F 229 • L49 Copy 1 John Lederer, der Entdecker des Virginia Valley. Von Dr. CHR. STRACK. (Sonderabdruck aus den Berichten der Deutschen Historischen Gesellschaft f iir den District Columbia. 2. Jahrgang, 2. Heft.) Washington, D. C. Deutsche Historische Geseiaschaft. 1906. John Lederer, der Entclecker des Virginia Valley. Von Dr. CHR. STRACK. (Sonderabdruck aus den Berichten der Deutschen Historischen Gesellschaft fur den District Columbia. 2. Jahrgang, 2. Heft.) Washington, D. C. DEUTSCHE HlSTOKISCHB GKSEIyI,SCHAFT. 1906. Gift The Societ fc /5A*'06 Verehrte Anwesende ! Den neugierigen Blicken der ausschliesslich deut- schen Bevolkerung des jungerstandenen virginischen Dorfchens „Germantown" bot sich am 25. August des Jahres 17 16 ein ungewohnliches Schauspiel. Britische Cavaliere, die zum Teil von weit eutlegeneu Ansied- lungen her sich hier zusammengefunden haben, stehen in kleinen Gruppen beisammen und unterhalten sich lebhaft. Gesattelte Reitpferde stampfen mit frischbe- schlagenen Hufen den Boden. Knechte sind geschaftig, zusammengerollte Zelte, allerhand Geratstiicke, Ballen und wohlgefiillte Mantelsacke auf den Riicken von Packpferden zu befestigen. Miliztruppen sitzen, Befehle erwartend, hoch zu Ross, und, verwundert um sich blickend, kauern halbnackte Indianer am Boden. Da tritt aus einem deutschen Farmerhaus, in dem er genachtigt, ein stattlicher Herr heraus. Er griisst freundlich nach alien Seiten, spricht mit diesem und jenem ein paar Worte und steigt zu Pferde. Auch die ubrigen Edelleute sitzen auf. Ein Trompetensignal ertont. Die ganze Kavalkade, in allem an 50 Personen, setzt sich in Bewegung. — Stellen Sie sich dieses Bild vor und setzen Sie darunter die Unterschrift : „Gouver- neur Spotsvvood von Virginien bricht nach der Blue Ridge auf". Zwei Wochen spater treffen wir dieselbe Gesellschaft jenseits der Blue Ridge wieder. Am rechten Ufer des oberen Shenandoah-Flusses ist ibr Zeltlager aufgeschlagen. Was sich an dem Tage, an welchem Gouverneur Spotswood von hier aus den Ruckmarsch nach Williamsburg, der damaligen Haupt- 28 stadt der Kolonie Virginien, antrat, vor diesen Zelten zutrug, konnen Sie sich am besten aus den Worten eines Augenzeugen vorstellen. John Fontaine, der Abkommling einer franzosischen Hngenottenfamilie, der sich beidieser beriihinten ,, Tramontane Expedition" in Spotswoods Gefolge befand, schreibt in seinem Tage- btich : ,,We had a good dinner and after it we got our men together and loaded all their arms and we drank the kings health in Champagne and fired a volley, the Princesses health in Burgundy and all the rest of the royal family in claret, and a volley. We drank the governors health and fired another volley. We had several sorts of liquor, viz : Virginia red wine and white wine, Irish Usquebaugh, brandy, shrub, two sorts of rum, champagne, canary, cherry, punch, cider, etc." Diesen zwei glanzenden Bildern stelle ich nun zwei unscheinbare altere Bilder gegeniiber. Auf dem einen sehen wir eine anspruchslos aussehende Gesellschaft von 21 Weissen und 5 Indianern, die soeben still unci gerauschlos von einer kleinen Niederlassung an den grossen Fallen des James River, da, wo heute Richmond steht, gleichfalls eine Entdeckungsreise nach dem un- bekannten L,ande jenseits des Gebirges angetreten hat. Die Unterschrift unter diesem Bilde lautet : ,John Lederer auf dem Marsch nach der Blue Ridge." Das andere dieser zwei Bilder versetzt uns an den Siidarm des James River sudlich von dem Punkt, wo dieser sich mit dem Nordarm vereinigt und nicht sehr weit von der Stelle am Oberlauf des Shenandoah, wo 46 Jahre spater Gouverneur Spotswood und sein Gefolge ihr frohliches 29 Champagnermahl einnahmen. Auf diesem Bilde sehen wir kein Hiitescliwenken, keine emporgehaltenen Champagnerkelche. Es ist eine Abschiedsszene, die wir vor uns haben. Im Vordergrund 20 Mann zu Pferde nnd vier Indianer, ofFenbar im BegrifF, anf dem- selben Wege, auf dem sie gekommen, zuriickzukehren ; auf der andern Seite reitet, von einem einzigen zu Fuss einherwandelnden Indianer begleitet, ein einzelner Maun mit ernst nachdenklichem Gesicht in entgegen- gesetzter Richtung davon. Die Unterschrift unter diesem Bilde lautet : ,John Lederer wird am James River jenseits der Blue Ridge von seinen englisehen Reisebegleitern im Stiche gelassen." Von den zwei Bilderpaaren, die ich Ilinen hier vorgefiihrt habe, hangt das erste aus dem Jahre 17 16 stammende seit der Zeit seiner Entstehung vielbewun- dert im Bildersaal der amerikanischen Geschichte in goldglanzenden Rahmen an auffalliger Stelle, das andere lag fast zwei Jahrlmnderte lang vergilbt, beschmutzt, unkenntlich in der Rumpelkammer und ist heute noch nicht vollig wiederhergestellt und an der Stelle aufge- hangt, die ihm gebiihrt. Der Wert von Bildern hangt nicht immer von ihrem farbenfrischen Aussehen, auch nicht von dem Platz ab, der ihnen in einer offentlichen Bilderschau angewiesen wird. Es gibt alte verdunkelte und halb verwitterte Bilder, die nur einer grundlichen Reinigung und Auffrischung von kundiger Hand bediirfen, uin als hoherwertige Kunstwerke erkannt zu werden. Die Hauptfigur auf den beiden alten Bildern, meine 3° werten Zuhorer, ist ein Deutscher. Zwar gehort er niclit in die Geschichte oder vielmehr in die Vorge- scliichte des Districts Columbia, denn er hat das Gebiet des heutigen Districts Columbia wahrscheinlich nie betreten, aber er hat in Virgiuien und in Maryland ge- wohnt, und da unser District aus diesen beiden Staaten herausgeschnitten ist, so werdeu Sie es wohl nicht fur einen allzu kecken Uebergriff unserer Deutschen Historischeu Gesellschaft halten, wenn ich es heute unternehme, das Bild dieses Mamies von dem Staub, der sich daran angesetzt hat, zu reinigen und die schmahlich verkannte Bedeutuug John Lederers in das rechte Licht zu setzen. Ein friiher in Annapolis angestcllter protestan- tischer Geistlicher Pastor J. A. Weishaar ist der Ver- fasser einer Abhandlung, welche untcr dem Titel ,,The German element In Maryland up to the year 1700" im Jahre 1901 im 15. Jahresbericht der ,, Society for the history of the Germans in Maryland" erschien. Es liegt mir fern, diese verdieustvolle Arbeit herabsetzen zu wollen ; aber um mit gutem Gewissen gleich im Ein- gang seiner Abhandlung den Satz aufstellen zu konnen, ,,it is worthy of note, that only in one single instance in the history of Maryland up to 1700 is the nationality of a German expressly mentioned", hatte der Herr Pastor sich doch etwas besser in den Qnellen umsehen miissen. Ich habe mir aus den Archiven von Maryland, die audi Weishaars Hauptquelle gewesen sein miissen, eine lange Liste deutscher Namen aus der zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts ausgezogen und hinter 3 1 wenigstens sechs von diesen den Vermerk gefunden, dass ihre Trager „subjects of the emperor of Germany" oder „lately under the dominion of Germany" lebten. Dies ist audi so in den zwei Stellen der Marylander Archive, in denen wir dem Namen unseres John Lederer begegnen, und darum, weil er diese zwei Stellen iiber- sehen hat, trifft auch Herrn Pastor Weishaar der Vor- wurf, dass er den bedeutendsten Marylander Deutschen des 17. Jahrhunderts unerwahnt gelassen hat. Die erste der zwei noch von niemand beachteten Stellen findet sich im 2. Band der Archive auf Seite 282. Sie belehrt uns, dass in der Friihjahrssitzung der Assembly dem ,,Lord Proprietary" unter anderen Aus- landern John Lederer von Calvert County zur Naturali- sation vorgeschlagen wurde, und hinter dem Namen stent „under the Dominion of the Emperor of Ger- many." Viel wichtiger ist die zweite Stelle (Archiv V, 84), die ich, soweit sie hierher gehort, im Wortlaut anfiihren muss. Charles Calvert, Generalleutnant und Haupt- Gouverneur der Provinz Maryland, macht unter dem Datum des 4. Marz im 39. Jahre der Regierung von Cecilius Calvert etc. und im Jahre des Herrn 1671 Fol- gendes bekannt : „Know ye that whereas John Lederer, a Hamburger born, but now resident in Calvert Co. in the said Province of Maryland, having formerly dis- covered several nations of Indians to the Southwestward of this Province and requesting of me license to trade with them for Beaver and Otter skins and also all other sorts of furs whatsoever that are to be procured amongst 32 the said Indians, these are therefore to license and authorize the said John Lederer to transport out of this province such truck as he shall think most convenient for the trade of the said Indians and also to bring back into the said province all such skins, furs, or other commodities that he shall purchase of " Nun folgen die Namen vou zwolf von Lederer zuerst besuchten Indianervolkersckaften, die fur die Indianer- forschung von ausserordentlicliem Werte sind, uns hier aber nichts angehen. Die Lizens lautete auf 14 Jahre. Die allgemeine Angabe, dass Lederer, der im Jahre 1 67 1 in Calvert County, Md., wohnte, aus Deutschland stammte, erhiilt hier die bestimmtere Fassung, dass er ein geborener Hamburger war. Sicherlich ist diese Nachricht zuverlassiger, als die einer mir unbekannten Quelle eutnommene Bemerkung des deutschamerikani- schen Geschichtsschreibers und Herausgebers des schon lange nicht mehr erscheinenden ,,Pioniers", der Lederer einen ,,Sohn der Alpen" nannte. (Pionier Bd. 8 p. 400.) Die wichtigste Nachricht von Lederer, die wir den beiden angezogenen Stellen entnehmen, ist in den Worten enthalten, ,, having formerly discovered several nations of Indians". Allein, was konnten wir mit dieser mageren Angabe anfangen, wenn wir iiber diese Ent- deckungen Lederers nicht dessen eigene Aufzeich- uungen besassen ? Der bescheideue deutsche Gelehrte hatte diese von ihm lateinisch uiedergeschriebenen Auf- zeichnungen nicht fiir den Druck bestimmt. Ein Gliick fiir die Wissenschaft aber ist es, dass sie gegen seinen Wunsch und Willen der Nachwelt erhalten wor- 33 den sind. Ich entnehme ilmen zunachst einige weitere biographische Mitteilungen iiber Joliu Lederer. In den Jahren 1669 nnd 1670 hatte Lederer im Auftrage des Gouverneurs Win. Berkeley von Virginien, um einen Durchgang nach dem Westen und der Siidsee zu suchen, drei Entdecknngsreisen in das virginische Gebirgsland gemacht. Anf der zweiten und ergebnis- reichsten dieser Reisen war er von einem gewissen Major Harris und 20 berittenen Englandern begleitet. Alle diese Begleiter verliessen inn, sobald der Marsch ein gefahrliches Aussehen annahm. Horen wir dariiber Lederer selbst. „Major Harris", schreibt er, „believed me a lost man and given up as a prey to Indians or savage beasts which made him the bolder in Virginia to report strange things in his own praise and my disparagement, presuming I would never return to dis- prove him. This, I suppose, and no other, was the cause that he did with so much industry procure me dis- credit and odium, but I have lost nothing by it but what I never studied to gain, which is popular applause." Und als der Forscher von seiner dritten Reise, die er bald nach der zweiten unternahm, zuriickkehrte, fand er, dass dieselben Leute inzwischen so gehassige Unwahrheiten iiber ihn ausgestreut und dadurch die Bevolkerung so sehr gegen ihn aufgebracht hatten, dass er in Virginien seines Lebens nicht mehr sicher war. Er fluchtete nach Maryland. Audi dorthin war schon das Gerede von dem Bosewicht gedrungen, der mit seiner Abenteuersucht und seiner Verschwendung die gesammten Umlagen eines ganzen Jahres durchgebracht 34 babe, und der erste Sekretar der Provinz Wm. Talbot war ebenfalls „ill affected to the man by the stories that went about of hiin", als Lederer sich ihm vorstellte. Talbot iiberzeugte sich jedoch sehr rasch, dass er „a modest ingenious person and a pretty scholar" vor sich hatte und, urn dem Mamie Gerechtigkeit zu verschaffen und der Wissenschaft einen Dienst zu leisten, iibertrug er Iyederers lateinische Aufzeichnungen ins Englische und schickte sie nach England zum Druck. Die latei- nische Urschrift ist verloren gegangen. Die Talbotische Uebersetzung fiihrte den Titel : „The Discoveries of John Lederer in three several inarches from Virginia to the West of Carolina and other parts of the con- tinent, begun in March 1669 and ended in September 1670 together with a general map of the whole terri- tory which he traversed etc." ,,That a stranger", schrieb Talbot in der Vorrede an den L,eser, die er seiner Uebersetzung vorausschickte, ,, should presume (although with Sir Wm. Berkeley's commission) to go into those parts of the American continent where Englishmen never had been and wither some refused to accompany him, was in Virginia looked on as so great an insolence, that our traveller at his return instead of welcom and applause met nothing but Affront and Reproaches ; for, indeed, it was their part that forsook him in the Expedition to procure him discredit who was a witness to theirs. Therefore 110 industry was wanting to prepare men with a prejudice against him and this their malice improved to such a general animosity that he was not save in Virginia 35 from the outrage of the people drawn into a persuasion that the Publick Levy of that year went all to the ex- pense of his vagaries. He was forced by this storm into Maryland." So behandelte die Mitwelt den verdienten Forscher. Wie verhielt sich die Nachwelt ihm gegeniiber ? Die Talbotische Uebersetzung der ,, Discoveries" erschien in London im Jahre 1672. Abgesehen von einem sehr fehlerhaften Abdruck in John Harris' „Com- plete Collection of Voyages, London 1705", wurde in dem langen Zeitraum von mehr als 200 Jahren kein Neudruck von dem Buche veranstaltet, bis im Jahre 1 89 1 Wm. Ash mead Courtenay bei der Evart & Cogs- well Co. in Charleston, S. C, 20 Exemplare und im Jahre 1902 George P. Humphrey von Rochester, N. Y., eine Auflage von 300 Exemplaren drucken liessen. Von alien Geschichtsschreibern alter und neuer Zeit, welche die Kolonialgeschichte Virginiens behandelt haben, fiihrt nur einer, Justus Winsor, in einer Anmerk- ung, worin er ,, other early printed tracts besides those already mentioned and reprinted by Force which are necessary to a careful study of Virginian history" auf- zahlt, auch John Lederers ,, Discoveries" an, aber mehr als dass das Buch „was collected out of the Latin by Sir Wm. Talbot, Baronet" und dass die Biicherei der Har- vard Universitat ein Exemplar davon besitzt, sagt audi Winsor uber das Buch und seinen Verfasser nicht. Ausser diesem aber gibt es meines Wissens in der ganzen amerikanischen Literatur nur zwei Geschichts- schreiber, die John Lederers Erwahnung tun. Keiner 36 von diesen befasst sicli mit virgini. scher Geschichte. Der eine, Francis L. Hawks, ist der Verfasser einer ausfuhr- lichen Geschichte von Nord-Carolina, der andere, Virgil A. Lewis, gilt fiir den hervorragendsten Geschichts- schreiber Westvirginiens. In Spezialgeschichten von Virginien sieht man sich vergebens nach dem Naraen John Lederer inn. Lewis, der westvirginische Geschichtsschreiber, hat nnserem Lederer sogar die Ehre angetan, ihn in einem Schnlbnch anziifiihren. Der Mann meinte es gut. Er wollte den westvirginischen Schulkindern ,,a faithful, non-sectarian and non-partisan history of the state" in die Hand geben nnd schente sich darnin audi nicht, ihnen in dem ersten Abschnitt des vierten Kapitels seines Lehrbuchs, dem er die Ueberschrift gab : ,, Ex- ploration of John Lederer", einen Dentschen als ,,the first white man within the present limits of West Virgi- nia" vorztistellen. Wie gern mochte ich Lewis fiir seine Berucksichtignng eines deutschen Forschers Dank wis- sen ! Es ist ja etwas so Ungewohnliches, dass, zumal in einem Schnlbnch, dem Anteil, den die Deutschen im allgemeinen oder einzelne Deutsche im besonderen an der Eutwicklnng staatlicher Gemeinwesen oder an her- vorragenden Ereignissen der amerikanischen Geschichte gehabt haben, Beachtung, geschweige denn Anerken- nung geschenkt wild. Aber die geschichtliche Wahrheit geht iiber alles. In diesem Falle ist die Berucksichti- gnng, die Lewis unserem John Lederer angedeihen lasst, nicht verdient Lewis schreibt : ,,On one of several journeys into the wilderness to the westward he crossed 37 the Blue Ridge in the vicinity of |Harper's Ferry in what is now Jefferson County, West Virginia. From here he appears to have journeyed farther to the West over the mountains into what is now Hampshire County and probably visited the valley of Cheat river. This exploration was made in 1669. A map of the same has been preserved on which is a delineation of the Potomac river represented as being divided into two branches." Nicht ein Wort von dem, was Lewis hier sagt, ist rich- tig. Mit der Reise, auf die er sich bezieht, kann nur die letzte von Lederers drei Reisen gemeint sein ; diese aber fiihrte den Reisenden im Jahre 1670 (nicht im Jahre 1669) von dem heutigen Fredericksburg aus, wie die Karte deutlich zeigt, in gerader westlicher Richtung iiber die Blue Ridge durch das Virginia Valley auf einen Vorberg der Alleghenies, nicht iiber die Alleghenies hiuaus. Die Gegend von Harper's Ferry, den Potomac, West Virginien hat Lederer nie gesehen. Das Verdienst, Lederer nach fast 2oqjahriger Ver- gessenheit wieder ans Licht gezogen zu haben, gebiihrt dem ersten der beiden nichtvirginischen Geschichts- schreiber. Erst nachdem Francis L. Hawks im zweiten Band seiner Geschichte von Nord-Carolina Lederers zweiten Reisebericht abgedruckt und mit eingestreuten, allerdings wertlosen Anmerkungen versehen hatte, findet sich bisweilen in ethnologischen Arbeiten ein fluchtiger Hinweis auf Lederer. Studiert hat ihn niemand und anstatt sein unleugbares wisseuschaftliches Verdienst zu erkennen und anzuerkennen, hat man ihn noch in 38 neuester Zeit in nnverzeihliclier Weise missverstanden, missgedeutet und verdachtigt. Und worin besteht Lederers wissenschaftliches Verdienst ? Angedeutet hatte dies schon vor Hawks imjahre 1855 Evart A. Duykinck, wenn er ihn in seiner ,, Cyclopedia of America" the first Explorer of the Alleghenies nannte. Francis L. Drake schreibt in seinem ,, Dictionary of American Biography" einfach Duykinck ab, wahrend Allibone in seinem ,, Dictionary of English Literature" das vielsagende Beiwort ,, first" ^or -explorer in ,, early" abschwacht. Keiner von den dreien sagt, dass Lederer ein Deutscher war, keiner fiihrt fiir die Behauptung, dass er ,,the first" oder ein „early explorer of the Alleghenies" war, irgend einen Beweis an. H. A. Rattermann, welcher im Jahre 1877 im 8. Band seines ,,Deutschen Pioniers" eine deutsche Uebersetzung von Lederers ,, Discoveries" brachte, gab zwar dieser Uebersetzung die Ueberschrift : „ Johanu Lederer, der erste Erforscher der Alleghenies", aber den Beweis, dass Lederer wirklich Anspruch auf dieses Beiwort hat, ist auch er uns ebenso schuldig geblieben wie Hermann Schuricht, der in seiner ,,Histoiy of the German Element in Virginia" dem aus Rattermann Entlehnten nur eine eigene Bemerkung hinzugefiigt : er nennt Lederer „one of the brightest figures in the early history of the German element in Virginia." John Lederer ist der erste Weisse, der die Blue Ridge iiberschritten und einen Teil des Virginia Valley und das siidwestliche Virginien durchzogen hat. Das ist seine unbestreitbare geschichtliche Bedeutuug, und 39 diese geschiclitliche Bedeutung wiirde heute allgeinein zugestanden sein, wenn nur ein einzigesmal jemand den ernstlichen Versuch gemacht hatte,dieden „Discoveries" beigegebeue Karte auf eine neuzeitliche Karte zu iibertragen. Die Karte, welche Lederer von seinen drei Mar- schen entworfen hat, ist nicht in alien Stiicken genau. Sie ist darin fehlerhaft, dass sie die drei Fliisse James, York und Rappahannock zu nahe zusammenriickt und dass auf ihr die Alleghenies, die doch stark nordostlich streichen, fast nordlich Ziehen. Von dem auf dem gleichen Langegrad gelegenen Anfangspunkt der drei Marsche ist die Entfernung bis zu den Alleghenies auf der Karte beinahe gleich, wahrend sie in Wirklichkeit fur die dritte Reise ungefahr halb so gross ist wie fur die zweite. Mit anderen Worten : von Richmond (zweite Reise) ist es bis zur Blue Ridge weiter als von Frede- ricksburg (dritte Reise) bis zu den Alleghenies. Wenn also Lederer fiir die beiden Reisen, die er in gerader Richtung bis zu den Alleghenies, aber nicht iiber die- selben hinaus, ausdehnte, fiir die erste und die dritte nicht soviele Tage gebrauchte wie auf seiner zweiteu Reise fur die Strecke bis zur Blue Ridge, so ist das aus dein wirklich bestehenden Verhaltnis, aber nicht aus dem Verhaltnis, wie es auf der Karte dargestellt ist, vollkommen verstandlich. Die Blue Ridge hat Lederer auf seiner Karte nur an den Stellen dargestellt, wo er sie iiberschritt, und es ist klar, class er von derselben als einer zusammen- hangenden Gebirgskette keine richtige Vorstellung hatte. 4° Die Berge, welche er bei seinem ersten und dritten Marsch iiberstieg, verlegte er, anstatt sie als eine nord- ostlich streichende Fortsetzung des vom James River durchbrochenen Gebirgszugs darzustsellen, getrennt von diesem eine Strecke weiter westlich ; dargestellt aber ist die Bine Ridge anf jedem der drei Marsche. Von den Alleghenies hatte Lederer anf seiner ersten Reise offenbar den Eindrnck gewonnen, dass sie an der Stelle, wo er sie damals erreichte, und auf eine weite Strecke nach Siiden zu unubersteiglich seien. Das war der Grand, weshalb er auf seiner zweiten Reise nach Ueberschreitung der Blue Ridge eine siidwestliclie Richtung einschlug „to avoid the mountains". Auf irgend eine Weise muss ihm der Gedanke gekommen sein, dass in Carolina ein Uebergang iiber die westlichen Hauptketten des Gebirgs zu finden sein miisse. Als ein Gelehrter, der ohne Zweifel mit Forscherabsichten nach der neuen Welt heriibergekommen war, wusste er jedenfalls aus alteren Reisebeschreibungen etwas von den Entdeckungsreisen, welche vor mehr als einem Jahrhundert die goldsuchenden Spanier von Florida her nach dem Hochgebirge von Nord Carolina unternom- men hatten. Der Schlusssatz seiner Beschreibung der zweiten Reise beweist, dass er wahrend derselben an die „Spanischen Minen" dachte. Die Minen lagen im Gebirge. Folglich musste sich dort ein Weg ins Gebirge und wahrscheinlich durchs Gebirge finden. In der Tat fand I^ederer denselben Weg, den die Spanier ehedem gezogen waren, und seine ,, second expedition had not determined at Ushery — were he accompanied by half 4i a score of resolute youths that would have stuck to him iu a further discovery to the Spanish mines." Erkundigungeu, welche der Forschungsreisende auf seiner zweiten Reise bei den Eingeborenen einzog, be- lehrten ihn, dass es ausser dem siidlichen Durchlass durch das Allegheny-Gebirge, den er gefunden, noch einen im Norden gebe ,,at a place called Zynodoa." Nur die Oberflachlichkeit des Studiums, welches bislang auf Lederers Discoveries verwandt wurde, erklart es, dass die Einerleiheit von Zynodoa mid Shenandoah noch von niemand erkannt worden ist. Zum besseren Verstaudnis der Ledererschen Schrift .diene noch folgende Bemerkung. Lederer teilt, wie es audi die heutige Geographie noch tut, hinsichtlich der Bodenerhebung Virginien in drei Teile : Tiefland, Hoch- land und Gebirgsland. Das Gebirgsland nennt er ,,Apa- lataean mountains" und versteht uuter diesem Namen da, wo er ihn zum ersten Male gebraucht, sowohl die Blue Ridge wie die Alleghenies. Spater jedoch denkt er bei den Apalataean mountains nur an die Alleghenies und audi da, wo er schlechtweg von den ,, mountains" spricht, sind immer die Alleghenies gemeint. Die Blue Ridge, die er, wie schon gesagt, als eine zusammen- hangende Gebirgskette nicht erkannt hatte, erschien ihm als ,, promontories", die von dem Hauptgebirgsstock ostwarts vorgeschoben sind. Wenn hiernach Lederer die Ueberschrift iiber dem Kapitel, worin er seine zweite Reise beschreibt, so fasst : ,,the second expedition from the Falls of Powhatan alias James River in Virginia to Mahock in the Apalataean 42 Mountains, so ist klar, class die Mahock-Indianer nicht diesseits, sondern jenseits der Blue Ridge, d. h. in dem Gebirgsland zwischen Blue Ridge und Alleghenies ge- wohnt habeu miisseu. Und wenn er bei Mahock sclion im Gebirge war, was kann es bedeuten, wenn er der Versuchung, einen Abstecher zu machen, widersteht „because he was bound both by oath and by commission to a direct pursuance of his intended purpose of dis- covering a passage to the further side of the mount- ains" ? Nichts anders, als dass er sich verpflichtet hatte, einen Durchgang nach der ferneren, d. h. nach der westlichen Seite des Gebirges zu suchen. Die Berge, auf deren Gipfel er seine erste und dritte Reise abbrach, hat Lederer auf seiner Karte benannt und mit Kreuzen bezeichnet. Ueber diesen Kreuzen steht zu lesen : „The Massawoineke dwelt hereto- fore beyond these mountains". Gehoren diese Berge zu der Blue Ridge, so mussten nach Lederers Angabe die Massawoineke im Virginia Valley gewohnt haben, sind es Berge der westlichen Allegheny-Hohenziige, so hat Lederer die Wohnsitze der Massawoineke, unter denen die an den grossen Seeen im nordlichen New York wohnhaften Irokesen zu verstehcu sind, sich jenseits des apalachischen Systems gedacht. Das Letztere ist uu- streitig das Richtige, denn Lederers Angabe griindete sich auf Aussagen der ihn begleitenden Indianer, und diese mussten doch wissen, dass die Massawoineke nicht gleich hinter der ersten Gebirgskette, sondern viel weiter weg wohnten. Man braucht ja audi nur einen aufmerksamen 43 Blick zuerst auf Lederers und daini auf eine daneben liegende neuere Karte von Virginien zu werfen, und man muss erkennen, dass jenes Mahock, in dessen Nahe Lederer und seine englischen Reisegefahrten sich trenn- ten, in dem Winkel lag, welchen die bei Balcony Falls zusammenfliessenden beiden Anne des James River bilden, dass also von dort aus Lederer seinen Marsch in siidwestlicher Richtung durch das Virginia Valley fortgesetzt haben muss. Gehen wir ihm nach. Petits Gap war wahrschein- lich der Pass, wo Lederer und seine Begleiter die Blue Ridge iiberschritten. Bald nachher stiessen die Reisen- den etwas siidlicb vom heutigen Sherwood auf einen nordwarts fliessenden Fluss. Lederer erkannte in diesem die South Fork des James River, der englische Major Harris aber war oder stellte sich fest iiberzeugt, dass man „vor einem Arm des Seees von Canada" stehe und geriet iiber diese Entdeckung in solches Frohlocken, dass er von der Errichtung einer Saule zum ewigen Ge- denken der grossen Begebenheit sprach, jedenfalls aber ein weitere's Vordringen in das unbekannte Land als zwecklos bezeichnete. Lederer zeigte ihm seine vom Gouverneur Berkeley ausgefertigte Commission, worin dem deutschen Forscher freigestellt war, im Notfall audi ohne seine englischen Begleiter die Reise fortzusetzen, nahm von dem Herrn Major und den ubrigen Englan- dern freundlichen Abschied und uberschritt mit einem einzigen Susquehannah-Indianer die South Fork des James River. Auf dem Weitennarsch gelangte Lederer in das Quellgebiet des Roanoke-Flusses und, nachdem 44 er den Hochriicken, welcher die Wasserscheide zvvischeu dem Flussgebiet des Roanoke nnd dem des New River bildet, die spater sogenannte ,, Divide", iiberschritten hatte, etwa auf der Grenze der hentigen Carroll nnd Grayson Counties an den New River. Hier wandte er sich westlich, bis er dort, wo die Iron Mountains west- warts streichen, eine siidliclie Richtnng einsclilng. Auf sehr beschwerlicliem Wege ging der Marsch in Nord Carolina durch Ashe und Watauga County weiter, bis der Reisende, aus Watauga County in Burkes County iibertretend, den Catawba Creek, einen der Quellniisse des Santee River, erreichte. Da der Catawba Creek gerade infolge vorausge- gangener wolkenbruchartiger Regengiisse zu einem meilenlangen und lneilenbreiten See erweitert war und weiterem Vormarsch ernste Schwierigkeiten entgegen- setzte und da Lederer ausserdem von den Eingeborenen erfuhr, dass in einer Entfernung von hochstens zwei Tagemarschen bartige Weisse, in denen er Spanier ver- mtitete, ein Silberbergwerk betrieben, so beschloss er unizukeliren. Er zog durch mehrere Counties von Nord Carolina und Virgiuien in nordostlicher Richtung und traf, nachdem er das Gebiet der Tuscarora-Indianer durchschritten hatte, am 27. Juli 1670 bei dem heutigen Petersburg am Appomatox ein, ,, where he was not a little overjoyed to see Christian faces again." Bei dem Indianerstamm der Sara ini heutigen Grayson County hatte I^deier Kuude von einem nach Westen fuhrenden Durchgang durch das Gebirge er- langt. Er verfolgte diesen Weg nicht, aus Furcht, mit 45 den Spaniern zusammenzutreffen. Von denselben Sara- Indianern aber hatte er vernommen, dass audi weiter im Norden bei Zynodoa ein bequemer Durchgang durch das Gebirge nach Westen fiihre. Es ist klar, dass die Indianer bei dem Worte Zynodoa an die Shenandoah Mountains und an den Durchgang dachten, den der Oberlauf des Potomac nach Westen hin gewahrt. Le- derer verstand dies natiirlich nicht, sondern glaubte den nordlichen Uebergang iiber das Gebirge finden zu kon- nen, wenn er von der nordlichsten englischen Ansied- lung, die es damals gab, von Tolifers Haus am Rappa- hannock, d. h. von dem heutigen Fredericksburg aus, einen nochmaligen Vorstoss gegen Westen machte. Er tat dies kurz, nachdem er von der zweiten Reise zuriick- gekehrt war. Audi auf dieser dritten Reise kam Lederer iiber die Blue Ridge hinaus und bis auf einen hohen Berg in der ersten Kette der Alleghenies, er ging aber nicht weiter, weil er von jener Hohe aus noch mehr Gebirgsziige vor sich sah mit noch hoheren Bergen als derjenige war, auf dem er stand. Ich sagte oben, dass Lederer langst als der Ent- decker des Virginia Valley anerkannt sein miisste, wenn sich uur jemand hatte die Miihe nehmen wollen, seine Karte auf eine ueuzeitliche Karte zu iibertragen. Meine Uebertragung, die ich hier uur sehr fliichtig und nur in ausseren Umrissen mitteilen konnte, mag in Einzelhei- ten fehlerhaft sein, im allgemeinen aber wird sie von niemand, der sie einer genauen Prufuug unterziehen will, angefochten werden kounen. 4 6 Ich kenne nur zwei Schriftsteller, die etwas Aehn- liclies, aber in sehr unzusammenhangender und unvoll- koinuiener Weise versucht haben. Hawks, der Ge- scliichtsschreiber von Nord-Carolina, hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass der Endpunkt des zweiten Marsches in Bertie County, N. C, gesucht werden miisse. Er sagt : ,,From Lederers account the conjecture that seems most probable is that taking a course southwest by South from the falls of James River he came upon the Roanoke in North Carolina", und vergisst dabei ganz, dass Lederer votn heutigen Richmond an erst 13 Tage in westlicher Richtung marschirte, ehe er die siidwest- liche Richtung einschlug. Der andere Schriftsteller, der gelegentlich der Besprechung einzelner Stellen aus John Lederers ,, Dis- coveries" audi die eine unci die andere Bemerkung iiber die Ortlickeit macht, ist einer der Gelehrten des hiesigen Smithsonian Institute. James Mooney sagt in einem im Jahre 1901 erschienenen Buche ,,The Siouan tribes of the East" iiber den oben angefuhrten Hawks : „It may be observed that the attempted identification of Lederers route by Hawks in his history of North Carolina seems to be entirely incorrect. After making him swing around in a narrow circle instead of proceeding along the lines of the trading path towards a definite point he leaves the traveller floundering in the marshes of Albe- marle Sound while he in fact must have been on Ca- tawba River on the border of South Carolina." Bis auf die Bemerkung von dem , proceeding along the lines oj the trading path toward a definite point" — Lederer 47 hat weder einen Handelspfad eingehalten, noch einen bestimmten Endpunkt seiner Reise im Auge gehabt — unterschreibe ich jedes Wort dieses Urteils. Aber auf die folgenden Satze wird man sich nicht berufen diirfen, wenn man beweisen will, dass Mooney der Ledererschen Schrift ein aufmerksameres Studium ge- widinet babe als Hawks. ,,In 1670", sagt er, ,,Lederer crossed the country in a diagonal line from Rich- mond to Catawba River on the frontier of South Caro- lina", und an einer anderen Stelle ,,Lederer explored the country from the settlement of James River (Rich- mond) south westward through Virginia and North Car- olina to Catawba River." Da haben wir genau den- selben Fehler wie bei Hawks. Und wie stimmt zu diesen Satzen Mooneys das, was er selbst einige Seiten spater sagt : ,, Leaving the Monacan town Lederer passed through the territory of the Mahock mentioned later and then with a single Indian companion left James River and turned southwest" ? Also nicht ,,from the present Richmond", nicht ,,from the settlement at James Falls", sondern von den Mahock aus wandte sich Lederer siidwestlich. Von den Mahock aber sagt Mooney : „The Mahock from Lede- rers narrative were living on the upper James with their village at the junction of a stream coming from the north, which he judged to be about 100 miles from the Mona- cantown. This estimate is too great, but it is probable that they were located about the foothills east of the Blue Ridge. " 4 8 Nein, die Schatzung ist nicht zu hoch, die Schatzung ist vollkommen richtig, denn die Mahock wohnten, wie wir salien, nicht ,, about the foothills east of the Blue Ridge, sondern ivest of the Blue Ridge. Warum in aller Welt straubt man sich so sehr dagegen zuzugestehen, dass der deutsche Forscher John Lederer der erste war, welcher von Virginien aus die Blue Ridge iiberschritt? Ein Jahr uach Lederer, im Jahre 1671, hat ein an- derer Forscher eine Entdeckungsreise uber die Blue Ridge gemacht. Der Mann hiess Thomas Batts. Ueber seine Nationalist ist nichts bekannt. Ich glaube, dass er von Hause aus Betz hiess und dass audi er ein Deut- scher war. Dieser Thomas Batts ist bei den amerika- nischen Geschichtsschreibern etwas besser weggekom- men als Lederer, da wenigstens zwei Geschichtsschreiber Virginiens, der alte Bob Beverly und der neuere Charles Campbell, ihn erwahnen, wenn sie auch seinen Vor- naraen falsch als Henry und seinen Familiennamen, der eine falsch als Batt, der andere falsch als Batte angeben. Auch James Mooney erwahnt ihn gelegentlich. Er gibt den Nam en richtig als Thomas Batts, im iibrigen aber hat er auch diesen Forscher grundlich falsch verstanden, und „ Thomas Batts' report and relation of a new dis- covery in Western Virginia", die im Jahre 1883 im 3. Bande von O'Callaghans ,, Documents relative to the Colonial History of New York" abgedruckt wurde, ist im allgemeineu ebenso unbeachtet geblieben wie Lederers ,, Discoveries". 49 Lederer und, wenn ich mit meiner Vermutung im Rechte bin, Batts — das sind zwei Deutsche des 17. Jahrlmnderts, welche von Virginien aus die Blue Ridge iiberschritten und das Virginia Valley gesehen haben. Und ich kann Ihnen noch einen dritten anfiihren, der von Nord-Carolina her in dem letzten Jahrzehnt des 17. Jahrlmnderts gleichfalls mehrere Reisen iiber die Berge gemacht hat. Der hochste und interessanteste Berg des siidwestlichen Virginiens tragt heute noch in entstellter Form seinen Namen. Der Berg heisst Mt. Mitchell, der Reisende aber, dessen ich jetzt gedenke, war ein deut- scher Schweizer und fuhrte den gut deutschen Namen Franz Ludwig Michel. Von ihm schrieb John Lawson, der alteste Geschichtsschreiber von Nord-Carolina, im Jahre 1700 : ,,My ingenious friend, Mr. Francis Louis Mitchell of Bern in Switzerland, has been for several years very indefatigable and strict in his discoveries amongst those vast Ledges of Mountains and spacious tracts of land lying towards the heads of the great bays and rivers of Virginia, Maryland and Pennsylvania, where he has discovered a spacious country inhabited by none but the savages." Das sagt Lawson. Das ist aber auch alles, was in amerikanischen Geschichtsbuchern iiber diesen Mann zu finden ist. Ich habe Ihnen jetzt drei Entdeckungsreisende an- gefiihrt, die vor dem Jahre 1700 die Blue Ridge iiber- schritten haben, und mindestens zwei davon, wahr- scheinlich alle drei, waren Deutsche. 5Q Was soil man nun dazu sagen, weiin man heute noch in amerikanischen Geschichtsbiicheru, die sich mit der Geschichte der Entdeckung und Erforschung dieses Landesteils befassen, Satze findet, wie diesen, ,,The first passage of the Blue Ridge or discovery of the Valley was effected by Governor Spotswood at the head of a troope of horses in August 1716."? Es macht nichts aus, ob man eine Ehre hoch oder niedrig anschlagt, die geschichtliche Wahrheit und Gerechtigkeit verlangt, dass sie dem gegeben wird, dem sie gebiihrt, und die Ehre, der erste Erforscher des Vir- ginia Valley gewesen zu sein, gebiihrt niclit dem Gou- verneur Spotswood, sondern dem unerschrockenen deut- schen Reisenden John Lederer. Ungern und nur nebenbei erwahne ich, dass Cyrus Thomas in einem vor drei Jahren im ,, American An- thropologist" No. 5, pp. 724 — 727 veroffentlichten Auf- satz : ,,Was Lederer in either of the Carolinas ?" diesen auf Grund von zwei oder drei Scheingrunden rundweg fiir einen Liigner erkliirt. Diese Art iiberkluger histo- rischer Kritik gleicht der Schmahkritik, welche Alexan- der Brown an Capt. John Smith, dem Griinder von Jamestown, geiibt hat ; sie ist eher ein Annutszeugnis fiir denjenigen, der sie iibt, als fiir denjenigen, an wel- chem sie geiibt wird. Nur die eine Tatsache, dass Lederer der erstc Europaer war, der einen grossen Teil des apalachischen Gebirgslands zwischen dem James River in Virginien und dem Catawba Creek in Nord-Carolina bereist hat, habe ich hicr feststellen wollen. Wenn ich audi noch 5 1 Lederers Reisen, insbesondere seine zweite Reise, hin- sichtlich ihrer fur die ethnologische Wissenschaft hochst bedeutungsvoller Ergebnisse init der vollig ergebnislosen possenliaften Expedition Spotswoods vergleichen wollte, so wiirde sich die Schlussabrechnung fur den ersteren noch weit giinstiger stellen. Jedoch dazu ist hier nicht der Ort. Ich zweifle nicht, dass Sie, verehrte Anwe- sende, jetzt audi ohne weitere Vergleiche, imstande sind, zu sagen, welches von den zwei Bilderpaaren, die ich Ihnen im Eingange dieses Vortrages vorfiihrte, das altere mit dem bescheidenen deutschen Gelehrten oder das jiingere mit dem hochgestellteu englischen Statt- halter als Hauptfigur, fur das wertvollere zu halten ist. John Lederer war ein Hamburger. Er kam, nach- dem er in den Jahren 1669 uud 1670 im Auftrage des Gouverneurs Berkeley von Virginien drei Reisen in das virginische Gebirgsland gemacht hatte, als Fliichtling nach Maryland. Er wohnte in Calvert County, wurde im Jahre 1671 uaturalisiert und erhielt in demselben Jahre von Gouverneur Charles Calvert die erforderliche Lizens, um mit den von ihm entdeckten Indianerstam- men Pelzhandel zu treiben. Das ist alles, was wir von den ausseren Lebensschicksalen dieses Mannes wissen. Ob und wielauge Lederer von der ihm erteilten Handels- lizens Gebrauch gemacht hat, an welchem Orte in Cal- vert Couutv er wohnte, wo und wie er gestorben ist und wo er begrabeu liegt — das sind Frageu, auf die tins die Antworten fehlen. Vielleicht — das plotzliche Aus- bleibeu jeder weiteren Nachricht legt diese Vermutung na ] ie — vielleicht hat er schon auf seiner ersten Han- 52 delsreise entweder von der Hand eines seiner weissen Feinde oder durch die morderischen Seneca-Indianer, welche danials das von ihm erforsclite Gebiet durch- streiften, seinen Tod gefunden. Aber vergessen, verkannt soil er liicht langer sein, und es wird mich nnd gewis aucli Sie, verelirte Anwe- sende, freuen, wenn meine heutigen Ausfuhrnngen et- was dazu beitragen sollten, dass das Andenken an einen deutschen Pionier des 17. Jahrhunderts in weiteren Kreisen aufgefrisclit nnd dass ihm endlicli in vollem Masse die Wiirdigung zuteil wird, die eine gewissen- liafte, unparteiische Geschiclitsschreibnng ihm niemals hatte versagen sollen.