P U Z09 9^8 9T0 ssaaoNOD do Aawaan / Adoo S3S a 5Zb 18 >py 1 DEUTSCHLAND, AMERIKA UND DER • KRIEG D VON EUGEN • KUEHNEMANN D Price 10 Cents VERLAG • VON • A • KROCH • & • CO. 59 • E • MONROE • ST • CHICAGO • ILL. y Die Handschrift dieser kleinen Arbeit wurde vor vier Monaten abgeschlossen. Der Druck ist durch Zufalle verzogert worden. Fiir das Werk der eigentlichen Aufklarung kommt die Schrift jetzt zu spat, aber vielleicht mag sie manchem meiner Horer in Amerika urn eines geschichtlichen Riick- blickes willen erwiinscht sein nnd ihn Stunden der gemeinsamen Arbeit noch einmal durchleben lassen. Milwaukee, den 11. Juni 1915. EUGEN KUEHNEMANN. Transferred from Ubrariao'3 Office. SIP 3 i9}t n Deutschland. Amerika und der Krieg VON EUGEN KUEHNEMANN Der Krieg-, der jetzt in Europa tobt, ist der grosste Krieg in aller Menschengeschichte. Aber nicht der ungeheure Aufwand an Men- schen und Mitteln gibt ihm den entscheidenden Charakter. Dieser liegt vielmehr in der erschreckenden und iiberraschenden Entwick- lung, die aus dem gewaltigen Ringen den grossten Kampf der Ideen gemacht hat, der je auf Erden erlebt worden. Wichtiger selbst als die physische scheint die moralische Vernichtung des Feindes. Die erbittertsten Angriffe gegen seinen Charakter und seine Art schwirrten hiniiber und heriiber. Es scheint die ernsteste aller Angelegenheiten, im Nanien der hoheren Moral vor dem Gericht der ganzen Welt Recht zu behalten. Nie hat es eine ahnliche Huldigung fiir die moralischen Machte, auf denen Menschenleben ruhen muss, gegeben wie die, die in gutem Glauben und in Heuchelei von Kriegfiihrenden und Neu- tralen taglich dargebracht wird. Nie hat das allgemeine Bewusst- sein der Kulturmenschheit in dieser Hinsicht so sehr als eine Einheit sich betatigt wie in diesen Tagen der Feindschaft und der Zersplit- terung. Die westliche Kulturmenschheit als ein Ganzes ringt um ein neues, hoheres, sichereres Bewusstsein ihrer sittlichen Grundlagen, Dies ist die hochste weltgeschichtliche Bedeutung des Volkerringens. In diesem Sinne aber gibt es keine Neutralen. Amerika als die grosste unter den neutralen Westmachten ist das eigentliche Schlachtfeld in diesem Krieg der Ideen. Auch in diesem Kampfe ist England die letzte, alles bewegende Kraft. Der ungeheure Erfolg des Englander- tums in der Welt beruht darauf, dass es der ganzen Welt erschien als der Bringer der Freiheit und Zivilisation, indem es zugleich zu arbei- ten wusste fiir den eigenen Reichtum und die eigene Macht. Stets wirkte es allein im Sinne der eigenen Interessen, und stets schien es zu wirken allein fiir die hohere Moral. Nie ging sein moralischer Enthusiasmus gegen die Interessen seiner Selbstsucht. Dies war der unschatzbare insulare Vorzug, der dem britischen Streben nach dem Weltreich in die Wiege gelegt wurde. Der Schicksalstag fiir Eng- land kommt in dem Augenblick, in dem Interesse und Moral nicht mehr zusammengehen wollen, in dem die krasse Selbstsucht als sein wahres Lebensmotiv deutlich wird und die Moral als Maske ab- schreckender Heuchelei sich offenbart. Der englische Niedergang ist dann nicht mehr zu verhiillen. Ein neues Volk hat den Boden der* Geschichte zu betreten als Trager eines reineren und hoheren sitt- lichen Lebensgedankens. Englands Macht ruhte auf dem Gliick seiner Lage. Sie war in diesem Sinne ein unverdientes Geschenk. Wenn der Tag kommt, an dem der Menschengeist durch Erfindungen die Unangreifbarkeit der Insel beiseite schiebt, dann offnet sich fiir englische Kampfe eine neue Szene. Dann steht zum ersten Male die wirkliche Kraft gegen die wirkliche Kraft ; der Sieg fallt dem hoheren Konnen, der besseren Schulung, der reineren sittlichen Hingabe zu. Auf einen solchen Kampf der wirklichen Kraft mit der wirklichen Kraft ist England nicht vorbereitet. Die Deutschen treten heute wie in den Anfangen ihrer Geschichte in den Krieg mit der Ueberzeugung, dass Kriege entschieden werden mit Manneswaffen auf dem Schlachtfelde. Die Englander, schlauer als die Deutschen, haben hier eine wirkliche Ent- deckung gemacht, — dass es namlich ganz so wirksam ist, den Krieg zu fiihren in den Seelen der Menschen und in der offentlichen Meinung der Welt. Sie nehmen alle Menschen gegen Deutschland ein. vSie vereinigen in einer einzigen Feindschaft gegen alles Deutsche alle Nationen der Erde, vor allem auch die neutralen, um ihr Weltreich zu behaupten. Dies zu tun haben sie so gute Griinde wie ihre Hauptverbiindeten, die Russen. Die Russen miissen so lange wie moglich ihr eigenes Volk in dem Glauben an russische Siege erhalten, aber ebensosehr den Balkan und die Tiirkei, Persien und das iibrige Asien. Denn so- bald diese alle die Wahrheit bemerken und Russland als den Koloss auf tonernen Fiissen erkennen, so ist Revolution in Russland ; das Prestige Russlands auf dem Balkan schwindet ; die Tiirkei verliert ihre Furcht; Persien treibt den liistigen Nachbarn aus seinen Gren- zen. Es ist genau das gleiche mit England. England muss Indien, Aegypten, Siidafrika in dem Glauben an den Sieg der englischen Sache halten, aber in anderer Weise ebensosehr die anderen Kolonien. Selbst kanadische Verbrecher wiirden nicht zum englischen Heere stromen, wenn sie den Krieg als eine hofifnungslose Sache begrififen. Um Kanadas willen muss Amerika in einer irrigen Vorstellung iiber Art und Gang des Krieges erhalten werden. Dies ist der Grund fiir das Schauspiel, das zu den allerbeliebtesten Nebenspielen dieses Krieges gehort, — dass namlich England so plotzlich in seiner Seele seine tiefe Liebe fiir Amerika entdeckt, die bis dahin in der ganzen Welt unbekannt war. Aber man sagt ja wohl, dass alle tiefe Liebe so im Verborgenen bliihe oder bliihen solle. Russland und England sind Weltreiche. Sie ruhen nicht nur auf wirklicher Macht, so gross auch diese Macht sein moge, sondern ebenso sehr auf den vorgefassten Meinungen der Volker. Lasst diese Meinung zusammenbrechen, und die Weltreiche fallen mit. Deutschland ist kein Weltreich und wird nie eins sein und will nie eins sein. Aber das Deutsche Reich ist eine festgegrimdete Tatsachlichkeit und ruht auf der Treue seines Volkes. Darum sind die Deutschen nicht stolz, aber froh, dass sie es nicht notig haben, die Welt in Bezug auf ihre Lage irre zu fiihren. Keine Nachricht des deutschen Hauptquartiers ist als falsch befunden worden. Kein deutscher Feldzug in der Presse missdeutet die Tatsa- chen und die Gegner. Die Kriegsnachrichten des deutschen Haupt- quartiers sind in diesem Augenblick die einzigen zuverlassigen Kriegsberichte. Bei England und Russland kommt als ein Wesentli- ches noch der finanzielle Gesichtspunkt hinzu. Man denke an die Mil- Harden franzosischen Geldes, die in Russlands Kriegsriistung stecken. Man denke an London als den immer wieder angeborgten Bankier der Alliierten. Der russische Kredit muss mit alien Mitteln aufrecht erhal- ten werden bis zur letzten Minute des fiirchterlichenZusammenbruchs. Ist doch fiir wesentliche Machte, die hinter den Fabriken der ofTent- lichen Meinung stehen, fiir die Welt der Kapitalisten, dies Ringen des Heroismus und der Blutopfer im Grunde nur ein gigantisches Geld- geschaft. Daher dies erbitterte Miihen um die Meinung der Welt. Doch ist dies nicht einmal das Wichtigste. Wichtiger noch ist, die Welt so zu stimmen, dass sie den Sieg Deutschlands unter keinen Umstanden will. Staunenswert ist die entschlossene Energie, mit der die riicksichtslose Selbstsucht Englands dies Ziel verfolgt. Sie wollen die Welt iiberreden, dass ein Sieg Deutschlands das fiirchter- lichste Ungliick ware fiir alle Volker. Sie wollen die moralische Per- sonlichkeit Deutschlands vernichten, — sie wollen Deutschland als moralische Personlichkeit unter den Volkern nicht nur anschwarzen, sondern ausloschen. Darum verdachtigen sie, die die Abneigung die- ser verbiirgerlichten Menschheit gegen den Krieg als solchen kennen, das Deutsche Reich, dass es fiir den Krieg die Verantwortung und an ihm die Schuld trage. Darum stellen sie den deutschen Staat dar als eine rohe Gewaltmaschine ohne Rechtssinn, ohne Riicksicht fiir gottliche und menschliche Gebote, den Verhohner alles Volker- rechtes. Dies war die Absicht, welche sie die belgische Frage mit so unermiidlichem Eifer ausnutzen liess. Sie haben den Mut, die Deutschen der Welt darzustellen als eine entmenschte Horde von Hunnen und Barbaren und entwickeln zu diesem Zweck eine neue Industrie, die Fabrizierung deutscher Grausamkeiten und Scheuss- lichkeiten. Sie finden endlich sogar eine Formel, die im Kampfe der Ideen die britische Seite als die Sache der Menschheit und ihrer teuer- sten Interessen erscheinen lasst. Sie miissen als die Wohltater der Welt den deutschen Militarismus vernichten, damit vom Wege des Fortschrittes, der Zivilisation, der Freiheit und der Demokratie das hauptsachliche Hindernis verschwinde. Dies alles sind Bewegungen in einem grossartig angelegten Feldzug der offentlichen Meinung. Die englischen Berichte sind nicht Berichterstattung, sie sind Krieg- fiihrung. Freilich — Carlyle muss auch diesmal Recht behalten — die Seele der Welt ist gerecht, Tatsachen lassen sich nicht beiseite reden. Zuletzt muss doch die wirkliche Kraft und Ueberlegenheit siegen. Schon beginnt iiberall die Wahrheit ihren Durchbruch durch das Liigengewebe. Doch zur Erinnerung an den denkwiirdigsten Feldzug, der je in der offentlichen Meinung der Welt gefiihrt worden, sollen hier noch einmal die Tatsachen den Entstellungen entgegen- gesetzt werden. Der wahre Sinn dieses Krieges wird dadurch deut- lich werden. Betrachten wir zunachst die einfachen und oflfenbaren Tatsachen iiber den Anfang des Krieges. Hatte Deutschland den Frieden gewollt, sagen die Gegner, so hatte es das brutale Ultimatum Oester- reichs an Serbien verhindern konnen und miissen. Eine seltsame Ansicht, die sich Deutschlands Verhaltnis zu Oesterreich als eine Vor- mundschaft vorstellt. Das Ultimatum ware vielleicht brutal, wenn es sich um nichts gehandelt hatte als um Genugtuung fiir die Er- mordung des Erzherzogs. Wie das sentimentale Wort in Amerika lautet, das Blut des Einen ware durch den Tod der Unzahligen teuer erkauft. Aber fiir Oesterreich war dies eine Lebensfrage der Existenz und Ehre. Der zweite Balkanbund war ausdriicklich gegen Oester- reich gerichtet. Er hatte zum Ziel die Griindung eines grossen Slawen- reichs auf dem Balkan, das unter dem Schutze Russlands die Herr- schaftRusslands im europaischenSiidosten und in Konstantinopel vor- zubereiten bestimmt war. Fiihrer in dem Balkanreich sollte Serbien sein, das zu dem Zweck aus dem kleinen SerlSifen'das grossere Serbien werden musste. Seit Jahren war die organisierte Verschworung im Gange, die die siidostlichen Provinzen Oesterreichs, Bosnien und Herzegowina, revolutionieren und zu Serbien hiniiberziehen sollte. Der Erzherzog wurde ermordet, weil er fiir den Trager einer Politik gait, die die Slawen in Oesterreich befreit und befriedigt und dadurch den serbischen Planen abgewandt hatte. Man sagte in Europa: Oesterreich ist keine Grossmacht mehr — es ertriige sonst nicht diese Zustande vor seiner Tiir. Nicht nur das schmahliche Verbrechen war zu siihnen. Die Herrschaft Oesterreichs im eigenen Hause, seine Geltung als Grossmacht, seine Stellung in Europa war zu behaupten. Was ist der unaufgeklarte Zwischenfall mit der Maine, Amerikas Kriegsanlass gegen Spanien, verglichen mit dem Morde des Thron- folgers ! Ertriige Amerika von Mexico, was Oesterreich von Serbien zu lange ertragen hat? Jetzt war die ausserste Stunde der Ent- schiedenheit, die keinen Zweifel lasst : gib nach oder du hast den Krieg. Und Oesterreich war im Recht. Man sagt, Serbien habe fast in alien Punkten nachgegeben und Oesterreich dennoch um des einen letzten Punktes willen den Krieg begonnen. Die Behauptung ist falsch. Serbien machte fast bei jedem Punkt die kleinen Ausfliichte, die den ganzen Ertrag in Frage stell- ten. Der eine Punkt aber, der glatt abgelehnt wurde, war genau der, der iiber Aufrichtigkeit und Unaufrichtigkeit Serbiens entschied. Oesterreich verlangte nicht etwa Teilnahme an der serbischen Ge- richtsverhandlung, sondern nur an der Untersuchung des Falles. Oesterreich weiss, was von unbeobachteten Untersuchungen in Ser- bien zu halten ist, wo die Morder des letzten Konigs noch jetzt die ersten Stellen beim Militar und in den Behorden inne haben. Es ist die gleiche Forderung, die die Vereinigten Staaten gegen Mexico im Bentonfall erhoben haben, nur dass dieser Fall fiir die Vereinigten Staaten gewiss nicht Existenz und Ehre in Frage stellte. Hatte Oesterreich diese Ablehnung hingenommen, so hatte es sich von Serbien zum Narren halten lassen. Wir wissen jetzt, dass die Ab- lehnung erst erfolgte, nachdem Serbien die Zusicherung russischer Hiilfe fiir den Notfall erhalten hatte. Aber warum musste Deutschland Oesterreich in dieser rein osterreichischen Frage unterstiitzen? Weil diese Lebensfrage Oester- reichs auch fur Deutschland eine Lebensfrage war. Wurde Oester- reich zerstiickt und geschwacht, von seiner Stellung als Grossmacht herabgezogen, so ware Deutschland inmitten Europas ganz allein. Dieser Krieg zeigt, was das bedeuten wiirde. Es ware das Ende Deutschlands. Deutschland braucht ein starkes Oesterreich, so wie Oesterreich ein starkes Deutschland braucht. Dies gibt dem Bunde der beiden Mittelmachte seine natiirliche Starke. Hinter Serbien also stand der vordrangende russische Koloss, der mit riicksichtsloser Verbissenheit den Weg nach Konstantinopel suchte; der Weg ging iiber die Zerstorung Wiens, und der Weg zur Zerstorung Wiens ging allein iiber Berlin. Serbien wurde als der kleine Trabant benutzt und verbraucht. Oesterreich und Deutschland waren in den tiefsten Interessen ihrer Selbsterhaltung herausgefordert. Hatten sie aber nicht wissen mussen, dass Russland in einer solchen Lage Serbien zu schiitzen hatte, und dass dies den Weltkrieg heraufbeschworen wiirde? Russland hatte Serbien nur schiitzen mussen, wenn es als Staat bedroht worden ware. Oesterreich aber sicherte vor seiner Strafexpedition die Integritat, Unabhangigkeit und Souveriinital Serbiens zu. Wenn Russland dennoch einsprach, trat es Oesterreich in der Wahrnehmung eines wesentlichen Lebens- interesses in den Weg und mutete ihm unertragliche Anmassungen des unruhigen kleinen Nachbars zu. Aber — es musste doch ein- greifen im Namen der panslawischen Idee. Die Idee des Pan- slawismus erklart Russland fiir den geborenen Beschiitzer und Leiter aller Slawen und insonders auch aller kleinen slawischen Staaten. Man denke sich den Fall, dass bei einem Konflikt zwischen Frank- reich und Holland Deutschland gegen Frankreich eingriffe im Namen der pangermanischen Idee. Die ganze Welt wiirde schreien iiber deutsche Anmassung. Die Anmassung der panslawischen Idee ist viel grosser. Sie verlangt die Zerstorung Oesterreichs. Denn Oesterreich ist ganz und gar kein germanischer oder teutoni- scher Staat. Deshalb ist auch dies nicht der Krieg zwischen dem Germanen und dem Slawen. Oesterreich ist, bequem gesprochen, zu einem Drittel deutsch, zu einem Drittel ungarisch, und zu einem Drittel slawisch. Von Oesterreich verlangen, dass es auf Russlands panslawischen Gedanken Riicksicht nehme, heisst von ihm verlangen, dass es selber abdanke und in seine Vernichtung willige. So standen hier die unversohnlichen Bestrebungen der Grossmachte gegenein- ander. Oesterreich behauptete in seinem Widerstand nichts Gerin- geres als sein Leben. Es ist aber ein anderer Punkt, auf den eigentlich die Behauptung gegriindet wird, dass Deutschland, offenbar kriegsliistern, jedes ehr- liche Bestreben um Frieden vereitelt habe. Sir Edward Grey schlug vor, den Streitfall zwischen Oesterreich und Serbien einer Konferenz der vier Grossmachte zur Entscheidung zu unterbreiten. Deutsch- land lehnte diesen Vorschlag ab, sagt man, und tat seinerseits nichts, um den Frieden zu retten. Hier tritt die Arbeit der englischen Diplo- matic hervcr. Das englische Weissbuch, wird behauptet, beweise das heisse Bemiihen des Briten um Frieden. Wirklich scheint es naive Ge- miiter zu geben, welche Weissbiicher als geschichtliche Quellen fiir den Wahrheit suchenden Forscher ansehen. Weissbiicher sind politi- sche Kampfmittel, zusammengestellt, um einen ganz bestimmten und beabsichtigten Eindruck beim Leser zu erwecken. Das englische Weissbuch will mit alien Mitteln den Eindruck hervorrufen, dass Deutschland an diesem Kriege schuld ist, und ist im Lichte dieser Absicht gewiss eine geschickte diplomatische Arbeit. Als Geschichts- quelle aber ist es vollig entwertet, seitdem man nicht nur von aller- wichtigsten Schriftstiicken weiss, dass sie ausgelassen wurden, son- dern auch bewiesen hat, dass Daten nachtraglich geandert sind. Nehmen wir einmal an, Sir Edward Grey habe nicht den Frieden gewollt, sondern den Krieg. Wie hatte er in diesem Falle handeln miissen? Genau so, wie er in Wirklichkeit gehandelt hat. Denn dann kam es zunachst darauf an, Zeit zu gewinnen fiir die Vollendung der Riistungen in Russland, England und Frankreich. Ferner aber musste man irgend einen unmoglichen Vorschlag ersinnen, der friedens- freundlich klang und darum bei der Menge popular war — einen Vor- schlag, der von Deutschland abgelehnt werden musste, dann aber bei derselben Menge das Odium fiir den Krieg auf Deutschland brachte. Greys Vorschlag leistete Beides. Musste Oesterreich schlagen, so musste es wie der Blitz geschehen, um womoglich Russland keine Zeit zum Eingreifen zu lassen. Schon darum war die Unterbrechung durch die Konferenz unmoglich. Aber, wichtiger als das, eine Gross- macht, die in einer wesentlichen Lebensfrage den Krieg beschlossen, kann die Entscheidung nicht mehr in die Hande anderer Machte legen. Die Anregung Greys bedeutete, dass Oesterreich seine Sou- veranitat aufgeben und sie in die Hande Europas legen soUte. Was wiirde Amerika sagen, wenn bei einem Konflikt mit Japan iiber die Monroedoktrin England ihm zumutete, die Sache der Entscheidung von vier fremden Grossmachten zu iiberlassen? In der Konferenz der vier Machte waren zudem England und Frankreich Verbiindete von Russland gewesen und Italien ein unzuverlassiger Bundesgenosse von Deutschland, der im Zweifelsfalle immer die Wohlmeinung von England und Frankreich gesucht hatte. Die Entscheidung im Sinne Russlands war also sicher. Greys Vorschlag war eine Falle, und Deutschland und Oesterreich gingen nicht hinein. Wenn aber Bethmann-Hollweg ehrlich und deutlich erklarte: wir konnen unsere Verbiindeten nicht in einer Lebensfrage vor das Tribunal Europas fordern, so offenbart sich der ganze Unterschied der deutschen und englischen diplomatischen Sprache. D'er Deutsche halt noch immer an der altmodischen Ansicht fest: die Sprache sei dazu da, zu sagen, was ist, und der Mann solle begreifen, was recht ist und danach handeln und sprechen. Der Englander hat langst begrififen, dass die Sprache dazu da ist, zu sagen, was die Menschen horen wollen oder sollen, und sie dadurch fiir unsere Zwecke zu fan- gen. Nach ihm ist es nicht so wichtig, im Recht zu sein, als vielmehr in der ofifentlichen Meinung nach all ihren Vorurteilen und ihrer Un- kenntnis den Eindruck zu erwecken, dass man es sei. So unmoglich wie dieser Vorschlag war, so wirksam war die deutsche Miihe um Frieden. Es ist die argste Entstellung der Tat- sachen, wenn behauptet wird, dass es an einer solchen Miihe gefehlt habe. Die wirkliche Kriegsgefahr lag in dem Abbruch direkter Ver- handlungen zwischen Wien und Petersburg. Der Kaiser durch seinen ganz personlichen Einfluss setzte es durch, dass diese Verhandlungen wieder aufgenommen wurden. Er bestimmte Oesterreich, Russland nachzugeben, so weit es nur mit seiner Ehre vereinbar war. Die Verhandlungen schritten befriedigend fort, Friedenshoffnung blickte hervor. Oesterreich sagte sogar eine neue Erwagung seiner Note an Serbien zu. In diesem Augenblick mobilisierte Russland seine ganze Armee und Flotte. Das war der kritische psychologische Moment, der den Weltkrieg zu einer unmittelbaren und fast unvermeidlichen Gefahr machte. So- bald Russland mobilisiert, muss Deutschland mobilisieren. Die Starke der russischen Mobilisation liegt in den Zahlen, die Starke 8 der deutschen liegt in der Schnelligkeit. Die Ueberlegenheit unserer Organisation und Geschwindigkeit ist unser einziger Vorsprung vor Russland und seinen Massen. Wir miissen uns ihnen entgegenwerfen, ehe sie versammelt sind. Ein englisches Blatt hat das damals an- erkannt und erklart, es verstehe die Haltung Russlands nicht, das wissen miisse, wie seine Mobilisation die Deutschen geradezu zur Mobilisation zwinge. Am 30. Juli telegraphiert der Zar an den Kaiser: Die russische Mobilisation habe seit fiinf Tagen begonnen. Am 26. Juli — 4 Tage vor diesem Telegramm — erklart der russische Kriegs- minister dem deutschen Militarattache auf sein Ehrenwort als Offi)- zier: es sei keine Mobilisation in Russland. Offenbar sollte das Er- eignis vor Deutschland geheim bleiben. Deutschland tat das letzte, was ihm iibrig blieb. Es sandte sein Ultimatum an Russland . Dies Ultimatum war nicht eine Kriegsdrohung, sondern der letzte Ver- such fiir Frieden. Wenn Russland seine Mobilisierung einstelle, werde Deutschland nicht mobilisieren. Die russische Erwiderung blieb aus bis heute. Der Kaiser wartete mehrere Stunden iiber die abgelaufene Zeit des Ultimatums hinaus. So zwang Russland den Kaiser zur Mobilisation. Hatte er noch langer gezaudert, so war er ein Verbrecher an der deutschen Nation. Aber seine Friedensliebe tat das Aeusserste. Deutschland verlor fiinf unschatzbare Tage an seinem wichtigsten Vorteil, der Schnelligkeit der Mobilisierung, im Interesse des Friedens. Umsonst versucht Russland, da die alten Erzahlungen nicht mehr wirken wollen, es jetzt mit neuen. Schon dass es zu neuen greifen muss, zeigt die Verzweiflung. Sie sagen, gerade sei Russland auf dem Wege der Verstandigung mit Oesterreich gewesen, da habe Deutschland sein Ultimatum geschickt. Sie verschweigen, dass die Verstandigung das Werk des deutschen Kaisers war, und dass das Ultimatum hervorgerufen wurde durch Russlands allgemeine Mobi- lisierung, die damit also zugegeben wird, und die die direkte Kriegs- drohung enthielt. Sie ziehen ein Telegramm des Zaren an, das als zu inhaltlos im deutschen Weissbuch nicht aufgenommen wurde. Das Telegramm schlagt vor, Oesterreichs Streitfall mit Serbien vor das Haager Tribunal zu bringen. Der Vorschlag war toricht und un- moglich, — an dem Tage des Telegramms mobilisierte Russland 15 Armeekorps gegen Oesterreich und illustrierte damit die Aufrichtig- keit seines Vorschlages. Keine russische Erfindung wird die klare Sachlage wieder verdunkeln. Sogar jetzt noch strengte Deutschland alle seine Krafte an, um den Krieg nun wenigstens so sehr einzuschranken wie moglich. Eine Moglichkeit schien sich zu bieten, dass Frankreich dem Kriege fern bliebe. Deutschland erklarte, wenn England mit seinem ganzen Heer und seiner Flotte die Neutralitat Frankreichs garantieren will, so werden wir Frankreich unberiihrt lassen und nichts Feindliches gegen den westlichen Nachbar unternehmen. England antwortet : Hier muss ein Missverstandnis sein. Deutschland rang bis aufs aus- serste um die Neutralitat Englands. Deutschland ging so weit, zu sa- gen : wollt ihr neutral bleiben, wenn wir versprechen, die Neutralitat Belgiens nicht zu verletzen, die Nordkiiste von Frankreich nicht anzu- greifen und im Friedensschluss Frankreich mit seinen Kolonien in sei- 9 ner unberiihrtenlntegritat zu lassen? DieWeltgeschichte kennt keinen Fall ahnlicher Massigung, in der eine Grossmacht beim Beginn eines Weltkrieges einem der Hauptgegner fiir den Fall des Sieges voUige Integritat vor dem ersten Schwertstreich zugesichert hatte. England antwortete : von Neutralitat kann keine Rede mehr sein, wir mijssen die Hande frei haben. Aber Grey hat nicht gewagt, in seiner Rede iiber die Vorgeschichte des Krieges dem englischen Parlament von diesem entscheidenden Vorschlag Deutschlands etvv^as mitzuteilen. Ein w^ohlbekanntes Mitglied des englischen Parlaments, der grosse Arbeiterfiihrer Ramsay MacDonald, hat dies vor der Oeffentlichkeit festgestellt : Grey verschwieg den wichtigsten Vorschlag Deutschlands, der den Frieden durchaus moglich machte. Warum? Auch dies hat MacDonald gesagt. Er war gebunden durch Abmachungen mit Frank- reich, die er, geheim sowohl vor der Nation wie vor dem Parlament, ijbernommen hatte, und er konnte nicht mehr in Ehren zuriick. Der Krieg, der durch geheime Abmachungen des Kabinets notwendig wurde, ist also von Englands Seite ein reiner Kabinetskrieg. Ausser- dem hielt Grey den Sieg Deutschland-Oesterreichs iiber Russland und Frankreich fiir gewiss und fitrchtete im Interesse Englands den ge- waltigen Machtzuwachs Deutschlands. So gross nun auch die deutsche Genugtuung dariiber sein darf, dass nur mit Englands Hiilfe ein Sieg Russlands und Frankreichs iiberhaupt denkbar schien, so wird doch Englands Rolle in der Vorgeschichte des Krieges hierdurch erst in das rechte Licht gestellt. Der Befund w^ird erwiesen durch ein ge- schichtliches Dokument ersten Ranges, dessen Echtheit unbezweifelt ist. Deutschland hat den Bericht aufgefangen, den der belgische Ge- schaftstrager in Petersburg an seinen Minister des Auswartigen in Briissel gerichtet hat. Er ist, vom 30. Juli 1914, zwei Tage vor Beginn des Krieges geschrieben und enthalt zwei wesentliche Feststellun- gen : einmal, dass in Petersburg die allgemeine Meinung sei, Deutsch- land und Oesterreich batten wirklich alles getan, um den Frieden zu erhalten. Ebenso wichtig ist das zweite: in Petersburg habe seit heute die Kriegspartei gewaltiges Uebergewicht erhalten, seitdem man nicht nur die Ueberzeugung, sondern auch die Zusicherung habe, dass England im Falle eines Krieges Frankreich helfen werde. Dies war einen Tag vor dem deutschen Ultimatum. Also : Englands Ver- sprechen der Hiilfe brachte die Kriegspartei in Russland zum Siege. Die erste Verantwortung fiir den Krieg liegt bei Russland, das durch seine unnotige und iiberstiirzte Mobilisation Deutschland zum Mobi- lisieren zwang. Die letzte und wahre Verantwortung aber liegt bei England, ohne dessen Hiilfe weder Frankreich noch Russland den Krieg wagen konnten. Russland wollte den Krieg von Anfang, — England widerstrebte ihm nicht wahrhaft. Deutschland dagegen blieb seiner Friedenspolitik von 44 Jahren treu. Es versuchte die Lokalisierung des Krieges zwischen Oester- reich und Serbien oder doch wenigstens gegen Russland allein. Es suchte Frankreich, es suchte England fernzuhalten aus dem Kriege. Schon jetzt ist es ein sicheres Urteil der Geschichte, dass in jener ver- hangnisvollen; Woche unter alien ein Mann am unermtidlichsten, redlichsten und selbst mit Aussicht auf Erfolg fiir den Frieden ge- arbeitet hat, — der Deutsche Kaiser. 10 Damit ist die erste Aufstellung Englands in seinem Krieg der offentlichen Meinung gefallen. Deutschland tragt am Ausbruch dieses Krieges keine Schuld. Schwerer ist die zweite Stellung zu nehmen. Jede Erorterung der belgischen Frage hat nur Sinn fiir den, der wenigstens fiir eine halbe Stunde den Kopf von den Nageln der Voreingenommenheiten frei zu machen vermag, die man in ihn in unablassig wiederholten Schlagen hineingehammert hat. Wer die Karte Europas betrachtet, erkennt, dass Deutschland im Nordwesten keine Grenze hat. Die Grenze ist ein rein willkiir- licher Strich, den die politischen Pfuscher beim Wiener Kongress im Jahre 1815 gezogen haben. Eine feindliche Armee, die hier durch Belgien gegen Deutschland vorbrache, fande keine befestigte Stelle, keinen natiirlichen Widerstand. Sie konnte ungehindert vorstossen nach Rheinland und Westfalen, die deutsche Industrie und vor allem die Waffenindustrie in Essen vernichten und damit den Krieg zu Lande fiir Deutschland unmoglich machen. Ebenso leicht ware es fiir sie, den deutschen Krieg zur See lahm zu legen, indem sie bei ebenso ungehindertem Vordringen nach Kiel und Wilhelmshafen die Flotten- grundlage Deutschlands zerstorte. Hier ist Deutschlands verwund- barste Stelle. Besteht hier auch nur die leiseste Moglichkeit eines feindlichen Angriffes, so muss ihr begegnet werden durch schnell- ste Tat. Nun tritt Deutschland in den Krieg zugleich gegen Frankreich und Russland. Die franzosische Armee ist an Zahl der deutschen gleich, die russische mag doppelt so gross wie die deutsche sein. Der Kampf, der hier beginnt, ist fiir Deutschland ein Kampf auf Tod und Leben. Die Existenz Deutschlands selber kommt in Frage. Dies ist der Punkt, der Amerikanern nicht leicht deutlich wird, und auf den doch alles ankommt. Amerika hat in der Welt eine so gliickliche Lage, dass vielleicht noch fiir Jahrhunderte ein Krieg um Tod und Leben undenkbar erscheint. Amerikaner konnen sich daher nicht leicht in unsere europaische Bedrangnis versetzen. Aber Deutsch- land war in dieser Not. Alle Pflichten traten daher zuriick vor der hochsten und letzten : der Rettung des Vaterlandes. Dies war nicht ein Fall, in dem brutale Macht sich iiber das Recht hinweg- setzt, sondern es war ein Konfiikt der Pflichten. Die hochste Pflicht aber ist die Erhaltung der Nation. Ein Niederwerfen Frankreichs durch Invasion von der franzosi- schen Ostgrenze her erschien unmoglich. Ein franzosischer Offizier hat in einem Buch iiber den kiinftigen Krieg kurz vor Ausbruch dieses Krieges gesagt: Die franzosische Ostgrenze ist jetzt so befestigt, dass eine deutsche Invasion von hier aus fiir eine Unmoglichkeit gelten muss. Sollte es noch einmal zu einem Kriege zwischen Frankreich und Deutschland kommen, so wird Deutschland nichts iibrig bleiben als der Angrifif durch Belgien. Die Entwicklung des Krieges bis zum heutigen Tage hat seine erste Aufstellung bestatigt. Die ganze Frage also steht so : Darf in einem Fall absoluter militarischer Notwendigkeit ein Vertrag verletzt werden? Unzweifel- haft ist weder ein Mensch noch eine Nation an einen Vertrag ge- bunden, der in der Anwendung sich als ihr Todesurteil en\''eist. Die Frage ist fiir England langst entschieden. England hat stets nach 11 dem Prinzip gehandelt, dass militarische Notwendigkeit die Ver- trage aufhebt. England hat noch in diesem Kriege in China dasselbe getan, was Deiitschland in Belgien tat, und wofiir es angeblich gegen Deutschland in den Krieg zog. Um Kiautschau wirksamer angreifen zu konnen, fiihrte es seine Heere durch neutrales chinesisches Ge- biet, ohne sich um Proteste zu bekiimmern. Aber England hat iiber- haupt in dieser Beziehung den Prazedenzfall geschaffen und das Bei- spiel gesetzt. Im Burenkriege fiihrte es einen der Hauptangriffe gegen den Feind durch Portugiesisch-Ostafrika, durch die neutrale Kolonie an der Delagoabai. Der Prazedenzfall wurde in England aufgenommen in die Theorie des Volkerrechts. An der "Encyclopaedia Britannica" arbeiten die ersten englischen Gelehrten. Der Artikel iiber Neutralitat (Vol. 19, p. 446, 447) wird also von einem fiihrenden eng- lischen Juristen geschrieben sein. Es heisst in ihm ausdriicklich mit Beziehung auf Englands Vorgehen im Burenkrieg: "Nevertheless it is conceivable that under the pressure of military necessity or on account of an overwhelming interest a powerful belligerent state would cross the territory of a weak neutral state and leave the con- sequences to diplomacy." Dies wird mit der Tat Englands im Buren- kriege begriindet und zugleich als ungliicklicher Prazedenzfall be- klagt. Unzweifelhaft also hat England fiir ein Vorgehen wie das Deutschlands in Belgien das Vorbild gegeben — nur dass die Hand- lung im Falle Englands aus reiner Bequemlichkeit geschah, wahrend in Deutschlands Falle die nationale Existenz auf dem Spiele stand. Auch der Supreme Court der Vereinigten Staaten erkennt das Prinzip als zu Recht bestehend an, nach dem Deutschland handelte. Judge Field erklarte im Jahre 1889 als die einstimmige Ueberzeugung des ganzen Hochsten Gerichtshofs : "Circumstances may arise which would not only justify the Government in disregarding their treaty stipulations, but demand in the interest of the country that it should do so. There can be no question that unexpected events may call for a change of the policy of the country." Eine Gestaltung der politi- schen Lage, die Leib und Leben des Volkes bedroht, ist sicherlich ein solches unvorhergesehenes Ereignis. Wenn es je Umstande geben kann, die eine Regierung berechtigen, Vertragsverpflichtungen ab- zuschiitteln, so sicherlich nirgend mehr wie dort, wo die Existenz der Nation in Frage steht. So war das deutsche Vorgehen gerechtfertigt nach den Vorstellungen des geltenden Rechtes, insbesondere des in England geltenden. Die sich so sehr ereiferten, haben geurteilt, ohne die wahre Sachlage zu kennen. Amerikaner brauchen nicht recht- licher zu sein als ihr United States Supreme Court. Aber die Rechtfertigung Deutschlands ist eine noch viel voll- kommenere. Der deutsche Generalstab musste nach unzweifelhaften Zeugnissen annehmen, dass Frankreich und England entschlossen waren, den entscheidenden Angrifif gegen Deutschland durch Belgien zu fiihren. Hiergegen gab es keine andere Sicherung als durch eine entschlossene Offensive. Die Griinde fiir die Ueberzeugung des Gene- ralstabs liegen natiirlich in ofRziellen geheimen Berichten deutscher Regierungsvertreter. Sie wiirden also in diesem Augenblicke von fremden Volkern nicht als Beweisstucke anerkannt werden. Wir miissen uns nach Tatsachen umsehen, die unwidersprechlich sind. 12 Hierbei iibergehen wir ganz, dass in den ersten Tagen des Krieges franzosische Flieger und Militarautomobile Belgien durch- kreuzten und dadurch die belgische Neutralitat verletzten, ehe Deutschland es tat. Aber im November 1912 besuchte der franzo- sische Kriegsminister, damals Picquart, die belgischen Festungen und Schlachtfelder in Gemeinschaft mit vier Offizieren vom franzo- siclien Generalstab. Er wurde empfangen als ein willkommener Freund. Sein Besuch sollte geheim bleiben, wurde aber infolge einer Erkrankung des Ministers entdeckt. In Liege eroberten wir franzo- sche Kanonen mit ihrer Bedienungsmannschaft. In Namur nahmen wir Soldaten des 45. franzosischen Infanterieregiments gefangen, welche bekannten, dass sie am 30. Juli in Automobilen nach Namur geschafft wurden, also zwei Tage vor Ausbruch des Krieges. Eng- lische Soldaten, die nach dem Fall von Maubeuge in unsere Gefangen- schaft gerieten, sagten aus, dass sie ihre englische Munition aus einem Depot in Maubeuge bekamen, das demnach in dieser franzo- sischen Festung hart an der belgischen Grenze vor dem Kriege angelegt sein muss. Vergebens versucht England die Bedeutung der offiziellen Schriftstiicke herabzusetzen, welche die Deutschen in den geheimen Archiven des Auswartigen Amts in Briissel fanden (Fatherland, 30. December 1914). Sie sind in Facsimile publiziert worden. Nie- mand leugnet mehr die Echtheit. Sie unterrichten iiber Verhand- lungen zwischen den belgischen und den englischen Militarbevoll- machtigten aus dem Jahre 1906 und gehen also auf die Zeit Eduards VII. und Leopolds II. zuriick, auf die Zeit der Einkreisungspolitik gegen Deutschland. Es ist der eingehende Bericht tiber Verhand- lungen, in denen England fiir den Fall eines europaischen Krieges den Angriff gegen Deutschland durch Belgien bis ins Einzelne vor- bereitet. Natiirlich, die dies verhandelten, miissten miserable Diplo- maten gewesen sein, wenn sie nicht einmal die schamhafte Bemer- kung machten : The entry of the English in Belgium would only take place after the violation of our neutrality by Germany. Aber in dem ganzen Zusammenhang ist davon kaum mehr die Rede. Von dem englischen und dem britischen Heer wird anstandslos als von unseren verbiindeten Armeen gesprochen. Die Englander sollen in Diin- kirchen, Boulogne und Calais landen, — dies zeigt, dass Frankreich als der dritte Verbiindete im Vertrauen war. Wenn die Nordsee von deutschen Schiffen gesaubert, sollte das englische Kommissariat nach Antwerpen verlegt werden. Belgien stellt die Eisenbahntransporte fiir die Truppen, sollte iuv die militarischen Requisitionen aufkommen, jedem englischen Generalstab einen belgischen Offizier beigeben und fiir Dolmetscher sorgen. Belgien wurde zur Pflicht gemacht, die deutschen Militarverhaltnisse im Rheinland bestandig auszuspio- nieren. Alle diese Dinge mussten auf das strengste geheim bleiben. Von den deutschen Nachbarn wird als "our presumable enemies" ge- sprochen. In einem zweiten Schriftstiick von 1912 heisst es in Bezug auf die jiingst vergangene Marokkokrisis — diesmal ohne jede Be- ziehung auf einen deutschen Neutralitatsbruch — : "At the time of the recent events the British government would have immediately effected a disembarkment in Belgium, even if we (the Belgians) had not asked for assistance." Der Einwand des Belgiers, dass dazu Belgiens Bei- stimmung benotigt sei, wird beiseitegeschoben mit der Bemerkung: "since we (the Belgians) were not able to prevent the Germans from passing through our country — England would have landed her troops in Belgium under all circumstances." Das Wort: "to prevent the Germans" macht vollig deutlich, dass England seine Truppen in Belgien landen wollte, ehe Deutschland Belgien betreten hatte. Eng- land hatte die Neutralitat Belgiens gebrochen, ehe Deutschland es getan. Die Verabredungen von 1906 bestanden also 1912 noch fort. Der englische Militarattache besichtigte, ohne Verstandigung mit oder Einwilligung von Belgien, Zeebriigge von Ostende aus, um sich iiber die Landungsverhaltnisse zu orientieren. England behandelte Belgien riicksichtslos als einen militarischen Vasallen. Der belgische Geschaftstrager in Berlin hob unter scharfstem Protest die Gefahren dieser Besprechungen hervor. Mindestens muss- ten sie erganzt werden durch Verabredungen in Bezug auf den viel wahrscheinlicheren Fall eines Bruchs der belgischen Neutralitat durch Frankreich. Er behandelt es als eine fiir Belgien offenbare Tatsache, dass Frankreich im Kriegsfall die ganze belgische Grenze bedrohe. "We have positive evidence of it." Er bezeichnete es als den notorischen Plan Englands und Frankreichs, Deutschland durch Belgien anzugreifen. "Evidently the project of an outflanking move- ment from the north forms part of the scheme of the Entente Cor- diale." Darum auch die Entriistung in Paris und London iiber die hollandische Befestigung des Scheldeufers. Diese namlich hatte den englisch-franzosischen Vormarsch behindert. Er beruft sich zum Beweise fiir dies alles auf die ebenso perfiden wie naiven Ankiindi- gungen des englischen Militarattaches, Oberst Barnardiston, beim Abschluss der Entente Cordiale. Also: Die belgische Regierung wusste, dass England und Frankreich beabsichtigten, Deutschland durch Belgien anzugreifen. Sie sann nicht dariiber nach, wie sie ihre Neutralitat unter alien Umstanden bewahren konnte, sondern lieh ihre Hand zu den englischen Planen her. Selbst aber v/enn sie aufrichtig an die deutsche Gefahr geglaubt hatte, — in dem Augen- blick, in dem sie in einseitige militarische Abmachungen mit einer der Machte eintrat, ohne die anderen zu unterrichten, verwirkte sie ihre Neutralitat. Seit 1906 war die belgische Neutralitat nicht mehr vorhanden. England hatte sie aufgehoben, Belgien hatte sie auf- gegeben. Wir haben das klassische Zeugnis, dass die englische Absicht wirklich dahin ging, den europaischen Krieg unter alien Umstanden mit der Landung seines Heeres in Belgien zu beginnen. Der erste Soldat Englands, Lord Roberts, verofifentlichte in der British Review im August 1913, ein Jahr vor dem Kriege, einen Aufruf fiir die Ein- fiihrung der allgemeinen Wehrpflicht in England. Er spricht von der Moglichkeit einer deutschen Invasion in England, jenem Schreck- gespenst, das die Englander jahrelang schlaflos hielt, wahrend bei uns in Deutschland kein Mensch daran dachte, und sagt: "I do not think the nation realizes how near it was to war as lately as August 1911. Our navy is not manned by panicmongers, yet for many autumn nights our Home Fleet lav in Cromarty Firth with torpedo nettings 14 down, with the guns' crews sleeping on deck, with a live projectile ready in each gun, and with the war heads fitted to every torpedo. Why? With the soundest reason for its belief the Fleet was in momentary expectation of alien attack." Nun kommt die verrate- rische Stelle. "Our expeditionary force was held in equal readiness instantly to embark for Flanders to do its share in maintaining the balance of power in Europe." Flandern ist der Teil von Belgien, in dem Ostende und Antwerpen gelegen sind. Also : Das Heer war bereit, sofort mit Kriegsausbruch in Belgien zu landen, — offenbar ohne den deutschen Neutralitatsbruch abzuwarten, und offenbar, ohne Belgien zu fragen, — ganz im Sinne jener aufgefundenen Dokumente, die damit als der Ausdruck der militarischen Absichten Englands fiir den Kriegsfall bestatigt werden. Der Beweis hierfiir ist vollkommen geworden, seitdem wir auch iiber den Grad der exaktesten Vorbereitung auf das Unternehmen unterrichtet sind. Die Deutschen fanden im Gepack eines verwun- deten franzosischen Offiziers in Belgien ein versiegeltes Packchen. "It is formall}' forbidden to open this package. It shall be opened only in case of mobilization." Da Mobilisation nun im Gauge war, offneten wir das Packchen und fanden militarische Karten von Belgien von prachtvoller Genauigkeit. Wenn dies nur die iibliche Ausstat- tung des Offi;ziers mit Kartenmaterial war, wozu das angstliche Ge- heimnis? Die Deutung kann nur sein, dass dieser Hauptmann mit seiner Kompagnie mobilisiert werden sollte bei einer Armee, deren Aufmarsch in Belgien beabsichtigt war. Das erganzende Beweis- stiick, im Schnappsack eines englischen Offiziers in Belgien gefunden, ist von noch grosserer Bedeutung: genaueste Karten von belgischen Distrikten, aber nicht in Belgien hergestellt, sondern, wie ausdriick- lich bemerkt ist, "in the geographical section of the English General Staff in London," auch in anderen Grossenverhaltnissen als die bel- gischen Karten, auf das subtilste militarisch durchgearbeitet und durchweg mit Beschreibungsworten in englischer Sprache versehen. Dies letztere scheint zu beweisen, dass die Karten fiir die Truppen und die Subalternofflziere bestimmt waren. Also : England durfte belgische Militarkarten herstellen. So weit ging Belgiens Entgegen- kommen, — es handelte oder duldete wirklich wie ein militarischer Vasall Englands. Endlich fanden die Deutschen bei den geschlagenen englischen Truppen bereits vier Bande eines hervorragend niitzlichen militarischen Werkes, in dem das ganze Belgien fiir Kriegszwecke auf das genaueste durchgearbeitet ist. Das Werk ist natiirlich nicht im Handel, streng geheim und vertraulich, nur fiir die kriegfiihrenden Offiziere bestimmt. Die Deutschen hatten nichts Aehnliches und sind aufrichtig dankbar fiir die ausgezeichneten Dienste, die das erbeutete Werk ihnen jetzt bei ihren kriegerischen Unternehmungen in Belgien leistet. So weit ging Englands Vorbereitung auf den bel- gischen Feldzug. Es ist unwidersprechlich, dass es den Schlag in Belgien unter alien Umstanden als den Kriegsbeginn plante. Wenn man iiber Englands mangelnde Vorbereitung fiir den Krieg klagt, hier ist der Vorwurf sicherlich nicht berechtigt. Und wenn Bereitsein fiir den Krieg wirklich Kriegsgefahr ware, so lag hier eine starke Be- drohung. 15 Der deutsche Generalstab war demnach offenbar im Rechte. Der Angriff Englands und Frankreichs durcli Belgien war fest geplant. Deutschland musste augenblicklich handeln. Die englische Erregung stammt zum grossen Teil aus der Wut iiber die vereitelten Plane, iiber Deutschlands iiberlegene Schnelligkeit. Ohne diese Schnelligkeit war Deutschland verloren. Deutschland handelte in guter Sache und in gutem Rechte, aber freilich musste es nun die Entriistung der schlecht unterrichteten offentlichen Meinung tragen. Unabhangige Englander urteilen hieriiber nicht anders. Sie sehen in Sir Edward Grey's Betonung der verletzten belgischen Neutralitat nichts als einen Vorv/and. Es ist wieder Ramsay MacDonald, der es offen aussprach : "It has been known for years that, in the event of war between Russia and France on the one hand and Germany on the other, the only possible military tactics for Germany to pursue were to at- tack France hot foot through Belgium and then return to meet the Russians. The plans were in our War Office." England also kannte seit langem die militarischen Notwendigkeiten eines allgemeinen euro- paischen Krieges und war entschlossen, ihnen zu begegnen, indem es Deutschland zuvorkam und die belgische und im Notfalle auch die hollandische Neutralitat verletzte. Was ihm als selbstverstand- liches Recht schien, wenn es in seinem Interesse geschah, war schreiendes Unrecht, sobald es im deutschen Interesse englische Plane durchkreuzte. Wir wollen die Pflichten genau erwagen, die der belgische Neu- tralitatsvertrag in sich trug. Im Jahre 1839 zum letzten Mai bestatigt, sollte er zwei Zielen dienen. Er sollte dem verhaltnismassig kleinen Staat Belgien eine unabhangige und gesicherte nationale Existenz ermoglichen, und er sollte einen Pufiferstaat vor allem zwischen den alten Feinden Preussen und Frankreich zur Sicherung des europai- schen Friedens schaffen. Die unabhangige nationale Existenz wurde durch das deutsche Vorgehen garnicht bedroht. Im Gegenteil ! Deutschland sagte zu Belgien: Lass mich durch dein Gebiet gehen, und ich sichere dir die Unabhangigkeit und Unverletzlichkeit, Integritat und Souveranitat zu und Indemnitat fiir jeden moglichen Schaden. Und als die Deut- schen Liittich am 7. August genommen batten und als Sieger auf dem belgischen Boden standen, wiederholte der Deutsche Kaiser gross- miitig das gleiche Angebot. Belgien lehnte ab. War es dazu ver- pflichtet als neutrale Macht? Keineswegs ! Kein Staat ist zu einer Tat verpfiichtet, die seinen Untergang bedeuten kann. Das Haager Tribunal wollte einmal zu einem Satz des internationalen Rechtes machen, dass kriegfiihrenden Heeren der Durchgang durch neutrales Gebiet unter alien Umstanden versagt sei. Die Bestimmung wurde abgelehnt von' England, von Frankreich, von Deutschland und von Oesterreich. Russland war bei jener Konferenz nicht zugegen. Die Erlaubnis, die Deutschland erbat, widerspricht also nicht dem inter- nationalen Recht. Belgien konnte, wie Luxemburg und China in diesem Kriege, protestieren und den Durchbruch dulden. Lehnte Bel- gien ab, weil es seine Ehre als neutraler Staat verlangte? O nein ! Es lehnte ab, weil es nicht glaubte an den Sieg Deutschlands. Es glaubte an den Sieg der AUiicrten und fiirchtete die Rache der Allier- 16 ten im Falle der Gefiigigkeit. Es konnte Frieden haben und wahlte aus eigenem Willen Krieg. Es wahlte falsch. Vielmehr — es wahlte Krieg unter deni Druck Englands. Der Beweis liegt darin, dass Bel- gien noch am 3. August die Hiilfe Frankreichs ablehnte. Die Hiilfe natiirlich bedeutete, dass Belgien an der Seite Frankreichs in den Krieg zu gehen hatte. Dies lasst kaum eine andere Deutung zu, als dass Belgien damals zur Annahme des deutschen Angebots geneigt war. Da kam das Telegramm von Sir Edward Grey, nach dem Eng- land den aussersten Widerstand Belgiens gegen einen deutschen Neu- tralitatsbruch erwartete, fiir diesen Fall die englische Hiilfe versprach und das Eingreifen Englands in den Krieg an der Seite Frankreichs und Russlands in Aussicht stellte. Dies war eine englische Drohung. Belgien wahlte unter ihrer Wucht den Krieg. Also Deutschland wollte Belgien den Krieg ersparen, England trieb Belgien in den Krieg. Hatte Belgien den deutschen Vorschlag angenommen, wozu es vollig berechtigt war, so gab es jetzt kein „armes verwiistetes Belgien", keine erschossenen Soldaten, keine hingerichteten Franctireurs, keine rauchenden Triimmer und Ruinen. Die Welt ware um einen Anlass zu sentimentalen Tranen und sentimentaler Selbstberaucherung armer. Belgien wollte den Krieg und hat ihn bekommen. Es war in diesem Kriege nicht ein kleiner Staat, iiber den ein grosser her- fallt, sondern ein starkes Mitglied in dem gewaltigen Bunde der Machte, die Deutschland vernichten wollen. Und Krieg ist Krieg. General Shermans Wort und Vorbild sollten in Amerika unvergessen sein. Aber die ganze Verantwortung fiir das Schicksal Belgiens liegt auf England. England hat den kleinen Staat, den Deutschland un- beriihrt erhalten wollte, riicksichtslos seiner Selbstsucht und seinem Interesse geopfert, genau so wie es jetzt weiterkampft bis zum letz- ten Franzosen. Nach dem einfachsten Gebot der Gerechtigkeit miisste England fiir alle Leiden und Verluste Belgiens zahlen. Aber freilich ist es bequemer fiir England, wenn Amerika zahlt, und kann es Ame- rika dazu bringen, so ist das nur ein neuer Beweis englischer Ge- schicklichkeit. Natiirlich ist jede Gabe willkommen und soil den Un- gliicklichen gegonnt sein, umsomehr, da England die wohlwollenden deutschen Plane der Versorgung iiber Holland unmoglich gemacht hat. Nur sollten die amerikanischen Wohltater nicht denken, dass sie mit all' ihrer Grossmut nur annahernd so viel fiir Belgien tun, wie Deutschland. Deutschland bringt iiberall, wo es Herr ist, das ganze soziale Leben des ungliicklichen Landes wieder in Ordnung, — ein Werk, das unendlich viel schwerer wiegt als alle Wohltatigkeit, Belgien als Pufferstaat sollte auch die Reibungsflache zwischen Preussen und Frankreich vermindern. Seit 1839 ist nun aber Europa ein ganz anderes geworden. An die Stelle Preussens ist das Deutsche Reich getreten, das den Neutralitatsvertrag iiber Belgien zwar niemals anerkannt, aber wohl stillschweigend von Preussen iibernommen hat. Belgien, das mit der Erwerbung des Kongostaates in den kolonialen Wettbewerb der grossen Reiche um die Erde ein- getreten, hat kaum noch einen Anspruch auf den bevorreehtigten Schutz des neutralen Staats. Vor allem behalt es das Anrecht auf seine Neutralitat nur so lange, wie es die Bedingung erfiillt, fiir die sie geschaflfen worden, d. h. so lange Belgien alle die beteiligten Machte 17 — Eiig:land, Frankreich, Deutschland — in g-leicher Weise gegen einander sichert. Das heutige Belgien aber war eine Festung fur England und Frankreich und eine Todesgefahr fiir Deutschland. Die Todesgefahr fiir Deutscland haben wir auseinandergesetzt. Es war eine Festung fiir Frankreich, insofern seine Festungen mit den fran- zosischen eine zusammenhangende Linie bilden zum Schutz der fran- zosischen Ostgrenze. Dagegen liessen sie Deutschland einem fran- zosischen Angriflf offen. Es war eine Festung fiir England, das es gegen einen deutschen Angrifif von der Kiiste her schiitzte. Hierin lag auch Englands Interesse an der Bewahrung der belgischen Neu- tralitat begriindet, — in einem sehr gewichtigen militarischen Vor- teil, nicht in einem Rechtsbegrifif. Demnach hatte hierin der belgische Neutralitiitsvertrag seinen Gehalt und Sinn verloren, Er war nichts Eebendiges mehr, — er war ein "Fetzen Papier". Das ist der Sinn der Bethmannschen Aeusserung. Er bezeichnete nicht, wie die Englander ihn geschickt missdeuteten, Vertrage iiberhaupt als Papierfetzen. Sondern einen Vertrag, der jeden verniinftigen Sinn und Inhalt ver- loren hat, betrachtete er, wie alle Welt, wie das Recht selber es tut, als einen blossen Fetzen Papier. Deutschland also trat fiir den be- rechtigten Sinn und Teil des Vertrages ein, in dem es Belgien seiner Integritat und Souveranitat versicherte, — es setzte sich iiber den sinnlos gewordenen Teil mit Recht hinweg. Dies ist der Gang aller Geschichte, dass leer gewordene Vertragszustande aufgelost werden und neue lebendige sich bilden. Miissten alle Vertrage in alle Ewig- keit gehalten werden, so lebten wir noch im assyrischen Reich. Der Grund also, um dessentwillen England die Bewahrung der belgischen Neutralitat wiinschte, war genau der gleiche, der sie fiir Deutschland unmoglich machte: das militarische Interesse der Landesverteidigung. Dies bringt uns zu der entscheidenden Frage, ob denn iiberhaupt auch nur eine Moglichkeit besteht, anzunehmen, England sei um des Rechtspunkts der belgischen Neutralitat willen, also um ein rein moralisches Interesse, in den Krieg gegangen. Es besteht keine Moglichkeit. Denn einmal hat gerade hinsichtlich der belgischen Neutralitat England offen genug sich auf den Standpunkt gestellt, der derjenige der deutschen Regierung ist. Dann aber gibt der ganze Geist der englischen Geschichte in dieser Frage eine un- zweideutige Antwort. Als der deutsch-franzosische Krieg begann im Jahre 1870, hielt es Gladstone fiir notwendig, die belgische Neutralitat zu sichern. Das Vorgehen Englands war damals dem von heute gerade entgegen- gesetzt, denn es erklarte, es werde gegen diejenige der beiden Machte Krieg beginnen, welche die Neutralitat Belgiens verletze. So sicherte es die belgische Neutralitat gegen beide. Damit erfiillte Belgien wirklich die Bedingung, fiir welche ihm die Neutralitat gegeben war. Es war fiir beide kriegfiihrende Parteien eine Siche- rung. Gladstone erklarte ausdriicklich, dass Vertrage nicht absolut bindend seien, sondern ihre bindende Kraft hange ab von den Um- standen, unter denen sie zur Anwendung kamen. Er stellte die eng- lische Politik grundsatzlich auf das Prinzip, nach dem die deutsche Regierung in dieser Krisis gehandelt hat. Er sagte : "I am not able to subscribe to the doctrine of those who held in this house what 18 plainly amounts to the assertion that the simple fact of the existence of a guarantee is binding on every party to it, irrespective altogether of the particular position in which it may find itself at the time when the occasion for acting on the guarantee arrives." Er machte mit Preussen und mit Frankreich einen neuen Vertrag, nach dem beide Machte sich verpflichteten, die Neutralitat Belgiens fiir die Zeit des Krieges und ein Jahr dariiber hinaus zu respektieren, das heisst also: fiir die Zeit der Friedensverhandlungen. Das letztere war notwendig, da ja 1868 Frankreich durch Napoleon III. Bismarck vorgeschlagen hatte, Luxemburg und Belgien Frankreich zu iiberlassen zum Aus- gleich fiir den Machtzuwachs, den Preussen durch die Siege von 1866 erfuhr. Ein Zeugnis fiir Frankreichs Respekt vor der Heiligkeit des belgischen Neutralitatsvertrages ! Der Gladstonesche Vertrag er- losch also im Jahre 1872. So wenig hielt der grosste Staatsmann des neueren England den belgischen Neutralitatsvertrag von 1839 fiir eine absolute Bindung. Ramsay MacDonald hat auch hier wieder die schlichte Wahrheit gesprochen. Er sagt : "Germany's guarantee to Belgium would have been accepted by Mr. Gladstone. If France had decided to attack Germany through Belgium, Sir Edward Grey would not have objected, but would have justified himself by Mr. Gladstone's opinions." Die englische Politik gegeniiber der belgischen Neutrali- tatsfrage ist damit in klassischer Weise festgelegt. England hat jedes Recht auf Entriistung bei dem angeblichen deutschen Neutrali- tatsbruch verwirkt. Es macht seine moralische Geberde wider bes- seres Wissen. Und wann hatte England einen Krieg gefiihrt — oder um mit geschichtlicher Genauigkeit zu reden — : wann hatte England die anderen Volker fiir sich in den Krieg gehen lassen aus einem anderen Grunde als um des eigenen Vorteils und Interesses willen? So war es natiirlich auch in diesem Falle nicht die Rechtsfrage, sondern das Interesse, der Vorteil, die England in den Krieg fiihrten. Sir Edward Grey hat das mit aller wiinschenswerten Ofifenheit gesagt: eine deutsche Armee in Belgien und in Nordfrankreich wiirde eine totliche Gefahr fur England sein. Mit dieser seiner Meinung war er sicher im Rechte, und hier lag also ein guter Kriegsgrund. England will nun einmal ein zu starkes Deutschland, insbesondere auch auf den Meeren, nicht dulden. Es furchtete von einem deutschen Siege Ge- fahren fiir sein Weltreich. Das erste aller englischen Interessen, das Interesse an dem Weltreich und seiner Existenz, trieb in den Krieg. Ohne Zweifel ein gewichtiger Grund ! Nur war es dann nicht sehr ehrlich, sich hinter dem moralischen Mantelchen der sentimentalen Entriistung: iiber den Rechtsbruch zu verstecken. Die Blosse Eng- lands blickt unter dem zerfetzten Mantel doch hervor. Aber dies war immer die Kunst der britischen Politik und Diplomatic: wahrend England stets allein fiir das eigene Interesse wirkte, Hess es die Volker und die Welt glauben. es geschehe alles um der hoheren Moral willen, fur Menschlichkeit, Zivilisation, Fortschritt und Freiheit. Nie hat es diese Kunst in so virtuoser Vollendung geiibt wie in dem Falle der belgischen Neutralitat und ihrer angeblichen Verletzung. Die Volker gewinnen ihre Siege in dem Gebiet, fiir das sie geriistet sind. Deutschland gewinnt sejne Siege auf dem Schlachtfelde, England 19 gewinnt sie in der Meinung der Welt. Es ist kaum iibertrieben zu sagen : Der einzige wirkliche Sieg, den England bis jetzt in diesem Kriege errang, wurde gewonnen — in Amerika. Jedoch — auch in der Meinung der Menschen siegt zuletzt nur die Wahrheit. Die Riickwirkung fiir Englands Ansehen wird schlimm sein, wenn die Welt erst einmal bemerkt, wie sehr sie sich von England in die Irre fiihren Hess. Man kann die Konsequenz der englischen Entschlossen- heit nur bewundern. Aber man kann nicht ganz so sehr die guten Leute bewundern, die, indem sie in moralischem Hochgefiihl selbst- tatig zu urteilen meinen, blindglaubig in die englische Falle gehen. Sie sind in ihrer vorgeblichen Neutralitat Trabanten der englischen Kriegfiihrung. Damit liegt die zweite Aufstellung am Boden, die England in seinem Krieg um die Meinung der Welt mit grosser Kunst auf- gerichtet hatte. Der Eifer, mit dem dies geschah, entstammt dem schlechten Gewissen. England weiss, dass es selbst jener Aufhebung der Neutralitat schuldig ist, deren es Deutschland falschlich be- schuldigte. Es weiss, dass Deutschland handelt in vollem geschicht- lichem Rechte, — in jenem Recht, nach dem England stets gehandelt hat, und das es stets fiir sich in Anspruch nahm. Sollen wir nun im Ernst iiber die englische Anschuldigung schrei- ben, nach der die Deutschen eine Horde von Hunnen und Barbaren waren ? Wie versteht man den Ausruf von Professor Thomas C. Hall : "Can any sensible American listen with patience while the London press teaches us that an army made up of the flower of Germany's educated manhood in which there is no illiteracy and no intemperance is a "horde of barbarians" in comparison to an army of Turcos, Sikhs, London down and outs, Gurkhas, Cossacks, Tartars from the Amur river, Japanese, Tunisian Arabs and negroes from the Sahara? And that civilisation depends on the victory of Russia's illiterate and drunken peasantry under the command oft the corrupt, arrogant, and brutal autocracy whose leading spirit is the Grandduke Nicholas Nicholaievitch?" In der Tat — man wiirde nicht gedacht haben, dass eine Spekulation auf die Gedankenlosigkeit der Welt sich mit einer solchen Sicherheit unternehmen liesse, wenn wir diesen Fall nicht erlebt hatten. Die Absicht ist so klar. Der Abscheu der Welt soil erregt werden gegen das deutsche Volk, damit alle den Sieg Englands wiinschen. In keiner Armee der Erde dienen so viele gutherzige und hoch- zivilisierte Manner wie in der deutschen Armee, die die deutsche Nation in Waffen ist. Keine Armee der Erde steht unter einer so eisernen Manneszucht wie die deutsche. Darum sind Greuel in der deutschen Armee unwahrscheinlicher, um nicht zu sagen : unmog- licher als in irgend einer andern. Es ist ein seltsamer Widerspruch, in dem gleichen Atem zu sprechen von der grossartigen deutschen Kriegsmaschine und das deutsche Heer fiir eine Hunnenbande zu er- klaren. Denn der erste Ausdruck besagt hochste Zucht, der zweite hochste Zuchtlosigkeit. In keinem einzigen Fall unparteiischer Untersuchung ist eine angebliche deutsche Grausamkeit bestatigt worden. Das Prinzip der Erfindung aber glauben wir klar zu ent- decken. Alle die grasslichen Schandlichkeiten, die erwiesenermassen 20 von den Belgiern, besonders den Franctireurs, und den Russen gegen die Deutschen begangen worden, die werden erzahlt als von Deut- schen begangen gegen die Zivilbevolkerung des Feindes. Offenbar soil die Rechnting sich heben. Das geht so weit, dass man jedesmal, wenn die deutsche Regierung iiber neue Barbareien der Kriegfiihrung bei den Feinden Klage fiihrt, nur eine halbe Woche zu warten braucht, und man wird die gleiche Anschuldigung gegen die Deutschen lesen. Aber die Zerstorung von Lowen ! Lowen ist nicht zerstort, etwa der sechste Teil, nach James O'Donell Bennett der siebente Teil ist zerstort in gerechtem Kriege. Eine kleine Wache von der besetzen- den deutschen Armee ist zuritckgeblieben. Plotzlich in der Nacht steigt eine Rakete auf. Ungefahr zur gleichen Zeit macht die Be- satzung von Antwerpen einen Ausfall, um die deutschen Truppen zu beschiiftigen, und wird in Lowen aus den Fenstern auf die ahnungslose deutsche Wache geschossen. Die belgischen Francti- reurs, gemeine Verbrecher im Kriegsbegriff, batten sich in ihren Hausern verschanzt. Sie batten ihre Hauser zu Festungen ge- macht, die nun nach ehrlichem Kriegsrecht gestiirmt und zer- stort wurden. Jede mogliche Sorgfalt wurde der Erhaltung der kiinst- lerisch wertvollen Gebaude zugewandt. Das Rathaus blieb unbe- riihrt. Die Kirchen vi^urden geschiitzt, so gut es ging. Deutsche Offiziere retteten die unschatzbaren Bilder. Es ist ein furchtbares Ungliick, dass die einzigartige Bibliothek zerstort wurde. Aber man kannte das Gebaude nicht, in dem sie war, und kein belgischer Be- amter war warnend zugegen, wie deutsche Beamte in einem gleichen Falle sogleich herbeigeeilt waren. Lowen bereitete sich selbst das verdiente Schicksal eines strengen Strafgerichts. Belgier selber haben es zugestanden. Ein amerikanischer Offizier, Colonel Emerson, hat erklart, er wiirde als Militar ebenso gehandelt haben. Und die Zerstorung der Kathedrale zu Rheims? Wer hatte eine so schone Fahigkeit zu asthetischer Entriistung in der modernen Welt erwartet ! Die deutschen Soldaten batten Befehl, nicht auf die Kathe- drale zu schiessen. Daraufhin richteten die Franzosen auf den Tiir- men der Kathedrale Beobachtungsposten ein und lenkten von dort das Schiessen ihrer Kanonen. Der deutsche Befehlshaber sendet drei Parlamentare mit der Aufforderung, die Wache zuriickzuziehen, um die Kathedrale zu retten. Von den drei Parlamentaren ist einer nie zuriickgekehrt, — die franzosische Wache blieb auf den Tiirmen. Also — die Franzosen, nicht die Deutschen, machten die Kathedrale zu einem Teil ihrer Schlachtlinie. Die Deutschen horten mit dem Feuern auf in demselben Augenblick, in dem die Wache zuriick- gezogen wurde. Uebrigens ist die Kathedrale iaberhaupt nicht zer- stort. Der ganze historische Umriss des ehrwiirdigen Gebaudes steht unverandert da. Wie gern doch die Menschen entstellenden Anklagen glauben, wenn die eigene Eitelkeit dabei ihre Rechnung findet und wir uns im Diinkel unserer zivilisierten Feinheit iiber die angebliche Barbarei anderer Menschen erheben diirfen. Es gibt in diesem Kriege andere Zerstorungen, iiber welche die moralische Entriistung der ganzen Welt vollig am Platze ware, aber selt- samerweise bleibt sie aus. Ich babe im Marz 1913 das deutsche Tsingtau besucht. Ich kenne jene wundervolle kleine Welt deutscher Ordnung und 21 deutscher Reinlichkeit. Durch die herrliche Landschaft, zwischen Meer, Bucht und blauen Bergen ziehen die reinlichen Strassen. Auf die Berge, die kahler Stein waren, hat die deutsche Forstverwaltung die Erde in Korben hinaufschleppen lassen. Tannen wachsen da. Die nachste deutsche Generation ware in eineni deutschen Walde gewandert. Wetter- warte, Seemannsheim, Kirche, Schule, Krankenhaus bringen die deutsche Zivilisation in das einst kahle Land. In der deutsch-chinesischen Hoch- schule werden junge Chinesen aus dem ganzen Reich in deutscher Sprache in Jurisprudenz, Medizin, Technik und Landwirtschaft unterrichtet. Der deutsche Geist ist als ein wahrer Wohltater zu den Chinesen getreten, um ihnen bei den unsicheren Schritten in die Welt der westlichen ZiviHsation zu helfen. Eine gewaltige erzieherische Kraft lag in dieser Muster- kolonie. Das war der Grund, warum England sie vernichten wollte. China ist vielleicht der wichtigste Platz auf Erden. Jeder vierte Mensch auf Erden ist Chinese. Eine Welt von 400 Millionen Menschen ist im Erwachen zu westlicher Zivilisation. England will Deutschland an diesen Aussichten keinen Anteil lassen, sondern das ganze Gebiet fiir sich allein behalten. Dazu ging es, der weisse Mann Schulter an Schulter mit dem gelben Mann und mit dem braunen Mann, Englander, Japaner, Indier, mindestens in zehnfacher Uebermacht gegen das kleine Heldenhauflein von 4500 Deutschen und brach die Neutralitat, um den bequemeren Angrifif von der Landseite zu haben. Es nahm in einen weissen Krieg Mongolen und Hindus als gleichberechtigte Waffengenossen hinein. Man las in ameri- kanischen Blattern von Japans "triumph in the far East." Ein schoner Triumph, wenn zehnfache Uebermacht ein Pl'atzchen, das auf der Land- seite so gut wie nicht befestigt ist, nimmt, nachdem die Tapferen alle Munition verschossen haben, und dazu 43 Tage braucht. Der Triumph Japans Hegt in etwas ganz anderem — darin namlich, dass England von Japan Hulfe erbitten musste, denn Japan wollte keineswegs den Krieg und folgte nur dem englischen Druck. Er liegt darin, dass England sich den japanischen Bedingungen unterwerfen musste, nicht nur in der Zahlung der hundert Millionen Yen, sondern in den verhangnisvollen Forderungen : freie Hand in China und freie Einwanderung in die englischen Kolonien. Schon reckt Japan nach dem chinesischen Siegespreis die Hand. Was geschieht, wenn es China seine moderne militarische Erziehung gibt? Was geschieht, wenn die japanischen Kolonisten Australien besetzen? England hat den stillschweigenden Grundvertrag aller westlichen Volker- gemeinschaft aufgehoben, nach dem im kriegerischen Ringen der Weissen mit den Weissen die farbigen Rassen nicht zugelassen werden durfen als gleichberechtigte Machte. Hier liegt die verhangnisvollste Neuerung dieses Krieges. Die Folgen sind unermessliche. England selbst wird die Strafe zahlen, — Amerika wird schwerer als irgend wer die Folgen fiihlen. Auch das Geschrei liber die Greuel' der Deutschen stammt zuletzt aus dem schlechten englischen Gewissen. England hat P.llen Anlass, die vollige Unmenschlichkeit seiner Kriegfiihrung zu verhullen, — jene Un- menschlichkeit, die im Burenkriege in den Konzentrationslagern sich ihr finsteres Denkmal gesetzt hat. In ihnen starben die Frauen und Kinder der Buren in einem Verhaltnis, das in Indien nicht erreicht wurde wahrend der Pest und der Hungersnot. England, nicht Deutsch- hnd, gab das Beispiel mit dem Zusammentreiben und Einsperren der 22 unschuldigen deutschen und osterreichischen Zivilbevolkerung, die harmlos und fleissig unter den Englandern lebte und arbeitete. Der franzosischen Zivilisation allerdings war es vorbehalten, den Lehrer zu ubertreffen, als die franzosischen Befreier aus dem Elsass Geiseln wegschleppten, darunter Greise, Weiber und Kinder, mindestens 8000 an der Zahl, um sie in franzosischen Konzentrationslagern unter den unwurdigsten Verhaltnissen schmachten zu I'assen. England, nicht Deutschland, brachte alle Wilden der Erde auf europaische Schlachtfelder. England, nicht Deutschland, gebrauchte in den Schlachten Dum-Dum-Geschosse, wie die Deutschen sie zu tausenden gefunden, samt der Vorrichtung an den englischen Ge- wehren, die jedes Geschoss in ein Dum-Dum-Geschoss verwandeln kann. Das Ergebnis der amtlichen Untersuchung dariiber ist unwidersprechlich. England, nicht Deutschland, will den Krieg durch die Aushungerung des Feindes entscheiden, — eine Aushungerung, die ganz Deutschland zu einem solchen Burenlager machen will, in dem die Weiber und Kinder verhungern. So ist der Geist der englischen Kriegfiihrung die systema- tisierte Unmenschlichkeit, wahrend bei den Deutschen schlimmstenfalls einmal ein Einzelner einer Roheit oder Wildheit schuldig werden mag. Immerhin nicht wie bei den Franzosen, bei denen der Oberbefehlshaber in den hartesten Ausdriicken gegen die im eigenen Lande pliindernden Sol- daten vorgehen musste. Gott gnade Deutschland, wenn diese Englander und Franzosen einmal' auf den deutschen Boden kamen. England bleibt der gleichen Politik treu wie in Bezug auf den Kriegsanlass und auf Belgien : Es wendet die Aufmerksamkeit ab von der eigenen Schuld, indem es den Gegner verdachtigt. Dass so viel Ungereimtheiten berichtet werden, ist traurig genug. Viel mehr zu bedauern ist das Verschweigen all der edeln menschlichen Ziige, an denen dies schreckliche Ereignis so reich ist. Man sollte denken, diese Menschheit von heute suche iiberall das Gemeine zusammen und verschliesse die Augen vor dem Guten, und Amerika, das Land einer neuen Menschlichkeit, habe den natiirlichen Zug zu den Zeugnissen einer edeln Menschlichkeit verloren. Warum nicht lieber berichten von den franzosischen Verwundeten in Pforzheim, die nicht nur in einem Schrift- stiick fiir die gute Behandlung durch die deutschen Aerzte und Behorden dankten, sondern zum Ausdruck des Dankes — franzosische Soldaten — eine Sammlung veranstalteten fiir das deutsche Rote Kreuz? Warum nicht lieber verweilen bei den franzosischen Verwundeten in Darmstadt, die ihren Pflegern ein Schriftstiick mitgaben, welches bittet: falls sie einmal franzosische Gefangene wiirden, mochten sie so gut von den Fran- zosen behandelt werden, wie sie von den Deutschen behandelt wurden. Warum nicht den Brief verbreiten, den der franzosische Maire an den deutschen Kommandeur geschrieben, und in dem er ihm unter Segens- wiinschen fiir seinen weiteren Weg dankt, weil er in der Stadt so gewaltet habe, dass sie nicht zu dem Gefiihl kam, unter der Herrschaft eines Feindes zu sein. Die bewunderungswiirdige Organisation des gesamten deutschen Sanitats- und Verpflegungswesens ware ein besserer Gegenstand der Betrachtung als die Berichte geschlagener, enttauschter und erbitterter Feinde iiber Greuel, die jede ehrliche Untersuchung als nicht geschehen erweist. Der Geist der deutschen Kriegfiihrung ist der Geist der dis- ziplinierten und systematisierten Menschlichkeit und Mannlichkeit. Deutschland hat ein reines Gewissen. — 23 Versuche, den deutschen Namen vor den Volkern anzuschwarzen, wie sie in dem Gerede von den deutschen Scheusslichkeiten gemacht werden, brechen in ihrer eigenen Lacherlichkeit binnen kurzem zusammen. Es steht ganz anders mit dem Anwurf des deutschen Militarismus. Dies ist ein diabolisch geschickt ersonnenes Manover, welches Deutschland in seinem innersten Lebensprinzip dem Hass der Volker ausliefern soil. Es soil eine Kluft befestigt werden zwischen den Volkern des Fortschritts, der Demokratie und der Freiheit und dem Volk der militarischen Kaste mit ihrer Brutalitat. Die Absicht ist offenbar, und diese Absicht macht den Streit um den deutschen Militarismus zum Streit um Wesen und Recht der moralischen Volkspersonlichkeit Deutschlands. Wie lasst sich doch so viel dumpfe Abneigung beschworen durch ein dunkles Wort! Und welch ein Mut gehort dazu, diese Abneigung zu wecken und zu schiiren unter Nichtachtung der offenbarsten Tatsachen. Der deutsche Militarismus soil erscheinen als die bestandige Bedrohung des Weltfriedens. Dabei halt aber Deutschland den Rekord fiir langen und dauernden Frieden. Vermuthch nie in der Geschichte hat ein gleich machtiges Reich gleich lange den Frieden gehalten. Vierundvierzig Jahre einer ununterbrochenen Friedenszeit ! In derselben Zeit hatte England Krieg iiber Krieg und darunter den Burenkrieg, Russland Krieg iiber Krieg und darunter die Kriege mit der Tiirkei und Japan, und Frankreich baute in bestandigen Kriegen sein grossartiges Kolonialreich auf. In den 96 Jahren von 1800 bis 1895, also noch vor dem russisch-japanischen Kriege und dem Burenkriege, hat Deutschland in 11 Jahren Krieg gehabt, England in 19, Russland in 20, Frankreich in 21. Unter alien Volkern Europas hat Deutschland sich als das friedlichste erwiesen. Selbst Spanien hat 13 Kriegsjahre, — Deutschland weist positiv die geringste Ziffer auf. Die deutsche Militarmacht soil — so sagt man oder will man fiirchten lassen — als ewig drohende Waffe der deutschen Gier nach neuem Lande und neuen Untertanen zu Diensten sein. Denn Deutschland mit der gewaltig wachsenden Bevolkerung miisse itberfliessen iiber seine engen Grenzen und sei darum mit seiner furchtbaren Kriegsriistung der ewige Ursprung der Unruhe in Europa. Dabei hat seit 1871 Frankreich drei Millionen Quadratmeilen neu erworben, England drei Millionen zwei- hundert Tausend und Deutschland eine Million einhundert tausend. Die deutsche Erwerbung macht kaum mehr als ein Drittel der franzosischen oder englischen aus. Frankreich erwarb in derselben Zeit an neuen Un- tertanen 60 Millionen Seelen, England 95 Millionen, Deutschland 13 Millionen, — etwa ein Fiinftel der franzosischen Neuerwerbung, nicht ein Siebentel der englischen. Und Deutschland ist an Quadratmeilen wie an Bevolkerung grosser als Frankreich oder England. Und von seinem Gewinn ist das meiste tropisches Land, unverwendbar fiir europaische Siedler. Wahr ist, dass England jede starkere koloniale Ausbreitung Deutschlands verhinderte und verhindern will. Unwahr ist, dass die deutsche Unruhe und Begierde nach neuen Erwerbungen Europa nicht zur Ruhe kommen lasse, da sie mit der franzosischen und der englischen an Starke ja nicht einmal zu vergleichen ist. Der deutsche Militarismus wird auch gern fiir ein Geschwiir angesehen, das an dem deutschen Volks- korper saugt, da die ungeheuren Kosten jede freiere Entfaltung der nationalen Arbeit unmoglich machten. Nun ist aber unter den grossen 24 Heeren Europas die deutsche Armee die bilHgste. Fiir nationale Riistun- gen verwendet jahrlich Frankreich 311,002,900 Dollars, Russland 440,- 300,000, England 448,440,000, Deutschland aber nur 294,390,000 Dollars. Auf den Kopf der Bevolkerung sind es in Deutschland 16 Mark, in Frankreich 20, in England 29. Die neuesten Zahlen, die gegeben werden, sind 22 fiir Deutschland, 32 fiir England. Die Kritiker also, die dem deutschen Volke freundlichst die hohen Kosten sparen mochten, soUten mit ihren Ratschlagen und ihrer Vorsorge sich lieber an die anderen grossen Nationen Europas wenden. Der Militarismus soil ein Hemmnis sein fiir die Arbeit der Zivilisa- tion. Sonderbar, dass die Deutschen selber nichts davon bemerken. Der nationale Wohlstand hat sich in Deutschland mit dem Militarismus seit 1871 verdreifacht, wahrend die Volkszahl nur von 40 Millionen auf 65 oder 68 Millionen gewachsen ist. Der deutsche Handel hat sich ver- fiinffacht. Im Jahre 1870 betrug er eine Milliarde Dollars, jetzt macht er 5 Milliarden aus. In der gleichen Zeit stieg der englische Handel nur von 2y2 Milliarden auf 5^ Milliarden. Damals stand der deutsche Handel zum englischen im Verhaltnis von 1 zu 2J^, jetzt steht er im Verhaltnis von 5 zu 5^. So nahe ist der deutsche dem englischen auf den Fersen. Hinc illae lacrimae ! In Deutschland ist die soziale Arbeit, die Arbeit fiir die Gesundheit des Volkskorpers, in unendlich viel starke- reni Verhaltnis gestiegen als die Arbeit fiir das Heer. Wir geben im Jahre 250 Millionen Dollars fiir unsere soziale Gesetzgebung, fiir die Versiche- rung unserer Arbeiter, aus, — fast den gleichen Betrag wie fiir die nationale Riistung. Der Militarismus hemmt also in keiner Weise die grossartigste schopferische Arbeit fiir das Wohl des Volkes. Im Gegen- teil, die beiden stehen in Wechselwirkung zu einander. Und die Ausgabe fiir die Riistungen, die immer noch die geringste unter den grossen Volkern Europas ist, bedeutet nichts als eine genau und sparsam be- messene Versicherungspramie fiir den enorm gesteigerten Wert der nationalen Arbeit und der nationalen Giiter. Jede Nation zahlt diese Priimie entsprechend ihrer Schatzung der Gefahr. Wenn aber sonderbare Leute dem deutschen Heere seine wunderbare Bereitschaft zum Vorwurf machen, so heisst das, dass sie es fiir eine Tugend halten wiirden, w^enn die grossen Kosten lieber aufgewendet wiirden fiir eine schlechte Armee als fiir eine gute. Denn eine Armee, die nicht bcreit ist, ist eine schlechte Armee und die argste aller Verschwendungen. Deutschland war so bereit wie jetzt in all den 44 Jahren und hat doch die ganze Zeit den Frieden gehalten. Es war sogar gerade in diesem Augenblick des Kriegsaus- iaruchs nicht in volliger Bereitschaft ; denn die Ausriistung mit den 42 cm Morsern war noch nicht vollendet und die neue Heeresvorlage noch nicht vollig durchgefiihrt. Das Army and Navy Journal, das Blatt der ameri- kanischen dffiziere, urteilt iiber diese Dinge mit mehr Sachverstandnis als die gedankenlosen Spazierganger auf der Strasse und stellt den deutschen Militarismus in seinen beiden wesenbildenden Ziigen, der all- gemeinen Dienstpflicht und der klassischen Bereitschaft, den Vereinigten Staaten als ein Vorbild auf. Und wo ware das Gebiet der Kulturarbeit, in dem Deutschland hinter den fortgeschrittensten Nationen der Erde zuriickbliebe ? In Reli.^ion und Phiiosophie, in Kunst und Dichtung, in Wissenschaft und ange- 25 wandter Wissenschaft geht es an der Seite der hochst entwickelten Volker. Vielleicht erhalt das militarische System einen letzten Rest eines gewissen Privilegierten- und Kastengeistes. Aber das sind allerletzte kleine Ueber- bleibsel, die die Schattenseite unseres Gesellschaftszustandes bilden, so wie jeder Gesellschaftszustand seine eigentiimliche Schattenseite besitzt. Diese letzten Ueberbleibsel verschwinden in diesem Kriege. Er demo- kratisiert unaufhaltsam unser Heer und vollendet damit die allgemeine Demokratisierung unseres ganzen Lebens. Wer die Angriffe gegen den deutschen Militarismus hort, soUte zu der Meinung kommen, als ob es nur in Deutschland Militarismus gabe. Aber Frankreich ist ein viel militaristischeres Land als Deutschland. Frankreich hat 40 Millionen Einwohner, Deutschland hat 68 Millionen, und doch ist das franzosische Heer so stark wie das deutsche. Frankreich hat die dreijahrige Dienstzeit fi-ir alle seine Sohne, wozu es sich unter rus- sischem Druck entschliessen musste ; wir Deutsche, die wir unser Geschick und unsere Riistung selbst bestimmen, haben die zweijahrige Dienstzeit und fiir die hoher Gebildeten die einjahrige. Wenn es aber um die Gefahr- lichkeit des Militarismus sich handelt, so gibt es auf dem Lande keine fiirchterlichere Gefahr als den russischen Militarismus. Russland ist immer im Kriege und muss es sein. Denn der russische Genius entbehrt der Gabe der inneren Organisation. Hatte er sie, so hatte er eine herrliche Aufgabe zu erfiillen : den Hunderten von Millionen russischer Bauern, rein mensch- lich gesprochen vielleicht dem besten Volk der Erde, ein menschliches Leben zu schaffen. Er kann es nicht. Darum ist er bestandig in kriege- rischer Bewegung abwechselnd nach dem fernen und nach dem nahen Osten. So bald er stille hielte, ware Revolution in Russland und wiirde heute sein, wenn es nicht in diesen Krieg sich gestiirzt hatte. Russische Siege aber bedeuten die Russifizierung und das Niedertreten aller Volker- freiheit. Polen und Finland sprechen eine deutliche Sprache. Bei weitem der gefahrlichste aller Militarismen aber ist der englische, der, weil er Militarismus zur See ist, besser Navalismus genannt wird. Denn cr bedeutet den englischen Anspruch auf Weltherrschaft auf den Meeren. Dies halt der Englander fiir seine gottliche Aufgabe, die Meere zu be- herrschen, auf dass die Reichtiimer des Welthandels moglichst ungestort und moglichst ungeteilt in englische Taschen fliessen. England vernichtet aus dem Bewusstsein dieser seiner gottlichen Sendung heraus erbarmungs- los jede Flotte, die ihm ein Nebenbuhler und eine Gefahr wird. Die Epochen der neueren Geschichte Englands sind bezeichnet durch die Zerstorung der rivalisierenden Flotten. Im sechzehnten Jahrhundert zer- storten sie die spanische Flotte, im siebzehnten die hollandische, im acht- zehnten die franzosische. Das neunzehnte Jahrhundert leiteten sie ein, indem sie im Jahre 1807 im tiefsten Frieden in den Hafen von Kopenhagen einfuhren, die offene Stadt drei Tage lang bombardierten und die danische Flotte ins Schlepptau nahmen und zu einem Teil der englischen Flotte machten. Wahrend des amerikanischen Biirgerkrieges fegten sie die Handelsmarine der Union von den Meeren, — ein Schlag, von dem sich Amerika bis heute nicht erholt hat. Sie schlossen das Jahrhundert, wie sie es begonnen, indem sie im Jahre 1883 im tiefsten Frieden unter den nichtigsten Vorwanden Alexandria beschossen und Egypten nahmen. Nie aber stand England einem gleich grossen Gegner wie Deutschland 26 g-egeniiber, dessen Flotte und Handelsflotte mit jedem Jahre mehr zu wirklichen Nebenbuhlern wiirden. Professor Cramb, in der meisterlichen Flugschrift "Germany and England," hat es ausgesprochen : "Deutschland ist der grosste Gegner, den England je gehabt, — nicht nur an kriege- rischer Starke, sondern an Seele, Charakter und Bildung." Die Englander handeln ganz im Einklang mit allem Geiste ihrer Geschichte. wenn sie das zwanzigste Jahrhundert mit der Zerstorung der deutschen Flotte zu begin- nen suchen. Auch in dem Wege ihrer Politik bleiben sie diesem Geiste ihrer Geschichte treu : sie lassen die europaischen Volker fur sich in den Krieg Ziehen, um die deutsche Macht zu Lande zu binden und zu erschopfen und dann dem verblutenden Gegner die Flotte zu entreissen. Es gilt den alten Gedanken und den Kampf um die Existenz des englischen Welt- reichs, wie sie es nun verstehen, — die AJleinherrschaft auf den Meeren. Die Frage ist : ob die Volker wirklich diesen alten englischen Anspruch noch langer dulden wollen. Unvergessen ist die Stelle der Saturday Review von 1897: "If Germanv v/ere extinguished tomorrow, the day after tomorrow there is no Englishman in the world, who would not be richer. Nations have fought for years over a city or a right of succession. Must they not fight over 250 million pounds of yearly com- merce?" Freilich selbst Winston Churchill wiirde heute den Satz nicht mehr schreiben konnen, mit dem die Stelle schliesst : "England is the only one power who can fight Germanv without tremendous risk and without doubt for the issue." Die gleiche Gesinnung ist unverandert geblieben bis heute. Der "Engineer," das leitende Blatt der englischen Industrie, hat den Sinn des gegenwartigen Krieges mit der gleichen Deut- lichkeit ausgesprochen. Er sieht ihn in "the problem of securing a large proportion of trade hitherto carried on by Germany." Hierzu giebt es einen sicheren Weg. "It is a ruthless way, but eminently simple. It is the deliberate and organized destruction of the plant and equipment of German industry in general, and in that organized destruction the frre?t iron and steel works of the Fatherland would have to share. The occupation of German territory by the allied troops should be accompanied bv the destruction of all the laree industries within the sphere of occupation." Hier sehen wir Ziel und Sinn des britischen Navalismus als des grossten Zerstorers von Volkerfrieden auf Erden. Dagegen ist der deutsche Militarismus nicht als Mittel zum Zweck einer deutschen Weltherrschaft gedacht. Die Englander schliessen von sich auf andere, wenn sie ihn einer solchen Absicht verdachtigen. Er ist ein reines Mittel der Selbstverteidigung und wird zur Notwendigkeit wegen der geographischen Lage Deutschlands. Amerikaner konnen dies wieder nicht unmittelbar verstehen, denn man versteht nur, was man lebt. Und Gott gab Amerika eine Lage, die ahnliche Not ausschliesst; er gab ihm seine beiden natiirlichen Verbiindeten, dergleichen keine andere Macht besitzt im Atlantischen und im Stillen Ozean. Aber man denke sich den Tag gekommen, an dem Canada eine Macht ware von 200 Millionen Menschen und mit einem eigenen national'en Willen, Siidamerika eine einzige grosse lateinische Republik auch mit eigenem nationalen Willen. Japan Herr auf dem Stillen Ozean mit einer machtigen Flotte und dann etwa noch Mexico, gleich Serbien, ein kleiner Rauberstaat, der nicht nur 27 bestandig seine Morder gegen die Prasidenten schickte, sondern auch die Union zerstiickeln und die siidlichen Staaten wieder zu Mexico heriibcr- nehmen wollte — an diesem Tag wiirde jeder Amerikaner Soldat sein und seine Flinte nehmen, um zn kampfen fiir den Gedanken der ameri- kanischen Zivilisation und Freilieit. Nun — dies ist ganz genau die deutsche Lage. So ist Deutschland auf alien Seiten umgeben von machti- gen Feinden. Es muss stark sein und ist nicht um einen Gran starker, als es seine Lage verlangt, weil es seine Unabhangigkeit und sein Leben nur sich selbst verdanken will und nicht einem vorgeblichen Wohlwollen anderer Machte, das es nun einmal unter den Volkern nicht gibt. Deutschland ist zu Lande bei weitem nicht in demselben Verhaltnis zu seinen Nachbaren geriistet wie England zur See. Es hat nie, wie England fiir seine Flotte, fiir das deutsche Heer den Anspruch erhoben. dass es so stark sein solle wie die beiden nachststarken Heere zusammen genommen. Wenn nun aber England bei dieser offenbaren Sachlage nur gerade den deutschen Militarisnius als den Todfeind der Zivilization bezeichnet, den Militarismus gerechter Selbstverteidigung, dagegcn die Militarismen, die fiir Weltherrschaft zu Land und See ar- beiten, die Militarismen der Zerstorung, den russischen und den englischen, ruhig gelten I'asst, so erklart sich das aus der insularen Intelligenz der Briten. Vermutlich kommt der Englander nie ganz zu der Ueberzeugung, dass die Volker, die paradoxerweise jenseits des Kanals und der Meere leben, auch wirklich Menschen sind. Es gibt nur eine Art Mensch, das ist der Englander. Gott will die Herrschaft dieser Auserwahlten iiber Meere und Welt. Darum ist das gottwohlgefallig, was Englands Vorteil fordert. Das aber ist gottverhasst, was Englands Vorteil bedroht. Der russische, franzosische, englische Militarismus sind in diesem Augenblick England niitzlich, also sind sie gut und gottwohlgefallig. Der deutsche Militarismus ist schadlich fiir England, also hasst ihn Gott, und er ist schlecht. Eigentlich meinen sie die deutsche Macht, die sie zerstoren miissen, um weiter ungestort Herr zu sein iiber die Reichtiimer der Welt. Aber bier iiben sie wieder die englische Gabe ! Sie lassen jeden Kampf, der fiir ihren Vorteil geschieht, erscheinen als einen Kampf um eine Idee im Namen der hoheren Moral. So setzen sie statt der deutschen Macht lieber den deutschen Militarismus und streiten nun, wo es in Wahrheit nur ihren Vorteil gilt, angeblich im Namen der Zivilisation gegen ein hoses Prinzip. Geht man nun aber auf die wirkliche Tiefe der Erase ein, so ist es vollig wahr, dass der deutsche Militarisnius innig zusammenhangt mit dem innerstcn Prinzip des deutschen Lebens, nur in einem vollig anderen Sinne, als es die offentliche Meinung Englands ausdeutet. Man erkennt aufs neue, dass Deutschland fiir die anderen Volker schwer zu verstehen ist. Die Auseinandersetzung wird an dieser Stelle wirklich eine solche zwischen dem deutschen und dem englischen Ideal. Die allgemeine Dienstpfiicht, welche besser das allgemeine Dienstrecht heissen sollte, . 'vurde den Deutschen gegebcn als bochster Ausdruck der Biirgersinnung. Sie ist das wertvollste Stiick deutscher Demokratie. Als das winzige Preussen unter dem Favistschlag Napoleons I. auf dem Boden lag, schuf es seinen Staat neu, indem es die Untertanen zu freien Biirgern machte und die Verantwortung fiir den Staat auf diese legte. Es machte aus den Leibeigenen freie Bauern auf der eigenen Scholle. Es befreite die biir- gerliche Arbeit von mittelalterlichen Banden. Es gab dem Manne das hochste Recht, mit den Waffen eintreten zu diirfen fiir das bedrohte Vaterland und, wenn es notig ware, dafiir zu fallen und zu sterben. Es stellte unter diese hochste Gesinnung des Opfermutes alle Glieder des Volkes ohne Ausnahnie. Im Heere dient der Edelmann Schulter an Schulter mit dem Bauer, dem Arbeiter, dem Burger und steht unter der gleichen Strenge der Pflichten. Dies ist die Gleichheit aller, die den deutschen Gedanken der Demokratie begriindet, die Gleichheit der Pflich- ten fiir das Vaterland. So wurde das Volksheer der hochste Ausdruck fiir den Gedanken, der der Grundgedanke des staatlich geeinten Deutsch- tums ist: dass alle mit ihrem ganzen Leben dem grossen Ganzen ange- horen, und dass das Leben des Einzelnen erst seinen Sinn bekommt, indem es zum freien Dienste gevveiht wird fiir Herrlichkeit und Leben der Nation. Es ist eine boshafte Missdeutung, wenn die Gegner dies in die Formel pressen : in England und Amerika sei der Staat fiir das Volk da, in Deutschland dagegen das Volk fiir den Staat, wobei der Nebensinn erweckt werden soil, als werde der Mensch in Deutschland ohne Riick- sicht auf sein eigenes Wiinschen und Wollen den aufgezwungenen Zwecken der Staatsmaschine geopfert. Nur so viel ist wahr, das indivi- duelle Gliick erscheint uns ein sehr geringes und oft verachtliches Ziel. Das einzig wahre Gliick liegt in dem Wachsen der Volksgemeinschaft an den herrlichen Giitern des Friedens, an Bildung, Freiheit, Wohlstand, Gesundheit des Gesellschaftskorpers und jener Ehre, die der Vollkommen- heit in der Losung der grossen menschheitlichen Aufgaben folgt. Die Erfiillung der Pflichten gegen die Gesamtheit scheint uns die einzige Quelle wahren und berechtigten GliJckes. In Wahrheit hat ja der deutsche Staat zuerst und am entschiedensten und fiihrend die Aufgaben auf sich genommen, in denen er zeigt, dass er fiir das Volk da ist, die Aufgaben der sozialen Gesetzgebung. Und in Wahrheit ist ja Deutsch- land das Land des reichsten und unabhangigsten personlichen Lebens. Wie in den Anfangen der deutschen Geschichte, so ist noch heute die Treue das Prinzip des deutschen Lebens und nicht das Suchen des individuellen Gliicks. Diese Treue, diese Hingabe des ganzen Lebens an die Volksgemeinschaft und ihre Lebensform, den Staat, gibt der deutschen Erhebung jene Kraft, die Deutschland in diesem Kriege uniiberwindlich macht. Diese Treue ist das hohere sittliche Lebensprinzip, dem die Zu- kunft gehort. Das deutsche Volksheer als der wesentliche Trager dieses Gedankens ist fiir das Volk der grosste Lehrer in deutscher Biirgersinnung gewesen. Es ist in Wahrheit die grosste erzieherische Kraft, die in Deutschland wirkt, nicht nur nicht ein Hemmnis der Zivilisation, sondern eine lebendige Kraft fiir Zivilisation und Bildung. Ein Amerikaner hat die deutsche i\rmee die grosste Volksuniversitat auf Erden genannt. Der deutsche Bauern junge tritt ins Pleer und kennt weder seinen Leib noch seinen Geist. Die Armee nimmt ihn und streckt seine Glieder und macht ihn zum Meister iiber seinen Korper. Sie gewohnt ihn an ein Leben in Sauberkeit und Sorgfalt. Sie lehrt ihn alle die niitzlichen Dinge, die zur biirgerlichen Erziehung gehoren. Sie bringt den Mann von Konigsberg nach Strassburg und den Mann von Metz nach Posen und lasst ihn so 29 gut wie umsonst das ganze Deutschland durchreisen. Wenn er das Heer verlasst, weiss er, was Deutschland ist. Aber mehr als das, sie lehrt ihn den Sinn fiir Ordnung und Disziplin, die organisierte Zusammenarbeit und die Unterordnung unter die Idee, — alle die Ziige, die den Burger machen. Er nimmt sie in sein biirgerliches Leben mit, er ist jetzt erst wahrhaft ein niitzlicher Burger. Die Zeit im Heere ist so wenig verloren, dass sie vielmehr als die wahre Kraftquelle des ganzen biirgerlichen Le- bens gelten muss. Kein Deutscher fiihlt den Heeresdienst als einen lastigen Gewaltzwang. Nichts ist in Deutschland so allgemein popular wie die Armee, die grosse Volksschule der Deutschen. Der Aufschwung der deutschen Industrie ist das Staunen der Welt. Woher stammt er? Zunachst von der ausgezeichneten wissenschaftlichen Schulung der Leiter, aber ebenso sehr von der unvergleichlichen Armee der Arbeiter, die in ihre industrielle Arbeit den Sinn fiir Ordnung und Disziplin hineinbringen, den die Armee sie lehrte. Sonderbar zu sagen, aber buchstablich wahr : die sozialistische Bewegung in Deutschland dankt ihre Kraft dem deut- schen Heere. Die Sozialisten bewahren in ihrer Bewegung den Sinn fiir Disziplin, Organisation und Unterwerfung unter die Idee, den die Armee in sie hineingelegt hat. Der entschiedene Wille zur Organisation durch- dringt das ganze deutsche Leben und kommt in der Armee wie in einem Symbol' klassisch zum Ausdruck. Wir leben nicht wie die Amerikaner, wenige Menschen in einem schier unendlichen Lande, unbegrenzte Mog- lichkeit vor uns, sodass die Krafte einfach losgelassen werden, und jeder bleibt sich selbst und seiner Tatkraft iiberlassen. Wir drangen uns in einem engen Raum mit massigen natiirlichen Hiilfsmitteln. Wir haben zu sparen, wo die Amerikaner verschwenden. Wir brauchen die eiserne Disziplin, wo die Amerikaner sich aufs frohlichste gehen lassen. Denn wir miissen aus jeder Kraft das Aeusserste herausholen, damit sie sich in der Enge behaupte. Der Amerikaner mag dem Gliick vertrauen, — bei uns muss alles Verdienst sein. Wir haben alle Lebensmoglichkeit zu erarbeiten, wo der Amerikaner, von der Natur bevorzugt, empfangt und hinnimmt. Dafiir steht dann aber auch im Fall einer Katastrophe wie der jetzigen die gewaltige organisierte Macht da, und das Volk entdeckt seine ungeahnten Krafte. Denn der Enge, in der wir uns auf dem heimischen Boden drangen, entspricht die fiirchterlichere Enge, in der uns die Feinde von alien Seiten umpressen. Der deutsche Militarismus ist die entschlos- sene Zusammenfassung aller Krafte der Nation zur Selbstverteidigung gegen eine Welt von Feinden. Er ist nicht eine Gewaltmaschine dem armen Volk von aussen aufgezwungen. Keinen torichteren Ausdruck gibt es als den von der deutschen Kriegsmaschine. Das deutsche Heer ist nicht eine Maschine, sondern ein wundervoller lebender Organismus, der sich den unerwartetsten Bedingungen in unvergleichlicher Lebens- kraft anpasst, ein Organismus, in dem alle Glieder fehlerlos zusammen- greifen und jedes Glied in unabhangiger Selbstbestimmung in das Ganze hineinpasst. Der deutsche Militarismus ist der nationale Wille selber als Macht organisiert, der Wille der Nation zur Selbstbehauptung durch Geist, Bildung, Wissenschaft und Mut. In Friedenszeiten mag zuweilen das Technische eine lastige Uebersteigerung erfahren. Aber dieser Krieg zeigt : Die ganze Nation steht einmiitig und freudig hinter ihrem Heere. Sie crfreut sich an diesem hochsten Ausdruck der Intelligenz und opfer- 30 willigen Arbeit ihrer eigenen besten Kraftc. Die peinliche Genauigkeit erweist sich als Genialitat hochster lebendiger Zweckmassigkeit. Alles bios Technische wird lebendes Organ in der freiesten Spontaneitat der Krafte. Volk und Heer sind dasselbe. Sie sind der deutsche Gedanke, das deutsche Ideal: die Hingabe aller und jeder Kraft an die Selbstdurch- setzung des deutschen Wesens. Den Englandern muss die ganze sittliche Gesinnung, auf der dieser deutsche Militarismus in seinem wahren Sinne ruht, erstaunlich fremd sein. Sie sehen in der edeln Entschlossenheit, mit der das deutsche Volk fiir die Rettung des Vaterlandes alles opfert, ein seltsames neues Evan- gelium, das alle Deutschen verblendet habe, — ein Evangelium der Kraft- betatigung um jeden Preis. Und um sich das fremdartig bedrohliche Phanomen naher zu bringen, erfinden sie eine neue deutsche Literatur, von der wir Deutsche in diesem Sinn nichts wissen, und dichten uns Lehrer des gesamten deutschen Lebens an in Mannern, die, unter einander unvertraglich, alles andere als massgebende Gestalter der heutigen deutschen Seele sind. Dies kommt in der seltsamen Dreieinigkeit Nietzsche-Treitschke-Bernhardi zum Ausdruck. Bernhardis Buch ist erst durch die unglaubliche Reklame der Englander den meisten Deutschen bekannt geworden, in Deutschland schwerlich in mehr als 6000, in England und Amerika in vielen hunderttausenden von Exemplaren verbreitet. Die Verbreitung des Buches ist nichts als eine englische Kriegsmassregel. Ein alter General im Ruhestande schreibt fiir junge Offiziere tiber den kiinftigen Krieg, um ihr Verstandnis fiir die gewaltigen militarisch- politischen Probleme zu entwickeln. Er beklagt aufs starkste, dass er im schroffsten Gegensatz zur Haltung der Regierung und zur allgemeinen Stimmung des deutschen Volkes schreiben muss. Jede der Maximen, die er als Notwendigkeiten der praktischen Politik betont, scheint wie heraus- geholt aus der Praxis der englischen Geschichte. Es ist das Verfahren, durch welches das englische Weltreich gegriindet wurde, in Theorie ge- bracht. Seine geschichtliche und politische Bildung nimmt er meist aus den Werken von Heinrich von Treitschke, einem jener ganz grossen Universitatslehrer, die durch die Macht einer starken Personlichkeit ihre Horer leiten. Er war der Lehrer des preussisch-deutschen Staatsbe- wusstseins und hatte einen grossen Einfluss in der Epoche, deren ge- schichtliche Aufgabe war, den deutschen Staat zu bauen. Aber fast 20 Jahre sind seit seinem Tode vergangen. Sein grosses Hauptwerk be- handelt in fiinf machtigen Banden 30 Jahre deutscher Geschichte von 1815 bis 1847. Die deutsche Gegenwart lebt zu schnell, als dass ein solches Werk die allgemeine Speise der Geister sein konnte, und sie lebt langst wieder in ganz anderen Richtungen des Gedankens. Und wie kommt Nietzsche in diese seltsame Gesellschaft ? — sicherlich gelegentlich einmal' ein Bewunderer des kriegerischen Lebens und ein Verehrer der riicksichtslosen Geschichtsbildner vom Schlage Napoleons, aber in seinem tiefsten Wesen doch der Denker der rein personlichen Kultur der Seele, der Lehrer der Einsamen, die eine hohere Form des Menschentums in ihrer Inbnmst suchen, der Staatsfremde und Feind des Staats. der lei- denschaftliche Gegner des deutschen Nationalismus. Er riihmt die Kraft, aber nur im Gegensatz zu den schwachenden Einfltissen der modernen Zivilisation, die der Seele die Harte zu nehmen drohen zu einem Leben in 31 Stolz und Eigenart der Persoiilichkeit. Es zeigt, wie sehr in England der anerkannte und vorgeschutzte Codex der allgemeinen Moral' und die naive Praxis des politischen Lebens auseinanderklaffen, wenn die Englander, anstatt sich in Bernhardi zu erkennen, ihn verketzern. Dass sie aber das deutsche Wesen der Hingabe und Volkstreue in jener ver- rohenden Weise sich naher zu bringen suchen als eine Botschaft der brutalen Kraft, das beweist in einem entscheidenden Fall, wie es dem Briten ein fiir alle Mai nicht gegeben ist, fremde Volksart zu verstehen. Jede Unterscheidungsgabe fiir Geister, jede Fahigkeit der Auffassung fiir eine fremde Kultur muss dort fehlen, wo Bernhardi, Nietzsche und Treitschke zusammengeworfen und ausserdem noch zu Heroen des gegen- wartigen Deutschtums gemacht werden. Und wie beleidigend flach wird dabei die Lehre eines jeden aufgefasst. In einem anderen Sinne freil'ich bleibt hier ein Kornchen von Wahrheit. Das deutsche Volk, wie es in diesem Kriege steht, widerlegt sicher die Befiirchtungen Bernhardis und erweist im Falle seiner Notwehr alle die alte Heldengrosse : es hat die schwere Aufgabe der Entscheidungsstunde begriffen und setzt an ihre Eosung alle Kraft. Es gibt ein Bild von einem Heldenvolk grosser als alle Bilder von Treitschke. Selbst Nietzsche wiirde hier einmal' in einer Volksbewegung etwas erblicken, das grosser ist als jede ertraumte Aristokratenwiirde des Einsamen und Einzelnen : ein gauzes Volk in ruhiger Tapferkeit bereit, alles an alles zu setzen um des deutschen Lebens willen, ein Volk, das die ganze Welt des erbarmlichen Behagens mit einem Male hinter sich Hess und in Gefahr und Crosse fiir das Hochste und Letzte lebt und stirbt. Die Darstellunrr, die die Englander von den drei Mannern und ihrer Bedeutung fiir Deutschland gegeben haben, be- weist, welch ein Schicksal der feineren Bildung in der Welt bereitet ware, wenn der englische Geist in ihr herrschend wiirde. — Wenn so vor den klaren Tatsachen der ganze Angriff, den England in der offentlichen Meinung der Welt gegen Deutschland gerichtet hat, zusammenbricht, so gehort doch das Bild dieses er1)itterten Ver- nichtungsfeldzuges gegen die moralische Volkspersonlichkeit des Gegners zu den ausserordentlichsten Schauspielen in aller Menschengeschichte. Mit dem Verstandnis hierfiir sehen wir erst den ganzen grossen und gewaltigen Gegenstand dieses weltgeschichtlichen Kampfes. England mochte die Welt iiberzeugen. dass es den Streit gegen Deutschland fiihrt als die Sache der Zivilisation. Nehmen wir einmal an, Deutschland ware geschlagen. Dann gibt es auf dem europaischen Kontinent eine alles beherrschende A^Tacht, — Russland. Es ist nicht das Russland Tolstoi's und Dostojewskij's, sondern das Russland des Zaren, der Autokratie, der Grossfursten und der Bureaukratie. Dies bedeutet das Ende der west- lichen Freiheit und Zivilisation in Europa. Denn diejenigen, die meinen. Russland werde sich im Siege andern, sind Kinder, wenn sie nicht Ver- brecher sind. Jeder Tag sollte sie eines Bessern belehren. England aber hat dann den machtigsten Nebenbuhler auf der See verloren. Es wird im Frieden den Anspruch behaupten, den es im Kriege erhebt, — dass das englische Weltreich drei Meilen von jeder Kiiste entfernt beginnt. Es wird seine Politik fortsetzen, die auf den Besitz jeder wichtigen Ozean- durchfahrt gerichtet ist. Der Bosporus und der Panamakanal sind noch iibrig. Es wird sich auf die Zerstorung der nachsten Flotte vorbereiten, 32 die mit der Anmassung selbstandiger Geltung emporwachst. Es wird vermutlich die wunderbare Herrschaft iiber das Nachrichtenwesen der Welt behaupten und weiter ausbilden, durch die Beherrschung von Milli- arden geduldiger Zeitungsleser die Ehre und den Namen der Nationen machen und zerstoren und all'e Welt nach seinem Egoismus leiten, indem sich naive Gemuter in den andern Landern und besonders in Amerika auch weiterhin in vorgeblicher Unabhangigkeit sonnen. Die Unabhangig- keit der Nationen wird ein leerer Traum sein, den zu erhalten zur Pblitik der englischen Klugheit gehort. Das arme erschopfte Frankreich wird zu selbstandiger Politik die Fahigkeit verloren haben. Der gefahrliche volkerbedrohende Militarismus wird unheimlich gesteigert werden. Denn naher und naher riickt der Tag der letzten grossen Auseinandersetzung, der letzten fiir die alte Welt, der Auseinandersetzung zwischen Russland und England. Die Welt hat die Wahl zwischen englischer Biirgerlichkeit, Respektabilitat und Heuchelei und russischem Barbarentum, Das Gliick des Kramers oder das Gliick des Barbaren ist ihr letztes Ziel. Vielmehr — sie hat nicht die Wahl, sondern in eines von beiden wird sie hineinge- zwungen. Lasst aber Deutschland in diesem Kriege siegen ; dann sind Frank- reich, England, Russland von ihren Angriffsgeliisten gegen Deutschland zuriickgebracht fiir immer. Es ist alsoi Friede in Europa. Es folgt fiir Deutschland die Moglichkeit zu einer glanzenden Entwicklung der deiit- schen Freiheit. Denn die ewige Drohung der feindlichen Ueberfalle verschwindet. Die Entwicklung der deutschen Demokratie, der das letzte Jahrzehnt in Deutschland gehorte, kann zur Vollendung kommen. Die militaristische Spannung in Europa wird gelindert, genau in dem Verhaltnis, in dem die Unmoglichkeit den Volkern deutlich geworden ist, Deutschland zu vernichten. Der Anspruch Russlands auf Weltherrschaft ist niedergebrochen. Der englische Anspruch aiif Weltherrschaft findet den unbesieglichen Widerstand an der deutschen Flotte. Auf dem euro- paischen Kontinent gibt es einen aufrichtigen Freund Amerikas. Denn die deutsche Flotte zusammen mit der amerikanischen Flotte halt der englischen das ebenbiirtige Gegengewicht. Die Zeit der Weltreiche ist voriiber. Die Zeit der unabhangigen, starken, freien Volker beginnt. Nun ist die Moglichkeit geschaffen fiir die Entwicklung neuer Lebens- formen, in denen die freien Volker friedlich und einheitl'ich zusammen- arbeiten fiir die gemeinsamen Ziele der Menschheit. Solche Lebens- formen sind unmoglich, solange das Gesetz auf dem Ozean durch eine Macht, durch England, beliebig gemacht und aufgehoben wird. Der deutsche Sieg zwingt die Volker, umzulernen iiber so viele blindlings angenommene Vorstellungen. Ein unabhangiges Nachrichtenwesen wird eine Notwendigkeit. An die Stelle einer Welt, deren Denken uber offent- liche Dinge abhangig war von England, ohne dass sie es wusste, und die bestandig geleitet wurde im Sinne der englischen Interessen, mag eine Welt der Wahrheit, des unabhangigen Urteils und der Selbstbestimmung treten. Deutschland will kein deutsches Weltreich. Es will allein sein Recht auf Dasein behaupten. Jeder Konflikt zwischen Deutschland und Amerika ist ausgeschlossen. Deutschland fiihrt diesen Kampf fiir die Unabhangig- keit der Volker und fiir die Freiheit der Meere. Der deutsche Kampf 33 in diesem Kriege geschieht fiir diese Ideen der Unabhangigkeit und ist daher der Kampf fiir die hochsten Interessen der Zivilisation. Der engli- sche Kampf geschieht fiir das englische Weltreich, der russische fiir rus- sische Weltherrschaft, der franzosische fiir Rache und Wiedergewinn des alien franzosischen Glanzes. Sie alle mochten Deutschland los war- den, das zuletzt kam im Wettbewerb um die Erde und so lastig ist in seiner Tiichtigkeit, und das durch sein blosses Dasein den zerstorenden Planen der Weltmachte im Wege steht. Der deutsche Krieg von 1914-1915 ist die grossartigere Fortsetzung des amerikanischen Unabhangigkeitskrieges. Wie Amerika gegen englische Anmassung dies Stiick Erde zu einem neuen Heim der Freiheit machte, will Deutschland gegen russische und englische Anmassung die Welt zu einem Heim der Freiheit machen. Fiir Deutschland ist dies die entscheidende Stunde seiner ganzen Geschichte. Ob der deutsche Gedanke unter den Volkern leben soil, ist die Frage. Jeder im deutschen Volke weiss es, jeder versteht die heiligen Ziele des Ringens, jeder weiss, dass unsere Sache die Sache der Menschheit und Zivilisation selber ist. Daher die grenzenlose Hingabe aller, daher die ruhige Zuversicht in jeder deutschen Seele, dass Deutschland siegen wird. Kein Zweifel daran hat bisher die Deutschen beriihrt und hat sie beriihren brauchen. In diesem Augenblick wissen Russen und Franzosen genau, dass sie Deutschland nicht besiegen konnen. Die englische Flotte sollte die unsere am ersten Tage des Krieges vernichten. In Wahrheit hat sie bis zu diesem Tage etwa dreimal soviel verloren wie die deutsche, die in voller Starke fiir den entscheidenden Tag bereit ist. Kaum hatte der Lord der Admiralitat Winston Churchill gesagt : Die Meere sind f rei, so liess er die englischen Schiflfe unter amerikanischer Flagge ausfahren. Die englische Flotte ist nicht mehr imstande, die englische Flagge zu be- schutzen. An eine Aushungerung Deutschlands ist nicht zu denken ; das deutsche okonomische Leben ist gesiinder als das der anderen kriegfiih- renden Nationen. Die deutsche Zuversicht ruht auf einem guten Grunde. Nie gab es eine bessere Sache, nie gab es in einem Kriege ein reineres Gewissen. Der Sieg Deutschlands ist das Interesse der unabhangigen Volker. Er ist das Interesse der Zivilisation und das Interesse Amerikas. 34 NACHSCHRIFT. Der Gedankengang der vorhergehenden Arbeit soil unverandert fiir sich bestehen bleiben. Die Lage ist aber gegenwartig eine so besondere geworden, dass ein kurzes Wort als Anhang notwendig scheint. Der Zwischenfall der Lusitania hat die Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Amerika unmittelbar zu einem Ereignis in der Kriegsgeschichte der Zeit gemacht. Die Erorterung uber "Deutschland, Amerika und der Krieg" betrifft nicht mehr allein die Verstandigung iiber die Probleme der Kriegslage, iiber Kriegsanfang, Belgien, deutsche Grausamkeiten und deutschen Militarismus, son- dern Amerika steht Deutschland gegeniiber mit ausgesprochenen Forderungen, die den ersten Krieg zwischen Amerika und Deutsch- land zur Folge haben konnten. Bisher hatte mit mehr Recht als den hundertjahrigen Frieden mit England, das doch im Biirgerkriege gegen Amerika durchaus Kriegspartei war, Amerika den ewigen Frieden mit Deutschland feiern konnen. Die Auseinandersetzung ergab sich als eine notwendige Folge aus Amerikas eigenartiger Neutralitat. Dies Land als ein Staat ist neutral und betet sogar um Frieden. Aber dies Land als Gesellschaft tut alles, was in seinen Kraften steht, um den Krieg zu verlangern. Ungezahlte Massen von Kriegsmaterial gehen fortgesetzt uber den Ozean. Sie alle kommen ausschliesslich in die Hande der Alliierten. Unzweifelhaft geschieht dies nicht aus iiblem Willen gegen Deutsch- land. Die geographische Lage der Lander, die Verteilung der Macht auf dem Ozean bedingen es, dass diese Hiilfe allein den Feinden Deutschlands zu gute kommt. Aber die Tatsache bleibt deswegen genau dieselbe : Deutschland wird durch Amerika fortwahrend um die Frlichte seiner Siege gebracht. Taglich fallen Hunderte und Tau- sende von Sohnen deutscher Miitter, von Gatten deutscher Frauen durch amerikanische Waffen. Der Krieg ware vermutlich langst zu Ende, wenn nicht Amerika die Fortsetzung ins Ungemessene ermog- lichte. Die Waffenausfuhr aus Amerika ist zu einem bestimmenden und wesentlichen Faktor geworden, der den Krieg in die Lange zieht. Dass hier etwas legal Erlaubtes geschieht bezweifelt niemand. Aber selten gab es einen Fall, in dem Legalitat und Moralitat in einem so klaren Gegensatze standen. Amerika hat es so oft als das sittliche Princip des Amerikanismus bezeichnet, dass hier auf dem Grunde einer reineren Menschlichkeit neue Methoden des Verkehrs von Volk zu Volk Platz greifen sollten an Stelle der alten Weise der Gewinnsucht, der Gewalttat, der Arglist. Amerika wollte die Vor- macht einer neuen Menschheit des Friedens und Wohlgefallens auf Erden sein. Viele werden meinen, dass die sittliche Idee Amerikas in dem ersten Falle wirklicher Erprobung versagt hat und, was das Schmerzlichste ist, versagt hat vor den kommerziellen Interessen, Nicht die Sittlichkeit sondern das Geschaft hat den Ausschlag ge- geben. Nicht die sittliche Idee, sondern die Geldmachte haben den 35 Weg des Landes in der entscheidenden Krisis der neueren Geschichte bestimmt. Die Waffenausfuhr Deutschlands war niemals eine Partei- nahme fiir eine von zwei kriegfiihrenden Machten. Amerika allein erhalt den Feinden Deutschlands ihre Widerstandskraft und verzogert den deutschen Sieg. Die logische Folge dieser vom amerikanischen Handel geschaffe- nen Lage ist, dass Deutschland nicht nur berechtigt sondern ver- pflichtet ist zur Anwendung aller Mittel, die die Ankunft der amerika- nischen Waffen bei den Feinden verhindern. Die Feinde selber ver- kiinden es ja vor aller Welt: Der Ausgang des Krieges hangt ab von der Beschaffung der geniigenden Munition, mehr selbst als von der Zahl der Menschen und Krieger und von der Ueberlegenheit der Fiihrung. Also ist es die erste und vornehmlichste, die notwendigste aller Aufgaben : die Ankunft der Waffen bei den Feinden mit alien Kraften unmoglich zu machen. Wenn Deutschland dies versaumte, wiirde es zum Verrater am eigenen Volke, ja auch zum Verrater an der Menschheit. Denn dies ist das wesentliche Mittel, den Krieg zu einem schnellen Ende zu bringen. Wenn Amerika ihn durch die Aus- fuhr von Waffen verlangert, muss Deutschland versuchen, ihn durch die Versenkung dieser Ausfuhr im Meere zu kiirzen. Der Sieg Deutschlands, die Rettung Deutschlands hangen hiervon mehr als von irgend etwas anderem ab. Die einzige Waffe, die Deutschland zu dieser seiner Rettung besitzt, ist das Unterseeboot. England hat grundsatzlich den Befehl an die Handelsschifife ausgegeben,, jedes deutsche Unterseeboot zu rammen und zu versenken. Es zahlt den Schififen, denen das gelingt, besondere Preise. Es ist unwidersprochen geblieben, dass es sogar neutrale Schiffe gezwungen hat oder zwingen wollte, sich zu einem solchen Zweck zu bewafifnen. Man sagt, dass Deutschlands popularster Unterseebootkapitan Weddigen einer sol- chen verraterischen Gemeinheit zum Opfer gefallen sei. Die alte Bestimmung des Volkerrechtes, die in Zeiten geschafifen wurde, in denen es keine Unterseeboote gab, ist hiernach unanwendbar gewor- den und durch die gegenwartige Entwicklung von Schiffahrt und Kriegfiihrung veraltet ; es wird zur volligen Unmoglichkeit, das Schiff, das die Waffen tragt, erst zu durchsuchen. Jene Bestimmung beruhte auf der Voraussetzung, dass das Kriegsschiff dem Handels- schiff unter alien Umstanden iiberlegen ist und letzteres durchaus in seiner Gewalt hat. Diese Voraussetzung trifft fiir das Unterseeboot nicht zu, und somit ist fiir das Volkerrecht eine vollig neue Lage ge- schaffen. Deutschland ist im Kriege gegen England an die veraltete Bestimmung um so weniger gebunden, da England durch seine Blockade gegen die Lebensmittelzufuhr nach Deutschland die am allge- meinsten anerkannten Grundsatze des Volkerrechts durch Gewalttat aufgehoben hat. Es hat auch hier wieder deutlich bekundet, dass nach englischem Begriff das Recht auf dem Meere soweit geht wie die Macht. Es hat daher Deutschland zu einem gleichen Verfahren ge- zwungen und auf denselben Boden des Naturrechts gedrangt. Es ahnte freilich nicht, dass in dem Unterseeboot die Axt an die Wurzel des einst so stolzen Baumes, der englischen Seeherrschaft, gelegt war. Das ein- zige, was Deutschland tun konnte, um Unbeteiligte zu retten, hat es getan und in ausgiebigem Masse : es hat vor der Benutzung der waffen- 36 tragenden englischen Schiffe durch Reisende und besonders durch neu- trale Reisende gewarnt. Da der Erfolg des Unterseebootkrieges infolge der amerikanischen Waffenausfuhr entscheidend geworden war fiir den Ausgang des Krieges selber, so war Deutschland einfach unter der Verpflichtung und Notwendigkeit, die Gewalt dieser Waffe und die Entschlossenheit zu ihrer Anwendung riicksichtslos zu erweisen und diejenigen zu widerlegen, die einen Erfolg des Unterseeboots gegen grosse Schiffe fiir unmoglich erklarten. Die Versenkung der Lusitania bedeutet daher vielleicht eine der wichtigsten Taten und einen der wichtigsten Wendepunkte des Krieges. Sind 100 Amerikaner dabei zu Grunde gegangen, so sind Tausende von deutschen Soldaten, fiir wel- che die amerikanischen Kugeln bestimmt waren, gerettet worden. Von Deutschland verlangen, es solle die Schiffe fiir sicher erklaren, auf denen Amerikaner fahren, heisst auf Seite Amerikas, dass es nicht nur fortfahren will, den Feinden Deutschlands Waffen zu liefern, sondern dass es auch die sichere Ablieferung der Waffen bei den Feinden garantieren will. Denn so, wie die Lage fiir die Untersee- bootwaffe jetzt ist, wiirden einige Amerikaner auf jedem solchen Schiffe geniigen, um das Schiff gegen jeden Angriff zu sichern. Im Namen der Menschlichkeit kann eine Forderung hier nicht erhoben werden, hier so wenig wie bei dem Marsch des General Sherman zur See. Dort wie hier ist die auf der Oberflache unmenschliche Mass- regel im tiefsten Grunde menschlich, da sie das Ende des Krieges friiher herbeifiihrt. Von den Deutschen verlangen, sie sollen aus Menschlichkeit die waffenfiihrenden Schiffe schonen, heisst: sie sollen aus Menschlichkeit fiir ein paar hundert leichtsinnige Passagiere hunderttausende von braven Soldaten opfern. Es heisst: sie sollen auf ihren Sieg, sie sollen auf die Rettung Deutschlands verzichten. Die veraltete Bestimmung des Volkerrechts auf Durchsuchung der Schiffe gegen die Deutschen geltend machen heisst aber bei der ein- gestandenen Politik Englands gegen das Unterseeboot garnichts an- deres als : die Schonung jener Schiffe, ihre Sicherheit von ihnen ver- langen; heisst ihnen zumuten, dass sie die sichere Ablieferung der Waffen garantieren sollen, welche die Sohne und mit ihnen zugleich die Hoffnung auf den Sieg Deutschlands zu toten bestimmt sind. England hat seit Beginn des Krieges mit grosser Kunst und Klugheit versucht, Amerika auf seine Seite hiniiberzuziehen. Dass es moralisch sich auf die Seite Englands stelle, war die offenbare Absicht in jenem Kriege der offentlichen Meinung, den unsere kleine Schrift schildert. In Bezug auf die Waffenzufuhr ist ihm mehr ge- lungen : Amerika als Gesellschaft steht durch diese Waffenausfuhr tatsachlich gegen Deutschland im Kriege und ist in ihm der mass- gebende Faktor geworden. England hat verstanden, in der jungen Seele Amerikas die mit einander streitenden Krafte fiir sich auszu- niitzen und hat die minder edlen Krafte der Gewinnsucht iiber die hoheren der sittlichen Idee Amerika triumphieren lassen. Auch im Falle der Lusitania zog es skrupellos Amerika in seinen Krieg hinein: es benutzte das Leben amerikanischer Menschen, um die sichere An- kunft der Waffen zu gewahrleisten. Es rechnete entweder mit dem Er- folg der Massregel oder mit der Erbitterung Amerikas im Falle des Misserfolges als einem noch wertvolleren Erfolge. Der Pressefeldzug 37 in diesem Falle iibertraf an Meisterschaft noch die friiheren. An dem- selben Tage erschienen dunkle Andeutungen iiber die bevorstehende Note des Prasidenten, die noch niemand kannte, aber die Andeutun- gen brachten den gutglaubigen Zeitungsleser zur Siedehitze der Er- regung. Zugleich wurde der Torpedo gegen Dernburg losgeschossen ; zugleich jener schamlose Bericiit iiber angebliche deutsche Greuel in Belgien veroffentlicht, den Bryce sich nicht schamte, mit seinem in Amerika beliebten Namen zu decken; zugleich wurden fijhrende Deutsch-Amerikaner zu einer iiberfliissigen Loyalitatserklarung fiir Amerika veranlasst — alles, als sei der Krieg schon vor der Tiir. Und endlich findet sich wohl gar noch ein sogenannter Gelehrter, ein Pro- fessor, der ein Register erdichteter Todsunden deutscher Kriegfiihrung gegen das Volkerrecht zusammenstellt. So verhiillen sie dem amerika- nischen Geiste die offenbare Tatsache : Dass sie, die Englander, es waren, die das Leben amerikanischer Menschen riicksichtslos ihrem Kriegsinteresse opferten, indem sie sie auf einem solchen Schiffe fahren liessen. Aber dies ist iiberhaupt das Geheimnis jener ganzen eng- lischen Kriegfiihrung in der offentlichen Meinung. Unfahig, irgend eine andere Volksart zu verstehen, behaupten sie all' dasjenige von ihren Feinden, was von ihnen selbst wahr ist. Ihre Verdachtigungen und Angrifife gegen andere werden dadurch zu Bekenntnissen iiber die eigene schone Seele. Wenn sie eine Macht hatten wie die deutsche, wurden sie alle Welt iiberfallen und an sich reissen. Darum klagen sie Deutschland der ruchlosen Eroberungsgeliiste an. Sie gewinnen ihre Siege einstweilen auf dem Papier und suchen, die anderen zu verbliiflFen. Darum erklaren sie den "Blufif" fiir ein wesentliches Mittel der deutschen Kriegfiihrung, jener Kriegfiihrung. die nur zu wenig um den Kampf in den Zeitungen sich gekiimmert hat, und die allein mit den grossen Tatsachen der Waffen im Felde wirkt. Sie haben die belgische Neutralitat aufgehoben und zetern daher gegen den deutschen Neutralitatsbruch. Der Geist der englischen Krieg- fiihrung ist der Geist der systematisierten Unmenschlichkeit ; daher das Wutgeheul iiber die angeblichen deutschen Greuel. Kein Mili- tarismus ist eine fiirchterlichere Gefahr fiir die Volkerfreiheit als der englische Navalismus. Daher eifern sie gegen die Drohung des deut- schen Militarismus. Das Bedenklichste ist, dass sie selbst die Frei- heit des Gedankens riicksichtslos beiseite schieben. Las man doch in den Lusitaniatagen richtige Einschiichterungsversuche. Verfolgt werden sollte, wer hier eine abweichende Meinung ausserte. Wo bleiben Freistaat und Demokratie, wenn die ehrliche, offentliche Er- orterung der brennenden Fragen unterbunden wird? Langsam und sicher vollzieht sich dennoch der Sieg der Wahrheit und des Rechtes. Die fleckenlose Reinheit der deutschen Sache kann dem gerechten Sinn des Amerikaners nicht dauernd verhiillt werden. Auch der nationale Instinkt muss doch endlich in ihm machtig werden und ihm in sonnenklarer Deutlichkeit zeigen, dass der Sieg Deutschlands das wahre Interesse Amerikas ist. Nichts fiirchterlicheres konnte diesern Interesse begegnen als der Sieg des englischen Navalismus und die Vernichtung des einzigen wirklich zu fiirchtenden Gegners, den er in Europa besitzt. Jeder Tag bringt uns dem Siege der deut- schen Wafifen naher. Mit dem russischen Koloss fallt jede Sieges- 38 hoffnung der Alliierten. Auch der Wahnsinn des italienischen Ver- rats kann das Ende nur verzogern. Italien aber hat sich selber um alle seine natiirlichen nationalen Hoffnungen auf die Vormacht im Mittelmeer gebracht. Hat Amerika wirklich kein Auge fiir dies Schauspiel? Auf der einen Seite die beiden nachst Deutschland gross- ten Militarmachte auf Erden und die grosste Flottenmacht der Welt, und ihre ganze Kriegfiihrung ist ein bestandiges Winseln um Hilfe; immer neue Machte opfern sie ihrer Selbstigkeit und suchen sie zu betoren — Belgien, Portugal, Japan, Italien, Rumanien, Bulgarien, Griechenland. Und auch dann noch konnten sie nichts verrichten ohne die amerikanischen Waffen. Und auf der anderen Seite die Central- machte — in ruhiger Kraft und Zuversicht, sich selber genug — in dem dreifachen Riesenkriege gegen die Feinde in Wafifen, gegen die wirt- schaftliche Erdrosselung, gegen die Verleumdung. Auf alien drei Schlachtfeldern werden sie siegen, auf denen der Waflfen, der Wirt- schaft, des Geistes. Neugeboren schon jetzt begehen sie in heroischen Taten den eigentlichen Geburtstag ihres Volkes. Sie kampfen den guten Kampf fiir die Freiheit der Meere, fiir die Freiheit der Volker. Ihr Sieg ist die wahre Hoffnung der Civilisation selber. 39 LIBRARY Uh OUINlaMCOa 015 845 502 A ^