man bei der so geringen Anzahl histo- rischer Aufzeichnungen, welclie uns die rothe Erde des Mittelalters hinterlassen hat, jedes von dort her kommende ernste Streben, der Nachwelt die Geschichten vergangener Zeiten zu iiberliefern, wohlwollend und mit einer gewissen Nachsicht aufnehmen muss. Zwar war Gobelin, wie Scheffer-Boichorst mit Recht bemerkt, kein Villani, ob- gleich er in ahnlicher Weise Paderborn, wie dieser die glanzende Arnostaclt, mehr und mehr zum Mittelpunkte seines Werks gemacht hat; auch reicht er in Stil und Gedaukenfulle , sowie in der Gruppirung des Stoffes nicht im entferntesten an seinen grossen Landsmann Widukind von Corvey oder an andere vornehme Geister der mittelalterlichen Geschichtschreibung heran: nichts- destoweniger hat er einst in einem Ansehen gestanden, welches dem jener beiden beriihmten Schrifts teller nicht viel nachgab, und das man kaum fur moglich zu halten geneigt sein mochte, wenn man die Vergessenheit be- denkt, welche jetzt auf ihm und seinem Werke lastet. Sein Cosmodromium war friiher in zahlreichen Ab- schriften durch ganz Europa verbreitet, und nach Er- findung der Buchdruckerkunst fand es auch durch die Presse eine verbal tnissmassig friihzeitige Vervielfaltigung; es wurde von Hunderten auf s eifrigste gelesen und excerpirt und von den namhaftesten Gelehrten des Reformations- zeitalters haufig eitirt und als gute Quelle benutzt; ja inanche schreiblustige Seele, welche auf Gobelins Ruhm eifersiichtig sich unfahig fuhlte aus eigner Kraft etwas Bedeutendes zu schaffen und doch zu schwach war dieses einzugestehen, trug kein Bedenken, sich durch Aus- schreiben ganzer Seiten aus Gobelin, ohne des Gewahrs- mannes Namen zu nennen, mit fremden Federn zu schmiicken und dadureh einen mehr als zweifelhaften Ruhm zu erstreben 3 ). Gobelins Werk gerieth erst mehr und mehr in Vergessenheit, als andere grossere Geister sich der Geschichtschreibung bemachtigten; Fiirsten- bergs , Schatens, Struncks und Anderer umfangreiche Arbeiten drangten, obwohl sie theilweise auf seinen Schultern standen, den paderborner Chronisten in den 3) Fabricius sagt (Bibl. med. et infim. Latinit. Hamb. 1735. tom. III. p. 192): „Eo (Gobelino) usi Albertus Crantzius in metropoli, Hermannus Kersenbroch in Catalogo Episcoporum Paderbornensium . . ." Albert Kranz nun hat bei Abfassung seiner Metropolis ganze Seiten aus Gobelin aufgenommen, ohne jemals seinen Gewahrsmann anzufiihren; der Compilator des Paderborner Bischofscatalogs, Hermann Kersenbroch, wollte Gobelin lieber ganz ausschreiben, als ihn einmal nennen. Vgl. Meibom. (Rer. Germ. tom. I. p. 59). ,, Albertus Crantzius in contexenda metro- poli Gobelini Cosmodromio plurimum usus est, integrasque ex eos pagellas descripsit, nomen vero ipsius reticet. Videatur Metro- poleos lib. I. cap. 16. 28. lib. 4. cap. 4. lib. 7. cap. 28. lib. 9. cap. 5. lib. 10. cap. 1. 2. et 35. Hermannus Kersenbroch consarcinator cata- logi Episcoporum Paderbornens. maluitGobelinum ijenetotumexscri- bere, quam vel semelnominare." DasselbehatnachScheffer-Boichorst (p. 184), welcher die Angaben iiber Krantz bestatigt, auch Bern- hard Witte gethan, der ca. 1517 seine ,,Historia occidentalis Saxoniae seu nunc Westfaliae" schrieb. Nur der Verfasser des Chronicon Belgicum magnum (ed. Pistorius-Struve. Rer. German. Script, tom. III. Ratisbon. 1726), welcher Gobelin ebenfalls benutzt hat, nennt gewissenhaft seine Quelle. — 8 — Hintergrund, dessen „Weltenlauf" der Staub der Biblio- theken zu bedecken begann; nur ab und zu nocli wurde er von einem oder dem andern Gelehrten aufgeschlagen. Zum letzten Male vor Scheffer-Boichorst hat Gobelins Chronik eingehender wohl Aschbach 4 ) bei seiner Darstellung des Concils von Kostnitz benutzt; nach diesem ist, wie bereits mehrfach erwahnt, erst von dem Wiederhersteller der Annales Patherbrunnenses von neuem auf sie hin- gewiesen worden. Doch hat sich seinem Zwecke gemass letzterer nur mit den spateren Capiteln im sechsten 4) Dr. Joseph Aschbach. Geschichtc Kaiser Sigmunds. Band II. Hamburg 1839. — Audi geht oft auf Gobelin zuriick J. H. v. Wessenberg. Die grossen Kirchenversammluugen des 15. und 16. Jahrhunderts in Bezug auf Kirchenverbesserung geschichtlich und kritisch dargestellt mit einleitender Uebersicht der friiheren Kirchengeschichte. Neue Ausgabe. Vier Bande. Constanz 1845. Das „Sachen- und Personenverzeichniss" dieses Werks, welches wohl nicht von Wessenberg gearbeitet ist, identificirt Gobelin (p. 79 s. v. Persona) mit Johannes Gobellinus, dem Copisten der Commentarien jenes Aeneas Sylvius, welcher unter dem Namen Pius II. den papstlichen Stuhl inne hatte. Es scheint diese Ver- wechslung noch aus der friiheren unkritischen Zeit zu stammen, jn welcher vielfach die Ansicht verbreitet war, dass das Cosmo- dromium em Werk Pius II. sei. Vgl. dagegcn Theod. Raynaudus. De malis et bonis libris part. I. Erot. 10. §. 1. p. m. 117 und Hallervord. Spicilegium de Histor. Lat. §. 74. Da namlich lange Zeit die „Commentariorum de rebus memorabilibus libri XII" des beruhmten Humanisten unter den Namen des deutschen Klerikers Johannes Gobellinus, welcher dieselben mundirt und mit seiner Namens- unterschrift versehen hatte, gingen, so glaubte man, als sich der eigentliche Verfasser herausstellte, demselben auch die Autor- schaft der gobelinischen Chronik vindiciren zu mussen, indem man misstrauisch gemacht und durch den Gleichklang des Namens verfiihrt falschlicher Weise auch das Cosmodromium fiir ein durch Johannes Gobellinus abgeschriebenes Werk des Aeneas Sylvius hielt. Hieruber ausfuhrlicher im zweiten Theile dieser Abhand- lung. Ueber Johannes Gobellinus und den durch ihn ohne Schuld veranlassten Irrthum vgl. Georg Voigt. Enea Silvio de' Picco- lomini, als Papst Pius der Zweite, und sein Zeitalter. Berlin 1856—62. Zweiter Band p. 340. — 9 — Zeitalter des Cosmoclromiums beschaftigt 5 ) unci auf die Quellen, welche denselben zu Grunde liegen, im allge- meinen auftnerksam gemacht; uns scheint es nun aus den oben angefuhrten Griinden der paderborner Chronist aber auch zu verdienen einer eingehenderen Darstellung gewiirdigt und in das rechte Licht gesetzt zu werden, zumal auch der kurze Abriss seines Lebens und Bil- dungsganges bei Scheffer-Boichorst niclit von Ungenauig- keiten frei ist. Die vorliegende Arbeit stellt sich daher als einen Versuch dar, das Leben und das Hauptwerk Gobelins genauer zu priifen und darzustellen, ein Versuch, der urn so weniger Ansprucb auf Vollstandigkeit erheben kann, je mehr das iiber Gobelin und seine Zeitverhalt- nisse vorhandene Material durch der Zeiten Missgunst diirftig und liickenhaft geworden ist. Der zu behandelnde Stoff gliedert sich am besten in fiinf Abschnitte, von denen der erste das Leben und das Zeitalter Gobelins darstellen, der zweite eine Uebersicht unci Kritik seiner Schriften enthalten soil. Der dritte und vierte Abschnitt umfassen die Kritik der Quellen des Cosmodromiums, wahrend der fiinfte und letzte die Glaubwurdigkeit der gobelinischen Berichte zu untersuchen bestimmt ist. 5) Von Aet. VL cap. 38 (Jahr 794) an. Die paderborner Annalen reichten von 791 — 16. October 1189- 10 Erster Abs.chnitt. Leben unci Zeitaltcr Gobelins. Von alien Landern des heiligen romischen Reichs deutscher Nation, in welchen die Wissenschaften wahrend des Mittelalters nQch Pflege und Schutz gegen die seit dem Tode , Karls des Grossen immer mehr iiberhand- nehmende Barbarei und Verwilderung fanclen, ist wohl Westfalen dasjenige gewesen, in welcheni den Musen die wenigsten Opfer dargebracht wurden. Der rauhe Westfale, welcher, wie die friihzeitigen zablreichen Aufzeichnungen und Sammlungen seiner Rechtsgewohnheiten und Weistiimer darthun, weder ohne Talent fur die richtige Auffassung der praktischen Seiten des Lebens, noch ohne historischen Sinn war, besass gleicliwohl nicbt die Gabe den ge- heimsten Faden der Gescbichte nachzugehn und gleich- sam das Weben des Weltgeistes zu belauschen. Er wusste das Ross zu tummeln and das Schwert zu schwingen, schnelle Gerechtigkeit zu iiben in den Veliingerichten, den Pflug zu fiibren und die Fruchtbarkeit des heimischen Bodens sich zu Nutze zu maclien: aber in hervorragen- deren schriftstelleriscnen Werken der Nacbwelt Ver- machtnisse einer vollendeteren Geisteskultur zu hinter- lassen, war ibm nicht gegeben. So ist es denn gekommen, dass die historiscbe Literatur Westfalens im Mittelalter eine ziemlich diirftige und unbedeutende war; auch hat gich das Wenige, was westfalische Geschichtschreiber — 11 — hervorgebraclit haben, im Laufe der Zeit noch bedeutend vermindert Nur die Annalen des bertthmten Widukind von Corvey, eine Schopfung des zehnten Jahrhunderts, ragen iiber die verschiedenen Heiligenleben, Lobgedichte und Tractate, welche den Federri der iibrigen schrift- stellernden Welt Westfalens entflossen sind, weit hinaus 6 ). Diese geringe Befahigung der Westfalen fur und ihre Abneigung gegen die Historiographie, welche bei ihnen erst im Ausgange des Mittelalters einen hohern Auf- schwung zu nehinen begann, konnte natiirlich auch auf die geistige Eichtung der Gelehrten des Hochstifts Paderborn nicht ohne Einfluss bleiben. Auch von hier bat sicb wenig historische Literatur auf die Nachwelt vererbt. Dazu kommt, dass . das beriihmteste Werk paderborner Fleisses, die Annales Patherbrunnenses, ein literarisches Erzeugniss des Klosters Abdinghof 7 ), welches, im zwolften Jahrhunclert weit verbreitet, noch um 1400 vorhanden war und einer grossen Anzahl Geschicht- schreiber der verschiedensten Lander als Quelle gedient hatte, seit dem fiinfzehnten Jahrhuiidert spurlos ver- schwunden ist 8 ); und es bleibt das Verdienst Paul Scheffer-Boichorsts, dasselbe neuerdings clurch eine ebenso miihsame als geistvolle Reconstruction der Quellen- forschung wieder zuganglich gemacht zu haben. Wie diese Annalen mag auch noch manches andere mehr oder minder bedeutende Werk monchiseher Gelehrsam- keit von den Stiirmen der Zeit verweht worden sein, manches noch unentdeckt im Staube der Archive oder 6) W. Wattenbach. Deutschlands Geschichtsquellen im Mittel- alter bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. 3. Aufl. Bd. I. Berlin 1873. p. 242 — 246. — W. v. Giesebrecht. Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Bd. 1. Braunschweig 1855. p. 741. sqq. 7) Scheffer-Boichorst p. 82. 8) Ibid. p. 186. — 12 — iin Dunkel der Klosterbibliotheken modern. Die uns uberlieferten Aufzeichnungen iiber paderborner Local- geschichte sind, soweit sie bis zum Anfange des vier- zehnten Jahrhunderts reichen, in wenigen Sehriftwerken niedergelegt. Ein lateinisclies Gedicht iiber Karl den Grossen und dessen Zusammenkunft mit Papst Leo III. z'u Paderborn im Jahre 799 von unbekanntem Verfasser die Vita S. Liborii, Widukinds Jalirbiiclier, endlich die fiinf Biicher Annalen des sogenannten Poeta Saxo in gebundener Sprache enthalten die ersten bis ca. 973 reichenden Nachrichten iiber Paderborn; ihnen reihten sich in den folgenden Jahrhnnderten die Vita des pader- borner Bischofs Meinwerk, hochstwahrscheinlich eine schriftstellerische Leistung Gumberts, des vierten Abtes von Abdinghof, Sigewards Leben des heiligen Meinolph, das Lippiflorium des Justinns Lippiensis und mehrere unbedeutendere Biograpbieen, Lobgedichte und Tractate iiber kirchlicbe Einrichtungen an: man sieht, es ist nicbt viel, was der Bibliograph der alteren historisehen Literatur Paderbornisches zu registriren hat. Erst gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts nahm die westfalische Historiographie einen gewaltigeren Anlauf in clem Drei- gestirn ihrer Geschichtschreiber Heinrich von Hervord, Theoderich von Nieheim und Gobelinus Persona. Hire Werke beanspruchen wegen der in ihnen enthaltenen pragmatischen und auf Autopsie beruhenden Darstellungs- weise fur ihre Verfasser den Vorzug grosserer Befahigung zur Geschichtschreibung und haben das Verdienst zuerst wieder ein hoheres Interesse an geschichtlichen That- sachen wachgerufen zu haben, wenn auch dieses Inter- esse wesentlich und sehr begreiflicher Weise anfanglich nur localer Natur war. Von diesen drei Autoren nun hat der gelehrte Dominikaner Heinrich von Hervord Weltgeschichte in grosserem Umfange geschrieben; — 13 -^ Theoderich von Nieheim glanzt in der eingehenden Dar- stellung der verwickelten Geschichte seiner Zeit, wahrend Gobelinus Persona neben anderen Vorziigen das unlaug- bare Verdienst zukommt, die Localgeschichte des Bis- thums Paderborn in seinem Cosmodromium so sorgfiiltig dargestellt zu haben, als dies das ihm zu Gebote stehende Material und seine eigenen Erlebnisse ihm nur immer moglich machten 9 ). In Gobelinus erhielt die Bischof- stadt an der Pader ihren ersten bedeutenden Geschicht- schreiber. Die Quellen, welche der Darstellung des Lebens des paderborner Chronisten zu Grunde liegen, fliessen ini allgemeinen sparlich und triibe. Die wenigen autobio- graphischen Notizen, welche uns Gobelin in seinem Cosmodromium auffinden lasst, geniigen nicht, um ein vollstandiges Bild seines Lebens- und Bildungsganges zu entwerfen; Vieles bleibt dunkel, noch mehr liickenhaft. Auch die im tibrigen exact gearbeitete Vita, deren Ver- fasser Heinrich Meibom der Aeltere 1st 10 ), halt sich nur 9) 0. Lorenz. Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter von der Mitte des dreizehnten bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts. Berlin 1870. p. 123 sqq. 10) Abgedruckt zuerst in der (jetzt sehr seltenen) editio princeps des altera H. Meibom, deren vollstandiger Titel lautet: Gobelini Personae Decani Cosmodromium s. chronicon universale ab 0. C. ad a. 1418. Item ejus expositio rerum sub Urbano VI. Bonifacio IX. Innocentio VII. Gregorio XII. Pontificibus gestarum stud, et op. H. Meibomii. Francof. ap. haer. Andreae Wechelii 1599 sqq. fol. — Dann wiederholt bei H. Meibom dem Enkel in seinem Rer. Germ. torn. I. Helmaestadii 1688. fol. p. 55 — 57. (beide Recensionen mit Noten). — Neben diesen beiden bis jetzt einzigen Ausgaben des Cosmodromiums Kat Leibnitz im zweiten Bande seiner „Scriptores Rerum Brunsvicensium. 1707—1711." (p. 56— 59) unter dem Titel: „Excerpta de gestis Ottonis Tarentini, Ducis Brunsvicensis. Ex Tbeodorico de Nyem et Gobelino Persona" einen Auszug derjenigen Parthieen des gobelinischen Geschichts- werkes gegeben, welche sich auf die italienische Geschichte unter Urban VI. und Karl III. von Sicilien beziehen. — 14 - im allgemeinen unci geht nicht naher auf die speciellen Verhaltnisse Gobelins ein, wie denn Meibom aucb die Hiilfsmittel verschweigt, welche ihm bei der Abfassung der genannten Vita vorgelegen baben. Fast nur eine erweitertere Uebersetzung cles Meibomschen Lebens- abrisses hat in neuerer Zeit Ferdinand Wachter ge- liefert 11 ); nach ihm hat Rosenkranz den Versuch einer Biographie unseres Geschichtschreibers unternommen 12 ). Im iibrigen sincl wir auf Briefe und Urtbeile der Zeit- genossen, sowie auf die Stimmen der nachgeborenen Verehrer Gobelins angewiesen 13 ). 11) Abgedruckt in Ersch und Gruber. Allgemeine Encyclo- padie der Wissenschaften und Kiinste. 3. Section. 0— Z. Heraus- gegeben von M. H. E. Meier. 17. Theil. Leipzig 1842. s. v. Persona. 12) G. J. Rosenkranz. Gobelinus Persona. Ein biographischer Versuch. Bei Erhard und Gehrken. Zeitschrift fur vaterlandische Gescliichte und Alterthumskunde. Minister. Band VI. 1843. p. 1—36. 13) Die iibrige Literatur iiber Gobelinus Persona ausser den scbon angefuhrten Schriften: Testimonia quorundam clarissimorum virorum de Gobelino Persona ejusque Cosmodromio. Bei Meibom. Rer. Germ. torn. I. p. 58 — 60. Es sind daselbst aufgefuhrt Citate aus Matthias Flacius Illyricus, David Chytraeus, den Juristen Suffredus Petrus und Christian Cleinsorge, von Hermann Hamel- mann, Reinerus Reineccius, dem kurfiirstlich sachsischen Hof- Historiographen Peter Albinus, von Johann Jacob Frisius, Johann Gerhard Voss, Surius, Molanus, Vincentius Placcius, Raynaudus, Sandius und dem sogenannten Monachus Nussiensis, dem Ver- fasser der grossen belgischen Chronik. — Nicol. Schaten. Annal, Paderborn. Tom. II. Neuhusii 1698. p. 342. 484. 496. 499. 530. — Jo. Albert. Fabricius. Biblioth. med. et infimae Latinitatis. Hamb. 1735. Tom. III. (lib. VII.) p. 192. — J. C. Adelung. Direc- torium d. i. Chronologisches Verzeichniss der Quellen der Siid- Sachsischen Gescliichte. Meissen 1802. p. 192. — G. J. Besseu. Geschichte des Bisthums Paderborn 1820. I. Bdchn. p. 289—292 u. 6ft. — Tross. Westphalia. II. 2. 9. (Stuck 16). Hamm 1825. (Theodor von Mem und Gobelin Persona oder Charakterziige und Scenen aus dem Leben dieser beiden merkwiirdigen Paderborner, die — 15 — Im Jahre 1358, dem namlichen, in welcheni der Grafen von der Mark klassischer Geschichtschreiber Levoldus von Northof zu Grabe getragen ward, zehn Jahre nach der Geburt seines beriihmten Landsmannes Theoderich von Nieheim, erblickte Gobelinus Persona das Licht der Welt 14 ). Sein Geburtsort ist uns ebenso unbekannt, wie das Geschlecht, welchem er entspross, doch ist anzunehnien, dass beide dem Bereiche des pa- derborner Sprengels angehorten, ja dass seine Wiege wohl in der Bischofstadt selbst gestanden hat. Fur diese Annahme sprechen, abgesehen von dem iiberaus lebhaf- ten Interesse, welches Gobelin in seinem „Weltenlaufe" den Anfangen und der Entwickelung Paderborns zuwen- det, seine spatere priesterliche Laufbahn in dieser Stadt und Urkunden aus den Jahren 1430 und 1432, in wel- chen ein Detmer Person als einer der paderborner Bur- germeister aufgefiihrt wird. Danacb hatte Gobelins Fa- milie, wenn anders dieser Biirgermeister sein Verwandter war, zu den angesehensten der Staclt gehort 15 ). Wie dem schon vor Luther wichtige Schritte zur Keformation gethan haben). — Brenken, Freih. v., Das officium im Etteln. Historische. Nachrichten von G-obelin Persona nach einem Autographum. In Dr. Paul Wigands Archiv fur Gesch. unci Alterthumskunde Westphalens. III. 2. Lemgo 182S. p. 186-188. — A. Potthast, Bibliotheca historica Medii Aevi. Berlin 1862. p. 344 (die Erlau- terungsschriften sind theilweise falsch citirt). — Ottokar Lorenz. Deutschlands Geschichtsquellen etc. Berlin 1870. p. 129 sqq. — 14) Gob. Pers. Cosmodr. Aet. VI. c. 69: Anno Domini MCCCLVI1I. ego accipiens communem aerem primam vocem emisi plorans. 15) Bessen. Gesch. d. Bisth. Paderborn. 1820. I. 289. Leider hat dieser Gewahrsmann, welcher das ihm zu Gebote stehende reichhaltige Material seinem Zwecke gemass nur oberflachlich und oft unkritisch ausgebeutet hat, die betreffenden Urkunden weder abgedruckt, noch angegeben, wo sich dieselben befmden. Ein abtriinniger Monch, Johannes Person, wird mit noch sechs andern Klosterg-eistlichen durch Befehl der romischen Curie vom 4. Juli 1412 — 16 — audi sein moge, so viel stelit fest und ist iiber jeden Zweifel erhaben, dass das weitere Heimatland Gobelins Westfalen war. Das paderborner Bisthum befand sich um die Zeit der Geburt Gobelins unter dem Krumm- stabe des neunundzwanzigsten Bischofs seit Hathumar, Balduins von Steinfurt, welcher, ein durchaus wiirdiger Diener des Herrn, damals schon ziemlich bejahrt und von den Krankheiten des Alters geplagt, sich nur noch wenig um die Regierungsgeschafte kiimmerte und drei Jahre spater das Zeitliche segnete. Ihm folgte auf dem fiirstbischoflichen Stuble eine Reihe geistlicher Herrscher, welche mehr irdische Krieger denn Streiter Gottes sich wenig um die Angelegenheiten der Kirche und die Ob- liegenheiten ihres Amtes kiimmerten, ihre Tage nach rit- terlicher Art mit dem edeln Waidwerk und haufigen Feh- zur Ruckkehr in das Kloster Abdinghof gezwungen in dem (noch ungedruckten) Chronic. Abdinghof. bei Bessen I. 290. Anra. 2 und p. 270. Vergl. auch p. 50 sqq. dieser Abhandlung. — Ueber diese und einige andere aus dem Geschlechte der Person, welche in Urkunden aus der damaligen Zeit erscheinen, hat Rosenkranz a. a. 0. p. 3 berichtet: „Eine Mechtild Person, Tochter des verstorbenen Hermann Person, schenkte der friiheren Hirtenkapelle am Detmolder Thore schon im 14. Jahrhunderte ein Capital von 150 schweren Rheinischen Gulden; ein Johann Person kommt iin Jahre 1412 unter den Mitgliedern des Klosters Abdinghof als Kellner vor, und in den Einnahmeregistern dieses Klosters vom Jahre 1409 und 1420 wirJ ein Deppe Person als Pachter einiger Kornboden aufgefiihrt. Die Magistratsdocumente vom Jahre 1425 bis 1432 ergeben einenDetmer Person als Biirgermeister der Stadt, welcher den Hof Dettmarsen bei den Miihlen besass." — Der Vorname Gobelinus ist meines Wissens bis jetzt noch nicht erklart worden. Ich mochte ihn als die latinisirte Form von Gablin, eines Deminutivs zu Gabrihel, Gabriel, mit mundartlicher Umlautung des a in o, hinstellen, wie dieses erstere noch in einem mittelalterlichen Trinkliede (aus dem „Liederbucbe der Clara Hatzlerinn" Nr. 157 [ed. Haltaus. Quedlinburg 1840] abgedruckt in W. Wackernagels „Altdeutsches Lesebuch." 2. Ausg. Basel 1839. p. 968, v. 41. cf. das „W6rterbuch" dieses Werks p. CCIX. s. v. Gablin) vorkommt. — 17 — den gegen ihre aufriihrerischen Unterthanen ausfiillten und lieber in der Rustung des Eriegers als in dem ihnen zukommenden kirchliclien Ornate erscheinen wollten. So Heinrich III. 16 ), der erste paderborner Bischof, welcher dem Papste — damals Innocenz .VI. — den Eid der Treue schwur; so sein Nachfolger Graf Simon (II.) von Sternberg, der durch einen Pfeilschuss lebensgefahrlich verwundet wahrend der Belagerung des Schlosses Bra- beke bei Brilon im Jahre 1389 einen friihzeitigen Tod fand. Doch wird der kriegerische Geist der paderborner Bischofenicht allzusehr Wundernehmen, werin manbedenkt, dass im Zeitalter Gobelins die bedeutenderen kirchliclien Wtirden und Praebenclen meist zur Versorgung der nach- geborenen Sohne der herrschenden Geschlechter dienten, dass in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts die geist- lichen Territorien bereits ganzlich vom Adel in Besitz genommen waren, und dass letzterer sich in Folge dessen natiirlich weniger als Untergebenen des Papstes, denn als unumschrankten Landesherrn und weltlichen Gebieter fuhlte. Dazu vergleiche man die Berichte, welche uns die Schriftsteller iiber die Gulturverhaltnisse der damaligen Zeit hinterlassen haben, und man wird es den geistlichen Herren niclit allzusehr verargen kon- nen, wenn sie fortwahrend mit dem Schwert ningiirtet einherzogfn. Noch trieb das Faustrecht seine schonsten Bliithen: trotz des von Albrecht I. im Jahre 1303 er- neuerten Landfriedens Rudolfs von Habsburg und un- geachtet der Verordnungen, welche Kaiser Karl IV. neuer- dings in der goldenen Bulle zum Besten der offentlichen Wohlfahrt erlassen hatte, herrschte auf den Verkehrs- strassen des heiligen romischen Reichs allgemeine Un- 16) Dieser Bischof stammte aus dem Geschleckte derer von Spiegel zum Desenberge und war vor seiner Erhebung Abt von Corvey. Gobel. Pers. Cosmodr. Aet. VI. c. 69 et 72. 2 — 18 — sicherheit; Handel und Wandel waren schwer gefahrdet; Ritter und Rauber plundeften ungescheut urn die Wette. Die Reisenden sahen sich daher genothigt, den Schutz des jeweiligen Landesherrn, dessen Gebiet sie beruhrten, an- znfiehen, welcher ihnen denn auch in Gestalt eines be- gleitenden Haufens Bewaffneter gegen einen bestiramten Zoll gewahrt zu. werden pflegte, einen Zoll, aus dem sich im Laufeder Zeitdas Geleitsrecht entwickelte. Bei dem mach- tigen Aufschwunge, welclren das Stadtewesen seit der Griindung der Hansa nahm, konnte es nicht fehlen, dass auch die westfalischen Stadte, von denen sechs dem neuen Bunde beigetreten waren 17 ), unablassig fur die Befestigung und Erweiternng ihrer Recbte kampften, sich wohl auch ganzlich frei zu machen suchten. Auch die adeligen Herren, bestrebt eine unmittelbare Reichs- abhangigkeit zu gewinnen, traten gegen ihre weltlichen oder geistlichen Oberhiiupter auf, so dass diese gezwungen waren, da es ihnen in Giite nicht gelang, mit Waffen- gewalt die Rebellen zu ihrer Pflicht zuriickzurufen. Etwas besserten sich alle diese Zustande, als Bischof Heinrich von Paderborn in seiner Eigenschaft als Marschall von Westfalen im Jahre 1370 mit den meisten benachbarten Fiirsten und Priilaten einen Bund zur kraftigen Durch- fiihrung des Landfriedens schloss, welcher denn auch mit den hartesten Massregeln unnachsichtlich gegen alle Rnhestcirer im Lande vorging und dadurch grossere Sicher- heit und Ordnung erzielte 18 ). Gleichwohl war Westfalen 17) Es waren dies Paderborn, Warburg, Brakel, Lemgo, Herford, Bielefeld. Annales H. Turck bei Bessen I. 254. 18) Dieser Bund wurde 1390 von Bischof Rupert erneuert. Gob. Pers. Cosmodr. Aet. c. 83. Zu ihm gehorten Erzbischof Friedrich von Koln, Herzog Wenceslaus von Brabant (Bruder Karls IV.), Wilbelm Herzog von Jiilich, Graf Adolf von Cleve; von den Stadten u. a. Koln, Aachen und Dortmund. Ann. H. Turck bei Bessen I. p. 253. — 19 — zur Zeit des Todes Gobelins in Folge der angefiihrten Ursachen in einer Weise zerriittet, class es zum grossten Theile mehr einer Wildniss, als einem cirilisirten Lande glich. Die haufig wiithende Pest und andere ansteckende Krankheiten thaten dabei das ihrige die vom Schwert verschonte Bevolkerung noch mehr zu decimiren. Bei diesen nachtheiligen ausseren Einfliissen war es kein Wunder, dass auch das friilier so rege geistige Leben am paderborner Hochstift bedeutend nachgelassen hatte. Die beiden Anstalten, aus denen einst so starke Stiitzen der Kirche, so bedeutende Gelehrte, ja selbst einer oder der andere Dichter hervorgegangen waren, die Domschule und die Klosterschule Abdinghof 19 ), gleich- zeitige und gleichberechtigte Schopfungen des unvergess- lichen Meinwerk, glanzten nicht mehr wie sonst als Sterne erster Grosse am padagogischen Hi mm el Deutsehlands. Die Domschule war bereits bei der Auflosung des Dom- capitels im Jahre 1228 eingegangen, und auch die Monche des Klosters Abdinghof, in welchem man einst mit so grossem Eifer und Erfolg historische Studien getrieben hatte, hegten fur wissenschaftliche Interessert keinen Sinn mehr; uneingedenk der Mahnung ihres trefflichen Griin- ders, die da lautete: „Wachet, dass der Reichthum, den das religiose Leben verschafft, nicht selbst das religiose Leben untergrabe und so beiden den Untergang bringe" 20 ), machten sie einen ubertriebenen Aufwand und lebten so- gar zeitweise untereinander im offen ausgesprochenen Zwiespalt 21 ). Nicht mehr vom Geiste achter Wissenschaftlichkeitbe- seelt waren im vierzehnten Jahrhundert die Erziehungsan- stalten in den iibrigen Theilen des romischen Reichs : die 19) Scheffer-Boichorst p. 68 sqq. p. 77 sqq. 20) Chronic. Abdinghof. bei Bessen I. p. 120. 21) Bessen I. 269 sqq. 2* — 20 — banausische Gesinnung der Zeithatte eben in den Kreisen, welchen die Ueberlieferung der Wissenschaft an die heran- wachsende Jugend oblag, zu tiefe Wurzeln geschlagen: und der junge Gobelin konnte daher von Gliick sagen, dass sich aus Italien stammende Lehrer seiner annabmen , welch e den strebsaraen Jiingling mit den Schatzen des klassi- schen Alterthums, soweit sie damals zu Tage gefordert und dem Verstandniss erschlossen waren, bekannt mach- ten 22 ). In Italien feierte im vierzehnten Jahrhundert der Geist des klassischen Alterthums, welch ei" sieben Jahr- hunderte bindurch schmachvoll darniedergehalten worden war, sein Auferstehungsfest: der Humanismus im Verein mit der pracbtvoll erbliihten Nationalliteratur der Ita- liener begann seine segensreichen Wirkungen von da auch dem iibrigen Europa mitzutheilen. Eine Heine fiir die Herrlichkeit der Antike begeisterter Manner, alien voran Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio such- ten fiir ihre Bestrebungen Propaganda zu machen und sandten ihre Apostel in die benachbarten Lander: was Wunder, dass jedes idealer gestimmte Gemiith seinen Blick nach dem Siiden lenkte, wo eine neue Aera der Kunst und Wissenschaft die Barbarei vergangener Jahr- hunderte iiberwand ! Auch Gobelin widmete sicb , Dank seinen italieni- schen Lehrern, mit Eifer dem Studium der altklassischen Literatur und machte in demselben fiir seine Zeit erheb- liche Fortschritte. Wohl wurde er noch nach dem das 22) Meibom. Vit. Gob. Pers. (Rer. Germ. torn. I, p. 55): „Fuit ea non pbstrema felicitas Gobelini, quod Italos nactus est prae- ceptores, quibus se informandum tradidit." — Rosenkranz a. a. 0. p. 3 sqq. nimmt an, dass Gobelin auf einer italienischen Univer- sit tit, etwa Bologna oder Padua, studirt habe; es ist dies wohl moglich, aber nicht nachweisliar. Jedenfalls hatt': er auf diesen Universitaten, dem Charakter derselben als Fachscbulen gemass, hauptsachlicli nur die Rechte treiben konnen. ganze Mittelalter hindurch gebrauchlichen System des Marcianus Capella unterrichtet, hatte er die Stadien des Triviums und Quadriviums zu durchlaufen; dock legte er sicher schon in dieser Periode den Grund zu der grossen Belesenheit, welclie sich auf jeder Seite seines spateren Geschichtswerkes dokumentirt. Gobelin be- herrschte so ziemlich den ganzen Kreis der alten Schrift- steller, welclie zu seiner Zeit naher bekannt waren, und verfehlte audi nicht bei der Abfassung seines Cosmodro- miums in haufigen Citaten von seinen erworbenen Kennt- nissen Gebrauch zu machen. Von Dichtern waren ihm gelaufig Vergil, Ovid und Lucan, welch letzteren er aller- dings ganz nach der Auffassung des Mittelalters weniger fiir einen Poeten als fii'r einen Historiker gelten lassen wollte 23 ) : von den Geschichtsschreibern des Alterthums hatte er sich namentlich mit Livius, Sallust und Trogus Porapejus, sowie mit dem jiidisch- griechischen Josephus vertraut gemacht und sich ausserdem die freilich hochst oberflachliche Kenntniss der Schriften eines Apulejus, Aristoteles, Cato, Cicero, Varro, des alteren Plinius, Plato, Philo Judaeus, Plotin und Porphyrins angeeignet. Man sieht: die letztgenannten Autoren gehoren der grossen Mehrzahl nach. der Philosophie an; und in der That war auch, wie das die Lecture seiner reiferen Jahre noch mehr beweist, die Philosophie immer ein Lieblings- studium Gobelins. Er war ferner der Elemente der griechischen Sprache machtig 24 ), ein nicht zu unter- 23) Gob. Pers. Cosmodr. Aet. VI. c. 3. u. 6ft. 24) Hierauf, sowie auf Gobelins Kenntniss des Italienischen, hat merkwurdigerweise noch keiner seiner Biographen aufmerksam gemacht. Von seinen Zeitgenossen verstanden wohl nur Wenige etwas Griechisch ; seinem sonst so gelehrten Landsmanne Theoderich von Nieheim ging, obwohl dieser ausserordentlich lange in Italien lebte, die Kenntniss des Griechischen ganzlich ab. Vor Gobelin war die Kenntniss der griechischen Sprache noch beschrankter; — 22 - schatzendes Moment, wenn man in Erwagung zieht, dass die letztere zu jener Zeit in Deutschland und den Nach- barlandern noch fast ganzlich eine terra incognita war Otto von Freising war sicher im Besitze derselben, was R. Wil- mans (Monn. Germ, in der Praef. zu seiner Recension) dahin- gestellt sein lasst, was aber aus Stellen wie Gest. Frid. II. 23. „Palologum, quod nos veterem sermonem dicere possumus" zur Geniige hervorgeht. Die Beweisstellen fiir Gobelins Kenntniss der gewohnlichsten Graeoitat, an welchen er theils Worte fiber- setzt, theils Namen etyniologisirt, theils griechische Biiehertitel anfiihrt, sind folgende. Aet. I. cap, 1. . . . loxygov id est fortem interpretati sunt ... I. 3 ab udgrj vel adgoq quod est petra • . . I. 4 .... (n