「一中 ​ A 926,426 | : , 工 ​者 ​, 在 ​一 ​者​, - tut 事都是 ​* 指出​, 华 ​ku, ill, , 11 1 单 ​于是​, 不下午於台 ​.: A * * 1 | | . ” - 重 ​. , New . . . . ... 也 ​十 ​Airi, 中​」- ii , 好 ​::: . 畢書 ​善事 ​一身 ​.... 。 : : 等 ​: - # - , IL 1 BEQUEATHED BY George Allison Hench --- - - PROFESSOR. OF Germanic Languages and Literatures IN THE University of Michigan, 1896-1899. بار 3 - مر کے برات کار است و ان کی Goethes ſämtliche Werk e. Meu durchgeſehene und ergänzte Uusgabe in ſedysunddreißig Bänden. Mit Einleitungen von Karl Goedeke. Sediſter Band. Inhalt: Lufiſpiele und Farcen.. Dramatiſche Fragmente und Skizzen. Dic Laune des Verliebten. – Die Mitſchuldigen. - Puppenſpiel. - Das Jahrmarkta- feſt zu Plundersweilern. - Das Neueſte von Plundersweilern. - Ein Faſtnadtsjpiel von Pater Brey. – Satyros. – Prolog zu den neueſten Offenbarungen Gottes. Götter, Helden und Wieland. - Prometheus. – Künſtlers Erdewallen. – Künſtlers Apotheoſe. – Der Triumph der Empfindjainkeit. – Die Vögel. DICO INJI Stuffgarf. I. 6. Gotta’lde 1 Gebrüder Kröner, Buchhandlung. Verlagshandlung. Druck von Gebrüder Aröner in Stuttgart Ginſeifitng. Dic kleinen Luſtſpiele und Farcen, welche der gegenwärtige Band vereinigt, ſtammen aus ziemlich verſchiedenartigen Entwickchungs- perioden, aus der Leipziger Studentenzeit, den erſten Jahren der Frankfurter Entfaltung, vom Liebhabertheater in Weimar und aus Den erſten Monaten nach der italicniſchen Reiſe. Das älteſte der- ſelben, die Laune des Verliebten, iſt vielleicht, wie es vorliegt, das jüngſte. Gocthe ſelbſt ſetzt die Entſtehung in das Jahr 1767, und damit ſtimit die in cinem Briefe des Fräuleins v. Göchhauſen enthaltene Angabe überein, daß Goethe verſichert, er habe das Stück in achtzchnten Lebensjahre perfaßt und für die erſte Aufführung in Weimar am 20. Mai 1779 nur wenig verändert. Gedruckt er: ſchien es erſt in vicrten Bande ocr Werke 1806 und kann bis dahin 110ch vielfach nachgebeſſert ſein, ſo daß die außerordentliche Zierlich- feit und Feinheit der Ausführung weniger auffällig crſcheint, als wenn man darin Goethes erſte erhaltene Arbeit auf dem dramatiſchen (Gebiete in urſprünglicher Forint erfennen nüſte. In der Anlage felbſt kann aber, bei der ſtrengen cichloſſenheit derſelben, wenig geändert ſein: der eiferſüchtige Eridon quält, wie wir Hören und ſchen, ſeine Aminc, deren überſtrömende Liebe durch nichts zu er- ſchüttern iſt, mit ſeinen eigenſüchtigen Launen und mag ihr die Frcuden Des Tanzes nicht gönnen, da ihm das Händcorücken und Blicken Dabei ſchon zuwider iſt. Aininens Freundin Egle hat Mit: leid mit bent arnien Kinde und freibt den Launiſchen ſo weit, daß (X ſie füffcn muß, nur, damit ſie ihm um fein Selbſtvergeſſen die Augen über ſeine Fehler öffnen kann und ihn init Amninen verſöhnt, Sic er zum Tanz begleitet. Der gnhalt ſtimmt wenig mit den Ungaben Goethes, das leichte Schäferſpiel ſei durch die Launen veranlaßt, mit denen er Käthchen Schönkopf in Leipzig geplagt. Die Rolleit wenigſtens ſind geradezu umgekehrt. Es ſcheint dem Stück cher ein Wetteifer mit den damals noch üblichen Schäferſpielen ben Anlaß gegeben zu haben, in denen Das einzige Bewegende Element grundloſc Eiferſucht war, da die vorausgeſetzte Itnſchuldswelt dieſer (Gattung jede andere Leidenſchaft ausſchloß. Es iſt das Seitenſtück zu (jcllcrts Schäfcrſpiele „Das Band", in welchem Galathea ein Band, das ſie ihrem Montan geſchenkt hat, im Beſitz einer vermeinten Neben- bublerin ſieht und deshalb, von ihrem Fehler, Hitze und Eiferſucht, übermannt, ihn wegweiſt und mit ihm brechen will, bis ſie erfennt, Einleitung. daß ſie durch eine bloße Aehnlichkeit des Bandes getäuſcht iſt, und ſich reuig Øckchrt. Goethes Schäferſpiel, eines der letzten in Deutſchland, iſt das einzige geweſen, das ſich in unſrer klaſſiſchen Litteratur erhalten hat, und zugleich das reinſte Muſter dieſer ſonſt verſchollenen Dichtungs- art, die, von den Spaniern aufgebracht, von den Franzoſen bear- beitet, im ſiebzehnten Jahrhundert nach Deutſchland gekommen und hier als Vor- und Nachſpiel in umfaſſendſter Weiſe gepflegt war. In dasſelbe Jahr 1767 fekt Gocthe die Abfaffung der Mit ſchuldigen, die jedoch erſt im Winter von 1768 auf 1769 ausge- arbeitet wurden, als er bereits wieder in ſeinem elterlichen Hauſe in Frankfurt lebte. Einc Auſdrift ſchenkte er Friederike Brion in Seſen: heim. Auch dies Stück wurde in Weimar auf dem Liebhabertheater (ſchon 1776) aufgeführt; Goethe ſpielte den Alceſt. Die Bearbeitung des Luſtſpiels, wie es jeßt vorliegt, kann früheſtens aus dieſer Zeit ſein, wie die Frage des Wirtes beweiſt, ob es dabei bleibe, daß wieder Leute aus Heffen nach Nordamerika gehen. Die heſſiſchen Truppenverkäufe fingen 1776 an. Eine der früheren Bearbeitungen, die ſich erhalten hat, beſtand nur aus zwei Akten und begann mit dem zweiten der gegenwärtigen Drei. Es ſpielt in der Zeit des Königs Theodor von Corſica *). Daraus läßt ſich ein Rückſchluß auf die Bearbeitungen des crſten Luſtſpiels ziehen. — Mit dem Stoffe ſind die Beurteiler von jeher in Verlegenheit gekommen; die Un- ſittlichkeit desſelben wiſſen ſie nicht anders zu mildern, als daß fie aus dem Ganzen erläutern, wie offen und klar Goethe ſchon in ſeinen jungen Jahren das gemeine Getriebe der Welt durchſchaut habe. Goethe ſelbſt räumt ein, daß es, wenn auch im einzelnen ergötzend, durch das burleske Weſen auf dem düſtern Familiengrunde Doch als von etwas Bänglichem begleitet erſcheine, ſo daß es bei der Vorſtellung im ganzen ängſtige. Als er es dichtete und der Welt barbot, ging er aber noch nicht von dieſen äſthetiſchen An- fichten aus; er ſetzte vielmehr beim Publikum ſo viel moraliſche Kraft poraus, um das objeftiv wahre Bild, das er vorführte, ohne ſein zuthun zu richten. Die Aeſthetik hatte damals noch den Grundſak, daß dem Dichter kein Stoff verwehrt ſei, wenn er ihn nur kunſtvoll behandle, und die Kunſt der Behandlung wurde darin gefunden, daß der Dichter alle im Stoff liegenden Momente zu geſtalten ver- möge. Aus dieſen Geſichtspunkten iſt das Stück ein vollendetes Kunſtwerk, ſowohl in der Anlage der Charaktere als in der Ver- wickelung und Löſung der daraus fließenden Handlung. Alceſt, der ältere Liebhaber einer Frau, die mit einem mehr als leichtſinnigen Manne verheiratet iſt, ſucht das Haus ihres Vaters, eines neu- *) Wir werden dieſe Bearbeitung im 14. Band dieſer Ausgabe mitteilen.' Einleitung. gierigen Wirtes, nach ſechs Jahren auf, um ſeine Liebe wiederzu: ſehen. Er verabredct init Sophie, da ſie ſich ſonſt nicht ungeſtört ſprechen können, eine Zuſammenkunft auf ſeinem Zimmer zu nächt- licher Zeit. Bevor ſie auf Alceſts Zimmer kommt, tritt ihr von Spiclichulden gedrängter Mann dort cin und beraubt Alceſts Scha: tulle; er verbirgt ſich, da er kommen hört, in den Alfoven. Der Konimende iſt ſein neugieriger Schwiegervater, der Wirt, der den Inhalt eines Briefes, welchen Alceſt am Tage vorher empfangen, wegen der darin vermuteten intereſſanten politiſchen Ncuigkeiten zu erforſchen brennt und ihn zu entwenden kommt, da er ſeiner nicht anders habhaft werden kann. Während ſeines vergeblichen Suchens hört er Tritte, und indem er durch eine Nebenthür entflieht, läßt er ſeinen Leuchter fallen. Seinc Tochtcr fommt und beflagt ſich gegen Alceſt über ihren Mann, der alles hört und mit ſeinen ffur- rilen Glofien begleitet. Sophie hat nur ihr Herz ausſchütten wollen, und Alceſt entläßt ſie voll Mitgefühl. Als er den Diebſtahl incrkt, rät er ohne Anhalt auf dieſen oder jenen als Thäter. Die Tochter hält den Vater, der Vater die Tochter für ſchuldig, und zweifelhafte Aeußerungen beſtätigen beide in ihrer Ueberzcugung. Das Miß- verſtändnis zwiſchen beiden, durch halbe Beſchuldigungen, vermeinte Ocſtändniſſe und unentſchiedene Ablehnungen veranlaßt und unter: halten, iſt mit großer pſychologiſcher Feinheit und vollendeter thea- traliſcher Meiſterſchaft dargeſtellt. Gegen das Verſprechen, Den frag- lichen Bricf auszuliefern, erhält Alceſt das Geſtändnis des Wirtes, daß Sophie die That verübt. Erſt jetzt, da Alceſt ſie für die Ver- brecherin hält, ſteigen böſe Abſichten auf ſie in ſeinem Herzen auf. Sie aber tritt entrüſtet zurück und nennt, als ſie hört, daß der Vater ſie angegeben, dieſen als den Thäter. Alceſt, der nun keinem von beiden den Diebſtahl zuſchieben mag, ſchöpft Verdacht gegen Söller, Sophiens Mann. Als er ihn hart anfaßt, hält ihin Söller feinerſeits das nächtliche Rendezvous vor, und da ſich alle ſchuldig eriveiſen, halten alle für das Beſte, zu ſchweigen. Das Komiſche liegt in den Verwickelungen, das „Bängliche" in Söllers Charakter und deſſen Wirkungen. Wenn das moraliſche Gefühl fich auch von dieſer Lebendig geſtalteten Perſon und den Folgen ſeiner Sitten- loſigkeit unwillig und entriſtct abwendet – wo hat der Dichter nur mit der ‘Leiſeſten Andeutung geſagt, daſs dies nicht geſchchen ſolle? Im Gegenteil, da er, als Alceſt den unverbeſſerlichen Schuft bedroht, wenn er ſich noch einmal anzufangen unterſtehe, den Bedrohten ſagen läßt für diesmal würden ſie wohl alle ungehangen bleiben, ſteigerte er die moraliſche Entrüſtung, da er Söller die Perſpektive eröffrien läßt, daß wohl alles beim alten bleiben werde, und was dann folgen Ginleitung. mag, läſst ſich leicht divinieren. – Die komiſche Kraft der Mitſchuldigen fud den bühnenkundigen Schauſpieler Albrecht ein, den Stoff aufis Theater zu bringen. Er wählte anſtatt der Alexandriner Proja 110 ſuchte das „Bängliche" zu beſeitigen. Was auf dieſe Weiſe herauskam, ſagt uns der Herzog Karl Auguſt in ſeiner launigen Weiſe. Sr ſchrieb im Juni 1797 aus Teplitz an Goethe: ,,Einſtweilen habe ich hier dcine Mitſchuldigen, in deutſche Proſa überſetzt und unter den Titel: „Alle ſtrafbar', aufführen ſehen. Für dein Stillſcreigen hätteſt du wohl die Strafe verdient, dieſes Stück anhören zu inüſſen. Söller wird ſo und dermaßen von der Tugend ſeiner Frau gerührt, daß er das Geld heimlich dem Fremden wieder unter das Bett ſetzet." Das Jahrmarftsfeſt zu Plundersweilern, das ſchon im Herbft 1773 fertig war, bezeichnet Goethe als eine Sammlung bes lebter Sinngedichte, die, ohne Schärfe und Spitze, mit treffenden und entſcheidenden Zügen reichlich ausgeſtattet, unter allen auf: tretenden Masken wirkliche, in Frankfurt und in ſeinem geſelliga litterariſchen Kreiſe lebende Gliedcr, oder wenigſtens damit vers bundene und einigermaßen bekannte Perſonen meinen; aber der Sinn des Nätſels ſei den meiſten verborgen geblieben, alle haben gelacht, aber nur wenige gewußt, daß ihnen ihre eigenſten Eigen: heiten zum Scherze gedient. Die Satire isüßte demzufolge fo zurückhaltend geweſen ſein, daß man ſie nicht verſtanden. Defſen- ungeachtet haben die Forſcher ſich nicht abſchrecken laſſen, die ein- zelnen Beziehungen aufzuſuchen und auszudeuten, wodurch den Ver- ſtändnis doch wenig aufgeholfen iſt. Man darf annehmen, daß dies Puppenſpiel nur in ſehr beſchnittener Geſtalt veröffentlicht wurde und in dem Freundeskreiſe ausgeführter iind vollſtändiger bekannt war. Das beſtätigen auch einige ſpäter wieder nachgetragene Szenen, in denen die Bibelverivüſter und Länımleinfroininen verſpottet werden. Nach einigen Stellen gleichzeitiger Briefe darf man annehmen, daß die kleinen dramatiſchen Perſonalſatiren, die ſpäter einzeln auſtraten, Teile dieſes größeren Ganzen geweſen ſind. Herbers Braut erwähnt' z. B. des auf Merck und ſie bezüglichen Stückes als eines Jahrmarktes. Lokalſatire allein, wie treffend ſie auch geweſen wäre, würde früher nicht das Aufſehen veranlaßt haben, das dieſe Schilderung der Frankfurter Meffe weit über Franffurt hinaus erregte. Der Grund der Wirkung lag andersivo, und dieſer war für die Litteratur der wichtigere. fit der Poſſe waren auf einmal alle Regeln, welchen die Dichtung bis dahin gefolgt war, beiſeit geworfen und ein heitres lebensvolles der Wirklichkeit entlehntes Bild der Welt ini kleinen ohne alle Nebengedanken als Selbſtzweck geſchaffert und in einer Form und Sprache aufgeſtellt, die von den bis dahin allein bes Einleitung. rechtigten Ausdrucksweiſen wie das unbefangene heitere Leben von dem konventionell geregelten abwich. Das Jahrmarktsfeſt war die Proklamation der Genieperiode von ihrer heitern Seite und gründete, neben den ernſten Schöpfungen wie Göt und Werther, Goethes Ruf und litterariſche Bedeutung, die dann durch eine Reihe gleidzeitiger Produktionen nach andern Seiten hin noch mehr gehoben wurde. Was zur Beluſtigung des geſellig-litterariſchen Streiſcs gedichtet war, erhielt eine Geltung und Wirkjamkeit in der Litteratur; der ſeiner ſelbſt wegen geübte Scherz wurde wie ein für die öffentliche Wir- kung berechnetes Werk angeſehen und beurteilt. Gegen den erſt in ſpätern Jahren berüchtigt gewordenen Theologen Bahrdt in Gießen, der damals die Bibel in moderne Phraſen verwäſſerte, wurde der Prolog zu den neueſten Offenbarungen Gottes gerichtet, in dem die lTnhöflichkeit der Evangeliſten an ihren Schriften vergolten werden qoll. Sin Pater Brei wurde Leuchſenring verſpottet, der zwiſchen Herder und ſeiner Braut mit der Hämmlein-Lämnileinsmienc" 1111: einigkeit zu ſtiften ſuchte. Satyros, deſſen Entſtehungszeit unbekannt iſt und der lange verſchollen war und erſt in ſpäteren Jahren von Jacobi an Goethe zurückgelangte, iſt verſchiedert gedeutet, teils auf Baſedoiv, teils auf Heinſe, der damals bei Jacobi lebte, ſo daß Fr. Jacobi und die Frauenzimmer ſeines Sêreiſes (Eudora: Betty, Arſinoe: Lene, Pſyche: Lotte) gemeint ſeien. Riemer wollte eine Satire auf den Schweizer Philipp Kaufmann darin erkennen, der erſt ſeit 1776 in der Litte- ratur berüchtigt wurde, während die älteſte Erwähnung des Satyros in einem Briefe Goethes an Böckmann ſchon in den November 1774 zurüdweiſt. Die Chronologie ſetzt das Stück ſogar noch ein Jahr früher an, ſo daſs alle die angeführten Deutungen nicht zutreffen und inan auf eine nähere Beziehung aus früherer Zeit angewieſen wird. Möglicherweiſe gab eine der Weklarer Bekanntſchaften, Goué, Gotter, die beide bei Goethe nicht viel galten, oder eine Perſönlichkeit aus den Frankfurter Kreiſe ſelbſt, wie Klinger oder Leop. Wagner, Vers anlaſſung. Die von W. Scherer mit vielem Aufwande von Scharfſinn geſtützte Hypotheſe, daß mit dem Satyros niemand anders als Herder geineint ſei, hat wohl nirgends Zuſtimmung finden können. Wir haben, bis zur Grſchließung neuer Quellen, zu bekennen, daß uns das Iirbild des Satyros unbekannt und jede Ausdeutung unſicher iſt. Ein Mo- Dell aus der Wirklichkeit muß aber dem Dichter geſeſſen haben. Wurde ſo von dem jungen Dichter das Nächſte, was ihn uma gab, nicht geſchont, wie hätten Fernerſtehende darauf Anſpruch machen können? Gegen Wieland, den Schüler der Franzoſen, war die ganze damalige Jugend aufgebracht; die Göttinger Dichter ver- brannten ſeinen Idris; die Stilifer verdammten ihn. Wie hätte 8 Einleitung . Goethe es ohne Spott ſehen fönnen, daß Wieland den auf der Muſik beruhenden Erfolg ſeiner Oper Arceſte in langen ſelbſtgefäl- ligen Abhandlungen als ſein Verdienſt auspoſaunte und der Selbſt- beſpiegelung kein Ende fand! Die mattherzige Behandlung der antiken Mythen mußte ihm, dem der Titanentrotz des Aeſchylus nicht einmal genügte, von der armſeligſten Seite erſcheinen, und raſch warf er Götter, Helden und Wieland hin, den Alceſte-Dichter in der Nachtmüße und den Herkules mit den Derbheiten des Frank: furter Kreiſes. Lentz ließ die Farce ohne Goethes Auftrag drucken, zahlreidje Nachdrucke uvurdert verbreitet; Wieland ſpielte den Ueber- legenen und empfahl das Werk eines Autors, der ſich unter allen möglichen Standpunkten den ſchiefſten ausſuche und ſich dann herzlich freue, daß von da aus alles ſo ſchief erſcheine. Er trug ihm aud), als Goethe nach Weimar fam, die Satire nicht nach), Goethe aber ließ fie erſt lange irach Wielands Tode in ſeine Werke aufnehmen (1830). Hätte er Wieland nichts entgegen zu ſehen gehabt als dieſe Satire, man würde ihm vom litterariſchen Standpunkte aus – und ein andrer konnte nicht in Frage kominen' - den Vorwurf eines Pasquillanten nicht haben machen dürfen; aber er hatte ein Recht, die ſchwächliche Auffaſſung des Altertums preiszumachen, da er eine Dichtung wie Prometheus unternehmen konnte, in der ſich die ſelbſtgenügende Kraft des Schaffens gegen alle abgeleiteten Kräfte, und wären es die Götter, über denen wieder die Macht des Schicks fals ſteht, trokig auflehnt, ein Symbol gleichſam der jungen Gene- ration, die durchaus nur auf eignen Füßen ſtehen wollte. Das übrig gebliebene Fragment läßt nicht init Sicherheit erkennen, wie der Ausgang gemeint war; aber es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß Goethe die Feſſelung an den Felſen, alſo die Beugung, wenn auch - nicht die Bekehrung des Trotzigen, im Plane hatte. Die Hymne, die gegenwärtig nach der zweiten Akte folgt und nach Goethes ſpäterer Angabe den Dritten beginnen ſollte, iſt die Ausführung einiger Perſe, die Prometheus im zweiten Akte ſpricht, und ſtainint aus einer neuen Nedaktion. Wie unſicher Goethe über ſeine früheren Tyriſchen Dichtungen war, zeigt ſich an mehr als einer Stelle. So gab er den Wechſelgeſang zwiſchen Ali und Fatema zum Preiſe Mahomets für einen Seſang des Mahomet ſelbſt und rückte ihrt als ſolchen in ſeine Gedichte, ſo daſs in der gegenwärtigen Geſtalt das richtige Verſtändnis unmöglich geworden iſt. Das weimariſche Liebhabertheater, deſſen ſchon bei den Gelegen- heitsgedichten erwähnt iſt, veranlaßte außer. Der Leberarbeitung älterer Stücke – Goethes Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern wurde wiederholt mit großem Juber gegeben – auch mehrere neue Ara Einleitung. beiten zum Vergnügen des Hofes, von denen einiger noch im weiteren Verlaufe gedacht werden wird. Im September 1777 ſchrieb Goethe von der Wartburg an Frau v. Stein, er habe eine Tollheit erfunden, eine komiſche Oper: die Empfindſamen, ſo grob und toll als inög= lid), die er gleich zu Diktieren angefangen; wenn Seckendorf fie komponieren wolle, könne fie den Winter geſpielt werden. Die Arbeit des Dichters und des Komponiſten ging ſo raſch, daß die „Oper“ am 30. Januar 1778 zum Geburtstag Der Herzogin zir Aufführung gelangen konnte, und zwar unter dem Titel , Die ge- flicte Braut"; bei der Aufnahme in die Werke (1787) erhielt fie den Titel: Der Triumph der Empfindianfeit, eine Drama- tiſche Grille. Goethe übernahm barin die Rolle des humoriſtiſchent Königs Andraſon. AS Gelegenheitsſtück, als „Tollheit“ erfüllte die Operette ihren Zweck, und man hätte nie etwas Tieferes darin ſuchen ſollen, als die übermütigen Verſpottungen der Empfindſamen im Publikum, die den Aufwand von Gefühlen, wie ſie damals int Schwange waren, mit .fremden Smpfindungen beſtritten, die nicht durch die Dinge ſelbſt, ſondern aus zweiter Hand durch Bücher an: und aufgeregt wurden. Prinz Dronaro führt eine gemachte Natur von Wald, Mondſchein, Vogelſang mit ſich und zugleich die Figur einer Geliebten, die mit allerlei Schriften der empfindſamen Zeit- litteratur ausgeſtopft iſt: den ,,Empfindjamkeiten", bem ,Siegwart“, dem „Guten Jüngling", der „Neuen Heloiſe" und andern Büchern, die das Eingeweide der Puppe bilden. Dieſen hat Goethe - ob urſprünglich oder erſt beim Druck 1787 bleibt ungewiſ – auch die Leiden des jungen Werthers hinzugefügt und damit, wenn er dic andern verurteilen wollte, auch ſich dieſer Spruche unterworfen. Aber es kam nicht auf die Verwerfung dieſer Werke der empfind- ſamen Litteratur an, ſondern nur auf die des Mißbrauches, der damit getrieben wurde. Uebrigens war das Stück, wofür es Goethe ausgab, toll und grob: toll, weil es die ausſchweifendſte Karikatur überbot, und grob, nicht allein durch Angriffe auf die Empfindſam- keit, ſondern weil es die Zuſchauer mit dem amüſierte, was es verſpottete: Dekorationen und Maſchinerien. Es mögen auch viele Lokal- und Zeitbeziehungen darin enthalten ſein (wie in Lila), die uns entgehen. Goethe ſchaltete dem Stücke ein etwas früher ent- ſtandenes, nach der Art der Ariadne oder der Medea gearbeitetes Monodrama Proferpina“ ein, frevelmütig, wie er ſpäter ſagte, damals aber wohl in dem richtigen Gefühl, daß dein allzuluftigen Ballon etwas Schwerwiegenderes Beigegeben werden müſſe. Dies herrliche Monodrama wurde zuerſt am 30. Januar 1776 aufgeführt, am Geburtstage der Herzogin Luiſe, die ſich ſelbſt in Weimar wie ft 10 Einleitung eine Verbannte fühlte und in der klagenden Göttin ein idealiſiertes Bild ihrer ſelbſt erblicken mußte. Daß ſolche Stoffe für die Hoffeſte gewählt werden konnten, iſt auffallend. Niemand nahm Anſtoß daran, aber auch niemand unter den weimariſchen Zeitkorreſpondenten erwähnt des Vorganges. An dieſer Dichtung, die ſid, neben den Prometheus reiht, erkennt man, daß Goethe auch unter den Zerſtreuungen des Welt- treibens den hohen Geiſte des klaſſischen Altertums getreu blieb. Er ließ die Dichtung – als Proſa – im Februarheft von Wielands Merkur 1778 drucken und im Mai 1815 wieder auf die Bühne bringen. Auch Die Vögel, die im Sommer 1780 geſdrieben wurden, haben ihre Veranlaſſung in den Luſtbarkeiten des Hofes zu Weimar, und manche andre Motive wirften dabei mit. Die Herzogin Mufter hatte Deler aus Leipzig initgebracht, der eine Deforation 'inalen wollte, während Goethe ein Stück madjen ſollte. Dieſer meinte int einem Sommertage damit fertig zu werden, aber Deſer überholte ihn um Wochen. Der Dichter hatte die Vögel des Ariſtophanes ausgewählt. „Eigentlich will ich,“ ſchreibt es an die Stein, „nur die oberſten Spitzen oder den Rahm abſchöpfen, denn es muſs kurz ſeint. So koinmt noch die Thorheit und macht uns zu ſchaffen. Thut nidiis; es bringt doch die Menſchen zuſaminen, unterhält den Prinzen, Dem eine große Rolle zugedacht iſt, und bringt ihn von Tiefurt weg.“ Prinz Konſtantin, der jüngere Bruder des Herzogs, war mit ſeinen Hofmeiſter Kincbel zerfallen und fand ſich in Tiefurt, wo er wohnte, unbehaglich). Während der Arbeit ſchrieb Goethe an die Freundiit: „Ich wollte, Sie fönnteil ait Platitüden ſo eine Freude haben wie ich; das Stück würde Sie herzlich lachen machen!" lind To fand denn auch die Koinödie bei der erſten Aufführung in Etters: burg am 18. Auguſt die Heiterſte Aufnahme, obwohl ſie kaum über die Expoſition hinausgediehen und nicht bis zur Errichtung der verkehrten Welt gelangt iſt, die bei Ariſtophanes das Weſen aus- macht. Sie wurde im Masfenfoſtüin geſpielt, das Goethe angab und Mieding, der Eins und Alles des weimariſchen Liebhabertheaters, ausführte. Gedruckt wurde ſie zuerſt in den Werfen 1787 und liegt uns wahrſcheinlich nicht ganz in der urſprünglichen Faſſung vor. Noch zicier Dichtungen iſt zu gedenken: Künſtlers Erdes wallen und Künſtlers Apotheoſe; jenes, das wehmütige Bild der Entbehrungen, noch aus der erſten Frankfurter Zeit (um 1773); dieſes, in Italien nach älterer Skizze von 1774 (mitgeteilt auf S. 1917.) erweitert und gleichſant eine Quinteſſenz der künſtleriſchen Erfahrun- gen, die Goethc dort reichlich gemacht, init erhebendem Ausblick auf die dankbare Nachwelt, wurde erſt im September 1788 auf einem Ausfluge in Gotha vollendet. Karl Goedeke. Die Laune des Verliebten. Ein Schäferſpiel in Verſen und einem Akte. Perſonen. Egle. Eridon. Amninlamon. 1. Auftritt. Amine und Egle ſiten an der einen Erite des Theaters und winden Stränze. Lam oil kommt dazu und bringt ein Körbchen mit Blumen. Lamont (indem er das Mörbdien niederſeft). Hier ſind noch Blumen. Egle. Gut! Lamon. Seht doch, wie ſchön ſie ſind! Die Nelke brach ich dir. Egle. Die Roſe! — Lamon. Nein, mein Kind! Aminen reich' ich heut das Seltene vom Jahr: Die Noſe feh' ich gern in einen ſchwarzen Haar. Egle. Und das ſoll ich wohl gar verbindlich, artig nennen? Lamon. Wie lange liebſt du mich ſchon, ohne unich zu kennen? Ich weiß es ganz gewiß, du liebſt nur mich allein, lind dieſes muntre Herz iſt auch auf ewig bein, : Du weißt es. Doch verlangit du mic) 110d; mehr zu binden? 12 Die Laune des Verliebten. Iſt es wohl ſcheltensivert, auch andre ſchön zu finden? 10 Ich wehre dir ja nicht, zu ſagen: der iſt ſchön, Der artig, ſcherzhaft der! ich will es eingeſtehn, Nicht böſe ſein. Egle. Sei's nicht! ich will es auch nicht werden. . Wir fehlen beide gleich. Mit freundlichen Gebärden Hör' ich gar manchen an, und mancher Schäferint 15 Sagſt du was Süßes vor, wenn ich nicht bei dir bin.. Dem Herzen läßt ſich wohl, dem Scherze nichts gebieten; Vor Unbeſtändigkeit inuß uns der Leichtſinnt hüten. Mich kleidet Eiferſucht noch weniger als dich. (Zu Aminen.) Du lächelft über uns! Was denkſt du, Liebe, ſprich! 20 Amnine. Nicht viel. Egle. Genug, mein Glück und deine Qual zu fühlen. Amine. Wie ſo ? Egle. Wie ſo! Anſtatt daß wir zuſammen ſpielen, Daſ Amors Schläfrigkeit bei unſerni Lachen flieht, Beginnet Deine Qual, wenn dich dein Liebſter ſieht. Nie war der Eigenfinn bei einem Menſchen größer. 25 Du Senfſt, er liebe dich. Onein, ich kenn ihn beſſer; Er ficht, daß du gehorchft; drum liebt dich der Tyrann, Dainit er jemand hat, dem er befehlen kann. Amine. Adj, cr gehorcht mir oft. Egle. Pue 30 acht, com an ente e no mußt este Um wieder zu befehlen. Mußt du nicht jeden Blicë von ſeinen Augent ſtehlen? Die Macht, von der Natur in unſern Blick gelegt, Daß er den Mann entzückt, daß er ihn niederſchlägt, Haſt du an ihn geſchenkt und mußt dich glücklich halten, Wenn er nur freundlich ſieht. Die Stirne voller Falten, Die Augenbraunen tief, die Augen düſter wild, Die Lippen aufgedrückt – ein liebenswürdig Bild, 35 1. Auftritt. 13 4.0 Wie er ſich täglich zeigt, bis Bitten, Küſſe, Klagen Den rauhen Winterzug von ſeiner Stirne jagen. Amine. Du kennſt ihn nicht genug, du haſt ihn nicht geliebt. Es iſt nicht Eigenſinn, der ſeine Stirne trübt; Ein launiſcher Verdruß iſt ſeines Herzens Plage Und trübet mir und ihm die beſten Sommertage; Und doch vergnüg' ich mich, da, wenn er mich nur ſieht, Wenn er mein Schmeicheln hört, bald ſeine Laune flieht. Egle. Fürwahr ein großes Glück, das man entbehren könnte. 45 Doch nenne mir die Luft, die er dir je vergönnte. Wie pochte Deine Bruſt, wenn man vom Tanze ſprach); Dein Liebſter flieht den Tanz und zieht dich Arme nach. Kein Wunder, daß er sich bei keinein Feſte leidet, Da er der Wieſe Gras um deine Tritte neidet, 50 Den Vogel, den du liebſt, als Nebenbuhler haſt; Wie könnt er ruhig ſein, wenn sich ein andrer faſt Und gar, indem er ſich mit dir im Reihen fräuſelt, Dich zärtlich an ſich drückt und Liebesworte ſäuſelt. Amine. . . Sei auch nicht ungerecht, da er mich dieſes Feſt, 55 Weil ich ihn darum bat, mit euch begehen läßt. Egle. Das wirſt du fühlen. Amine. Wie? Egle. Warum bleibt er zurücke? Amine. Er liebt den Tanz nicht fehr. Egle. Nein, es iſt eine Tücke. Kommſt du vergnügt zurüd, fängt er halb ſpöttiſch an: Ihr wart wohl ſehr vergnügt? — Sehr. — Das war wohl- gethan. Ihr ſpieltet — Pfänder – So! Damöt war auch zugegen? 55 . 14 Die Laune des Verlichten. · 65 Und tanztet? — Um den Baum - Ich hätt' euch ſchen mögen. Er tanzte wohl recht ſchön? Was gabſt du ihn zum Lohn? Aminc (lächelnd). Fa. Egle. Lachſt du? Amine. Freundin, ja, das iſt ſein ganzer Ton. — Noch Blumen! Laulun. Hier! das ſind die beſten. Amine. Doch mit Freuden Seh' ich ihn ineinen Blick der ganzen Welt beneiden; sich ſehr an dieſem Ncid, wie mich mein Liebſter ſchätt, Und meinem kleinen Stolz wird alle Qual erſetzt. Egle. Kind, ich bedaure dich: du biſt nicht mehr z11 retteri, Da du Sein Elend liebſt; dit kliriſt init dcinen Ketten 70 Und überredeſt dich, es ſei Muſik. Amine. Ein Band Zur Schleife fehlt mir noch. Egle (311 Lamon). Die haft mir eins ontmandt, Das ich vom Maienfrånz beim Frühlingsfeſt bekommen. Lamon. Ich will es holen. Egle. Doch du muſt bald wieder kommen. 2. Auftritt. Eglc. Xmine. Amine. Er achtet das nicht viel, was ihm ſein Mädchen ſchenkt. Egle. Mir ſelbſt gefällt es nicht, wie inein Geliebter denft; zu wenig rühren ihn, der Liebe Tändeleien, 75 2. Auftritt. 90 Die ein empfindlich Herz, ſo klein ſie ſind, erfreuen. Drd), Freundin, glaube mir, es iſt geringre Pein, Nicht gar ſo ſehr geliebt, als es zu ſehr zu ſein. 80 Die Treue lob ich gern; doch muß fie unſerm Lebeni Bei voller Sicherheit die volle Nuhe geben. Amine. Ach, Freundin! ſchätzenswert iſt folch ein zärtlich Herz. - Zwar oft betrübt er mich; doch rührt ihn auch mein Schmerz. Wirft er mir etwas vor, fängt er an, mich zu plagen, $5 So barf ich nur ein Wort, ein gutes Wort nur ſagen, Gleich iſt er umgekehrt, die wilde Zanfſucht flieht; Er weint ſogar mit mir, wenn er mich meinen ſieht, Füllt zärtlich vor mir hin und fleht, ihm zu vergebent. Egle. Und du vergibſt ihm? Amine. Stets. Egle. Heißt das nicht elend leben? Dem Liebſten, der uns ſtets beleiðigt, ſtets verzeihni, Um Liebe ſich bemühn und nie belohnt zu ſein i Amine. Was man nicht ändern kann – Egle. Nicht ändern? Ihn bekehren Sft keine Schwierigkeit. Amine. Wie das? Egle. Ich will dich's Vehren. Es ſtammet deine Not, die unzufriedenheit Des Eridons - Amine. Von was? Egle. . Von deiner Zärtlichkeit. 95 Die Lazie des fcrliebten. Amine: Die, dächť ich, ſollte nichts als Gegenlieb' entzünden. 'Egle. Du irrſt; ſei hart und ſtreng, du wirſt ihn zärtlich finden. Verſuch es nur einmal, bereit ihm kleine Pein: Erringen will der Menſch, er will nicht ſicher ſein. 100 Kommt Eridon, mit dir ein Stündchen zu verbringen, So weiß er nur zil gut, es muß ihm ſtets gelingen. Der Nebenbuhler Zahl iſt ihm nicht fürchterlich; Er meiß, du liebeſt ihn weit ſtärker, als er dich. Sein Glück iſt ihm zu groß, und er iſt zu belachen; 105 Da er kein Flen) hat, will er ſich Elend machen. Er ſieht, daß du nichts mehr als ihn auf Erden liebſt, Und zweifelt nur, weil du ihn nichts zu zweifeln gibſt. Begegn ihn, daß er glaubt, du könnteſt ihn entbehren; Zwar er wird raſen, doch das wird nicht lange währen, 110 Dann wird ein Blick ihn mehr als jeßt ein Kuß erfreun; Mach”, daß er fürchten muß, und er wird glücklich ſein. Amine. fa, das iſt alles gut; allein, es auszuführen, Vermag ich nicht. Egle. Wer wird auch gleich den Mut verlieren! Geh, du biſt allzuſchwach. Sieh (Sort ! Amine. Mein Eridon! Egle. Das dachť ich. Armes Kind! er kömmt, du zitterſt ſchon Vor Freude! das iſt nichts; willſt du ihn je bekehren, Mußt du ihn ruhig ſehn fich nahn, ihn ruhig hören. Das Walen aus der Bruſt! die Röté vom Geſicht! Und dann – Amine. D, laß mich los! So liebt Amine nicht. 115 120 3. Auftritt. . 3. Auftritt. Eridon (kömunt langſam mit übereinander gelcgien Orinen), elmine (itcht auf und läuft ihm entgegen), Egle (bleibt in ihrer Beſchäftiging ſitzen). Aminte (ihn bei der Hand jaſjend). Geliebter Eridon! Eridon (kiißt ihr die vand). Mein Mädchen! Egle (für ſid)). Ach, wie ſüße! Amine. Die ſchönen Blumen! Sprid), mein Freund, wer gab dir dieſe? Eridon. Wer? meine Liebſte. Amine. Wie? – AH! ſind das die von mir? So friſch von geſtern noch? Eridon. Erhalt ich was von Sir, So iſt mir's wert. Doch die von mir ? Amine. Zu jenen Kränzen Fürs Feſt gebraucht ich ſie. Eridon. Dazu! Wie wirſt du glänzen! Lieb in des Jünglings Herz und bei den Mädchen Neid Erregen! Egle. Freue Dich, daß du die Zärtlichkeit So eines Mädchens haſt, um die ſo viele ſtreiten. Eridon. Ich kann nicht glücklich ſein, wenn viele mich beneiden. 130 Egle. Und könnteſt doch; denn wer iſt ſicherer als du? Eridon (zu Aminen). Erzähl' mir doch vom Feſt; kömmt wohl Damöt dazu? Goethe, Werke. VI. 125 18 Die Laune des Verliebten. 135 Egle (einfallend). Er ſagte mir es ſchon, er werde heut nicht fehlen. Eridon (zu Aminen). Mein Kind, men wirſt du dir zu deinem Tänzer wählen? (Plminc jeweigt, er wendet ſich zu Eglen.) D ſorge, gib ihr den, der ihr am liebſten ſei! Amine. Das iſt unmöglich, Freund; denn du biſt nicht dabei! Egle. Nein, hör' nur, Eridon, ich kann's nidht mehr ertragen;. Welch eine Luſt iſt das, Aminen ſo zu plagen? Verlaß ſie, wenn du glaubſt, daß ſie die Treue bricht; Glaubſt du, daß ſie dich liebt, nun gut, ſo plag' ſie nicht. 140 Eridon. Ich plage ſie ja nicht. Egle. Wie? Heißt das ſie erfreuen? Aus Eiferſucht Verdruß auf ihr Vergnügen ſtreuen, Stets ziveifeln, da ſie dir doch niemals Ürfach gibt, Daß fie - Eridon. Bürgſt du mir denn, daß fie mich wirklich liebt? Amine. Ich dich nicht lieben! Ich ! Eridon. Wenn ſehrſt du mich es glauben? Wer ließ ſich einen Strauß vom fecken Damon rauben? Wer nahm das ſchöne Band vom jungen Thyrſis an? Amine. Mein Sridon! - Eridon. Nicht wahr, das haſt du nicht gethan! Belohnteſt du ſie denn? O ja, du weißt zu küſſen. Amine. Mein Beſter, weißt du nicht? – 145 : 1 150 4. Xuftritt. Egle. Di ſameig, er will nichts wiſſen!. Was du ihm ſagen kannſt, haſt du ihm längſt geſagt; Er hat es angehört und doch aufs neu geklagt. Was hilft's dich? Magſt du's ihm auch heut noch einmal ſagen; Sr wird beruhigt gehn und morgen ivieder klagen. Eridor. Und das vielleicht mit Recht. Amine. Mit Recht? Ich! Untreu ſein? Amine dir? Mein Freund, kannſt du es glauben? 155 Eridon. Nein! Ich kann, ich will es nicht. Amine. Gab ich in meinem Leben Dir je Gelegenheit? Eridoit. Die haſt du oft gegeben. Amine, Wann war ich untrcu ? Eridor. Nie! Das iſt es, was mich quält: Aus Vorſak haſt du nie, aus Leichiſinn ſtets gefehlt. 160 · Das, was mir wichtig ſcheint, hältſt du für Kleinigkeiten; Das, was mich ärgert, hat bei dir nichts zu bedeuten. Egle. Gut! nimmt's Ainine leicht, ſo ſag', was ſchadet's dir ? Eridon. Das hat ſie oft gefragt; ja freilich ſchadet's mir! Egle. Was denn? Amine wird nie andern viel erlauben. 165 Eridon. zu wenig zum Verdacht, zu viel, fie treu zu glauben. Egle. Mehr, als ein weiblich Herz je liebte, liebt ſie dich. 20 Die Laune des Verliebten. Eridoit. und licht den Tanz, die Luft, den Scherz ſo ſehr als mich. Egle. Wer das nicht leiden kann, mag unſre Mütter lieben! Amine. Schweig, Egle! Eridon, hör? auf, mich zu betrüben! 170 Frag' unſre Freunde nur, wie ich an dich gedacht, Selbſt wenn wir fern von dir getändelt und gelacht: Wie oft ich mit Verdruß, der mein Vergnügen nagte, Weil du nicht bei mir warſt, was mag er machen? fragte. O, wenn du es nicht glaubſt, komm heute init mir hin, 175 Und dann ſag' noch einmal, daß ich dir untreu bin. Ich tanze nur mit Sir, id) will did nie verlaſſen, Dich nur ſoll dieſer Arin, dich dieſe Hand nur faſſen. Wenn mein Betragen dir den kleinſten Argwohn gibt - Eridon. Daß man ſich zwingen kann, beweiſt nicht, daß man liebt. 180 Egle. Sieh ihre Thränen an, ſie fließen dir zur Ehre! Nie dacht ich, daß dein Herz im Grund ſo böſe wäre. Die Unzufriedenheit, die keine Grenzen kennt Und immer mehr verlangt, je mehr man ihr vergönnt, Der Stolz, in ihrer Bruſt der Jugend kleine Freuden, 185 Die ganz unſchuldig ſind, nicht neben dir zu leiden, Beherrſchen wedſelsmeis bein haſſenswürdig Herz; Nicht ihre Liebe rührt, dich rühret nicht ihr Schmerz. Sie iſt mir wert, du folist hinfort ſie nicht betrüben; Schwer wird es ſein, dich fliehn, doch ſchwerer iſt's, [190 dich lieben. Amine (für ſids). Ach, warum muß mein Herz ſo voll von Liebe ſein! Eridoit (ſteht einen Uugenblic ftill, dann naht er ftchy furchtſam Aminen und faßt ſie bei der Sand). Amine! liebſtes Kind, kannſt du mir nod; verzeihn? Amine. Ach, hab ich dir es nicht ſchon allzuoft bewieſen? Eridor. Großmütges, beſtes Herz, laſ mid) zu deinen Füßen - 4. Auftritt. 195 Y 200 Amine. Steh auf, mein Eridon! Egle. feßt nicht ſo vielen Dank! Was man zu heftig fühlt, fühlt man nicht allzulang. Eridor. Und dieſe Heftigkeit, mit der ich ſie verehre — Egle. Wär' weit ein größer Glück, wenn ſie ſo groß nicht wäre. Ihr lebtet ruhiger, und dein und ihre Pein — Eridor. Vergib mir diesmal noch, ich werde klüger fein. Amine. Geh, lieber Eridon, mir einen Strauß zu pflücken! Iſt er von deiner Hand, wie ſchön wird er mich ſchmücken! . Eridon. Du haſt die Roſe ja! Amine. Ihr Lamon gab ſie nir. Sie ſteht mir ſchön. Eridon (empfindlich). ja wohl - Amine. Doch, Freund, ich geb' ſie dir, Daß du nicht böſe wirſt. Eridon (nimmt ſie an und füßt ihr die Hand). Gleich will ich Blumen bringen. (AG.) 205 4. Uuftritt. Amine. Egle. Hernad) Canon. Egle: Gutherzig armes Kind, ſo wird dir's nidit gelingen! Sein ſtolzer Hunger wächſt, je mehr daß du ihm gibſt. Gib acht, er raubt zuleßt dit alles, was du liebſt. Die Laune des Verliebten. Amine. Verlier' ich ihn nur nicht, das eine macht mir bange. Egle. Wie ſchön! Man ſieht es wohl, du liebſt noch nicht gar lange. 210 Fm Anfang geht es ſo; hat man ſein Herz verſchenkt, Šo denkt man nichts, wenn man nicht an den Liebſten denft. Ein ſeufzender Roman, zu dieſer Zeit geleſen, Wie zärtlich der geliebt, wie jener treu gerweſen, Wie fühlbar jener Held, wie groß in der Gefahr, 215 Wie mächtig zu dem Streit er durch die Liebe war, Verdreht uns gar den Kopf; wir glauben, uns zu finden, Wir wollen elend ſein, wir wollen überwinden. Ein junges Herz nimmt leicht den Eindruck vom Roman; Allein ein Herz, das liebt, nimmt ihn noch leichter an. 220 Wir lieben lange ſo, bis wir zuleßt erfahren, Daß wir, ſtatt treu zu ſein, von Herzen närriſch waren. Amine. Doch das iſt nicht mein Fall. Egle. Ja, in der Hiße ſpridit Ein Kranker oft zum Arzt: Ich hab' das Fieber nicht. Glaubt man ihm das? Niemals. Truß allem Widerſtreben 225 Gibt man ihm Arzenei. So muß man dir ſie geben. Amine. Von Kindern ſpricht man ſo, von mir klingt's lächerlid); Bin ich ein Kind ? Egle. Du liebſt! Amine. Du auch! Egle. Ja, lieb' wie ich ! Befänftige den Sturm, der dich bisher getrieben! Man kann ſehr ruhig ſein und doch ſehr zärtlich lieben! 230 Lamon. Da iſt das Band! Amine. Sehr ſchön! 4. Auftritt. Egle. Wie lange zauderft du! Lamon. Ich ging am Hügel hin, da rief mir Chloris zu. Da hab ich ihr den Hut mit Blumen ſchmücken müſſen. Egle. Was gab ſie dir dafür? Lamon. Was? Nichts! Sie ließ ſich küſſen. Man thu'auch, was man will, man trägt doch nie zum Lohn 235 Von einem Mädchen mehr als einen Kuß davon. Amine (zeigt Eglen den Stranz mit der Schleife). Iſt es ſo recht? Egle. Ja, gib! (Sie hängt Uminen den Kranz um, ſo daß die Schleife auf die rechte Schulter kommt. Mittlerweile redet ſie init Lamon.) Hör’! nur recht luſtig heute! · Lamon. Nur heute recht gelärmt! Man fühlt nur halbe Freude, Wenn man ſie fittſam fühlt und lang fich's überlegt, Ob unſer Liebſter das, der Wohlſtand jen's erträgt. Egle. Du haſt wohl recht. Lamon. Sa wohl! Egle. [mine! ſetz' sich nicber! (Nminc ſetzt ſid), Egle ſtedt ihr Blumen in die Haare, indem ſie fortredet.) Komm, gib mir doch den fuß von deiner Chloris wieder. Lamon (füßt ſie). Von Herzen gerne. Hier ! Amine. Seid ihr nicht wunderlich! Egle. Wär Eridon es ſo, es wär' ein Glück für dich. 240 11 24 AmineDie Laune . 245 des Verſtebten. Gewiß, er dürfte mir kein fremdes Mädchen füffen. Lamon. Wo iſt die Noſe? Egle. Sie hat ſie ihm geben müſſen, Ihn zu beſänftigen. Amine. Ich muß gefällig ſein. Lamon. Gar recht! Verzeih du ihni, ſo wird er dir verzeihn. Ja, ja! Ich mert es wohl, ihr plagt euch um die Wette. Egle (als ein Zeidhen, daß ſie mit dem Ropfpuke fertig iſt). So! Lamon. Schön! Amine. Ach, daß ich doch ießt ſchon die Blumen hätte, Die Eridon mir bringt? : Egle. Erwart ihn immer hier. Ich geh' und puße mich. Komm, Lamon, geh mit mir! Wir laſſen sich allein und kommen bald zurücke. 250 5. Auftritt. Amine. Hernach Eridon. Amine. D welche Zärtlichkeit, beneidenswürð'ges Glücke! 255 Wie wünſcht' id; — Sollt es wohl in meinen Kräften ſtehn, Den Eridon vergnügt und mich beglückt zu ſehn? Hätt' ich nicht ſo viel Macht ihm über inich gegeben, Er würde glücklicher und ich zufriedner leben. Verſuch, ihm dieſe Macht durch Kaltſinn zu entziehn! 260 Doch wie wird ſeine Wut bei meiner Kälte glühn! Ich kenne ſeinen Zorn, wie zittrich, ihn zu fühlen! Wie ſchlecht wirft du, mein Herz, die ſchwere Rolle ſpielen! Doch wenn du es ſo weit wie deine Freundin bringſt, Da er dich ſonſt bezwang, du fünftig ihn bezwingſt — 265 5. Auftritt. 270 Heut ift Gelegenheit; ſie nicht vorbei zu laſſen, Will ich gleich jetzt -- Er kommt! Mein Herz, du mußt dich faſſen. Eridon (gibt ihr Blumen). Sie ſind nicht gar zu ſchön, mein Kind! verzeih es mir, Aus Eile nahm ich ſie. Amine. Genug, ſie ſind von dir. Eridon. So blühend ſind ſie nicht, wie jene Roſen waren, Die Damon bir geraubt. Amine (ſtedt ſie an den Buſen). Ich will fie ſchon bewahren; Hier, wo du wohnſt, ſoll auch der Blumen Wohnplatz ſein. Eridon. Iſt ihre Sicherheit da – Amine. Glaubſt du etwa? - Eridon. Nein! Ich glaube nichts, mein Kind; nur Furcht iſt's, mas ich fühle. Das allerbeſte Herz vergißt bei munterm Spiele, 275 Wenn es des Tanzes Luſt, des Feſtes Lärm zerſtreut, Was ihm die Klugheit rät und ihm die Pflicht gebeut. Du magſt wohl oft an mich auch beim Vergnügen denken; Doch fehlt es Sir an Ernſt, die Freiheit einzuſchränken, Zu der das junge Volk ſich bald berechtigt glaubt, Wenn ihm ein Mädchen nur im Scherze was erlaubt. Es hält ihr eitler Stolz ein tändelndes Vergnügen Sehr leicht für Zärtlichkeit. Amine. Gnug, daß ſie ſich betrügen! Wohl ſchleicht ein ſeufzend Volk Liebhaber um mich her; Doch du nur haſt inein Herz, und fag", was willſt dil mehr? 285 Du kannſt den Armen wohl, mich anzuſehn, erlauben, Sie glauben Wunder - Eridon. Nein, ſie ſollen gar nichts glauben! Das iſt's, was mich verdrießt. Zwar weiß ich, du biſt mein; 280 26 Die Laune des Verliebten. 300 Doch einer denkt vielleicht, beglükt, wie ich, zu ſein, Schaut in das Auge dir und glaubt dich ſchon zu küſſen 290 lind triumphiert wohl gar, daß er dich mir entriffen. Amine. So ſtöre den Triumph! Geliebter, geh mit mir, Laß ſie den Vorzug fehn, den du – Eridon. Ich danke dir. Es würde grauſam ſein, das Opfer anzunehmen. Mein Kind, du mürdeſt dich des ſchlechten Tänzers ſchämen; 295 Ich weiß, mem euer Stolz beim Tanz den Vorzug gibt: Dem, der mit Anmut tanzt, und nicht dem, den ihr liebt. Amine. Das iſt die Wahrheit. Eridon (mit zuriiægehaltenem Spott). Ja! Ach, daß ich nicht die Gabe Des leichten Damarens, des vielgeprieſnen, habe ! Wie reizend tanzt er nicht! Amine. Schön! daß ihm niemand gleicht. Eridon. . Und jedes Mädchen - Amine. Schäßt – Eridon. Liebt ihn darum! Amine. Vielleicht. Eridoir. Vielleicht? verflucht! gewiß ! Amine. Was machſt du für Gebärden? Eridon. Du fragſt? Plagſt du mich nicht? Ich möchte raſend werden. Amine. Ich? Sag', biſt du nicht ſchuld an mein- und Deiner Pein? Grauſamer Eridon! wie kannſt du nur ſo ſein? 305 5. Auftritt. 2 Eridon. Ich muß; ich liebe dich. Die Liebe lehrt mich klagen; Liebt ich dich nicht ſo ſehr, ich würde sich nicht plagen. Ich fühl mein zärtlich Herz von Wonne hoch entzückt, Wenn mir dein Auge lacht, wenn deine Hand mich brüdt. Ich dank den Göttern, die mir dieſes Glücke gaben; 310 Doch ich verlang's allein, kein andrer ſoll es haben." Amine. Nun gut, was klagſt du denn? Kein andrer hat es nie. Eridoir. Und du erträgſt ſie doch; ncin, haſſen ſoliſt du ſie! Amine. Sie haſſen? und warum? Eridon. Darum, weil ſie dich lieben! Amine.. Der ſchöne Grund! Eridon. Ich ſeh's, du willſt ſie nicht betrüben, Du mußt ſie ſchonen; ſonſt wird deine Luſt geſchwächt, Wenn du nicht - Amine. Eridon, du biſt ſehr ungerecht. Heißt uns die Liebe denn die Menſchlichkeit verlaſſen? Sin Herz, das einen liebt, kann keinen Menſchen Jaſſen. 320 Dies zärtliche Gefühl läßt kein ſo ſchrecklichs zu, Zum wenigſten bei mir. - Eridont. Wie ſchön verteidigſt du Des zärtlichen Geſchlecits hochinütiges Vergnügen, Wenn zwanzig Thoren' knien, die zwanzig zu betrügen! Heut iſt ein großer Tag, der deinen Hochmut nährt, 325 Heut wirſt du manchen fehn, der dich als Göttin ehrt; Noch manches junge Herz wird ſich für dich entzünden, Kaum wirft du Blicke gnug für alle Diener finden. Gedenk' an mich, wenn dich der Thoren Schwarm vergnügt, Ich bin der größte! Geh! 315 330 Die Laune des Verliebten. 335 Anine (filt fich). Flieh, ſchwaches Herz! Er ſiegt. Ihr Götter! Lebt er denn, mir jede Luft zu ſtören? Währt denn mein Glend fort, um niemals aufzuhören? (Zu Eridon.) Der Liebe leichtes Band machſt du zum ſchweren Jod, Du quälſt mich als Tyrann, und ich? id lieb' dich nroch! Mit aller Zärtlichkeit antwort ich auf dein Wütci, fr allem geb' ich nach; Doch biſt du nicht zufrieden. Was opfert' ich nicht auf! Ach, dir genügt es nie. Du willſt die heutige Luft! Nun gut, hier haſt du ſie! (Sie nimmt die Föränze aus den þaaren und von der Schulter, wirft ſie weg und jährt in einem gezwungenci ruhigen Tone fort.) Nicht wahr, mein Eridon? ſo ſiehſt du mich viel lieber, Als zu dem Feſt gepukt. Eft nicht dein Zorn vorüber ? 3:40 Du ſtehſt, ſiehſt mich nicht an! Biſt du erzürnt auf mich ? Eridon (fällt vor ihr nieder). Amine! Scham und Steu’! Verzeih, ich liebe dich! Geh zu dem Feſt!. Amine. Mein Freund, ich werde bei dir bleiben; Ein zärtlicher Geſang ſoll uns die Zeit vertreiben. Eridon. Geliebtes Kind, geh! Amine. Geh! hol' deine Flöte her. Eridoni. Du willſtä! (AB.) 315 6. Auftritt. Umine. Er ſcheint betrübt, und Heimlich jauchzet er An ihn wirſt du umſonſt die Zärtlichfeit verlieren. Dics Opfer, rührt es ihn? Es ſchien ihn kaum zu rühren; Er hielt's für Šduldig feit. Was willſt du, armes Herz? Du murrſt, Drückſt dieſe Bruft. Verdient' ich dieſen Schmerz? 350 Ja wohl verdienſt du ihn! Du ſiehſt, dich zu betrüben Hört er nicht auf, und doch hörſt du nicht auf, zu lieben. 6. u. 7. Auftritt. 29 Ich trag's nicht lange mehr. Still! Ha! ich höre dort Schon die Muſik. És hüpft mein Herz, mein Fuß will fort. Ich will! Was drückt mir fo die bange Bruſt zuſammen! 355 Wie ängſtlich wird es mir! Es zehren heft'ge Flammen Am Herzen. Fort, zum Feſt! Ach, er hält mich zurück! Armſelges Mädchen! Sieh, das iſt der Liebe Glück! (Sie wirft ſich auf einen Raſen und weint; da die andern auftreten, wijcht ſte ſid) die Augen und ſteht auf.) Weh mir, da kommen ſie! wie werden ſie mich höhnen! 7. Auftritt. Amine. Egle. Pamon. Egle. Geſchwind! Der Zug geht fort! Amine! Wie? in Thränen? 360 Lamont (hebt die Kränze auf). Die Kränze? Egle. Was iſt das? wer xiß fie dir vom Haupt? Amine. Ich! 365 Egle. Willft du denn nicht mit? Amine. Gern, wär' es mir erlaubt. Egle. Wer hat dir denn was zu erlauben? Geh und rede Nicht ſo geheimnisvoll! Sei gegen uns nicht blöde! Hat Eridon - ? Amine. Ja! Er! Egle. Das hatt' ich wohl gedacht. Du Närrin, daß dich nicht der Schaden klüget macht! Verſprachſt du ihm vielleicht, du wollteſt bei ihm bleiben, Um dieſen ſchönen Tag mit Seufzern zu vertreiben? Ich zweifle nicht, mein Kind, daß du ihm ſo gefällſt. (Nad) einigem Stidſdyweigen, indem ſie Lamon einen Winé gibt.) Doch du ſiehſt beſſer aus, wenn du den Franz behältſt. 370 30 Die Laune des Verliebten. und nur gehn on schönen Lang ihn ganz alle Komm, fet' ihn auf! und den, ſieh! den häng' hier herüber! Nun biſt du ſchön. (Umine ſteht mit niedergeſchlagenen Augen und läßt Egle machen. Egle gibt Damon cin Seiden.) Dochy, ac), es läuft die Zeit vorüber; Ich muß zum Zug! Lamon. Ja wohl! Dein Diener, gutes Kind! Amine (betlemmt). Lebt wohl! Egle (im Weggehen). Amine! nun, gehſt du nicht mit? Geſchwind! Amine (ſieht ſie traurig an und ſchweigt). Lamon (faßt Egle bei der Hand, fie fortzuführen). Ad), laß ſie doch nur gehn! Vor Bosheit möcht' ich ſterben: 375 Da muß ſie einem nun den ſchönen Tanz verderben! Den Tanz mit Rechts und Links, ſie kann ihn ganz allein, Wie fich's gehört; ich hofft auf ſie, nun fällt's ihr ein, Zu Haus zu bleiben! Komm, ich mag ihr nichts mehr ſagen. Egle. Den Tanz verſäumſt du! Ja, du biſt wohl zu beklagen. 380 Er tanzt ſich ſchöni. Leb wohl! (Egle will Aminen lüſſen. Amine fällt ifr um den Hats und weint.) Amine. Ich kann's nicht inehr ertragen. Egle. Du weinft? Amine. So weint mein Herz, und ängſtlich drückt es mich. ich möchte – Eridon, ich glaub”, ich haſſe dich. Egle. Er hätt's verdient. Doch nein! Wer wird den Liebſten haffen? Du mußt ihn lieben, doch dich nicht beherrſchen laſſen. 385 Das ſagt ich lange ſchon!' Komm init! Lamon. Zum Tanz, zum Feſt! Amine. lind Eridon? . 8. Auftritt. Egle. Geh nur! ich bleib?. Gib acht, er läßt Sich fangen und geht mit.' Sag’, würde dich's nicht freuen? . Amine. Unendlich! Lamon. Nun, ſo komm! Hörſt du dort die Schalmeien? Die ſchöne Melodie? (Er faßt Aminen bei der Hand, ſingt und tanzt.) Egle (jingt). Und wenn euch der Liebſte mit Eiferſucht plagt, Sich über ein Nicken, ein Lächeln beklagt, Mit Falſchheit euch niedket, von Wankelmut ſpricht: Da ſinget und tanzet, da hört ihr ihn nicht. (lamon zicht in Tanz Amine mit fid, fort.) Amine (im Abgeben). O, bring ihn ja mit dir ! 390 395 8. Auftritt. Egle. Hernad, Eridon mit einer Flöte und Liedern. Egle. Edon gut! Wir wollen ſehn! Schon lange wünſcht' ich mir Gelegenheit und Glüd, den Schäfer zu bekehren. Heut wird mein Wunſch erfüllt; wart' nur, ich will. dich lehren! Dir zeigen, wer du biſt; und wenn du dann fie plagft! - Er kommt! Hör, Eridon! - 100 Eridoni. Wo iſt ſie ? Egle. Wie! du fragſt? Mit meinem Lamon dort, wo die Schalmeien blaſen. Eridon (wirft die Flöte auf die Erde und zerreißt die Lieder). Verfluchte Untreu ! Egle, Raſeſt du? Die Laune des Verliebten. eridou 405 415 Eridoni. Sollt ich nicht raſen! Da reißt die Heuchlerin mit lächelndem Geſicht Die Kränze von dem Haupt und ſagt: Ich tanze nicht! Verlangť ich das? lind - O! (Er ſtampit mit dem Fuße und wirft die zerriſſenen Lieder weg.) Egle (in cinem geſeyten Tone). Erlaub mir doch, zu fragen: Was haſt du für ein Recht, den Tanz ihr zu verſagen? Willſt du denn, daß ein Herz, von deiner Liebe voli, Kein Glück, als nur das Glück um dich, empfinden ſoll? . Meinſt du, es ſei der Trieb nach jeder Luſt geſtillet, Sobald die Zärtlichkeit das Herz des Mädchens füllet? 410 Genug iſt's, daß ſie dir die beſten Stunden ſchenkt, Mit dir am liebſten weilt, abweſend an sich denkt. Drum iſt es Thorheit, Freund, ſie ewig zu betrüben; Sie kann den Tanz, das Spiel, und doch dich immer lieben. Eridon (jdlägt die Arme unter und ſieht in die Höhe). Ah! Egle. Sag' mir, glaubſt du denn, daß dieſes Liebe ſei, Wenn Du ſie bei dir hältſt? Nein, das iſt Sklaverei. Du konımſt: nun foll ſie sich, nur dich beim Feſte ſehen; Du gehſt: nun foll ſie gleich init dir von bannen gehen; Sie zaubert: alſobald verdüſtert ſich dein Blick; Nun folgt ſie dir, Doch bleibt ihr Herz gar oft zurü&. 420 Eridon. Wohl immer ! Egle. Hört man doch, wenn die Verbittrung redet. Wo keine Freiheit iſt, wird jede Luſt getötet. Wir ſind nun ſo. Ein Kind iſt zum Geſang geneigt; Man ſagt ilm: Sing mir doch! Es wird beſtürzt und ſchweigt. Wenn du ihr Freiheit läßt, ſo wird ſie dich nicht laſſen; 125 Doch, machſt du's ihr zu arg: gib adht, ſie wird dich haſſen. Eridon. Mich haſſen! Egle. Nach Verdienſt. Ergreife dieſe Zeit Und ſchaffe dir das Glück der echten Zärtlichkeit! 8. Auftritt. 33 Denn nur ein zärtlich Herz, von eigner Glut getrieben, Das kann beſtändig ſein, das nur fann wirklich lieben. Bekenne, weißt du denn, ob sir der Vogel treil, Den du im Käfig hältſt ? Eridon. 430 Nein. Egle. · Aber wenn er frei Durch Feld und Garten fliegt und doch zurücke kehret ? Eridon. fa! Gut! da weiß ich's. Egle. Wird nicht deine Luſt vermehret, Wenn du das Tierchen fiehſt, das dich fo zärtlich liebt, 436 Die Freiheit fennt und dir dennoch den Vorzug gibt? Und kommt dein Mädchen einſt von einem feſt zurüde, Noch von dem Tanz bewegt, und ſucht dich; ihre Blide Verraten, daß die Luft nie ganz vollfommen ſei, Wenn du, ihr Liebling, bu, ihr Einz’ger, nicht dabei; 440 Wenn ſie dir ſchwört, ein Kuß von Sir jei mehr als Freuden Von tauſend Feſten: biſt du da nicht zu beneiden? Eridoit (gerührt). Egle! Egle. Fürchte, daß der Götter Zorn entbrennt, Da der Beglückteſte ſein Glück ſo wenig kennt. Auf! ſei zufrieden, Freund! Sie rächen ſonſt die Thränen 145 Des Mädchens, das dich liebt. Eridoit. Könnt ich mich nur gemöhnen, Zu ſehn, daß mancher ihr beim Tanz die Hände drückt, Der eine nach ihr ſieht, fie nach dem andern blickt. Denk' ich nur dran, mein Herz möcht da vor Bosheit reißen! Egle. Ei! laß das immer ſein! das will noch gar nichts heißen. 450 Sogar ein Kuß iſt nichts! Eridon. Was ſagſt du? nichts, cin Kuß? Goethe, Werte. VI. Die Laune des Verliebten. 160 Egle. Ich glaube, daß man viel im Herzen fühlen muß, Wenn er was ſagen ſoll – Doch, millſt du ihr verzeihn? Denn, wenn du böſe thuſt, ſo kann ſie nichts erfreun. Eridon. Nch, Freundin! 155 Egle (jasmeiđelnd). Thu es nicht, mein Freund! du biſt auch gut. Leb wohl! (Sie faßt ihn bei der sand.) Du biſt erhikt! Eridon. Es ſchlägt mein wallend Blut – Egle. Noch von dem Zorn? Genug! Du haſt es ihr vergeben. Id eile jetzt zu ihr. Sie fragt nach dir mit Beben; Ich ſag' ihr: Er iſt gut! und ſie beruhigt ſich, Ihr Herz wallt zärtlicher, und heißer liebt ſie dich. (Sie ſieht ihn mit Empfindung an.) Gib acht, ſie ſucht sich auf, ſobald das Feſt vorüber, und durch das Suchen ſelbſt wirſt du ihr immer lieber. (Egle ſtellt ſich immer zärilicher, lehnt ſich auf ſeine Schulter. Er nimmt ihre Hand und füßt ſie.) und endlich ſieht ſie dich! D, welcher Augenblick! Drück ſie an deine Bruſt und fühl bein ganzes Glück! 465 Ein Mädchen wird beim Tanz verſchönert: rote Wangen, Ein Mund, der lächelnd haucht, geſunkne Locken hangen Um die bewegte Bruſt, ein fanfter Reiz umzieht Den Körper tauſendfach, wie er im Tanze flieht, Die vollen Adern glühn, und bei des Körpers Schweben 470 Scheint jede Nerve fich lebendiger zu heben. (Sie affettiert eine zärtliche Entzücung und ſinkt an ſeine Bruſt, er flingt ſeinen Aim im ſie.) Die Wolluſt, dies zu ſehn, was überwiegt wohl die? Du gehſt nicht mit zum Feſt und fühlſt die Nührung nie. Eridon. Zu ſehr, an deiner Bruſt, o Freundin, fühl ich fie! (Er fällt Eglen um den Hals und füßt ſie, jie läßt es geſdhehen. Dann tritt jic einige Sdiritte juriid und fragt mit einein leichtfertigen T011.) Lichſt du Aminen? 475 Lekter Auftritt. Eridont. Sie, wie mich! Egle. Und kannſt mich küſſen? O, warte nur, du ſollſt mir dieſe Falſchheit büißen! Du ungetreuer Menſch! Eridon. Wie? glaubſt du denn, daß ich – Egle. Ich glaube, was ich kann. Mein Freund, du küßteſt mich Necht zärtlich, das iſt wahr. Ich bin damit zufrieden. Schmeckt dir mein Kuß? Ich denk's; die heißen Lippen glühten 450 Nach mehr. Du armes Kind! Amine, wärſt du hier! Eridon. Wära fie's ! Egle. Nur noch getrutzt! Wie ſchlimm erging es dir! Eridoir. fa, keifen mürde fie. Du mußt mich nicht verraten. Ich habe dich geküßt, jedoch, was kann's ihr ſchaden? Und wenn Amine mich auch noch ſo reizend füßt, Darf ich nicht fühlen, Daß sein Kuß auch reizend iſt? Egle. Da frag' fie ſelbſt. W + 3 be 185 Letter Auftritt. Amine. Egle. Eridoni. Eridon. Weh mir! Amine. Ich muß, ich muß ihn ſehen! Geliebter Eridon! Es hieß mich Egle gehen; Ich brach mein Wort, mich reut's; mein Freund, ich gehe nicht! Eridon (für ſich). Ich Falſcher! 490 36 Die Launc des Verlichten. Amiite. Zürnſt du noch? du wendeſt dein Geſicht? Eridon (für ſid). Was werd ich ſagen! Aminc. Ach! verdient ſie dieſe Rache, So eine kleine Schuld? Du haft gerechte Sache, Doch laß – Egle. O, laß ihn gehn! er hat mich erſt gefüßt; Das ſchmeckt ihm noch. Amine. Gefüßt! Egle. Recht zärtlich! Antiite. Ah! das iſt Zu viel für dieſes Herz! So ſchnell kannſt du mich haſſen? 495 Ich Unglückſelige! Mein Freund hat mich verlaſſen! Wer andre Mädchen füßt, fängt ſein's zu fliehen"an. Ach! ſeit ich dich geliebt, hab' ich ſo was gethan? Kein Jüngling Surfte mehr nach meinen Lippen ſtreben; Kaum hab' ich einen Kuß beim Pfänderſpiel gegeben. 500 Mir nagt die' Eiferſucht ſo gut das Herz, wie dir; Und doch verzeih' ich dir's, nui wende dich zu mir! Doch, armes Herz, umſonſt biſt du ſo ſehr verteidigt! Er fühlt nicht Liebe mehr, ſeitdem du ihn beleidigt. Die mächtigé Rednerin ſpricht nun umſonſt für dich. Eridoit. O melche Zärtlichkeit! wie fehr beſchämt ſie mich ! Amine. O Freundin, konnteſt du mir meinen Freund verführen! Egle. Getroſt, mein gutes Kind, du ſollst ihn nicht verlieren. Ich kenn' den Fridon und weiß, wie treu er ift. Amine, und hat on 505 510 Lekter Auftritt. Egle. Ja, das iſt wahr, und hat mich doch geküßt. Ich weiß, wie es geſchah, du kannſt ihm wohl vergeben. Sieh! wie er es bereut! Eridon (fällt vor Uminen nieder). Amine! liebſtes Leben! O, zürne du mit ihr! ſie machte ſich ſo ſchön; Ich war den Mund ſo nah und konnt nicht widerſtehn. Doch kenneſt du mein Herz, mir kannſt du das erlauben, 515 So eine kleine Luſt wird Dir mein Herz nicht rauben. Egle. Amine, küß? ihn, weil er ſo vernünftig ſpricht! (3u Eridon.) Luſt raubt ihr nicht dein Herz, dir raubt ſie ihres nicht. So, Freund! Du mußteſt dir dein eigen Urteil ſprechen; Du ſiehſt, liebt ſie den Tanz, ſo iſt es kein Verbrechen. 520 (Fyn nadahmend.) Und wenn ein Jüngling ihr beim Tanz die Hände drücft, Der eine nach ihr ſieht, ſie nach den andern blickt, Auch das hat, wie du weißt, nicht gar ſo viel zu ſagen. Ich hoffe, du wirſt nie Aminen wieder plagen, Und denke, du gehſt mit. Amine. Komm mit zum Feſt! Eridon. Ich muß; Ein Kuß belehrte mich. Egle (zu Aninen). Verzeih uns dieſen Kuß! Und kehrt die Eiferſucht in ſeinen Buſen wieder, So ſprich von dieſem Kluß, dies Mittel ſchlag' ihn nieder! “ Ihr Eiferſüchtigen, die ihr ein Mädchen plagt, Denkt euren Streichen nach, dann habt das Herz und klagt. 530 525 O 38 Die Mitiduldigen. Die Nitſchuldigen. Ein Luſtſpiel in Verſen und drei Arten. Perſonen. Der Wirt. Alceſt. Sophie, ſeine Tochter. Ein Kellner. Söller, ihr Mann. Der Schauplatz iſt im Wirtshauſe. Guffer Nufzutg. Die Wirtsſtube. 1. Auftritt. Söller, im Domino an cincm Tijdden, cine Bouteille Wein vor fid). Sophie, gegenüber, cinc fociße Feder auf einen Sut nähend. Der Wirt fomnint Herein. Jul Grunde sieht ein Tiſch mit Foder, Tinte und Papier, daneben cin Großvaterſtuhi. Wirt. Schon wieder auf den Ball! Im Ernſt, Herr Schwiegerſohn, Idh hab' Sein Naſen ſatt und Sächt', Er blieb? Savon. Mein Mädchen hab' ich Ihm wahrhaftig nicht gegeben, Um ſo in Tag hinein voit meinem Geld zu leben. Ich bin ein alter Mann, ich ſehnte inich nach Ruh, Ein Helfer fehlte mir, nahın ich fhn nicht dazu? Ein ſchöner Helfer wohl, mein Biſchen durchzubringen! Höller (ſummt ein Liedden in den Bart). Wirt. Ja, fing Er, fing Er nur, ich will Ihm auch was ſingen! Er iſt ein Taigenichts, der voller Thorheit ſteckt, Spielt, fäuft und Tabak raucht und tolle Streiche heckt, 10 Die ganze Nacht verſchwärmt, den halben Tag im Bette; Es iſt kein Fürſt im Reich, der beſſer Leben hätte. Da ſißt das Abenteu’r mit weiten Aermeln da, Der König Haſenfuß! Erſter Aufzug. 1. Auftritt. 39 Söller (trinkt). Ihr Wohlergehn, Papa! Wirt. Ein ſaubres Wohlergehn! Das Fieber möcht' ich kriegen. 15 Sophie. Mein Vater, ſein Sie gut! Höller (trinkt). Mein Fiekchen, bein Vergnügen! Sophie. Vergnügen! Könnt ich euch nur einmal einig ſehn! Wirt.: Wenn er nicht anders wird, ſo kann das nie geſchehn. ich bin wahrhaftig längſt des ew'gen Zankens müde, Doch wie er’s täglich treibi, da halt der Henker Friede! 20 Er iſt ein ſchlechter Mann, ſo kalt, ſo undankbar; Er ſieht nicht, was er iſt, er denkt nicht, was er war, Nicht an die Dürftigkeit, aus der ich ihn geriſſen,. An ſeine Schulden nicht, die ich doch zahlen müſſen. Man ſieht, es beſſert auch nicht Elend, Neu’, noch Zeit; 25 Einmal ein Lumpenhund, er bleibt's in Ewigkeit. Sophie. Er ändert ſich gewiß. Wirt. Muß er's ſo lang verſchieben? Sophie. Das iſt nun Jugendart. Jöller (trinkt). Fa, Fiefchen, was wir lieben! Wirt. *Zu einem Ohr hinein, zum andern flugs heraus! Er hört mich nicht einmal. Was bin ich denn im Haus? 30 Ich hab' nun zwanzig Jahr mit Ehren inich gehalten. Meint Er, was ich erwarb, damit woll' Gr nun ſchalten Und woll' es nach und nach verteilen? Nein, mein Freund, Das laß Er ſich vergehn! So bös iſt's nicht gemeint! Mein Nuf hat lang gewährt und foll noch länger währen; 55 Es fennt die ganze Welt den Wirt zum ſchwarzen Vären. 40 Die Mitſchuldigen. Es iſt kein Summer Bär; er konſerviert ſein Fell; Jeßt wird mein Haus gemalt, und danit heiß ich's Hotel. . Da regnet's Kavaliers, Da kommt das Geld mit Haufen; Doch da gilt's fleißig ſein, und nicht, ſich dumm zu faufen! 40 Nach Mitternacht zu Bett und morgens auf beizeit, So heißt's da! Höller. Bis dahin iſt es noch ziemlich weit. Ging's nur ſo ſeinen Gang, und wär's nicht täglich ſchlimmer! Wer kommt denn viel zu uns? Da droben ſtehn die Zimmer. Wirt. Wer reiſt denn jetzt auch viel? Das iſt nun ſo einmal, 45 Und hat nicht Herr Alceſt zwei Stuben und den Saal? öller. Ja, ja, das iſt ſchon was, das iſt ein guter Kunde; Allein Minuten ſind erſt ſechzig eine Stunde, Und dann weiß Herr Alceſt, warum er hier iſt. Wirt. Wie? Söller. Ach, apropos, Papa! Man ſagt mir heute früh, In Deutſchland gäb's ein Korps von braven jungen Leuten, Die für Amerika Sukkurs und Geld bereiten. Man fagt, es wären viel und hätten Mut genug, lind wie das Frühjahr käm’, fo geh der ganze Zug. Wirt. Ja, ja, beim Glaſe Wein hört ich wohl manchen prahlen, 55 Er ließe Haut und Haar für meine Provinzialen: Da Lebt die Freiheit hoch, war jeder brav und fühn, Und wenn der Morgen kam, ging eben keiner hin. Böller. Ach, es gibt Kerls genug, bei denen's immer ſprudelt; Und wenn ſo einen Penn die Liebe weidlich hudelt, So müßt's romanenhaft, ſogar erhaben ſtehn, So, mit dem Kopf voran, in alle Welt zu gehn. Wirt. Wenn einen nur die Luft von unſern Kunden triebe, Der auch hübſch artig wär' und dann uns manchmal ſchriebe, Das wär doch noch ein Spaß! 50 60 Erſter Aufzug. 2. Auftritt. 41 Söller. Es iſt verteufelt weit. Wirt. Eh nun, was liegt daran? Der Brief läuft eine Zeit. Ich will doch gleich hinauf in kleinen Vorjaal gehen, Wie weit's iſt ohngefähr, auf meiner Karte ſehen. (Ab.) 2. Uuftritt. Sophie. Sörler Höller. Im Haus iſt nichts ſo ſchlimm, die Zeitung macht es gut. Sophie. Ja, gib ihm immer nach! 70 Söller. Ich hab kein ſchnelles Blut; . Das iſt ſein Glück! denn ſonſt, mich ſo zu fujonieren! Sophie. Ich bitt dich. Söller. Nein! man muß da die Geduld verlieren! Ich weiß das alles wohl, daß ich vor einem Jahr Ein lodrer Paſſagier und voller Schulden war — Sophie. Mein Guter, ſei nicht bös! Söller. Er ſchildert mich ſo greulich, Und doch fand mich Sophie nicht ganz und går abſcheulich. Sophie. Dein ero’ger Vorwurf läßt mich keine Stunde froh. Söller. Ich werfe dir nichts vor, ich meine ja nur ſo. Ach, eine ſchöne Frau ergöket uns unendlich, Es ſei nun, wie ihm will! Siehſt du, man iſt erkenntlich. 80 Sophie, wie ſchön biſt du, und ich bin nicht von Stein, Ich kenne gar zu wohl das Glück, dein Mann zu ſein; Ich liebe dich – 111 75 Die Mitſchuldigen. Sophie. Und doch kannſt du mich immer plagen? Söller. o geh, was liegt denn dran? Das darf ich ja wohl ſagen, Daß sich Alceſt geliebt, daß er für dich gebrannt, 85 Daš du ihn auch geliebt, daß du ihn lang gekannt. Sophie. Ad! Söller. Nein, ich wüßte nicht, was ich da Böſes fähe! Ein Bäumchen, das man pflanzt, das ſchießt zu ſeiner Höhe, Und wenn es Früchte bringt, ei! da genießet ſie, Wer da iſt; übcrs Jahr gibt's wieder. Ja, Sophie, 90 ich kenne dich zu gut, um was daraus zu machen; Ich find's nur lächerlich. Sophie. Ich finde nichts zu lachen. Daß mich Alceſt geliebt, daß er für mid; gebrannt, Daß ich ihn auch geliebt, daß ich ihn lang gekannt, Was iſt's nun weiter? öller. Nichts ! Das will ich auch nicht ſagen, Daß es was weiter iſt. Denn in den erſten Tagen, Wenn dir das Mädchen keimt, da liebt ſie eins zum Spaß, Es krabbelt ihr ums Herz, und ſie verſteht nicht, was. Man füßt beim Pfänderſpiel und wird aimählich größer, Der kuß wird ernſtlicher und ſchmeckt nun immer beſſer, 100 Und da begreift ſie nicht, warum die Mutter ſchmält; Voll Tugend, wenn ſie liebt, iſt's Unſchuld, wenn ſie fehlt. Und kommt Erfahrenheit zu ihren andern Gaben, So fei ihr Mann vergnügt, ein kluges Weib zu haben! Sophie. Du kennſt mich nicht genug. Höller. O laß das immer ſein! Dem Mädchen iſt ein Kuß, was uns ein Gläschen Wein, Eins, und dann wieder eins, und noch eins, bis wir ſinken. Wenn inan nicht tauineln will, ſo muß man gar nicht trinken! 15 105 Erſter Aufzug. 2. Auftritt. 43 115 Genug, bu biſt nun mein! – Iſt es nicht vierthalb Jalr, Daß Herr Alceſt dein Freund und hier im Hauſe war? 110 Wie lange war er weg? Sophie. Drei Jahre, denk' ich. Söller. Drüber. Nun iſt er wicder da, ſchon vierzehn Tage – sophie. Lieber, 31 was dient der Diskurs ? Söller. Eh nun, daß man was ſpricht; Denn zwiſchen Mann und Weib redt fich ſo gar viel nicht. Warum iſt er wohl hier? Sophic. Eh nun, ſich zu vergnügen. Söller. Ich glaube wohl, du magſt ihm ſehr am Herzen liegen. Wenn er dich liebte, he, gäbſt du ihm wohl Gehör? Sophie. Die Liebe kann mohl viel, allein die Pflicht noch mehr. Du glaubſt – ? Höller. Ich glaube nichts und kann das wohl begreifen; Ein Mann iſt immer mehr, als Herrchen, die nur pfeifen. 120 Der allerſüßſte Ton, den auch der Schäfer hat, Es iſt doch nur ein Ton, und Ton, den wird man ſatt. Sophie. Ja, Ton! Nun gut, ihr Ton! Doch iſt der deine beſſer ? Die Unzufriedenheit in dir wird täglich größer, Nicht einen Augenblick biſt du mit Necken ſtill. Man fei erſt liebenswert, wenn man geliebt ſein will. Warſt du denn wohl der Mann, ein Mädchen zu beglücken? Erivarbſt du dir ein Recht, inir ewig vorzurücken, Was doch im Grund nichts iſt? Es wankt das ganze Haus, Du thuſt nicht einen Streich und gibſt am meiſten aus. 130 125 Die Mitſchuldigen. 115 Du Vebſt in Tag hinein; fehlt dir's, ſo machſt du Schulden, Und wenn die Frau was braucht, ſo hat ſie keinen Gulden, Und du fragſt nicht darnach, wo ſie ihit kriegen fann. Wilſt du ein braves Weib, ſo ſei ein rechter Mann! Verſchaff' ihr, was ſie braucht, hilf ihr die Zeit vertreiben, 135 Und um das Uebrige kannſt du dann ruhig bleiben. Söller. Eh, ſprich den Vater an! Hophie. Dem Läin' ich eben recht. Wir brauchen ſo genug, und alles geht ſo ſchlecht. Erſt geſtern mußt' ich ihn notwendig etivas bitten. Ha, rief er, du kein Geld, und Söller fährt im Schlitten? 1.10 Er gab mir nichts und ſürmt mir noch die Ohren voll. Nun ſage mir einmal, woher idy's nehmen ſoll? Denn du biſt nicht der Mann, für eine Frau zu ſorgen. Söller. D warte, liebes Kind, vielleicht empfang' ich morgen Von einem guten Freund - Sophie. Wenn er ein Narr iſt, ja! Zum Holen ſind zwar oft die guten Freunde da; Dod) einen, der was bringt, den hab' ich noch zu ſehen! Nein, Söller, ſiehſt du wohl, ſo kann's nicht weiter gehen! Söller. Du haſt ja, was man braucht. Sophie. Schon gut, das iſt wohl was: Doch wer nie dürftig war, der wilt noch mehr als das. 150 Das Glück vermöhnet uns gar leicht durch ſeine Gaben, Man hat, ſo viel mån braucht, und glaubt 110ch nichts zu haben. Die Luft, die jede Frau, die jedes Mädchen hat, Ich bin nicht hungrig drauf, Goch bin ich auch nicht ſatt. Der Put, der Bal! – Genug, ich bin ein Frauenzimmer. 155 Söller. Eh nun, ſo geh doch mit, ſag' ich dir’s denn nicht immer? Sophic. Daß wie die Faſtnachtsluſt auch unſre Wirtſchaft ſei, Die kurze Zeit geſchwärmt, dann auf einmal vorbei ? Erſter Aufzug. 3. Auftritt. Viel lieber ſitz' ich hier allein zu ganzen Jahren! Wenn du nicht ſparen willſt, ſo muß die Frau wohl ſparen. 160 Mein Vater iſt genug ſchon über dich erboſt: Ich ſtille ſeinen Zorn und bin ſein ganzer Troſt. Nein, Herr! ich helf' Fhm nicht mein eigen Geld verſchwenden: SparEr es erſt an ſich, un es an mich zu wenden! Söller. Mein Kind, für diesmal nur laß inich noch luſtig ſein, 165 itiid wenn die Meſſe fommt, ſo richten wir uns ein. Ein Kellner (tritt auf). Herr Söller! öller. He, was gibt's ? Kelliter. Der Herr von Tirinette! Sophie. Der Spicler ? Töller Schick ihn fort! Daß ihn der Teufel hätte! Kellner. Er ſagt, er muß Sie felin. Sophie. Was will er denn bei dir ? Göller. Ah, er verreiſt — (Zum Kellner) Ich komm'! – 170 (Zu Sophic) und er enipfiehlt ſich mir. (26.) 3. Uuftritt. Sophie (allein). Der mahnt ihn ganz gewiß! Er macht im Spiele Schulden, Er bringt noch alles durch, und ich, ich muß es dulden. Das iſt nun alle Luft und mein geträumtes Glück! Solch eines Menſchen Frau! So weit famſt du zurüd! Wo iſt ſie hin, die Zeit, da noch zu ganzen Scharen Die ſüßen jungen Herrn zu deinen Füßen waren? 175 46 Die Mitſchuldigen. ISO Da jeder ſein Geſchick in deinen Blicken fah? Ich ſtand im Ueberfluß wie eine Göttin da; Aufmerkſam rings umher die Diener meiner Grillen; Es war genug, mein Herz mit Eitelkeit zu füllen. Und, ach! ein Mädchen iſt wahrhaftig übel fran! Sft man ein bißchen hübſch, gleich ſteht man jedem an; Da ſummt uns unſer Kopf den ganzen Tag von Lobe! Und welches Mädchen hält wohl diefe Feuerprobe ? Ihr könnt fo ehrlich thun, man glaubt euch gern aufs Wort, 185 Ihr Männer! – auf einmal führt euch der Henker fort. Wenn's was zu naſchen gibt, find alle flugs beim Schmauſc; Doch macht ein Mädchen Ernſt, ſo iſt kein Menſch zu Hauſe. So geht's mit unſern Herrn in dieſer ſchlimmen Zeit; Es gehen zwanzig drauf, bis daß ein halber freit. 190 Zwar fand ich mich zuletzt nicht eben ganz verlaſſen; Mit vierundzwanzigen iſt nicht viel zu verpaſſen. Der Söller kam mir vor – Eh, und ich nahm ihn an; Es iſt ein ſchlechter Menſch, allein, es iſt ein Mann. Da ſitz' ich nun und bin nicht beſſer als begrabenr. Anbeter könnt ich wohl noch in der Menge haben; Allein, was ſollen fie? Man quälct, ſind fie summ, Zur Langenweile nur mit ihnen ſich herum ; Und einen klugen Freund iſt es gefährlich lieben: Er wird die Klugheit bald zu euerin Schaden üben. 200 Auch ohne Liebe war mir jeder Dienſt verhaßt – Und jekt - mein armes Herz, warſt du darauf gefaßt? Alceſt iſt wieder hier. Ach, welche neue Plage! Fa, vormals, war er da, wie waren's andre Tage! Wie licht' ich ihn! - Und noch - Ich weiß nicht, was ich will ! 205 Ich weich ihin ängſtlich aus, er iſt nachdenfend, ſtill! Ich fürchte mich vor ihm; die Furcht iſt wohl gegründet. Ach, wüßt er, was mein Herz noch jetzt für ihn empfindet! Er kommt. Ich zittre ſchon. Die Bruſt iſt mir ſo voll; Ich weiß nicht, was ich will, viel wen’ger, was ich ſoll. ' 210 195 4. Uuftritt. Sophie. Niceſt. Alceſt (angekleidet, ohne Hut und Degen). Verzeihen Sie, Madam, wenn ich beſchwerlich falle. Erſter Aufzug. 4. Auftritt. 47 Sophie. Sie ſcherzen, Herr Alceſt! dies Zimmer iſt für alle. Alceſt. Ich fühle, jekt bin ich für Sie, wie jedermann. Sophie. Ich ſeh' nicht, wie Alceſt darüber klagen kann. Alceſt. Du ſiehſt nicht, Grauſame? Ich ſollte das erleben? 215 Sophie. Erlauben Sie, mein Herr! ich muß mich wegbegeben. Alceſi. Wohin? Sophie? wohin? – Du wendeſt dein Geſicht? Verſagſt mir seine Hand? Sophie, kennſt du mich nicht? Sieh her! Es iſt Úlceſt, der um Gehör dich bittet. Sophie. Weh mir! Wie iſt mein Herz, mein armes Herz zerrüttet! 220 Alceſt. Biſt du Sophie, ſo bleib! Hophie. jch bitte, ſchonen Sie! Ich muß, ich muß hinweg ! Alceſt. Unzärtliche Sophie! Verlaſſen Sie mich nur! — In dieſen Augenblicke, Dacht" ich, iſt ſie allein; du nahſt sich deinem Glückc. Jekt, hofft' ich, redet fie cin freundlich, Wort mit dir. 225 De gehn Sie, gehn Sie nur! – Jil dieſem Zimmer hier Entdeckte mir Šophie zuerſt die ſchönſten Flammen, Die Liebe fchlang uns hier das erſte Mal zuſammen. An eben dieſem Plat — erinnerſt du dich noch? – Schwurſt du mir em ge Treu?! Sophie. O, ſchonen Sie mich doch! Alcet. Ein ſchöner Abend war’s – ich werd' ihn nie vergeſſen! Dein Auge redete, und ich, ich 'ward vernieſſen! 230 48 Die Mitſchuldigen. 245 Mit Zittern botſt du mir die ſüße Lippe dar: Noch fühlt mein Herz zu ſehr, wie ganz ich glücklich war. Da war dein Glück, mich ſehn, dein Glück, an mich zu denken! 235 Ind jeßo willſt du mir nicht eine Stunde ſchenken? Du ſiehſt, ich ſuche dich, du ſiehſt, ich bin betrübt - Geh nur, du falſches Herz, du haſt mich nie geliebt! Sophie. Ich bin geplagt genug, willſt du mich auch noch plagen? Šophie dich nie geliebt! Alceſt, das Barfſt du ſagen? 2:40 Du warſt mein einz'ger Wunſch, du warſt mein höchſtes Gut; Für dich ſchlug dieſes Herz, dir wallte dieſes Blut? ünd dieſes gute Herz, das du einſt ganz beſeſſen, Kann nicht unzärtlich ſein, es kann dich nicht vergeſſen. Ach, die Erinnerung hat mich ſo oft betrübt; Alceſt! – ich liebe dich – noch, wie ich dich geliebt. Alccjf. Du Engel! beſtes Herz! (wia ſie umarinen.) Sophie. Ich höre jemand gehen. Alceſt. Xuch nid)t ein einzig Wort! Das iſt nicht auszuſtehen. So geht's den ganzen Tag! Wie iſt man nicht geplagt! Schon vierzehn Tage hier, und dir kein Wort geſagt! 250 Ich weiß, du liebſt mich noch; allein das muß mich ſchmerzen, Niemals ſind wir allein und reden nie von Herzen; Nicht einen Augenblick iſt hier im Zimmer Nuh, Bald iſt der Vater ba, baló fommt der Mann dazu. Lang bleib' ich dir nicht hier, das iſt mir unerträglich; 255 Allein, Sophie, wer will, iſt dem nicht alles möglich? Sonſt war bir nichts zu ſchwer, du halfeſt uns geſchwind; Es war die Eiferſucht mit hundert Áugen blind. D, wenn du wollteſt -- Sophie. Was? Alceſt. Wenn du nur denken wollteſt, Daß du Alceſten nicht verzweifeln laſſen ſollteſt! 260 Geliebte, ſuche doch uns nur Gelegenheit Zur Unterredung auf, die dieſer Ort 'verbeut. Erſter Aufzug. 5. Auftritt. O höre, heute Nacht! Dein Mann geht aus dem Hauſe, Man meint, ich gehe ſelbſt zu einem Faſtnachtsſchmauſe; Allein, das Hinterthor iſt meiner Treppe nah - 2015 Es merft's kein Menſch im Haus, und ich bin wieder da. Die Schlüſſel hab' ich hier, und willſt du mir erlauben - Gs med tifel hab ich sophie. Alceſt, id) wundre mich - Alieſt. Und ich, ich ſoll dir glauben, Daß du kein hartes Herz, kein falſches Mädchen biſt? Du ſchlägſt das Mittel aus, das uns noch übrig iſt? 270 Kennſt du Alceſten nicht, Sophie? und darfſt du zaudern, fi ſtiller Nacht mit ihm ein Stündchen zu verplaudern? Genug, nicht wahr; Sophie, heut Nacht beſuchich dich? Doch kommt dir's Fichrer vor, ſo koini, beſuche mich! sophie. Das iſt zu viel ! 'Alcejt. Zu viel! zu viel! O, ſchön geſprochen! Verflucht! zu viel zu viel. Verderb? id) meine Wochen Hier jo umſonſt? -- Verdammt! was hält mich dieſer Drt, Wenn mich Sophie nicht hält? Ich gehe morgen fort. v ophie. Geliebter! Beſter ! Alceſt. Nein, du fennſt, du ſiehſt mein Leiden, lind du bleibſt ungerührt! Ich will dich ewig meiden! 230 275 5. Uuftritt. Borige. Der Wirt. Wirt. Da iſt ein Brief; er niuß von jemand Hohes fein; Das Siegel iſt ſehr groß, und das Papier iſt fein. Alicji (reißt den Brief auf). Wirt (für ſid). Den Inhalt möcht? ich wohl von dieſem Briefe wiſſen! Goethe, Werft. VI. 50 . Die Mitſchuldigen. 285 Alceļi (der den Brief flüchtig durchgeleſen hat). ich werde morgen früh von hier verreiſen müſſen! Die Rechnung! Wirt. Ei! ſo ſchnell in dieſer ſchlimmen Zeit Verreiſen? – Dieſer Brief iſt wohl von Wichtigkeit ? Darf, man ſich unterſtehn und Shro Gnaden fragen? Alceſt. Nein! Wirt (zu Sophien). Frag' ihn doch einmal! gewiß, dir wird er's fagen. (Er gcht an den Tijd im Grunde, wo er aus der Schublade ſeine Büdjer zicht, ſich nicderjett und die Rednung dreibt.) Bophie. Alceſt, iſt es gewiß ? Alceſi. Das ſchmeichelnde Geſicht! bophie. Alceſt, ich bitte dich, verlaß Sophieen nicht! 290 290 Alceſt. Nun gut, entſchließe dich, mich heute nacht zu ſehen. Sophie (für ſich). Was ſoll, was kann ich thun? Er darf, er darf nicht gehen; Er iſt mein einz'ger Troft. – (Laut.) Du ſiehſt, daß ich nicht fann! – Denk', ich bin eine Frau. Alreſt. Der Teufel hoľ den Mann, So biſt du Witwe! Nein, benüße dieſe Stunden; zum erſt- und Veßtenmal ſind ſie vielleicht gefunden! Sin Wort! um Mitternacht, Geliebte, bin ich da! Sophie. An meinem Zimmer iſt mein Vater allzunah. Alceſt. Eh nun, fo komm zu mir! Was ſoll da viel Beſinnen? fi dieſen Zweifeln flieht der Augenblick von hinnen. 300 Hier, nimm die Schlüſſel nur! 295 Erſter Xufzug. 6. Nuftritt. 51 Sophie. Der meine öffnet ſchon. Alteſi. So fomm denn, liebes Kind, was hält sich ab davon? Nun, willſt du? sophie. Ob ich will ? Alceſi. Run? Sophie. Ich will zu dir kommen. Alceſt (zumn Wirt). Herr Wirt, ich reiſe nicht! Wirt (hervortretend). So ? (3u Sophien.) Haſt du was vernommen? Sophie. Er will nichts ſagen. 305 Wirt. Nichts? 6. Auftritt. Vorige. Söller. Söller. Mein Hut! Sophie. Da liegt er, hier! Alceſt. Adieu, ich muß nun fort. Söller. Ich wünſche viel Pläſir! Alrejt. Adieu, ſcharmante Frau! 52 Die Mitſchuldigen. II Sophie. Adieu, Alceſt! öller. Ihr Diener! Alteſt. Ich muß noch erſt hinauf. Söller (für ſich). Der Kerl wird täglich fühner. Wirt (ein Licht nehmend). Erlauben Sie, mein Herr ! Alceļi (cs ihm aus der Hand komplimentierend). Herr Wirt, nicht einen Schritt! (86.) Sophie. Nun, Söller, gehſt du denn? Wie wär's, du nähmſt mich mit? 310 Höller. Aha! es kommt dir jekt – Sophie. Nein, geh! ich ſprach's im Scherze! työller. Nein, nein, ich weiß das ſchon, es wird dir warm ums Herze, Wenn man ſo jemand ſieht, der ſich zum Balle ſchickt, lind man foll ſchlafen gehn, da iſt hier was, das drückt. Es iſt ein andermal. Hophie. Dja! ich kann wohl warten. Nur, Söller, ſei geſcheit und hüt' dich vor den Karten. . (Zum Wirt, der die Zeit über in tiefen Gedanken geſtanden.) Nun, gute Nacht, Papa! ich will zu Bette gehn. Wirt. Cuť Nacht, Sophie! Söller. Schlaf wohl! (Ihr nadjehend.) "Nein, ſie iſt wahrlich ſchön! (Er läuft ihr nach und füßt ſic nod; einmal an der Thiir.). : 315 Erſter Aufzing. 7 Auftritt. 53 Schlaf wohl, mein Schäfchen! (Zum Wirt.) Nun, geht Ir nicht auch zu Bette? Wirt. : Das iſt ein Teufelsbrief; wenn ich den Brief nur hätte! 320. (Zu Söller.) · Nun, Faſtnacht! gute Nacht! Söller. Dank's! angenehme Nuh! Wirt. Herr Söller, wenn Er geht, madh? Er das Thor recht zu! (Ab.) Böller. Ja, forgen Sie für nichts! 7. Auftritt. Söller (afein). Was iſt nun anzufangen? Das verfluchte Spiel! o wär' der Kerl gehangen! Beim Abzug. mar's nicht juſt; doch muß ich ſtille ſein: 325 Er haut und ſchießt fich gleich. Ich weiß nicht aus noch ein. Wie wär's? – Alceft hat Gelb – und dieſe Dietrich' ſchließen. Er hat auch große Luſt, bei mir was zu genießen! Er ſchleicht um meine Frau, das iſt mir lang verhaßt: Eh nun! Ba lad' ich mich einmal bei ihm zu Gaſt. 330 Allein, fänı' es heraus, sa gäb's dir ſchlimme Sachen - Ich bin nun in der Not, was kann ich anders machen? Der Spieler will ſein Gelb, ſonſt prügelt er mich aus. Kourage! Söller!: fort! Es ſchläft das ganze Haus. Und wird es ja entdeckt, bin id doch wohl gebettet: Denn eine ſchöne Frau hat manchen Dieb gerettet. (26.) 335 Die Mitſchuldigen. Zweiter Nufzug. Das 3 i numer Alceſte ns. Das Theater iſt von vorn nach dem Fond zu geteilt in Stube und Alfoven. An der cinen Seite der Stube ſteht ein Tiſd), darauf Papiere und eine Schatulle. Jan Grund cine große Thür, und an der Seite eine kleine, dem Alkoven gegenüber. 1. Auftritt. Söller (im Domino, die Maske vorm Seſidit, in Strümpfeir, cine Blendlaterne in der Hand, kommt zur kleinen Thüre Herein, Icudtct furchtjam im Zimmier herum, dann tritt er gefaßtër hervor, nimmt die Maske ab, wijdt den Schweiß und ſpricht). Es braucht's nicht eben juſt, daß einer tapfer iſt, Man kommt auch durch die Welt mit Schleichen und mit Liſt. Der eine geht euch hin, bewaffnet mit Piſtolen, Sich einen Sack voli Geld, vielleicht den Tod zu holen, Und ſpricht: ,,Den Beutel her, her, ohne viel zu ſperrn!" 5 Mit ſo gelaßnem Blut, als ſpräch er: „Proſt, ihr Herrn!" Sin andrer zieht herum, mit zauberiſchen Händen Und Volten, wie der Bliß, die Uhren zu entwenden; Und wenn ihr’s haben wollt, er ſagt euch ins Geſicht: „Ich ſtehle! Gebt wohl acht!“ Er ſtiehlt, ihr ſeht es nicht. 10 Mich machte die Natur nun freilich viel geringer; Mein Herz iſt allzuleicht, zu plump find meine Finger, Und doch, kein Schelm zu ſein, iſt heutzutage ſchwer! Das Geld nimmt täglich ab, und täglich braucht man inehr. Du biſt nun einmal Brin, nun hilf Sir aus der Falle! 15 Ach, alles meint zu Haus, ich ſei die Nacht beim Balle. Mein Herr Alceſt — berſchwärmt, mein Weibchenſchläft allein — Die Konſtellation, wie kann ſie ſchöner ſein? (Sidh dem Tiſd nahend.) D, komm, du Heiligtum, du Gott in der Schatulle! Sin König ohne dich iſt eine große Nulle. Habt Dank, ihr Dietriche! ihr ſeid der Troſt der Welt: Durch euch erlang'ich ihn, den großen Dietrich – Geld. (Indem er die Schatuđe zu eröffnen ſucht. ) Ich hatt als Acceſſiſt einmal beim Amt gelauert; Doch hat auch da mein Fleiß nicht eben lang gedauert. Das Schreiben wollte nicht, mir war's zu einerlei, Erſt in der Ferne Brot und täglich Plackerei, 20 25 Zweiter Aufzug. 1. u. 2. Auftritt. 55 como mar nur Choice fuftig unserer Wiel ward ein Das ſtand mir gar nicht an – Ein Dieb warð eingefangen, Die Schlüſſel fanden ſich, und er, er ward gehangen. Nun weiß man, die Juſtiz bedenkt zuvörderft fich; Ich war nur Subaltern, das Eiſen kam an mich. Ich hob es auf. Ein Ding Ideint euch nicht viel zıı nützen, Es kommt ein Augenblic, man freut ſich's zu befißen! Und jetzt - . (Das Schloß ſpringt auf.) o ſchön gemünzt, ha! das iſt wahre Luſt! (Er ſteckt cin.) Die Taſche ſchrillt von Gelb, von Freuden meine Bruſt – Wenn es nicht Ängſt iſt. Horch! Verflucht! ihr feigen Glieder! 35 Was zittert ihr? - Genug! (Er ſieht noch einmal in die Schatuđe und nimmt nod.) ' Noch eins! Nun gut! (Er madit ſie zu und fährt zuſammen.) Schon wieder! Es geht was auf dem Gang! es geht doch ſonſt nicht um - Der Teufel hat vielleicht ſein Spiel – das Spiel wär' dumm! Ift's eine Kake? Nein! Das wär' ein ſchwerer Kater. Geſchwind! es dreht am Schloß — (Springt in den Alkoven.) 40 2. Auftritt. Der Wirt (init einem Wadhaſtoof, zur Seitenthiir herein). Söller. Söller. Behüt'! mein Schmiegervatez? Wirt. Es iſt ein närriſch Ding um ein empfindlich Blut; Es pocht, wenn man auch nur halbweg was Böſes thuit. Neugierig bin ich ſonſt mein Tage nicht geweſen, Dächt ich nicht in dem Brief was Wichtiges zu leſeni. lind mit der Zeitung iſt's ein ew'ger Aufenthalt: Das Neuſte, was man hört, iſt immer monatsalt. - lind dann iſt das auch ſchon ein unerträglich Weſen, Wenn jeder ſpricht: Dja! ich hab es auch geleſen. Wärich nur Kavalier, Miniſter müßť ich ſein, Und jeglicher Kurier ging' bei mir aus und ein. 45 50 56 Die Mitſdjuldigen. Ich find' ihn nicht, den Brief! hat er ihn mitgenommen? Es iſt doch ganz verflucht! man ſoll zu gar nichts kommen! Jöller (für ſich). Du guter alter Narr, ich ſeh? wohl, es hat sich Der Dichs- und Zeitungsgott nicht halb ſo lieb wie mich. Wirt. Id find’ihn nicht! - Oweh! - Hör’ich auch recht?— Daneben 55 Im Saale — Söller. Riecht er mich vielleicht? Wirt. . Es kniſtert eben, As wär's ein Weiherſchuh. Söller. Schuh! Nein, das bin ich nicht. Wirt (bläſt den Wadysſtock aus, und da er in der Verlegenheit das Schloß der kleinen Thüre nidt aufmachen kann, läßt er ihn fallen). Jeßt hindert mich das Schloß noch gar! (Stößt die Thüre auf und fort.) 3. Auftritt. Sophie (zur Hinterthiire mit einem licht herein). Söller. Höller (im Alkoven für ſich). Ein Weibsgeſicht! Höll’! Teufel! ineine Frau! Was ſoll mir das? Sophie. Ich bebe Bei dem verwegnen Schritt. Söller. Sie iſt's, ſo mahr ich lebe! Gibt das ein Rendezvous? - Allein, geſetzten Falls, Ich zeigte mich! – Sa, bann -- es krabbelt mir am Hals! Sophie. fa, folgt der Liebe nur! Mit freundlichen Gebärden Lockt ſie euch anfangs nach - Zweiter Aufzug. 3. Auftritt. 57 65 70 Söller. Ich möchte raſend merden! Und darf nicht - Sophie. . Doch wenn ihr einmal den Weg verliert, Dann führt kein Sörlicht euch ſo ſchlimm, als ſie euch führt. Söller. Ja wohl, dir wär' ein Sumpf geſünder als das Zimmer! Sophie. Bisher ging's freilich ſchlimm, doch täglich wird es ſchlimmer: Mein Mann macht's bald zu toll. Bisher gab's wohl Verdruß; Jetzt treibt er es ſo arg, daß ich ihn haſſen muß. Söller. Du Here! Sophie. Meine Hand hat er – Alceſt inzmiſchen Beſikt, wie ſonſt mein Herz. Söller. Zu zaubern, Gift zu miſchen, Iſt nicht ſo ſchlimm! Sophie. Dies Herz, das ganz für ihn geflammt, Das erſt durch ihn gelernt, was Liebe ſei – Höller. Verdammt! : Sophie. Gleichgültig war's und kalt, eh es Alceſt erweichte. 75 Söller. Fhr Männer, ſtündet ihr nur, all' einmal ſo Beichte! Sophie. Wie liebte mich Alceſt! Höller. Ach, das iſt nun vorbei! Sophie. Wie herzlich liebt' ich ihn! Söller. Pah! das war Kinderei! 58 Die Mitſchuldigen. Sophie. Du, Schickſal, trennteſt uns, und, ach! für meine Sünden Mußť ich mich - welch ein Muß! – mit einem Vieh verbinden. 80 Söller. Ich Vieh? – ja wohl ein Vieh, von dem gehörnten Vieh! : Sophie. Was ſeh' ich? Söller. Was, Madam? Sophie. Des Vaters Wachsſtod? Wie Kam er hieher? - Doch nicht? - Da werð' ich fliehen müſſen; Vielleicht belauſcht er uns! – Söller. D, ſeß ihr zu, Gewiſſen! Sophie. Doch das begreif' ich nicht, wie er ihn hier verlor. 85 Söller. Sie ſcheut den Vater nicht, mal ihr den Teufel vor! Sophie. Ach nein, das ganze Haus liegt in dem tiefſten Schlafe. Söller. Die Luft iſt mächtiger als alle Furcht der Strafe. Sophie. . Mein Vater iſt zu Bett – Wer weiß, wie das geſchah ? Es mag drum ſein! 90 Söller. O weh! Sophie. Alceſt iſt noch nicht da? Söller. O, dürft' ich fie! Sophie. Mein Herz ſchwimmt noch in bangem Zweifel: Ich lieb' und fürcht ihn doch. Zweiter Aufzug. 4. Auftritt. 59 . 2. :: : :. Söller. Ich fürcht ihn wie den Teufel und mehr noch. Kän er nur, der Fürſt der Unterwelt, Ich bät ihn: Hol mir ſie! da haſt du all mein Geld! Sophie. Du biſt zu redlich, Herz! Was iſt denn dein Verbrechen? 95 Verſprachſt du, treu zu ſein? und konnteſt du verſprecheit, Dem Menſchen treu zu ſein, an dem kein gutes Haar, Der unverſtändig, grob, falſch - Söller. Das bin ich? Sophie. Fürwahr, Wenn ſo ein Scheuſal nicht den Abſcheu gnug entſchuldigt, So lob' ich mir das Land, wo man dem Teufel huldigt. 100 Er iſt ein Teufel! Söller. Was? ein Teufel? Scheuſal? - Ich? Ich halt's nicht länger aus! (Er macht Gebärde, hervorzuſpringen.) 4. Auftritt. alceſt (angefleidet, mit But und Degen, den Mantel drüber, den er gleich ablegt). Borige. Alreſt. Du warteſt ſchon auf mich? Sophie. Sophie kam dir zuvor. . Alceſt. Du zitterſt? Sophie. · Die Gefahren! Alreft. Nein! Weibchen! nicht! Söller. Du! dir! das ſind Präliminaren! 60 Die Mitſchuldigen. 110 Sophie. Du fühlteſt, was dies Herz um deinetwillen litt; 105 Du kennſt dies ganze Herz, verzeih ihm dieſen Schritt! Alreſt. Sophie! Sophie. Verzeihſt du ihn, ſo fühl ich keine Neue. Söller. Ja, frage mich einmal, ob ich dir ihn verzeihe? Sophie. Was führte mich hieher? Gewiß, ich weiß es kaum. Söller. Ich weiß es nur zu wohl! Sophie. Es iſt mir wie ein Traum. völler. Ich wollt', ich träumte! Sophie. Sieh, ein ganzes Herz voll Plagen Vring' ich zu dir. Alceſt. Der Schmerz vermindert ſich im Klagen. sophie. Ein ſympathetiſch Herz, wie deines, fand ich nie. öller. Wenn ihr zuſammen gähnt, das nennt ihr Sympathie! Vortrefflich! Sophie. Mußť ich nur dich ſo vollkommen finden, Um mit dem Widerſpiel von dir mich zu verbinden? Ich hab ein Herz, das nicht tot für Sie Tugend iſt. Alceſt. Ich kenn's ! Söller. Ja, ja, ich auch! 115 Zweiter Aufzug. 4. Auftritt. Sophie. So liebenswert du biſt, Du hätteſt nie von mir ein einzig Wort vernommen, Wär' dieſes arme Herz nicht hoffnungslos beklommen. 120 Ich ſehe Tag vor Tag die Wirtſchaft untergehn: Das Leben meines Manns! Wie können wir beſtehn? Ich weiß, er liebt mich nicht, er fühlt nicht meine Thränen; Ünd wenn mein Vater ſtürmt, muß ich auch den verſöhnen! Mit jedem Morgen geht ein neues Leiden an. 125 Söller (gerührt auf ſeine Art). Nein doch, die arme Frau iſt wahrlich übel dran! Sophie. Mein Mann hat keinen Sinn für halb ein menſchlich Leben;. Was hab' ich nicht geredt, was hab' ich nachgegeben! Er fäuft den vollen Tag, macht Schulden hier und dort, Spielt, ſtänkert, pocht und kriecht, das geht an einem fort! 130 Sein ganzer Witz erzeugt nur Albernheit und Schwänke; Was er für Klugheit hält, ſind ungeſchliffnie Ränke; Er lügt, verleumdet, trügt - Höller. Ich ſeh', ſie ſammelt ſchon Die Perſonalien zu meinem Leichfermon.' Sophie. O glaub, ich hätte mich ſchon lange tot betrübet, . 135 Wüßt ich nicht — Böller. Nur heraus! Sophie. Daß mich Alceſt noch liebet. Alceſt. Er liebt, er klagt, wie du... Sophie. Das lindert meine Pein, Von einem wenigſtens, von dir beklagt zu ſein. Alceſt, bei dieſer Hand, der teuern Hand, beſchwöre Ich dich, behalte mir dein Herz beſtändig! Höller. Höre, Wie ſchön ſie thut! . 110 62 Die Mitſchuldigen. 1.15 Sophie. Dies Herz, das nur für dich gebrannt, Kennt keinen andern Troſt, als nur von deiner Hand. Alceſt. Ich kenne für dein Herz kein Mittel. (Er faßt Sophien in den Arm und küßt ſic.) Höller. Weh mir Armen! Will denn kein Zufall nicht ſich über mich erbarmen! Das Herz, das macht mir bang!" Sophie. Mein Freund! Böller. Nein, nun wird's matt; Ich bin der Freundſchaft nun in allen Gliedern ſatt Und wollte, weil ſie ſich doch nichts zu ſagen miſſen,' Sie ging' nun ihren Weg und ließe mir das Rüſſen! Alceſt. Geliebteſte! Sophie. Mein Freund, noch dieſen lekten Ruß, und dann Yeb wohl! 150 Alceſt. Du gehſt? Sophie. Ich gehe – denn ich muß. Aleeft. Du liebſt mich, und du gehſt? Sophie. Ich geh' — weil ich dich liebe. Ich würde einen Freund verlieren, wenn ich bliebe. És ſtrömt der Klagen Lauf am liebſten in Ber Nacht, An einem ſichern Drt, wo nichts uns zittern macht. Man wird vertraulicher, je ruhiger man klaget; Allein für mein Geſchlecht iſt es zu viel gewaget. zu viel Gefahren ſind in der Vertraulichkeit. Ein ſchmerzerweichtes Herz in dieſer ſchönen Zeit · 155 Zweiter Aufzug. 5. Auftritt. 63 160 I Verſagt dem Freunde nicht den Mund zu Freundſchaftsküſſen. Ein Freund iſt auch ein Menſch - Söller. Sie ſcheint es gut zu wiſſen. Sophie. Leb wohl, und glaube nur, daß ich die deine fei. Söller. Das Ungewitter zieht mir nah am Kopf vorbei. (Sophie ab. Alceſt begleitet ſie durd, die Mittelthür, die offen bleibt. Man ſieht ſte beide in der Ferne zuſammen ſtehn.) Söller. Für diesmal nimm vorlieb! Hier iſt nicht viel zu ſinnen: Der Augenblick macht Luft, nur friſch mit dir von hinnen! (Aus dem Alfoven und ſchnell durch die Seitenthüre ab.) 5. Auftritt. Alceſt (zurüdkommend). Was willſt du nun, mein Herz? – Es iſt doch wunderbar! 165 Dir bleibt das liebe Weib noch immer, was ſie war. Hier iſt die Dankbarkeit für jene goldnen Stunden Des erſten Liebeglücks nicht ganz hinweggeſchwunden. Was hab' ich nicht gedacht! was hab' ich nicht gefühlt! Und jenes Bild iſt hier noch nicht herausgeſpült, 170 Wie mir die Liebe ſie vollkommen herrlich zeigte, Das Bild, dem fich mein Herz in tiefer Ehrfurcht neigte. Wie anders iſt mir's nicht? wie heller ſeit der Zeit? Und doch bleibt dir ein Reſt von jener Heiligkeit. Bekenn' es ehrlich nur, was dich hieher getrieben; 175 Nun wendet ſich das Blatt, fängſt wieder an zu lieben, Und die Freigeiſterei, und was du fern gedacht, Der Hohn, ben bu ihr ſprachſt, der Plan, den du gemacht - Wie anders ſieht das aus! Wird dir nicht heimlich bange? Gewiß, eh bu fie fängſt, ſo hat ſie dich Tchon lange! 180 Nun, das iſt Menſchenlos! Man rennt wohl öfters ani, Und wer viel drüber ſinnt, iſt noch weit übler bran. Nur jetzt das Nötigſte! Ich muß die Art erdenken, Um ihr gleich morgen früh was bares Geld zu ſchenken. 175 64 Die Mitſchuldigen. Im Grund iſt's doch verflucht - Jhr Schickſal drückt mich ſehr: 185 Ihr Mann, der Lunipenhund, macht ihr das Leben ſchwer. . Ich hab' juſt noch ſo viel. Laß fehn! Ja, es wird reichen. Wär ich auch völlig fremd, fie müßte mich erweichen; Allein es liegt mir nur zu tief in Herz und Sinn, Daß ich gar vieles ſchuld an ihrem Elend bin. - 190 Das Schickſal wollt es ſo!: Ich konnt's einmal nicht hindern; Was ich nicht ändern kann, das will ich immer lindern. (Er macht die Schatulle auf.) Was Teufel? Was iſt das? Faſt die Schatulle leer! Von allem Silbergerd iſt nicht das Viertel mehr. Das Gold hab ich bei mir. Ich hab' die Schlüſſel immer! 195 Erft ſeit dem Nachmittag! Wer war denn wohl im Zimmer? Sophie ? — Pfui! — Ša, Sophie? Unwürd’ge Grille, fort! Mein Diener? – D! der liegt an einem ſichern Ort; Er ſchläft. – Der gute Kerl, er iſt gewiß nicht ſchuldig ! Allein mer ſonſt? — Bei Gott! es macht mich ungeduldig. (Ab.) 200 Driffer Nufzug. Die Wirts ſt ube. 1. Auftritt. Der Wirt (im Sdilafrock, im Scjjel neben dem Tijd), worauf ein bald abgebranntes Lidit, Saffrezeug, Pfeifen und dic Zeitungen. Nadi den erſten Verſen ſteht er auf und zieht ſich in dieſem Auftritte und dem Anfange des folgenden an.) Ach, der verfluchte Brief bringt mich um Schlaf und Rub! Es ging wahrhaftig nicht mit rechten Dingen zu! Unmöglich ſcheint es mir, das Rätſel aufzulöſen: Wenn man was Böſes thut, erſchrickt man vor dem Böſen. Es war nicht mein Beruf, brum kam die Furcht mich an; 5 Und doch, für einen Wirt iſt es nicht wohlgethan, Zu zittern, wenn's im Haus rumort und geht und kniſtert; Denn mit Geſpenſtern ſind die Diebe nah verſchwiſtert. Es war kein Menſch zu Haus, nicht Söller, nicht Alceſt: Der Kellner konnt's nicht ſein, die Mägde ſchliefen feſt. 10 Doch halt! – In aller Früh, ſo zwiſchen drei und viere, Hört' ich ein leis Geräuſch, es ging Sophiens Thüre. Dritter Aufzug. 1. u. 2. Auftritt. 65 Sie war vielleicht wohl ſelbſt der Geiſt, vor dem ich floh. Es war ein Weibertritt, Sophie geht ebenſo. Allein, was that ſie da? - Man weiß, wie's Weiber machen: 15 Sie viſitieren gern und ſehn der Fremden Sachen Und Wäſch und Kleider gern. Hätt' ich nur bran gedacht, Ich hätte ſie erſchreckt und dann ſie ausgelacht. Sie hätte mit geſucht, der Brief wär' nun gefunden; fekt iſt die ſchöne Zeit ſo ungebraucht verſchwunden! 20 Verflucht! Zur rechten Zeit fällt einem nie mas ein, Und was man Gutes denft, kommt meiſt erſt hinterdrein. 25 2. Auftritt. Der Wirt. Sophie Sopljie. Mein Vater! denken Sie! --- Wirt. Nicht einmal guten Morgen? Sophie. Verzeihen Sie, Papa! Mein Kopf iſt voller Sorgen. Wirt. Warum? Sophie. Alceſtens Geld, das er nicht lang erhielt, Iſt miteinander fort. i Wirt. Warum hat er geſpielt? Sie bleiben nicht davon. Sophie. Nicht doch, es iſt geſtohlen! Wirt. Wie? Sophic. Ei, vom Zimmer weg! Wirt. Den ſoll der Teufel holen, Den Dieb! Wer iſt's? Geſchwind! Goethe, Werke. VI. 66 Die Mitſchuldigen. 30 Sophic. Wer's wüßte! Wirt. Hier, im Haus? Sophie. Ja, von Alceſtens Tiſd), aus der Schatull' heraus. 30 Wirt. Und wann? Sophie. Heut nacht! Wirt (für jid)). Das iſt für meine Neugierſünden! Die Schuld komint nod) auf mich, man wird den Wachsſtock finden. Sophie (für jich). · Er iſt beſtürzt und murrt. Hätt' er ſo was gethan? Im Zimmer war er dod), der Wachsſtock flagt ihn an. Wirt (für ſic)). Hates Sophie wohl ſelbſt? Verflucht! das wär' noch ſchlimmer ! 35 Sie wollte geſtern Geld und war heut nacht im Zimmer. (Laut.) Das iſt ein dummer Streich! Gib acht! der thut uns weh; Wohlfeil und ſicher ſein iſt unſre Nenommee. Sophie. . Ja! er verſchmerzt es wohl, uns wird es ſicher ſchaden, Es wird am Ende doch den Gaſtwirt aufgeladen. Wirt. Das weiß ich nur zu ſehr. Es bleibt ein dummer Streich. Wenn's auch ein Hausdieb iſt, ja, wer entdeckt ihn gleich? Das macht uns viel Veröruß! Sophie. Es ſchlägt mich völlig nieder. Wirt (für ſid)). Uha, es wird ihr bang. ilaut, etwag verdrießlicher.) Ich wollt, er hätt' es wieder! Ich wär' recht froh. 45 Dritter Aufzug. 2. Auftritt. 67 50 Sophie (für ſich). Es ſcheint, die Neue fommt ihm ein. . (Laut.) . Und wenn er's wieder hat, ſo mag der Thäter ſein, Wer will, man ſagt's ihm nicht, und ihn befümmert's weiter Auch nicht. Wirt (fiir fidj). Wenn ſie’s nicht hat, bin ich ein Bärenhäuter! Laut.) Du biſt ein gutes Kind, und mein Vertraun zu dir – Wart' nur! (Gr gelt, nach der Thür zu ſehen.) Sophic (fiir jid)). Bei Gott! er kömmt und offenbart ſich mir ! Wiri. Ich kenne dich, Sophie, du pflegteſt nie zu lügen – Sophie. Eh hab' ich aller Welt als fhuet was verſchwiegen. Drum hoff' ich diesmal aud) wohl zu verdienen – Wirt. Schön! Du biſt mein Kind, und was geſchehn iſt, iſt geſchehn. Sophie. Es kann das beſte Herz in dunkeln Stunden fehlen. 55 Wirt. Wir wollen uns nicht mehr mit dem Vergangnen quälen. Daß du im Zimmer warft, das weiß kein Menſch als id). Sophie (crídrođen). Sie wiſſen — ? Wirt. Ich war brin, du famſt, ich hörte dich; Ich wußt nicht, wer es war, und lief, als fäm' der Teufel. Sophie (für jich). Ja, ja, er hat das Geld! Nun iſt es außer Zweifel. 60 Wirt. Erſt jetzo fiel mir ein, ich hört dich heute früh. 68 Die Mitſchuldigen. 65 Sophic. Und was vortrefflich iſt, es denkt kein Menſch an Sie. Ich fand den Wachsſtock – Wirt. Du? Sophie. Sch! Wirt. Schön, bei meinem Leben! Nun ſag’, wie machen wir's, daß wir's ihm wiedergeben? Sophie. Sie fagen: „Herr Alceſt! verſchonen Sie mein Haus, Das Geld iſt wieder da, ich hab' den Dieb heraus. Sie wiſſen ſelbſt, wie Leicht Gelegenheit verführet; Doch faum war es entwandt, ſo war er ſchon gerühret, Befánnt und gab es mir. Da haben Sie's! Verzeihni Sie ihm!" – Gewiß, Alceſt wird gern zufrieden ſein. 70 Wirt. So was zu fädeln, haſt du eine feltne Gabe. Sophie. Ja, bringen Sie's ihm ſo! Wirt. Gleich! wenn ich's nur erſt habe. Sophic. Sie haben's nicht? Wirt. Ei nein! Wo hätt' id) es denn her? Sophie. Woher? Wirt. Nun ja! Woher? Gabſt du mirs denn? Hoplic. Und iper Hat's denn? Wirt. Wer's hat? 75 Dritter Aufzug. 2. Auftritt. 69 Sophie. ja wohl! wenn Sie's nicht haben? Wirt. Poſſen! Sophie. Wo thaten Sie's denn hin? Wirt. Ich glaub’, du biſt geſchoſſen! Haſt du's denn nicht? Sophie. Ich? Wirt. fa! Hopljie.. Wie käm' ich denn dazu? Wirt. Eh! (Mašyt ihr pantoinimiſd das Steyten vor). Sophie. Ich verſteh' Sie nicht! Wirt. · Wie unverſchämt biſt du! Jetzt, da du's geben ſoliſt, gedenkſt du, auszuweichen. Du haſt's ja erſt bekannt. Pfui dir mit ſolchen Streichen! So Sophie. Nein, das iſt mir zu hoch! Jetzt klagen Sie mich an und ſagten nur vorhin, Sie hätten's ſelbſt gethan! Wirt. Du Kröte! Jidy's gethan! Iſt das die ſchuldige Liebe, Die Ehrfurcht gegen mich? Du machſt iních gar zum Diebe, Da du die Diebin biſt! Sophie. Mein Vater! Wirt. Warſt du nicht Heuit früh im Zimmer? 70 Die Mitſchuldigen. Sophie. Ja! Wirt. lind ſagſt mir ins Geſicht, Du hätteſt nicht das Geld ? Sophie. Beweiſt das gleich? Wirt. Fa! Sophie. Waren Sie denn nicht auch heut früh - . Wirt. Ich faff sich bei den Haaren, Wenn du nicht ſchweigſt und gehſt! (Sie gett weinend ab.) Du treibſt den Spaß zu weit, Nichtswürd’ge! – Sie iſt fort! Es war ihr hohe Zeit! 90 Vielleicht bildt ſie ſich ein, mit Leugnen durchzufommen; Das Geld iſt einmal fort, und gnug, ſie hat's genommen! 3. Auftritt. Al ceft (in Gedanfen, im Morgenfrack). Der Wirt. Wirt (verlegen und bittend). Ich bin recht ſehr beſtürzt, daß ich erfahren muß! — Ich ſehe, gnäd’ger Herr! Sie ſind noch voll Verdruß. Doch bitt ich, vor der Hand es gütigſt zu verſchweigen; 95 Ich will das Meine thun. Ich hoff', es wird ſich zeigen. Erfährt inan's in der Stadt, ſo freun die Neider fich, Und ihre Bosheit ſchiebt wohl alle Schuld auf midy. Es kann kein Fremder ſein! Ein Haus dieb hat's genommen! Sein Sie nur nicht erzürnt, es wird ſchon wiederkommen. 100 Wie hoch beläuft ſich's benn? Alceſt. Einhundert Thaler! Wirt. Ei! Dritter Aufzug. 3. Auftritt. 71. 110 Alceſi. Doch hundert Thaler – Wirt. Peſt! ſind keine Kinderei! Alceſt. Und dennoch wollt ich ſie vergeſſen und entbehren, Wüßt' ich, durch men und wie ſie weggefommen wären. · Wirt.. Ei, wär das Geld nur da, ich fragte gern nicht mehr, 103 Ob'Michel oder Hans, und wann und wie es wär'? .: Alcelt (für ſid)). Mein alter Diener! Nein! der kann mich nicht berauben, Und in dem Zimmer war — Nein, nein, ich mag's nicht glauben. Wirt. Sie brechen ſich den Kopf? Es iſt vergebne Müh! Genug, ich ſchaff' das Geld. Alceſi. Mein Geld? Wirt. Ich bitte Sie, Daß niemand nichts erfährt! Wir kennen uns ſo lange, Und gnug, ich ſchaff' fhr Geld. Da ſein Sie gar nicht bange! Aleeft. Sie wiſſen alſo — ? Wirt. Hm! Ich bring!3 Heraus, das Geld. Alrejt. Ei, ſagen Sie mir doch - Wirt. Nicht um die ganze Welt! Alreſt. Wer nahm's, ich bitte Sie! Wirt. Ich ſag’, ich darf's nicht ſagen. Alpejt. Doch jemand aus dem Haus? 2 115 72 Die Mitſduldigen. Wirt. Sie werden's nicht erfragen. Alceit. Vielleicht die junge Magd? Wirt. Die gute Hanne! Nein! Alceſt. Der Kellner hat's doch nicht? Wirt. Der Kellner kann's nicht ſein. Alceſi. Die Köchin iſt gewandt - Wirt. Im Sieden und im Braten. Alrepi. Der Küchenjunge Hans? 1.20 Wirt. Es iſt nun nicht zu raten! Alceſt. Der Gärtner könnte wohl -- Wirt. Nein, noch ſind Sie nicht da! Alceſt. Der Sohn des Gärtners? Wirt. Nein! Alceſi. Vielleicht -- Wirt (halb für fich). Der Haushund? – Ja. Alceſt (füir fich). Wart nur, du dummer Kerl, ich weiß dich ſchon zu kriegen! (Laut.) So hab' es denn, wer will! Daran fann wenig liegen, Wenn's wiederkommt! (Thut, als ging' er weg.) 125 Dritter Aufzug. 3. Auftritt. . 73 Wirt. ja wohl! Alcrji (als wenn ihm ctwa3 cinſicle). Herr Wirt! Mein Tintenfaß Iſt leer, und dieſer Brief verlangt expreſs - Wirt. Ei was! Erſt geſtern kam er an, und heute ſchon zu ſchreiben! Es muß was Wichtigs fein. Alceſi. Er darf nicht liegen bleiben. Wirt. Es iſt ein großes Glück, wenn man korreſpondiert. Aceſt. Nicht eben allemal! Die Zeit, die man verliert, Iſt mehr wert als der Spaß. Wirt. , bas geht, wie im Spiele: Da kommt ein einz’ger Brief und tröſtet uns für viele. Verzeihn Sie, gnäd'ger Herr! der geſtrige enthält Viel Wichtigs? Dürft ich wohl - Alceſt. Nicht um die ganze Welt! 130 1121 135 Nichts aus Amerika? Ulceft. Ich ſag, ich darf's nicht ſagen. Wirt. 3ft Friedrich wieder krank? Alceſt. Sie werden's nicht erfragen. Wirt. Alreji. Nein! Wirt. Der Kaiſer hat was vor? 74 Die Mitſchuldigen. 1-10 Alreſt." Ja, das kann möglich ſein. Wirt. Im Norden iſt's nicht juſt! Alceſt. Ich wollte nicht drauf ſchwören. Wirt. Es gährt ſo heimlich nach. 140 Alceft. Wir werden manches hören. Wirt. Kein Unglück irgendwo ? Alceſt. Nur zu! Bald find Sie da! Wirt. Gab's wohl beim leßten Froſt – - Alceſt. Erfrorne Haſen? - Ja! Wirt. Sie ſcheinen gar nicht viel auf Ihren Knecht zu bauen. Alceſt. Mein Herr, Mißtrauiſchen pflegt man nicht zu vertrauen. Wirt. Und was verlangen Sie für ein Vertraun von mir? 115 : Alrejt. Wer iſt der Dieb? Mein Brief ſteht gleich zu Dienſten hier; Sehr billig iſt der Tauſch, zu dem ich mich crbiete. Nun, wollen Sie den Brief? Wirt (fonfundiert und begierig). Ad), allzuviele Güte! (Für ſich.) Wär's nur nicht eben das, was er von mir begehrt. Alteji. Sie ſehen Sodi, cin Dienſt iſt wohl des andern wert, 150 llud ich verrate nichts, ich ſchwör's bei meiner Ehre. Dritter Aufzug. 3. Auftritt. W irt (fiir jich). Wenn nur der Brief nicht gar zu appetitlich wäre! Allein, wic? menn Sophie -- Åh nun, da inag ſie ſehn! Dic Reizung iſt zu groß, fein Menſch fann widerſtchi! Gr wäffert mir das Maul wie ein gebeizter Haſe. 153 Alceſi (fiir jid)). So ftach kein Schinken je dem Windhund in die Naſe. Wirt (bejchimt, nachgebend und noch zaudeind) Sie wollen's, gnäd’ger Herr, und Ihre Gütigfcit – Alceſt (für ſich). feßt beißt er an. Wirt. Zwingt mich auch zur Vertraulichkeit. (Zweifelnd und halb bittend.) Verſprechen Sie, ſoll ich auch gleich den Brief befommen? Alceſt (reicht den Brief hin). Den Augenblik! Wirt (der ſid) langſam dem Alceſt, mit unverivandien Augen auf den Brief, nähert). Der Dieb -- Alceſt. Der Dieb! Wirt. Der's weggenommen, Iſt - Alceſt. Nur heraus! Wirt. Iſt mei – Alceļi. Nun! Wirt (mit einem herzhaften Ton und fähit zugleid) zu und reißt Alceſten den Brief aus der Hand.) Meine Tochter! Alceſt (erſtaunt) Wie ? 160 Die Mitſchuldigen. 165 Wirt (jährt hervor, reiſt vor gojihwindem Xuſmachen das Souvert in Stilden und fängt ar zil leſeni). „Gochwohlgeborner Herr!" Alieji (friegt ihn bei der Schulter). Sic wär's? Nein; ſagen Sie Die Wahrheit! Wirt ungeduldig. Ja, ſie iſt's! D, er iſt unerträglich! (Gr lieſt.) „Inſonders“ – Alceſi (wie oben). Nein, Herr Wirt, Sophie! das iſt unmöglich! Wirt (reißt ſich lo3 und fährt, ohne ihm zil antworteni, fort). „Hochzuverehrender" Alceſi (wie oben). Sie hätte das gethan! Ich muß verſtummen. Wirt. „Herr" - Aleeſt (wie oben). So hören Sie mich an! Wie ging die Sache zu? Wirt. Hernach will ich's crzählen. Alceft. Jit's benn gewiß? Wirt. Gewiß! Alceſt (im Abgeben zul fid)). Nun, denk' ich, ſoll's nicht fehlen. 4. Auftritt. Der Wirt (lieſt und ſpricht dazwiſchen). ,, Und Gönner“ – Ift er fort? – „Die viele Gäitigkeit, ,,Die mir ſo inanchen Fchl verziehen hat, verzeiht 170 LUI Drifter Aufzug. 4. 11. 5. Auftritt. 77 Mir, hoff' ich, diesmal auch." - Was gibt's denn zlı ver- zeihen? „Ich weiß es, gnädiger Herr, daß Sie ſich mit mir freuen." Schon gut! – , Der Himinel hat inir heut ein Glück ge- ſchenkt; „Wobei mein dankbar Herz an Sie zum erſten denft. ,,Er hat vom ſechsten Sohn mein liebes Weib entbunden." 175 Ich bin des Todes! --- ,,Früh hat er ſich eingefunden, Der Knab" — Der Balg, der! - 9, erſäuft, erdroſſelt ihn! - ,,Und fhre Nachſicht macht mich armen Mann. fo fühn" Ad), ich erſticke faſt! fi ineinen alten Tagen Soll mir ſo was geſchehn? Es iſt nicht zit ertragen! 180 Wart nur, das geht dir nicht ſo ingenoſſen aus, Aleeft! Ich will sich ſchon! Dii ſoliſt mir aus dem Haus! Mich, einen guten Freund, fo fchändlich anzuführen! Dürft' ich ihn wieder nur, wie er's verdient, traftieren! Doch meine Tochter! D, das Henfersding geht ſchief! 185 llnd ich verrate fie um den Gevatterbrief! (Er faßt ſich in die Perücfc.) Verfluchter Dehícufopf! Biſt du jo alt geworden! Der Brief! das Geld! der Streich! Ich möchte inich er- mnorden! Was fang' ich an? Wohin? Wie räds ich dieſen Streich)? (Er erwiſcht einen Stock und läuft auf dem Theater herum.) Tret' einer mir zu nah, ich ſchlag' ihn Leberweich! 190 Hätt' ich ſie nur jetzt hier, die mich ſonſt ſchikanieren, Id würdſie alle Herr! Nie wollt ich ſie kurieren! Ich ſterbe, wenn ich nicht - Ich gäb', ich weiß nicht, was, Zerbräch der Junge mir gleid) jekt ein Štengelglas. Ich zehr? mid feiber auf – und Rache muß ich haben! 195 (Er ſlößt auf ſeinen Sejjel und priigelt ihn aus.) Ha! biſt du ſtaubig ! komm! Un dir will ich mich laben! 5. Auftritt. Der Wirt dlägt immer fort. Söller kommt herein 1111d cridhridt: er iſt im Domino, die Maske auf den Plrm gebunden, und hat cin yaibes Räuſchdei. Söller. Was gibt's? Was? Iſt er toll? Nun ſei auf deiner Hut, Das wär' ein ſchön Emploi, des Seſſels Subſtitut! 78 Die Mitſchuldigen. Das Beſte wär”, ich ging'! Da iſt nicht ſicher bleiben. 200 Wirt (ohne Söllern zu jehu). Ich kann nicht mehr! o weh! es ſchmerzt mich Rück' und Arm! (Er wirft ſich in den Seſſel.) Id ſchwitz' am ganzen Leib. Jöller (für ſid)). Ja, ja, Motion macht warm. (Er zeigt jich dem Wirt.) Herr Vater! Wirt. Ah, Mosje! Er lebt die Nacht im Sauſe; Ich quäle mid) zu tod, und Er läuft aus dem Hauſe? Da trägt der Faſtnaditsnarr zu Tanz und Spiel ſein Geld 205 Und lacht, wenn hier im Haus der Teufel Faſtnacht hält. öller. So aufgebracht! Wirt. D, wart', ich will mich nicht mehr quälen. Söller. Was gab's ? Wirt. Alceſt! Sophie ! Soll ich's Ihm noch erzählen? Nein, nein! Wirt. Wärt Fhr geholt, ſo hätt' ich endlich Nuh llnd der verdammte Kerl init ſeinem Brief dazu! (26.) 210 6. Uuftritt. Sörrer (mit Sarifatur von yngſt). Was gab's? Weh Sir! Vielleicht in wenig Augenblicken - Gib deinen Schädel preis! parire nur den Rücken! Vielleicht iſt's 'raus! weh! D, wie mir Armen grauſt, Es wirš mir fiedend heiß. So war's dem Doktor Fauſt Dritter Aufzug. 6. u. 7. Auftritt. 79 Nicht halb zu Mut! Nicht halb war's ſo Richard dem 215 Dritten! Höll da! der Galgen da! der Hahnrei in der Mitten! (Er läuft wie unſinnig herum, endlich beſinnt er ſich.) Ach, des geſtohlnen Guts wird feiner jemals froh! Geh, Memine, Böſewicht! Warum erſchrickſt du fo ? Vielleicht iſt's nicht ſo ſchlimm. Ich will es ſchon erfahren. (Er erblidt Arceſten und läuft fort.) weh! er iſt's! er iſtºs! Er faßt mich bei den Haaren. 220 7. Uuftritt. Nicejt (angekleidet, mit Hut und Degen). Solch einen ſchweren Streit empfand dies Herz noch nie. Das ſeltene Geſchöpf, in dem die Phantaſie Des zärtlichen Alceſts das Bild der Tugend ehrte, Die ihn den höchſten Grad der ſchönſten Liebe Lehrte, Jhin Gottheit, Mädchen, Freund, in allen alles war: 225 šeßt ſo herabgeſekt!' És überläuft mich! Zwar Iſt" ſie ſo ziemlich weg, die Hoheit der Ideen; Ich laſſ ſie als ein Weib bei andern Weiberri ſtehen: Ålein ſo tief! ſo tief! das treibt zur Raſerei. Mein widerſpenſtig Herz ſteht ihr noch immer bei. 230 Wie klein! Kannſt du denn das nicht über dich vermögen? Ergreif das ſchöne Glück! es kommt dir ja entgegen: Ein unvergleichlich Weib, das du begierig liebſt, Vraucht Geld. Geſchwind, Alceſt! Der Pfennig, den du gibſt, Trägt ſeinen Thaler. Nun hat ſie ſich's ſelbſt genommen - 235 Sdhon gut! Sie mag mir 11och einmal mit Tugend kominen. Geh, faſi dir nur ein Herz, ſag' ihr mit kalteni Blut: Bedürfen Sie vielleicht geringer Barſchaft? Gut! Verſchweigen Sie mir's nicht! Nur ohne Furcht bedienen Sie ſich des Meinigen. Was mein iſt, iſt auch Shnen — 2.40 Sie koinint! Auf einmal weg iſt die erlogne Ruh! Du glaubſt, ſie nahın das Geld, und trauſt ihr's doch nicht 311. 80 Dic Mitſchuldigen. 2-15 250 8. Auftritt. Al ceſt. Sophie. Sophic. Was machen Sie, Alceſt! Sie ſcheinen mich zu fliehen – Hat denn die Einſamkeit ſo viel, Sie anzuziehen? Alceſi. Für diesmal weiß ich nicht, was mich beſonders zog, ünd ohne viel Raiſon gibt's manchen Monolog. Sophie. Zwar der Verluſt iſt groß und kann Sie billig ſchinerzen. Alcejt. Ach! es bedeutet nichts und liegt inir nicht am Herzen. Wir haben's ja; was iſt denn nun das bißchen Šeld! Wer weiß, ob es nicht gar in gute Hände fällt? Sophie. fa, Shre Gütigkeit läßt uns nicht drunter leiden. Alceſt. Mit ctivas Offenheit war alles zu vermeiden. Bophie. Wie ſoll ich das verſtehn? Alceſt (lächelnd). Das? Sophie. ša, wie paßt das hier? Alceſi. Sie kennen inich, Sophie, ſein Sie vertraut init inir! Das Geld iſt einmal fort! Wo's liegt, du mag es liegen! 255 Hätt id es eh gewußt, ich hättc ſtill geſchriegen, Da ſich die Sache ſo verhält --- Sophie (erſtaunt). So wpiſſen Sie? Aliejt (mit Zärtlichkeit; er ergreift ihre vand und küßt ſie). Ihr Vater! – ja, ich weiß, geliebteſte Sophie ! Dritter Aufzug. 8. Auftritt. 81 sophie (verwundert und beſchämit). Und Sie verzeihn? Alceſi. Den Scherz, wer macht den zum Verbrechen? Sophie. Mich dünft - Alceſi. Erlaube mir, daß wir von Herzen ſprechen. 260 Du weißt es, daſ Alceſt noch immer für dich brennt. Das Glück entriſ dich mir und hat uns nicht getrennt; Dein Herz iſt immer mein, mein's immer bein geblicbeit. Mein Geld iſt dein ſo gut, als wär' es dir verſchrieben; Du haſt ein gleiches Recht auf all mein Gut, wie ich. 200 Nimm, was du gerne magſt, Sophie, nur liebe mich. (Er umarmt jie; ſic ſchweigt.) Befiehl! Du findeſt mich zu allem gleich erbötig. Sophic (ſtolz, indem fic fich von ihm lobucißt). Reſpekt vor Ihrem Geld! allein ich hab's nicht nötig. Was iſt das für ein Ton? Ich weiß nicht, fali ich's recht? Ha! Sie verkennen mich. – 270 Alceſt (piticrt). O, Ihr ergebner Knecht Kennt Sie nur gar zu wohl und weiß auch, was er fodert, llnd ſieht nicht ein, warum Ihr Zorn ſo heftig lodert. Wer ſich ſo weit vergeht – Sophie (crſtaunt). Vergeht? wie das? Alceft. Madam! Sophir (aufgebrachit'. Was ſoll das heißen, Herr? Alreſt. Verzeihn Sie meiner Scham: Ich liebe Sie zu ſehr, um ſo was laut zu ſagen. Sophie (mit Zorn). Alceſt! Goethe, Werte. VI. 275 82 Die Mitſchuldigen. Alceļi. Belieben Sie nur, den Papa zu fragen. Der weiß, ſo ſcheint es -- sophie (mit einem Ausbruche von Hejtigkeit). Was? ich will es wiſſen, was? Mein Herr, id) ſcherze nicht! Alceſt. Er ſagte, daß Sie das – Sophic (wie oben). Nun, bas – Alceſt. Eh nun! daß Sie – daß Sie das Geld genommen. Bophig mit Wut und Thränen, indem ſie fidh wegwendet). Er darf! D Gott! iſt es ſo weit mit ihm gefonmen? 280 · Aireſt (bitlend). Sophie ! Sophie (weggewendet). Sie ſind nicht wert - Alceſt (wie oben). Sophie ! Sophic. Mir vom Geſicht! Alceft. Verzeihn Sie! Sophie. Weg von mir! Nein, ich verzeih' es nicht! Mein Vater ſcheut ſich nicht, die Ehre mir zu rauben. Und von Sophieen? Wie? Alceſt, Sic konnten's glauben? Ich hätt es nicht geſagt um alles Gut der Welt – 285 Allein, es inuß heraus! — Mein Vater hat das Geld. (Cilig ab.) 9. Auftritt. Arceſt. Hernadı Söller. Alceſti. Nun wären wir geſcheit! Das iſt ein tolles Weſen! Der Teufel mag das Ding nun auseinander Leſen! Dritter Aufzug. 9. Auftrilt. 290 295 Zwei Menſchen, beide gut und freut ihr lebenlang, Verklagen ſich — mir wird um meine Šinne bang. Das iſt das erſte Mal, daß ich ſo was erfahre, Und kenne fie nun doch die ſchönen langen jahrc. Hier iſt ein Fall, wo man beim Denken nichts gewinnt; Man ivird nur tiefer Summ, je tiefer daß man ſinnt. Sophie! der alte Mann! die ſollten mich berauben? Wär: Söller angeflagt, bas ließ ſich eher glauben! Fiel' auf den Kauzen nur ein Fünfcher von Verdacht! Doch er war auf dem Ball die liebe lange Nacht. Söller (in gewöhnlicher Kleidung, mit einer Weinlaune). Da ſitzt der Teufelskerl und ruhet aus vom Schmauſen; Könnt' ich ihm nur an Hals, wie wollt ich ihn zerzauſen! 300 Alceli (für ſid)). Da fömmt er, wie beſtellt! Laut.) Wie ſteht's, Herr Söller? Söller. Dumm! Es geht mir die Muſik noch ſo im Kopf herum. (Er rciót dic Stirn.) Er thut mir greulich weh. Aleeft. Sie waren auf dem Balle; Viel Damen da? Söller. Wie ſonſt! Die Maus läuft nach der Falle, Weil Speck drin iſt. 305 Alceji. Ging's brav? Söller. Οar jelr ! Alceſt. Was tanzten Sie? Süller. Ich hab nur zugeſehnt. (Für ſich Dem Tanz von heute früh. Alceſt. Herr Söller nicht getanzt? Woher iſt das gekommen? 84 Die Mitſchuldigen. 310 315 Söller. Ich hatte mir es doch recht ernſtlich vorgenommen. Alceſi. lind ging es nicht? Söller. Eh, nein! Im Kopfe drücft (3 mich Gewaltig, und da war's mir gar nicht tanzerlic). Alreſt. Ei! Söller. llud das Schlimmſte war, ich konnte gar nicht wehren: Je mehr ich hört und fah, verging mir Sehn und Hören. Alreſt. So arg? Das iſt mir leid! Das Uebel kommt geſchipind? öller. D nein, ich ſpür” es ſchon, ſeitdem Sie bei uns ſind, Uud länger. Alrejt. Sonderbar! Söller. llud iſt nicht zu vertreiben. Alreft. Ei, laß Er fich den Kopf mit warmen Tüchern reiben. Vielleicht verzieht es ſich. öller (für ſid)). Ich glaub”, ex ſpottet 110ch ! (Laut.) Ja, das geht nicht ſo leicht. Alceļi. Am Ende gibt fich's doch. Und es geſchieht ihm recht; es wird noch beſſer kommen! Er hat die arnic Frau nicht einmal initgenommen, 320 Wenn Er zum Balle ging. Herr, bas iſt gar nicht fein; Er läßt die junge Frau zur Winterzeit allein. Söller. Ach! fie bleibt gern zu Haus und läßt mich immer ſchwärmen, Denn ſie verſteht dic Kunſt, fich ohne mich zu wärmen. . Aufzug. 9. Auftritt. Dritter 16 U 325 Aliejt. Das wäre doch kurios ? öller. O ja, wer's Naſchen liebt, Der merft fich ohne Wink, wo's was zum beſten gibt. Alceſi (pifiert). Wie ſo verblümt? Höller. Es iſt ganz deutlich, was ich meine. Exempli gratia: des Vaters alte Weine · Trink ich recht gern; allein er rückt nicht gern Heraus, Er ſchont das Šeinige; da fring' ich außerm Haus! 330 Aleeft (mit Ahuung). Mein Herr, bedenken Sie! — Söller (mit Hohn). Herr Freund von Frauenzimmern, Sie iſt nun meine Frau; was fann Sie das befümmern? Und wenn ſie auch ihr Mann für ſonſt was anders hält. . Alceļi (mit zurückgehaltenem Zorne). . Was Mann! Mann oder nicht! Ich trok' der ganzen Welt; Und unterſtehn Sie ſich noch einmal, was zu ſagen – 333 Söller (crſchrift. Für ſid)). O ſchön! Ich ſoll ihn wohl noch gar am Ende fragen, Wie tugendhaft ſie iſt? · (Lant.) Mein Herd bleibt doch mein Herð! Troß jedem fremden Koch! Alcejt. Er iſt die Frau nicht wert! So ſchön, ſo tugendhaft! ſo vielen Reiz der Seele! So viel jhm zugebracht! nichts, was dem Engel felle! 340 Söller. Sie hat, ich hab's gemerkt, beſondern Neiz im Blut, Und auch der Kopfſchmuck war ein zugebrachtes Gut. Ich war prädeſtiniert zil einen ſolchen Weibe lind ohne Frage ſchon gefrönt im Mutterleibe. Alceſi (herausbrechend). Herr Söller! . 3415 Dic Mitſchuldigen. 350 Söller (fect). Soll er was? Alleſt (zurückhaltend). Ich ſag' fhm, fei Er ſtill! · Pöller. Ich will doch ſehn, wer mir das Maul, verbieten will ? Alceļi. Hätt' ich Ihn anderswo, ich wieſ' Fhm, wer es wäre ! Söller (halblaut). Er ſchlüge ſich wohl gar um meiner Frauen Ehre. Alceſt. Gewiß ! Söller (wie erſt). Es weiß kein Menſch ſo gut, wie weit ſie geht. Alceſt. Verflucht! Söller. D Herr Alceſt! mir wiſſen ja, wie's ſteht. Nur ſtill! ein bißchen ſtill! Wir wollen uns vergleichen, Und da verſteht ſich ſchon, die Herren Shresgleichen, Dic ſchneiden meiſt für ſich das ganze Kornfeld um Und laſſen dann dem Mann das Spizilegium. Alreſt. Mein Herr, ich wundre mich, daß Sie ſich unterfangen — 355 Söller. D, inir ſind auch gar oft die Augen übergangen, Und täglich iſt mir's noch, als röch' ich Zwiebeln. Alceſt (zornig und entſchloſſen). Wie? Mein Herr, nun geht's zu weit! Heraus! was wvollen Sie? Man wird fhm, jeh' ich wohl, die Zunge löſen müſſen. Söller (herzyaft). Eh, Herre, was man ſieht, das, dächt' ich, fann man wiſſen. 360 Alceji. Wie, ſieht? Wie nehmen Sie das Sehen?... Dritter Aufzug. 9. Auftritt. 87 365 Söller. Wie man's nimunt, Vom Hören und vom Sehn. Alceſt. Ha! Söller. Nur nicht ſo ergriinint! Alceſt (mit dem entſchloſſenſten Zorne). - Was haben Sie gehört? Was haben Sie geſehen? Söller (erſchrocken, will ſich wegbegeben). Erlauben Sie, mein Herr! . . Alceſt (ihn zuridhaltend).. Wohin? Söller. Beiſeit zu gehen. Alceſt. Sie kommen hier nicht los! Söller (für ſid)). Ob ihn der Teufel plagt! Alceļi. Was hörten Sie? Höller. Ich? Nichts. Man hat mir's mur geſagt! Alceſi (dringend zornig). Wer war der Mann? öller. Der Mann! Das war ein Mann - Alceſi (heftiger und auf ihn losgehend). Geſchwinde! Söller (in Yngſt). ; Der's ſelbſt mit Augen ſav. (Herzhafter.) Ich rufe das Geſinde! Alreſt (kriegt ihn beim fragen). Wer war's? Söller (will ſid, logreißen). Was? Hölle! 88 Die Mitſchuldigen. C Alceſt (hält ihn feſter). Wer? Sie übertreiben midy! . (Er zicht den Degen.) Wer iſt der Böſewicht? der Schelm? der Lügner ? 370 Söller (fäſit vor Angſt auf die Knice). Ich! Alceſi (drohend). : Was haben Sie geſehn? Söller (furchtſam). Eh nun, das ſieht man immer: Der Herr, das iſt ein Herr, Sophie ein Frauenzimmer. Alceſt (wie oben). Und weiter? Söller. Nun, da geht's denn ſo den Lauf der Welt, Wie's geht, wenn ſie dem Herrn und ihr der Herr gefällt. Alreſt. Das heißt? - Söller. Ich dächte doch, Sie wüßten’s ohne Fragen. Alceſt. Nun? Böllér. Man hat nicht das Herz, ſo etwas zu verſagen. Alceſt. So etwas? Deutlicher! Söller. D, laſſen Sie mir Ruh! Alccſt (immer wie oben). Es heißt? Beim Teufel! Söller. Nun, es heißt ein Rendezvous. Alceſt (crſchrocken). Er lügt! Söller (jür jid)). Er iſt erſchreckt, 375 I. Dritter Aufzug. 9. Auftritt. 89 : 380 Aleeſt (für ſich). Wie hat er das erfahren? (Er ſtedt den Degen cin.) Söller (für ſid)). Kourage! Alceſt (für jidh). Wer verriet, daß wir beiſammen waren? (Erholt.) Was meinen Sie damit? Söller (trokig). O, wir verſtehn ung ſchon. Das Luſtſpiel heute nacht! Ich ſtand nicht weit Savon. Alceſi (erſtaunt). lind wo? Söller. Im Kabinett! Alceļi. So war Šr auf dem Balle? Höller. Wer ipar denn auf dem Schmaus ? Nur ſtill und ohne Galle Zwei Wörtchen: Was man noch ſo heimlich treiben mag, 385 Ihr Herren, merft's cuch wohl, es kommt zuletzt an Tag. Alrejt. Es komint noch wohl heraus, daß Er inein Dich iſt. Raben Und Dohlen wollt' ich eh in mcinem Hauſe haben Als Ihn. Pfui! ſchlechter Menſch! Söller. Ja, ja, ich bin wohl ſchlecht; . Allein, ihr großen Herrn, ihr habt wohl inner recht! 390 Ihr wolít mit unſerm Gut nur nach Belieben ſchalten, Fhr haltet kein Geſetz, und andre follen's halten? Das iſt ſehr einerlei, Geluſt nach Fleiſch, nach Gold. Seid erft nicht hängenswert, wenn ihr uns hängen wollt! Alceſt. Er unterſteht ſich noch – Söller. Ich darf mich unterſtehen: Gewiß, es iſt kein Spaß, gehörnt herumzugehen, 395 90 Die Mitſchuldigen. In summa, nehmen Sie's nur nicht ſo gar genau: Ich ſtahl dem Herrn Sein Geld, und Er mir meine Frau. Alceſt (drohend). Was ſtahl ich? Söller. Nichts, inein Herr! Es war ſchon längſt Ihr eigen. Nodi eh ich's mein geglaubt. 100 Alcefi. Soll – Söller. Da muß ich wohl ſchweigen. Alceļi. An Galgen mit dem Dieb! Söller. Erinnern Sie ſich nicht, Daß auch ein ſcharf Geſetz von andern Leuten ſpricht? Alceſi. Herr Söller! Söller (macht ein Zeichen des Köpfene). Ja, man hilft euch Näſchern auch vom Brote. Alceſt. Ift Er ein Praktikus und hält das Zeug für Mode? Gehangen wird Er noch, zum wenigſten geſtäubt. Söller (zeigt auf die Stirn). Gebrandmarft bin ich ſchon. 405 10. Auftritt. Vorige. Der Wirt. Sophie. Sophic (im Fond). Mein harter Vater bleibt Auf dem verhaßten Ton. Wirt (im Fond). Das Mädchen will nicht weichen. Dritter Aufzug. 10. Auftritt. Sophie. Da iſt Alceſt. Wirt (erblidt Alceſten). Aha! Hyul: Sophie. Es muß, es muß ſich zeigen! Wirt (zu Piccſten). . Mein Herr, fic iſt der Dieb! sophie (auf der andern Seite). Er iſt der Dich, mein Herr ! Alceſt (Ticht ſie beide lachend an, dann ſagt er in einem Tone wie ſic, auf Söllern deutend). Er iſt der Dieb! Söller (für ſid)). - Nun, Haut, nun halte feſt! Sophie. Er? Wirt. 410 Er? Alceli. Sie haben's Heide nicht; er hat’s! Wirt. Schlagt einen Nagel Ihm durch den Kopf, aufs Nad! Sophie. Du? öller (für ſich). Wolkenbruch und Hagel! . Wirt. Ich möchte dich – Alceſt. Mein Herr! ich bitte nur Geduld! Sophie war iin Verdacht, doch nicht mit ihrer Schuld. Sie fam, beſudjte mich. Der Schritt war wohl verwegen; 415 Doch ihre Tugend darf's - (Zu Söller.) Sie waren ja zugegen! (Sophie crſtaunt.) Wir wußten nichts davon, vertraulich ſchmieg die Nacht, Die Tugend - 92 Dic Mitſchuldigen. Söller. Ja, ſie hat inir ziemlich warm gemacht. Alceſt (zum Wirt). Doch Sie? Wirt. Aus Neugier war ich auch hinaufgekommen, Von den verwünſchten Brief mar ich ſo eingenommen. 120 Doch Ihnen, Herr Alceſt, hätt' ich's nicht zugetraut! Den Herrn Gevatter hab' ich noch nicht recht verdaut. Alicji. Verzeihn Sie dieſen Scherz! Und Sie, Sophie, vergeben Mir auch gewiß ! Hophir. Alceſt! Alceſt. Ich zweifl' in meinein Leben An Shrer Tugend nie. Verzeihn Šie jenen Schritt! 425 So gut wie tugendhaft – Söller. Faſt glaub' ich's ſelber mit. Alicji (zul Sophien). Und Sie vergeben doch auch unſerm Söller? Sophie (ſie gibt ihm die Sand). Gerne! Da! Alceſt (zum Wirt). Allons! Wirt (gibt Söllern die Hand). Stiehl nicht mehr! Söller. Die Länge bringt die Ferne! Alcet. Allein, was macht mein Geld? Söller. D Herr, es war aus Not! Der Spieler peinigte mich Armen faſt zu tod, 430 Dritter Aufzug. 10. Auftritt. 93 Ich wußte keinen Rat, ich ſtahl und zahlte Schulden; Hier iſt das Uebrige, ich weiß nicht, wie viel Gulden. Aleeft. Was fort iſt, ſchenk ich Ihm. tytöller. Für diesmal wär's vorbei! Alceļi. Allein, ich hoff', Er wird fein höflid), ſtill und tren! lind unterſteht Er fich, noch einmal anzufangen - Söller. . So! – Diesmal bleiben wir wohl alle ungehangen. 135 Moraliſch-politiſches Puppenſpiel. Neueröffiretes moraliſch-politiſches Puppenſpiel. Et prodesse volunt ct deloctare Poetae. 10 10 Drolog. Luf, Adler, dich zur Sonne ſchwing, Dein Publico dieš Blättchen bring! So Luft und Klang gibt friſches Blut, Vielleicht iſt ihm nicht wohl zu Mut. uch, ſchau Sie, guck Sie, fomm herbei! Der Papſt und Kaiſei und Kileriſei! Haben lange Mäntel und lange Schwänz, Paradieren mit Sichel- und Lorbeerkränz, Trottieren und ſtäuben zu hellen Scharen, Machen cin Geziatzer als wie die Staren, Dringt einer fich dem andern vor, . Deutet einer bem andern ein Eſelsohr. Da ſteht das liebe Publikum lind ſieht erſtaunend auf und um, Was all der tollen Reiterei Für Anfang, Mitt und Ende ſei. Dho, fa ſa, zum Teufel zu! O weh! laß ab, laß mich in Nuh! Heruni, herauf, hinan, hinein – Das muß ein Schwarm Autoren ſein! Nch Herr, inan frümmt und krammt ſich ſo, Zappelt wie eine Laus, hüpft wie ein Floh Und fliegt einmal und friecht einmal lind endlich läßt man euch in Saal. Sei's Kammerherr nun, fei's Lakai, Genug, daß einer Drinne ſei. Nun weiter auf, nun weiter an! Wie's tummelt auf der Ehrenbahn! 15 20 25 Prolog. Ad fieh! wie ſchöne pflanzt ſich ein Das Völflein dort im Schattenhain! Iſt wohl zurecht und wohl zu Mut, Zäunt jeder ſich ſein kleines Gut, Beſchneidt die Nägel in Nuh und Fried Und ſingt ſein Klimpimpimper-Lied. Da kommt ein Flegel ihm auf den Leib, Frißt feine Nepfel, beſchläft ſein Weib: Šich brauf die Bürgerſchaft rottiert, Gebrüllt, gereizt und Krieg geführt; und Höll? und Erd' bewegt ſich ſchon. Da kommt mir ein Titanenjohii Und pact den ganzen Hügel auf Mit Städt und Wäldern, einem Hauf, Mit Schlachtfelds Lärm und liebem Sang (Es manft Sie Erd', dem Volk iſt's bang), Ùnd trägt ſic eben in einem Lauf Zum Schemel den Olymp hinauf. Des wird Herr Jupiter ergrimmt, Sein'ıı erſten beſten Strahl er nimunt Und ſchmeißt den Sterl die Kreuz und Quer Hurlurli burli ins Thal daher Ünd freut ſich ſeines Siegs ſo lang, Bis juno ihin macht wieder bang. So iſt die Eitelkeit der Welt! Iſt keines Reich ſo feſt geſtellt, Ift keine Erdenmacht ſo groß, Fühlt alles doch ſein Endelos. Drum treib's ein jeder, wie er kann; Sin kleiner Dann iſt auch ein Manii. Der Hoh' ſtolziert, der Kleine lacht, So hat's ein jċder wohl gemacht. 96 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. - Das Jahrmarktsfeft zu Plundersweilern. 10 Ein Schönbartſpiel. Markt/dreier. Werd's rühmen und Preiſen weit und breit, Daß Plundersweilern dieſer Zeit Ein ſo hochgelahrter Doktor ziert, Der ſeinie Kollegen niidit ſchikaniert. Habt Dank für den Erlaubnisſchein! Hoffe, Ihr werdet zugegen ſein, Wenn wir heut abend auf allen vieren Das liebe Publikum amüſieren. Ich hoff, es ſoll Euch wohl behagen; Geht's nicht vom Herzen, ſo geht's von Magen. Doktor. Herr Bruder, Gott geb' Euch ſeinen Segen Unzählbar, in Schnupftuchs Hagelregen! Den Profit kann ich Euch wohl gönnen; Weiß, was im Grunde ivir alle fönnen. Läßt ſich die Krankheit nicht furieren, · Miß man ſie eben mit Hoffnung ſchmieren. Die Kranken ſind wie Schwamm und Zunder; Ein neuer Arzt thut immer Wunder. Was gebt Ihr für eine Komödia? Marktſdreier. Herr, es iſt eine Tragödia, Voll füßer Vorten und Sittenſprüchen; Hüten uns auch vor Zoten und Flücheri, Seitdem in jeder großen Stadt Man überreine Sitten hat. Doktor. Da wird man ſich wohl ennuvieren! 1.3 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 97 30. 35 40 Marktſdreier. Könnt ich nur meinen Hanswurſt kurieren. Der macht Euch ſicher große Freud', Weil fhr davon ein Keiner ſeid. Dod) iſt's gar ſchwer, es recht zu machen; Die Leute ſchämen ſich, zu lachen: Mit Tugendſprüchen und großen Worten Gefällt man wohl an allen. Diten; Denn da denkt jeder für ſich allein: So ein Mann magſt du auch wohl ſein! Dod, wenn wir droben ſprächen und thäten, Wie ſie gewöhnlich thun und reden, Da rief ein jeder im Augenblick: Ei pfui, ein indezentes Stück! Allein, wir ſuchen zu gefallen; Drum lügen wir und ſchmeicheln allen. Doktor. Sauer iſt's, fo fein Brot erwerben! Marktſchreier. Man ſagt, es fönne den Charakter verderben, Wenn man Verſtellung als Handiverk treibt, Sin fremde Seelen ſpricht und ſchreibt, Und wenn inan das ſehr oft gethan, Nehme man auch fremde Gemütsart an. Doch, ac)! ivir ſcheinen oft zu ſcherzen Und haben viel Summer untern Herzen; Verſchenken tauſend Stück Piſtolen Und haben nicht die Sdjuh zu beſohlen. Inſre' Helden ſind gewöhnlich ſchüchtern, Nuch ſpielen ivir unſre Trunfnen nüchtern. So macht man Schelin und Böſewicht Und hat davon keine Ader nicht. Doktor. Der Rollen. muß man ſich nicht ſchämen. Marktſdreier. Warum will man's uns übel nehmen? Tritt in gemeinen Lebenslauf Ein jeder doch behutſain auf, Weiß ſich in Zeit und Ort zu ſchicken, Bald fich zu heben und bald zu drücken Goethe, Werke. VI. 45 50 55 55 60 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 65 Und ſo fich manches zu erwerben, Indes wir andre faft Hunger ſterben. Doktor. So habt Ihr alſo gute Leute? Marktſdreier. Ihre Talente, die ſeht für heute; Auch ſind ſie wegen guter Sitten An hohen Höfen ºwohl gelitten. Doktor. Es feßt doch wohl mitunter Zank? Marktſdreier. Das geht noch ziemlich, Gott ſei Dank! Sie können ſich nicht immer leiden; Stark ſind ſie im Geſichterſchneiden. Ich laſſ ſie gelaſſen ſich entzweien; Jeben Tag gibt's neue Parteien. Man muß nicht die Geduld verlierent, Doch ſind ſie bös zu transportieren. Will jekt zu meinem Geſchäfte gehn. Doktor. Nun, alter Freund, auf Wiederſehn! Bedienter. Ein Kompliment vom gnäd'gen Fräulein: Sie hofft, Sie werden ſo gütig ſein Und mit zu der Frau Amtmann gehen, Um all das Gaukelſpiel zu ſehen. 80 (Der zweite Vorhang geht auf, man ſicht den ganzen Jahrmarkt. Fm Grunde ſteht Das Brettergerüſte des Marktjdjiciers, lints cine Daube vor der Thür des Amtmanns, darin cin Dijd) und Stühle. Während der Symphonic geht aucs, body in ſoldier Drdnung durcheinander, daß ſid) die Perſonen gegen der Vorderſeite begegnen und dann ſich in deii Grund verlicren, um den andern Platz zi inachen.) Tiroler. Kauft allerhand, kauft allerhand, Kauft lang' und kurze War'! Sechs Kreuzer 's Stück, iſt gar kein Geld, Wie's eineni in die Hände fällt. Kauft allerhand, kauft allerhand, Kauft lang’ und kurze War' ! (Der Bauer ſtreiſt mit den Beſen an den Tiroler und wirft ihm ſcine Sadien herunter. Streit zwijdjen beiden; währenddeſjen Marmotte von den zerſtreuten Sachen einſteckt.) 85 Das Fahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 99 90 95 100 Bauer. Beſen fauft, Beſen kauft! Groß und klein, Schroff und rein, Braun und meiß. All aus friſchem Birkenreis : Kehrt die Gaſſe, Stub' und Steiß, Beſenreis, Beſenreis ! (Der Gang des Jahrmarkts geht fort.) Nürnberger. Liebe Kindlein, Kauft ein! Hier ein Hündlein, Hier ein Schwein; Trummel und Schlägel, Ein Reitpferd, ein Wägel, Kugeln und Kegel, Kiſtchen und Pfeifer, Kutſchen und Läufer, Huſar und Schweizer; Nur ein paar Kreuzer, Iſt alles bein! 105 Kindlein, kauft ein! Fräulein. Die Leute ſchreien wie beſeſſen. Doktor. Es gilt ums Abendeſſen. Tirolerin. Kann ich mit ineiner Ware dienen? Fräulein. Was führt Sie denn? Tirolerin. Gemalt neumodiſch Band, Die Leichtſten Palatinen Sind bei der Hand; Sehn Sie die allerliebſten Häubchen an, Die Fächer! Was man ſehen kanin! Niedlich, ſcharmant ! (Der Dottor thut artig mit der Tirolerint tvährend des Beldhauens der Waren; wird zulcit dringender.) 110 115 100 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 125 Tirolerin. Nicht immer, immer gleich Ift ein galantes Mädchen, Jhr Herrn, für euch; Nimmt fich der gute Freund zu viel heraus, 120 Gleich iſt die Schneck in ihrem Haus, Und er macht fo! - (Sie wiſcht dem Doktor das Maul.) Wagenſchmiernann. Her! Her! Butterweiche Wagenſchner, Daß die Achſen nicht knirren Und die Räder nicht girren, Hah! Yah! Ich und mein Eſel find auch da. Gouvernante kommt mit dem Pfarrer durdja Gedränge; cr hält ſich bei dem Pfefferkuchen in ädchen auf; die Gouvernante iſt unzufrieden. Gouvernante. Dort ſteht der Doktor und mein Fräulen; Herr Pfarrer, Laſſen Sie uns eilen. Pfefferkudenmüdden. Ha, ha, ha! Nehmt von den Pfefferkuchen da! Sind gewürzt, ſüß und gut; Friſches Blut, Guten Mut; Pfeffernüß! "Ha, ha, ha! Gouvernante. Geſchwind, Herr Pfarrer, dann! – Sticht Sie das Mädchen an? Pfarrer. Wie Sie befehlen. Zigeunerhauptmann und ſein Burid). Zigeunerhaupfinann. Lumpen und Quark Der ganze Mark ! Bigennerburſd. Die Piſtolen Möcht' ich mir holen! 130 135 1.10 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 145 150 155 Zigeunerhauptmann. Sind nicht den Teufel mert ! Weitmäulichte Laffen Feilſchen und gaffen, Gaffen und Laufen, Beſtienhaufen! Kinder und Fraßen, Affen und Katzen! Möcht' all das Zeug nicht, Wenn ich's geſchenkt friegt?! Dürft' ich nur über ſie ! Zigeunerburſd. Wetter! mir wollten ſie! Zigeunerhauptmann. Wollten ſie zauſen! Zigeunerburīdı. Wolften fie lauſen! Zigeunerhauptmann. Mit zwanzig Mann Mein wär' der Kram! Zigeunerburſa. Wär' wohl der Mühe wert. Fräulein. Frau Amtmann, Sie werden verzeihen – Amtműnnin (kommt aus der Haustüür). Wir freuen Uns von Herzen. Willkommner Beſuch! Doktor. Iſt heut doch des Lärmens genug. Bänkeljänger kommt mit ſeiner Frau und ſteckt ſein Bild auf; die Leute 'verjamımeln jid). Bänkelſänger. Fhr lieben Chriſten allgemein, Wann mollt ihr euch verbeſſern? Ihr könnt nicht anders ruhig ſein Únd euer Glück vergrößern: Das Laſter weh dem Menſchen thut; Die Tugend iſt das höchſte Gut Und liegt euch vor den Füßen. (Die folgenden Verſe ad libitum.) 160 165 170 102 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 175 180 195 Amtinann. Der Menſch meint's doch gut. Marmotte. Ich komme fchon durch manche Land Avecque la marmotte, Und immer ich was zu eſſen fand Avecque la marmotte, Avecque si, avecque la, Avecque la marmotte. Ich hab? geſehn gar manchen Herrn Avecque la marmotte, Der hätt' die Jungfern gar zu gern Avecque la marmotte, Ayecque si, avecque la, Avecque la marmotte. Hab' auch geſehn die Jungfer ſchön Avecque la marmotte, Die thäte nach mir Kleinem fehn Avecque la marmotte, Avecque si, avecque la, Avecque la marmotte. Nun laßt mich nicht ſo gehn, ihr Herrn, 190 Avecque la marmotte, Die Burſchen eſſen und trinken gern Avecque la marmotte, Avecque si, avecque la, Ayecque la marmotte. (Die Geſellſchaft wirft den Knaben kleines Geld hin; Marmotte rufft alles auf.) Zitherſpielbub. Ai! Ai! meinen Kreuzer! Er hat mir meinen Kreuzer genommen! Marnotte. Iſt nicht wahr, iſt mein. (Balgen ſich. Marmotte ſiegt. Zithcrjpiel o 11 weint.) Symphonie. Lidtputzer (in şanswurſttradit, auf dein Theater). Wollen's gnädigſt erlauben, Daß wir nicht anfangen? 195 200 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 103 205 210 Zigeunerhauptntann. Wie die Schöpfe laufen, Vom Narren Gift zu kaufen! Soweinmetzger. Führt mir die Schweine nach Haus! Odiſenhändler. : Die Ochſen langſam zum Ort hinaus! Wir kommen nach. Herr Bruder, der Wirt uns borgt, Wir trinken eins. Die Herde iſt verſorgt. Hanswurfi. Ihr mehnt, i. bin Hanswurſt; nit wahr? Hab' ſei Krage, ſei Hoſe, fei Knopf; Hätt' i au ſei Ropf, Wär i Hanswurſt ganz und gar. S doch in der Art. Šeht nur de Bart! Allons, wer fauf mir Pflaſter, Lapier ! Hab' fo viel Durſt Äls wie Hanswurſt. Schnupftuch 'rauf! Marktſdreier. Wirft nit viel angeln, iſt noch zu früh. Meine Damen und Herrn Sähen wohl gern 'S treffliche Trauerſtück; Und dieſen Augenblick Wird ſich der Vorhang heben; Belieben nur acht zu geben! Iſt die Hiſtoria Bon Eſther in Drama; Iſt nach der neuſten Art, Zähnklapp und Grauſen gepaart; Daß nur ſehr ſchad' iſt, Daß heller Tag iſt; Sollte ſtichdunkel ſein, Denn 's ſind viel Lichter drein. (Der Vorhang hebt ſid). Man jicht an der Seite einen Thron und cinen Galgen in der Ferie.) 215 220 225 230 104 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. . Symphonic. Kaiſer at halverul. Haman. Haman (allein). Die du mit ew'ger Glut inich Tag und Nacht begleiteſt, Mir die Gedanken füllft und meine Schritte Leiteſt, 235 D Rache, wende nicht im lekten Augenblick Die Hand von deinem Knecht! Es wägt ſich mein Geſchick. Was ſoll der hohe Glanz, der meinen Kopf umſchwebet? Was foll der günſt'ge Hauch, der längſt mein Glück belebet, Da mir ein ganzes Reich gebückt zu Füßen liegt, Wenn ſich ein einziger nicht in dem Staube ſchmiegt? Was hilft's, auf fo viel Herrn und Fürſten wegzugehen, Wenn es ein Jude wagt, mir ins Geſicht zu ſehen? Thut er auf Abram groß, auf unbeflecktes Blut, So ſehr ihn unſre Macht des Tempels grauſe Glut! 245 Und wie Jeruſalem in Schutt und Staub zerfallen, So lieg' das ganze Volk und Mardochai vor allen! D kochte nur, wie hier, erſt Ahasverus' Blut! Da er ein König iſt, ach, iſt er viel zu gut. Ahasverus (tritt auf und ſpricht). Sieh Haman – biſt du da? 250 Haman. Ich marte hier ſchon lange. Ahasverus. Du ſchläfft auch nie recht aus; es iſt mir um dich bange. (Sett ſids.) Hantan. Erhabenſter Monarch, da deine Majeſtät, Wie immer, ſeh ich wohl, auf Rofi und Flaumen geht, Welch einen Dank ſoll man den hohen. Göttern ſagen Für sein ſo ſelten Glück, die Krone leicht zu tragen! 255 Dein Volk, mie Sand am Meer, macht dir ſo wenig Müh! Das iſt nur Götterkraft; von ihnen haſt du fie. . So läßt ſich ein. Gebirg in feſter Ruh nicht ſtören, Wenn Wälder ohne Zahl auf ſeinem Haupt ſich mehren. Ahnsverus. O ja, was das betrifft, die Götter machen's recht: 260 So lebt und ſo regiert von jeher mein Geſchlecht. Mit Müh hat keiner ſich das weite Reich erworben, Und feiner jemals iſt aus Sorglichkeit geſtorben. Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 105 265 Wie fo? Sawan. 275 Haituit. Wie bin ich, Gnädigſter, voll Unmut und Verdruß, Daß ich heut deine Ruh gezwungen ſtören mus! 265 Ahasverus. Was Ihr zu ſagen habt, bitt. ich Euch – kurz zu ſagen. Haman. Wo nehm' ich Worte her, das Schrecknis vorzutragen? Ahasverus. Wie ſo? Bitinait. Du kennſt das Volk, das man die Juden nennt, Das außer ſeinem Gott nie einen Herrn erkennt. Du gabſt ihn Naum und Ruh, ſich weit und breit zu mehren 270 Und ſich nach ſeiner Art in deinem Land zu nähren; Du murbeſt felbſt ihr Gott, als ihrer ſie verſtieß Und Stadt- und Tempelspracht in Flammen ſchwinden ließ: Und doch verkennen ſie in dir den gütgen Retter, Verachten dein Geſetz und ſpotten Seiner Götter; Daß ſelbſt dein Unterthan ihr Glück mit Neide ſieht Und zweifelt, ob er auch vor rechten Göttern kniet. Laß fie durch ein Geſetz von ihrer Pflicht belehren Und, wenn ſie ſtörrig find, durch Flamm' und Schwert befehren! Ahasveris. Mein Freund, ich lobe dich: du ſprichſt nach deiner Pflicht; 280 Dod), mie's ihr andre feht, ſo ſieht's der König nicht. Mir iſt es einerlei, wem ſie die Pſalmen fingen, Wenn ſie nur ruhig ſind und mir die Steuern bringen. Hanai. Ich ſeh’Großmächtigſter, dir nur gehört das Reich, Du biſt an Gnad'' und Huld den hohen Göttern gleich! 285 Doch iſt das nicht allein: ſie haben einen Glauben, Der ſie berechtiget, die Fremden zu berauben, Und der Verwegenheit ſtehn deine Völker bloß. O König, ſäume nicht! denn die Gefahr iſt groß. Ahasverus. Wie wäre denn das jeßt ſo gar auf einmal kommen? 290 Von Mord und Straßenraub hab' ich lang nichts vernommen. Hamuit. Auch iſt's das eben nicht, wovon die Nede war: Der Jude liebt das Geld und fürchtet die Gefahr. 106 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 305 fr weiß mit leichter Müh, und ohne viel zu wagen, Durch Handel und durch Zins Geld aus dem Land zu tragen. 295 . Ahasverus. Ich weiß das nur zu gut. Mein Freund, ich bin nicht blind; Doch das thuit andre mehr, die unbeſchnitten find. Haman. Das alles ließe ſich vielleicht auch noch verſchmerzen: Doch finden ſie durch Geld' den Schlüſſel aller Herzen, Und fein Geheimnis iſt vor ihnen wohl verwahrt. 300 Mit jedem handeln fie nach einer eignen Art. Sie wiſſen jedermann durch Borg und Tauſch zu faſſen; Der konimt nie los, der ſich nur einmal eingelaſſen. Mit unſern Weibern auch iſt es ein übel Spiel; Sie haben nie kein Geld und brauchen immer viel. Ahasverns. Ha, ha! das geht zu weit! Ha, ha! du machſt mich lachen; Ein Jude wird sich doch nicht eiferſüchtig machen? Haman. Das nicht, Durchlauchtigſter! Doch iſt's ein alter Brauch, Wer's mit den Weibern hält, der hat die Männer auch; Und von den niedern Volk, das in der Jure wandelt, 310 Wird Recht und Eigentum, Amt, Rang und Glück verhandelt. Ahasverns. Du iriſt dich, guter Mann! Wie könnte das geſchehn? Das alles muß nach mir und meinem Willen gehn. Hamar. Ich weiß vollkommen wohl; dir iſt zwar niemand gleich, Doch gibt's viel große Herrn und Fürſten in dem Reich), 315 Die dein ſo ſanftes doch nur wider Willen bulden. Sie haben Stolz genug, doch ſtecken fie in Schulden; Es iſt ein jeglicher in deinem ganzen Land Auf ein und andre Art mit Israel verwandt, Und dieſes ſchlaue Volk ſieht einen Weg nur offen: 320 So lang die Ordnung ſteht; ſo lang hat’s nichts zi1 hoffen. Es nährt drum insgeheim den faſt getuſchten Brand, Und eh wir's uns verfehn, ſo flammt das ganze Land. Ahasverus. Das iſt das erſte Mal nicht, daß uns dies begegnet; Doch unſre Waffen ſind am Ende ſtets geſegnet: 325 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 107 330 335 Wir ſchicken unfer Heer und feiern jeden Sieg Und fißen ruhig hier, als wär' da Brauß' fein Krieg. Haman. Ein Aufruhr, angeflammt in wenig Augenblicken, iſt eben auch ſo bald durch Klugheit zu erſticken; Allein durch Rat und Geld nährt ſich Nebellion: Vereint beſtürmen ſie, es wanft zuletzt der Thron. Ahasverus. Der kann ganz ſicher ſtehn, ſo lang als ich drauf ſite ! Man weiß, wie dá herab ich gar erſchrecklich blike; Die Stufen ſind von Gold, die Säulen Marmořſtein, In hundert Jahren fällt folch Wunderwerf nicht ein. Haman. Ach, waruin brängſt du mich, dir alles zu erzählen? Ahasverus. So ſag' es grab heraus, ſtatt inich ringsinn zu quälen! So ein Geſpräch iſt mir ein ſchlechter Zeitvertreib. Haman. Adh, Herr, fie wagen ſich vielleicht an deinen Leib. Ahasverus (zuſammenfahrend). Wie? was? Haman. Es iſt geſagt. So fließet denn, ihr Klagen! Wer iſt wohl Manns genug, um hier nicht zu verzagen? Tief in der Hölle ward die ſchwarze That erdacht, Und noch verbirgt ein Teil der Schuldigen die Nacht. Bergebens, daß sich Thron und fron' und Zepter ſchützen; Du ſollſt nicht Babylon, nicht mehr dein Reich beſiken! 345 In fürchterlicher Nacht trennt die Verräterei Mit Vatermörderhand bein Lebensband entzwei; Dein Blut, wofür das Blut von Tauſenden gefloſſen, Wird über Bett und Pfühl erbärmlich hingegoſſen. Weh heulet im Palaſt, Weh heult durch Reich und Stadt, 350 Und weh, wer deinem Dienſt ſich aufgeopfert hat! Dein hoher Leichnam wird wie ſchlechtes Aas geachtet, lind deine Treuen ſind in Reihen hingeſchlachtet! Zulebt, vom Morden ſatt, tilgt die Verräterhand Ihr eigen ſchändlich Werk durch allgemeinen Brand. 310 355 108 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 360 Ahasverus. D weh! mas will inir das? Mir wird ganz grün und blau! Ich glaub’, ich ſterbe gleich. — Geh, ſağ es meiner Frau! Die Zähne ſchlagen mir, die Kniec inir zuſammen, Mir läuft ein kalter Schweiß, ſchon ſelj'ich Blut und Flaminen. Haman. Ermanne dich! Ahasverns. Ach! Ach! Haman. Es iſt wohl hohe Zeit; Doch freues Volf iſt ſtets zu seinem Dienſt bereit. Du wirſt den Niedlichſten an ſeinem Eifer kennen. Ahasverus. Je nun, was zaudert ihr? So laßt ſie gleich verbrennen! Haman. Man muß behutſam gehn; ſo ſchnell hat’s feine Not. Ahasverus. Derweile ſtechen ſie mich zwanzigmale tot. 365 Haman. Das wollen wir nun ſchon mit unſern Waffen hindern. Ahasverus. Und ich war ſo vergnügt als unter meinen Kindern! Mir wünſchen ſie den Tod? Das ſchmerzt inich gar zit ſehr! Hanan. Ind, Herr, wer einmal ſtirbt, der ißt und trinkt nicht mehr. Ahasveris. Man kann den Hochverrat nicht ſchrecklich gnug beſtrafen. 370 Haman. Du ſollteſt ſchon ſo früh bei deinen Vätern ſchlafen? Ahasverus. Ei pſui! mir iſt das Grab mehr als der Tod verhaßt! Ach! Ach! mein würd'ger Freund! – Nun ſtill! ich bin gefaßt. Nun ſoll's der ganzen Welt vor meinen Zorne grauen! Geh, laß mir auf einmal zehntauſend Galgen bauen. 375 365 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 109 380 Iſt unter unſchuld gemlicft, nicht miens Slauer et fchlägt. Haman (knieend). Unüberrvindlichſter! hier lieg' ich, bitte Gnad?! Es wär' ums viele Volf -- und um die Waltung ſchad'. Ahasuerus. Stch auf! Dich hat kein Menſch an Großmut überſchritten; Dich lehrt Dein edel Herz, für Feinde ſelbſt z11 bitten. Steh auf! Wie meinſt du das? Hamai. Gar mancher Böſewicht Iſt unter dieſem Bolf, Doch alle ſind es nicht; Und vor unſduld gem Blut mög? fich dein Schwert behüten! Beſtrafen muß ein Fürſt, nicht wie ein Tiger wüten. Das Ungeheu'r, das fich mit tauſend Klauen regt, Liegt kraftlos, wenn man ihm die Häupter niederſchlägt. 385 Ahasveris. O mohl! So hängt mir ſie, nur ohne viel Geſchwäbe ! Der Kaiſer will es ſo, ſo ſagen’s die Geſetze. Wer ſind fie? fag' mir an. Haman. Ach, das iſt nicht beſtimmt; Doch geht man niemals fehl, wenn man die Kleichſten nimiint. Ahasverns. Vermaledeite Brut, du ſollſt nicht länger leben! und dir ſei all ihr Gut und Haó' und Haus gegeben! Haman. Sin trauriges Geſchenk! 390 Wer kommt dir erſt in Sinn? Hamair. Der erſt’ iſt Mardochai, Hofjud' der Königin. Ahasverus. O weh! da wird ſie mir kein Stündchen Ruhe laſſen! Haman. Iſt er nur einmal tot, ſo wird ſie ſchon fich faſſen. 395 Ahasverus. So hängt ihn denn geſchwind und laßt ſie nicht zu inir ! 110 Das Fahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. Hamnn. Wen du nicht rufen läßt, der kommt ſo nicht zu dir. Ahasverus. Wo iſt ein Galgen nur? Hängt ihn, eh's jemand ſpüret! Haman. Schon hab' ich einen hier vorſorglich aufgeführet. Ahasverus. Lind fragt mich jeßt nicht mehr! Ich hab' genug gethan; 400 Beſchloſſen hab' ich es, nun geht's niich nicht inehr an. (Ab.) 405 410 Hanswurji. Der erſte Aftus iſt nun pollbracht, Und der nun folgt – das iſt der zweite. Marktſdreier. Liebe Freunde, gute Leute, Daß Menſchenlieb und Freundlichkeit, Sorge für eure Geſundheit lind Leibesipohl zu dieſer Zeit Mich dieſen iveiten Weg geführt, Das ſeid ihr alle perſchwaðiert. lind von meiner Wiſſenſchaft und Kunſt Werdet ihr, liebe Freunde, mit Gunſt Such ſelbſt am beſten überführen, Und iſt ſo wenig zu verlieren. Zwar könnt ich euch Brief und Siegel weiſen Von der Kaiſerin aller Reußen Und von Friedrich, dem König in Preußen, Und allen Europens Potentaten Doch wer ſpricht gern von ſeinen Thaten? Sind auch viele meiner Vorfahren, Die, leider ! nichts als Prahler waren. Jhr könntet's denken auch von mir, Drum rühın' ich nichts und zeig' euch hier Ein Päckel Arzniei, föſtlich und gut; Die Ware fich ſelber loben thut. Wozu es alles ſchon gut geweſen, Iſt aufm gedruckten Zettel zu leſen; Und enthält das Päckel ganz Ein Magenpulver und Purganz, 15 4.20 425 Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 111 430 435 4:40 440 Ein Zahnpülverlein, honigſüße, Und einen Ring gegen alle Flüſſe. Wird nur dafür ein Baßen begehrt, Iſt in der Not wohl hundert wert. Hanswurſt. Schnupftuch 'rauf! (Die Zuſchauer kaufen beim Marliſchreier.) Mildymäddjen. Kauft meine Milch! Kauft meine Eier ! Sie ſind gut Und ſind nicht teuer, Friſch, wie's einer nur begehrt! Zigeunerhauptmann. Das Milchmädchen da iſt ein hübſches Ding; Ich kauft ihr wohl ſo einen zinnernen Ring. Zigeunterburſds. O ja, mir wär ſie eben recht. Zigeunerhauptmann. Zuerſt der Herr und dann der Knecht. Beide. Wie verkauft Sie Ihre Eier ? Mildmädden. Drei, ihr Herrn, für einen Dreier. Beide. Straf' mich Gott, das ſind ſie wert. (Sic inadit fich von ihnen los.) Bilduïdden. Rauft meine Milch! Kauft meine Eier! Beide. (Sie halten ſic.) Nicht ſo wild! D, nicht ſo teuer ! Milchmüdden. Was ſollen mir Die tollen Freier? Kauft meine Milch, Kauft meine Eier! Dann ſeid ihr mir lieb und wert. 445 450 112 Das Jahrmarktsfeſt 311 Plundersweilern. 455 460 1 465 Doktor. Wic gefällt Ihnen das Drama? Aintmann. Nicht! Sind doch immer Skandala. Hab auch gleich ihnen ſagen laſſen, Sie ſollten das Ding geziemlicher faſſen. Doktor. Was ſagte denn der Entrepreneur? Amtmann. Es käme dergleichen Zeug nicht mehr, Und zulekt Hamait gehenft erſcheine Zur Warnung und Schrecken der ganzen Gemeine. Hanswurſt. Schnupftuch 'rauf! Marktſrhreier. Die Herren gehn noch nicht von hinnen, Wir wollen den zweiten Ákt beginnen. . 465 Indeſſen fönnen ſie ſich beſinnen, Ob ſie von meiner Ware was brauchen. Hanswurſi. Gebt acht! fornmen euch Thränen in die Augen. Mujit. Eſther und Mardo dai treten auf. Mardochai (weinend und ſchludhzend). greuliches Geſchick! o ſchreckenvoller Schluß! Dünthat, die dir heut mein Mund verkünden muß! 470 Erbärmlich, Königin, muß ich vor dir erſcheinen. Eſiher. So ſag'inir, mas ou willt, und hör' nur auf, zu weinen! Mardochai. Hü, hü! es hält's mein Herz, hü, hü! es hält's nicht aus. Eliher. Geh, weine dich erſt ſatt, ſonſt bringſt du nichts heraus. Mardodjai. Hü, hü! es wird mir nod), hü, hü! das Herz zerſprengen. 475 Das Jahrmarktsfeſt zu Plunderswciſcrii. 113 Eſther. Was gibt's denn? Mardodjai. u hu hu! ich ſolle heut abend hängen! Eſther. Ei, was du ſagſt, mein Freund! Ei, woher weißt du dies ? Mardodjai. Das iſt ſehr einerlei, genug, es iſt gewiß. Darf denn der Glückliche dem ſchönſten Tage trauen? Darf einer denn auf Fels ſein Haus geruhig bauen? 480 Mich machte deine Gunſt ſo ficher, Königin! Wie zittr ich, da ich nun von den Vermorfnen bin! Eſther. Sag', mem gelüſtet's denn, mein Freund, nach deinem Leben? Mardodjai. Der ſtolze Haman hat's dem König angegeben. Wenn du dich nicht erbarmſt, nicht eilſt, mir beizuſtehn, 185 Nicht ſchnell zum König gehſt, ſo iſt's um mich geſchehn. Eftler. Die Bitte, armer Mann, kann ich dir nicht gewähren; Man kommt zum König nicht, cr müſť cs erſt begehren. Tritt einer unverlangt dem König vors Geſicht, Du weißt, der Tod ſteht drauf! Gewiß, dein Ernſt iſt's nicht. 190 Mardodjai. D Unvergleichliche, du haft gar nichts zu wagen; Wer deine Schönheit ſieht, der kann dir nichts verſagen. Und in Geſetzen ſind die Strafen nur gehäuft, Weil man foniſt gar zu grob den König überläuft. Eſther. Und ſollt ich auch, inein Freund, das lchen nicht verlieren, 195 Mid) warnt der Vaſihi Sturz; ich mag es nicht probieren. Mardodhai. So iſt Sir denn der Tod des Freundes einerlei ? Eſiler. Allein, was hälf? es dir, wir ſtürben alle zwei? Goethe, Werfe. VI. 114 Das Jahrmarktsfeſt O zu Plunderäwcilern. 510 Mardodjni. Erhalt' mein graues Haupt, Gelb, Kinder, Weib und Shre! Eſther. Von Herzen gern, wenn's nur nicht ſo gefährlich wäre. 500 Wardodjai. Ich ſeh', dein hartes Herz ruf' ich vergebens an. Gedenk', Undankbare, was ich für dich gethan! Erzogen hab ich dich von deinen erſten Tagen, Ich habe sich gelehrt, bei Hof dich zu betragen. Du hätteft lange fchon des Königs Gunſt verſcherzt, 505 Er hätte lange ſchon fich fatt an dir geherzt; Du biſt oft gar zu grad und wäreſt längſt verkleinert, Hätt ich nicht deine Lieb' und deine Pflicht verfeinert. Dir kam allein durch mich der König unters joch, . Und durch mich ganz allein beſikeſt du ihn noch. Eſther. Von ſelbſten hab' ich wohl nicht Gunſt, noch Glück erworben; Dir dank' ich's ganz allein, auch wenn du längſt geſtorben. Mardodai. D, ſtürb' ich für mein Volk und unſer heilig Land! Allein ich ſterh' umſonſt durch die verruchte Hand. Dort hängt mein graues Haupt, dem ungeſtümen Regen, 515 Dem glühnden Sonnenſchein und bittern. Schnee entgegen! Dort naſcht geſchäftig mir, zum Winter-Zeitvertreib, Ein garſtig Kabenvolk das ſchöne Fett vom Leib! Dort ſchlagen ausgedörrt zuleßt die edlen Glieder . Von jedein leichten Wind mit Klappern hin und wieder! 520 Ein Greuel allem Volk, ein em’ger Schandfleck mir, Ein Fluch auf Israel, und, Königin, — was dir? Eſther. Gewiß, groß Herzeleid! Doch, kann ich es erlangen, So ſollſt du mir nicht lang am Leid'gen Galgen hangen; Und mit ſorgfältgem Schmerz vortrefflich balſamiert, 525 Begrab' ich dein Gebein, recht wie es ſich gebührt. Mardodini. Vergebens wirſt du dann den treuen Freund beweinen! Er wird dir in der Not nicht mehr wie ſonſt 'erſcheinen, Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 115 Mit keinem Beutel Geld, den du fo eifrig nahmſt, Wenn du mit Schuldverdruß von Spiel und Handel kamſt; 530 Mit keinem neuen Kleid, 110ch Perlen und Juwelen: Mein Geiſt erſcheint dir leer, und um dich recht zu quälen, Bringt er nur die Geſtalt von Schäken aus der Gruft, Und wenn du's faſſen willſt, verſchwindet's in die Luft. Eſther. : Ei, weißt du was, mein Freund? Bedenke mich am Ende 535 Mit einem Kapital in deinem Teſtamente. Mardorlai. Wie gerne that ich das, von deiner Huld gerührt! Doch, leider! iſt mein Gut auch ſämtlich konfisziert. Und dann muß ich den Tod der Brüder auch Beſorgen! Kein einz ger bleibt zurück, dir fünftig mehr, zu borgen. 510 Der ſchöne Handel fällt, es kommt kein Kontreband Durch unſre Induſtrie dir fünftig mehr zur Hand. Die kleinſte Žofe wird nichts mehr an dir beneiden; Dich werden, Mägden gleich, inländ’ſche Zeuge kleiden; Und endlich wirſt Du ſo mit hoffnungsloſer Pein Die Sklavin deines Manns und ſeiner Leute ſein! . Eſiher. Das iſt nicht ſchön von Sir! Was brauchſt du's mir zu ſagen? Kommt einmal dieſe Zeit, dann iſt es Zeit, zu klagen. (Weinend.) Nein! Wird mir's ſo ergehn? Wardodui. Ich ſchwör' dir, anders nicht! 515 550 Was thu' ich? Murdodni. Rett uns noch! Eſther. Ach, geh mir vom Geſicht! Ich wollte - Mardodhai. Königin, ich bitte dich, erhöre! Was willſt du? Eſther. Ach, ich wollt' — daß alles anders wäre! (96.) 116 Das Fahrmarktsfeſt z11 Plundersweilern. Mardorai (allein) Bei Gott! hier ſoll inic, nicht manch ſchönes Wort verdrießen! Ich laſſ ihr keine Nuh, fie muß ſich doch entſchließen. (96.) 560 565 Marktſdreier. Sciltänzer und Springer ſollten nun formen; 555 Doch haben dic Tage ſo abgenommen. Ullein inorgen früh bei guter Zeit Sind wir init 111ſerer Kunſt bereit. llid mein zuletzt noch ein Päckel gefällt, Der hat es um die Hälfte Geld. Sdjattenſpielmain (hinter der Szene). Orgelum, orgelei! Dudeldumdei: - Doktor: Laßt ihn herbeikommen! Amtmann. Bringt den Schirm heraus! Doktor. Thut dic Lichter aus! Sind ja iit einen honetten Haus. Nicht wahr, Herr Amtmann, man iſt, was man bleibt? Amtman. Dian iſt, wie man's treibt. Scattenſpielmann, Drgelum, orgclei ! Duðeldumdei! Lichter weg! mein Lämpchen nur! Nimmt ſich ſonſt nicht aus. Ins Dunkle da, Mesdames! Doktor. Von Herzen gern. Sdattenſpieluanır. Drgeluin, orgelei! :;: Ac), mie fic is alles dunkel ! Finſternis is, War ſie all wüſt und lecr, 570 575 Das Jahrmarktsfeſt zii Plundersweilern. 580 Hab' ſie all nicks auf dieſer Erd' geſehn. Orgelint :;: Sprad, fie Gott, 's werd' Licht! Wie's hell da 'reinbricht! Wie ſie all' durf einander gehi, Die Slement' alle vier! In ſechs Tag' alles gemacht is, Šonn', Mond, Stern, Baum und Tier. Drgelum, orgelei! Dudeldumdei! 583 590 595 600 Steh fie Eva, hat ſie die Schlang' verführt. Nausgejagt, Mit Dorn und Diſtelii, Geburtsſdinerzen geplagt! Dweh! Drgelunt :;: Hat ſie die Welt vermehrt. Mit viel gottloſe Leut; Waren ſo fromiit vorher ! Habe geſunge, gebet’t ! Glaube mehr an keine Gott, JS e Schand und e Spott, Šeh ſie die Ritter und Damen, Wie ſie zuſammenfamen, Sid begeh, ſich begatte, In alle grüne Schatte, Uf alle grüne Heide: Kann das unſer Herrgott leide? Orgelum, orgelei! Dudeldumdei? Fährt da die Sündflut 'rein: Wie ſie gottserbärmlick ſchrein! AI all erſaufen ſchwer, Is gar keine Rettung mehr! Drgelum :;: Guck ſie, in vollem Schuß Fliegt daher Merkurius, Macht ein End' all dieſer Not; Dank ſei Sir, lieber Herre Gott! Drgelum, orgelei, Dudeldumdei! 605 010 615 620 118 Das Neueſte von Plundersweilern. Doktor. Ja, da wären wir geborgen! Fräulein. Empfehlen uns. Amtitaiti. Sie kommen doch wieder morgen? Gouvernante. Man hat an einmal ſatt. Doktor. Jeder Tag ſeine eigne Plage hat. dattenſpielmann. Orgelum, orgelei ! Dubeldumdei? 625 Das Neueſte von Plundersweilern. 1781. Nachſtehendes Gedicht verlangt eine kurze Einleitung, weil es ſonſt zum größten Teil unverſtändlich bleiben inüſtc. Herzogin Amalia hatte die gnädige Gewohnheit ein- geführt, daß ſie allen Perſonen ihres nächſten Kreiſes zu Weihnachten einen heiligen Chriſt beſcheren ließen. In einem geräumigen Zimmer waren Tiſche, Geſtelle, Pyramiden und Baulichkeiten errichtet, wo jeder einzelne ſolche Gaben fand, die ihn teils für ſeine Verdienſte in die Geſellſchaft be- lohnen und erfreueii, teils auch wegen einiger Unarten, An- gewohnheiten und Mißgriffe beſtrafen und vermahnen ſollten. Zu Weihnachten 1781 verbanden ſich mehrere dieſcs Vereins, der Fürſtin gleich falls eine Gabe darzubringen, welche nichts Geringeres ſein ſollte, als die deutſche Litteratur der nächſtvergangenen Jahre in einem Scherzbilde. Ueber dieſen Gegenſtand mar ſo viel geſprochen worden, ſo viel geſtritten und gemeint, daß fich manches Nediſche wohl zuſammenfaſſen ließ und das Zerſtreute in einem Bilde aufzuſtellen möglich war. Nach Erfindung und Entwurf des Verfaſſers war) durch Rat Kraus eine Aquarellzeichnung verfertigt, zu gleicher Zeit aber cin Gedicht geſchrieben, welches die bunten und felt- Das Neueſte von Plundersweilern. 119 ſamen Geſtalten einigermaßen erklären ſollte. Dieſes Bild war auf einem verguldeten Geſtell eingerahmt und verdeckt, und als nun jedermann ſich über die empfangenen Gaben genugſam erfreut hatte, trat der Marktſchreier von Plunders- weilern in deë von Ettersburg her bekannten Geſtalt, begleitet von der luſtigen Perſon, herein, begrüßte die Geſellſchaft, und nad, Enthüllung und Beleuchtung des Bildes recitierte er das Gedicht, deſſen einzelne Gegenſtände der Begleiter, wie ſic eben vorkamen, mit der Pritſche bezeichnete. Dieſer Scherz gelang zur Ergößung der höchſten Gönnerin, nicht ohne kleinen Verdruß einiger Gegenwärtigen, die ſich getroffen fühlen mochten. Das Bild exiſtiert noch, wohlerhalten, und dürfte, von einem geſchickten Kupferſtecher geiſtreich radiert, zum völligen Verſtändnis des Gedichts und dem deutſchen Publikum, das über jene Zeiten ſich längſt aufgeklärt ſieht, zur unverfäng- lichen Unterhaltung dienen. Weimar, den 30. April 1816. 10 Im deutſchen Reich gar wohl bekannt Iſt der Ort, Plundersweilern genannt, Und ſeines Fahrmarkts Lärm und Luft Viel groß und kleinen Volk bewußt; Auch ſieht man, daß zu einer Stadt Der Flecken fich erweitert hat. Und zwar mag es nicht etwa ſein Wie zwiſchen Kaſſel und Weißenſtein, Als mo man emſig und zu Hauf Macht Vogelbauer auf den Kauf Und ſendet, gegen fremdes Geld, Die Vöglein in die weite Welt. Vielmehr ſind hier, wie in Paris, Der Leute mehr als der Logis; Und wie ein Haus gebaut ſein mag, Gleich iſt's befekt den andern Tag. Beſonders eine der längſten Gaſſen Hat man für Leſer erbauen laſſen, Wo in den Häuſern, eng und weit, Geleſen wird zu jeder Zeit; 120 Das Neueſte von Plundersweilern. Xuswahl und Urteil find verbannt. Mit neuen Büchern in der Hand, Findt man, ſo wie man geht und ſteht, Von Thürſchwell' auf bis zum Privet, Einen jeden emſig fich erbauen Und kaum zum Gruße ſeitwärts (chauen. 25 Wie man denn ſchon ſeit langen Zeiten Läßt Kaffee öffeiitlich bereiten, Daß für drei Pfennig' jedermann Sich ſeinen Magen verderben fann: So teilt man nun den Leſeſdmaus Liebhabern für ſechs Pfennig aus. 30 35 Von dieſer Straße, lang und ſchön, Könnt ihr hier nur das Edhaus ſehi. Hier ſchauen Damen und Herrn heruin Begierig in das Publikum, Wie einer an den andern rennt; Und abends ſind ſie gar fontent. LO 45 Vor ihrem Fenſter, mit leichten Schritten, Spaziert ein Mädchen von ſchlechten Sitten Ilnd bietet un geringen Preis Gar vieler Menſchen ſauren Schweiß. Ein jeder wird ſie laut verachten; Es mag kein Menſch ſie übernachten, Und alle kommen doch zu Haufen, Ihr ihre Waren abzukaufen. Wie ſchlimm ſieht's drum in jenem Haus, sn der uralten Handlung aus! Gar einzelit naht ſich dann und wann Sin etwa grundgelehrter Mann, Nach einem Folio zu fragen; Dagegen bücken viel Autormagen Sich mit demütigen Gebärden Vor dem Papierpatron zur Erden. Auch iſt das Haus, wie jeder ſagt, Von böſer Nachbarſchaft geplagt: Wie man Erenipel jeden Tag In der Almende felen mag. Das Neueſte von Plundersweilern. Halt auf! o weh! welch ein Geſchrei! Was zerrt man dieſe Leut' herbei? Was hat das arme Volk begangen? Was wird mit ihnen angefangen? 2 Die aufgehängten Becken hier Verkünden euch den Herrn Barbier, Dem, mo er irgend Stoppeln ſieht, Das Meſſer untern Händen glüht; Und er raſiert, die Nut zu ſtillen, Zwar gratis, aber wider Willen, Und bei dem ungebetnien Schnitt Geht auch wohl Haut und Naſe init. Welch ein Palaſt am End' der Stadt Sſts, wo er ſeine Bude hat, Äuf gutes Fundament gebaut, Der alle Gegend überſchaut! Wer iſt der vornehm reiche Mann, Der alſo baun und wohnen kann? Mit großer Luft und großem Glück Hält ihr Serail hier Frait Kritik. Ein jeder, er ſei groß und flein, Wird ihr gar ſehr willkommen ſein. Šein Zimmer iſt ihm gleich bereit, Sein Eſſen auch zii rechter Zeit; Er wird genähret und derivahrt Nach ſeiner Art und feinein Bart. Doch läßt, aus Furcht vor Neidesflammen, Sie ihre Freunde nie zuſammen. Sie hat zwar weder Leut noch land, Auch weder Kapital noch Pfand, Sie bringt auch ſelber nichts hervor Und lebt und ſteht doch groß im Flor: Denn, was ſie reich macht und erhält, Das iſt eine Art von Stempelgeld; Drum ſehn wir alle neuen Waren Zum großen Thor hineingefahren. Am Fenſter läßt ſich einer blicken, Der reißt gar alles grob zu Stücken; 90 95 122 Das Ncueſte von Plundersweilern. Ein andrer mißt das Werk mit Ellen; Ein Dritter läßt's auf der Wage ſchnellen; Ein vierter, oben auf dem Haus, Klopft gar die alten Kleider aus. Gar viele Fenſter ſind auch zu; Das deutet nicht auf innre Ruh. Die meiſten arbeiten wie in der Gruft und kommen ſelten an friſche Luft. 100 100 105 110 110 Doch ſcheint's, ihr möget nicht verweilen Und gerne dieſen Zug ereilen; Bleibt nur ein wenig hinterdrein! Ich fürcht', es möcht gefährlich fein. Unter dein Leichnam auf ſeinein Rücken Seht ihr einen jungen Herrn ſich drücken, Ein Schießgewehr in ſeiner Hand: So trug er ſeinen Freund durchs Land, Erzählt den traurigen Lebenslauf Und fordert jeden zum Mitleid auf. Kaum hält er ſich auf ſeinen Füßen, Die Thränen ihin von den Wangen Fließen, Beſchreibt gar rührend des Armen Not, Verzweiflung und erbärmlichen Tod; Wie er ihn endlich aufgerafft: Das alles ein wenig ſtudentenhaft. Da fing's entſetzlich an zu rumoren Unter Klugen, Weiſen und unter Thoren; Drum wünſcht er weit davon zu feiri. 115 120 125 Denn ſeht, es kommen hinterdrein Ein Chor ſchwermütiger funggeſellen, Die fich gar ungebärdig ſtellen. Mehr ſag' ich nicht: man kennt genug Den ganzen uniformen Zug. 130 Jeder führt eine Jungfrau fein, Die ſcheinen gleiches Sinns zu ſein: Denn fie tragen auf bunten Stangen Paniere zierlich aufgehangen, Die Zeichen ihrer Luft und Schmerz: Einen vollen Mond, ein brennend Herz; Das Neueſte von Plundersweilern. 123 135 Wie denn nun faſt jede Stadt Fhren eignen Mondſchein nötig hat. Die Herzen lärmen und pochen ſo ſehr, Man hört ſein eigen Wort nicht mehr; Doch ſcheinen die Liebchen bei dieſen Spielen Noch ſeitwärts in die Welt zu ſchielen. 140 145 Laßt ſie vorbei und ſeht die Knaben, Die in der Ede ihre Kurzweil haben! Die Laube, die ſie faßt, iſt klein, Doch dünkt ſie ihnen ein dichter Hain. Sie haben aus Maien ſie aufgeſtedt Und vor der Sonne ſich bededit; Mit Siegsgefang und Harfenſchlag Verklimpern ſie den lieben Tag; Sie kränzen freudig fich wechſelsweiſe, Einer lebt in des andern Preiſe; Daneben man Keul' und Waffen ſchaut. Sie fißen auf der Löwenhaut; Doch guckt, als wie ein Eſelsohr, Ein Murmelkaſten Srunter vor, Daraus denn bald ein jedermann Thre hohe Ankunft erraten kann. 150 155 Thr ſchaut euch un, ihr ſeht empor, Leiht andern Stimmen euer Ohr! Ja, ſeht nur recht! Dort eine Welt, In vielen Fächern dargeſtellt. Man nennt's ein epiſches Gedicht; So was hat ſeinesgleichen nicht. 160 165 Der Mann, den ihr am Bilde ſeht, Scheint halb ein Barde und halb Prophet. Seine Vorfahren müſſen's büßen, Sie liegen wie Dagon zu ſeinen Füßen; Auf ihren Häuptern ſteht der Mann, Daß er ſeinen Helden erreichen kann. Kaum iſt das Lied nur halb geſungen, Iſt alle Welt ſchon liebdurchdrungen. Man ſieht die Paare zum Grbarmen In jeder Stellung fich umarmen. 170 124 Das Neueſte von Plundersweilern. Ein Zögling fniet ihm an dem Rücken, Der denft die Welt erſt zu beglücken; Zeigt des Propheten Strümpf und Schuh, Beteuert, er hab' auch Hoſen bazıl, lind, was ſich niemand denken kann, Einen Steiß habe der große Mann. 175 150 Vor dieſem Ginmliſchen Bericht Fällt die ganze Schule aufs Angeſicht Und rufen: Preis dir in der Höh, D trefflicher Euſtazie! 185 Der Adler umgeſtürzte Zier! Der deutſche Bär, ein feines Tier! Wie viele Wunder, die geſchehn, Könnt ihr hier nicht auf einmal ſehn! Er hat auch eine Heftelfabrik, Die zeigt ſich nicht auf dieſem Stüd. 190 sletter von einem Vertu Jhr fennt den himmliſchen Merkur, Ein Gott iſt er zwar von Natur; Doch ſind ihm Stelzen zum irdiſchen Leben Als wie ein Pfahl ins Fleiſch gegeben; Darauf macht er durch des Volkes Mitte Des Jahrs zwölf weite Götterſchritte. Auf ſeinen Žepter und ſeine Rute Thut er ſich öfters was zu gute. Vergebens ziehen und zerren die Knaben und möchten ihn gerne herunter haben; Vergebens ſägſt du, thöridit Kind! Die Stelzen, wie er, unſterblich ſind. 195 200 Es ſchaut zu ihm ein großer Hauf Von mancherlei Bewundererit auf; Doch dieſen Pack, ſo ſchwer und groß, Wird er wohl ſchwerlich jemals los. 205 20:5 Wie iſt mir? wie erſcheint ein Engel In Wolken mit dem Lilienſtengel ! Er bringt einert Lorbeerkranz hernieder, Er ſieht ſich um und ſucht ſich Brüder. Das Neueſte von Plundersweilern. 125 210 215 220 225 225 Wer ſagt mir ein vernünftig Wort? Was treiben die eilenden Knaben bort? Seht ihr nicht, wie geſchickt fie's machen! Seht doch, wie ſteigen ihre Drachen! Geht er nicht ſchnell und hoch genung? Man nennt es einen Obenſchwung. Die andern führ ich euch nicht vor; Sie haben init dem Blaſerohr Nach Schmetterlingen unverdroſſen Mit Lettenkugeln lang geſchoſſen, lind dann war ſtets das arme Ding Ein Lahmgeſchoßiner Schmetterling. Die kleinen Jungens in der Pfützen, Laßt ſie init ihren Schuſſern ſiken! Und laßt uns ſehr, dört ſtäubt's im Sand, Dort zieht ein wütig Heer zu Land. Zuvörderſt ſprengt ein Rittersmann Auf einen zweideutigen Pferdlein (11; Ein hoher Federbuſch ihn ziert, Die Lanze er gar ſtolz regiert, Von Kopf zu Fuß in Stahl veriumit, Daß jeder Bauer und Knecht verſtumint. As Nitter nimmt er Preis und Gruß; Doch eigentlich geht er zu Fuß. Hinter ihm wird kein Guts geſchafft. Es reißet einer mit voller Kraft Die Bäume ſaint den Wurzeln aus; Die Vögel fliegen zu den Neſtern heraus. Sein Haupt trägt eine Felſenmüße, Sein Schütteln ſchüttert Ritterſike. Intſekt euch nicht ob dieſer Stärfe und der modernen Simſonsmerke : Denn aller Nicſenvorrat hier . Iſt nur von Pappe und von Papier. Ein andrer trägt einen Kometenhut; Ein Dritter beißt in die Steine vor Wut; Sie ſtolpern über Särg' und Leichen, Dem Pathos iſt nichts zu vergleichen; 230 235 235 2.10 2.15 126 Das Neueſte von Plundersweilern. Sie möchten gerne init hellen Scharen Aus ihren eignen Häuten fahren; Doch fiben ſie darin zu feſt, Drum es jeder endlich berenden läßt. 250 250 Jin Vordergrund ſind zwei feine Knaben, Die gar ein artig Kurzweil haben. Mit Deutſchheit fich zu zieren ißt, Hat jeder ſein armes Wams zerſchlißt; Šie ziehen die Hemdchen durch die Spalten, Das gibt gar wunderreiche Falten; Die Puffen ſtehn gut zu Geſicht; Sie ſchonen ſogar der Höschen nicht; Sie werden bald ihr Ziel erreichen Und deutſchen Betteljungen gleichen. 255 260 Wenn ich nun jemand raten mag, So hat er genug für dieſen Tag Und geht den Lärnt und das Geſchrei, Was hinten ſich erhebt, vorbei. 265 270 Die Bude, die man dorten ſchaut, Iſt ſchon vor alters aufgebaut, Worein gar mancher, wie ſich's gebührt, Nach ſeiner Art fich proſtituiert. Die feſten Säulen zeigen an, Der Ort ſich nicht beivegen kann; Ein Mann, der Groben im Reifrock ſteht, Deutet auf hohe Gravität: Doch Wurſtel läßt ſich nicht vertreiben, Läßt ſeine Neckerei nicht bleiben, Indes ein neuer Unfall droht Und bringt den Alten faſt den Tod. Eine Rotte, kürzlich angekommen, Hat das Portal ſchon eingenommen Únd nagelt, ihr iſt nicht zu wehren, Ans Frontiſpiz zwei Hemiſphären, Eröffnet nun die weite Welt Erobernd zum Theaterfeld; Darauf denn jeder bald verſteht, Wie es von London nach China geht. 275 280 Ein Faſtnachtsſpiel vom Pater Bren. 127 285 290 Und ſo hat man für wenig Geld Gleich eine Fahrt um die ganze Welt. Es poltert alles drüber und drunter, Die Knaben jauchzen laut mitunter, Und auf den Dielen, wohlverſchanzt, Die Schellenkapp' wird aufgepflanzt. Kein Menſch iſt ſicher ſeines Lebens; Es wehrt der Held' ſich nur vergebens; Es gehen beinah in dieſer Stunde Souffleur und Konfident zu Grunde, Die man als heilige Perſonen Von je gewohnt war zu verſchonen. Und Dieſer Lärm dient auf einmal Auch unſerm Schauſpiel zum Final. 295 Sin Faſtnachtsſpiel, auch wohl zu tragieren irac Oſterit, vom Pater Breij, dem fals dy e ir P ro pleten. 3u Lehr', Nuß und Kurzweil gemeiner Chriſtenheit, inſonders Frauen und Jungfrauen zum goldnen Spiegel. W i rz främer in ſeinem Laden. Junge, hol' mir die Schachtel Dort froben! Der Teufelspfaff hat mir alles verſchoben. Mir war mein Laden wohl eingericht, Fehlt auch darin an Ordnung nicht: Mir war eines jeden Platz bekannt, Die nötigſt War? ſtund bei der Hand, Tobak und Kaffee, ohn' den zu Tag Kein Höckerweib mehr Leben inay. Da kain ein Teufelspfäfflein ins Land, Der hat uns Kopf und Sinn verwandt, Sagt, wir wären unordentleich, An Sinn und Rumor Den Studenten gleich, Könnt unſre Haushaltung nicht beſtehen, Müßten att ärſchlings zum Teufel gehen, 10 128 Ein Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey. Wenn wir nid)t thäten ſeiner Führung Uns übergeben und geiſtlicher Regierung. Wir waren Burgersleuť guter Art, Glaubten dem Kerl auf ſeinen Bart, Darin er freilich hat nicht viel Haar: Wir waren bethört eben ganz und gar. Da kam er denn in den Laden herein, Sagt: Verflucht! das ſind mir Schwein'! Wie alles durcheinander ſteht! Müßt's einrichten nach dem Alphabet. Da kriegt er mir meinen Kaſten Kaffee lind ſetzt mir ihn oben auf ins 5 llud ſtellt mir die Tobaksbüchſen weg, Dort hinten ins T, zum Teufelsdreck; Kehrt eben alles drüber und drunter, Ging weg und ſprach: So beſteh's jekunder! Da macht er ſich an meine Frauen, Die auch ein biſschen umzuſchauen; Idi bat mir aber die Ehr, auf ein andermal aus, Ilnd ſo ſchafft' ich mir’n aus dem Haus. Sr hat mir’S aber auch gedacht 35 Ilnd mir einen verfluchten Streich gemacht. Sonſt hielten wir's mit der Nachbarin, Ein altes Weib von freuen Sinn; Mit der hat er uns auch entzweit. Man ſieht ſie faſt nicht die ganze Zeit; Doch sa kommt ſie ſoeben her. Na dvarin kommt. Würzkrämer. Frau Nachbarin, was iſt Ihr Begehr? Hibilla (die Nachbarin). Hätte gern für zwei Pfennig Schwefel und Zunder. Wiirzkrämer. Si fieh, 's iſt in ein großes Wunder, Daß man nur einmal hat die Ehr'! Sibylla. Ei, der Herr Nachbar braucht einen nicht ſehr. Würzkrämer. Red' Sie das nicht! Es war eine Zeit, Da wir waren gute Nachbarsleut' 15 Gin Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey. 129 50. 55 60 65 Und borgten einander Schüſſeln und Beſen: War' auch alles gut geweſen; Aber vom Pfaffen kommt der Neid, Mißtrauen, Verdruß und Zwiſtigkeit. Hibilla. Ned' Er mir nichts übern Herrn Pater! Er iſt in Haus als wie der Vater, Hat über meine Tochter viel Gewalt, Žeigt ihr, wie ſie ſoll werden klug und alt, und iſt ein Menſd, von viel Verſtand, Hat auch gefehn ſchon manches Land. Würzkrämer. Aber bedenkt Sie nicht dabei, Wie ſehr gefährlich der Pfaff Ihi ſei? Was thut er an Shrer Tochter Lecken, An fremden, verbotnen Speiſen ſchlecken? Was würd' Herr Balandrino ſagen, Wenn er zurückfän’ in dieſen Tagen, Der in Italia zu dieſer Friſt Untern Dragonern Hauptmann iſt Und iſt Ihrer Tochter Bräutigam, Nicht blöckt und trottelt wie ein Lamm? Sibilla. Herr Nachbar, Er hat ein böſes Maul! Er gönnt deni Herrn Pater keinen blinden Gaul. Mein' Tochter, die iſt in Büchern beleſen, Das iſt dein Herrn Pater juſt ſein Weſen; Auch redt fie verſtändig allermeiſt Von ihrem Herzen, wie ſie's heißt. Würzkrämer. Frau Nachbarin, das iſt alles gut; Eure Tochter iſt ein junges Blut Uud kennt den Teufel der Männer Nänfen, Warum ſie ſich an die Maidels henken. Die ganze Stadt is voll davon. Sibiulla. Lieber Herr Nachbar, weiß alles ſchon; Meint Er denn aber, Herr, beim Blut, Daß mein Maidel was Böſes thut? Goethe, Werfc. VI. 70 .. 75 SO 130 Ein Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey. 85 90 90 95 Würzkrämer. Was Böſes? Dapon iſt nicht die Ned'; Es iſt nur aber die Frag, wie's ſteht. Sieht Sie, ich muß Ihr deutlich ſagen: Ich ſtund ungefähr dieſer Tagen Hinten am Hollunderzaun; Da kam mein Pfäfflein und Mädelein traun, Gingen auf und ab ſpazieren, Thäten einander umſchlungen führen, Thäten mit Aeugleins fich begäffeln, Finander in die Dhren räffelit, Als wollten ſie eben allſogleich Mit einander ins Bett oder ins Himmelreich. Sibylla. Davor habt Ihr eben keine Sinnen; Ganz geiſtilich iſt fein Beginnen, Er iſt von Fleiſchbegierden rein, Wie die lieben Herzengelein. Ich wollt, fhr thätet ihn nur recht kennen, Würdet ihn gern einen Heiligen nennen. (Frau Sibylla, die Nachbarin, ab.) Balandrino, der Dragonerhauptmann, tritt auf und ſpricht: Da bin ich nun durch viele Gefahr Zurückgekehrt im dritten Jahr, Hab' in Stalia die Pfaffen gelauſt Und manche Republik gezauſt. Bin nur jekt von Sorgen getrieben, Wie es Srinne ſteht mit meiner Lieben, llud ob, wie in der Stadt man ſagt, Sie ſich mit einem Teufels-Pfaffen behagt. Will doch gleich den Nachbar fragen; War cin' redlich Kerl in alten Tagen. Würzkrämer. þerr Hauptmann, feid Ihr's? Gott ſei Dank! Haben Euch halt erwart't ſo lang. Hauptmann. Ich bin freilich lang geblieben. Wie habt Ihr's denn die Zeit getrieben? Würzkräner. So bürgerlich. Eben leidlich dumm. 100 105 110 115 Fin Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey. 131 Hauptmann. Wie ſteht's in der Nachbarſchaft herum? Iſt's wahr — Würzkrämer. Seid Ihr etwa ſchon vergift? Da hat einer ein böf? Eh geſtift. Hauptmann. Sagt, iſt's wahr mit dem Pfaffen? Würzkrämer. Herr, ich hab' nichts mit dem Miſt zu ſchaffen, 120 Aber ſo viel kann ich Euch ſagen: Ihr müßt nit init Feuer und Schwert grein ſchlagen, Müßt erſt mit eignen Augen fehn, Wie's drinnen thut im Haus hergehn. Kommt nur in meine Stube 'nein, 125 Soeben fällt ein Schwank mir ein. Laſt Such's unangefochten fein, Eure Braut iſt ein gutes Ding Und der Pfaff nur ein Däumcrling. (Sie gehen ab.) Wird vorgeſtellt der Frau Sibylla Garten. Treten auf: das Pfäfflein und Leonora, fid) an den Händen führend. Pfaff. Wie iſt doch heut der Tag ſo ſchön! Gar lieblich iſt's, ſpazieren zu gehn. Leonorn. Wie ſchön wird nicht erſt ſein der Tag, Da mein Balandrino kommen mag! Pfaff. Wollt' Euch wohl gönnen die Herzensfreude! Doch wir ſind indes beiſammen heute lind ergößen unſere Bruſt Mit Freundſchaft und Geſprächesluſt. Leonora. Wie wiró Euch Balandrino ſchätzen, An Eurem Umgang ſich ergößen, Erkennen Euer edel Geblüt, Frei und liebevolles Gemüt! 130 135 140 132 Ein Faſtnachtsſpicſ von Pater Brei).. 145 150 155 Und wie Ihr wollet allen gut, Niemals zu viel, noch zu wenig thut! Pfaff. O Jungfrau, ich mit Seel und Sinn Auf immerbar fein eigen bin, lind den du Bräutigam thuſt nennen, Mög' er ſo deinen Wert érkennen! O, himmliſch glücklich iſt der Mann, Der dich die Seine nennen kann! (Sie gehen vorüber.) Tritt auf Balandrino, der Hauptmann, verkleidet in cinen alten Edelmann, mit weißen Bart und Ziegenperiide, und der Würzkrämer. Würzkrämer. Hab? Such nun geſagt des Pfaffen Geſchicht, Wie er alles nach ſeinem Gehirn einricht, Wie er will Berg und Thal vergleichen, Alles Rauhe mit Gips und Kalk verſtreichen Und endlich malen auf das Weiß Sein Geſicht oder ſeinen Steiß. Hauptmann. Wir wollen den Kerl gewaltig kurieren Und über die Dhren in Dreck 'nein führen! Geht jeßt ein bißchen nur beiſeit! Würzkränter. Wenn Ihr mich braucht, ich bin nicht weit. (Ocht ab.) Hauptmann. Ho! Holla! ho! 160 Sibylla. Welch ein Geſchrei? Hauptmann. Treff ich nicht hier den Pater Brey? - Sibylla. Ex ivirð wohl in dem Garten ſein; Ich ſchick ihn Ihnen gleich herein. (916.) Der Pfaff tritt auf und ſpricht: Womit kann ich dem Herren dienen? Hauptmann. Ich bin ſo frei, mich zu erfühnen, Den Herrn Pater hier aufzutreiben; 160 165 Gin Faſtnachtsſpiel vom Pater sater 133 . Brey170 175 180 Brey. Sie müſſen's Fhrem Ruf zuſchreiben. Jich habe ſo viel Guts vernommen Von vielen, die das und dorther kommen, Wie Sie überall haben genug Der Menſchen Gunſt und guten Geruch; Wollt' Sie doch eiligſt kennen lernen, Aus Furcht, Sie möchten ſich bald entfernen. Pfaff. Mein lieber Herr, wer ſind Sie dann? Hauptmann. Ich bin ein reicher Ebelmann, Habe gar viel Gut und Gelb, Die ſchönſten Dörfer auf der Welt; Aber mir fehlt's am rechten Mann, Der all das gubernieren kann. Es geht, geht alles burcheinander, Wie Mäufedreck und Koriander: Die Nachbarn leben in Zank und Streit, Unter Brüdern iſt keine Einigkeit, Die Mägde ſchlafen bei den Buben, Die finder hofieren in die Stuben; Ich fürcht', es kommt der jüngſte Tag. Pfaff. Ach, da wird alles gut darnach ! Hauptmann. Ich hätt's eben noch gern gut vorher, Druin verlanget mich zu wiſſen ſehr, Wie Sie denken, ich ſollt's anfangen? Pfaff. Können nicht zu Shrem Zweck gelangen, Sie müſſen denn einen Plan disponieren Und den mit Stetigkeit vollführen. Da muß alles falkuliert ſein; Da darf kein einzeln Geſchöpf hinein: Mäuf' und Ratten, Flöh und Wanzen Müſſen alle beitragen zum Ganzen. Hauptmann. Das thun ſie jetzt auch, ohne Kunſt. 185 190 195 134 Ein Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey. 200 205 215 Pfaff Doch iſt das nicht das Recht, mit Gunſt: Es geht ein jedes ſeinen Gang; Doch ſo ein Reich, das dauert nicht lang. Muß alles ineinander greifen, Nichts hinüber, herüber ſchweifen: Das gibt alsdann ein Reich, das hält Im ſchönſten Flor bis ans End' der Welt! Hauptmann. Mein Herr, ich hab' hier in der Näh Ein Völklein, da ich gerne ſäh', Wenn Eure Kunſt und Wiſſenſchaft Wollt da beipeiſen ihre Fraft. Sie führen ein ſodomitiſch Leben, 210 Ich will fie Eurer Aufſicht übergeben; Sie reden alle durch die Naſen, Haben Wänſte, ſehr aufgeblaſen, lind ſchnauzen jeden Chriſten an Ilnd laufen davon vor jederinanın. Pfaff. Da iſt der Fehler, da ſitzt es eben! Sobald die Kerls wie Wilde Leben Und nicht bethulich und freundlich ſind; Doch das verbeſſert ſich geſchwind. .. Hab' ich doch mit Geiſtesworten Äuf meinen Reiſen allerorten Nus rohen, ungemaſchnen Leuten, Die Lebten wie Juden, Türfen und Heiden, Zuſammengebracht eine Gemein', Die lieben wie Maienlämmeleint Sich und die Geiſtesbrüderlein. Hauptmann. Wollet Ihr nicht gleich hinaus reiten? Der Herr Nachbar ſoll Euch begleiten. Pfaff. Der iſt ſonſt nicht mein guter Freund. . Hauptmann. Herr Pater ! mehr, als shr es meint. (Sie gehen ab.) 230 220 225 Ein Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey. 135 235 240 Hauptmann (kommt zurück und ſpricht). Nun muß ich noch ein bißchen ſehr, Wie's thut mit Leonoren ſtehn. Ich thu fie wohl unſchuldig ſchäßen, Der Pfaff kann nichts als prahlen und ſchwätzen. Da kommt ſie eben recht herein. Jungfrau! Sie ſcheint betrübt zu ſein. Leonora. Mir iſt's im Herzen weh und bange; Mein Bräutigamn, der bleibt ſo lange. Hauptmann. Liebt Ihr ihn denn allein ſo ſehr? Lcoitora. Ohn' ihn möcht ich nicht leben mehr. Hauptmani. Der Pater Euch ja hofieren thut? Leonora. Ach ja, das iſt wohl alles gut; Aber gegen meinen Bräutigam Iſt der Herr Pater nur ein Schwamm. Hauptnanır. Ich fürcht', es wird ein Hurry geben, Wenn der Hauptmann hört Suer Lebcn. Leonorn. Ach nein! denn ich ihm ſchwören kann, Denfe nicht dran, dei Pfaff fei Mann; Und ich dem Hauptmann eigen bin Von ganzem Herzen und ganzem Sinn. 250 Hauptmann (wirft Perücke und Bart weg und entdeckt ſid)). · So komme denn an meine Bruſt, D Liebe, meines Herzens Luſt! Leonora. Ift's möglich? Ach, ich glaub' es faum: Die himmliſch Freuden iſt ein Traum! Hauptmann. O Leonor', biſt treu genug; Wärſt du geweſen auch ſo flug! 245 250 255 136 Ein Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey. 200 265 270 Leonora. Ich bin ganz ohne Schuld und Sünd'. Hauptnanir. Das weiß ich wohl, mein liebes Kind; Die Kerls ſind vom Teufel beſeſſen, Schnopern herum an allen Eſſen, Lecken den Weiblein die Ellenbogen, Stellen ſich gar zu wohlgezogen, Niſten ſich ein mit Schmeicheln und Lügen Wie Filzläuſ', ſind nicht heraus zu kriegen. Aber ich hab ihn proſtituiert: Der Nachbar hat ihn hinaus geführt, Wo die Schwein' auf bie Weide gehn, Da mag er befehren und lehren ſchön! Nadbar Würzkrämer (fommt lachend außer Atem). Gott grüß' euch, edles junges Paar! Der Pfaff iſt raſend ganz und gar, Läuft wie wütig hinter mir brein. Ich führť ihn Graußen zu den Schwein’; Sperrt' Maul und Augen auf der Maß, Als ich ihm ſagt, er wär? am Plak: Er fäh, ſie redten durch die Naſen, Hätten Bäuche, ſehr aufgeblaſen, Wären unfreundlich, grob und liederlich, . Schnauzten und biffen fich unbrüderlich, Lebten ohne Religion und Gott Und Ordnung, wie ein' Studentenrott'; Möcht' ſie nun machen all' honett Und die Frömmſt nehmen init zu Bett. Hauptmann. Thät er darauf wacker raſen? Würzkräner. Viel Flüch und Schimpf aus’m Rachen blaſen. Da kommt er ja gelaufen ſchon. Pfaff (außer Aten). Wo hat der Teufel den Kujon? (Erſdridt, da er den Hauptmann ſicht.) 275 230 UL 285 Ein Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey. 137 290 295 300 805 Hauptmann. Herr Pfaff! erkennt Er nun die Schlingen? Sollt ihm wohl noch ein Gratias ſingen. Doch mag Er frei ſeiner Wege gahn; Nur hör Er noch zwei Wörtchen an: Er meint, die Welt könnt nicht beſtehen, Wenn Er nicht that brauf herumhergehen; Bildt ſich ein wunderliche Streich Von ſeinem himmliſch geiſt'gen Reich; Meint, Er wolle die Welt verbeſſern, Fhre Glückſeligkeit vergrößern, Und lebt ein jedes. Doch fortan, So übel und ſo gut es kann. Er denkt, Er trägt die Welt aufin Rücken; Fäng' Er uns nur einweil die Mücken! Aber da iſt nichts recht und gut, Als was Herr Pater ſelber thut. Thät' gerne eine Stadt abbrennen, Weil Er ſie nicht hat bauen können; Findt's verflucht, daß, ohn'fhn zu fragen, Die Sonne ſich auf und ab kann wagen. Doch, Herr, Sainit Er uns beweiſt, Daſ ohne Ihn die Erde reißt, Zuſammenſtürzen Berg und Thal, Probier Er's nur und ſterb? Er einmal; lind wenn Savon auf der ganzen Welt Ein Schweinſtall nur zuſammenfällt, So erklär' ich ihn für einen Propheten, Will fhn mit aſ meinem Haus anbeten. (Der Pfaff zicht ab.) Hanptmann. liud du, geliebtes Lorchen mein, Warſt gleich einem Wickelkindelein, Das ſchreit nach Brei und Suppe lang, Des wird der Mutter angſt und bang: Fhr Brei iſt noch nicht gar und recht; Drum nimmt ſie ſchnell ein Lümpchen ſchlecht 320 Unð faut ein Zuderbrot hinein Und ſtect's dem Kind ins Mündelein. Da ſaugt's und zutſcht denn um ſein Leben, Will ihm aber keine Sättigung geben; Es zieht erſt allen Zucker aus 325 310 315 138 Satyros oder der vergötterte Waldtenfel. Und ſpeit den Lumpen wieder aus. So laßt uns denn den Schnaken belachen lind gleich von Herzen Hochzeit machen. thr Jungfrauen, laßt euch nimmer füſſen Von Pfaffen, die ſonſt nichts wollen, noch wiſſen; 330 Denn wer möcht einen zu' Tiſche laden Nuf den bloßen Geruch von einein Braten? Es gehört zu jeglichem Saframent Geiſtlicher Anfang, leiblich Mittel, fleiſchlich End. Safyros oder der vergötterte Waldfeufel. Drama, 1773. S r fi e r nk f. Einſiedler. Ihr denft, ihr Herrn, ich bin allein, Weil id) nicht mag in Städten ſein. Ihr irrt euch, liebe Herren mein! ich hab mich nicht hierher begeben, Weil ſie in Städten ſo ruchloš Veben Und alle wandeln nach ihrem Trieb, Der Schmeichler, Heuchler und der Dieb; Das hätt' mich immerfort ergötzt, Wollten ſie nur nicht fein hochgeſchäßt; Beſtehlen und be – – mich, wie die viaben, Und noch dazu Neverenzen haben! Shrer langweiligen Narrheit ſatt, Bin herausgezogen in Gottes Stadt, Wo's freilich auch geht drüber und brunter Und geht demohngeacht nicht unter. Ich ſah im Frühling ohne Zahl Blüten und Knoſpen durch Berg und Thal, Wie alles brängt und alles treibt, Kein Blättlein ohne Keimlein bleibt. 10 15 Erſter Akt. Da denkt nun gleich der ſteif' Philiſter: Das iſt für mich und meine Geſchwiſter. Unſer Herr Gott iſt ſo gnädig heuer; Hätt ich's doch ſchon in Fach und Sdheuer ! Unſer Herr Gott ſpricht: Aber mir nit ſo! Es ſollen's anders auch werden froh. Da (odt uns denn der Sonnenſchein Stördı' und Schwalb' aus der Fremd' Herein, Den Schmetterling aus ſeinem Haus, Die Fliegen aus den Niken raus Und brütet das Raupenvölklein aus. Das quillt all von Erzeugungskraft, Wie fich's hat aus dem Schlaf gerafft; Vögel und Fröſch und Tier und Mücken Begehn fich zu allen Augenblicken, Hinten und vorn, auf Bauch und Rücken, Daß man auf jeder Blüt und Blatt Ein Eh- und Wochenbettlein hat. Und ſing' ich dann im Herzen mein Lob Gott mit allen Würmelein. Das Volk will dann zu eſſen haben, Verzehren beſcherte Gottesgaben. So frißt's Würmlein friſch Keimleinblatt, Das Würmlein macht das Lerchlein ſatt, Und weil ich auch bin zu eſſen hier, Mir das Lerchlein zu Šemüte führ'. Ich bin dann auch ein häuslich Mann, Hab Haus und Štall und Garten Dran. Mein Gärtlein, Früchtlein ich beſchüß' Vor Kält und Raupen und Bürrer Hitz'. Kommt aber herein der Rieſelſchlag Und furaſchiert mir an einem Tag, So ärgert mich der Streich fürwahr; Doch leb? ich 110ch am End? vom fahr, Wo mancher Werwolf iſt ſchon tot Aus Aengſten vor der Hungersnot. Man hört von ferne Heulen: 11! U! Au! Au! Weh! Weh! Ai! Xi! Einſiedler. Welch ein erbärmlich Wehgeſchrei! Muß eine verwundte Beſti' ſein. 140 Satyros oder der vergötterte Waldteufel. 60 65 Fatiros. O weh, mein Rücken! Ô weh, mein Bein! Einſiedler. Gut Freund, mas iſt Euch Leids geſchehn? atijros. Dumme Frag?! Jhr fönnt's ja ſehn. Ich bin geſtürzt -- entzwei mein Bein! Einſiedler. Hockt auf! Hier in die Hütte 'rein. (Einſiedler Hodt ihn auf, trägt ihn in die Hütte und legt ihn aufs Bett.) Einſiedler. Halt ſtill, daß ich die Wund' beſeh'! atyros. Ihr ſeid ein Flegel! jhr thut mir weh. Einſiedler. Ihr ſeid ein Fraß! ſo halt denn ſtill! Wie, Teufel, ich Euch sa ſchindeln will? (Verbindet ihn.) So bleibt nur wenigſtens in Ruh. Satyros. Schafft mir Wein und Obſt dazu. Einſiedler. Milch und Brot, ſonſt nichts auf der Welt. Satiros. Eure Wirtſchaft iſt ſchlecht beſtellt. Einſiedler. Des vornehmen Gaſts mich nicht verſah. Da, foſtet von dem Topfe da! Satyros. Pfui! was iſt das ein ä Geſchmack Und magrer als ein Bettelſack. Da Groben im G'birg die wilden Ziegen, Wenn ich eine bei’n Hörnern thu' kriegen, Faſſ' mit dem Maul ihre vollen Zißen, Thu' mir mit Macht die Gurgel beſprißen, Das iſt, bei Gott! ein ander Weſen. Einſiedler.. Drum eilt Euc), wieder zu geneſen. . 70 775 Zweiter Akt. 141 85 Suticos. Was blaft Ihr da ſo in die Hand? Einſiedler. Seid Fhr nicht mit der Kunſt bekannt? Ich haudh die Fingerſpißen warm. Satijros. Ihr ſeid doch auch verteufelt arm. Einſiedler. Nein, Herr! ich bin gewaltig reich; Meinem eignen Mangel helf' ich gleich. Wollt Ihr von Supp’ und Kraut nicht was? Intyros. Das warm Geſchlapp, was ſoll mir das? Einſiedler. So legt Euch denn einmal zur Ruh, Bringt ein paar Stund' mit Schlafen zu! Will ſehen, ob ich nicht etwan Für Euren Gaum was finden kann. Ende des erſten Akts. 90 Zweifer Nkt. Satyros, crwadyend. Das iſt eine Hundelagerſtätt'! Ein's Miſſethäters Folterbett! Aufliegen hab' ich than mein'n Rücken, Und die Unzahl verfluchte Mücken! Bin kommen in ein garſtig Loch. In meiner Höhl', da lebt man doch, Hat Wein im mohlgeſchnitten Krug Únd fette Milch und Käß genug. - Kann doch wohl wieder den Fuß betreten? – Da iſt den Kerl ſein Plaß, zu beten. Es thut mir in den Augen weh, Wenn ich dem Narren ſeinen Herrgott ſeh’: Wollt lieber eine Zwiebel anbeten, Bis mir die Thrän' in die Augen träten, - 10 10 142 Satyros oder der vergötterte Waldtcufei. Als öffnen meines Herzens Schrein Finem Schnitzbildlein, Querhölzelein. Mir geht in der Welt nichts über mich: Denn Gott iſt Gott, und ich bin ich. Ich denk', ich ſchleiche ſo hinaus; Der Teufel hor der Herrn vom Haus! Könnt ich nicht etwa brauden was? Das Leinwand nu mär' ſo ein Spaß. Die Maidels laufen ſo vor mir; Ich denk', ich bind's ſo etwa für. Šeinen Herrgott will ich runter reißen lind draußen in den Gießbach ſchmeißen. Ende des zweiten fts. Drifter hk f. Satyros. Ich bin doch müd; 'S iſt hölliſch ſchwül. Der Brunn, der iſt ſo ſchattenfühl. Hier hat mir einen Königsthron Der Raſen ja bereitet ſchon; Und die Lüftelein laden mich all Wie loſe Buhlen ohne Zahl. Natur iſt rings ſo liebebang; Ich will dich leßen mit Flöť und Sang. 3 wei Mägolein mit Waſſerfrügen. Arſinoe. Hör", wie's daher ſo lieblich ſchallt! És kömmt vom Brunn oder aus’m Wald. Pſydje. Es iſt fein Knab? von unſrer Flur ; So fingen Himmelsgötter nur. Stomm, laß uns lauſchen! Arſinoe. Mir iſt bang. Pſydjc. Mein Herz, ach)! Techzt nach dem Geſang. 10 Dritter Akt. 143 15 25 Satyros (fingt). Dein Leben, Herz, für wen erglüht's? Dein Adlerauge, was erſieht's ? Dir huldigt ringsun die Natur: s iſt alles bein; Und biſt allein, Bift elend nur! Arſinoe. Der ſingt wahrhaftig gar zu ſchön! Pſijdbc. Mir will das Herz in meiner Bruſt vergehn. Satyrus (jingt). Haſt Melodie vom Himmel geführt ünd Fels und Wald und Fluß gerührt; Und wonnlicher mar dein Lied der Flur Als Sonnenſchein; Und biſt allein, Bift elend nur! Pſyche. Weld, göttlich hohes Angeſicht! Arſinor. Siehſt denn ſeine langen Ohren nicht? Prijdje. Wie glühend ſtarf umher er ſchaut! Arſinoe. Möchť drum nicht fein des Wunders Braut. ntyros. Mädchen hold! der Erde Zier! Ich bitt' euch, fliehet nicht vor mir! Plijde. Wie kommſt du an den Brunnen hier? Satiros. Woher ich komm', kann ich nicht ſagen, Wohin ich geh', müßt ihr nicht fragen. Gebenedeit ſind mir die Stunderi, Da ich dich, liebes Paar! gefunden. 30 30 1. 144 Satyros oder der vergötterte Waldteufel. Pſyche. O lieber Fremdling! ſag' uns recht, Welch iſt dein Nam' und dein Geſchlecht? Satyros. Meine Mutter hab' ich nie gekannt, Hat niemand mir mein'ı Vater genannt. ſm fernen Land hoch Berg und Wald Siſt mein beliebter Aufenthalt. Hab weit und breit meinen Weg genommen. . 45 i ment Sollt er nobr 50 55 Sollt er wohl gar vom Himmel kommen? Arſinoe. Von was, o Fremdling, lebſt du dann? Satyros. Vom Leben, wie ein andrer Mann. Mein iſt die ganze weite Welt: jch wohne, wo mir's wohlgefällt; Ich herrſch übers Wild und Vögelheer, Frücht auf der Erden und Fiſch im Meer. Áuch iſt auf'm ganzen Erdenſtrich Kein Menſch ſo weiſ' und flug als ich. Ich kenn die Kräuter ohne Zahl, Der Sterne Namen allzumal, Und mein Geſang, ber bringt ins Blut, Wie Weines Geiſt- und Sonnen Glut. Pſyde. Ach Gott! ich weiß, wie's einem thut. Arſinoe. Hör', das wär meines Vaters Mann. : Pſijdje. Ja freilich! Satyros. . Wer iſt dein Vater dann? Arſinoe. Er iſt der Prieſter und Aelteſt im Land, Hat viele Bücher und viel Verſtand, Verſteht ſich auch auf Kräuter und Sternen; Jhr inüßt ihn wahrhaftig fennen lernen. 65 Dritter Akt.. 145 P[ijde. So lauf und bring ihn geldwind herbei! (Arſinde ab.) atijros. So ſind wir denn allein und frei. Engelskind! Dein himmliſch Bild Hat incine Seel' mit Wonn' erfüllt. pſydje. D Gott! ſeitdem ich dich geſehn, Kann faum auf meinen Füßen ſtehn. . Satyros. Von dir glänzt Tugend, Wahrheitslidst, Wie aus eines Engels Angeſicht. Pſijdje. Ich bin ein armes Mägdelein, Dem du, Herr! molleft gnädig ſein. (Er umfaßt ſie.) Satiros. Hab alles Glück der Welt im Arm Šo Liebe-Himmels-Wonne-warm! pide. Dies Herz mir ſchon viel Weh bereitt; Nun aber ſtirbt's in Seligkeit. Satyros. Du haſt nie gewußt, wo mit hin? Pſyde. Nie – als ſeitdem ich bei dir bin. 15 80 Es war ſo ahnungsvoll und fchwer, Dann wieder ängſtlich, arm und leer; Es trieb dich oft in Wald hinaus, Dort Bangigkeit zu atmen aus; Und wolluſtvolle Thränen floſſen, Und heilge Schmerzen ſich ergoſſen, Und um dich Himmel und Erd' verging? Pſyche. O Herr! du weißeſt alle Ding'. Und aller Seligfeit Wahntraumbild Fühl ich erbebend voll erfüllt. (Er füßt ſie mädstig.) Goethe, Werke. VI. 90 10 146 Satyros oder der vergötterte Waldteifel. 95 100 Pſyde. Laßt ab! – mich ſchaudert's! – Wonn und Wel! - O Gott im Himmel! ich vergel’! — Hermes und Arſinde fommen. Hermes. Willkommen, Fremdling, in unſerm Land! 95 Satyros. Ihr tragt ein verflucht weites Gewand. Hermes. Das iſt nun ſo die Landesart. Satyros. Und einen lächerlich frauſen Bart. Arſinde (Teiſe zu Piydje). Dem Fratzen da iſt gar nichts recht. Pſyde. Kind! er iſt von einem Göttergeſchlecht. 100 Hermes. Ihr ſcheint mir auch ſo wunderbar. Intyros. Siehſt an mein ungefämmtes Baar, Meine nacten Schultern, Bruſt und Lenden, Meine langen Nägel an den Händen; Da efelt dir's vielleicht dafür? Hermes. Mir nicht! Pryde. Mir auch nicht. Arſinoe (für ſich). Aber mir! Intiros. Ich wollt' ſonſt ſchnell von hinnen eilen Ünd in dem Wald mit den Wölfen heulen, Wenn ihr euer unſelig Geſchick Wolltet wähnen für Gut und Glück, Gure Kleider, die euch beſchimpfen, Mir als Vorzug entgegenrümpfen. 105 i WI 110 Dritter Akt. 147 115 120 Hernes. Herr! es iſt eine Notwendigkeit. Pſydje. D, wie beſchwert mich ſchon mein Kleid! Satyros. Was Not! Gewohnheitspoſſe lillr, Fernt euch von Wahrheit und Natur, Drin doch alleine Seligkeit Beſteht und Lebens-Liebens-Freud'; Seid all zur Sklaverei verdanımt, Nichts Ganzes habt ihr allzuſamt! (Es drängt ſich alterſei Volks zuſammen.) Einer aus den Volk. Wer mag der mächtig' Redner ſein? Gin andrer. Einem dringt das Wort durch Mark und Bein. Satyros. Habt eures Urſprungs vergeſſen, Euch zu Sklaven verſeſſen, Euch in Häufer gemauert, Euch in Sitten vertrauert, Kennt die goldnen Zeiten Nur als Märchen, von weiten. Das Volk. Weh uns! Weh! Satyros. Da eure Väter neugeboren Vom Boden aufſprangen, In Wonnetaumel verlorent, Willkommelied ſangen, An mitgeborner Gattin Bruſt, Der rings auffeimenden Natur, Ohne Neid gen Himmel blickten, Sich zu Göttern entzückten. Und ihr – wo iſt ſie hin, die Luft An ſich ſelbſt? Siechlinge, verbannet nur! Das Volk, Weh! Weh! 125 130 : 135 1:10 148 Satyros oder der vergötterte Waldteufel. 115 150 155 Satyros. Selig, wer fühlen kann, Was ſei: Gott ſein! Mann! Seinem Buſen vertraut, Entäußert bis auf die Haut Sich alles fremden Schmucks Und nun, ledig des Drucks Gehäufter Kleinigkeiten, frei Wie Wolken, fühlt, was Leben ſei! Stehn auf ſeinen Füßen, Der Erde genießen, Nicht kränklich erwählen, Mit Bereiten ſich quälen; Der Baum wird zum Zelte, Zum Teppich das Gras, ünd rohe Kaſtanien Ein herrlicher Fraß! Das Volk. Nohe Kaſtanien! O, hätten wir's ſchon! Satyros. Was hält euch zurücke Vom himmliſchen Glückc? Was hält euch davon? Das Volk Rohe Kaſtanien! Jupiters Sohn! Satyros. Folgt mir, ihr Werten! Herren der Erben! Ále geſellt! Das Volk. Rohe Kaſtanien! Unſer die Welt! Ende des dritten Afts. 160 163 Vierter Aft. 149 Vierter Nkf. Im Wald. Satyro3, Herms, Will die, Urjinoc, das voll jibor in cinem Freiſc; alle, gekauert ivie die Eichhörnchen, haben Kaſtanien in den Händen und nagen daran. Hernies (für ſid)). Saferment! ich habe ſchon Von der neuen Religion Eine verfluchte Indigeſtion! Satiros. Und bereitet zu dem tiefen Gang Aller Erkenntnis, horchet meinem Geſang! Vernehmt, wie im Unding Alles burcheinander ging; fm verſchloßnen Haß die Elemente toſend, Únd Kraft an Kräften widrig von ſich ſtoßend, Ohne Feindsband, ohne Freundsband, Ohne Zerſtören, ohne Veriñehren. Das Volk. Lehr' uns! wir hören! Satyros. Wie im Unding das Urding erquoll, Lichtsmacht durch die Nacht ſcholl, Durchdrang die Tiefen der Weſen all, Daß aufkeimte Begehrungsſchwall „Und die Elemente ſich erſchloſſen, Mit Hunger in einander ergoſferi, Andurchdringend, alldurchdrungen. Hermes. Des Mannes Geiſt iſt von Göttern entſprungen. Sutyros. Wie ſich Haß und Lieb' gebar Und das All nun ein Ganzes war, Und das Ganze klang In lebend wirkendem Ebengeſang, 15 20 150 : Satyros oder der vergötterte Wäldteufel1 . 35 Sich thäte Kraft in Kraft verzehren, Sich thäte Kraft in Kraft vermehren lind, auf und ab ſich rollend, ging Das all und ein und ewig Ding, Fimer verändert, immer beſtändig! Das Volk. Er iſt ein Gott! Hermes. Wie wird die Seele lebendig Vom Feuer ſeiner Rede! Das Volk. Gott! Gott! Pſijdje. Heiliger Prophete! Gottheit! an deinen Worten, an deinen Blicken Ich ſterbe vor Entzücken! Das Volk. Sinkt nieder! Betet an! Einer. Sei uns gnädig! Ein andrer. Wunderthätig Und herrlich? Das Volk. Nimm dies Opfer an! Einer. Die Finſternis iſt vergangen. Das Volk. Nimm dies Opfer an! . . Einer. Der Tag bricht herein. Das Volk. Wir ſind bein! Gott, dein! ganz dein! Der Einſiedler fommt durch den Wald gerade auf den Satyros zu. Einſiedler. NH, faubrer Gaſt, find' ich dich hier, Dui ungezogen ſchändlich Tier! . 40 45 Vierter Aft. 55 Satyros. Mit wem ſprichſt du? Einſiedler. Mit dir! Wer hat beſtohlen mich undankbar? Meines Gottes Bild geraubet gar? Du hinfender Teufel! Das Volk. Höllenſpott! Er läſtert unſern herrlichen Gott! Einſiedler. Du wirſt von feiner Schande rot. Das Volk. Der Läſtrer hat verdient den Tod. Steinigt ihn! Satyros. Haltet ein! Ich will nicht dabei zugegen ſein. Das Volk. Sein unrein Blut, du himmliſch Lidit; Fließ fern von deinem Angeſicht! Satyros. Ich gehc. Das Volk. Doch verlaß uns nicht! (Satyroß ab.) Einſiedler. Seid ihr toll? Hermes. lInſeliger, kein Wort! Bringt ihn an einen ſichern Drt! Geht, verſchließt ihn in meine Wohnung! (Sic führen den Einſiedler ab.) Das Volk. Sterben ſoll er! vermes. . Er verdient feine Schonung. Und zil verſühnen den himmliſchen Geiſt, Der uns ſich ſo gnädig und liebreich erweiſt, Wollen wir ihm unſerit Tempel weihn und mit dem blutigen Opfer erfreun. 65 152 Satyros oder der vergötferte Waldteufel. 70 Das Volk. Wohl! Wohl! Hermes. Zur Gottheit Füßen Den Frevél zu büßen. Das Volk. Das Verbrechen Zu rächen, Ž11 tilgen den Spott. Alle, Zernichtet die Läſtrer, Verherrlichet Gott! 75 Ende des vierten Eta. Fü nffer Nkf. Wohnung des Hermes. Gudora, Hermes' Frau. Der Einſiedler. Eudorn. Nimm, guter Mann, dies Brot und Milch von mir! Es iſt das letzte. Einſiedler. Weib! ich danke dir. Und weine nicht! laß mnich in Ruhe ſcheiden. Dies Herz iſt wohlgewöhnt zu leiden, Allein zu leiden männiglich. Dein Mitleid überwältigt mich. Eudorn. Ich bin betrübt, wie Blutdurſt meinen Mann, Das ganze Volk der Schwindel faſſen kann! Einſiedler. Sie glauben. Laß ſie! Du wirſt nichts gewinnen. Das Schickſal ſpielt Mit unſerm armen Kopf und Sinnen. Eudorn. Dich um des Tiers willen töten! 10 Fünfter Akt. 153 13 20 25 Einſiedler. Tiers! Wer ſein Herz bedürftig fühlt, Findt überall einen Propheten. Ich bin der erſte Märtyrer nicht, Aber gewiß der harmloſen einer; Un feiner Meinungen, keiner Willkürlichen Grillen, Im eines armen Lappens willen, Fines Lappens, bei Gott! den ich brauchte. Mein Andachtsbild, den Schußgott meiner Ruh, Raubt mir das Ungeheu'r dazu. Endorn. Freund! ich kenn' ſein Götterblut wie du. Mein Mann ward Knecht in ſeiner eignen Wohnung, Und Shro borſt'ge Majeſtät ſah zur Belohnung Mich Hausfrau für einen arkadiſchen Schwan, Mein Ehbeit für einen Raſen an, Sich brauf zu tummeln. Einſiedler. Ich erfenn ihn dran. Eudorn. Ich ſchickt ihn mit Verachtung weg. Er hing Sich feſter an Pſyche, das arme Ding, Um mir zu trotzen! Und ſeit der Zeit Sterb' ich oder ſeh' dich befreit. Einſiedler. Sie bereiten das Opfer heut. Eudora. Die Gefahr lehrt uns bereit ſein. Ich gebe nichts verloren; Mit einem Blick Venk ich ein Bei dem fühnen, eingebildten Thoren. · Einſiedler. Und dann? Eudora. Wann ſie dich zum Opfer führen, Lod' ich ihn an, ſich zu verlieren In die innern heiligen Hallen, Nus Großmut-Sanftmut-Schein. 30 35 154 Satyros oder der vergötterte Waldteufel. 45 50 Da dring auf das Volk ein, Uns zu iiberfallen. Einſiedler. Ich fürchte – Eudorn. Fürchte nicht! Einer, der um ſein Leben ſpricht, Hat Gewalt. Ich mage, und du ſollſt reden. Einſiedler. Geht's nicht, ſo mögen ſie mich töten. Der Tempel. Satyros ſitzt cruſt wild auf dem Altar. Das Bolf vor ihm auf den finieen, Pſychc an ihrer Spike. Das Volk. Chorus. Geiſt des Himmels, Sohn der Götter, Zürne nicht! Frevlern deiner Stirne Wetter, üns ein gnädig Angeſicht! Hat der Läſtrer das verbrochen, Sieh herab, du wirſt gerochen! Schrecklich nahet ſein Gericht. Hermes. (Thin folgt ein Trupp, den Einſiedler gebunden führenb.) Das Volk. Höll' und Tod dem Uebertreter! Šeiſt des Himmels, Sohn der Götter, Zürne deinen Kindern nicht! Satyros (herabſteigend). Ich hab ihm ſeine Miſſethat verziehn! Der Gerechtigkeit überlaſ ich ihn. Mögt den Thoren ſchlachten, befrein; Ich will nicht dawider ſein. Das Volk. Edelmut! Es fließe ſein Blut! Satiros. Ich geh' ins Heiligtum hinein; llud feiner ſoll ſich unterſtehn, Bei Lebensſtraf', mir nachzugehn! 55 60 65 Fünfter Akt. . . 155 Einſiedler (für ſich). Weh mir! Fhr Götter, wollet bei mir ſtehn! (Satyroß ab.) Einſiedler. Mein Leben iſt in euren Händen; Ich bin nicht unbereitet, es zu enden.. Ich habe ſchon ſeit manchen langen Tagen Nicht genoſſen, nur das Leben ſo ausgetragen. Es mag! Mich hält der thränenvolle Blic Des Freundes, eines lieben Weibes Not Und inverſorgter Kinder Elend nicht zurück. Mein Haus verſinkt nach meinem Tod, Das dem Bedürfnis meines Lebens Allein gebaut war. Doch das ſchmerzt mich nur, Daß ich die tiefe Kenntnis der Natur Mit Müh geforſcht, und leider! nun vergebens; Daß hohe Menſchenwiſſenſchaft, Manche geheimnisvolle Kraft Mit dieſem Geiſt der Erd? entſchwinden ſoll. Giner des Volks. Ich kenn ihn; er iſt der Künſte voll. Ein andrer. Was Künſte! Unſer Gott weiß das all. Ein dritter. Ob er ſie ſagt, das iſt ein andrer Fall. Einſiedler. Ihr ſeid über hundert. Wenn's zwei-, freihundert wären, Ich wollte jedem ſein eigen Kunſtſtück Lehren, Einem jeden eins; Denn was alle wiſſen, iſt keins. Das Volk. Er will uns beſchwäßen. Fort! Fort! Einſiedler (zu Hermes). Noch ein Wort! So erlaube, daß ich Sir Ein Geheimnis eröffne, das für und für Dich glücklich machen ſoll. Hermes. Und wie ſoll's Heißen? 85 90 90 95 156 ve Satybos Satyros oder der vergötterte Waldteufel. infiedler in der Betje 105 Nichts weniger als den Stein der Weiſen. Fromm von der Menge Nur einen Schritt in dieſe Gänge! (Sie wollen gehn). Das Volk. Verwegner, keinen Schritt! Pſydje. fns Heiligtun! Und, Hermes, du gehſt mit? 100 Vergiſſeft des Gottes Gebot? Volk. Auf! Auf! Des Frevlers Blut und Tod! (Sie reißen den Einſiedler zum Altare. Einer dringt dem øermes das Meffer auf.) Eudora (inwendig). Hilfe! Hilfe! Das Volk. Welche Stimme? Herites. Das iſt mein Weib! Einſiedler. Gebietet eurem Grimnie Einen Augenblick! Eudora (inwendig). Hilfe, Hermes! Hilfe! Heries. Mein Weib! Götter, mein Weib! (Er ſtößt die Thüren des Heiligtums auf. Man ſieht Eudora ſich gegen des Satyros Uinarmungen berteidigend.) Hermes. Es iſt nicht möglich! (Satyro3 läßt Eudoren los.) Eudorn. Da ſeht ihr euren Gott! Polk. Ein Tier! ein Tier! atyros. Von euch Schurken keinen Spott! Ich that euch Eſeln eine Ehr an, Wie mein Vater Jupiter vor inir gethan; 115 Wollt eure dummen Köpf' belehren Und curen Weibern die Mücken' wehren, 110 115 Prolog zu den neueſten Offenbarungen Gottes. 157 130 120 Die ihr nicht gedenkt ihnen zu vertreiben; So mögt ihr denn im Dreck bekleiben. Ich zieh meine Hand von euch ab, Laſſe zu edlern Sterblichen mich herab. Hermes. Geh! wir begehren deiner nit. (Satyro3 ab.) Einſiedler. Es geht doch wohl eine Jungfrau mit. D alug zu den neueſten Offenbarungen Gottes, verdeutſcht durcis Dr. Karl Friedrich Bahrdt. Gießen 1774. Die Frau Professorin tritt auf im Put, den Mantel umiverfend. Babrdt jikt am Pult ganz angezogen und ſchreibt. Frau Bahrdi. So komm denn, Kind! Die Geſellſchaft im Garten Wird gewiß auf uns mit dem Kaffee warten. Bahrdt. Da kam mir ein Sinfall von ungefähr, (ein geſchrieben Blatt anſeyend) So reðť ich, wenn ich Chriſtus wär'. Frau Bahrdt. Was kommt ein Getrappel die Trepp' Herauf? Bahrdt. 's iſt ärger als ein Studentenhauf. Das iſt ein Beſuch auf allen vieren. 158 Prolog zu den neueſten Offenbarungen Gottes. 10 15 15 Frau Bahrdt. Gott behüt'! 'S iſt der Tritt von Tieren. Die vier Evangeliſten mit ihrem Gefolg treten herein. Die Frau Doktorin thut cineni Sdrei. Matthäus mit dem Engel; Markus, begleitet vom Löwen; Dutas, vont Dchen; Johannes, über ihin der Adler. Matthäus. Wir hören, du biſt ein Biedermann Und nimmſt dich unſers Herren an: Uns wird die Chriſtenheit zu enge, Wir ſind jeßt überall im Gedränge. Balrdi. Willkomm'n, ihr Herrn! Doch thut mir’s leid, Ihr kommt zur ungelegnen Zeit, Muß eben in Geſellſchaft ’nein. Johannes. Das werden Kinder Gottes ſein: Wir wollen uns mit dir ergöken. Bahrdt. Die Leute würden ſich entſeßen: Sie ſind nicht gewohnt ſolche Bärte breit Und Röde ſo lang und Falten ſo weit; 20 Und eure Beſtien, muß ich ſagen, Würde jeder andre zur Thür ’naus jagen. Matthäus. Das galt doch alles auf der Welt, Seitdem uns unſer Herr beſtellt. Bahrdt. Das kann mir weiter nichts bedeuten; 25 Gnug, ſo nehm' ich euch nicht zu Leuten. Markus. Und wie und was verlangſt denn du? Bahrdt. Daß ich's euch kürzlich ſagen thu’: Es iſt mit eurer Schriften Art, Mit euren Falteit und eurem Bart, Wie mit den alten Thalern ſchwer: Das Silber fein geprobet ſehr, llud gelten dennoch jetzt nicht mehr. 25 Prolog zu den neueſten Offenbarungen Gottes. 159) 35 4.0 45 Ein kluger Fürft, der mänzt ſie ein Und thut ein Tüchtigs Kupfer Grein; Da mag's denn wieder fort kurſieren! So müßt ihr auch), wollt ihr roulieren und in Geſellſchaft euch produzieren, So müßt ihr werden wie unſer einer, Gepukt, geſtußt, glatt — 's gilt ſonſt keiner. Im ſeidnen Mantel und Krägleint flinf, Das iſt doch gar ein ander Ding! Lukas der Waler. Möcht mich in dem Koſtüme ſehn! Bahrdt. Da braucht Ihr gar nicht weit zıl gehi, Hab' juft noch einen ganzen Drnat. Der Engel Matthäi. Das wär' mir ein Evangeliſten-Staat! Kommt - Matthäus. Johannes iſt ſchon weggeſchlichen Und Bruder Markus mit entwichen. (Des Lukas Ochs kommt Bahrdten zu nah, er tritt nach ihm.) Bahrdt. Schafft ab zuerſt das garſtig? Tier; Nehm ich doch kaum ein Hündlein mit inir. Lukas. Mögen gar nichts weiter verkehren mit dir. (Die Evangeliſten mit ilrem Gefolg ab.) Frau Bahrdt. Die Kerls nehmen keine Lebensart an. Bahrdt. Komm! 's ſollen ihre Schriften dran! 50 100 Götter, Heiden und Wieland. Götter, Helden und Wieland. 1774. Merturius am Ilfer des Cocytua mit zwei Schatten. Merkurius. Sharon! he, Charon! Mach', daß du 'rüber kommſt. Geſchwinde! Meine Leutchen da beklagen ſich zum Erbarmen, wie ihnen das Gras die Füße neßt und ſie ben Schnuppen kriegen. Charon. Saubere Nation! Woher? Das iſt einmal wieder von der rechten Raſſe. Die könnten immer Leben. Merkurius. Droben reden ſie umgekehrt. Doch mit alledem war das Paar nicht unangeſehen auf der Oberwelt. Dem Herrn Litterator hier fehlt nichts als ſeine Perüde und ſeine Bücher, und der Megäre da nur Schminke und Dukaten. Wie ſteht's drüben? Charon. Nimm dich in acht! Sie haben dir’s geſchworen, wenn du hinüberkommſt. Merkurius. Wie fo? Charon. Admet und Alceſte ſind übel auf dich zu ſprechen, am ärgſten Euripides. Und Herfules hat dich in Änfall ſeiner Hiße einen dummen Buben geheißen, der nie geſcheit werden würde. Merkurius. Ich verſteh' kein Wort davon. Charon. Ich auch nicht. Du haſt in Deutſchland jetzt .. ein Geträtſch mit einem gewiſſen Wieland. Merkurius. Ich kenne ſo keinen. Charon. Was ſchierts mich? Genug, ſie ſind fuchswild. Merkurius. Laß mich in Fahn! Ich will mit hinüber, muß doch ſehen, was gibt. (Sie fahren iiber.) Euripides. Es iſt nicht fein, daß du's uns ſo ſpielſt, alten guten Freunden und deinen Brüdern und Kindern." Dich mit Kerls zu geſellen, die keine Ader griechiſch Blut im Leibe haben, und aii uns zu neden und zu neidſchen, als wenn uns noch was übrig wäre außer den bißchen Ruhm und dem Re- ſpeft, den die Kinder broben für unſern Bart haben. Merkurius. Beim Jupiter, ich verſteh' euch nicht. Götter11 161 , Helden und Wieland. v Litterator. Sollte etwa die Rede vom Deutſchen Mer- kur ſein? Euripides. Kommt Ihr daher? Jhr bezeugt's alſo? Litterator. O ja, das iſt jetzo die Wonne und Hoffnung von ganz Deutſchland, was der Götterbote für goldne Pas pierchen der Ariſtarchen und Aoiden herum trägt." Euripides. Dá hört ihr's. Uud mir iſt übel mitge- ſpielt in denen goldnen Blättchens. Litterator.. Das nicht ſowohl: Herr W. zeigt nur, daß er nach Shuen habe wagen dürfent, eine Alceſte zu ſchreiben; und daß, wenn er Fhre Fehler vermieden und größere Schön- heiten aufempfunden, man die Schulb Shrem Fahrhunderte und deſſen Geſinnungen zuſchreiben müſſe. Euripides. Fehler! Shuld! Jahrhundert! 0 du hohes herrliches Gewölbe des unendlichen Himmels! was iſt aus uns geworden? Merkur, und du trägſt dich damit! Merkurius. Ich ſtehe verſteinert. Aceſte (komint). Du biſt in übler Geſellſchaft, Merkur! und ich werde ſie nicht verbeſſern. Pfui! Xduret (tommt). Merkur, das hätt' ich dir nicht zugetraut. Merkurius. Redt deutlich, oder ich gehe fort. Was hab' ich init Raſenden zu thun? Alceſte. Du ſcheinſt betroffen? So höre Sann. Wir gingen neulich, mein Gemahl und ich, in dem Hain jenſeits des Cocytus, mo, wie du weißt, die Geſtalten der Träume fich lebhaft Sarſtellen und hören laſſen. Wir hatten uns eine Weile an den phantaſtiſchen Geſtalten ergötzt, als ich auf einmal meinen Namen mit einem unleidlichen Tone ausrufen hörte. Wir wandten uns. Da erſchienen zwei abgeſchmackte, gezierte, hagere, blaſſe Püppchens, die ſich einander Alceſte! ÚŠmet! nannten, vor einander ſterben wollten, ein Geklingel mit ihren Stimmen machten als die Vögel und zuleßt mit einem traurigen Gekrächz verſchwanden. Admet. Es war Lächerlich anzuſehen. Wir verſtunden bas nicht, bis erſt kurz ein junger Studioſus herunterfam, der uns die große Neuigkeit brachte, ein gewiſſer Wieland habe uns ungebeten wie Euripides die Ehre angethan, dein Volfe unſere Masken zu proſtituieren. Und der ſagte das Stück auswendig von Anfang bis zu Ende her; es hat's aber nicinand ausgehalten als Euripides, der neugierig und Autor genug dazu war. Euripides. Ja, und was das Schlimmſte iſt, ſo ſoll Ooethe, Werke. VI. , 11 162 Götter, Helden und Wieland. er in eben den Wijchen, die du herumträgſt, ſeine Alceſte vor der meinigen herausgeſtrichen, mich herunter und lächerlich gemacht haben. Merkurius. Wer iſt der Wieland ? Litterator. Hofrat und Prinzen-Hofmeiſter zu Weimar. Merkurius. Und wenn er Ganymeds Hofmeiſter wäre, follt er mir her. Es iſt juſt Schlafenszeit, und mein Stab führt eine Seele leicht aus ihrem Körper. Litterator. Mir wird's angenehm ſein, ſolch einen großen Mann bei dieſer Gelegenheit kennen zu lernen. Wielands Schatten in der Nachtmütze tritt auf. Wieland. Laſſen Sie uns, inein lieber Jakobi – Alceſte. Er ſpricht im Traum. Euripides. Man ſieht aber doch, mit was für Leuten er umgeht. Merkurius. Ermuntert Euch! Es iſt hier von feinen Jakobi's die Rede. Wie iſt's mit dem Merkur? Eurem Merkur? dem Deutſchen Merkur? Wieland (fläglid)). Sie haben mir ihn nachgedruckt. Merkurius. Was thut uns das? So hört Senn und ſeht! Wieland. Wo bin ich? Wohin führt mich der Traum? Alceſie. Ich bin Alceſte. Admet. Und ich Admet. Euripides. Solltet Jhr mich wohl kennen? Merkurius. Woher? Das iſt Euripides, und ich bin Merkur. Was ſteht jhr ſo veripundert? Wieland. Iſt das Traum, was ich wie wachend fühle? Und doch hat mir meine Einbildungskraft niemals ſolche Bilder hervorgebracht. Ihr Alceſte? Mit dieſer Taille ? Verzeiht! Ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll. Merkurius. Die eigentliche Frage iſt, warum Ihr meinen Namen proſtituiert und dieſen ehrlichen Leuten zuſammen ſo übel begegiiet. Wieland. Ich bin mir nichts bewußt. Was Euch be- trifft, Ihr könntet, dünkt mich, wiſſen, daß wir Eurem Namen feine Achtung ſchuldig find. Unſere Religion verbietet uns, irgend eine Wahrheit, Größe, Güte, Schönheit anzuerkennen und anzubeten außer ihr. Daher find eure Namen wie eure Bildſäulen zerſtümmelt und preisgegeben. Und ich ver- fichere Euch, nicht einmal der griechiſche Hermes, wie ihn uns die Mythologen geben, iſt mir je dabei in Sinn gekommen. Götter, Helden und Wieland. 163 Man denkt gar nichts dabei. Es iſt, als wenn einer ſagte: Recueil, Portefeuille. Merkurins. Es iſt doch immer mein Name. Wieland. Haben Sie jemals Ihre Geſtalt mit Flügeln an Haupt und Füßen, den Schlangenſtab in der Hand, ſitzend auf Warenballen und Tonnen, im Vorbeigehn auf einer Tobaksbüchſe figurieren ſehn? Merkurius. Das läßt ſich hören. Ich ſpred' Euch los. Und ihr andern werdet mich fünftig ungeplagt laſſen. So weiß ich, war auf dem letzten Maskenballe ein gnädiger Herr, der über ſeine Hoſen und Weſte noch einen fleiſchfarbenen Jobs gezogen hatte und vermittelft Flügeln an Haupt und Sohlen ſeine Molchsgeſtalt für einen Merkurius an Mann bringen wollte. Wieland. Das iſt die Meinung. So wenig mein Vignettenſchneider auf Sure Statue Rücfficht nahm, die Florenz aufbewahrt, ſo wenig auch ich – Merkurius. Šo gehabt Euch mohl. Und ſo feid Ihr überzeugt, daß der Sohn Jupiters noch nicht ſo Bankerutt gemacht hat, um ſich mit allerlei Leuten zu aſſocieren. (Merkurius ab.) Wieland. So empfehl ich mich benn. Euripides. Nicht uns fo! Wir haben noch ein Glas zuſammen zu leeren. Wieland. Ihr ſeid Euripides, und meine Hochachtung für Euch hab' ich öffentlich geſtanden. Euripides. Viel Ehre. Es fragt ſich), in wiefern Eud) Eure Arbeit berechtigt, von der meinigen Uebels zu reden, fünf Briefe zu ſchreiben, um Euer Drama, das ſo mittelmäßig iſt, daß ich als kompromittierter Nebenbuhler faſt darüber einge- ſchlafen bin, Euren Herren und Damen nicht allein vorzu- ſtreichen, das man Euch verzeihen könnte, ſondern den guten Euripides als einen verunglückten Mitſtreiter hinzuſtellen, dem Ihr auf alle Weiſe ben kang abgelaufen habt. Admet. Ich will's Euch geſtehn, Euripides iſt auch eint Poet, und ich habe mein Tage die Poeten für nichts mehr gehalten, als ſie ſind. Aber ein braver Menſch iſt er, und unſer Landsmann. Es hätte Euch doch ſollen bedenklich ſcheinen, ob der Mann, der geboren wurde, da Griechenland den Xerres bemeiſterte, der ein Freund des Sokrates war, deſſen Stücke eine Wirkung auf ſein Jahrhundert hatten, wie Eure wohl ſchwerlich, ob der Mann nicht eher die Schatten von Alceſte 164 Götter, Helden und Wieland. und Adnet habe herbeibeſchwören können als Ihr? Das ver- diente einige ahnungsvolle Ehrfurcht, der zwar Euer ganzes aberweijes Jahrhundert von Litteratoren nicht fähig iſt. Euripides. Wenn Eure Stücke einmal ſo viel Menſchen Das Leben gerettet haben als meine, dann ſollt Ihr auch reden. Wielaid. Mein Publikum, Euripides, iſt nicht das Eurige. Euripides. Das iſt die Sache nicht. Von meinen Fehlern und Unvollkommenheiten iſt die Rede, die Ihr ver- mieden habt. Alieſte. Daß ich's Euch fage als ein Weib, die eh ein Wort reden darf, daß es nicht auffällt, Eure Alceſte mag gut fein und Eure Weibchen und Männchent amüſiert, auch wohl gefißelt haben, was Ihr Rührung nennt. Ich bin brüber weggegangen, wie man von einer verſtimmten Zither weg- weicht. Des Euripides ſeine hab ich doch ganz ausgehört, mich manchmal drüber gefreut und auch drüber gelächelt. Wieland. Meine Fürſtin! Alceſie. Ihr ſolltet wiſſen, daß Fürſten hier nichts gelten. Ich wünſchte, Ihr könntet fühlen, wie viel glücklicher Suripides in Ausführung unſerer Geſchichte geweſen als fhr. Ich bin für meinen Mann geſtorben, wie und mo, das iſt nicht die Frage. Die Frage iſt von Eurer Alceſte, von Euri- pides Alceſte. Wieland. Könnt Ihr mir abſprechen, daß ich das Ganze weit Selikater behandelt habe? Alceſie. Was heißt das? Genug, Euripides hat ge- wußt, warum er eine Alceſte aufs Theater bringt, ſo wenig Shư die Größe des Opfers, das ich meinem Mann that, dar- zuſtellen wußtet. Wieland. Wie meint Ihr das? Euripides. Laßt inich reden, Alceſte! Sieh. her, das find meine Fehler. Ein junger, blühender König, erſterbend mitten in Genuß aller Glücēſeligkeit. Sein Haus, ſein Volk in Verzweiflung, den Guten, Trefflichen zu verlieren, und über den ſammer Apoll bewegt, den Parzen einen Wechſel- tod abdringend. Und nun - alles verſtummt und Vater und Mutter und Freunde und Volk - alles - und er Lechzend am Rande des Tods, umherſchauend nach einem willigen Auge und überall Schweigen — bis ſie auftritt, die Einzige, ihre Schönheit und Kraft aufzuopfern deni Gatten, hinunter zu ſteigen zu den hoffnungsloſen Toten. Götter, Helden und Wieland. 165 Wieland. Das hab' ich alles auch. Euripides. Nicht gar. Eure Leute ſind erſtlich allzu- fammen aus der großen Familie, der Ihr Würde der Menſch- heit, ein Ding, das Gott weiß woher abſtrahiert iſt, zum Erbe gegeben habt, Ihr Dichter auf unſern Trümmern! Sie ſehen einander ähnlich wie die Sier, und Ihr habt ſie zum unbe- deutenden Brei zuſammengerührt. Da iſt eine Frau, die für ihren Mann ſterben will, ein Mann, der für ſeine Frau ſterben will, ein Held, der für fie beide ſterben will, daß nichts übrig bleibt als das langweilige Stück Parthenia, die man gern wie den Widder aus dem Buſche bei den Hörnern kriegte, um dem Elend ein Ende zu machen. Wieland. Ihr ſeht das anders an als ich. Alceſie. Das vermut ich. Nur ſagt inir: was war Alceſtens That, wenn ihr Mann fie mehr liebte, als ſeint Leben? Der Menſch, der ſein ganzes. Glück in ſeiner Gattin genöße, wie Euer Admet, würde durch ihre That in den doppelt bittern Tod geſtürzt werden. Philemon und Baucis erbaten ſich zuſammen den Tod, und Euer Klopſtock, der doch immer unter Euch noch ein Menſch iſt, läßt ſeine Liebenden wetteifern - ,,Daphnis, ich ſterbe zuletzt." Alſo inußte Admet gerne leben, ſehr gerne leben, oder ich war — was? eine Komödiantin – ein Kind - genug, macht aus mir, was Euch gefällt. . Adinet. Und den Admet, der Such ſo ekelhaft iſt, weil er nicht ſterben mag. Seid jhr jemals geſtorben? Dder ſeid Ihr jemals ganz glücklich geweſen? Ihr redt wie großmütige Hungerleider. Wieland. Nur Feige fürchten den Tod. Admet. Den Heldentod, ja. Aber den Hausvatertod fürchtet jeder, ſelbſt der Held. So iſt's in der Natur. Glaubt Ihr denn, ich würde mein Leben geſchont haben, meine Frau den Feinden zu entreißen, meine Beſiktümer zu verteidigen? Und doch – Wieland. Ihr redet wie Leute einer andern Welt, eine Sprache, deren Worte ich vernehme, deren Sinn ich nicht faſſe. Adinet. Wir reden griechiſch. - Ift Euch das ſo un- begreiflich ? Admet - Euripides. Jhr bedenkt nicht, daß er zu einer Sekte gehört, die allen Waſſerſüchtigen, Auszehrenden, an Hals und Bein tödlich Verwundeten einreden mill, tot würden ihre 166 Götter, Helden und Wieland. Herzen voller, ihre Geiſter mächtiger, ihre Knochen markiger fein. Das glaubt er. Adinet. Er thut nur ſo. Nein, Ihr ſeið noch Menſch genug, Euch z11 Euripides: Udmeten zu verſetzen. Alreſte. Merft auf und fragt Sure Frau darüber. Admet. Ein junger, ganz glücklicher, wohlbehaglicher Fürſt, der von ſeinem Vater Reich und Erbe und Herde und Güter empfangen hatte und darinne ſaß mit Genüglichkeit und genoß, und ganz zwar, und nichts bedurfte als Leute, die init ihm genoßen, und ſie, wie natürlich, fand und des Hergebens nicht ſatt wurde und alle liebte, daß ſie ihn lieben follten, und ſich Götter und Menſchen ſo zu Freunden gemacht hatte und Apoll den Himmel an ſeinem Tiſch vergaß – der follte nicht ewig zu leben wünſchen? -- -- — Und der Menſch hatte auch eine Frau. Alceſie. Ihr habt eine und begreift das nicht. Ich wollte das dem ſchwarzäugigten jungen Ding Sort begreiflich machen. Schöne Kleine, willſt du ein Wort hören? Das Mädden. Was verlangt fhr? Aceſte. Du hatteſt einen Liebhaber. Müddjen. Ach ja! . Alceſte. Und liebteft ihn von Herzen, ſo daß du in mancher guten Stunde Beruf fühlteſt, für ihn zu ſterben? Mäddeit. Ach! und ich bin um ihn geſtorben. Ein feindſeliges Schickſal trennte uns, das ich nicht lang überlebte. Alceſte. Da habt Ihr Sure Alceſte, Wieland. Nun, ſage mir, liebe Kleine, du hatteſt Eltern, die ſich herzlich liebten. Müdden. Gegen unſre Liebe war's ein Schatten. Aber ſie ehrten einander von Herzen. Alceſie. Glaubſt du wohl, wenn deine Mutter in Todes- gefahr geweſen wäre und dein Vater hätte für ſie mit ſeinem Leben bezahlt, daß ſie's mit Dank angenommen hätte ? Mäòdjen. Ganz gewiß. Aceſte. Und wechſelsweiſe, Wieland, ebenſo. Da habt Ihr Euripides' Alceſte. Admet. Die Curige wäre dann für Kinder, die andre für ehrliche: Leute, die ſchon ein bis zwei Weiber begraben habent. Daß Fhr nun mit Eurem Auditorio ſympathiſiert, iſt nötig und billig. Wieland. Laßt mich! Fhr ſeid widerſinnige, rohe Leute, mit denen ich nichts gemein habe.. 1 Götter, Helden und Wieland. 167 Euripides. Erſt höre mich noch ein paar Worte. Wieland. Mach's kurz. Euripides. Keine fünf Briefe, aber Stoff dazu. Das, worauf Ihr Euch ſo viel zu gute thut, ein Theaterſtück ſo zu lenfen und zu ründen, daß es ſich ſehen laſſen darf, iſt ein Talent, ja, aber ein ſehr geringes. Wieland. Fhr kennt die Mühe nicht, die's koſtet. Euripides. Du haſt ja genug davon vorgeprahlt. Das alles, wenn man's beim Licht beſieht, iſt nichts als eine Fähig- aufgeflicten Statuten Natur und Wahrheit zu verſchneideni und einzugleichen. Wieland. Ihr werdet mich das nicht überreden. Euripides. So genieße deines Ruhmes unter den Dei- nigen und laß uns in Nuh! Admet. Begib dich zur Gelaſſenheit, Euripides! Die Stellen, an denen er deiner ſpottet, ſind ſo viel Flecken, mit denen er fein eigen Gewand beſdimitt. Wär' er flug, und er könnte ſie und die Noten zum Shakeſpeare mit Blut ab- kaufen, er würde es thun. So ſtellt er ſich dar und befennt: da hab' ich nichts gefühlt. Euripides. Nichts gefühlt bei meinem Prolog, der ein Meiſterſtück iſt? Ich darf wohl von meiner Arbeit ſo reden, thuſt bu's ja. Du fühlſt nichts, da du in den gaſtoffnen Hof Admetens trittft ? Alceſie. Er hat keinen Sinn für Gaſtfreiheit, hörſt du ja. Euripides. Und auf der Schwelle begegnet bir Apollo, die freundliche Gottheit des Hauſes, die, ganz voll Liebe zum Admet, ihn erſt dem Tod entreißt und nun, o Jammer! ſein beſtes Weib für ihn dahingegeben ſieht. Er kann nichts weiter retten und entfernt fich wehmütig, daß nidit die Gemeinſchaft mit Toten ſeine Reinigkeit beflecke. Da tritt herein, chwarz gehüllt, das Schwert ihrer heimtückiſchen Macht in der Fauſt, die Königin der Toten, die Geleiterin zum Drkus, das uner- bittliche Schickſal, und ſchilt auf die gütig verweilende Gott- heit, Broht (chon der Alceſte, und Ápoli verläßt das Haus und uns. Und wir mit dem verlaſſenen Chor ſeufzen: Adh, daß Aeskulap noch lebte, der Sohn Apollos, der die Kräuter kannte und jeden Balſam, ſie würde gerettet werden; denn er erweckte die Toten: aber er iſt erſchlagen von Jupiters Blik, der nicht duldete, daß er erweckte vom ewigen Schlaf, die in Staub geſtreckt hatte nieder ſein unerbittlicher Natſchluß. 168 Götter, Helden und Wieland. Alcrſte. Biſt du nicht ganz entrücft geweſen in die Phan- taſie der Menſchen, die aus ihrer Väter Munde vernommen hatten von einem ſo wunderthätigen Manne, dem Macht ge- geben war über den allmächtigen Tod! Iſt dir nicht da Wunſch, Hoffnung, Glauben aufgegangen, fäme Einer aus dieſen Geſchlechte! käme der Halbgott ſeinen Brüdern zu Hilfe! Euripides. Und da er nun kommt, nun Herkules auf- tritt und ruft: Sie iſt tot! tot! Haſt ſie weggeführt, ſchwarze gräßliche Geleiterin zum Drkus, haft mit deinem verzehrenden Schwert abgerpeidet ihre Haare ? Ich bin Jupiters Sohn und traue mir Kraft zu über dich. An dem Grabe will ich dir auflauſchen, wo du das Blut trinkft der abgeſchlachteten Todes- opfer, faſſen will ich dich, Todesgöttin, umknüpfen mit meinen Armen, die kein Sterblicher und kein Unſterblicher Löſet, und du folift mig herausgeben das Weib, Abmetens liebes Weib, oder ich bin nicht Jupiters Sohn. Herkules (tritt auf). Was redt ihr von Jupiters Sohn? Ich bin Jupiters Sohn. Admet. Haben wir dich in deinem Rauſchſchläfchen geſtört? Herkules. Was ſoll der Lärm? Alceſie. Si, sa iſt der Wieland. Herkules. Ei wo? Admet. Da ſteht er. Herkules. Der? Nun, der iſt klein genug. Hab' ich mir ihn doch ſo vorgeſtellt. Seid Ihr der Mann, der den Herkules immer im Munde führt ? Wieland (zurüdweichend). Ich hab' nichts mit Euch zu ſchaffen, Koloß. Herkules. Nun, wie dann? Bleibt nur! Wieland. Ich vermutete einen ſtattlichen Mann mittlerer Größe. Herkules. Mittlerer Größe? Ich? Wieland. Wenn Ihr Herkules feid, fo feid Shr's nicht i gemeint. Herkules. Es iſt mein Name, und auf den bin ich ſtolz. Ich weiß wohl, wenn ein Fraße feinen Schildhalter unter den Bären, Greifen und Schweinen finden kann, ſo nimmt er einen Herkules dazu. Denn meine Gottheit iſt dir niemals in Traume erſchienen. Wieland. Ich geſtehe, das iſt der erſte Traun, den ich fo habe. Herkules. So geh in dich und bitte den Göttern ab Götter, Helden und Wieland. 169 Deine Noten übern Homer, wo wir dir zu groß ſind. Das glaub ich, zu groß. Wieland. Wahrhaftig, Ihr ſeid ungeheuer. Ich hab' Such mir niemals To imaginiert. Herkules. Was kann ich davor, daß Er ſo eine eng- brüſtige Imagination hat? Wer iſt denn Sein Herkules, auf den Gr ſich ſo viel zu gute thut? Und was will er? Für die Tugend? Was heißt die Deviſe? Haſt du die Tugend geſehen? Wieland! Ich bin doch auch in der Welt herunt- gekommen, und iſt mir nichts ſo begegnet. Wieland. Die Tugend, für die mein Herkules alles thut, alles wagt, Shr kennt ſie nicht? Herkules. Tugend! Ich hab das Wort erſt hier unten von ein paar albernen Kerls gehört, die feine Rechenſchaft davon zu geben wußten. Wieland. Ich bin's eben ſo wenig im ſtande. Doch laßt uns darüber keine Worte verderben. Ich wollte, Ihr hättet meine Gedichte geleſen, und Ihr würdet finden, daß ich ſelbſt die Tugend wenig achte. Sie iſt ein zweideutiges Ding. Herkules. Ein Únding iſt ſie, wie alle Phantaſie, die mit dem Gang der Welt nicht beſtehen kann. Eure Tugend kommt mir vor wie ein Centaur; ſo lang der vor eurer šma- gination herumtrabt, wie herrlich, wie kräftig! Und wenn der Bildhauer euch ihn hinſtellt, welch übermenſchliche Form! – Anatomiert ihn und findet vier Lungen, zwei Herzen, zwei Mägen. Er ſtirbt in dem Augenblicke der Geburt, wie ein andres Mißgeſchöpf, oder iſt nie außer eurem Kopf erzeugt worden. Wieland. Tugend muß doch was ſein, fie muß wo ſein. Herkules. Bei meines Vaters ewigem Bart! Wer hat daran gezweifelt? Und mich dünft, bei uns wohnte ſie in Halbgöttern und Helden. Meinſt du, wir lebten wie das Vieh, weil eure Bürger ſich vor den Fauſtrechtszeiten kreuzi- gen? Wir hatten die bravſten Kerls unter uns. Wieland. Was nennt Ihr brave Rerls? Herkules. Sinen, der mitteilt, was er hat. Und der reichſte iſt der bravſte. Hatte einer Ueberfluß an Kräften, ſo prügelte er den andern aus. Und verſteht ſich, ein echter Mann gibt ſich nie mit Geringern ab, nur mit ſeinesgleichen, auch Größern wohl. Hatte einer benni Ueberfluß an Säften, machte er den Weibern ſo viel Kinder, als fie begehrten, audi wohl ungebeten, wie ich denn ſelbſt in einer Nacht funfzig Buben 170 Götter, Helden und Wieland.i. ausgearbeitet habe. Fehlt es einem denn an beiden, und der Himmel hatte ihm, oder auch wohl dazu, Erb und Hab' vor Tauſenden gegeben, eröffnete er ſeine Thüren und hieß Tauſende willkommen, mit ihm zu genießen. Und da ſteht Admet, der wohl der bravſte in dieſem Stücke genannt werden kann. Wicland. Das meiſte davon wird zu unſern Zeiten für Laſter gerechnet. Herkules. Laſter? Das iſt wieder ein ſchönes Wort. Dadurch wird eben alles ſo halb bei euch, daß ihr euch Tu- gend und Laſter als zwei Extrema vorſtellt, zwiſchen denen ihr ſchwankt, anſtatt euren Mittelzuſtand. als den poſitiven anzu- fehen und den beſten, wie's eure Bauren und finechte und Mägde noch thun. Wieland. Wenn Ihr dieſe Geſinnungen in meinem Jahrhunderte merken ließet, man würde Euch ſteinigen. Haben ſie mich wegen meiner kleinen Angriffe an Tugend und Religion ſo entjeßlich verbetert. Herkules. 'Was iſt da viel anzugreifen? Die Pferde, Menſchenfreſſer und Drachen, mit denen hab' ich's aufgenom- men, mit Wolfen niemals, fie wollten eine Geſtalt haben, wie ſie mochten. Die überläßt ein geſcheiter Mann dem Winde, der ſie zuſammengeführt hat, wieder zu vermehen. Wieland. Shr ſeið ein Unmenſch, ein Gottesläſterer. Herkules. Will dir das nicht in Kopf? Aber des Pro- Difus Herkules, das iſt dein Mann. Fuer Herkules Gran- diſon, eines Schulmeiſters Herkules, ein unbärtiger Sylvio am Scheidewege. Wären mir die Weiber begegnet, ſiehſt du, eine unter den Arnt, eine unter den, und alle beide hätten mit fortgemußt. Darinnen iſt dein Amadis kein Narr, ich Laff Sir Gerechtigkeit widerfahren. Wieland. Kenntet Ihr ineine Geſinnungen, Ihr würdet nod, anders denken. Herkules. Ich weiß genug. Hätteſt du nicht zu lang unter der Knechtſchaft deiner Sittenlehre geſeufzet, es hätte. noch was aus dir werden fönnen. Denn jekt hängen dir immer noch die ſchalen Ideale an. Kannſt nicht verdauen, daß ein Halbgott ſich betrinkt und ein Flegel iſt, ſeiner Gott heit unbeſchadet? Und Wunder meinſt, wie Du einen Kerl proſtituiert hätteſt, wenn du ihn untern Tiſch oder zum Mädel auf die Streu bringſt. Weil Eure Hochwürden das nicht. Wört haben wollen. Wicland. Ich empfehle mich. Prometheus. Erſter Akt. 171 Herkules. Du möchteſt aufwachen. Noch ein Wort! Was ſoll ich von eines Menſchen Verſtand benfen, der in ſeinem vierzigſten Jahr ein groß Werks und Weſens daraus machen kanit und fünf, fedhs Bücher voll ſchreiberi, davon, daß ein Maidel mit faltem Blut fann bei Grei, vier Kerls liegen und ſie eben in der Reihe herum lieb haben. Und daß die Kerls fich darüber beleidigt finden und doch wieder anbeißen. Ich ſehe gar nicht - Pluto (inwendig). Ho! Ho! Was für ein verfluchter Lärm da draußen? Herkules, dich hört man überall vor. Kann man nicht einmal ruhig liegen bei ſeinem Weibe, wenn ſie nichts dagegen hat. — : Herkules. So gehabt Euch wohl, Herr Hofrat. Wieland (erwachend). Sie reden, was ſie wollen: mögen ſiè doch reden, was fümmert's mich? Prometheus Dramatisches frag me in t. 1773 & r ft e r n k f. Prometheus. Merkur. Prometheus. Ich will nicht, ſag' es ihnen! Und kurz und gut, ich will nicht! Fhr Wille gegen meinen! Eins gegen eins Mich Sünkt, es hebt ſich! Merkur. Deinem Vater Zeus das bringen? Deiner Mutter? Prometheus. Was Vater! Mutter! Weißt du, woher du foinniſt? ich ſtand, als ich zum erſtenmal bemerkte Die Füße ſtehn, 5 10 Prometheus. lä an 25 Und reichte, da ich Dieſe Hände reichen fühlte, und fand die achtend meiner Tritte, Die du nennſt Vater, Mutter. Merkur. Und reichend dir Der Kindheit nötge. Hilfe. Prometheus. Und dafür hatten ſie Gehorſam meiner Kindheit, Den arinen Sprößling zu bilden Dahin, dorthin, nach dem Wind ihrer Grillen. Merkur. Und ſchützten dich. Prometheus. Wovor? Vor Gefahren, Die ſie fürchteten." Haben ſie das Herz bewahrt Vor Schlangen, die es heimlich neidſchten? Dieſen Buſen geſtählt, Zu troben den Titanen? Hat nicht mich zum Manne geſchmiedet Die allmächtige Zeit, Mein Herr und eurer? Merkur. Elender! Deinen Göttern bas, Den Unendlichen? Prometheus. Göttern? Ich bin kein Gott Und bilde mir ſo viel ein als einer. Unendlich? - Allmächtig? — Was könnt ihr? Könnt ihr den weiten Raum Des Himmels und der Erde Mir ballen in meine Fauſt? Vermögt ihr, zu fcheiden Mich von mir ſelbſt? Vermögt ihr, mich auszudehnen, Zu erweitern zu einer Welt? Merkur. Das Schickſal! Erſter Akt. 173 45 50 Prometheus. Anerkennſt du ſeine Macht? ich auch! – Šeh! ich diene nicht Vaſallen! (Merkur ab.) Prometheus (zu ſeinen Statuen ſich kehrend, die durch den ganzen Hain zerſtreut ſichen). Unerſeblidher Augenblick! Aus eurer Geſellſchaft Geriſſen von dem Thoren, Meine Kinder! – Was es auch iſt, das euren Buſen regt, (ſid, einem Mädchen nahend) Der Buſen ſollte mir entgegen mallen! Das Auge ſpricht ſchon jeßt! Sprich, rede, liebe Lippe, mir! O, könnt ich euch das fühlen geben, Was ihr ſeid ! Epimetheus kommt. Epimetheus. Merkur beklagte ſich bitter. Prometheus. Hätteſt du kein Ohr für ſeine Klagen, Er wär' auch ungeklagt zurückgekehrt. Epimetheus. Mein Bruder! Alles, was recht iſt! Der Götter Vorſchlag War diesmal billig. Sie wollen dir Olympus Spike räumen, Dort ſollst du wohnen, Soliſt der Erde herrſchen! Prometheus. Ihr Burggraf ſein ünd ihren Himmel ſchüßen? – Mein Vorſchlag iſt viel billiger: Sie wollen mit mir teilen, und ich meine, Daß ich mit ihnen nichts zu teilen habe. Das, was ich habe, können ſie nicht rauben, Und was ſie haben, mögen ſie beſchützen. Hier Mein und Dein, ůnd ſo ſind wir geſchieden. CO 65 174 Promcthcus. SO 85 85 Epimetheus. Wie vieles iſt denn dein? Prometheus. Der Kreis, den meine Wirkſamkeit erfüllt! Nichts brunter und nidts drüber! - Was haben dieſe Sterne droben Für ein Recht an inic), Daß ſie mich begaffen? Epimetheus. Du ſtehſt allein! Dein Eigenſinn verfennt die Wonne, Wenn die Götter, bu, Die Deinigen und Welt und Himmel all Sich all ein innig Ganzes fühlten. Prometheus. Ich kenne das! Ich bitte, lieber Bruder, Treib's, wie du magſt, und laß mich! (Epimetheus ab.) Prometheus. Hier meine Welt, mein All! Hier fühl ich mich; Hier alle meine Wünſche fn förperlichen Geſtalten. Meinen Geiſt ſo tauſendfach Geteilt und ganz in meinen teuren Kindern. Minerva fommt. Promethens. Du wagſt es, meine Göttin? Wageſt, zu deines Vaters Feind zu treten? Minerva. Ich ehre meinen Vater Und liebe dich, Prometheus! Prometheus. Und du biſt meinem Geiſt, Was er ſich ſelbſt iſt; Sind von Anbeginn Mir deine Worte Himmelslicht geweſen! Immer, als wenn meine Seele ſpräche zu ſich ſelbſt, Šie fich eröffnete 90 95 100 105 Erſter Akt. 110 115 120 Und mitgeborne Harmonieen In ihr erklängen aus ſich ſelbſt. Das waren deine Worte. So war ich ſelbſt nicht ſelbſt, Und eine Gottheit ſprach, Wenn ich zu reden wähnte; Und wähnť ich, eine Gottheit ſpreche, Sprach ich ſelbſt. Und ſo mit dir und mir So ein, ſo innig Ewig meine Liebe dir! Minerva. Und ich dir ewig gegenwärtig. Prometheus. Wie der ſüße Dämmerſchein Der weggeſchiednen Sonne Dort heraufſchwimmt Vom finſtern Kaukaſus Und meine Seel' umgibt mit Wonneruh, Abweſend auch mir immer gegenwärtig, So haben meine Kräfte ſich entwickelt Mit jedem Atemzug aus deiner Himmelsluft. Und welch ein Recht Ergeizen ſich die ſtolzen Bewohner des Olympus Auf meine Kräfte ? Sie ſind mein, und mein iſt ihr Gebrauch. Nicht einen Fußtritt Für den oberſten der Götter mehr! Für ſie? Bin ich für ſie? Minerva. So wähnt die Macht. Prometheus. Ich wähne, Göttin, auch Únd bin auch mächtig. - Sonſt! – Haſt du inich nicht oft geſehn In ſelbſterwählter Knechtſchaft Die Bürde tragen, die ſie In feierlichem Ernſt auf meine Schultern legten? Žab' ich die Arbeit nicht vollendet, 125 130 135 176 Prometheus." 1.10 1.13 150 Jedes Tagwerk, auf ihr Geheiß, Weil ich glaubte, Sie ſähen das Vergangene, das Zufünftige Im Gegenwärtigen, Und ihre Leitung, ihr Gebot Sei uranfängliche Uneigennüßige Weisheit? Minerva. Du dienteſt, um der Freiheit wert zu ſein. Prometheus. Und möcht um alles nicht Mit dein' Donnervogel tauſden Und meines Herren Blitze ſtolz In Sklavenklauen paden. Was ſind ſie? Was ich? Minerva. Dein Haß iſt ungerecht! Den Göttern fiel zum Loſe Dauer Und Macht und Weisheit und Liebe. Prometheus. Haben ſie das all Doch nicht allein! Ich daure ſo wie ſie. Wir alle ſind ewig! – Meines Anfangs erinnr' ich mich nicht, zu enden hab ich keinen Beruf Und feh' das Ende nicht. So bin ich ewig; denn ich bin! – Und Weisheit – (Minerva an den Bildniſſen herumführend.) Sieh dieſe Stirne an! Hat mein Finger nicht Šie ausgeprägt? Und dieſes Buſens Macht Drängt ſich entgegen Der állanfallender Gefahr umher. (Bleibt bei ciner weiblichen Bildjäule ſtchen.) Und oui, Pandora, Heiliges Gefäß der Gaben alle, 155 160 165 170 Erſter Aft. 177 175 135 Die ergötzlich ſind Unter dem weiten Himmel, Auf der unendlichen Erde, Alles, was mich je erquicft von Wonnegefühl, Was in des Schatteig Kühle Mir Labſal ergoſſen, Der Sonne Liebe jemals Frühlingswonne, Des Meeres laue Welle Jemals Zärtlichkeit an meinen Buſen angeſchmiegt, 180 Und was ich je für reinen Himmelsglanz Und Seelenruhgenuß geſchmeckt – Das all all - - ineine Pandora! Minerva. Jupiter hat dir entboten, Ihnen allen das Leben zu erteilen, Wenn du ſeinem Antrag Gehör gäbſt. . Prometheus. Das war das Einzige, was mich bedenken machte. Allein – ich ſollte ſinecht ſein Und - wie alle Anerkennen droben die Macht des Donnerers ? Nein!. Sie mögen hier gebunden ſein Von ihrer Lebloſigkeit, Sie ſind doch frei, Und ich fühl ihre Freiheit! Minerva. Und ſie ſollen leben! Dem Schickſal iſt es, 'nicht den Göttern, zu ſchenken das Leben und zu nehmen; Komm! Ich leite sich zum Quell' des Lebens all, 200 Den Jupiter uns nicht verſchließt: Sie ſollen leben und durch dich! .. Prometheus. . Durch dich, o meine Göttin! Leben, frei ſich fühlen, Leben! – Ihre Freude wird dein Dank ſein! 190 195 205 Goethe, Werfc. VI. 12 178 Promethcus. Zweifer Nkf. Auf Olympus. Jupiter. Merkur Merkur. Greuel – Vater Jupiter! – Hochverrat! Minerva, deine Tochter, Steht dem Rebellen bei, Hat ihm den Lebensquell eröffnet · Únd ſeinen lettenen Hof, Seine Welt von Thon Um ihn belebt. Gleich uns bewegen ſie ſich all Und weben, jauchzen um ihn her, Wie wir um sich. O deine Donner, Zeus! Jupiter. Sie ſind! und werden ſein! Und ſollen ſein! Ueber alles, was iſt Unter dem meiten Himmel, Auf der unendlichen Erde, iſt mein die Herrſchaft. Das Wurmgeſchlecht vermehrt Die Anzahl meiner Knechte. Wohl ihnen, wenn ſie meiner Vaterleitung folgen; 20 Weh ihnen, wenn ſie meinem Fürſtenarm Sich miderfeßen! Merkur. Allvater! Du Aligütiger, Der du die Miſſethat vergibſt Verbrechern, Sei Liebe dir und Preis Von aller Erd' und Himmel! D, ſende mich, daß ich verkünde Dem armen erdgeborsien Volk Dich, Vater, deine Güte, deine Macht! Jupiter. Noch nicht! In neugeborner Jugendwonne 30 Wähnt ihre Seele fich göttergleich. De 30 Zweiter Akt. 179 35 Sie werden sich nicht hören, bis ſie sein Bedürfen. Ueberlaß ſie ihrem Leben! Merkur. So weiſ' als gütig! Thal am Fuße des Dlympus. Prometheus. Sieh nieder, Zeus, Auf meine Welt: ſie lebt! Ich habe ſie geformt nach meinem Bilde, Ein Geſchlecht, das mir gleich ſei, zu leiden, weinen, zu genießen und zu freuen ſich Und dein nicht zu achten, Wie ich! (Man ſieht das Menjchengeid ledit durds ganze Thal verbreitet. Sie jind auf Bäume geklettert, Früchte zu brechen, ſic baden jid, iin Majjer, ſie laufen um die Wette auf der Wieſc; Mädden pflücken Blumen und flediten Kränze.) Ein Mann mit abgehauenen jungen Bäumen tritt zu Prometheus. Pann. Sieh hier die Bäume, Wie du fie verlangteft. Prometheus. Wie brachteſt du Sie von dem Boden? Mann. Mit dieſent ſcharfen Steine hab' ich fie Glatt an der Wurzel weggeriſſen. Prometheus. Erſt ab die Aeſte! – Dann ramme dieſen Schräg in den Boden hier und dieſen hier ſo gegenüber; Und oben verbinde ſie! -- Dann wieder zwei hier hinten hin Und oben einen quer darüber. Nun die Aeſte herab von oben Bis zur Erde, Verbunden und verſchlungen die und Niaſen rings umher Und Aeſte drüber, mehr, 45 50 55 180 Prometheus. Bis daß kein Sonnenlicht, Kein Regen, Wind durchdringe! Hier, lieber Sohn, ein Schutz und eine Hütte! Mann. Dank, teurer Vater, tauſend Dank! Sag', dürfen alle meine Brüder wohnen In meiner Hütte? Prometheus. Nein! Du haſt ſie dir gebaut, und ſie iſt dein. Du kannſt ſie teilen, Mit wem su willt. Wer wohnen will, der bau' ſich ſelber eine. (Prometheus ab.) Zwei Männer. Erſter. Du ſollt kein Stück Von meinen Ziegen nehmen! Sie ſind mit mein! Bweiter. Woher? 70 Erſter. 75 80 Ich habe geſtern Tag und Nacht Xuf dem Gebirg herumgeklettert, Mit ſaurem Schweiß Lebendig ſie gefangen, Dieſe Nacht bewacht, Sie eingeſchloſſen hier Mit Stein und Reſten. Zweiter. Nun gib mir eins! Ich habe geſtern auch eine erlegt, Am Feuer ſie gezeitigt Und geſſen mit meinen Brüdern. Brauchft heut nur eine; Wir fangen morgen wieder. Erſter. Bleib mir von meinen Ziegen! . $3 Zweiter Akt. 181 30 Bweiter. Doch! (Erſter will ihn abwehren, Zweiter gibt ihm einen Stoß, daß er umſtürzt, nimmt eine Ziege und fort.) Erſter. Gewalt! Weh! Weh! Prometheus (kommt). Was gibt's ? Mann. Er raubt mir meine Ziege! - Blut rieſelt ſich von meinem Haupt – Er ſchmetterte Mich wider dieſen Stein. Prometheus. Neiß da' vom Baume dieſen Schwamm Und leg' ihn auf die Wunde! Wann. So - teurer Vater! Schon iſt es geſtillt. Prometheus. Geh, maſch dein Angeſicht! Mann. Und meine Ziege? Prometheus. Laß ihn! yft ſeine Hand mider jedermann, Wird jedermanns Hand ſein wider ihn. (Mann ab.) Prometheus. Ihr ſeid nicht ausgeartet, meine Kinder, Seid arbeitſam und faul Und grauſam, mild, Freigebig, geizig, Gleichet all euren Schickſalsbrüdern, Gleichet den Tieren und den Göttern. 110 Pandora kommt. Prometheus. Was haſt $il, meine Tochter ? Wie ſo bewegt? 100 105 182 Prometheus. 115 Pandora. Mein Vater! Ach, was ich ſah, mein Vater, Was ich fühlte! Prometheus. Nun? Pandora. D, meine arme Mira! - Prometheus. Was iſt ihr? Pandora. Namenloſe Gefühle! Ich ſah ſie zu dein Waldgebüſche gehn, Wo wir ſo oft uns Blumenkränze pflücken; Ich folgt ihr nach, Und, ach! wie ich vom Hügel fomme, fah 120 123 130 135 Auf einen Raſen hingeſunken. Zum Glück war Árbar ungefähr im Wald. Er hielt ſie feſt in ſeinen Armen, Wolíte ſie nicht ſinken laſſen Und, ach! ſank mit ihr hin. Ihr ſchönes Haupt erſank, Er füßte ſie tauſendmal Und hing: an ihrem Munde, Um ſeinen Geiſt ihr einzuhauchen. Mir ivarð bang, Ich ſprang hinzu und ſchrie; Mein Schrei eröffnet ihr die Sinnen. Arbar ließ ſie; ſie ſprang auf, Und, ach! mit halbgebrochnen Augen Fiel ſie mir um den Hals. Fhr Buſeii fchlug, Äls wollt er reißen, Ihre Wangen glühten, Es rechzt ihr Mund, Und tauſend Thräner ſtürzten. Ich fühlte wieder ihre Kniee wanken Und hielt ſie, teurer Vater! Und ihre Füſſe, ihre Glut Hat ſolch ein neues, unbekanntes 140 145 Zweiter . 183 150 155 . Akt. Gefühl durch meine Adern hingegoſſen, Daß ich, verwirrt, bemegt und weinend, Endlich ſie ließ und Wald und Feld. – Zu dir, mein Vater! Sag', Was iſt das alles, was ſie erſchüttert Und mich? Prometheus. Der Tod! Pandora. Was iſt das? Prometheus. Meine Tochter, Du haſt der Freuden viel genoſſen. Pandora. Tauſendfach! Dir dank ich's all. : Prometheus. Pandora, dein Buſen ſchlug Der kommenden Sonne, Dem wandelnden Mond entgegen; Und in den Rüſſen deiner Geſpielen Genoſſeſt du die reinſte Seligkeit. Pandora. Unausſprechlich! Prometheus. Was hub im Tanze deinen Körper Leicht auf vom Boden? Pandora. Freude! Wie jedes Glied, gerührt vom Sang und Spiel, Bewegte, regte ſich, Ich ganz in Melodie verſchwamm! Prometheus. Und alles löſt ſich endlich auf in Schlaf, So Freud' als Schmerz. Du haſt gefühlt der Sonne Glut, Des Durftes Lechzen, Deiner Kniee Müdigkeit, Haſt über dein verlornes Schaf geweint Únd wie geächzt, gezittert, - 165 170 175 184 Prometheus. 180 185 190 190 Als du im Wald den Dorn dir in die Ferſe tratſt, Eh ich dich heilte. Pandoru. Mancherlei, mein Vater, iſt des Lebens Won' Und Weh! Prometheus. Und fühlſt an deinem Herzen, Daß noch der Freuden viele ſind,.. Der Schmerzen viele, Die du nicht kennſt. Pandora. Wohl, wohl! - Dies Herze ſehnt ſich oft, Ach! nirgend hin und überall doch hin! Prometheus. Da iſt ein Augenblick, der alles erfüllt, Alles, was wir geſehnt, geträumt, gehofft, Gefürchtet, Pandora – Das iſt der Tod! Pandora. Der Tod ? Prometheus. Wenn aus dem innerſt tiefſten Grunde Du ganz erſchüttert alles fühlſt, . Was Freud' und Schmerzen jemals dir ergoſſen, Im Sturm dein Herz erſchwillt, In Thränen ſich erleichtern will Und ſeine Glut vermehrt, Und alles klingt an dir und hebt und zittert, Und all die Sinne dir vergehn, Und du dir zu vergehen ſcheinft Und finfft, Und alles um dich her verſinft in Nacht, Und du, in inner eigenſtem Gefühl, Unfaljeſt eine Welt: Dann ſtirbt der Menſch. Pandora (ihn umhaljend). Vater, laß uns ſterben! Prometheus. Noch nicht. 195 200 205 Dritter Akt. 185 210 Pandorn. Und nach dem Tod? . Prometheus. Wenn alles -- Begier und Freud' und Schmerz – in ſtürmendem Genuß ſich aufgelöſt, Dann ſich erquict, in Wonne ſchläft - Dann lebſt du auf, aufs jüngſte wieder auf, Von neuem zu fürchten, zu hoffen, zu begehren! 215 Driffer Nkt. Prometheus (in ſeiner Werkſtatt). Bedecke deinen Himmel, Zeus, Mit Wolkendunſt Und übe, dem Knaben gleich, Der Diſteln köpft, Un Eichen dich und Bergeshöhn! Mußt mir meine Erde Doch laſſen ſtehn Und meine Hütte, die du nicht gebaut, Und meinen Herb, üm deſſen Glut Du mich beneideſt! Ich fénne nichts Xermeres Unter der Sonn' als euch, Götter ! Ihr nähret fümmerlich Von Dpferſteuern Und Gebetshauch Eure Majeſtät Und darbtet, wären Nicht Kinder und Bettler Hoffnungsvolle Thoren. Da ich ein Kind war, Nicht wußte, wo aus noch ein, Kehrt' ich mein verirrtes Auge Zur Sonne, als wenn drüber wär? 186 Prometheus. Ein Dhr, zu hören meine Klage, Ein Herz, wie mein's, Sich deš Bedrängten zu erbarmen. Wer half mir Wider der Titanen liebermut? Wer rettete von Tode mich, Von Sklaverei? Haſt du nicht alles ſelbſt vollendet, Heilig glühend Herz? Und glühteſt jung und gut, Betrogen, Nettungsbank Dem Schlafenden da droben? Ich sich ehren? Wofür? Haſt du die Schmerzen gelindert Se des Beladenen? Haſt du die Thränen geſtillet Je des Geängſteten? Hat nicht mich zum Manne geſchmiedet Die allmächtige Zeit Und das ewige Schickſal, Meine Herren und deine? Wähnteſt du etwa, Ich ſollte bas Leben haſſen, in Wüſten fliehen, Beil nicht alle Blütenträume reiften? Hier ſitz' ich, forme Menſchen Nach meinen Bilde, Ein Geſchlecht, das mir gleich ſei, Zu leiden, zu weinen, Zu genießen und zu freuen ſich Und dein nicht zu achteit, Wie ich! Minerva tritt auf, nochmals cine Bermillelung einleitend. 11 Erſter Akt. 187 Künſtlers Srdewaſſen. Drama.. E r ft e r Nkt. Vor Sonnenaufgang. Der Rü iſt I er an ſeiner Staffelei. Er hat eben das Porträt einer Fleiſdigen, häßlidhen, kokett djielenden Frau aufgeſtellt. Beim erſten Pinſelſtrich fett er ab. Ich will nicht! ich kann nicht! Das ſchändliche, verzerrte Geſicht! (Er thut das Bild beiſeite.) Soll ich ſo verderben den himmliſchen Morgen, Da ſie noch ruhen, all meine lieben Sorgen! Gutes Weib! koſtbare Kleinen! (Er tritt ans Fenſter.) Aurora, wie neukräftig liegt die Erd' um dich! Und dieſes Herz fühlt wieder jugendlich, Und mein Auge, wie felig, dir entgegen zu weinen! (Er ſett ein lebensgroßes Bild der Venue Urania auf die Staffelei.) Meine Göttin, deiner Gegenwart Blick Ueberdrängt mich wie erſtes Jugendglück, Die ich in Seel' und Sinn, himmliſche Geſtalt, Dich umfaſſe mit Bräutigams Gewalt. Wo mein Pinſel dich berührt, biſt du mein: Du biſt ich, biſt mehr als ich, ich bin dein. Uranfängliche Schönheit! Königin der Welt! Und ich ſoli dich laſſen für feiles Geld? Dem Thoren laſſen, der an bunten Tand Sich weidet, an einer ſcheckigen Wand? (Er blidt nad; der Kammer.) Meine Kinder! – Göttin, du wirſt fie lepen! Du gehſt in eines Reichen Haus, fhn in Kontribution zu ſetzen, Und ich trag' ihnen Brot heraus, 10 15 15 20 188 Künſtlers Erdewallen. 25 30 Und er befißt did nicht, er hat dich nur: Du wohnſt bei mir, Úrquell der Natur, Leben und Freude der Kreatur! in dir verſunken, Fühl ich mich ſelig, an allen Sinnen trunken. (Man Hört in der Kammer ein § ind jæreien.) 9Xe ! ả! Künſtler. Lieber Gott! Künſtlers Frau (erwacyt). .'s is fchon Tag! Biſt ſchon auf? Lieber, geh doch, ſchlag Mir Feuer, leg? Holz an, ſtell' Waſſer bei, Daß ich dem Kinder koch' den Brei. Künſiler (einen Augenblick vor ſeinem Bilde verweilend). Meine Göttin! Sein ältſter Kunbe (ſpringt aus dem Bette und läuft barfuß Hervor). Lieber Pappe, ich helfe dich! Künſiler. Wie lang? Knabe. Was? Künjiler. Bring klein Holz in die Küch'! Zweifer Nkt. Künſtler. Wer klopft ſo gewaltig? Fritzel, ſchau! Kuabe. Es is der Herr mit der dicken Frau. Künſiler (ſtellt das leidige Porträt wieder auj). Da muß ich thun, als hätt ich gemalt. Frau. Madh's nur! Es wird ja wohl bezahlt. Zweiter Aft. 189 10 Künſiler. Das thut's ihm. Der gerr und Madame treten herein. Herr. Da kommen wir ja zurecht. Madame. Hab' heut geſchlafen gar zu ſchlecht. . Frau. O, die Madam ſind immer ſchön. Herr. Darf man die Stück in der Eck befehn? Künſtler. Sie machen ſich ſtaubig. (zu Madame). Belieben, fich niederzulaſſen! Herr. Sie müſſen ſie recht im Geiſte faſſen. Es iſt wohl gut, doch ſo noch nicht, Daß es einen von dem Tuch anſpricht. Künſtler (heimlid)). Es iſt auch darnach ein Angeſicht. Der Herr (nimmt ein Gemälde aus der Ede). Iſt das Ihr eigen Bildnis hier? Künſtler. Vor zehen fahren glich es mir. Herr. Es gleicht noch ziemlich. Madame (einen flüdstigen Blick darauf werfend). gar ſehr! Herr. Sie haben jeßt gar viel Kunzeln mehr. Frau mit dem Rorbe am Arm, Heimlid)). Gib mir Geld, ich muß auf den Marft! Künſtler. Ich hab' nichts. 15 190 Künſtlers Erdewallen. Frau. Dafür kauft man einen Quark. Künſtler. Da! Herr. Aber Ihre Manier iſt jekt größer. Künſtler. Das eine wird ſchlimmer, das andre beſſer. Herr (zur Staffelei tretend). So! fo! da an dein Naſenbug! Und die Augen ſind nicht feurig gnug. Künſtler (für ſich). O mir! Das mag der Teufel ertragen! Die Muſe (ungeſehen von den andern, tritt zu ihin). Mein Sohn, fängſt jeßt an, zu verzagen? Trägt ja ein jeder Menſch ſein soch; Ift ſie garſtig, bezahlt ſie doch! Ünd laß den Kerl tadeln und ſchmäßen; Haſt Zeit genug, dich zu ergößen An dir ſelbſt und an jedem Bild, . Das liebevoll aus deinem Pinſel quillt. Wenn man muß eine Zeitlang haden und graben, Wird man die Ruh erſt willfommen haben. Der Himmel kann einen auch verwöhnen, Daß inan fich thut nach der Erde ſehnen. Dir ſchmeckt das Eſſen, Lieb' und Schlaf, Und biſt nicht reich)," fo biſt du brav. 30 35 Des Künſtlers Vergötterung. . 191 Des Künſtlers Pergöfferung. . D r a m a. [Ueltere Skizze von „Künſtlers Apotheoje“.] Stellt eine Gemäldegalerie vor, wo unter andern das Bild der Venus Urania in einem breiten goldenen Nahmen, wohl gefirnißt, aufgehängt iſt. Sin junger Maler fißt davor und zeichnet. Der Meiſter mit andern ſteht hinter dem Stuhle. Der Jünger ſteht auf. 10 Jünger. Hier leg' ich, teurer Meiſter, meinen Pinſel nieder. Nimmer, nimmer wag' ich es wieder, Dieſe Fülle, dieſes unendliche Leben Mit dürftigen Strichen wieder zu geben. Ich ſtehe beſchämt, Widermillenš voll, Wie vor einer Laſt ein Mann; : Die er tragen ſoll Und nicht heben kann. Meiſter. Heil deinem Gefühl, Jüngling! ich weihe dich ein Vor dieſem heiligen Bilde! Du wirſt Meiſter fein. Das ſtarke Gefühl, wie größer dieſes iſt, Zeigt, daß dein Geiſt ſeinesgleichen iſt. Jünger. Ganz, heil?ger Genius, verſink ich vor dir. Meiſter, Und der Mann war ein Menſch wie wir. Und an der Menſchheit zugeteilten Plagen Hatte er weit ſchwerer als wir zu tragen. Jünger. O, warum ſah ich ſein Angeſicht, Hört ſeiner Lippe Rede nicht, Du, Glücklicher, fannteſt ihri. Daß deintuig wie gróf Du wirmeine Sich 13 · 192 Künſtlers Apotheoſe. 20 Meiſter. Ja, mein Sohn. Ich war noch jung, er nahte ſchon Dem Grabe. Ich werd' ihn nie vergeſſen. Wie oft hab' ich zitternd vor ihm da geſeſſen, Voll von heißem Verlangen, Jedes Wort von ſeinen Lippen zu fangen, ind, wenn er ſchwieg, an ſeinem Auge gehangen. Auf dem Wajjer den 18. juli. Gegen Neuried, 1774. 25 Künſtlers Kpotheoſe. D r a m a. Es wird eine prächtige Gemäldegalerie vorgeſtellt. Die Bilder aller Schulen Hängen in breiten goldenen Rahmen. Es gehen mehrere Perſonen auf und ab. Ai ciner Seite fißt ein Schüler und iſt Beſchäftigt, ein Bild zu kopierenr. Sdüler (indem er aufſteht, Palette und Pinſel auf den Stuhl legt und dahinter tritt). Da ſitz' ich hier ſchon Tage lang, Mir wird's ſo ſchwül, mir wird's ſo bang, Ich male zu und ſtreiche zu Und ſehe kaum mehr, was ich thu'. Gezeichnet iſt es durchs Quadrat; Die Farben, nach des Meiſters Hat, So gut mein Aug' ſie ſehen mag, Ahm' ich nach meinem Muſter nach; Und wenn ich dann nicht weiter kann, Steh' ich wie ein geneſtelter Mann Und ſehe hin und fehe her, Als ob's gethan mit Sehen wär'; Ich ſtehe hinter meinen Stuhl Und ſchwitze wie ein Schwefelpfuhl - Und dennoch wird zu meiner Qual Nie die Kopie Driginal. Künſtlers Apotheoſe. Was dort ein freies Leben hat, Das iſt hier trocen, ſteif und matt; Was reizend ſteht und fikt und geht, Iſt hier gewunden und gedreht; Was dort durchſichtig glänzt und glüht, Hier wie ein alter Topf ausſieht; Und überall es mir gebricht, Als nur am guten Willen nicht, Und bin nur eben mehr gequält, Daß ich recht ſehe, was mir fehlt. Ein Meiſter (tritt Hinzu). Mein Sohn, das haſt du wohl gemacht, Mit Fleiß das Bild zuſtand gebracht! Du ſiehſt, wie wahr ic) ſtets geſagt: Je mehr als fich ein Künſtler plagt, Je mehr er ſich zum Fleiße zwingt, Um deſto mehr es ihm gelingt. Drum übe dich nur Tag für Tag, Und du wirſt ſehr, was das vermag! Dadurch wird jeder Zweck erreicht, Dadurch wird maniches Schwere Leicht, Und nach und nach kommt der Verſtand Unmittelbar dir in die Hand. Schüler: Ihr ſeid zu gut und ſagt mir nicht, Was alles dieſen Bild gebricht. Meiſter. Ich ſehe nur mit Freuden an, . Was du, mein Sohn, bisher gethan. Ich weiß, daß du dich ſelber treibſt, Nicht gern auf einer Stufe bleibſt. Wilt hier und da noch was gebrechen, Wollen wir's ein andermal beſprechen. (Entfernt ſich.) Schüler (das Bild anſchend). Ich habe weder Ruh noch Raſt, Bis ich die Kunſt erſt recht gefaßt. Ein Liebhaber (tritt zu iym). Mein Herr, mir iſt verivunderlich, Daß Sie hier Ihre Zeit verſchwenden Goethe, Werte. Vi. 45 50 13 194 Künſtlers Apotheoſe. Und auf der rechten Wege fich Schnurſtradis an die Natur nicht wenden; Denn die Natur iſt aller Meiſter Meiſter! Sie zeigt uns erſt den Geiſt der Geiſter, Läßt uns den Geiſt der Körper fehn, Lehrt jedes Geheimnis uns verſtehn. Ich bitte, laſſen Sie ſich raten! Was hilft es, immer fremden Thaten Mit größter Sorgfalt nachzugehn? Sie ſind nicht auf der rechten Spur; Natur, mein Herr! Natur! Natur! Schüler. Man hat es mir ſchon oft geſagt. Ich habe fühn mich dran gewagt; Es war mir ſtets ein großes Feſt. Auch iſt mir dies und jen's geglückt; Doch öfters ward ich mit Proteſt, Mit Scham und Schande weggeſchickt. Kaum wag' ich es ein andermal; Es iſt nur Zeit, die man verliert: Die Blätter ſind zu foloſſal Und ihre Schrift gar ſeltſam abbreviert. Liebhaber iſidh wegwendend). Nun ſeh ich ſchon das Wo und Wie; Der gute Menſch hat kein Genie ! Sdüler (ſic) niederſekend). Mich dünft, noch hab' ich nichts gethan; Ich niuß ein andermal noch dran. Ein zweiter Meiſter (tritt zu ihm, ſieht ſeine Arbeit an und wendet ſich um, ohne etwas zu ſagen). Schüler. Ich bitt Euch, geht ſo ſtumm nicht fort und ſagt mir wenigſtens ein Wort. Ich weiß, Ihr ſeid ein fluger Mann, Ihr könntet meinen Wunſch am allererſten ſtillen. Verdien' ich's nicht durch alles, was ich kann, 80 Verdien' ich's wenigſtens durch meinen guten Willen. Meiſter. Ich ſehe, was du thuſt, was du gethan, Bewundernd halb und halb voll Mitleið an. Künſtler3 Apotheoſe. 85 90 9.5 burchgedress macht...e Du ſcheinſt zuin Künſtler mir geboren, Haft weislich keine Zeit verloren: Du fühlſt die tiefe Leidenſchaft, Mit frohem Aug’ die herrlichen Geſtalten Der ſchönen Welt begierig feſt zu halten; Du übft die angeborne Kraft, Mit ſchneller Hand bequem Sich auszudrücken; Es glückt dir ſchon und wird noch beſſer glücken; Allein Schüler. Verhehlt mir nichts! Meiſter. Allein du übſt die Hand, Du übſt den Blick, nun üb? auch den Verſtand! Dem glücklichſten Genie wird's kaum einmal gelingen, Sich durch Natur und durch Fiſtinkt allein Zum Ungemeinen aufzuſchwingen: Die Kunft bleibt Kunſt! Wer ſie nicht durchgedacht, Der darf ſich keinen Künſtler nennen; Hier hilft das Tappen nichts; eh man was Gutes macht, Muß man es erſt recht ſicher fennen. 100 Sdüler. Ich weiß es wohl, man kann mit Aug und Hand An die Natur, an gute Meiſter gehen, Allein, o Meiſter, der Verſtand, Der übt ſich riur mit Leuten, die verſtehen. Es iſt nicht ſchön, für ſich allein Und nicht für andre mit zu ſorgen: Ihr könntet vielen nüßlich ſein, ünd warum bleibt Thč ſó verborgen? Meiſter. Man hat's bequemer heutzutag, Als unter meine Zucht ſich zu bequemen : Das Lied, das ich ſo gerne fingen mag, Das mag nicht jeder gern vernehmen. Schüler. O, ſagt mir nur, ob ich zu tadeln bin, Daß ich mir dieſen Mann zum Muſter auserkoren? (Er deutet auf das Bild, das er kopiert hat.) 105 110 · 196 Künſtlers Apotheoſe. 115 120 125 130 Daß ich nich ganz in ihn verloren? Iſt es Verluſt, iſt es Gewinn, Daß ich allein an ihm mich nur ergötze, Jhn weit vor allen andern ſchätze, Äls gegenwärtig ihn und als lebendig liebe, Mich ſtets nach ihin und ſeinen Werfen übc? Meiſter. Ich tabl' es nicht, weil er fürtrefflich iſt; Ich tabli es nicht, weil du ein Jüngling biſt: Gin Jüngling muß die Flügel regen, In Lieb' unð Haß gewaltſam ſich bewegen. Der Mann iſt vielfach groß, den du dir auserwählt, Du kannſt dich lang an ſeinen Werken üben; Nur Verne bald erkennen, was ilin fehlt: Man muß die Kunſt und nicht Das Muſter lieben. Schüler, Ich ſähe nimmer mich an ſcinen Bildern ſatt, Wenn ich mich Tag für Tag damit beſchäftigen ſollte. Meiſter. Erfenne, Freund, was er geleiſtet hat, Und dann erkenne, was er leiſten wollte: Dann wird er dir erſt nützlich ſein, Du wirft nicht alles neben ihm vergeſſen. Die Tugend wohnt in feinem Mann allein; Die Kunſt hat nie ein Menſch allein beſeſſen. chüler. So redet nur auch mehr davon! Meiſter. Ein andermal, mein lieber Sohn. Galerieinſpektor (tritt zu ihnen). Der heutige Tag iſt uns geſegnet! O, welch ein ſchönes Glück begegnet! Es wird ein neues Bild gebracht, So köſtlich), als ich feins gedacht. Meiſter. Von wem? Srhüler. Sagt an, es ahuet mir. (Auf das Bild zeigend, daß er kopiert.) Von dieſem? 135 1-10 Künſtlers Apotheoſe. 197 1.15 130 155 Inſpektor. Ja, von dieſem hier. Srhüler. Wird endlich doch mein Wunſch erfüllt! Die heiße Sehnſucht wird geſtillt! Wo iſt es? Laßt mic) eilig gehn. Inſpektor. Ihr werdet's bald hier oben ſehn. So köſtlich, als es iſt gemalt, So teuer hat’s der Fürſt bezahlt. Gemäldehändler (tritt auf). Nun kann die Galerie doch ſagen, Daß fie ein einzig Bild beſikt. Man wird einmal in unſern Tagen Erkennen, wie ein Fürſt die Künſte liebt und ſchützt., Es wird ſogleich heraufgetragen; Es wird erſtaunen, mer's erblickt. Mir iſt in meinem ganzen Leben Noch nie ein ſolcher Fund geglücft. Mich achmerzt es faſt, es wegzugeben: Das viele Gold, das ich begehrt, Erreicht noch lange nicht den Wert. (Man bringt das Bild der Venus Urania herein und ſetzt es auf eine Staffelei.) Hier! wie es aus der Erbſchaft kam, Noch ohne Firnis, ohne Rahm. Hier braucht es keine Kunſt noch Liſt; Seht, wie es wohl erhalten iſt! (Alle verſammeln jich davor.) Erſter Meiſter. Welch eine Praktik zeigt ſich hier! Zweiter Meiſter. Das Bild, wie iſt es überdacht! Sdüler. Die Eingeweide brennen mir! Liebhaber. Wie göttlich iſt das Bild gemacht! Händler. In ſeiner trefflichſten Manier. 100 103 170 198 Künſtlers Apotheoſe. 175 Inſpektor. Der goldiie Rahm wird ſchon gebracht. Geſchwind herbei! geſchwind Herein! Der Prinz wird bald im Saale ſein. . (Das Bild wird in den Rahmen befeſtigt und wieder aufgeſtellt.) Der Priitz (tritt auf und beſielt das Gemälde). Das Bild hat einen großen Wert, Empfanget hier, was Ihr begehrt. Der Knflier (hebt den Beutcư mit den Zechinen auf den Tiſch und ſcufzet). Händler (zum Kaſſier). Ich prüfe ſie erſt durchs Gewicht. Kaffier (aufzählend). Es ſteht bei Euch; doch zweifelt nicht! (Der Firſt ficht vor dem Bilde, die andern in einiger Entfernung.) Der Plafond eröffnet ſid), die Muſe, Den Künſtler an der Hand führend, auf einer Wolke. Künſtler. Wohin, o Freundin, führſt du mich? Muſe. Sieh nieder und erkenne dich! Dies iſt der Schauplatz seiner Ehre. Künſtler. Ich fühle nur den Druck der Atmoſphäre. Muſe. Sieh nur herab! Es iſt ein Werk von dir, Das jedes andre neben ſich verdunkelt und zwiſchen vielen Sternen hier Als wie ein Stern der erſten Größe. funfelt. Sieh, was bein Werk für einen Eindruck macht, Das du in deinen reinſten Stunden Xus deinen innern Selbſt empfunden, Mit Maß und Weisheit durchgedacht, Mit ſtillem, freuem Fleiß vollbracht! Sieh, wie noch ſelbſt die Meiſter Ternen! Ein kluger Fürſt, er ſteht entzückt, Er fühlt ſich im Beſitz von dieſem Schaß beglückt; Er geht und kommt und kann ſich nicht entfernen. 180 185 190 Künſtlers Apotheoſe. 199 195 200 Sieh dieſen Jüngling, wie er glüht, Da er auf deine Tafel ſieht! In ſeinem Auge glänzt das Herzliche Verlangen, Von deinem Geiſt den Einfluß zu empfangen. So wirft mit Macht der edle Mann Jahrhunderte auf ſeinesgleichen: Denn, was ein guter Menſch erreichen kann, Iſt nicht im engen Raum des Lebens.311 erreichen. Drum lebt er auch nach ſeinem Tode fort lind iſt ſo wirkſan, als er lebte; Die gute That, das ſchöne Wort, Es ſtrebt unſterblich, wie er ſterblich ſtrebte. So lebſt auch du durch ungemeßne Zeit; Genieße der Unſterblichkeit! 205 210 215 220 Künſtler. Erkenn' ich doch, was mir im kurzen Leben Zeus für ein ſchönes Glück gegeben ünd was er mir in dieſer Stunde ſchenkt! Doch er vergebe mir, wenn dieſer Blick mich fränkt. Wie ein verliebter junger Mann Unmöglich doch den Göttern danken kann, Wenn ſeine Liebſte fern und eingeſchloſſen weint; Wer wagt es, ihn beglückt zu nennen? Und wird er wohl ſich tröſten können, Weil eine Sonne ihn und ſie beſcheint ? : So hab ich ſtets entbehren müſſen, Was meinen Werken nun ſo reichlich widerfährt; Was hilft's, o Freundin, mir, zu wiſſen, Daß man mich nun bezahlet und verehrt? D, hätt' ich manchmal nur das Gold beſeſſen, Das dieſen Rahm jetzt übermäßig ſchmückt! Mit Weib und Kind mich herzlich ſatt zu eſſen, War ich zufrieden und beglückt. Ein Freund, der ſich mit mir ergößzte, Ein Fürſt, der die Talente fchäkte, Sie haben leider mir gefehlt; Im Kloſter fand ich dumpfe Gönner: Šo hab ich emſig, ohne Kenner Und ohne Schüler mich gequält. (Dinað auf den Sdhüler deutend.) 225 230 200 Künſtlers Apotheoſe. 235 Und willſt du dieſen jungen Mann, Wie er's verdient, dereinſt erheben, So bitť ich, ihm bei ſeinem Leben, So lang er ſelbſt noch kau’n und füſſen fani, Das Nötige zur rechten Zeit zu geben! Er fühle froh, daß ihn die Muſe" liebt, Wenn leicht und ſtill die frohen Tage fließen. Die Ehre, die mich nun im Himmel ſelbſt betrübt, Laß ihn bereinſt, wie mich, doch freudiger genießen! 240 Erſter Akt. 201 . Der Triumph der Smpfindſamkeit. Eine dramatiſche Grille. Sora, Kerjonen. Andraſon, ein humoriſtiſcher König. Mandandane, ſeine Senahlin. Dieſelbe noch einmal. Feria, ſeine Schweſter, eine junge Witwe. Maia, Lato, i 2011 Hoffräulein der Feria. Mela, I Dronaro, Prinz. Merkulo, ſein Kavalier. Der Oberfte ſeiner Leibwache. Leibw ach e. Mohren. Bediente. Askalaphus, Mandandanens Kammerdiener. Gr ft er Nkf. Saal, im guten Geſchmacke Dekoriert. Mana und Sora begegnen einander. Mann. Wo willſt du hin, Sora? sora. In den Garten, Mana. Mana. Haſt du ſo viel Zeit? Wir erwarten den König jeden Augenblick; verliere dich nicht vom Schloſſe! Sorn. Ich kann es unmöglich aushalten; ich bin den ganzen Tag noch nicht an die freie Luft gekommen. Mann. Wo iſt die Prinzeſſin? Hora. In ihrem Zimmer. Sie probiert mit der kleinen Mela einen Tanz und läuft jeden Augenblick ans Fenſter, zu ſehen, ob der Bruder komnit. Mana. Es iſt eine rechte Not, ſeitdent die großen Herren auf das Inkognito gefallen ſind. Man weiß gar nicht mehr, 202 Der Triumph der Empfindſamkeit. tvoran man iſt. Sonſt wurden fie monatelang voraus an- gekündigt, und wenn ſie ſich näherten, war alles in Be- wegung; die Kuriere ſprengten herbei, man konnte ſich ſchicken und richten. 'Jelo, eh man ſich's verſieht, ſind ſie einem auf dem Nacen. Wahrhaftig, das letzte Mal hat er mich Sora. Darum warſt du heut ſo frühe fertig? Mana. Ich finde feine Luſt daran. — Wenn mir ein Fremder auf der Treppe begegnet, wird mir's immer bang; ich denke gleich, es iſt wieder einmal ein König oder ein Kaiſer, der ſeinen gnädigen Spaß mit uns zu treiben kommt. Sora. Diesmal iſt er nun gar zu Fuße. Andre laſſen ſich doch ins Gebirge zum Drafel in Sänften tragen, er nicht ſo; allein, mit einem tüchtigen Stabe in der Hand, trat er ſeine Reiſe an. Mana. Schade, daß er nicht zu Theſeus' Zeiten gelebt hat! Ferin. Seht ihr noch niemand? Wenn ihm nur kein · Unglück begegnet iſt! Sorn. Seid ruhig, meine Fürſtin! Die Gefahren und der üble Humor ſcheinen ſich beide vor ihm zu fürchten. Ferin. Er will mich nur einen Augenblick Sprechen und dann gleich wieder fort. Pato tritt auf. Lato. Der König kommt. Ferin. Wohl! ſehr wohl! Into. Ich ſah hinüber in das Thar und erblickte ihn eben, als er über den Bach ſchritt. Ferin. Laßt uns ihm entgegen gehen. Horn. Da iſt er.' Andraſon kommt. Ferin. Sei uns willkommen! herzlich willkommen. Alle. Willkommen! Andraſon. Ich umarme dich, meine Schweſter! Ich grüße euch, meine Kinder! Eure Freude macht mich glüdlich, eure Liebe tröſtet mich. Feria. Mein Bruder, bedarfſt du noch Troſtes? Hat das Drakel dir keinen gegeben? Möchteſt du doch immer vergnügt ſein! Möchte dir doch immer wohl ſein! Wir waren, ſeit du uns ehegeſtern verließeſt, voller Hoffnung für dich und dein Anliegen.. Erſter Akt. 203 Wann. Majeſtät! – Andraſon. Schönheit! Sorn. Herr! Andraſon. Gebieterin! Lato. Wie ſoll man Euch denn nennen? Andraſon. Shr wißt, daß ihr keine Umſtände mit mir machen ſollt. Mana (für ſid). Nur damit er auch keine mit uns zu machen braucht. Lato. Wir möchten von dem Drafel hören. Sora. Hat das Drakel nichts Gutes geſagt? Meln. Habt Ihr das Drakel nicht unſertwegen gefragt? Andraſon. Liebe Kinder, das Drafel iſt eben ein Drafel. Lato. Sonderbar! Andraſon. Daß ein zartes Herz, voller Gefühle, Hoff- nungen und Ahnungen, das einer ungewiſſen Zukunft fehn- ſuchtsvoll entgegen Vebt, nach Würfeln haſcht, den Becher fchüttelt, Wurf über Wurf verſucht und in dem Glückstäfelchen forgfältig forſcht, was ihm die Würfe bedeuten, und dann fröhlich oder traurig einen halben Tag verlebt, das mag hingehn, mag recht gut ſein. Lato (für fid). Woher er alles weiß? Damit habe ich mich erſt heute beſchäftigt. Andraſoit. Daß ein ſchönes Kind Punkte über Punkte tüpfelt, nachſchlägt und ſucht, was ihr für ein Gatte werden möchte? ob der Liebhaber treu iſt? und ſo weiter, das find' ich wohlgethan. Mela (für ſid). Er iſt ein Herenmeiſter ! Wenn wir allein ſind, wiſſen wir uns nichts Beſſers. 'Andraſon. Aber wer ein poſitives llebel, Zahnweh oder Unfrieden im Hauſe hat, ber frage keinen Arzt und kein Orakel! Ihr Wiſſen und ihre Kunſt fällt zu kurz; dies und jenes Mittelchen und vorzüglich Geduld iſt, was ſie euch empfehlen. Feria. Kannſt du, darfſt du uns ſagen?' Hat's dir eine Antwort gegeben? Darfſt du ſie entdecken? Andraſon. ich will ſie in vier Sprachen überſetzen und an allen Landſtraßen aufhängen laſſen, es weiß doch kein Menſch, was es ſoll. Feria. Wie? Andrnſoir. Da ich ankomme und eingeführt werde - voru. Wie fieht's im Tempel aus? Main. Iſt der recht prächtig? 204 Der Triumph der Empfindſamkeit. Ferin. Ruhe, ihr Mädchen! Andraſoit. Wie mich die Prieſter zur heiligen Höhle bringen - Wela. Die iſt wohl ſchwarz und dunkel ? Ändraſon. Wie Deine Augen. --- Ich frete vor die Tiefe und ſage klar und vernehmlich: Geheimnisvolle Weis- heit! Hier tritt ein Mann auf, der ſich bisher für den Glüce- lichſten hielt: denn es geht ihm nichts ab; alles, was die Götter einem Menſchen Gutes zueignen können, ſchenkten ſie mir, Felbſt das föftlichſte aller Beſitztümer verſagten ſie mir nicht: ein treffliches Weib. Aber -- ach! daß Äber und Aber ſich immer zu dem Danke geſellen, den wir den Göttern zu bringen haben! - Dieſe Frau, dieſes Muſter der Liebe und Treue, nimmt ſeit kurzen unglücklicherweiſe an einem Menſchen teil, ber ſich ihr aufbringt und der mir verhaßt iſt. Dir, hohe Weisheit, der alles bekannt iſt, ſag' ich nichts weiter und bitte: enthülle mir mein Schickſal! gib mit Rat und, was mehr iſt, Hilfe! - Ich dächte, das hieße fich deutlich erklären? Lato. Wir verſtehn es wohl. Ferin. Und die Antwort? Andraſon. Wer ſagen könnte: Ich verſtehe fie! Sora. Ich bin höchſt neugierig – Haben wir doch manches Rätſel erraten! Wela. Geſchwinde! Andraſon. Ich ſteh' und horche, und es fängt von unten auf an – erft leiſe - dann vernehmlich - dann vernehinlicher: Wenn wird ein greiflich Geſpenſt von ſchönen Händen entgeiſtert, Alle. Oh! Andraſoir. Gebt mir ein Licht! Das greifliche Geſpenſt ſoll entgeiſtert werden. Lato. Von ſchönen Händen. Andraſon. Die fänden fich allenfalls. Ein greiflich Geſpenſt, das iſt etwas aus der neuen Poeſie, die mir immer unbegreiflich geweſen iſt. Ferin. Es iſt arg. Andrnſon. Wartet nur und merkt; es kommt noch beſſer: Wenn wird eint greiflich Geſpenſt von ſchönen Händen entgeiſtert Und der leinene Sad ſeine Geweide verleiht Alle. D! Oh! Ei! O! Ah! Ha! ha! en. Erſter Akt. 205 · Andraſon. Seht, ein ſeinen Geſpenſt und ein greiflicher Sack und Geweide von ſchönen Händen! Nein, was zu viel iſt, bleibt zu viel! Was ſo ein Drakel nidit alles ſagen darf! Mann. Wiederholt es uns! Andraſon. Nicht wahr, ihr hört gar zu gerne, ivas erhaben klingt, wenn ihr's gleich nicht verſteht? : Wenn wird ein greiflich Geſpenſt von ſchönen Händen entgeiſtert, Und der leinene Sack ſeine Geweide verleiht! Seid ihr nun klüger, meine Lieben? Nun aber merkt auf: Wird die geflicte Braut mit dem Verliebten vereinet: Dann kommt Ruhe und Glück, Fragender, über Dein Haus. Sora. Nein, das iſt nicht möglich! Andraſon. O ja; die Götter haben ſich diesmal ſehr ihrer poetiſchen Freiheit bedient. Lato. Habt fhr es nicht aufgeſchrieben? Andraſon. Freilich! Hier iſt die Rolle, mie ich ſie aus den Händen der Prieſter erhielt." Lato. Laßt es uns leſen! vielleicht wird es uns klärer. (Andraſon bringt eine Rolle aus dem Gürtel und wickelt ſie auf. Die Frauen- zimmer drängen ſid) wechſelsweiſe zu, rcſen, ladjen und madiin ihre Anerkungen, Es kommt auf den guten Humor der Sdjauſpielerinnen an, dieſes munter und an- genchi vorzuſtellen; deswegen ihnen überlaſſen biciót, hier zu extemporieren. Die Hauptabſicht dieſer Wiederholungen iſt, daß das Publikum mit dem Orakelſpruđ) redyt bekannt werde.) Ferin. Das iſt höchſt foriderbar und unbegreiflich! Wie iſt es dir weiter ergangen? Haſt du nicht irgend eine Auf- klärung gefunden? Aidraſon. Nicht Aufklärung, aber Hoffnung. Ver- wundert über die unverſchämte Dunkelheit der Äntwort, aber nicht außer Faſſung gebracht, trat ich aus der Höhle.. Ich fah den älteſten Prieſter auf einem goldenen Seſſel fiken. Ich nahte mich ihm, und indem ich einige Edelſteine in ſeinen Schoß legte, rief'ich aus: D welche Fülle der Weisheit kommt uns von den Göttern! Wie erleuchtet werden wir, die wir auf dunkeln Wegen irren, durch ihre Offenbarungen! Aber nicht raten allein, helfen müſſen die Unſterblichen. Der Jüng- ling, über den ich mich beklage, der mir das Leben verbittert, wird chſtens hier erſcheinen, voll zutrauens und Gehorſams. Möge Sie alles burchdringende Stimme der Götter ihn er- greifen, ſein Herz faſſen und ihm gebieten, nie wieder einen 206 Der Triumph der Empfindſamkeit. Fuß über ineine Schwelle zu ſeben! Mein Dank mürde ohne Grenzen bleiben. - Der Alte nickte mit dem Kopfe, fein weißer Bart bewegte ſich murmelnd; ich ging mit wechſelnder Hoffnung und Sorgen zurück und bin nun hier. Ferin. Möge alles zum beſten ausſchlagen! - Du verzeihſt, Bruder; ich muß vor Tafel mit meinen Räten, die ſchon lange warten, noch einige Geſchäfte abthun; ich laſſe dir die Kinder; unterhalte dich mit meinem muntern Ge- ſchlechte! Andraſon. Ich danke dir, Schweſter. Wenn ich dich miſſen ſoll, weiß ich nichts Bejlers, als dieſe freundlichen Nugen. Feria. Balb ſeh' ich sich wieder. (86.) Jora. Sagt uns nun, Herr, was Ihr denkt. Andraſoir. Von der geflicten Braut? Hora. Ich meine, was Ihr thun wollt.. Andraſoni. Thun, als ob das Drafel nichts geſagt hätte, mit meinem lebel beladen ivieder nach Hauſe gehn und nach meiner Frau ſehen, die ich in wunderbaren Zuſtänden anzu- treffen fürchte. Jorn. Was macht ſie denn indeſſen? Andraſon. Sie geht im Mondſcheine ſpazieren, ſchlum- mert an Waſſerfällen und hält weitläufige Unterredungen mit den Nachtigallen. Denn ſeitdem der Prinz weg iſt, einen Zug durch ſeine Provinzen und hiernächſt zum Drakel zu thun, iſt's nicht anders, als ob ihre Seele in einen langen Faden gezogen wäre, der bis zu ihm hinüber reichte. Eins noch, an dem ſie großes Vergnügen findet, iſt, daß fie Mono- bramen aufführt. Mann. Was ſind das für Dinge? Andraſon. Wenn ihr Griechiſch könntet, würdet ihr gleich wiſſen, daß das ein Schauſpiel heißt, wo nur eine Perſon ſpielt. Lato. Mit wem ſpielt ſie denn? Andraſon. Mit ſich ſelbſt, das verſteht ſich. Lato. Pfui, das muß ein langweilig Spiel ſein! Andraſoit. Für den Zuſchauer wohl. Denn eigentlich iſt die Perſon nicht allein, fie ſpielt aber doch allein; denii es fönnen noch mehr Perſonen dabei ſein, Liebhaber, Kammer- jungfern, Najaden, Dreaden, Hamadryaden, Shemänner, Hof- meiſter; aber eigentlich ſpielt ſie für ſich, es bleibt ein Mono- drama. Es iſt eben eine von den neueſten Erfindungen; Erſter Akt. 207 es läßt ſich nichts darüber ſagen. Solche Dinge finden großen Beifall. Sora. Und das ſpielt ſie ganz qllein für fich? Andraſon. O ja! Oder, wenn etwa Dolch oder Gift zu bringen iſt - denn es geht meiſtens etwas bunt her - wenn eine ſchreckliche Stimmé aus dem Felſen oder Burchs Schlüſſelloch zu rufen hat, ſolche wichtige Rollen nimmt der Prinz über ſich, wenn er da iſt, oder in ſeiner Abweſenheit ihr Kammerdiener, ein ſehr alberner Burſche; aber das iſt eins. Mela. Wir wollen auch einmal ſo ſpielen. Andraſon. Laßt's doch gut ſein und dankt Gott, daß es noch nicht bis zu euch gekommen iſt! Wenn ihr ſpielen wollt, ſo ſpielt zu zweien wenigſtens; das iſt ſeit dem Pa- radieſe her das Ueblichſte und das Geſcheiteſte geweſen. Nun noch eins, meine Beſten – daß wir die Zeit nicht mit frem- den Dingen verplappern -- meine Hoffnung, wieder glüdlich zu werden, ruht nicht allein bei den Göttern, ſondern auch auf euch, ihr Mädchen. Sorn. Auf uns? Andraſoir. Ja, auf euch! Und ich hoffe, ihr werdet bas Eure thun.. Mann. Wie ſoll das werden? Andraſoir. Der Prinz, wenn er nach dem Orakel geht, wird hier vorbeikommen, euch ſeine Ehrerbietung zu bezeigen, wie Fremde gewöhnlich thun, die dieſen Weg nehmen. Meine Schweſter wird artig ſein und ihm Quartier anbieten; ihm anbieten, daß fie feine Leute, ſein Gepäcke beherbergen will, indes er ſich ins Gebirge nach dem Drakel tragen läßt, wo jeder, er ſei, wer er wolle, allein, ohne Gefolge anlangen muß. Wenn er nun kommt, meine Beſten, ſo fucht ſein Herz zu rühren. - Fhr ſeid liebenswürdig. Ich will die als eine Göttin verehren, die ihn an ſich zieht und mich von ihm befreit. Sorn. Gut! Euch iſt er unerträglich, und uns wollt Fhr ihin zuſchieben! Wenn er uns nun auch unerträglich iſt? Andraſon. Seid ruhig, Kinder! Das findet ſich. Ihr andern liebt meiſtenteils an den Männern, was Männer an ſich untereinander nicht leiden können. Und gewiß, er iſt ſo übel nicht und wäre, denk' ich, noch zu kurieren. Meln. Wie ſollen wir es denn anfangen? Andrnſon. Bravo, liebes Kind! du zeigſt doch guten 208 Der Triumph der Empfindſamkeit. Willen! Ich muß erſt eure Anlagen ein. wenig kennen lernen. Laſt ſehn! Stellt euch vor, ich ſei der Prinz; ich will an- fommen, ſchmachtend und traurig thun — wie wollt ihr mich empfangen? (Sie beginnen einen lebhaften Tanz.) Andraſon. Nicht doch, Kinder, nicht doch! Meint ihr, daß alles Wild nach einer Witterung geht? Mit einem folchen Bauerntanz wollt ihr meinen fublimierten Helden ge- winnen? Nein! Šeht auf mich! Das muß in einem andern Geiſte traktiert werden. Sanfte Muſik. (Er macht ihnen die hergebrađiten Bewegungen vor, womit die Sojauſpieler gewöhnə lich die Empfindungen auszudrücken denken.) Andraſon. Habt ihr wohl acht gegeben, Kinder? Erft- lich, immer den Leib vorwärts gebogen und mit den Knieen gefniðt, als wenn ihr fein Darf in den Knochen hättet! Hernach immer eine Hand an der Stirne und eine am Herzen, als wenn's euch in Stücken ſpringen wollte; mitunter tief Atem geholt, und ſo weiter. Die Schnupftücher nicht vergeſſen! (Die Mujit geht fort, und die Fräulein Defolgen ſeine Vorſdrift. Er ſtellt den Prinzen vor; bald korrigiert er ſie, bald nimmt er die Perſon des Prinzen wieder an; endlid; hört man eine Trompete in der Ferne.) Andraſoir. Aha! Lato. Es wird aufgetragen. Andraſon. Es heißt zu Pferde und zu Tiſche! Beides eine ſchöne Einladung. Kommt! Dieſe Empfindſamkeit zuleßt hat mich hungriger gemacht, als meine Reiſe bisher. Zweitei Nkf. Saal, in chineſiſchem Geſchmacke, der Grund gelb mit bunten Figuren. Mana und Sora. Mann. Nun, das heiß? ich ein Gepäcke! Der ganze Hof iſt voll Kiſten, Kaſten, Mantelſäcke und ungeheurer Ver- ſchläge. Sora (läuft and Fenſter). Wir werden ihm den ganzen Flügel des Palaſtes geben müſſen, nur ſeine Sachen unterzubringen. Wann. Es iſt abſcheulich, wenn Mannsperſonen reiſen, als ob ſie Wöchnerinnen wären. Ileber uns halten ſie ſich Zweiter Akt. 209 auf, daß, wenn wir doch auf vier Wochen ins Bad gehn, der Schachteln, Käſtchen, Pappen und Wachstücher fein Ende werden will; und ſich erlauben ſie's! Sora. 'Wie mehr Sachen, liebes Kind, die ſie uns übel nehmen. Ein Bedienter (kommt). Bedienter. Der Kavalier Ses Prinzen läßt fich melden. Plana. Führt ihr herein! (Pedicnter ab.) Siel zu, es hat ſich doch nichts an meinem Kopfpuke verſchoben? Sora. Halt! - Die Locke hier! – Er kommt. Merkulo (tritt Herein). Merkulo. Vollkommene Damen! Es ſind nicht viel Augenblicke meines Lebens, worin ich mich ſo glücklich fühlte, als in dem gegenwärtigen. Sonſt werden wir armen Diener meiſtenteils bei verdrießlichen Angelegenheiten vorgeſchoben, bei angenehmen Ereigniſſen ſtehen wir zurück; aber diesmal erhebt mich mein Prinz über ſich ſelbſt, indem er mich voraus in die Wohnung des Vergnügens und der Reize ſendet. Mana. Sie ſind ſehr gütig. Sorn. Und recht willkommen. Wir haben ſo viel Gutes von dem Prinzen gehört, daß wir vor Neugierde brennen, ihn zu ſehen. Merkulo. Mein Fürſt iſt glücklich, daß er ſchon in der Entfernung fhre Aufmerkſamkeit hat auf ſich ziehen können; und wenn er, wie ich nicht anders hoffe, durch ſeine Gegens wart Ihre Gunſt erhalten ſollte, ſo kann er ſich als den glüdlichſten der Menſchen Preiſen. Dürfte ich nicht indes Threr Prinzeſſin aufwarten, an die er mir eine Unzahl Ver- bindlichkeiten aufgettagen hat? Mana. Sie werden ihr bald vorgeſtellt werden können. Sie hat uns befohlen, Shnen dieſe und die anſtoßenden Zimmer anzuweiſen. Bedienen Sie ſich davon, ſo viel und wie Sie's nötig finden. Merkulo. Wollen Sie mir erlauben, daß ich unſere Gerätſchaften, deren freilich nicht wenige find, herein und in Ordnung bringen laſſe? Mana. Nach Ihrer Bequemlichkeit. (Mertuſo mit einer Verbeugung ab.) Sorn. Wir wollen bleiben. Ich bin gar zu neugierig, was ſie alles mitbringen. Goethe, Werte. VI. 1.1. 210 Der Triumph der Einpfindſamkeit. Es läßt ſid, cin lebhafter Marjd hören, und es komint ein Zug. Merkulo voraus, Dverite, die Wache, ſodann Trabanten, weldje Naſten von verſdicdener Größe tragen, vier Mohren, die eine Laube bringen, und Gefolge. Sie imgchen das Theater. Die Naſten werden auf beiden Seiten, die Laube in den Grund und ein großer Staſten auf die Laube gecizt. Die ſlummen Perſonen gehen alle au, der Marſd) hört auf. Es bleiben : Sora. Mana. Mierkulo. Horn. Wer ſind denn die hübſchen bewaffneten jungen Leute, und wer iſt der Herr, der uns ſalutierte? Merkulo. Das iſt der Oberfte über des Prinzen Kriegs- volf, und die andern ſind junge Edelleute, militäriſche Edels knaben meines gnädigſten Herrn und loſe Vögel. Mana. Wir erſtaunen, mein Herr! Sie führen Deko- rationen mit ſich! Wollen Sie etwa eine Komödie ſpielen? Vermutlich iſt die Theatergarderobe in dieſen Kaſten? Merkulo. Verzeihen Sie, meine Damen! – Eigentlich ſollte ich den Finger auf den Mund legen und Sie mit guter Ärt bitten, dieſen Saal, ber von nun an ein Platz der Ge- heimniſſe wird, zu verlaſſen: allein wie vermag ich das gegen ſhre Güte und gegen Ihre Neize! Nur vor unheiligen, fremden Augen bewahren wir unſere heiligen Empfindungen, nicht vor ſo angenehmen Seelen, deren Teilnehmung wir wünſchen. Horn. Sagen Sie uns ums Himmels millen, was foll die Laube? Werkulo. An dieſem Zug, meine ſchönen Kinder, können Sie einen großen Teil des Charakters ineines liebenswürdigen Prinzen erkennen. Er, der empfindſamiſte Mann von allen Männern, der für die Schönheiten der Natur ein gefühlvolles Herz trägt, der Rang und Hoheit nicht ſo ſehr ſchätzt, als den zärtlichen Umgang mit der Natur – Horn. Ach, Das iſt ein Mann für uns! Wir gehen auch gar zu gern im Mondſchein ſpazieren und hören die Nachtigallen lieber als alles. Werkulo. Da iſt eins zu bedauern, meine vortrefflichen Damen! Mein Prinz iſt von ſo zärtlichen, äußerſt empfinds ſamen Nerven, daß er ſich gar ſehr vor der Luft und vor ſchnellen Abwechſelungen der Tageszeiten hüten muß. Frei- lich unter freiem Himmel kann man's nicht immer ſo tem- periert haben, wie man wünſcht. Die Feuchtigkeit des Morgen- und Abendtaues halten die Leibärzte für höchſt ſchädlich, den Duft des Mooſes und der Quellen bei heißen Sommer- tagen für nicht minder gefährlich. Die Ausdünſtungen der Zweiter Akt. 211 Thäler, wie leicht geben die einen Schnupfen! Und in den ſchönſten, wärmſten Mondnächten ſind die Mücken juſt am unerträglichſten. Hat man ſich auf dem Raſen ſeinen Ge- danken überlaſſert, gleich ſind Sie Kleider voll Ameiſen, und die zärtlichſte Empfindung in einer Laube wird oft durch eine herabfahrende Spinne geſtört. Der Prinz hat durch ſeine Akademieen Preiſe ausgeſetzt, um zu erfahren, ob dieſen Beſchwerden zum Beſten der zärtlichen Welt nicht abgeholfen werden könne? Es ſind auch verſchiedene Abhandlungen ge- Frönt worden; die Sache aber iſt bis jeko noch um kein Haar weiter. Sora. D, wenn je ein Mittel gegen die Mücken und Spinnen erfunden werden ſollte, machen Sie es doch ja ge- meinnüßig! Denn wenn man oft in himmliſchen Entzückungen aufgefahren iſt, erinnert einen das leidige Geziefer mit ſeinert Stacheln und krabbligen Füßen gleich wieder an die Sterb- lichkeit. Merkulo. Inzwiſchen, meine ſchönen Damen, hat der Prinz, der ſeinen Genuß weder verſchoben noch unterbrochen haben will, den Entſchluß gefaßt, durch tüchtige Künſtler fich eine Welt in der Stube zu verſchaffen. Sein Schloß iſt daher auf die angenehmſte Weiſe ausgeziert, ſeine Zimmer gleichen Lauben, ſeine Säle Wäldern, ſeine Kabinette Grotten, so ſchön und ſchöner als in der Natur; und dabei alle Bequem- lichkeiten, die Stahlfedern und Reſſorts nur geben können. Born. Das inuß ſcharmant ſein! Merkulo. Und weil der Prinz ſo ſehr bran gewöhnt iſt, wie er denn in jedem Luftſchloß ſeine Natur hat, ſo haben wir auch eine Reiſenatur, die wir auf unſern Zügen überall mit herumführen. Unſer Hofetat iſt mit einem ſehr geſchickten Manne vermehrt worden, dem wir den Titel als Natur- meiſter, Directeur de la nature, gegeben haben. Er hat eine große Anzahl von Künſtlern unter ſich. Ein würdiger Schüler von ihm iſt dieſer Mann hier, der unſere Natur auf der Reiſe beſorgt und den ich die Ehre habe Shnen in dieſer Qualität zu präſentieren. Was uns allein noch abgeht, das ſind die kühlen Lüftchen. Die Verſuche Savon ſind immer noch un- vollkommen; wir hoffen aber, aus Frankreich auch dieſem Mangel nächſtens abgeholfen zu ſehen. Sora. Um Vergebung, was iſt in dem Kaſten da? Darf man's wiſſen? Merkulo. Geheimniſſe, meine ſchönen Fräulein, Geheim- 212 . Der Triumph der Empfindſamkeit. niſſe! Aber Sie haben das Geheimnis gefunden, die Ge- weiter nichts verborgen bleibt." Hier führen wir die vorzüg= lichſten Glückſeligkeiten empfindſamer Seelen bei uns. In dieſem Kaſten ſind ſprudelnde Quellen. Mana. O! Merkulo. Hier in dieſem iſt der Geſang, der lieblichſte 1 Mana. Warun nidhit gar? Merkulo. Und hier in dieſem größern iſt Mondſchein eingepackt. Sorn. Es iſt nicht möglich! Laſſen Sie's uns doch ſehen! Merkulo. Es ſteht nicht in meiner Gewalt. Der Prinz allein weiß dieſe Herrlichkeiten in Bewegung und Leben zu fetzen. Er ganz allein darf ſie fühlen; ich könnte Ihnen nur den groben Stoff ſichtbar machen. Mana. D, wir müſſen den Prinzen bitten, daß er uns die Maſchinen einmal ſpielen läßt! Merkulo. Uns Himmelswillen, laſſen Sie ſich nichts merfen! Und beſonders unter dem Titel von Spielen würde der Prinz ſeine Liebhabereien nicht erkennen. . Jeder Menſch, meine ſchönen Fräulein, treibt ſeine Liebhabereien ſehr ernſthaft, meiſtens ernſthafter, als ſeine Geſchäfte. In- deſſen halte ich für Schuldigkeit, Fhr Vergnügen, ſo viel an mir iſt, zu befördern, und wollte Ihnen gern unſere Raritäten, menngleich nur (eblos, vorzeigen, wäre nur die Dekoration des Saales einigermaßen mit dieſer eingeſchloſſenen Natur übereinſtimmend. Mana. So vollkommen muß man die Fluſion nicht verlangen. Forn. Dem iſt leicht abzuhelfen. Wir haben ja die gemirften Tapeten, die nichts als Wälder und Gegenden vorſtellen. Merkulo. Das wird allerliebſt ſeint. Forn. He! (Ein Bedienter kommt.) Sagt den Hoftapezier, er foll die gewirkte Waldtapete gleich herunter laſſen! Merkulo. Un mir foll's auch nicht fehlen. Muſit. (Er gibt ein Zeidien, und in dem Augenblicke, als ſich die Szene in Wald ver- wandelt, verwandelil ſich die Naſten in Rajenbänke, jelſen, Geviiſde und ſo weiter, der Maſten über der Laube in Wolfen. Der Dekorateur jvird ſorgen, daß das Ganze übereinſtimmend und reizend ſci und mit der veridirvinderiden Detoration cinen recht fühlbaren Kontraſt mache.) foto e cucing herunter ratif tapezier, er Zweiter Akt. 213 Merkulo. Bravo! Bravo! Horn. O wie ſchön! (Sie Þeſehen alles auf das emïigſte, ſo lange dic Muſik fortdauert.) Mann. Die Dekoration iſt allerliebſt. Merkulo. Im Vergebung, nicht Dekoration, ſondern künſtliche Natur nennen wir das; denn das Wort Natur, merfen Sie wohl, muß überall dabei ſein. Sora. Scharmant! Allerliebſt! Merkulo. Da muß ich Sie noch ein Kunſtwort lehren, mit den weit zu reichen iſt. Scharmant! Allerliebſt! das fönnten Sie allenfalls auch von einer Florſchürze, von einem Häubchen ſagen. Nein, wenn Sie etwas erblicken, es ſei, was es molle, ſehen Sie es ſteif an und rufen: Ach! was das für einen Effekt auf mich macht! - Es weiß zwar kein Menſch, was Sie eigentlich ſagen wollen; denn Sonne, Mond, Fels und Waſſer, Geſtalten und Geſichter, Himmel · und Erde und ein Stück Glanzleinemand, jedes macht ſeinen eignen Effekt ; was für einen, das iſt ein biſschen ſchwerer auszudrücken.. Halten Sie ſich aber nur ans Allgemeine: Ach! was das für einen beſondern Effekt auf mich macht! - Jeder, der dabei ſteht, ſieht auch hin und ſtimmt in den be- ſondern Effekt mit ein; und dann iſt's ausgemacht – daß die Sache einen beſondern Effekt macht. Mana. Mit allem dem ſcheint mir Ihr Prinz Liebhaber vom Theater. Merkulo. Sehr, ſehr! Das Theater und unſere Natur ſind freilich nahe mit einander verwandt. Dabei iſt er ein trefflicher Schauſpieler. Wenn Sie ihn bereben könnten, etwas vor Ihnen aufzuführen! Hora. Haben Sie denn eine Truppe bei fich? Merkulo. Das nicht! Wir ſind aber alle eine Art von Komödianten. Und dann agiert der Prinz, wenn's dazu kommt, meiſtenteils allein! Horn. Ach! davon haben wir ſchon gehört. Merkulo. Ei! – Sehen Sie, meine Damen, das iſt eine Erfindung oder vielmehr eine Wiederauffindung, die unſern erleuchteten Zeiten aufbehalten war. Denn in den alten Zeiten, ſchon auf dem römiſchen Theater, waren die Monodramen vorzüglich eingeführt. So leſen wir zum Erempel vom Nero - Mang. Das war der böſe Kaiſer ? Merkulo. Es iſt wahr, er taugte von Haus aus nichts, . Das sie denn eine su Komobile 214 Der Triumph der Empfindſamkeit. war aber drum doch ein exzellenter Schauſpieler. Er ſpielte bloß Monodramen. Denn erſtlich ſagt Suetonius – Nun, das werden Sie alles in der trefflich gelehrten Schrift eines unſerer Akademiſten über dieſe Schauſpielart leſen! Sie mird auf Befehl unſers Prinzen geſchrieben und auf ſeine Koſten gedruckt. Wir führen aber auch die neuſten Werke auf, wie man ſie von der Meſſe. Friegt: Monodramen zu zwei Per- ſonen, Duod ramen zu dreien, und ſo weiter. Hora. Wird denn auch drin geſungen ? Merkulo. Ei, geſungen und geſprochen! Eigentlich weder geſungen, noch geſprochen. Es iſt weder Melodie, noch Geſang brin, deswegen es auch manchinal Melodram genannt wird. Sora. Wie iſt das? Merkulo. Gelegentlich, meine Fräulein! Gelegentlich ! ...Sora. Nun, wir hoffen, der Prinz ſoll gut Freund mit uns werden. Wir hoffen, Sie ſollen recht lange bei uns bleiben. Sie bleiben doch recht lange bei uns? Merkulo. Gar zu gütig! – Ach, wer glauben könnte, daß ſo eine Einladung aus einem ſo ſchönen Herzen fäme! Es iſt aber leider eins der gewöhnlichen Hoffomplimente, womit man einen Fremden bewillkommt, nur um ſich zu ver- fichern, daß er bald wieder weggehen werde. Mana. Warten Sie nur, wir haben dem Prinzen ſchon allerlei Scherze von unſrer Art zugedacht, die ihn gewiß unterhalten ſollen. Merkulo. Meine Fräulein, ich wünſche Ihnen Glück und uns allen! Möchten Sie ſein Herz, fein zärtlich Herz gewinnen und ihn durch fhren Liebreiz aus der fanften Traurigkeit ziehen, in der er verſchmachtet! Sora. Ach! wir haben auch zärtliche Herzen, das iſt juſt recht unſere Sache. Mann. Bringen Sie uns nicht auch neue Liedchen mit? Horn. Ja, wir haben's in der Art, wenn wir eine hübſche Melodie finden, fingen wir ſie meiſt tot, daß ſie kein Menſd mehr hören mag. Wana: Kein Liedchen an den Mond? Merkulo. D, deren haben wir verſchiedene. Ich kann gleich init einem aufwarten. Horn. Thun Sie's ja! Merkulo (ingt). Du gedrechſelte Laterne, Ueberleuchteſt alle Sterne, Dritter Art. 215 Und an deiner fühlen Schnuppe Trägſt du der Sonne mildeſten Glanz. Sora. D pfui, das iſt gar nichts Empfindſames ! Merkulo. Schönes Kind, ums Himmels millen! es iſt . aus dem Griechiſchent. Mann. Es gefällt mir ganz und gar nicht. Merkulo. Daran iſt wohl die Melodie ſchuld, ich hab' es immer gedacht. Das Lied an ſich ſelbſt iſt gewiß vor: · trefflich; hören Sie nur ! (Er ſingt's auf die Melodie: Monseigneur, voyez nos larmes, und die Fräulein fangen an mitzuſingen.) Bediente. Der Prinz kommt! Man eilt ihm entgegen! (M erkulo und die Fräulein gehen ſingend ab.) Drifter Akt. Wald, die. Laube im Grunde, wie zu Ende des vorigen Akts. Die vier Fräulein führen den Prinzen unter einer fanften Muſik herein. Merkulo folgt ihnen. Die Frauenzimmer bemühen ſidi in cinem gefälligen Tanze um den nachdenklidhen und in idh felbit verſunkenen Antömmling; er anta wortet ihren Freundlichkeiten nur gezwungen. Da die Mujit einen Äugenblick pauſiert, ſpridit: Merkulo (für ſid)). Das ſind recht homeriſche Sitten, wo die ſchönen Töchter des Hauſes ſich um die Fremben bemühen. Ich hätte wohl Luft, mich ins Bad zu ſetzen und mich ab- reiben zu laſſen. Die Muſit geht fort; endlid, da die Fräulein ihre Bemühungen ganz vergeblich ſehen, eilen ſie verdrießlid, davon, und es bleiben : Prinz und M er kulo. Prinz. Geſegnet feiſt du, liebe Einſamkeit! Wie erbärm- lich habe ich mich ſeit dem Eintritt in dieſes Haus zwingen müſſen! Merkulo. Das muß ich Eurer Durchlaucht befeunen, daß mir's manchmal unbegreiflich geweſen iſt, wie Sie ſich an einer wohlbeſeßten Tafel 'und zwiſchen liebenswürdigen Frauen ennuyieren können. Prinz. Es iſt nicht langeweile, es iſt die Gefälligkeit dieſer angenehmen Geſchöpfe, die mich ängſtet. Ach! warum muß ich šem weiblichen Geſchlechte zur Qual geſchaffen. fein? Denn nur eine kann mein Herz beſitzen, und die übrigen – Ach! --- 216. Der Triumph der Empfindſamkeit. Merkulo. Die hab' ich ſchon oft bedauert, und ich hab' ihnen auch gelegentlich mein Mitleiden auf eine ſo überzeu- gende Art zu verſtehen gegeben, daß ich wirklich ſagen kann: ich habe das Glück gehabt, einigen das Leben zu friſten, die auf dem Sprunge ſtanden, durch Fhre Grauſamkeit in die elyſiſchen Felder vertrieben zu werden. Prinz. Rede davon nicht! vermehre nicht meinen Kummer! Merkulo. Ich fage nichts; denn wenn man Ihren hohen Stand und Ihre trefflichen Qualitäten zuſammennimmt, ſo iſt's evident, Saß einer Ihrer Blicke ganz unglaubliche Bea wegungen in einem ſchönen Herzen hervorbringen muß. . Prinz. Meinen Stand erwähnſt du, Unglüdlicher? Was iſt mein Stand gegen dieſes Herz ? Merkulo. Halten Sie mir’s zu Gnaden. Wir wollen der Sache ihr Recht anthun. Eine wahre Liebe iſt 2. E. was Vortreffliches; aber eine wahre Liebe mit einem wohlgeſpickten Beutel, darüber geht gar nichts. So auch, was den Stand betrifft - Prinz. Rede nur nicht immer! nicht ſolche Dinge! Merkulo. Nein, ich müßte undankbar ſein, wenn ich es nicht geſtände, nicht bekennte! In Ihrer Nähe, mein Gebieter, bin ich ohnehin ſicher. Jhre fürſtliche Gegenwart zieht, wie ein Gewitterableiter, alle Elektrizität zärtlicher Herzen an ſich, daß wir andern vorm Sinſchlagen ganz geſichert ſind. Prinz. Iſt es bald Elfe? Berkulo. Es wird gleich ſein, und ich gehe, um Sie Ihren Empfindungen in der feierlichen Stunde der Mitter- nacht allein zu überlaſſen. Es iſt eine vortreffliche neuere Erfindung, daß jeder Stunde, jeder Tageszeit ihre eigenen Gefühle gewidmet ſind. Darin waren die Alten rechte Tröpfe. In ihren Schauſpielen konnte das Feierlichſte, Schrecklichſte bei hellem Tage und unter freiem Himmel vorgehn; unter Elfe und Zwölfe thun wir's aber gar nicht, und ohne Särge, Kirchhöfe und ſchwarze Tücher läßt ſich nichts Rechts aus- richten. Prinz. Sind meine Piſtolen geladen? Merkulo. Auf Ihren Befehl, wie immer. Aber ich bitte Sie um Gotteswillen, erſchießen Sie ſich nicht einmal! Prinz. Sei ruhig! (Es jdlägt Elfe.) Es ſchlägt! Merkulo. Sie haben hier eine Glocke, die gar keinen feierlichen Ton hat. Es klingt, als wenn man auf Blech Dritter Akt. 217 hämmerte; mich könnte nun ſo etwas gleich vollkommen aus meiner zärtlichſten Faſſung bringen. Die Muſit gibt einige Laute und entfernte Melodieen zum folgenden an. Prinz. Schweig! Unheiliger! und entflieh! Merkulo. Ab! (Ab.) Prinz. Vergebens ſucht ihr mich durch eure Schönheit, durch euer einſchmeichelndes Weſen abzuziehen, von den Ge- danken wegzuwenden, die ich immer mit den Armen meiner Seele umſchlungen halte. Fahrt wohr, ihr ſterblichen Mädchen! Das Unſterbliche umſchwebt meine Stirne, und die Geiſter ſteigen herab, meine Wohnung zu beleben und mein Herz zu beſeligen. Die feierlidie Muſik geht fort, die Waſſerfälle Fangen an zu rauſchen, die Vögel zu jingen, der Mond zu jdeinen. Prinz. Dich ehr ich, heiliges Licht, Reiner, hoher Gefühle Freund! Du, der du mir Der Liebe ſtoðende Schmerzen Im Buſen auf zu ſanften Thränen (öfeſt! Ach, welche Seligkeiten fäuſelſt du mir jns tiefe Heiligtuin der Nacht ũnd deuteſt mir Auf der geheimnisvollen Liebe Ruheſtätte ! Ach, verzeih? Ach, mein Herz Fühlt nicht immer gleich! Verzeih dem trüben Blick auf deine Schönheit! Verzeih dem flüchtigen! (Nadı der Laube gekehrt.) Hier, hier wohnt meine Gottheit, Die ganz mein Herz nach ihrem Herzen zieht! 15 Dies Pochen und dies zittern! Ha! es ſchlägt dem Augenblick entgegen, Wo die Zauberei Die Seligkeit des Wahren überflügelt! D, den Genuß, ihr Götter, gabt ihr mir! O, den Genuß bewahret mir, ihr Götter! Die Laube thut ſid, auf, man ſicht ein Frauenzimmer darin jitzen : jie muß voll- fonment an Geſtalt und Kleidung der Schauſpielerin gleiden, die nachher als Ma iid and a 11 e auftritt. Prinz. Himmel, fie iſt's! Himmel, ſie iſt's! Seligkeit tauet herab. - - 10 20 218 Der Triumph der Empfindſamkeit. Deine Hand an dieſes Herz, Geliebte, ſüße Freundin! Du ganz für mich Geſchaffne, Ganz durch Sympathie Gefundene, Gewählte ! In dieſer ſchönen Stimmung unſrer Herzen Wird. mir ein Glück, das nur die Götter kennen. 30 Ach! in hohen Himmelsfreuden Fühl' ich ſchaudernd mich verſchweben! Ha! vor Wonne ſtockt mein Leben, Štodt der Atem in der Bruſt! Ach! umweht mich, Seligkeiten! Lindert dieſes heiße Streben Und in wonnevolles Leben Löſet auf die ſchöne Luſt! Während der letzten Nadenz, da die inſtrumente die Stimme zu lange nadjahinen, ſcht ſich der Prinz auf cine Rajenbank und ſchläft cudlid, cin. Man gibt ihm ver- dicdiiemal den Ton an, damit er einfallen und ſchließen möge; allein er rührt jid) nicht, und es entſteht eine Verlegenheit im Orcheſter; endlich ſieht ſid, die erſte Violine genötigt, die Staderiz zu dließen, die Inſtrumente fallen ein, die Daube geht zu, der mittlere Vorhang jällt nieder, und es zeigt ſids: Gin Vorſaal. Feria und die vier Fräulein. Feria. Mich dünft, der Prinz pflegt ſeiner Nuhe ziem- lich lange. Es ſoll nicht geſagt ſein, daß ein Mann in unſerm Schloſſe ungeſtraft die Morgenröte herbeigeſchlafen habe! Sind die Klappern bei der Hand und die Raſſeln? Wir wollen ihm ein Schariwari machen und die fatale Schläf- rigkeit, unſre verhaßte Nebenbuhlerin, von ſeinen Augen peitſchen. Lebhafter Tanz zu Fünfen mit Raſtagnetten und Metallbecken; mitunter tanzt ria jolo. Der D ber ft e kommt, die Prinzcilin zu bitten, daß fie des Prinzen Nube nidit ſtöreit möge, indem die Da die die Fräulein aufhalten will.' Dicje madien immer ärgern Lärm. Der hintere Vorhang geht auf; das Theater iſt wieder wie zu Anfang des Arts; M c r tú lo tritt zu gleicher Zeit herein, der Prinz fährt bewegt von ſeiner Naſenbank in die Höhe, ergrimint und jingt: Ja, ihr ſeid's, Erinnyen, Mänaden! Ohne Gefühl für Liebe, Ohne Gefühl für Schmerz! Ich hofft', im Arm der Šrazien zu baden, Und ihr zerreißt mein Herz! Mein Herz! mein Herz! Zerreißt mein Leidend Herz! 40. 45 Dritter Akt. 219 Während der Urie begibt ſid) Feria, die Fräulein und die W a de, eins nach dem andern, auf die Seite; es bleiben allein: Prinz und Merkulo. Merkulo. Mein Prinz, faſſen Sie ſich! Prinz. Mein Freund, welche tödliche Wunde! Merkulo. Gnädiger Herr, nur Sdariwari! Prinz. Ich will weg! dieſen Augenblic mich in die Einſamkeit des Gebirges verlieren! Merkulo. Was wird die Prinzeſſin, was werden die Damen denken? Prinz. Denken ſie doch auch nicht, wen ſie vor ſich haben. Ohne das mindeſte Gefühl für das Hohe, Ueber- irðiſche meiner Stimmung, raſſeln ſie mit knirſchenden Tönen der Vorhölle frein. Ach, ihr goldnen Morgenträume, wo jeid ihr hin? auf ewig ! auf ewig! . Merkulo. Es war nicht böſe gemeint. Schon vor Sonnenaufgang waren die Mädchen geſchäftig, ein Dejeuner im Garten zurecht zu machen; wir haben auch wirklich den Morgenſtern mit Bratwürſten in der Hand und einem vor- trefflichen Glas Cyperwein bewillkommt. Man fürchtete, es möchte alles kalt werden, verderben, und wir wollten Ihr an- genehmes Geſicht im Glanz der, erſten Morgenſonne genießen. Prinz. Ja, mit Schellen und Klapperblechen genießt man Sen Morgen! – Fort! – Deb wohl! Merkulo. Gnädiger Herr! Prinz. Du weißt, meine Entſchließungen ſind raſch und feft. Merkulo (für ſid)). Leider ! Prinz. Ich gehe nach dem Drafel! Laß aufs ſchärfſte dieſes Heiligtum bewachen, daß unter feinem Vorwand eine Lebendige Seele einen Fuß herein ſeke! Merkulo. Bleiben Sie beruhigt! Prinz. Leb wohl! (Ab.) 220 Der Triumph der Empfindſamkeit. . 55 Vierfer Nkf. Andraſons Schloß, eine rauhe und felſige Segend, Höhle im Grunde. Mandandanens tammerdiencr als us ka laphus tritt auf mit einem Neverend und ſpricht den Prologus. Herren und Frauen allzugleich, Merkt wohl, das hier iſt Plutos Reich, Und ich, wie ich mich vor euch ſtelle, Das ich zuerſt bedeuten muß, Ich nenne mich Askalaphus Und bin Hofgärtner in der Hölle. Die Charge iſt hier unten neu: Denn ehemals war Elyſium badrüben, Die rauhen Wohnungen dahüben, Man ließ es eben ſo dabei. — Nun aber kam ein Lord herunter, Der fand die Hölle gar nicht munter, Und eine Lady fand Elyſium zu ſchön. Man ſprach ſo lang, bis daß der feltne Guſto ſiegte Und Pluto ſelbſt den hohen Sinfall kriegte, Sein altes Reich als einen Park zu ſehn.' Da ſchleppen nun Titanen ohne Zahl, Den alten Siſyphus mit eingeſchloſſen, Naſtlos geſchunden und verdroſſen, Gar manches ſchöne Berg und Thal Zuſammen. Áus den Flutenden Flaminen Des Acherons herauf Müſſen die ewigen Felſen jetzt! lind gält's tauſend Hände, Sie werden an irgend einem Ende Als Point de vue zurecht geſekt. Um eins nur iſt es jammerſchade, Ums ſchöne Erdreich in "Elyſium! Aber es iſt keine Gnade, Wir gehn damit ganz ſündlich um. Sonſt Sankt man Gott, wenn man die Steine Vom Acker hat; 60 Vierter Art. 1. 221 Aber hier! ſechs Meilen herum ſind keine zu finden mehr, und wir haben es noch nicht ſatt; 30 Damit verſchütten wir den Boden, Wo das weichſte Gras, Die liebſten Blümchen Blühen, und warum das? Alles um des Mannigfaltigen willen. Ein friſcher Wald, eine feine Wieſe, Das iſt uns alles alt und klein; Es müſſen in unſerm Paradieſe Dorn und Diſteln ſein. 90 Dafür aber auch graben wir in den Hainen Elyſiums die ſchönſten Bäume aus Und feßen ſie, wo wir es eben meinen, An manche Teere Stelle Herüber in die Hölle, Um des Cerberus Hundehaus, Und formieren das zu einer Kapelle. 95 100 105 Denn, notabene! in einem Park Muß alles ideal ſein, Und salva venia jeden Quark Wickeln wir in eine ſchöne Schal ein. So verſtecken wir zum Erempel Einen Schweinſtall" hinter einen Tempel; Und wieder ein Stall, verſteht mich ſchoir, Wird geradeswegs ein Pantheon. Die Sach iſt, wenn ein Fremder drin ſpaziert, Daß alles wohl fich präſentiert; Wenn's bem denn hyperboliſch Dünft, Poſaunt er's hyperboliſch weiter aus. Freilich der Herr vom Haus Weiß meiſtens, wo es ſtinkt. Wie ich alſo ſagte: unſre elyſiſchen Bäume Schwinden wie elyſiſche Träume, Wenn man ſie verpflanzen will. Ich bin zu allen Sachen ſtill: Denn in einem Park iſt alles Prunk; Verdorrt ein Baum und wird ein Strunf, Ha, ſagen ſie, da ſeht die Spur, Wie die Kunſt auch hinterdrein der Natur 110 110 110 116 222 Der Triumph der Empfindſamkeit. 120 . 125 130 Im Dürren iſt. - Ja, leider ſtark ! Was ich ſagen wollte: zum vollkommnen Park Wird uns wenig mehr abgehn. Wir haben Tiefen und Höhn, Eine Muſterkarte von allem Geſträuche, Krumme Gänge, Waſſerfälle, Teiche, Pagoden, Höhlen, Wieschen, Felſen und Klüfte, Sine Menge Reſeda und andres Gedüfte, Weimutsfichten, babyloniſche Weiden, Ruinen, Einſiedler in Löchern, Schäfer im Grünen, Moſcheen und Türme mit Kabinetten, Von Moos ſehr unbequeme Betten, Obelisken, Labyrinthe, Triumphbögen, Arkaden, Fiſcherhütten, Pavillons zum Baden, Chineſiſch-gotiſche Grotten, Kiosken, Ting$, Mauriſche Tempel und Monumente, Gräber, ob wir gleich niemand begraben - Man muß es alles zum Ganzen haben. · Ein einziges iſt noch zurücke, Und drauf iſt jeder Lord ſo ſtolz: Das iſt eine ungeheure Brücke Von Holz Und einem Bogen von Hängewerk, Die iſt unſer ganzes Augenmerk. Denn erſtlich kann fein Park beſtehn Dhne fie, wie wir auf jedem Kupfer ſehr. Auch in unſern toleranten Tagen Wird immer mehr brauf angetragen, Auf Kommunikation, wie bekannt, Dem man ſich auch gleich ſtellen muß; Elyſium und Erebus Werden vice versa tolerant. 135 140 145 145 150 Wir freuten uns der Brücke ſchon; Doch, leider, Acheron und Pyriphlegéthon Speien ewige Flammen, Da fehlt's uns an geſcheiten Leuten; Und bringen wir die Brücke nicht zuſammen, So will der ganze Park nichts bedeuten; Das Koſtüme leidet weder Érz noch Stein,' Von Holz muß ſo eine Brücke ſein. 155 Vierter Akt. 223 160 Aber, warum ich komme? ohne Zeit zu verlieren: Plutos ſchönes junges Weib Geht gewöhnlich hierher ſpazieren; Denn drin iſt nicht viel Zeitvertreib. Da ſucht ſie bei den armen Toten So ſchöne Gegenden, wie auf Siziliens Boden; Wir haben's aber nur in Gedichten. Dann fragt ſie täglich nach herrlichen Früchten; 165 Wir haben aber feine zu reichen: Pfirſchen, Trauben, darnach liefen wir weit; Holzbirn’, Schlehen, rote Beerchen und dergleichen Sft alles, was bei uns gedeiht. (Zwei yölliſ() e Geiſter bringen einen Granatenbaum in einem Kübel.) Drum hab' ich zu einem Treibhaus geraten Und brüte, zunt Erempel, dieſe Granaten in einem froſtbedeckten Haus Mit unterirdiſchem Feuer aus; Den will ich in die Erde kleben, (er macht alles zurecht, wie er's ſagt) Mit Felſen, Raſen, Moos umgeben, Daß meine Königin vermeine, Es wüchſe alles aus dem Steine, Und, wenn ſie den Betrug verſpürt, Den Künſtler lobe, wie ſich's gebührt. (Wb.) 170 QUUS 175 180 Vorbereitende Muſik, ahnend ſeltene Gefühle. Mandandane (ale Proſerpina). Halte! halt einmal, Unſelige! Vergebens Irrſt du in dieſen rauhen Wüſten hin und her! Endlos liegen vor dir die Trauergefilde, Und was du fuchſt, liegt immer hinter dir. Nicht vorwärts, Aufwärts auch ſoll dieſer Blick nicht ſteigen! Die ſchwarze Höhle des Tartarus Verwölbt die lieben Gegenden des Himmels, In die ich ſonſt Nach meines Ahnherrn froher Wohnung Mit Liebesblick hinaufſah! Ach! Tochter du des Jupiters, Wie tief biſt du verloren! - 185 190 224 Der Triumph der Empfindſamkeit. 195 200 205 210 Geſpielinnen! Als jene blumenreichen Thäler Für uns geſamt noch blühten, Árs an dem himmelflaren Strom des Alpheus . Wir plätſchernd noch im Abendſtrahle ſcherzten, Einander Kränze wanden Und heimlich an den Jüngling dachten, Deſſen Haupt unſer Herz fie widmete: Da war uns keine Nacht zu tief zum Schwätzen, Keine Zeit zu lang, Um freundliche Geſchichten zu wiederholen, Und die Sonne Riß leichter nicht aus ihrem Silberbette Sich auf, als wir, voll Luft, zu leben, Früh im Tau die Roſenfüße badeten. — DMädchen! Mädchen! Die ihr einjant nun, Zerſtreut an jenen Quellen ſchleicht, Die Blumen aufleſt, , Die ich, ach, Entführte! Aus meinem Schoße fallen ließ, Ihr ſteht und ſeht mir nach, wohin ich verſchwand! Weggeriſſen haben ſie mich, Die raſchen Pferde des Drkus; Mit feſten Urnen Hielt mich der unerbittliche Gott! Amor! ach, Amor floh lachend auf zum Diyıp! Haſt du nicht, Mutwilliger, Genug an Himmel und Erde? Mußť du die Flammen der Hölle Durch deine Flammen vermehren? – Herunter geriſſen In dieſe endloſen Tiefen! Königin hier! Königin? Vor der nur Schatten ſich neigen! Hoffnungslos iſt ihr Schmerz! Hoffnungslos der Abgeſchiedenen Glück! Und ich wend' es nicht. 215 220 225 230 Vierter Akt. 225 Den ernſten Gerichten Hat das Schickſal ſie übergeben; Und unter ihnen wandl ich uniher, Göttin! Königin! Selbſt Sklavin des Schickſals! 235 240 245 Ach! das fliehende Waſſer Möcht' ich dem Tantalus ſchöpfen, Mit lieblichen Früchten ihn ſättigen! Armer Alter! Für gereiztes Verlangen geſtraft! - In Itions Rad mödiť ich greifen, Einhalten ſeinen Schmerz! Aber was vermögen wir Götter Ueber die ewigen Qualen! Troſtlos für mich und für ſie, Wohn'ich unter ihnen und ſchaue Der armen Danaiden Geſchäftigkeit! Leer und inimer leer, Wie ſie ſchöpfen und füllen! Leer und iminer leer! Nicht einen Tropfen Waſſers zum Munde, Nicht einen Tropfen Waſſers in ihre Wannen! Leer und immer leer! Ach! ſo iſt's mit dir auch, mein Herz! Woher willſt du ſchöpfen? – und wohin? - 250 255 260 Euer ruhiges Wandeln, Selige, Streicht nur vor mir vorüber; Mein Weg iſt nicht mit euch! In euren leichten Tänzen, In euren tiefen Hainen, in eurer liſpelnden Wohnung Nauſcht's nicht von Leben wie droben, Schwankt nicht von Schmerz zu Luſt Der Seligkeit Fülle. — Iſt's auf ſeinen düſtern Augenbrauen, Im verſchloſſenen Blicke? Magſt du ihn Gemahl nennen? Und darfſt du ihn anders nennen? Liebe! Liebe! Goethe, Werke. VI. 15 226 Der Triumph der Empfindſamkeit. 275 275 Warum öffneteſt du ſein Herz Auf einen Augenblick ? Und warum nach mir ? Da du wußteſt, Es werde fich wieder auf ervig verſchließen? Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen Und ſetzte ſie neben ſich Auf ſeinen kläglichen Thron? Warum mich, die Tochter der Ceres ? O Mutter! Mutter! Wie dich deine Gottheit verläßt Im Verluſt deiner Tochter, Die du glücklich glaubteſt, Hinſpielend, hintändelnd ihre Jugend ! 280 2$5 290 Ach! du kamſt gewiß Und fragteſt nach mir, Was ich bedürfte ? Etwa ein neues Kleið Oder goldene Schuhe? Und du fandeſt die Mädchen An ihre Weiden gefeſſelt, Wo ſie mich verloren, Nicht wieder fanden, Ihre Locken zerrauften, Erbörnilich klagten, Meine lieben Mädchen! – 295 300 Wohin iſt ſie? Wohin? rufft du; Welchen Weg nahm der Verruchte? Soll er ungeſtraft Jupiters Stamm entweihen? Wohin geht der Pfad ſeiner Roſſe? 300 Fackeln her! Durch die Nacht will ich ihn verfolgen! Will keine Stunde ruhen, bis ich fie finde, Will keinen Gang ſcheuen, Hierhin und dorthin. - Dir blinken Deine Drachen mit klugen Augen zu, Aller Pfade gewohnt, folgen ſie deinem Lenken: In der unbewohnten Wüſte treibt dich's irre – 305 . Vierter Akt. 227 Ach! nur hierher, hierher nicht! Nicht in die Tiefe der Nacht, Unbetreten den Ewiglebenden, Wo, bedeckt von beſchwerendem Graus, Deine Tochter ermattet! 310 815 Wende aufwärts, Aufmärts den geflügelten Schlangenpfad, Aufwärts niach Jupiters Wohnung! Der weiß es, Der weiß es allein, der Erhabene, Wo deine Tochter iſt! – 320 Vater der Götter und Menſchen! Ruhſt du noch oben auf deinem goldnen Stuhle, Zu dem du mich Kleine Šo oft mit Freundlichkeit aufhobſt, In deinen Händen mich ſcherzend Gegen den endloſen Himmel ſchwenkteſt, Daß ich findiſch Groben zu verſchweben bebte ? Biſt du's noch, Vater ? — 325 Nicht zu deinem Haupte, In dem ewigen Blau Des feuerdurchwebten Himmels! Hier! hier! - - 330 Leite fie her! Daß ich auf mit ihr Aus dieſem Kerker fahre! Daß mir Phöbus wieder Seine lieben Strahlen bringe, Luna wieder Aus den Silberlocken lächle! 935 340 D, du hörſt mich, Freundlich lieber Vater; Wirſt mich wieder, Wieder aufwärts heben, Daß, befreit von langer, ſchwerer Plage; Ich an deinem Himmel wieder mich ergöße! 228 Der Triumph der Empfindſamkeit. 345 Lete dich, verzagtes Herz ! Ach! Hoffnung! Hoffnung gießt In Sturmnacht Morgenröte ! 350 Dieſer Boden Iſt nicht Fels, nicht Moos mehr; Dieſe Berge Nicht voll ſchwarzen Grauſes ! Ach, hier find' ich wieder eine Blume! Dieſes welke Blatt, Es lebt noch, Harrt noch, Daß ich ſeiner mich erfreue! 955 Seltſam! ſeltſam! Find' ich dieſe Frucht hier? Die mir in den Gärten Groben Adh, ſo lieb war — (Sie bricht den Granatapfel ab.) 360 365 Laß dich genießen, Freundliche Frucht! Laß mich vergeſſen Alle den Harin! Wieder mich wähnen Droben in Jugend, In der vertaumelten Lieblichen Zeit, In den umduftenden Himmliſchen Blüten, In den Gerüchen Šeliger Wonne, Die der Entzückten, Der Schmachtenden ward! – (Sie iſt einige Körner.) Labend! labend! 370 375 Wie greift's auf einmal Durch dieſe Freuden, Durch dieſe offre Wonne Mit entſetzlichen Schmerzen, Mit eiſernen Händen . Der Hölle durch! - - 980 : Vierter Akt. 229 385 390 395. 400 Was hab' ich verbrochen, Daß ich genoß? Ach, warum fchafft Die erſte Freude hier mir Qual ? Was iſt's? was iſt's? - Ihr Felſen ſcheint hier ſchrecklicher herabzuwinken, Mich feſter zu umfaſſen! Ihr Wolken tiefer mich zu drücken! Im fernen Schoße des Ábgrunds Dumpfe Gewitter toſend ſich zu erzeugen! Und ihr weiten Neiche der Parzen Mir zuzurufen: Du biſt unſer! Die Parzen (unſichtbar). Du biſt unſer ! Ift der Ratſchluß deines Ahnherrn: Nüchtern ſollteſt wiederkehren. Und der Biß des Apfels´ macht dich unſer ! Königin, wir ehren dich! Proſerpina. Haſt du's geſprochen, Vater? Warum? warum? Was that ich, daß du mich verſtößeſt? Warum rufſt du mich nicht zu deinem lichten Thron auf? Warum den Apfel? D, verflucht die Früchte! Warum find Früchte Tchön, Wenn ſie verdammen? Parzen. Biſt nun unſer! Warum trauerſt du? Sieh, wir ehren sich, Unſre Königin! Proſerpina. D, wäre der Tartarus nicht eure Wohnung, Daß ich euch hin verwünſchen fönnte! 415 O, wäre der Cocyt nicht euer ewig Bad, Daß ich für euch Nóch Flammen übrig hätte! Ich Königin, ůnd kann euch nicht vernichten! In ewigem Haß ſei ich mit euch verbunden! – So ſchöpfet, Danaiden! Spinnt, Parzen! wütet, Furien! In ewig gleich elendem Schickſal ! 405 410 420 230 Der Triumph der Empfindſamkeit. 4.25 430 435 Ich beherrſdhe euch ünd bin daruin elender als ihr alle. Parzen. Du biſt unſer! Wir neigen uns dir! Biſt unſer! unſer! Hohe Königin! Proſerpinn. Fern! weg von nir Sei eure Treu' und eure Herrlichkeit! Wie half ich euch! Und dich, wie zehnfach half ich dich – Weh mir! ich fühle ſchon Die verhaßten Umarmungen! Parzeit. Únſer! Unſre Königin! Proſerpina. Warum reckſt du ſie nach mir?. Nece fie nach dein Nvernius! Rufe die Qualen aus ſtygiſchen Nächten empor ! : 440 Sie ſteigen deinem Winf entgegen, Nicht meine Liebe. Wie half' ich dich, Abſcheu und Gemahl, Pluto! Pluto! Gib mir das Schickſal deiner Verdammten! Nenn es nicht Liebe! – Wirf nich mit dieſen Armen In die zerſtörende Qual! Parzen. Únfer! unſer! hohe Königin! Andraſon crſcheint bei den Worten: Abjdjeu und Gemahl zc. Mandandane ridtet dic Apoſtrophe an ihn und flieht vor ihm mit Entſchen. Er erſtaunt, ſicht ſid, uin und folgt ihr voller Verwunderung. 445 450 Hünffer Nkt. Vorſaal. M a na. Sora. Pato. M er a. Horn. Liebe Schweſtern, es koſte, was es wolle, wir müſſen in des Prinzen Zimmer. Mann. Aber die Wache? ora. Die hindert uns nicht; es find Männer. Wir wollen ihnen ſchön thun und Wein geben; damit führen wir fie, wie wir wollen. Fünfter Akt. 231 Into. Laß ſehn! • Sorn. Ich habe vom ſüßen Wein genommen und ihn init Schlaftrunk gemiſcht. Denn, ihr Kinder, es liegt viel dran. meln. Wie ſo? Hora. Wer nicht neugierig iſt, erfährt nichts. Mir brannt es auf dem Herzen, zu wiſſen, wie's im Zimmer wohl ſeint möchte, wenn die ſchönen Sachen alle ſpielten. Gegen Mitternacht ſchlich ich mich an und guckte durch einen Nitz in der Thür, den ich von alters her wohl kenne. Mann. Was ſahſt du? Sorn. Was ihr nicht denkt! Nun glaub ich wohl, daß der Prinz gegen uns ſo unempfindlich blieb, ſo verachtend von uns wegging! Lato. Ach! er iſt ein ſchöner Geiſt von der neuen Sorte; die ſind alle grob. Sorn. Das nicht allein. Er führt ſeine Geliebte mit ſich herum. Wana. Nicht möglich! Lato. Si wie? Horn. Wenn ich euch nichts aufſpürte! In den ver- fluchten Kaſten, in der geheimnisvollen Laube ſikt ſie. Midh wundert nur, wie ſie ſich mag ſo herumſchleppen laſſen, ſó ſtille ſitzen! Mana. Drum wurde das Ding von Mauleſeln ge- tragen! Meln. Wie ſieht ſie aus? jorn. Ich habe nur einen Zipfel vom Kleide ſehen können, und daß der Prinz ihre Hand nahni und füßte. Gar nichts weiter. Hernach entſtand ein Geräuſche; da ruſdit' ich fort. Lnto. O, laßt uns ſehen! Mann. Wenn ſich's nur ſchickte! Jorn. Es iſt ja Nacht, kein Menſch wird es erfahren. Ich habe ſchon den Hauptſchlüſſel. Nun ſpielt mit der Vache hübſch die Mädchen. M 11 ſi t. Die Frauenzimier ſpielen unter fid, kleine Spiele. Die von der na die komment cinzain berein und ſchon zu; ſie rufen cinander herbei, cudlid, mijden ſie ſich in die Spiclc. Die Fräulein thun coſt fremd, dann freundlid), endlich bringen ſie Wein und Früchte; die Jünglinge laſien jidi's wohl idimecken, Tanz und Scherz geht fort, bis die Wadie anfängt, dhläfrig zu werden; jic taumeln hin und her, zuletzt in die Kuliſſen, und die Mädden behalten das Feld. Sora. Nun friſch ohne Zeitverluſt ins Zimmer! Laſt 232 Der Triumph der Empfindſamkeit. . uns die Verwegene aus ihrer Dunkelheit reißen, ihre Schande zu unſerin Triumph offenbaren! (Ale ab.) Der Hintere Vorhang geht auf, das Theater verändert ſich in die Waldſzone. Nadst ohne Monddicin. Üm die Laube iſt alles düſter und ſtille. Die vier Fräulei it tominen mit Fadeln: dolir: Pantomime und Tanz, worin ſie Neugierde und Verdruß auga drüden. Sie öffnen die Laube, leuchten ſtarrend hinein und fahren zurüc. Sora. Was iſt das? Mandandane! Lato. Ein Geſpenſt oder Andraſons Gemahlin! Mela. Eine Maske. Was ſteckt darunter ? (Sie nähern ſich wieder allmählich.) Mann. Wir wollen ſie anrufen. Lato. Heda, junge Dame! Sorn. Sie rührt ſich nicht. Mela. Ich dächte, wir blieben aus dem Spiele; ich fürchte, es ſteckt Zauberei dahinter. Hora.' Ich muß es doch näher beſehen. . Mana. Nimm dich in acht! menn's auffährt – Lato. Sie wird dich nicht beißen. Meln. Ich gehe meiner Wege.. Horn (dic cz anrührt und zurüdfährt). Ha! Mnun. Was gibt's? Meln. Es iſt wahrlich lebendig! Sollt es denu Man- bandane ſelbſt ſein? Es iſt nicht möglid)! Lato (indem ſie ſich immer weiter entfernt). Wir müſſen's doch heraus haben. Mela. So redet es doch an! Horn (die fid; furchtſam nähert). Wer du auch ſeift, feltſaine, unbekannte Geſtalt, rede, rühre dich und gib uns Rechenſchaft von deinein abenteuerlichen Hierſein! Mann. Es will ſich nicht rühren. Lnto. Geh eins hin und nehm' ihr die Maskè ab! Sorn. Ich will einen Anlauf nehmen! Kommt alle mit! (Sie halten ſich aneinander, und es zerrt eine die andre nach ſidh, bis zur Laube.) Mann. Wir wollen am Seſſel ziehen, ob's leicht oder (chwer iſt? (Sie zichen am Eclick und bringen ihn mit leichter Mühe bis ganz hervor ans Theater; fic gchen drum herum, madjen allerlei Verſudie, die Mastc fällt herunter, und ſic thun einen allgemeinen Sdirei.) Mnna. Eine Puppe! Sorn. Eine ausgeſtopfte Nebenbuhlerin! Lato. D ein ſchönes Gehirn! horn. Wenn ſie eben ſo ein Herz hat? Fünfter Akt. 233 Mann. Die foll'uns nicht umſonſt veriert haben! Uus- kleiden ſoll man ſie und in den Garten ſtellen, die Vögel damit zu ſcheuchen. Lato. Só was iſt mir in meinem Leben nicht vor- gekommen. Dela. Es iſt doch ein ſchönes Kleid. - Mana. Man follte ſchwören, es gehöre Mandandanen. Mela. Ich begreife nicht, was der Prinz mit der Puppe will. (Sie verſuchen an der Puppe Verſchiedenez, endlid; bringen ſie aus der Bruſt cinen Sac Hervor und erhebei ein lautes Gcdrci.) Sorn. Was iſt in dem Sack? Laßt ſehn, was iſt in dem Sad? Mana. Häckerling iſt drin, wie fich's anfühlen läßt. . Sorn. Es iſt doch zu ſchwer – Lato. Es iſt auch etwas Feſtes brin. Meln. Bindet ihn auf! Laßt ſehn! Andrason kommt. Andraſon. Ihr Kinder, wo ſeid ihr? Ich ſuch' euch überall, ihr Kinder. Mann. Du kommſt eben zur gelegenen Zeit! Da ſieh! Andraſon. Was Teufel iſt das? meiner Frauen Kleider? meiner Frauen Geſtalt? Mana (ihm den Sac zeigend). Mit Häckerling ausgeſtopft. Hora. Sieh dich um! Das iſt die Natur, morin der Prinz Lebt, und das iſt ſeine Geliebte. Andraſoir (auffahrend). Ihr großen Götter! Sora. Mach nur den Sack auf! Andraſon (aus tiefen Gedanken). Halt! Wann. Was iſt dir, Andraſon? Andraſon. Mir iſt, als wenn mir in dieſer Finſternis ein Licht vom Himmel käme. Söra. Du biſt verzückt. Andraſon. Seht ihr nichts, ihr Mädchen? Begreift ihr nichts ? Mana. Ja, ja! Das Geſpenſt, das uns geängſtet hat, iſt begreiflich genug, und der Sack, den ich in meinen Armen habe, bazu. Andraſon. Verehre die Götter! Horn. Du machſt mich mit deinem Ernſt zu lachen. Andraſoni. Seht ihr nicht die Hälfte deš mir Glück weisſagenden Drafels erfüllt? 234 Der Triumph der Empfindſamkeit. Mann. Daß wir nicht darauf gefallen ſind! Andraſon1. Wenn wird ein greiflich Geſpenſt von ſchönen Händen entgeiſtert, Horn. Nichts kann klärer ſein! Andraſon. Und der leinene Sad ſeine Geweide verleiht! Nun aufgemacht, ihr Kinder! Laßt uns vor allem ſehen, was der enthält! (Sie binden ihn auf, und wie ſie ihn umſchütteln, fält eine ganze Partie Bücher mit Häckerling vermiſcht heraus.) Andraſoit. Gebt acht, das werden Zauberbücher ſein. (Er Hebt eins auf.) Empfindſamkeiten! Mann. D, gebt's her! (Die andern haben indoſjen die übrigen Bücher aufgehoben.) Andraſon. Was haſt du? Siegwart, eine Kloſter- geſchichte, in drei Bänden! Mana. D, das muß ſcharmant fein! Gib her, das muß id, leſen. – Der gute Jüngling! Iato. Den müſſen wir kennen lernen! Horn. Da iſt ja auch ein Kupfer Dabei. Meln. Das iſt gut! da weiß man doch, wie er aus: geſehen hat. Into. Er hat wohl recht traurig, recht intereſſant ausgeſehen. (Es bleibt den Schauſpiclern iiberlaijen, jidh hier auf gute Art über ähnliche Sdhriften luſtig ili inaden.) Andraſoir. Eine ſchöne Geſellſchaft unter einem Herzen! Meln. Wie fommen die Bücher nur da herein ? Andrnſon. Laſt ſehn! Iſt das alles? (Er wendet den Sast völlig um, cS fallen no cinige Biicher und viel Häckerling Heraus.) Da kommt. erſt die Grundſuppe! Born. D, laßt ſehn! Andraſon. Die neue Heloiſe! — Weiter! – Die Leiden des jungen Werthers! — Armer Werther! Horn. De gebt's! das muß ja ivohl traurig ſein.' Andraſoir. Ihr Kinder, da ſei Gott vor, daß ihr in Das Zeug nur einen Blick thun ſolltet! Gebt her! (Er pact die Bücher wieder in den Sack zujammen, thut den Häckerling dazu und bindet's um.) Mann. Es iſt nicht artig von Euch, daß ihr uns den Spaß verderben wollt! Wir hätten da manche ichöne Nacht Leſen können, wo wir ohnedem nicht ſchlafen. Andraſoir. Es iſt zu euerm Beſten, ihr Kinder! Thr glaubt's nicht, aber es iſt wahrlich zu euerm Beſten! Nur ins Feuer damit ! Fünfter Akt. 235 Mana. Laßt ſie nur erſt der Prinzeſſin ſehn! Andraſon. Ohne Barmherzigkeit! (Nad; einer Pauſe.) Aber was erſcheinen mir für neue Lichter auf dem dunkeln Pfade der Hoffnung! Ich ſeh'! ich ſeh', die Götter nehmen ſich meiner an. Soru. Was habt Ihr für Erſcheinungen? Andraſon. Hört mich! Dieſe Bücher ſollen nicht ins Feuer! mana. Das iſt mir ſehr lieb. Andraſon. Und ihr ſolit ſie auch nicht haben! Forn. Warum? Andraſon. Hört, was das Orakel ferner geſagt hat: Wird sie geflicte Braut mit dem Verliebten vereinet, Dann konnit Ruhe und Glück, Fragender, über . Dein Haus. Daß von dieſer lieblichen Braut die Rede fei, das iſt wohl feine Frage mehr. Wie wir ſie aber mit dem lieben Prinzen vereinen follen, das ſeh' ich noch nicht ein. Ich will auch nicht darüber nachdenken: das iſt der Götter Sache! Aber geflict muß ſie zuerſt werden, das iſt klar, und das iſt infre Sache! (Er thut den Sack wieder an den vorigen Ort; dic Mäddien helfen dazu, und man bittet, daß alles mit der größten Dezenz gcidiche. Darauf wird die Maake wieder vorgebunden und die Puppe in gchörige Pojitur geſetzt.) Horn. Ich verſtehe noch von allem dem kein Wort; und das, was mir an dem Drafel nicht gefällt, iſt, daß es von ſo gemeinen Sachen und in ſo niedrigen Ausbrücken ſpricht. Andraſon. Liebes Kind, die gemeinen Sachen haben aud, ihr hohes Intereſſe, und ich verzeihe dir, daß du den tiefen Sinn des Drakels nicht einfiehſt. Mana. Nun, fo feid" nicht' fó geheimnisvoll, erklärt einem was! Andraſon. Iſt es nicht deutlich, meine ſchönen Kinder, Daß in dieſen Papieren eine Art von Talisman ſteckt, daß in ihnen dieſe magiſche Gewalt liegt, die den Prinzen an eine abgeſchmackte ausgeſtopfte Puppe Feſſelt, wozu er die Geſtalt von eines ehrlichen Mannes Frau geborgt hat? Seht ihr nicht, daß, wenn wir dieſe Papiere verbrennten, der Zauber aufhören und er ſeine Geliebte als ein hohles Bild der Phantaſie gleich erfennen ivürde? Die Götter haben mir dieſen Wink gegeben, und ich danke ihnen, daß ich ſie nicht 236 Der Triumph der Empfindſamkeit. mißverſtanden habe. D du liebliche, holde, geflicte Braut, möge die Kraft aller lügenhaften Träume auf dich herabſteigen! Möge dein papiernes Herz, deine leinenen Gedärme ſo viel Kraft haben, den hoch und fein empfindenden Prinzen an fich zu ziehen, wie ſonſt magiſche Zeichen, geweihte Kerzen, Alraune und Totenköpfe, Geiſter und Schäße an ſich zu ziehen pflegen! .- Die Laube war wohl der Aufenthalt dieſer himmliſchen Nymphe? Kommt! wir wollen ſie verwahren, alles in Did- nung bringen, niemand etwas davon entdecken und der Mit- wirfung der Götter fürs Folgende gewiß ſein. Mann. Andraſon, nun kommt mir's erſt wunderbar vor, daß Ihr da feid ! Andraſon. Ein Seltſames verdrängt die Empfindung des andern. Sora. Wie kommt Ihr ſo ſchnell wieder und in tiefer Nacht bei uns an? Andraſon. Laßt's euch ſagen und klagen, meine lieben Kinder! Als ich von euch wegging, eilte ich gerade nach Hauſe. Ich machte den Weg in ziemlich kurzer Zeit; das Verlangen, mein Haus, meine liebe Frau wieder zu ſehen, wurde immer größer bei mir. Ich fühlte mich ſchon in ihren Armen und letzte mich für die lange Abweſenheit recht herzlich. Wie ich in meinen Schloßhof hineintrete, ihr Kinder, höre ich oben ein Gebrauſe, ein Getöne, Nufen, hohles Anſchlagen und eine Wirtſchaft durcheinander, daß ich nicht anders dachte, als der wilde fäger ſei bei mir eingezogen. Ich gehe hinauf: es wird immer ärger; die Stimmen werden unvernehmlicher und hohler, je näher' ich komme; nur meine Frau höre ich ſchreien und rufen, als wenn ſie unſinnig geworden wäre. Ganz verwundert treť ich in den Saal. Ich finde ihn finſter wie eine Höhle, ganz zur Hölle Dekoriert, und mein Weib fährt mir in ungeheurer Leidenſchaft und mit entſetzlichem Fluchen auf den Hals, traftiert mich als Pluto, als Scheuſal und flieht endlich vor mir, daß ich eben wie verſteint daſtehe und fein Wort hervorzubringen weiß. Mann. Aber um Gotteswillen, was war ihr denn? Andraſon. Wie ich's beim Licht beſah, war's ein Monodrama! Meln. Das muß doch ganz kurios ſein. Andraſon. Nun muß ich euch noch eine Neuigkeit ſagen: fie iſt mit hier. Mana. Mit hier? · Fünfter Akt. 237 Sora. D, laßt uns gleich zu ihr gehen! Wir haben ſie doch alle recht lieb. Mana. Wie kommt's denn aber, daß Ihr ſie mit hierher. bringt, da Ihr wißt, der Prinz wird wieder Durchkommen? Andraſon. Ihr kennt ja, lieben Kinder, meine alte Gut- mütigkeit. Wie ſie ſich aus ihrer poetiſch-theatraliſchen Wut ein bißchen erholt hatte, war ſie wieder gefällig und gut gegen mich. Ich erzählte ihr allerlei, um ſie zu zerſtreuen, erzählte ihr allerhand von euch und ineiner Schweſter; ſie {agte, fie hätte längſt gewünſcht, euch wieder einmal zu ſehn; ich ſagte ihr, daß eine Reiſe ihr ſehr gut ſein würde, und weil die ſchnellſten Entſchlüſſe die beſten ſeien, ſollte ſie ſich gleich in den Wagen ſetzen. Sie nahm's an, und erſt hinter . brein fiel mir ein, daß ich einen dummen Streich gemacht hatte, ſie, ehe es nötig war, mit dem Prinzen wieder zu- ſammen zu bringen. Doch war's gleich mein Troſt, wie ge- wöhnlich, daß ich dachte, es entſteht vielleicht etwas Gutes daraus. Und wie ihr ſeht, gelegener hätten wir nicht kommen können. Mandan da ne, Feria kommen. Mana. Sei uns willkommen, Mandandane! Mandandane. Willkommen, meine Freundinnen! Ferin. Das war eine rechte unvermutete Freude! – Was macht ihr in des Prinzen Zimmer! Mandandane. Iſt das ſein Zimmer? Ferin. Was gibt's denn da? Was iſt das? Mandandane. Wie? meine Geſtalt? meine Kleider? Andraſon (für ſid)). Wie wird das ausgehen? Mana. Wir haben dieſe ausgeſtopfte Puppe in der Laube gefunden, die der Prinz mit ſich herumſchleppt. Sorn. Dies iſt die Göttin, die feine vollkommene An- betung hat. Mandandane. Es iſt Verleumdung! Der Mann, deſſen Liebe ganz in geiſtigen Empfindungen ſchwebt, ſollte ſich mit ſo einem ſchalen Puppenwerk abgeben? ich weiß, daß er mich liebt; aber es iſt meine Geſellſchaft, die Unterhaltung, die er für ſeinen Geiſt bei mir findet. — Ihn mit ſo einem kindiſchen Spiel im Verdacht haben, heißt ihn und mich beleidigen! bora. Man könnte ſagen, daß er Euer Andenken ſo wert hält und Euer Bild überall mit ſich herum trägt, um ſich mit ihm wie mit Euch ſelbſt zu unterhalten. 238 Der Triumph der Empfindſamkeit. Andraſon (leiſe zu ihr). Halte bein verwünſchtes Maul! : Ferin. Ich weiß nicht, was ich dazu ſagen ſoll. Mandandane. Nein! Sollte ſein Åndenken ſo eine er- logene abgeſchmackte Nahrung brauchen, ſo müßte ſeine Liebe felbft von dieſer kindiſchen Ärt ſein; er würde nicht mich, fondern eine Wolke lieben, die er nur nach meiner Geſtalt zu modeln Belieben trüge. Andraſon. Wenn du wüßteſt, womit ſie ausgeſtopft iſt. Mandandane. Es iſt nicht wahr. Mana. Wir beteuern's. Wo ſollten wir denn die Puppe her nehmen? Sieh hier noch den Plaß, wo ſie ge- ſteckt hat!. Andraſon. Wenn du es nicht glauben willſt, ſo iſt das beſte Mittel: wenn wir merken, daß der Prinz wiederfommt, nimm die Masfe vor, ſebe dich ſelbſt in die Laube, thue, als feiſt du mit Häckerling ausgeſtopft, und ſieh alsdann zu, ob wir wahr reden. (Die Mädden ſetzen indez die Puppe wieder in die Laube.) Mandandane. Das iſt ein ſeltſamer Vorſchlag. Feria. Laßt uns gehen, eh der Tag und jemand von feinen Leuten uns überraſcht." (Alle ab bis auf Andraſon, der Sora zurüdhält.) Andraſoir. Sora! Hora. Herr! Andraſon. Ich bin in der größten Verlegenheit. Sora. Wie? Andraſon. Der fünfte Aft geht zu Ende, und wir ſind erſt recht verwickelt! Sorn. So laßt den ſechſten ſpielen! Andraſoir. Das iſt außer aller Art. Horn. Ihr ſeid ein Deutſcher, und auf dem deutſchen Theater geht alles an. Andraſon. Das Publifum dauert mich nur; es weiß noch kein Menſch, woran er iſt. Horn. Das geſchieht ihnen oft. Andraſon. Sie könnten denken, wir wollten ſie zum beſten haben. Sora. Würden ſie ſich ſehr irren? Andraſon. Freilich! Denn eigentlich ſpielen wir uns ſelber. Sorn. Ich habe ſo etwas gemerft. Andraſon. Mut gefaßt! - D ihr Götter! Seht, wie Sechſter Akt. 239 ihr eurem Drakel Erfüllung, dem Zuſchauer Geduld und dieſem Stück eine Entwickelung gebt! denn ohne ein Wunder weiß ich nicht wie wir auf gute Arf auseinander kommen ſollen. Se ch ft e r Nkt. Wald und Laube. Þrinz und M er tulo. Prinz (auf dem Naſen liegend). Merkulo (fiir fid)). Der Beſuch beim Drafel iſt meinem Prinzen nicht wohl bekommen. War er vorher betrübt, ſo iſt er jetzt außer fich. Könnt ich ſeinen Schmerz nur zu Worten bringen! (Zum Prinzen.) Teuerſter Herr! Hat die kurze Abweſenheit Ihr Herz ſo gegen mich zugeſchloſſen, daß Sie mich nicht würdigen, der Vertraute Ihres Schmerzes zii ſein, da ich ſo oft der Vertraute Ihres Entzückens geweſen bin? Prinz. Ich verſtehe nicht, was ſie ſagen – und doch iſt miris, als wenn die Götter etwas Großes über mich ver- hängten. Mein Gemüt iſt von unbekannten Empfindungen durchdrungen. Merkulo. Wie lautet der Ausſpruch des Drafels ? Prinz. Seine Worte ſind zweideutig, und was mich am meiſten verdrießt, ihnen fehlt der Stempel der Ehrfurcht, den meine Fragen und mein Zuſtand ſelbſt den Göttern einflößen ſollten. Ich bat ſie mit gerührtem Herzen, mir zu entwickeln: wann denn dieſe ſtürmiſche Bewegung meines Herzens endlich aufhören, wann dieſes tantaliſche Streben nach ewig fliehen- dem Genuß endlich erſättiget werden würde? wann ich, für meine Mühſeligkeiten und Leiden endlich belohnt, die Ent- zückungen mit der Ruhe und dieſe holde Traurigkeit mit einem beſtätigten Herzen würde verbinden können? Und was gaben ſie mir für eine Antwort! Ich mag ſie meinem Ge- dächtnis nicht wieder zurückrufen! Nimm und lies! (Er gibt ihin eine Nođe.) Merkulo (lieſt). Wird nicht ein kindiſches Spiel vom ernſten Spiele vertrieben, Wird dir lieb nicht und wert, was du beſitzend nicht haſt, 240 Der Triumph der Empfindſamkeit. Gibſt entſchloſſen dafür, was du nicht habend beſikeſt: Schwebt in ewigem Traum, Armer, dein Leben dahin. Ein witziges Orakel! ein antithetiſches Draker! (Er lieſt weiter.) Was du thöricht geraubt, gib du dem Eigener wieder: Eigen werde dir dann, was du fo ängſtlich erborgſt. Dber fürchte den Zorn der überſchwebenden Götter! Hier und über dem Fluß fürchte des Tantalus Los! Prinz. Warum mußť ich Thörichter fragen, da ich nun- mehr wider meinen Willen folgen oder der Götter Zorn auf mich laden muß! (Merkulo fann nad) Belieben den Drakelſprud) wiederholen, Anmerkungen maden 2c., bis er glaubt, das Publikum habe die Worte genugſam gehört.) Merkulo. Bei dieſer Gelegenheit, dächt ich könnten Sie ſich immer mit der Unwiſſenheit entſchulóigen; denn ich ſehe wenigſtens nicht, wie das Drakel prätendieren kann, daß man's verſtehen foli. Prinz. Ich verſteh' es nur zu wohl! Nicht die Worte, aber den Sinn. (Gegen die Laube gefelirt.) Dich ſoll ich weggeben! Dich ſoll ich aufopfern! Als wenn ich Ruhe der Seele und Glüc& erwerben könnte, wenn ich mich ganz zu Grunde richte! Merkulo. Freilich laſſen ſich allenfalls die Worte des Orakels dahin deuten. Prinz. Es iſt allzugrauſam! Wegzugeben, was ich habe, Götter, ach! iſt allzuviel. Merkulo (für ſids). Nennen doch die hohe Gabe Götter ſelbſt ein Kinderſpiel! Prinz. Ich verliere dieſe Freuden! Mir verſchwindet dieſes Licht! Merkulo (für fid)). Dwahrhaftig, zu beneiden Sind die Seligkeiten nicht? Prinz. Götter neiden Sies Entzücken, Und ſie nennen es ein Spiel. Merkulo. Uns weit beſſer zu erquicken, Gibt's noch andrer Šachen viel. Prinz. Es iſt ein entſeklicher Entſchluß, der in meiner Seele ſich hin und her bewegt, und was für Empfindungen auf- und abſteigen, die mir dieſen Entſchluß bald zu erleichtern, Sechſter Akt. 241 bald zu erſchweren ſcheinen! — Laß mich allein und ſei bereit, auf meinen Wink alle meine Leute, alle Bewohner dieſes Hauſes zuſammen zu rufen: denn, was ich thun will, iſt eine große und männliche That und leidet den Anblick 'vieler Zeugeit. Merkulo. Beſter Herr, Sie machen mir bange. Prinz. Erfülle deine Pflicht! Werkulo (im Weggehen umfchrend). Noch eins! Andraſon iſt wieder hier; wollen Sie den auch zum Zeugen haben? Prinz. Himmel! Qudraſon! Merkulo. Er ſelbſt. Ich hab ihn, wie ich aufſtand, mit ſeiner Schweſter am Fenſter geſehen. Prinz. laß mich allein! – Meine Sinnen verwirren fid); ich muß Luft haben, um die tauſend Gedanken, die in mir durcheinander gehn, zurechte zu legen. (Merkulo ab.) Prinz (allein, nad einer Pauſe). Faſſe dich! Entſchließe dich: denn du mußt! — Weggeben ſoliſt du das, was bein ganzes Glück macht; aufgeben, was die Göttei mohl Spiel nennen dürfen, weil ihnen die ganze Menſchheit ein Spiel zu ſein ſcheint. Dich weggeben! (Er macht die Laube auf. Mandandane mit einer Maste vor dem Geſicht ſitzt drin.) Es iſt ganz unmöglich! Es iſt, als griff ich nach meinein eignen Herzen, um es herauszu- reißen! Und doch! (Er fährt zuſammen und von der Laube weg.) Was iſt das in mir?' wie unbegreiflich! Wollen mir die Götter meinen Entſchluß erleichtern? Soll ich mir’s leugnen oder geſtehn? Zum erſtenmal fühl ich den Zug, der mich nach dieſer himmliſchen Geſtalt zieht, ſich verringern! Dieſe Gegen- wart umfängt mich nicht mehr mit dem unendlichen Zauber, der mich ſonſt vor ihr mit himmlichen Nebeln bedeckte! Iſt's möglich? In meinem Herzen entwickelt, beſtimint ſich das Gefühl: du kannſt, du willſt fie weggeben! – Es iſt mir unbegreiflich! (Er geht auf ſic Yos.) Geliebteſte! (Er wendet kurz wieder . um.) Nein, ich belüge mich! Dein Herz iſt nicht hier! In fremden Gegenden fdwärmt's herum und ſucht nach voriger Seligkeit – Mir iſt's, als wenn du es nicht mehr wäreſt, als wenn eine Fremde mir untergeſchoben wäre. O ihr Götter, die ihr ſo grauſam feid, welde ſeltſame Gnade erzeigt ihr mir wieder, daß ihr mir das ſo erleichtert, was ich auf euern Befehl thue! – Ja, Lebewohl! Von ungefähr iſt Andraſon nicht hier. Ich hatte ihm die beſte Hälfte ſeines Eigentums geraubt; hier nehme er ſie wieder! Und ihr, himmliſche Geiſter, gebt euerm folgſamen Sohi aus den Weiten der Welt neues un- befanntes Glück! (Er ruft.) Merkulo! Goethe, Perke. VI. 16 242 Der Triumph der Empfindſamkeit. Merkulo (tommt). Prinz. Bringe ſie zuſammen, die Meinigen, das Haus: . könnt ich die Welt zujanımenrufen, ſie follte Zeuge der wundervollen That ſein! (Merkulo ab.) Der Prinz verjdließt dic Laube, linter ciner fcicrlidien Mujit kommen der Oberſte, die D a de, das ganze Bejor me, nach ihnen dic Fräulein; alles ſtellt ſich zu beiden Seiten, lvic ſic ſtchen müſſen, um das Salußballett anzufangen. Zuletzt komment Feria und & n drajon mit Merki lo. Die Muſik hört auf. Prinz. Tritt näher, Andraſon, und höre mich einen Augen- blick geruhig an! Bisher ſind wir nicht die beſten Freunde ge- weſen; nunmehr haben die Götter mir die Augen geöffnet. Das Unrecht, feh ich, war auf meiner Seite; ich raubte dir die beſte Hälfte des Weibes, das du liebſt. Auf Befehl der llit- ſterblichen geb' ich dir ſie zurück. Nimm als ein Heiligtum wieder, was ich als ein Heiligtum bewahrt habe; und verzeih das Vergangene meiner Not, meinem Irrtum, meiner Jugend und meiner Liebe! Andraſon (laut). Was ſoll das heißen? (Für ſid.) Was wird das geben? Prinz (cröffnet dic Laube; man jicht Mandandanen ſitzen). Hier er: kenne das Geheimnis und empfange ſie zurück ! . Andraſon. Meine Frau! Du entführſt mir meine Frau? schleppſt fie mit dir heruin? beſchimpfeſt mich öffentlich, da bu fie mir vor den Augen aller Welt zurückgibſt ? Prinz. Dies ſei dir ein Beweis der Heiligkeit meiner Geſinnungen, daß ich jeßt das Licht nicht ſcheue! Andraſoni. Himmel und Hölle! Ich will es rächen. (Er greift nach dem Sdwert. Feria hält ihn; er ſpricht leije zu ihr.) Laß ſein! Ich muſs ja fo thun. Prinz. Entrüſte dich nicht! Mein Schwert hat auch eine Schärfe. Sei ſtille, gib der Vernunft Gehör! Du fannſt nicht ſagen: Es iſt mein Weib; und es iſt doch dein Weib. Audrnſon. Ich haſſe die Rätſel! (Nach einem Augenblick (line fiir jie.) Ich erſtaune!' Wieder entbindet ſich in meiner Seele ein neuer Verſtand, eine Erflärung der lekten Worte des Drafels! Wär' es möglich? D helft mir, gütige Götter! (Laut.) Verzeih! ich fühle, daß ich dir Unrecht thue. Hierin iſt Zauberei oder eine andere geheime Kraft, die der Men- fchen Sinne zwieſpaltig mit ſich ſelbſten macht. Was ſoll ich mit zwei Weibern thun? Ich verehre den Wink des Himmels und deinen Schwur. Dieſe nehm' ich wieder an; aber geri geb' ich dir jene dagegen, die ich gegenwärtig beſitze. Sechſter Akt. 243 Prinz. Wie? Andraſon. Bringt ſie her! (Dic Sklaven ab.) Prinz. Sollte ich nach ſo viel Leiden · nod glücklich werden können? Andraſon. Vielleicht thun hier die Himmliſchen ein Wunder, um uns beide zur Ruhe zu bringen. Laſ ins dieſe beiden als Schweſtern betrachten! Jeder Sarf eine beſitzen, und jeder die feinige ganz. Prinz. Ich vergeh' in Hoffnung! Andraſoir. Komm bil auf mein Teil, immer gleich Geliebte! (Die Mohren Heben den Seſjet aus der Laube und jetzen ihn an die linke Seite des Grundes.) Mandandane (im Begriff, die Maste abzuwerfen, an Andraſons als). Andraſon! Andrnſoit (der ſic nid)t aufſtchen 110ch die Maste abnehmen läßt). Still, Püppchen! Stille, Liebchen! Es naht der entſcheidende Augenblic! (Die Sklaven bringen die Puppe, der Prinz auf ſie *os und fällt vor ihr nieder.) Prinz. Himmel, ſie iſt's: Himmel! ſie iſt's! Seligkeit tauet herab! (Dic Puppe wird an die andere Seite des Thcaters Mandandanen gegenüber geſetzt. Sicr muß die alcunlichkcit beider dem Zuidaucr noch flluſion inaden, wie es über: haupt durchs ganze Stück darauf angeſehen iſt.) Andraſolt. Komm und gib inir Deine Hand! Aller Groll höre unter uns auf, und feierlich entſag? ich hier dieſer zweiter Mandandane und vereine fie mit dir auf erpig! (Er legt ihre Hände zuſammen.) Sei glücklich (für ſich) mit deiner geflicten Braut! Prinz. Ich weiß nicht, wo mich die Trunkenheit der Wonne hinführt. Dieſe iſt's, ich fühl ihre Nähe, die mich ſo lang an ſich zog, die ſo lang das Glück meines Lebens machte! Ich fühl's, ich bin wieder in dem Zauberſtrudel fortgeriſjen, der unaufhörlich von ihr ausfließt. (Bu Mandandanen.) Ver- zeih und leb wohl! (Auf die Puppe deutend.) Hier, hier iſt meine Gottheit, die ganz mein Herz nach ihrem Herzen zieht! Mandandane (die die Maske abwirſt, zu Andrajon). Laß uns den Bund erneuen, Gib wieder deine Hand! Verzeih, daß ich den Treuen, So thöricht dich verfannt! Pring (zur Puppe). Was, Menſchen zu erfreuen, Die Götter je geſandt, 244 Der Triumph der Empfindſamkeit. Das Leben zu errieuen, Fühl ich an deiner Hand!. Merkulo. Wie mir’s iſt, ſag' ich nicht! Als zögen uns die Wände ein Fratzengeſicht! Himmel und Erde ſcheint uns Efel zu bohren, Wir ſind unwiederbringlich verloren. Mandaidanje (zli Andraſon). Laß uns den Bund erneuen, Gib wieder beine Hand! Verzeih, daß ich den Treuen, So thöricht sich verkannt! Prinz (zur Puppe). Was, Menſchen zu erfreuen, Die Götter je geſandt, Das Leben zu erneuen, Fühl ich an deiner Hand! Andraſon. Wenn je ein ſeltſam Orakel buchſtäblich er- füllt worden, ſo iſt's dieſes, und alle meine Wünſche find befriedigt, da ich dich ſo wieder in meinen Armen halte. Äuf, Schweſter, Kinder, Freunde! Laßt's nun an Luſtbarkeiten nicht fehlen! Wir wollen unſers Glücks genießert, über die wunderbare Geſchichte unſere ſtillen Betrachtungen anſtellen (mchr Hervortretend gegen die Zuſchauer) und von hundert Lehren, die wir daraus ziehen fönnten, uns beſonders dieſe merfen: daſ ein Thor erſt dann recht angeführt iſt, wenn er ſich einbildet, er folge gutem Rat oder gehorche den Göttern. (Ein großes Ballett zum Schluſſe.) Die Vöger. 245 Die Vögel. Nach dem Ariſtophanes. Perſonen. Treufreund, als Scapin. Hoffegut, als Pierrot. Schuhu. Papagei. Chor der Vöger. Waldiges felſiges Thal auf einen hohen Berggipfel, im cine Nuine. Grunde Hoffegut (von der einen Scite oben auf dem Feljen). D gefährlicher Stieg! D unglückſeliger Weg! Treufrennd (auf der andern Seite in der Höhe, ungeſchn). Still! Ich hör ihn wieder. – Houp! Hoffegut (antwortend). Houp! Treufreund. Auf welche Klippe haſt du dich verirrt? Hoffegut. Weh inir! o weh! Treufreund. Geduldig, mein Freund! Hoffegut. Ich ſtecke in Dornen. Treufreund. Nur gelaſſen! Hoffegut. Auf dem feuchten betrügriſchen Moos fchwindl ich am Abhang des Felfens! Treufreund. Immer ruhig! – Mach dich herunter! Da feh' ich ein Wieschen! Hoffegut. Ich fallº, ich falle! Trenfrcund. Nur jachte! ich fomme gleich! Hoffegut. Au, au! ich liege ſchon unten! Treufreund. Wart', ich will dich aufheben! Hoffegut (auf der Erde liegend). D, daß den böfen Verführer, den landſtreicheriſchen Geſellen, den wagehalſigen Kletterer die Götter verderblich verdürben! 246 Die Vögel. Treufreund. Was ſchreiſt du? Hoffegut. Ich verwünſche dich! Treufreund (den man oben auf dem Feljen auf allen Vieren crblicſt). Hier iſt der Muscus cyperoides polytrichocarpomanidoides. Hoffegut. Er bringt mich um. Trenfreund. Hier iſt der Lichen canescens pigerrimus. Weld, eine traurige Figur! Hoffegut. Mir ſind alle Gebeine zerſchellt. Trenfreund. Siehſt du, was die Wiſſenſchaft für ein Notanfer iſt! In den höchſten Lüften, auf den rauhſten Felſen findet der unterrichtete Menſch Unterhaltung. Hoffegut. Ich wollte, bu müßteſt im tiefſten Meeres- grund ein Konchylienkabinett zuſammenleſen, und ich wäre, wvo ich herkomme! Trenfreund. Iſt dir’s nicht wohl? Es iſt ſo eine reine Luft da oben. Hoffegut. Ich ſpür's am Atem! Trenfreund. Haſt du dich umgeſehen? Welche treffliche Ausſicht! Hoffegut. Die kann mir nichts helfen. Trenfreund. Du biſt wie ein Stein Hoffegut. Wenn die Kälte ausſchlägt: ich ſchwitze über und über. Treufreund (herunterkommend). Das iſt heilſan; und id, ver- fichere did), wir ſind am rechten Drt - Hoffegut. Ich wollte, wir wären wieder unten - Treufreund. Und ſind den nächſten Weg gegangen. Hoffegut. Ja, grad auf, aber ein paar Stunden länger. Ich fanit fein Glied rühren, von der Müh und vom Fall. Weh! o weh! Trenfreund (hebt ihn auf). Nu, nu! du hängſt ja noch zu- animen. Hoffrgut. D, müſt es allen benen ſo ergehen, die zi1 Hauſe unzufrieden ſind! Treufreund. Fall' dich, falf' dich! Hoffegut. Wir hatten wenigſtens zll eſſen und zu friufen - Treufreund. Wenn uns jemand borgte oder es was zu chimaruken gab. Hoffegut. Warm im Winter - Trenfreund. So lange wir im Bette lagen. Hoffegut. Keine Strapazen; und es waren gewiß Leute - Die Vögel. 247 1 ſchlimnier bran als wir, die wir wie unſinnig in die Welt hinein rennen und was Tolles auf Sie tollſte Art auf- ſuchen. Treufreund (gegen die Zuſchauer). linjere Geſchichte iſt mit we- nigen Worten dieſe: Wir konnten's in der Stadt nicht inehr aushalten. Denn ob wir gleich nicht viel verlangten, 10 friegten wir doch immer weniger, als wir hofften; was wir thaten, wurde gut bezahlt, und wir hatten immer weniger, als wir brauchten; wir ſchränkten uns auf alle mögliche Weiſe ein und konnten niemals auskommen. Wir lebten gern auf unſere Weiſe und konnten ſelten eine Geſellſchaft finden, die für uns paßte. Kurz, wir ſehnten uns nach einen neuen Lande, wo's eben anders ziginge. Hoffegut. lind haben uns auf dem Wege vortrefflich verbeſſert. Treufreund. Der Ausgang gibt den Thaten ihre Titel. - Große Verdienſte bleiben in den neuern Zeiten ſelten ver- borgen; es gibt journale, wo man jede edle Handlung gleich verewigt. Wir haben gehört, daß auf dem Gipfel dieſes überhohen Berges ein Schuhu wohnt, der mit nichts zufrieden iſt und den wir deswegen große Kenntniſſe zuſchreiben. Sie niennen ihn im ganzen Lande den Kritikus. Er ſitzt deit Tag über zu Hauſe und denft alles durcly, was die Leute geſtern gethan haben, und iſt immer noch einmal ſo geſcheit als einer, Der vom Rathaus kommt. Wir vermuten, daß er alle Städte, obwohl nur bei Nacht, wie der hinfende Teufel, wird geſehen haben, und daß er uns wird einen Drt anzeigen fönnen, wo wir mit Vergnügen unſer Leben zubringen mögen. Sieh doch, ſieh das ſchöne Gemäuer Sahinten! Ift's dochy, als wenn die Feen es hingehert hätten. Hoffegut. Entzückſt du dich wieder über die alteri Steine? Trcufreund. Gewiß dahinten wohnt er. Heda, he! Schuhu! he! he! Herr Schuhu! Iſt niemand zlı Hauſe? Papagei (iritt auf und ſpricht ſenarrend). Herren, meine Herren! Wie haben wir die Ehre ? Wo kommen Sie her? Welch eine angenehme Ueberraſchung! Tienfreund. Wir kommen, den Herrn Schuhu hier oben aufzuſuchen. Hoffegut. Und haben faſt die Hälſe gebrochen, um die Ehre zu haben, ihm aufzuwarten. Papagei. Was thut man nicht, um die Bekanntſchaft cines großen Mannes zu gewinnen! Sie werden meinen 248 Die Vöger. Herrn willkommen ſein. Wenn er gleich fein freundlich Ge- ſicht macht, ſo ſieht er's doch gern, wenn man ihn beſucht. Treufreund. Sind Sie ſein Diener? Papagei. Ja, ſo lang, als mir’s denkt. Hoffegut. Wie iſt denn jhr Name? Papagei. Man heißt mich den Leſer. Trenfreund. Den Leſer ! Papagei. Und von Geſchlecht bin ich ein Papagei. Hoffcgut. Das hätt ich Ihnen eher angeſehen. Trenfrennd. Seid Ihr denn mit Suerm Herrn zull- frieben? Papagei. Ach ja, ja. Wir ſchicfen uns recht für ein- ander. Er denkt den ganzen Tag, und ich denke gar nichts; er urteilt über alles, und das iſt mir ſehr recht, ba brauch ich's nicht zu thun. Went mir ſo was recht in der Seele wohl thut, wenn ich's auswendig gelernt habe, ich mich den ganzen Tag mit trage, da geh' ich eben des Abends hin und frage ihn, ob's auch was taugt. Treufreund. Ihr müßt aber hier jämmerliche Lange- weile haben. Papagei. Glaubt das nicht; wir ſind von allem unter- richtet. Hoffegut. Was thut und freibt Fhr aber den ganzen Tag? Papagci. Je nun, wir warten eben, bis der Abend fommt. Trenfreund. Jhr habt aber wahrſcheinlich noch beſondere Liebhabereien? Papagei. Ich bin ein erklärter Freund von Nachtigallen, Lerchen und andern dergleichen Singvögeln. Ganze Stunden lang bei Tag und Nacht kann ich ſtehen und ihren zuhören und ſo entzückt ſein, ſo ſelig ſein, daß ich manchmal meine, die Federn müßten mir vom Leibe fließen. Zum Unglück iſt mein Herr auch ſehr auf dieſe Tierchen geſtellt, nur von einer andern Šeite; wo er eins habhaft werden kann, ſchnaps ! hat er's beim Kopfe und rupft's. Kaum ein Paar hat er auf mein inſtändiges Bitten hier oben leben laſſen, und juſt nicht Die beſten. Treufreund. Ihr ſolltet ihm remonſtrieren. Papagei. Das hilft nichts, wenn er hungrig iſt. Hoffegut. Ihr ſolltet ihm ander Futter unterſchieben. Papagei. Das geſchieht auch, ſo lang's möglich iſt, und das iſt eben mein Leiðiveſen. Wenn's nur immer Mäuſe Die Vögel. 249 gäbe! Denn Mäuſe findt er ſo delizios wie Lerchen, und Sie ſchönſte Lerche ſchnabeliert er wie eine Maus. Hoffegut. Warun dient Jhr ihr denn aber? Papagei. Er iſt nun einmal Herr. Hoffegut. Ich ließ' ihn hier oben in ſeiner Wüſte und ſuchte mir dort unten ſo ein ſchönes, allerliebſtes, dichtes, feuchtliches Hölzchen, das voller Nachtigallen wäre und mo die Lerchen über dem Felde bran zu Hunderten in der Luft herum fängen; da wollte ich mir's redit wohl werden laſjen! Papagei. Ad), wenn's nur ſchon ſo wäre ! Treufrcund. Nun, ſo inacht, daß Ihr von ihm los kommt! Papagei. Wie ſoll ich's anfangen? Hoffegut. Gibt er Euch denn ſo gute Nahrung, daß Shi's wo anders nicht beſſer haben könnt? Papagei. Behüte Gott! Ich muß mir mein Biſchen ſelbſt ſuchen. Ja, wenn ich Gebeine und Gerippe freſſen könnte! Das iſt alles, was er von ſeinen Mahlzeiten übrig läßt. Treufreund. Das heiße ich ein Attachement! Macht doch, daß wir einen Herrn kennen lernen, der ſo einen freuen Diener verdient! Papagei. Nur ſtille, ſtille, daß ihr ihn nicht aufweckt! denn wenn man ihn aus den Träumen ſtört, da iſt er jo unartig wie ein Kind; ſonſt iſt er ein recht geſekter Mann. Doch ich höre, daß er eben, von ſeinem Mittagsſchläfchen er- wacht, ſich ſchüttelt; da iſt er am freundlichſten; ich will cuch melden. - Mein teurer Herr, ich bitte Eud), hier ſind ein paar liebenswürdige Fremde! Der Himmel iſt bedeckt, es wird Euern Augen nichts ſchaden. S chu h u (tritt auf). Sduhu. Ueber was verlangen die Herrn mein Urteil ? Treufreund. Nicht ſowohl Urteil als guten Rat. Papagei. Das iſt eben recht ſeine Sache. Ich habe noch nicht geſehen, daß einer etwas gemacht hat, den er nicht hinterdrein mit der Naſe aufs Bebre geſtoßen hätte. duhu. Sinen guten Rat, meine Herren? Hoffegut. Oder auch eine Nachricht, wie Sie's nehmen wollen. Papagei. Damit wird er Ihnen auch dienen können; denn er iſt von allent unterrichtet. Schuhu. Ja, ich habe Korreſpondenz mit allen Malkon- tenten in der ganzen Welt; da erhalte ich die geheimſten Nach- 250 Die Vögel. richten, Papiere und Dofumente; und wenn man mit Leuten. ſpricht, die unzufrieden ſind, da erfährt man recht die Wahrheit. Treufreund. Ganz natürlich! Hoffegut. Ohne Zweifel! Papagei. O gewiß! Sdjuhu. Ich habe meine rechte Freude, allen Vögeln bange zu machen, es wird keinem wohl, wenn er mich nur von weitem wittert. Sie führen ein Gefreiſche und Gefrächze und Gefrakſe und fönnen, wie ein ſchimpfendes altes Weib, gar von dem Orte nicht wegkommen, wo man ſie ärgert. Es iſt aber auch einer oder der andere ſich bewußt, daß ich ihni ſeine Jungen anatomiert habe, um ihm zu zeigen, wie er ihnen hätte follen ſchärfere Flügel, rüſtigere Schnäbel und wohl- gebautere Beine anſchaffen. Treufreund. Wir haben uns alſo an die rechte Schmiede gewendet; denn wir ſuchen eine Stadt, einen Staat, wo wir uns beſſer befänden als da, wo wir herkommen. Sdjuhu. Wenn Sie Nachricht haben wollten von einem, wo's ſchlimmer hergeht, damit fönnť ich eher dienen. Sein Sie verſichert, fein Volk in der Welt weiß ſich aufzu führen und fein König zu regieren. Hoffegut. Und ſie leben doch alle. Schulu. Das iſt eben das Schlimmſte. Aber was ver- treibt Sie aus Ihreni Vaterlande? Treufrennd. Die ganz unerträgliche Einrichtung. Be- denkeri Sie, wenn wir zu Hauſe faßen und ein Pfeifcheit Tabak rauchten, oder ins Wirtshaus gingen und uns ein Gläschen alten Wein ſchmecken ließen, wollte uns fein Menſch für unſere Mühe bezahlen. Was wir am liebſten thaten, war am ſtrengſten verboten, und wenn wir es ja einmal Doch probierten, wurden wir für unſere gute Meinung noch dazu geſtraft. Sdulu. Sie ſcheinen ſeltſame Begriffe zu haben. Hoffegut. D nein! unſere meiſten Freunde find ſo geſinnt. Sdulii. Allein, was für eine Stadt ſuchen Sie eigentlich? Treufreund. D eine ganz unvergleichliche! ſo eine weiche, wohlgepolſterte -- ſo eine, wo's einem immer wohl wäre. djuhu. Es gibt verſchiedene Arten von Wohlſein. Treufreund. Eine Stadt, wo es einem nicht fehlen fönnte, alle Tage an eine wohlbefetzte Tafel geladen zu werden. Sduhil. Hm! Hoffegut. So eine Stadt, wo vornehme Leute die Vor- teile ihres Standes mit uns geringern zu teilen bereit wären. Die Vögel. 251 : Sduhu. He! Treufreund. Eben eine Stadt, wo die Regenten fühlten, wie es dem Volk, wie es cinem armen Teufel zlı Mute iſt. Sdjuhit. Gut! Hoffegut. Ja, eine Stadt, wo reiche Leute Zinſen gäben, damit man ihnen nur das Geld abnähme und verwahrte. Sdruhu. So! Treufreund. Eine Stadt, wo Enthuſiasmus lebte, wo ein Mann, der eine edle That gethan, der ein gutes Bud) geſchrieben hätte, gleich auf zeitlebens in allem freigehalten würde. Holuhu. Sind Sie ein Schriftſteller? Treufreund. Ei wohl! Sdulu. Sie auch? Hoffegut. Freilich, wie alle ineine Landsleute. Sdjuli. Da gehören Sie vor meinen Stuhl. Hoffegut. Wenn Sie was dazu beitragen fönnen, ſo ſorgen Sie, daß wir beſſer bezahlt werden. Sdubii. Das befümmert mich nicht. Trenfreund. Daſ wir nicht nachgedruckt werden. Sduhu. Das geht mich nichts an. Hoffegut. Cine Stadt, wo Vater und Mutter nicht gleich ſo gräßliche Geſichter ſchnitten, wenn man ſich ihren liebens- würdigen Töchterit nähert. Suluhu. Wie? Treufreund. So eine Stadt, wo Ehemänner einen Be- griff von dem bedrängten Zuſtande eines unverheirateten wohl- geſinnten Jünglings hätten. Sduhu. Was? Hoffegut. Eine Stadt, wo ein glücklicher Autor weder Sdjuſter noch Schneider, weder Fleiſcher noch Wirt zu be- zahlen brauchte, da, wo mir ſelbſt ein niedliches Schätzchen ihre Annehmlichkeiten gratis aufdränge, weil ich einmal ge- iyußt habe, ihr Herz zu rühren. Sdjuhu. Zu wem, denkt ihr, daß ihr gefommen ſeid ? Trenfreund. Wie ſo? Sruhi. Wo finde ich Worte, die eure Ungezogenheit ausdrücken? Hoffegut. Sonſt Habt Ihr deren doch einen guten Vorrat. Sduhu. Schändlich)! und was ſchlimmer iſt, abſcheulich! und was ſchlimmer iſt, gottlos! und was ſchlimmer iſt, ab- geſchmackt! i 252 Die Vögel. Treufreund. Er hat die Leiter erſtiegen. Sruthu. Für euch iſt kein Weg als ins Zucht- oder ins Tollhaus. (Ab.) Papagei. Aber um Gotteswillen!, was macht ihr, ihr Herren? Ihr ſcheint ja ſo vernünftige Leute, und mein Herr iſt ſo ein vernünftiger Herr! Treufreund.' Das macht, daß juſt vernünftige Leute ſich unter einander am wenigſten vertragen fönnen. Papagei. So einen ernſthaften Mann, den Vogel der Vögel ! Trenfreund. O ja! er gleicht dem Wiedehopf; denn er macht ſein Neſt aus Quark. Hoffegut. Oder dem Kuckuck; denn er legt ſeine Eier in fremde Neſter. Papagei. Meine Herren, ich leide ganz erbärmlich! . Treufrennd. Wir auch — an Hunger und Durſt. Papngei. Ach, meine Leiden ſind viel grauſamer! es ſind Seelenleiden! Ift's denn nicht möglich, daß treffliche, mit ſo vielen Gaben ausgerüſtete und ausgezeichnete Männer auf einen Zweck wirken und vereint das Gute, das Voll- fommene erſchaffen können? Hoffegut. Es wird ſich ſchon finden. Ich dächte, Shr rettetet indes die Hausehre und gäbt uns was zum beſten. Papagei. Die Herren ſcheinen fonderliche Kenner zu ſein. Erlauben Sie nicht, daß ich Ihren meine Nachtigallen und meine Lerchen produziere? Hoffegut. Schaum und Wind! Papagei. Nun ſollt ihr ſie hören, meine lieblichen, aller- liebſten, unſere Stunden mit ewiger Freude umfränzenden Sängerinnen. . Treufreund. Leſer, lieber Leſer! Papagei. D ou kleine, leichtbewegliche, aufſpringende, Schwirrende, ſchmetternde, hellklingende Lerche, ou Gaſt der friſchgepflügten Erde, laß deine Stimme hören und fchaffe neue Bewunderung und Freude! Treufreund. Der wäre vortrefflich, eine Ode auf eine mittelmäßige Actrice zu machen. (Die Lerche hinter der Szene ſingt, während der Zeit der Papagei ſein unendlichee Entziiden und die Zuhörer ihre Verwunderung äußern.) Papagei. Dank dir, heißen Dank! Treufreund. Hunger, heißen Hunger ! Die Vögel. 253 Hoffegut. Durſt, heißen Durſt! Iſt nicht irgend eine Quelle hier in der Nachbarſchaft? Tréufreund. Gibt's keine Heidelbeeren, Himbeereit, Mehl- beeren, Brombeeren hier oben, daß ich dem Scheidewaſſer meines Magens nur etwas zur Nahrung einfüllen fönnte? Pnpagei. Ihr ſollt meine Nachtigall hören, die ſanft- zaubernde Huldin, die Beſeelerin der Nächte! -- Wecke, rufe hervor jedes ſchlummernde Gefühlchen! Belebe mit Wolluſt jeden Flaum und mache mich von der Kralle bis zum Schnabel ganz zur Empfindung! Hoffegut. Wenn ſie ſich nur kurz faßt! Treufreund. Das iſt gar ihre Art nicht. Wenn To eine Nachtigall einmal ins Schlagen kommt, da muſs man · ihr den Hals umdrehen, wenn ſie aufhören ſoll. (Nachtigall hinter der Szene, eine Yange zärtliche Urie nach Belieben.) Papagei. Brav! brav! Das iſt ein Ausdruck! eine Mannigfaltigkeit! Treufreund. Mir iſt's, als wär ich in der deutſchen Komödie; es will gar kein Ende nehmen. Hoffegut. Sie hat eine hübſche Stimme; ich möchte ſie doch in der Nähe ſehen.. Papagei. Nun noch zuguterleßt ein Rondeau von der allerliebſten Lerche; ſie hat ſo was Humoriſtiſches in ihrem Geſange. (Rondeau von der Lerche, während deſſen Treufreund den Takt tritt und zulckt Bc. wegungen macht wie einer, der tanzen will.) Papagei. Um Gotteswillen, wer wird den Taft treten? Merkt doch auf den Ausdruck! Treufreund. Der Taft iſt das einzige, was ich von der Muſik höre; da fährt's einem ſo recht in die Beine. (Das Rondeau geht fort. Treufreund fängt an, für ſich zu tanzen.) Treufreund. Ich glaube, ich werde toll vor Hunger. (Hoffegut wird aud). angeſtedt. Der Schuhu kommt und ruſt.) Sdniju. Soll denn des Gelärms noch kein Ende werden? (Treufreund friegt den Schuhu und Hoffegut den Papagei zu fajjen und nötigen ſie ju tanzen. Wic das Rondeau zu Ende iſl, klatſden Trcufreund und Soffegut in die Hände und rufen : Bravo ! bravo ! – Hinter der Szene entſteht ein Betümmci.) Hoffegut. Was hör' ich? welch ein Geſchrei? welch ein Geräuſch? Trenfreund. Die Aeſte werden lebendig. Hoffegut. Ich höre piepfen und krafſen und ſehe eine Perſammlung unzähliger Vögel. (Die Vögel kommen nach und nach herein.) 254 Die Vögel. ieſe kleine Beauties hüpft uncolle von ichet pont Treufrennd. Welch ein buntes, abgeſchmactes Gefieder! Lauter Tagvögel! Sie ſpüren ihren nächtlichen Feind, den mächtigen Kritikus. Hoffegut. Welch ein abenteuerlicher Kamm! Wie das Tier fich verwundert! Trenfreund. Dieſer hat ſich noch ärger ausgepußt und ſieht noch alberner aus. Hoffegut. Sieh den Dritten, wie er wichtig thut! Sie beratſchlagen ſich untereinander. Treufreund. Bis ſie einig werden, haben wir gute Zeit. Hoffegut. D.weh mir! Der Haufe vermehrt ſich. Sieh dieſe kleine Brut, dieſen gefährlichen Anflug! Wie's trippelt, wie's ſtußt, wie's hüpft, fcheut und wiederkommt! Weh uns! weh? - Dwelche Wolfe von ſcheußlichen Kreaturen! Welch ein ſchändlicher Tod droht uns von abſcheulichen Feinden! Treufreund. Warum nicht gar! Ich habe Appetit, ſie zu freſſen. Hoffegut. Ein Wagehals nimmt fein gutes Ende! davon haben wir die Erempel in der Hiſtorie. Du wirſt umkommen, und ich werde umkommen, und ich werde nicht das mindeſte Vergnügen davon gehabt haben. Treufreund. Haſt du die Geſchichte des Regulus geleſen? Hoffegut. Leider ! Treufreund. Des Cicero ? Hoffcgut. Nun ja! Treufreund. Kein großer Mann muß eines natürlichen Todes ſterben. Hoffegut. Hätteſt du mir das eher geſagt! Treufreund. Es iſt noch immer Zeit. Hoffegut. Haſt du mir darum folche Lehren gegeben? mir immer vorgeſagt, faſ ein Menſch leben müſſe, als wenn er hundert Jahr alt werden wollte; daß er ſich ordentlich, mäßig, feuſch und in allen Dingen ſparſam erzeigen müſſe? Haſt du mir nicht eine brave, niedliche Frau verſprochen, wenn ich mich aufführte, wie ſich unſere jungen Leute nicht aufführen? - lluð nun foll ich ſo ſchändlich untergehen! Hätt' ich das cher gewußt, ich hätte mir wollen mein bißchen junges Leben zu nuke machen. Treufreund. Laß dich deine Tugend nicht gereuen! Hoffegut. Sie ſchmieden einen Anſchlag, fie wetzen ihre Schnäbei, fie ſchließen ſich in Reihen, ſie fallen uns an! Die Vöger. 255 Treufreund. Halte den Rücken frei, drücke den Schlapp- hut ins Geſicht und wehre dich mit dem Aermel! Jedem Tier und jedem Narren haben die Götter ſeine Verteidigungswaffen gegeben. Erſter Vogel. Verſäumt feinen Augenblick! Sie find's! unſere gefährlichſten Feinde! es find Menſchen! Zweiter Vogel. Vogelſteller? Verſchonet feinen! Fallet jie an mit vereinten Kräften, mit ſchneller Gewalt! Chor der Vögel. Pickt und frakt und frammt und hacket, Bohrt und krallet den verwegnen, Den verfluchten Vogelſtellern Ungeſäumt die Augen aus! Schlagt und klatſcht dann mit den Flügeln Shre Wangen, ihre Lippen, Die uns zum Verderben pfeifen, Ihre mordgeſinnten Schläfe, Daß ſie taumelnd niederſtürzen! Und dann zerrt und reißt euch gierig, Keiner ſie dem andern gönnend, Um die vielgeliebten Augen! - Schlänkert die geliebten Biſſen, Sie gemächlich zu verſchlucken! Jagt euch um die Leckerbiſſen! Šelig, wer den Fraß verſchlingt! Hoffegut. Wer wird fich der Menge entgegenſetzen! Treufreund. Freilich nicht allein mit zehn Fingern. Die größten Generale loben die Verſchanzungen. Hier, mein Freund, iſt das Rüſt- und Zeughaus unſers alten großglas- äugigen Kritikus. Dieſe Gerätſchaften und Waffen find uns gerade willkommen. Hier iſt ein Ballen, noch einer, und noch einer. (Dic Ballen und Bücher werden nach und nach von beiden Freunden heraußgeſchafft und eine Art von Feſtung aufgebaut. 2n den Ballen tann außeil angccrieben ſtehen, aus welchem Fndie die Bilder ſind.) Lauter neue Bücher, die er nach dem Geruche rezenſiert hat! Hier ſind die großen Lerika, die großen Frambuden der Litteratur, wo jeder einzeln fein Bedürfnis pfennigweiſe nach dem Alphabet abholen kann! – Nun wären wir von unten auf geſichert; denn jene verfluchten kleinen Kröten ſcheineil 256 Die Vöger. uns von gefährlichen Seiten angreifen zu wollen. Halt hier! halt feſt! Hoffegut. Was ſoll ich weiter holen? Es geht verflucht langſam mit unſerer Verſchanzung im Angeſicht der Feinde. Treufreund. Sei nur ſtill! Das iſt Homeriſch. (Die nachbenannten Gerätſchaften müſſen foloſſaliſd) und in die Augen fallend ſein, beſonders die Feder und das Tintenfaß.) Nimm zuerſt dieſen fnotigen Prügel, womit der Kritikus alles junge Geziefer auf der Stelle breit zu ſchlagen pflegt! Nimm dieſe Peitſchen, mit denen er, ſich gegen den Mutwillen waffnend, die ungezogenheit noch ungezogner macht! Nimm Die Blasröhre, womit er ehrwürdigen Leuten, die er nicht erreichen kann, Lettenkugeln in die Perücken ſchießt – und ſo wehre dich gegen jeden in ſeiner Art! Hier, nimm das Tintenfaß und die große Feder und beſchmiere damit dem erſten, der mit buntem Gefieder herankommt, die Flügel; denn wer die Gefahr nicht ſcheut, fürchtet doch, verunziert zu werden. Halte dich wohl! fürchte nichts! und wenn du Schläge kriegſt, ſo denke, daß ſie dein Tapfern wie dem Feigen von den Göttern zugemeſſen ſind. Hofftgut. Ich bin ein lebendiges Herz. Chor. Pickt und kratzt und frammt und hacket, Bohrt und krallet den verwegnen, Den verfluchten Vogelſtellern Ungeſäumt die Augen aus ! Papagei. Bedenkt, meine Freunde! Hört das Wort der Vernunft! Erſter Vogel. Biſt du auch hier? Zerreißt den Ver- räter zuerſt! Zweiter Vogel. Er hat ſie eingeführt, er muß mit ihnen ſterben. Dritter Vogel. Du verfluchter Sprecher ! (Sic hacken auf den Papagei und treiben ihn fort.) Treufreund. Sie ſcheinen geteilt. Man muß ſie nicht zu Atem fommen laſſen. Hoffegut. Nur immer zu! . Treufreund. Dieſe Nation iſt in ihrer Kindheit. Ich habe von den Seefahrern gehört, daß man dergleichen Völker. durch Honinetetät am erſten betrügen kann. Ich werde dieſe Stöcke wegwerfen, wirf Sie Peitſche aus der Hand! Siehſt bu, wie ſie acht geben und ſich verwundern? Die Vögel. 257 Hoffegut. Ich ſehe, wie ſie ihre Schnäbel auf uns richten und uns grimmig zu zerhacen diohen. Treufreund. Ich entäußere mich dieſer Feder, ich leke bas Tintenfaß beiſeité, ich demoliere die Feſtung. Hoffegut. Biſt du raſend? Treufreund. Ich glaube an Menſchheit. Hoffcgut. IInter den Vögeln? Treufreund. An erſten. Hoffegut. Was wird das werden! Trenfreund. Weißt du nicht, daß die Gegenwart eines großen Mannes ihm alle ſeine Feinde verſöhnt? Hoffegut. Wenn fie Narren ſind. Treufreund. Das iſt eben, was wir verſuchen wollen. Hoffegut. Nun, ſo mach deine Sache! Trenfreund (tritt vor). Nur einen Augenblick euern raſchen, auf unſer Verderben gerichteten Entſchluß mit Ueberlegung zurückzuhalten, wird euch zum emigen Ruhm gereichen, ge- flügelte Völker! die ihr vor andern cuers Geſchlechts ſo aus: gezeichnet ſeid, daß ihr nicht bloß mit Gefraffe und Geſchrei in den Lüften hin und her fahret, ſondern durch die hinim- liſche Gabe der Rede und vernehmlicher Worte cuch zu ver- ſammeln und gemeinſchaftlich zu handeln vermöget! Großes Geſchenk der alten Parze! Etwas zum Schaden Bekannter oder linbekannter vornehmen, kann uns der größte Vorwurf werden; dagegen es immer lobenswürdig iſt, auch wenn wir etwas für gut erfennen, die Erinnerungen derer anzuhören, die, bekannter mit uns verborgenen Umſtänden, unſerin raſch gefaßten Entſchluß eine beſſere Richtung zu geben wiſſen. Erſter Vogel. Er ſpricht gut... Zweiter Vogel. Ganz allerliebſt! Dritter Vogel. Ich wollte, ihr hörtet die Sache, nicht die Worte. Hoffegut. Es iſt, als wenn ein Franzos unter die Deutſchen kommt. Treufreund. Oder ein Virtuos unter Liebhaber. Dritter Vogel. Laßt ſie nicht reden! Folgt eurem Ent- ſchluß! Wer Gründe anhört, kommt in Gefahr, nachzugeben. Hoffegut (zu Troufreund). Es wird dir nichts helfen. Treufreund. Gib nur acht, wie ich pfeife! (Zu den Vögein.) Fhr ſeid in Gefahr, euch ſelbſt einen großen Schaden zıt thun, indent ihr eure nächſten Verwandten und beſten Freunde aus Mißverſtändnis zu töten bereit ſeid. Goethe, Werfc. VI. 17 258 Die Vögel. Erfer Vogel. Mit keinem Menſchen ſind wir verwandt noch Freund. Ihr ſollt umkommen, wir haben's wohl überlegt. Treufreund. Und irrt euch doch. Denn freilich, das ganz Unwahrſcheinliche vorauszuſehn und zu bedenken, kann man von feinem Nate erwarten. Wir ſcheinen euch feindſelig hier zu ſein, und ſind die beſten, edelſten, uneigennütigſten von euren Freunden, ſind keine Menſchen, find Vögel. Bweiter Vogel. Ehr! - Vögel? Welch eine unver- fchämte Lüge! Wo habt ihr eure Federn? Treufreund. Wir ſind in der Mauſe; wir haben ſie alle verloren. Vierter Vogel. Zu welchem Geſchlecht wagt ihr euch zu rechnen? Treufreund. Die Seefahrer haben uns vom Südpole mitgebracht. Dieſes iſt der otahitiſche Miſtfinke, nach dem Linné Monedula lyparocandula; und ich bin von den Freunds- inſeln, der große Hoſenkacferling, Epops maximus polyca- caromerdicus; es gibt auch einer kleinen, der iſt aber nicht ſo rar. Erſter Vogel (zu den andern). Was haltet ihr davon? Dritter Vogel. Es ſieht völlig aus wie eine Lüge. Vierter Vogel. Es kann aber doch auch wahr jein.. Treufreund. Von Menſchen unſerer Freiheit beraubt, in der wir ſo angenehm auf den Zweigen ſaßen, uns iniega ten, Kirſchferne auffnacten, Ananas beſchnupperten, Piſangs naſchten, Hanfſamen knuſperten - . 'Erſter Vogel. Ach, das muß gut geſchmeckt haben! Treufreund. In böſe Käfige geſteckt, auf dem lang- weiligen Schiffe! Umgang eines verdrieblichen Kapitäns und grober Matroſen! ſchlechte Hoſt, ein trübſeliges und heimlichen Haß nährendes Leben! Zweiter Vogel. Sie ſind zu beklagen. Treufreund. Angefommen in Europa; wie Scheuſale angeſtaunt, von Standesperſonen nach Belieben, von Bürgern um vier Groſchen, von Kindern um fechs Pfennige und von Gelehrten und Künſtlern gratis. Dritter Vogel. Sie haben mich auch einmal ſo dran gehabt. Treufreund. Sie glaubten, uns zahm gemacht zu haben, weil wir, durch den Hunger gebändigt, nicht mehr wie anfangs hacten und krallten, ſondern Mandelkerne und Nüſſe aus den Händen ſchöner Damen annahmen und uns hinter den Dhren frauen ließen. . Vierter Vogel. Das muß doch auch wohl thun. :. Die Vögel. 259 Trcufreund. Aber vergebens! Wir, im Herzen wie Hannibal oder ein Nachſüchtiger auf dem engliſchen Theater, ungebeugt durch die Not, ohrie Dank gegen tyranniſche Wohl- thäter, ſchmiedeten einen doppelten, heimlichen, großen Anſchlag - unſerer Freiheit und ihres Verderbens. - ift es der Beſcheidenheit erlaubt, Uufmerkſamkeit auf ihre Thaten zu lenfen: 0! ſo laßt mich euch bemerklich machen, daß ſonſt jeder geflügelte Gefangene ſchon ſich ſelig fühlt, wenn das Thür: chen ſeines Kerkers fich eröffnet, der Faden, der ihn hält, zer- reißt und er ſich mit einem ſchnellen Schwung aus dem Ge- fichte ſeiner Feinde entfernen kann. Aber wir, ganz anders geſinnt, verachteten oft eine leichte Gelegenheit zur Freiheit; andere Plane wechſelten wir im Buſen und ſaßen lauſchend und getroſt indes auf dem Stängelchen. Hoffegut. Die Federn fangen mir an zu wachſen, ich werde zum Vogel, wenn du jo fortfäheſt. : Trcufreund. Wer lügen will, ſagt man, muß ſich erſt . ſelbſt überreden. (Zu den Vögetn.) Was uns täglich in die Augen fiel, war ihre Einbildung und ihre Albernheit, ihre Untüchtig- keit, etwas vorzunehmen, ihr Müßiggang, ihre plumpe Gewalt- thätigkeit und ihr ungeſchickter Betrug. Ach! -- ſeufzeten wir ſó oft in der Stille — foll dies Volk, ſo unwürdig, von der Erde genährt zu werden, die ihnen durch den Diebſtahl des Prometheus verräteriſch zugewandte Herrſchaft ſo mißbrauchen und ſie den urälteſten Herren, dem erſten Volke, vorent- halten! Erſter Vogel. Wer iſt das erſte Volk? Treufreund. Ihr ſeid's! Die Vögel ſind das erſte, urälteſte Geſchlecht, vom Schickſale beſtimmt, Herren zu ſein des Himmels - Vögel. Des Himmels? Treufreund. Ünd der Erde! Vögel. lind der Erde? Treufreund. Nicht anders! Vögel. Aber wie? Treufreund. Denn nicht allein die Menſchen, ſondern auch die Götter vorenthalten euch euer rechtmäßiges Erbteil. Sie jiben auf euern väterlichen Thronen; und ihr indes, wie armſelige Vertriebene, einzelne Ausſchößlinge einer alten Wurzel, werdet auf euerm eigenen Boden wie in einem fremden Garten als Unkraut behandelt. Zweiter Vogel. Er rührt mich! 260 Die Vögel. Treufreund. Die Thränen kommen mir in die Augen, wenn ich euch anſehe. Ein Prinz, deſſen Eltern von Reich und Krone vertrieben worden, der ſeiner Sicherheit wegen in armſeligen Hütten bei Fiſchern ſein Leben zubringen muß – wird durch den Zufall einen Freunde vom Hauſe, einem würdigen General, entdect; dieſer eilt, ihn aufzuſuchen, und wirft ſich ihm zu Füßeri – Nein, ich würde nicht mit mehr Nührung die Siniee des entſtellten Erhabenen umfaſſen, nicht mit mehr wahrer Inbrunſt ihm mein Leben, meine Treue, mein Vermögen anbieten, als ich mich euch nähere und zum erſtenmal ſeit langer Zeit einen hoffnungsvollen Schmerz genieße. Hoffegut. Sie ſchweigen. Wahrhaftig, fie ſchluchzen, ſie trocknen ſich die Augen. Sie ſind doch noch zu rühren! So ein Publikum möcht' ich füſſen. Erſter Vogel. Du bringſt uns ein unerwartetes Licht vor die Augen. Hoffegut. Sie gebärden ſich wie Faſanen, die man bei der Laterne ſchießt. Wie willſt du auskonimen? Du haſt dich in einen ſchlimmen Handel gemiſcht. Treufreund. Merf auf und Lern' was! (Zu den Vögeln.) Es wird euch befannt ſein, ihr werdet geleſen haben – Vögel. Wir haben nichts geleſen. Treufreund (der den Perioden in eben dem Tone wieder aufnimmt). Ihr werdet nicht geleſen haben, es wird euch nicht bekannt ſein, daß nach dem uralten Schickſal die Vögel das Celteſte find. Vögel. Wie beweiſt Ihr das? Hoffegut. Ich bin ſelbſt neugierig. Treufreund. Ganz leicht. Es fagt der Dichter Periplek- tomenes, da er vom Anfang der Anfänge ſpricht: Und im Schoße der Urwelt, voll ruhender innrer Geburten, Lag das Si des Anfangs, erwartend Leben und Regung. Nun, wo will das Ei hergekommen ſein, wenn es kein Vogel gelegt hat? Dritter Vogel. Es muß ein groß Ei geweſen ſein! Hoffegut. Allenfalls vom Vogel Rock oder einem Lind- wurm. • Treufreund. Das iſt lange noch nicht alles; hört weiter ! Er fährt fort: Und auf die ſtockende Nacht ſenkt warm die urſprüngliche Liebe Sich mit den Fittigen her und brütet über den Weſen. Ihr feht alſo deutlicy, wo will die Liebe Fittiche herge- Die Vögel. . 261 nommen haben, wenn nicht von den Vögeln? und wie von den Vögeln, wenn keine geweſen ſind? Und wenn ihrer ge- weſen ſind, ſind ſie nicht älter als die Liebe? Ja, ſogar ſind Verſchiedene ber Meinung, daß die Liebe ſelbſt ein Vogel ge- weſen ſei. — Nun, was ſagt ihr dazu? – Die uralten Götter und Göttinnen, die Nacht, der Erebus, die Erde, werden bei den Dichtern alle mit Flügeln eingeführt; und werden ſie's nicht, ſo iſt's ein Verſehen: denn wenn ſie, wie ich eben be- wieſen habe, von den. Vögeln herkommen, ſo müſſen ſie Flügel haben. Hoffegut. Deutlich und zuſammenhängend. Vögel. Danſchauliche Lehre, o ehrenvolles Denkmal! Treufreund. Die Zeit hat Flügel! Das iſt Saturnus! Das zweite Geſchlecht der herrſchenden Götter war von euerin Stamme geſetzt: ſeine Frau aber hat wohl feine gehabt; da entſtanden die lekten Baſtarde, Jupiter und ſeine Geſchwiſter und Kinder – ihnen waren die Flügel verſagt, das Schickſal und die Vögel ihnen gram! Sie legten ſich aufs Schmeicheln und nahmen Vögel zu ihren Günſtlingen, um ihnen das Recht auf die Herrſchaft vergeſſen zu machen; Jupiter den Adler, Juno den Pfau, den Jiaben Apollo und Venus die Taube. Šeinem geliebten Sohn und Kuppelboten Merkur negoziierte Jupiter ſelbſt zwei paar Flügel. Dem Siege wußten ſie Fittiche zu verſchaffen, den Horen, dem Schlaf. Hoffegut. Es iſt wahr, ich hab' fie alle ſo gemalt geſehen. "Treufreund. Und, was ſag ich? Amorn, den loſeſten aller Vögel, zierten ein paar regenbogenfarbene Schwingen. Er, der Herr iſt der Götter und Menſchen, iſt unſtreitig ein Vogel! Er ſetzt die erſte uralte Gewalt eures Geſchlechts fort. Und ſo hat die Liebe bloß von den Vögeln ihre Macht. Und was noch merkwürdiger iſt, will ich euch auch ſagen. Dritter Vogel. Rede weiter! Laß uns nicht in Unge- wißheit! Hoffegut. Das heiß ich einen Kinderſinn! Hätt ich nur ein Netz! die wären mein! Treufreund. Hätte Prometheus, als ein meiſer, vor- ſichtiger Vater, ſtatt des ſo ſehr beneideten Flämmchens, feinen Menſchen Flügel gegeben: weit einen größern Schaden hätt er ſeinen Göttern gethan; aber auch euch, meine Freunde! Drum dankt dem Schickſal und euern Áhnherrn, die ihm ſeine flugen Sinne verdunkelten; denn in ſo mannigfaltiger 262 Die Vögel. : Kunſt, als die Menſchen ſich geübt haben, iſt doch immer noch das Fliegen ein vergeblicher Wunſch, eine eitle Bemühung ge- weſen. Sie ſcheinen ihre eigenen Vorzüge darüber zu ver- geſſen, ſtehen mit aufgerecten Mäulern da und beneiden euch, wenn ihr von den hohen Felſen über die undurchdringlichen Wälder dahin fahrt. fîein Waſſer hält einen Verliebten auf; mit den Fiſchen eifern ſie in die Wette; aber euer Reich iſt unzugänglich und zu euern Künſten ein Sterblicher zu plump. Im Traume finden ſie die höchſte Seligkeit, wenn ſie zu fliegen wähnen, und man hört die Zärtlichen an allen Ecken ſeufzen: „Wenn ich ein Vögle wär' und auch zwei Flügel hätt' ~" aber vergebens ! Vierter Vogel. Unſere Feinde beneiden uns. Hoffegut. Neider find Feinde. Treufreund. Aber im tiefſten Herzen iſt eurer Vorzüge lebermacht ihnen eingeprägt; und von Geſchlecht zu Geſchlechten beugen ſie ſich, ohn' es zu wiſſen, vor dem uralten Necht eurer Herrſchaft, wenigſtens im Bilde. . Zweiteľ Vogel. Sag’ uns keine Nätſel! Wir lieben die Deutlichkeit; wir lieben nicht, nachzudenken, noch zlı raten. Tieufreund. Ja, übereinſtimmend geben aře Völker euch göttliche und königliche Ehre. ' Sie bilden ſich ein, ſehr viel magination zu haben, und wenn ſie den Vortrefflichſten unter fich mit etwas Rechtem vergleichen wollen, ſo können ſie nicht weiter als bis zum Adler. Fhi ſeid ſo weit herumgekommen in der Welt, ihr ſolltet wiſſen --- Vögel. Wir wiſſen nichts. Treufreund. Habt ihr niemals von jener mächtigen Stadt gehört? - Sie unterjochte die bewohnte Welt, und es waren fo 'vortreffliche Leute darin, daß nachher fein Held und kein großer Mann entſtanden iſt, der nicht gewünſcht hätte, einem ihrer Bürgermeiſter oder Stadtwachtmeiſter ähnlich zu ſehen – Nont, ſag' ich, das freie Rom, das keinen König über ſich leiden konnte, ſette den Adler auf die Stange und den Senat mit dem Volk in einem demütigen Monogramm zu ſeinen Füßen! So ließen ſie ihn dem Heer vortragen und folgten mit Ehrfurcht und Mut, als ſeine Söhne, als ſeine Knechte. So ehrenvoll behandelt man euch, indes ihr, gleich jungen Prinzen, gar nicht zu begreifen ſcheint, was für Vorzüge Sie Götter euch angeboren haben. Erlaubt, daß ich euch mit der Naſe darauf ſtoße. . Vögel. Wie es dir beliebt. Die Vögel. 263 Treufreund. Es iſt ſchon lange, daß von der Madyt Roms und ſeiner Herrlichkeit faum einige Backſteine mehr übrig ſind. Aber andere Völkerſchaften haben ſich zu der Ehr- furcht bekannt, die euch niemals entgehen kann. Im Norden iſt jeßt das Bild des Adlers in der größten Berehrung: überall ſeht ihr's aufgeſtellt, und wie vor einem Heiligen neigen ſich alle Völfer, wenn er auch von dem ſchlechteſten Suðler gemalt oder geſchnißt iſt. Schwarz, die Krone auf dem Haupt, ſperrt er ſeinen Schnabel auseinander, ſtredt eine rote Zunge heraus und zeigt ein paar immer bereitwillige Krallen. Šo bewahrt er die Landſtraßen, iſt das Entſeßen aller Schleich- händler, Tabafskrämer und Deſerteure. És wird niemanden recht wohl, der ihn anſieht - Und was ſoll ich von dem zweiföpfigen ſagen? Erſter Vogel. Wir wollten, ihr thätet dem Adler weniger Ehre an; wir fönnen ihn ſelbſt nicht wohl leiden. Trenfreund. Dieſe Ehre iſt euch allen gemein. . Denn wenn Fürſten und Könige ſich und die ihrigen vor andern geringen Menſchen recht auszeichnen wollen, wählen fie irgend einen Vogel und tragen ihn, mit Gold und Silber geſtickt, auf der Bruſt. Ja, fie ſchlagen euch an vergoldete und dia- mantene Kreuze (die größte Ehre, die jemand widerfahren kann!) und tragen euch in Knopflöchern ſchwebend am Buſen. Bweiter Vogel. Was hilft uns dieſe zeitliche Ehre, dieſe Leere Achtung, wodurch ſie ſich mehr untereinander ſelbſt als unſere Vorzüge preiſen? Götter und Menſchen beſitzen unſer Reich, und wir irren als Fremdlinge zwiſchen Himmel und Erde. Treufreund. Mit nichten, meine Kinder! Die Gewalt habt ihr ihnen gelaſſen; euer Vaterland, euer Reich ſind ſie untüchtig einzunehmen. Noch iſt es frei, wie vom Anfang her. Vögel. Zeig' es uns! Hoffegut. Ich gehe mit. Vögel. Führ uns hin! Dritter Vogel. Gibt's Widen, gibt's Mandelferne brin? Vierter Vogel. Es wird doch an Würinchen nicht fehlen? Alle. Führ uns hin! Daß wir da trippeln, Daß wir uns freuen, Naſchen und flattern - Nühmliche Wonne! Mandeln zu knuſpern, Erbſen zu ſchlucken, 264 Die Vöger. Würmchen zu Icjen - Preisliches Glück! Führuns hin! Treufreund. Jhr ſeið brin. Vögel. Du ſtellſt uns auf den Kopf. Treufreund. Tretet näher! -- Hierher! Nun ſcht euch um! Hier in die Höhe! Waš ſeht ihr da oben ? Erſter Vogel. Die Wolfen und den uralten ausge- ſpannten Himmel. Dritter Vogel. Er ſteht wohl ſchon eine Weile? Hoffegut. Ich denk's! Es iſt mir auch noch gar nicht bange für ihn. Trenfreund. Da troben wohnen, wie jedermann be- kannt iſt, ſeit vielen Jahrtauſenden die Götter. Nun ſeht hinunter, was ſeht ihr da? Vierter Vogel. Berge und Flüſſe , Wälder und Seen, Wohnungen der verderblichen Menſchen. Treufreund. Nun merkt auf und ſchaut auf! Und zwi- ſchen dieſen beiden, was ſeht ihr? Zweiter Vogel. Zwiſchen Himmel und Erde? Treufreund. Ja, dazwiſchen. Vögel. Nun, nun, da fehen wir – nichts. Treufreuitd. Nidts? D, ihr feid ja faſt fo blind wie die Menſchen! Seht ihr nicht den ungeheuern Raum, ausge- breiteter als das Oben und Unten, das unermeßliche Land, das an alles grenzt, dieſen luftigwäßrigen See, der alles um- gibt, dieſen ätheriſchen Wohnplatz, dieſes mittelmeltiſche Reich? Vögel. Was meinſt du damit? Treufrennd. Die Luft mein' ich. Wer bewohnt ſie als ihr? wer beſchifft ſie, wer begibt ſich darin von einem Drte zum andern? wen gehört ſie zu als euch ? Vögel. Daran haben wir gar nicht gedacht. Treufreund. Und fliegt drin herum! Erſter Vogel. Aber wie ſollen wir's anfangen? Treufreund. Hier iſt mit vereinten Kräften das große Werk zu beginnen; eine Stadt zu gründen; mit einer feſten Mauer den ganzen Aether zu umgeben; eine regulierte Miliz einzurichten; die Grenzen wohl zu beſetzen; eine Acciſe anzulegen und ſo den Göttern und Menſchen die Nahrung zu erſchweren! Hoffegut. Da gibt's Nemter zu vergeben! Ich werde alle meine Freunde und Verwandte anbringen. Zweiter Vogel. Aber Jupiter wird donnern. - Die Vöger. 265 Treufreund. Wir laſſen ihm keine Blitze aus dem Aetna ohne ſchweren Impoſt verabfolgen und legen ſelbſt uns einen Donnerturm an. Die Adler ſind ja ohnehin gewohnt, damit umzugehn. Wir laſſen keine Opfergerüche hinauf, ohne daß fie Tranſito bezahlen. Dritter Vogel. Werden ſie ſo zuſchen? Treufreund. Ihr Ivißt nicht, wie's broben ausſieht. Sicher in ihren alten, lang unangetaſteten Rechten, ſitzen ſie ſchläfrig auf ihren Stühlen, find aller Mühe, find alles Wider- ſtands entwohnt, ſind leicht zu überraſchen und zu überwinden. Vierter Vogel. Aber die Menſchen, das Pulver und Blei und die Neße? Treufreund. Die ſind übel bran. Sie haben unter ſich ſo viel zu kriegen, zu ſcharmuzieren und zu ſchikanieren! Keiner denkt meiter als heute; und wenn einer ihrer Nachbarn gut aushält oder ſich rüſtet, haben ſie nicht leicht ein Arges Sran. Widerſeken fie fich, ſo ſind wir ihnen überlegen; ergeben ſie fich, ſo ſollen ſie's wohl haben; beſſer als jeßt! Wir wollen's machen, wie alle Eroberer, die Leute totſchlagen, um es mit ihrer Nachkommenſchaft gut zu meinen. Vierter Vogel. Verden ſie's geſchehen laſſen? Treufreund. Wir haben ſie in den Händen. Wir hans deln den Göttern den Regen ab, legen große Ziſternen an und vereinzeln ihn an die Frdiſchen, wenn's Dürrung gibt, ſo viel jeder für ſeinen Acker und Garten braucht. Sie ſollen alle zufriedner ſein als jetzt. Ich geb' euch nur eine Sfizze von meinem großen Plan; denn das Detail iſt unüberſehbar. Kurz, ihr werdet Herren! Die Götter traktieren wir als alte Verwandte, die aber zurückgekommen ſind; die Menſchen als überwundene Provinzen; die Tiere, beſonders die Inſekten, die in unſerm Reich doch leben müſſen, als kaiſerliche Kammer- frechte, ungefähr wie die Juden im römiſchen Reich. Vögel. Nur gleich, nur gleich! Wir können's nicht erwarten. Treufreund. Gleich, gleich! Das geht ſo geſchwind nicht. Ueberlegt's wohl! Wählt ein Dubend, oder wie viel ihr wollt, aus eurer Mitte, die das große Werk mit geſamten Kräften unternehmen. Vögel. Mit richten! Du haft's erfunden, führ* es aus! Sei du unſer Ratgeber, unſer Leiter, unſer Heerführer! Trrufreund. Shr beſchämt mich! . Hoffegut. Du bedenkſt nicht — Treufreund. Sei ruhig, unſer Glück iſt gemacht. 266 Die Vögel. Vögel (auf Hoffegut zeigend). Und dieſer ? Was ſoll der? Darf er hier bleiben? Zu was iſt er nüße? Treufreund. Er iſt uns unentbehrlich. Vögel. Was fannſt du? Worin übertriffſt du das Volk? Hoffegut. Ich kann pfeifen! Vögel. Schön! o ſchön! o ein köſtlicher, ein notwendiger Bürger! Wir ſind ein glüdliches Volk von dieſem Tag an! (Zu Treufreund.) Du ſollſt uns regieren, er ſoll uns pfeifen! Was geht uns noch ab? Treufreund (beſchämt). Soll es ſo ſein? Vögel. Du nimmſt's an? Treufreund (neigt ſid)). Vögel. Halte Wort! Wir geben dir die Herrſchaft, Verleihen dir das Reich! Mach uns den ſtolzen Göttern, Den ſtolzern Menſchen gleich! Epilog. Der erſte, der den Inhalt dieſes Stüc&s Nach ſeiner Weiſe aufs Theater brachte, War Ariſtophanes, der ungezogne Liebling der Grazien. Wenn unſer Dichter, dem nichts angelegner iſt, Als euch ein Stündchen Luft Und einen Augenblick Beherzigung Nach ſeiner Weiſe zu verſchaffen, In ein und anderem geſündigt hat, Šo bittet er durch meinen Mund Euch allſeits um Verzeihung. Denn, wie ihr billig ſeib, ſo werdet ihr erwägen, Daß von Athen nach Ettersburg Mit einem Salto mortale, Nur zu gelangen war. Auch iſt er ſich bewußt, Mit ſo viel' Gutmütigkeit und Ehrbarkeit Des alten deklarierten Böſewichts Verrufene Späße Hier eingeführt zu haben, Daß er fid; euers Beifalls ſchmeicheln darf. Die Vögel. 267 Dann bitten wir euch, zu bedenken, Und etwas Denken iſt dem Menſchen immer nüße, Daß mit dem Scherz es wie mit Wunden iſt, Die niemals nach ſo ganz gemeßnem Maß Und reinlich abgezogenem Gewicht geſchlagen werden. Wir haben, nur gar kurz gefaßt, Des ganzen Werfes Eingang Zur Probe hier demütig vorgeſtellt: Šind aber auch erhötig, Wenn es gefallen hat, Den weiteren weitläufigen Erfolg Von dieſer wunderbaren, doch wahrhaftigen Geſchichte Nach unfern beſten Kräften vorzutragen. stun, eben en anführe, haftetet meine Kaprühen Nachtrag zu den Vögeln. (Aus der Gothaer Handſdrift ; vgl. Goethe-JahrbudII, 219.) [S. 250—252: Sduhu: Es gibt verſchiedene Arten von Wohlſein. Hoffegut. Nun, eben eine Stadt, wo mir einer auf dem Markte begegnete und mich anführe und ſagte: ,,Was, Herr, iſt das erlaubt, iſt das ein Freundſchaftsſtück, in acht Tagen fich nicht einmal bei mir zu Šafte zu laden? meine Kapaunen nicht verzehren helfen? meinen alten Wein zu verſchmähen? Ich muß wahrhaftig bitten, mein Herr, daß Sie Shre Auf- führung ändern, ſonſt fann's nicht gut gehen.“ Treufreund. So eine Stadt, wo mich ein alter, wür: diger Greis in der Allee beim Lippen kriegte und mich zur Rede ſtellte und ſagte: „Was, jhr belohnt meine Wohl- thaten fo! Hab' ich Euch Darum einen Eintritt in mein Haus erlaubt? Da hab' ich meine Tochter, das allerliebſte Mädchen! Hab' ich Euch nur darum bei ihr allein gelaſſen, daß Ihr ihr ſo begegnen ſollt? Der arme Tropf kommt zii mir, weint und ſchluchzt und ſagt: „Ach, lieber Herzenspapa, bedenkt nur, er hat mich nicht einmal gefüßt, nicht einmal geherzt, nicht einmal - ach, daß das arme Kind vor Weinen nicht fort- reden kann! Þfui," fährt der Alte in einem geſetzten Tone fort, „das hätt' ich mir von Euch nicht verfehen! Beſchimpft mich nicht zum zweitenmal, wenn wir gute Freunde bleiben ſollen, wie ich's von Eurem ſeligen Vater geweſen bin.“ Hoffegut. Und wo wider Vermuten ein beſcheidner, 268 Die Vögel. ſauber gekleideter Mann in mein Zimmer träte und mich ſehr um Vergebung bäte. „Ich bin Ihnen doch nicht be- ſchwerlich ?" ſagt er. „Im geringſten nicht,“ ſagt ich. – „Ich habe was vorzubringen, wenn Sie mir's nicht übel auf- nehmen,“ ſagt er. fm geringſten nicht,“ ſagt ich. — ,,'S iſt eine Kleinigkeit,“ ſagt er. „Oh, deſto beſſer," ſagt ich. – „Aber ich muß überzeugt ſein, daſs Sie deswegen nicht ſchlimmer von mir denken werden." - „Oh, ganz und gar nicht.“ – „Daß Sie nach wie vor mein Freund ſein wollen?“ – „Auf alle Weiſe.“ – „Nun, ſo wag ich's. Ich habe hier 200 Stück Louisdor; ſie ſind wahrlich vollwichtig! Darf ich ſie Ihnen anbieten? Ich wüßte nicht, bei wem ſie ſichrer wären. Ohne Hypothef, ohne Verſchreibung, ohne Wechſel; aber ich bitte Sie ums Himmelswillen, unter zehn, zwanzig Jahren denken Sie mir an keine Rückzahlung. Treufreund. Und wenn ich nun irgend für ein Werk des Genies 5, 6, 800 Louisdor geradeswegs von unbe- kannten, unaufgeforderten Publiko ins Haus geſchickt friege und ich nicht mehr ein Schuldner des kleinen Philiſters ſein will und ich zu ihm ſchicke: läßt er ſich verleugnen - ich ihm begegne, und er weicht mir aus — ich ihn verklagen will, daß er's annehmen ſoll und muß, daß ich keinen Ád- vokaten kriege, der ſich meiner ungerechten Sache annehmen inag – wenn ich zulebt genötigt bin, es ad pias causas anzubieten, ſo einem hübſchen, kleinen Mädchen, die gute Geſellſchaft aufnimmt, und, was mich zuletzt ganz außer mich jetzt, auch die wirft mir’s vor die Füße, ſchickt ein paar Meßfremde fort und behält mich wahrhaftig vom Freitag in der Zahlwoche bis Sonntag bei ſich. Schuhu. Zu wem, denkt Ihr, daß fhr gekommen ſeið? Treufrennd. Wie ſo? Schuhu. Wo find ich Worte, die Eure Ungezogenheit ausdrücken? Hoffegut. Sonſt habt Ihr deren doch einen guten Vorrat. Sduhu. Schändlich! und was ſchlimmer iſt, abſcheulich! und was ſchlimmer iſt, gottlos! und was ſchlimmer iſt, ab- geſchmackt ! Treufreund. Nun geht der Periode zu Ende. Sruhu. Für Euch iſt kein Weg als ins Zucht- oder ins Tollhaus. (26.) Papagei. Aber um Gotteswillen 2c. 2c.] I Goethes ſämtliche Werke. Meu durchgeſehene und ergänzte Uusgabe in rechsunddreißig Bänden. Mit Einleitungen von Karl Goedeke. Siebenter Band. Inhalt: Singſpiele. Claudine von Vila Bella. - Erwin und Elmire. – Jerry und Bätely. - lila. Dic Fiſdierin. – Scherz, Lift und Nadie. – Die ungleiden Hausgenoſſen. Der Zauberflöte zweiter Teil. . MDCXL DAVO SA fuifgar f... I. G. Gotta'ſche Gebrüder Kröner, Βαφήαιδίung. Verlagshandlung. Druck von Ocbrlider Nröner in Stuttgart. Sinſeifung. Das Singſpiel entichnien die Deutſchen von den Franzojen, denen Goethe jelbſt das Verdienſt zuſchreibt, ein Heiteres fingbares Weſen auf unſer Theater herübergebracht zit haben. - Es waren flcine Luſtſpiele init eingemiſchten Arien, Duetten, Terzetten und. Chören, leicht hingeworfne Sachen, an die inan nicht große An- įprüche inachte. Audi Goethe verſuchte ſich in dieſer Gattung, als cr in den Jahren vor ſeiner lieberſiedlung nach Weimar init dem Koniponiſten André in Offenbach bekannt geworden war. Der Ver- bindung mit ihn verdanken wir Erwin und Elmire und Claudinc von Villa Bella, die Beide in doppelter Geſtalt vorlicgcn und von denen die lettere hier, die ceſtore weiterhin (in der Einleitung zur XIII. Bd.) in ihren beiden Formen beſprochen werden ſoll. Die ältere Form der Claudinc yon Villa Bella ſtammt aus dem Frühjahr 1775 und wurde zuerſt im folgenden Jahre in Berlin gedrudt. Goethe nannte das Stück cin Schauſpiel mit Ge- jang und verlegte die Szene nad) Spanien. Der Sohn cines an- geſehenen Hauſes, früh ſchon cin wilder Bube, findet die bürgerliche Geſellſchaft, in der man, um zi1 arbeiten und ſich luſtig zu machen, Kinecht ſein muß, auf die Dauer unerträglich und geht in die weite Welt. Sinmal ins Vagieren gekoinmen, hat er kein Ziel und keine Grenzen inehr. Zwar behält er einen Grund von Edelmut und Großheit im Herzen, aber er ſchwadroniert init Spielern und Buben im Lande herun, betrügt die Mädchen und fängt Sändcl an. Shu aufzuſuchen und zu ſeiner Familie zurückzuführen, iſt ein Frcund des Hauſes ansgezogen und hat ihn in der Nähe von Villa Bella auf der Fährte, wo er ſich unter dem Namen Crugantino mit einem andern Vagabunden, Basco, Jerilintreibt und ein Bürſchchen wie ein Hirſchchen der Frauenzimmern den Kopf verdreht, die Pfarrer beſtiehlt und ſich nicht fangen läßt. Er hat ſein Auge auf Claudine gerichtet, die Tochter des alten Gonzalo, die ihrerſeits einen Gaſt, Pedro, Den Bruder des Schwärmers, liebt. Dieſe Liche ſuchen zwei neidiſche Nichten Gonzalos zu verdächtigen; ſie machen Ginleitung. den Alten argwöhniſd), und dieſer kommt, als eben Pedro und. Crugantino, beide nach der im Mondſchein wandelnden Claudine ausgegangent, draußen zuſammengetroffen und der vermundete Pedro weggetragen iſt, auf die Stätte des Getümmels, führt den als harni- roſen Spaziergänger ſich darſtellenden Trugantino mit ſeiner Zither ins Schloß und macht ihn mit den Frauen Bekannt. Crugantino fingt ſeine Liebe, und als der Alte eine Geſpenſterromanze verlangt, kann er auch damit dienen, denn alle Balladen, Romanzen, Bänker- geſänge werden jetzt eifrig aufgeſucht, aus allen Sprachen überſetzt; unſre ſchönen Geiſter beeifern ſich darin um die Wette’. Er fingt die Ballade: "Es war eine Buhle frech genung', deren Schluß durch die Nachricht unterbrochen wird, daß Pedro verwundet und entführt ſei. Jndeſſen kommt der alte Freund des Hauſes mit Wache herein, um den Vogel zu fangen; allein Crugantino ſchlägt ſich durch und entfoinnt. Die ohnmächtig gewordene Claudine kommt wieder zil fich, weiß, während die Männer bem Flüchtigen nachſeken, die Nichten zu entfernen und macht ſich in der Nacht in Mannskleidern nach Saroſſa auf, wo Pedro verwundet liegt. Dort trifft ſie mit Crugantino zuſammen, der eben zurü& will, um ſeine auf dem Schloß gelaſſene Zither nachzuholen. Pedro, unter beſſen Fenſter beide ein Getümmel machen, kommt herab, um Claudine zu befreien, aber Srugantino ſetzt ihr den Degen auf die Bruſt. In dieſem Augen- blick erſcheint die Wache und führt alle hinweg. Im Gefängnis wird Crugantino als Bruder Pedros kund gemacht, Claudinens Vater kommt auch herbei, die Tochter ringt mit Ohnmacht, erholt ſich aber – und das weitere läßt der Dichter in einem Schlußchor erraten. Der kecke Plan, die Friſche der Ausführung und Derbheiten der kräftigen Sprache machen das Schauſpiel zum Produkt der Genieperiode. Die Charakterſchilderung Crugantinos, die feinen Thaten entſpricht, zeigt, wie ganz Goethe ſein Auge auf dieſen Charakter richtete und wie er ihin die Hauptaufgabe war. Die andern Perſonen treten dagegen zurück, ain blaſfeſten die Titel- heldin, deren wiederholte Ohnmachten mit dem fühnen Entſchluß, dein Geliebten in Männerkleidung Heizuſpringen, ebenſowenig ftiininen, wie die übrige träuineriſch zarte Zurückhaltung ihres Weſens. Die neidiſchen Nichten verſchwinden, als Claudine fie fortgeſchickt, und von Basco iſt ſeit der Haftnahme nicht wieder die Nede. In Italien nahm Goethe im November 1787 das Stück wieder auf, um es für die Ausgabe ſeiner Werke fertig zu machen; er hatte ſeine Forderungen an ſich ſelbſt geſteigert und konnte es nicht über Sinleitung. fich gewinnen, das Spiel in ſeiner erſten Form dahin zu geben; inanches Lyriſche darin war ihm wert; es zeugte von vielen, zwar thöricht, aber doch glücklich verlebten Stunden, wie von Schmerz und Kummer, welchen die Jugend in ihrer unberatnen Lebhaftigkeit ausgeſekt iſt. Der proſaiſche Dialog wollte ihn jetzt nicht niehr genügen. Er ſtudierte init dem Komponiſten Kayſer exft jetzt recht die Geſtalt des Singſpiels und berechnete alles auf das Bedürfnis der lyriſchen Bühne, alle Perſonen in einer gewiſſen Folge, in einem gewiſſen Maß zu beſchäftigen, daß jeder Sänger Ruhepunkte genug habe, und andere Dinge, denen der Staliener allen Sinn des Gedichts aufopfert. Er wünſchte, daß es ihm gelungen ſein möge, durch ein nicht ganz unſinniges Stückchen jene muſikaliſch-theatra- -liſchen Erforderniſſe zu befriedigen, und ſandte die Ilmarbeitung im Anfang Februar 1788 nach Deutſchland, wo ſie noch iin ſelben Jahre im fünften Bande der Schriften erſchien und ſeitdem nicht verändert wurde. Aus dem Schauſpiel mit Gejang war ein Singſpiel geworden, die Zahl der handelnden Perſonen beſchränkt, sie des Chores ver: vielfältigt, der Schauplatz nach Sizilien verlegt und alles in fünfs füßigen Jamben oder in ſyriſchen Verſen verfaſt. Schon dieſe Vera änderung mußte- den Charakter des Stücs, in dem der kecke Vaga- bund die Hauptfigur geweſent, vornehmer machen. Alle ſprechen nun wie in Taſſo und Iphigenie, nur daß die Situation den Inhalt ihrer Geſpräche der idealiſchen Form nicht entſprechend heben konnte. Das Grundmotiv des Entlaufens iſt beibehalten, aber anders ge- wandt: Srugantino, der nun Rugantino heißt, iſt vom Vater aus unbekannten Gründen verſtoßen und auf ein Geringfügiges ſeiner Erbſchaft herabgeſetzt. Er ſchwärmt noch auf Abenteuer umher, aber er. ſtiehlt nicht, ſondern hat anfänglich ſeine Genoſſen von ſeinen Renten, dann mit dem, was ihr Fleiß, ihre Liſt und Klugheit den Männern und Weibern abgelockt, unterhalten; jetzt find ihnen die Garden des Fürſten von Nocca Bruna auf den Ferſen, und die Biffen ſind ſchmal geworden. Pedro, der jüngere Bruder Rugan- tinos, vom Vater teſtamentariſch ſehr bevorzugt, iſt ausgezogen, den ältern zu ſuchen, um mit ihm die Erbſchaft zu teilen. Er iſt als Saft auf Villa Bella und liebt Claudine, die Tochter des Beſibers Alonzo, ohne ſich zu erklären. Die beiden neidiſchen Nichten find in eine Lucinde zuſammengezogen, welche wohlwollende Freundſchaft für Claudine hegt und dieſer ihre Liebe zu dem unbekannten Aben- teurer geſteht. Rugantino hat einen Anſchlag, fie zit entführen, während ſein Genoſ Basco fich mehr für gewaltſame Herbeiſchaffung von Exiſtenzmitteln intereſſiert zeigt. Die ſelir verſchiedene Denfungs- Einleitung. art beider führt zu Wortwechſel, Zwift und Spaltung der Bande, Deren geringere Zahl ſich zu Rugantino, die größere zu Basco ſchlägt. Jener hat ſich nach dein Schloffe aufgemacht, um Lucinden zu verlocken, und trifft mit dem ſcheidenden Pedro draußen zu: janımen, verwundet ihn und läßt ihn durch ſeine Leute wegführen. Nach dieſer Begebenheit trifft Alonzo den wandernden Zitherſpicler, der ſich unwiſſend ſtellt, anfangs auch ſchroff entgegnet, aber dann in höflicher Weiſe ſeine Einladung ins Schloß zu veranlaſſen weiß. Dort ſingt er wie ſein älteres Vorbild, auch dieſelben lieder. Inzwiſchen berichten Pedros Diener von dem linfall ihres Herrn, und der Beſitzer des Schloffcs ſchickt ſich zum Nachſetzen an. Nugantino erbietet ſich zur Begleitung und zeigt ſeine Waffen, die der Schloßherr ijin, als 311. unbedeutend, Höflich abzunchmen weiß, un ſie, wic. er äußert, durch füchtigere öll erſetzen. Als er den Gaft entwaffnet hat, gebictet er deſſen Gefangennahme; dieſer aber zieht einen zurückschaltnen Dolch), jetzt ihn auf Claudinens Bruſt und erzwingt ſo das Verſprechen des Alten, ihn frei und ſicher aus dem Schloſſe zu begleiten. Den gefangen gehaltnen Pedro tröſtet Claudine mit cincin bewegten Billet, als Basco mnit ſeinen Leuten herbeifommt, dic Pedros Gepäck als Bcute bringen. Er löft cs gegen hohe Verſprechungen aus und vermiſst nur cine Ledertaſche mit Briefen und Dokumenten, die, während ſic-geſucht wird, Rugan- tino herbeibringt und ihren Inhalt lieft. Er erkennt aus den Adreſſen, daß ſein Bruder Pedro der Beſitzer iſt, und dieſer gibt fich zul crkennen, worauf auch Rugantino ſich mit einem von der Mutter conpfangenen Ringe als den ältern Bruder Karlos ausweiſt. Er hofft durch die Fürſprache ſcines Bruders zu den Füßen des Königs Gnade 311 finden und getröſtet auch Basco derſelben. Dieſer aber traut sen Ausſichten nicht und läßt fich lieber mit Geld ab. fividen. Fortwandernd trifft er auf Claudinen, die ſich dennoch aufgemacht hat, um Pedro zll pflegen. Basco ſucht die ſchöne Beute für ſich zu gewinnen, aber Pedro und Karlos hindern ihn durch ihre Dazwiſchenfunft. Claudine fordert ſie auf, nach Lucinde, die ihr in Männerkleidung zur Seite geweſen, aber verloren gegangen, fich umzuſehen. Dieſe iſt wiederum Basco in die Hände gefallen, wird jedoch von Karlos befreit und ſamt allen übrigen von den Garden des Herzogs von Rocca Bruna gefangen genommen, wobei Claudine in Ohnmacht fällt, als ſie ihren herbeikommenden Vater er: blidt. Sie erholt ſich indeſſen bald, und beide Paare werden vereint, worauf Alonzo die Garden entfernt, die nur aus Verſchen ſeinen Grund und Bodeit betreten haben. Die ganze Schlußentwicklung,' bercrft Goethe ausdrücklich, welche die Poeſie nur kurz andeuten Einleitung. darf und die Muſik weiter ausführt, wird durch das Spiel des Afteurs erſt lebendig' Es klingt, als ſei er der Arbeit müde ge- worden und habe ſie ſo raſch als möglich abſchütteln wollen. Man ſieht leicht, daß es die Abſicht bei der neuen Bearbeitung war, Bedro und beſonders Rugantino zu veredeln; deshalb iſt jenem die Sorge für die Auffindung des Bruders, die in der früheri Forint ein alter Freund des Hauſes übernommen hatte, ſelbſt zugcteilt, und Karlos-Rugantino jichtet ſein Auge nicht mehr auf ein Weſen, Das uns keine Teilnahme einflößen kann, ſondern auf cine Claudinen an Gemütsart gleichſtehende Freundin, deren Wünſche wir erfüllt zu ſehen von Anfang an hoffen durften. Die Motive für Nugan- tinos Herumſchwärmen ſind weggefallen, auch ſeine Geſangsluſt hat kein äußeres Motiv mehr; der zurückgelaſſenen Zither wird ſo wenig gedacht, wie des Durchſchlagens. Alles Herabwürdigende iſt auf Basco geladen, der bei der ſchließlichen Entwicklung ſich von dem Volfe vor Langerweile megjehnt. Das Ganze iſt feiner, ge- hobener, künſtlicher geworden, glätter im Aeußerii, aber auch fälter, und es fanit eigentlich keine Wahl zwiſchen der jüngern Forint und Dein älterit jugendlich friſchert, an den Grundelement des Stücks, dem Vagabundenleben, herzliche Luft ſprudelnden Schauſpiele ſein. - Die ausführliche Vergleichung nag fich damit rechtfertigen, daß an einen rebenden Beiſpicle zu zeigen war, wie ſich die idealiſtiſche Behandlung eincs urſprünglich nicht idealiſtiſch aufgefaßten Stoffes ausnchmen mußte. Bei Erwin und Elmire waren die Schwieriga keiten nicht in gleichem Maße hinderlich. Auch das kleine Singſpiel fery und Bätely; eine Frucht der Schweizerreiſe, die Goethe im Spätjahr 1779 mit dem Herzoge Karl Auguſt inachte, zuerſt am 22. Juli 1782 in Weinnar aufgeführt, mag in Italici einige charakteriſtiſche Lokalzüge verloren haben; wenigſtens wurde es damals umgearbeitet; Goethe meldete Sem Herzog am 28. März 1788 aus Rom, daß es fertig ſei; es erſchien 1790 in ſiebenten Bande Der Schrifien und crhielt 1825 den jetzigen Schluß. Sin trotziges Schweizermädchen weiſt die Freier ab und verſcheucht auch faſt, der letzten, bis dieſer, ihr kleines Eigentum verteidigend, ſie zur Dankbarkeit und durch dieſe zur Liebe ver- anlaßt. Den Hauch der Schweizeralpenmatten, den, wie Goethe meinte, man darin ſpüren ſolle, empfindet man kaum in den ein: geſtreuten Liedern. Wirkliche Lokaltöne ſind nicht aufgewandt. Neiter iſt das kleine Singſpiel Rila, in vier Aufzügen, das noch aus dem Winter 1776-77 herſtammt und auf dem Privat: theater wiederholt aufgeführt wurde. Es iſt mehrfach überarbeitet. Von der urſprünglichen Faſſung ſind nur Geſänge übrig geblieben, Einleitung. die mit der Vorklage des Unvermögens beginnen, etwas Beſicres zu bringen. Im Februar 1778 wurde das Stück neu diftiert und zehn Jahre ſpäter in Rom nochmals durchgearbeitet. Dennoch ſind darin mehr, als vielleicht in einem andern Goetheſchen Stücfc, lokale und perſönliche Beziehungen, die bei der Darſtellung ein ganz anderes Intereſſe gewährten, als jeßt beim Leſen, vorſichtig geſchont worden. Wein fällt die Verleumdung, unter der Goethe und der Herzog zu leiden hatten, nicht ein, wenn er den Baron über die politiſchen alten Weiber ſchelten hört, die weitläuftige Korreſpondenzeit haben und immer etwas Neues brauchen; woher Cs auch komunc, daß es der favorabeln Neuigkeiten ſo vick gibt, weil jedermann fich einen großen Spaß inacht, was Böſes zu erfinden und zu glauben. Bei dein übrigens gut und brav geſchilderten Grafen Altenſtein, der nach Pferdemärkten rechnet und beinahe lo beſorgt um den Schimmel iſt, wie um die Kranke, muß máit an den Oberſtallmeiſter v. Stein Denfen, der vielleicht die Rolle ſelbſt ſpielte. Die kurze Interredung zwiſchen Friedrich und Almaide zu Anfang des legten Aufzuges iſt geradezu wie aus Goethes Briefwechſel init Frau V. Stein abgeſchrieben; ja die Namen der Gefangenen, der frohe Karl, der ſchelmiſche Heinrich, der freue Franz, der dienſtfertige Ludwig ſind als - Nanien der Darſteller aufzufaſſen. – Der Gegen- ſtand der Handlung iſt eine pſychologiſche Heilung. Lila, durch eine grundloſe Nachricht vom Tode ihres Gemahls gcängſtigt, verfällt in Schwermut und iſt durch falſche Heilverſuche waynſinnig geworden; fie hält alle ihre Freunde und Liebſten, ſogar ihren Mann für Schattenbilder und von den Geiſtern untergeſchobene Scſtalten. Dann geht ihre fixe idee in die Vorſtellung über, daß ihr Mann von widrigen Dämonen gefangen gehalten werde. Von dieſem Punkte aus bekämpft ein Arzt, auf ihre Ideen eingehend, ihre Krankheit. Shre Familie fritt ihr als Schatten und Geiſter ent- gegen, ſie beſiegt den Zauberer Oger und komit durch Tanz, Muſik und das Srkennen ihrer Lieben wieder zur Geiſtesklarheit. Gegent den Schluß hint gewinnt das theatraliſche Beiwerk die Oberhand, und die ganze Anſtalt des vierten Afts wird völlig dem Geſchmack des Ballettmeiſters überlaſſen. – In der früheſten Geſtalt, die man nur aus den Geſängen, welche der Theaterkalender für 1778 und eine vergeſſene Zeitſchrift, Dila potrida, mitteilen, kümmerlich erraten kann, wurde nicht Lila, ſondern ihr Gemahl durch Feerei von einer Seelenſtörung geheilt. Neben der Fee Almaide erſchien noch eine Fee Sonna, ber eine bedeutende Rolle ſcheint zugeteilt geiveleit zu ſeint. Das Stück wurde zum Geburtstage der regierenden Herzogin aufgeführt. Die ältere Faſſung wurde durch eine Tragikomödie des Einleitung. . franzöſiſchen Dramatikers Jean Rotrou veranlaßt, in welcher ein Liebhaber bei der falſchen Nachricht vom Tode ſeiner Geliebten wahnſinnig und wie Lila gcheilt wird. fi dem Singſpiele die Fiſcherin, das am 16. Juli 1782 fertig war und am 22. desſelben Monats in Tiefurt an der Jim, unter freiem Himmel, geſpielt wurde, faßte Goethe früher gedichtete Lieder und Romanzen zuſammen, die zum Teil auf Volksliedern beruhen. Mit dem Erlkönig eröffnet die Fiſcherin das Spiel. Für Sic, geringe Beachtung, dic ihr der Liebhaber und der Vater fchenfen, rächt ſich dic Fiſcherin, indem ſie ſich verſteckt und die beiden auf den Glauben bringt; fie ſei crtrunken, bis ſie die Ge- ängſtigten durch ihr Hervortrefen erfreut und ihre Verzeihung über Der nicht feinen Spaß' erbittet. Die Zuſchauer”, ſchreibt Goethe an Sinebel, “jaßen in der Mooshütte, wovon die Wand gegen das Waſſer ausgehoben war. Der Kahn kam unten herauf. Beſonders war auf den Augenblick gerechnet, wo in dem Chor die ganze Gegend von vielen Feuern erleuchtet und Lebendig von Menſchen wird.' Solche Erfindungen hatte Goethe ſchon früher ins Werk geſetzt. Am 22. Auguſt 1778 hatte er die Herzogin Amalie, Wieland und andre in ſeinen Garten geladen. Abends nach Tiſch öffneten fich die Thüren; (ſiehe', berichtet Wieland, da ſtellte ſich uns, durch geheime Anſtalt des Archi-Magus, ein Anblick dar, der inehr einer realiſierten dichteriſchen Viſion, als einer Naturſzene ähnlich fah. Das ganze Ufer der Slm, ganz in Rembiandts Geſchmack beleuchtet - ein wunderbares Zaubergemiſch von Hell und Dunfel, das im ganzen einen Effekt inachte, der über allen Ausdruck geht. AIS wir die kleine Treppe der Einſiedelei hinabſtiegen und zwiſchen den Felſenſtücken und Buſchwerken längs der Ilm hingingen, zerfiel dic ganze Viſion nach und nach in eine Menge kleiner Rembrandtſcher Nachtſtücke, die man ewig hätte vor ſich ſehen mögen und die nun durch die dazwiſchen herumwandelnden Perſonen ein wunderbares Leben bekamen. So ging bei dieſen Hoffeſten die Poeſie in die Wirklichkeit über, und es wird begreiflich, wie der flüchtige Moment bleibenden Eindruck hinterließ, ſo daß jene 'Glanzzeit noch jetzt den Reiz bildet, der um Weimar ausgegoſſen iſt. Scherz, lift und Rache, cine Operette im italieniſchen Ges ſchmack, begann Goethe im Sommer 1784; er machte daran, wie er an Frau v. Stein ſchreibt, eine Arie oder ein Stück Dialog, wenn er ſonſt zu gar nichts daugte. Herber fand ſic 'allerliebſt'. Mit Kayſers Kompoſition wurde ſie im Dezember 1785 aufgeführt, und der Herzog (chrieb, das Beſſere Publikum werde durch die Muſik ctwas erfriſcht; über cine günſtige Aufnahme der Dichtung ſelbſt 10 Einleitung. fagen Sie Zeitgenoſſen nichts. Goethe ſucht ſich damit zu tröſten, daß ihn ein Dunkler Begriff des Intermezzos verführt habe und zugleich die Luſt, mit Sparſamkeit und Kargheit in einem engen Naume viel zu wirken. Von der Ausführung weiß er kaum Ent: ſchuldigendes zu ſagen. Scapin und Scapine betrügen den Dottore uin Hundert Dufaten, die er als Erbſchaftsgut einer Muhme er- ſchlichen hat. Für cinen rechtlichen Deutſchen, bemerkt Goethe, habe der freche Betrug keinen Neiz, wenn Staliener und Franzoſen fich daran wohl ergößen möchten. Aber es war nicht bloß das Verlangen des Publikums, die Gerechtigkeit, die es über die Per: fonen des Stücks verhängen ſollte, vom Dichter auf der Bühne be- reits erekutiert zu ſehen, was dem Stücke ungünſtig war; man hielt ieder den Betrug ſelbſt für etwas des Intereſſes Wertes, noch die dabei in Bewegung geſetten geiſtigen Närfe der Betrüger für jonder: lich unterhaltend, und was Goethe die größte Sorgfalt gekoſtet hatte, die Beſchränkung, für eintönig. Auch mißfiel, daß der Dichter fremde Masken gewählt hatte; aber gerade auf die Form der ita: lieniſchen Stomödie kann es ihm an, der damals alle ſeine Gedanken und Wünſche nach Stalien gerichtet hatte. Das unvollendete Singſpicl, die ungleichen Hausgenoſſen, aus dem Jahre 1789, hatte eine ähnliche Beſchränkung zur Aufgabe. Die ſieben handelnden Perſonen ſollten in einem Schloſſe ivohnen, fich völlig entgegengeſetzt ſein und doch einander nicht loswerden fönnen. Arien, Lieder und mehrſtimmige Partien daraus verteilte Goethe nachher in ſeine Lyriſchen Sammlungen und inachte ſich das durch die Wiederaufnahme des Stoffs, wie er ſagt, unmöglich. Den zweiten Teil der Zauberflöte aus den Jahre 1800, mit ältern Liedern, entſchuldigt Soethe gegen Schiller ſehr kleinlaut mit äußerlichen Rückſichten. Ohne die Schikanederſche Zauberflöte zu kennen, vermag inari ſich in dieſe Dichtung nicht zu finden; jene kennt zwar jeder wegen der Muſik Mozarts, aber eines ſolchen Vor: teiſs hat ſich die Fortſetzung nicht zu erfreuen gehabt. : O Karl Goedeke. Claudine von Villa Bella. Ein Singſpiel. Perſonen. A10130, Verr von Villa Bella. Claudine, ſeine Tochter. Lucinde, joine Nichte. Bedro von Caſtellvecchio, unter dem Namen Pedro voli Novero. Sarlos von Caſtellvecchio, unter dem Namen Rugantino. Basco, cin Abenteurer. Landvolf. Vagabunden. Bediente Alonzos. Bediente Pedros. Garden des Fürſteit Rocca Bruna. Der Schauplatz iſt in Sizilieni. Erſter Aufzug. Ein Gartenſaal mit offren Arfaben, durch welche man in einen geſchmückten Garten hinausſieht. Zu beiden Seiten des Saales find Kleider, Stoffe, Gefäße, Geſchmeide mit Geſchmack aufgehängt ind geſtellt. Cucinde, mit zivci Mädden, bejchäftigt ſid), 110d) hic und da etwas in Ordnung 31 bringeii; zu ihr N101130, der alles durchſicht und init der Anordnung zufriedeni ideint. Alonzo. . Das haſt du wohr bereitet; Verdienſt den beſten Lohn! Bekränzet und begleitet, Naht ſich Claudine fchon. Heut bin ich zlı beneiden, Wie's, faunt ſich denken läßt! Ein Feſt der Vaterfreuden. Iſt wohl das ſchönſte Feft. Claudine von Villa Bella. Lucinde. Ihr habt mir wohl vertrauet, Ich habe nicht geprahlt; Herr Onkel, ſchaut nur, ſchauet, Hier iſt, was Fhr befahlt. Ihr habt nicht mehr getrieben, Äls ich mich ſelber trieb; Jhr fönnt die Tochter lieben, Mir iſt die Nichte lieb. (311 zwei.) Alonzo. Heut bin ich zu beneiden, . Wie's faum fich denken läßt! Lucinde. Heut ſeid Ihr zu beneiden, Wie fich's empfinden läßt! Alonzo und Lucinde. Gin Feſt der Vaterfreuden Iſt wohl das größte Feſt. Pedro (fommt). Pedro. Gewiß, ich will nicht fehlen, Ich hab' és wohl bedacht! Von Gold und von Jumelen Habt ihr genug gebracht. Die Blumen in dem Garten, Sie waren mir zu ſtolz; Die zärteſten zii wählen, Gingich durch Wieſ und Holz. (311 drei.) Alonzo. Heut bin ich 31. beneiden. Lucinde (zu Pedro). Hent iſt er zu beneiden. · Pedro (zu Alonzo). Seut ſeið Ihr zu beneiden. Alonzo, Lucinde, Pedro. Wie ſich's nid)t ſagen läßt. Sin Feſt der Vaterfreuden Iſt wohl das größte Feft. 23 35 Erſter Aufzug. 13 10 45 (Der herannahende Zug wird durch eine ländlide Muſit angefündigt. Landleute von verſchiedenem Alter, die Sinder voran, treten paarweiſe durdh den mittleren Bogen in den Saal und ſtellen jid, an beiden Seiten hinter die Geſchenke. Zuletzt kommt Claudine, begleitet von cinigen Frauenzinimiern, feſtlich), nidyt reich gekleidet, Hercin. Kurz eh ſie eintritt, fällt der Geſang cin.) Alonzo, Lucinde, Pedro (mit den Landſcuten). Fröhlicher, Šeliger, Herrlicher Tag! Šabſt uns Claudinen, Biſt uns ſo glücklich, Uns wieder erſchienen, Fröhlicher, Seliger, Herrlicher Tag! Ein Kind. Sieh, es erſcheinen Alle die Kleinen; Mädchen und Bübchen Kommen, .0 Liebchen, Binden mit Bändern 50 Und Kränzen dich an. Alle (außer Claudinen). Nimm ſie, die herzlichen Gaben, ſie an! Alonzo. Nur von dem Deinen Bring' ich die Gabe: Denn was ich habe, Das all iſt sein. Nimm dieſe Kleider, Nimm die Gefäße, Nimm die Juwelen Und bleibe mein! Alle (außer Claudinen). Sieh, wie des Tages wir All' uns erfreun! Lucinde. . Roſen und Nelken Zieren den Schleier, 65 Den ich zur Feier 55 60 14 Claudine von Villa Bella. . Heute bir reiche. Blüten erſt werden ſie, Wenn er sich ſchmü&t. Wenn du des Tages dich Wandelnd vergnügteſt, Wenn du in Träumen Die Nächte dich wiegteſt, Hab' ich mit eigener Hand ihn geſtidt. . Alle (außer Claudinen). Nimm ihn und trag ihn lind bleibe beglückt! Prdro. Blumen der Wieſe, Dürfen auch dieſe Hoffen und wähnen? Ach, es find Thränen - Noch ſind die Thränen Des Taules daran. Alle (außer Claudinen). Nimm ſie, die herzlichen Gaben, fie an! Claudine. Thränen und Schweigen Mögen euch zeigen, Wie ich ſo fröhlich Fühle, jo ſelig, Alles, was alles Ihr für mich gethan. . Alle (außer Claudinen). Nimm ſie, die Gaben, Die herzlichen, an! Claudine (ihren Vater umarmend). Könnt ich mein Leben, Vater, dir geben! (3u Lucinden und den übrigen.) Könnt ich ohn' Schranfen Allen euch banken! (Sie wendet ſich ſchüchtern zu Pedro.) Könnt ich (Sie hält an, die Muſik inacht eine Bauje, der Gejang jällt ein.) Erſter. Aufzug. Ce Alle. Fröhlicher, Seliger, 100 105 110 115 Herrlicher Tag! (Der Zug geht unter dem Geſange ab; es bleiben:) Claudine, lucinde, u10130, Pedro. Claudine. Vergebet meinem Schweigen: denn ich kann Nicht reden, wie ich fühle. Dieſe Gaben Erfreuen mich, wie ihr es wünſcht; doch mehr Entzückt mich eure Liebe. Laßt mir Raum, Mich erſt zu faſſen; dann vielleicht vermag Die Lippe nach und nach zu ſprechen, was Das Herz auf einmal fühlt und kaum erträgt. Alonzo. Geliebte Tochter, ja, dich kenn ich wohl. Verzeih des lauten Feſtes Vaterthorheit! Ich weiß, du liebſt, im ſtillen wahr zu fein Únd einer Liebe Zeugnis zu empfangen, Die, weder vorbereitet noch geſchmückt, Sich deſto treuer zeigt. Leb wohl! Du ſollſt Nach deiner Luft in Sinſamkeit genießen, Was eine laut gewordne Liebe dir Mit fröhlichem Getümmel brachte. Komm, D teurer Pedro, werter Sohn des erſten, Des beſten Freundes meiner Jugend! Wenn Er nun auch von uns weggeſchieden iſt, So ließ er mir in dir ſein Ebenbild. Doch leider, daß du mich an dieſem Tage Mit deinem Scheiden noch betrüben willſt. Ift's denn nicht möglich, baß du bleiben kannſt? Nur dieſe Woche nnoch, ſie endet bald. Pedro. Vermehre nicht durch deinen Wunſch die Trauer, Die ich in meinem Buſen ſchon empfinde. Mein Urlaub geht zu Ende. Fehlt ich jetzt, So fehlt ich ſehr und könnte Veicht des Königs Und meiner Dbern Gunſt verſcherzen. Ja, Du weißt es wohl, ich habe mich verſtohlen Und unter fremdem Namen hergeſchlichen, Dich zu beſuchen. Denn foeben kam 120 . 12 130 16 . . Claudine von Villa Bella. 135 110 1.10 145 145 11 Der Fürſt von Rocca Bruna, der fo viel Bei Hofe gilt, auf ſeine Güter; nie Würd' es der ſtolze Mann verzeihen können, Daß ich ihn nicht beſuchte, nicht verehrte. So treibt mich fort die enge Zeit der Pflicht Und jene Sorge, hier entdeckt zu merden. Alonzo. Ich faſſe mich und danke, daß du freundlich Uns dieſen Tag noch zugegeben! Komm! Ich habe manches Wort dir noch zu ſagen, Eh du uns ſcheidend, zwar ich hoffe, nur Auf kurze Zeit, betrübſt; komm mit Lebt wohl! (Alonzo und Pedro ab.) Claudine, lucinde. Lucinde. Er geht, Claudine, geht; du hältſt ihn nicht? Claudine. Wer gäbe mir das Recht, ihn aufzuhalten? Lucinde. Die Liebe, die gar viele Rechte gibt. Claudine. Verſchon', o Gute, mich mit dieſem Scherze! Lucinde. Du willſt, o Freundin, mir es nicht geſtehn; Vielleicht haſt du noch ſelbſt dir’s nicht geſtanden. . Die Gegenwart des jungen Mannes hringt Dich außer Faſſung. "Wie dein erſter Blick Shir zog und hielt und dir vielleicht auf ewig Ein ſchönes Herz erwarb; denn er ift brav. Als er auf ſeine Güter ging und hier Nur einen Tag fich hielt, war er ſogleich Von dir erfüllt; ich konnt es leicht bemerken. Nun macht er einen Umweg, kommt geſchwind Und unter fremdem Namen wieder her, - Läßt ſeinen Urlaub faſt verſtreichen, geht Mit Widerwillen fort und kehret balt, Geliebtes Kind, zurück, um ohne dich Nicht wieder fort zu reiſen. Komin, geſteh! Du gingſt viel lieber gleich mit ihm davon. 150 155 160 Erſter Aufzug. 165 170 175 Claudine. Wenn du mich liebſt, ſo laß mir Raum und Zeit, Daß mein Gemüt ſich ſelbſt erſt wieder kenne. Lucinde. Um dir es zu erleichtern, was du mir zu ſagen haſt, vertrau' ich kurz und gut Dir ein Geheimnis. · Claudine. Wie? Lucinde, du, Geheimnis? Lucinde. Ja, und zwar ein eignes, neues. Claudine, ſieh mich an! Ich, liebes Kind, Bin auch verliebt.' Claudine. Was fagſt du da? És macht Mich doppelt lachen, daß du endlich auch Dich überwunden fühlſt und daß du mir Es grabe ſo geſtehſt, als hätteſt du 175 Ein neues Kleið bir angeſchafft und kämſt Vergnügt zu einer Freundin, ſie zu fragen, Wie dich es kleidet. Sage mir geſchwind: Wer? Wen? Wie? Mo? Gewiß, es iſt wohl eigen, Ganz neu! Lucinde, du? ein frohes Mädchen, 180 Vom Morgen bis zur Nacht geſchäftig, munter, Das Mütterchen des Hauſes, biſt du aud) Wie eine Müßiggängerin gefangen? Lucinde. Und was noch ſchlimmer iſt - Claudine. Noch ſchlimmer? Was? Lucinde. Fa, ja! ich bin gefangen, und von wem? 185 Von einem Unbekannten, einem Fremden, Und irr' ich mich nicht ſehr - Claudine. Du ſeufzeſt lächelnd ? Lucinde. Von einem Abenteurer ! Claudine. Seh' ich nun, Daß du nur ſpotteſt. Üvetye, Werke. VII 2 N Claudine von Villa Bella. 190 195 200 205 205 Lucinde. Höre mich!. Genug, Es nennie niemand frei und weiſe fich Vor ſeinem Ende! Jedem kann begegnen, Was Erd' und Meer von ihm zu trennen ſcheint. Du ſiehſt den Fall, und du verwunderſt dich? Das Flügſte Mädchen macht den dümmſten Streich. Hin und wieder fliegen Pfeile; Amors leichte Pfeile fliegen Von dem ſchlanken, goldnen Bogen; Mädchen, ſeid ihr nicht getroffen? Es iſt Glück! Es iſt nur Glück! Warum fliegt er ſo in Eile? fene dort will er beſiegen; Schon iſt er vorbei geflogen; Sorglos bleibt der Buſen offen; Gebet acht! Er kommt zurück !" Claudine. Doch ich begreife nicht, wie du ſo leicht 50 leicht Das alles nimmſt. Lucinde. Das überlaß nur mir! Claudine. Doch ſage ſchnell, wie ging es immer zu? Lucinde. Was weißt du bran! Genug, es iſt geſchehn. Wenn ich auch ſagte, daß an einem Åbend Ich durch das Wäldchen ging, nichts weiter denkend, Daß ſich ein Mann mir in den Weg geſtellt Und mich gegrüßt und angeſehen, wie Ich ihn, und daß er bald mich angeredet Und mir geſagt: er folge hier und da Auf meinen Schritten mir ſchon lange nach. Und liebe mich und wünſche, daß ich ihn ! Auch lieben möge — Nicht das klingt denn dodh Sehr wunderbar? Claudine. Gewiß! Lucinde. lind doch, ſo iſt's. Er ſtand vor mir; ich ſah ihn an, wie ich 210 215 Erſter Aufzug. 220 225 230 230 Die Männer anzuſehn gewohnt bin, dachte Denn dod), es ſei das Klügſte, nach dem Schloſſe Zurückzugehrt, und unterm Ueberlegen Šah ich ihn an, und es gefiel mir ſo, Ihn anzuſehn. Ich fragt ihn, wei er ſei? Er ſchwieg ein Weildhen; dann verſetzt' er lächelnd: „Nichts bin ich, wenn du mich verachteſt; viel, Wenn du mich lieben könnteſt. Mache nun Aus deinem Knechte, was du willſt!" Ich ſah Thn wieder an und weiß dod) nicht, was ich än ihm zu ſehen hatte. Gnug, ich ſah Hinweg und wieder hin, als wenn ich mehr An ihm zui fehen fände. Claudine. Nun, mas warð Aus Sehn und Wiederſehn? Lucinde. Ja, daß ich nun Jhn ſtets vor Augen habe, wo ich gehe. Claudine. Erzähle mir zuerſt, wie kamſt du los? Lucinde. Er faßte meine Hände, die ich ſchnell. Zurüc&zog. Érnſt und trocken fagť ich ihm: „Ein Mädchen hat dem Fremden nichts zu ſagen; Verlaßt mich! Bagt es nicht, mir nachzufolgen!" Ich ging, er ſtand. Ich ſeh ihn immer ſtehen Und blicke das und dorthin, ob er nicht Mir irgendwo begegnen mill. Claudine. Wie fah Er aus? Lucinde. . Genug, genug! und laß, Geliebte, Mich meine Schuldigkeit nicht heut verſäumen ! Dein Vater will, daß alle ſeine Leute Mit einem Tanz und Maht ſich heute freun. Er hat inir aufgetragen, wohl zu ſorgen, Daſ alles werde, wie er gerne mag. Es wäre ſchlimm, wenn ich an deinem Feſte Zuerſt die Pflicht verſäumte, die ich lang 235 - 240 240 245 250 20- Claudine von Villa Bella. 260 265 Mit froher Treue Leiſten konnte. Nun, Leh wohl! Ein ander: Mal! – Nun fieh dich um!. - Wie biſt du denn? Du haſt die ſchönen Sachen Kaum eines Blicks gewürdigt. Hier iſt Stoff, Cin Dußend Mädchen lang zu unterhalten. (ab.) 253 Claudine (allein). (Sie bejicht unter dem Ritornell die Gojdjente und tritt zuletzt mit Bedros Strauß, den ſie die ganze Zeit in der Hand gehalten, Hervor.) Alle Freuden, alle Gaben, Die mir heut gehuldigt haben, Sind nicht dieſe Blumen wert. Ghr und Lieb von allen Seiten, Kleider, Schmuck und Koſtbarfeiten, Alles, was mein Herz begehrt; Aber alle dieſe Gaben Sind nicht dieſe Blumen wert. Und darfſt du dieſen Undank dir verzeihen? Was ein geliebter Vater heut gereicht, Was Freunde geben, was ein kleines Volf Unſchuldig bringt, das alles iſt wie nichts, Verſchwindet vor der Gabe dieſes neuen, Noch unbekannten Freunden! Ja, es iſt, Es iſt geſchehn! Es ruht mein ganzes Herz. Nun auf dem Bilde dieſes Jünglings; nun Bewegt ſich's nur in Hoffnung oder Furcht, fhn ziı befißen oder zu verlieren. Pedro (tommt). Verzeih, daß ich dich ſuche! Denn es iſt Nicht Schuld, noch Willé. Jene ſtrenge Macht, Die alle Welt beherrſcht und die ich nur Von Dichterit inir bejchreiben ließ, ergreift Mich nun und führt mich, wie der Sturm Die Wolken, ohne Raſt zu deinen Füßen. Claudine. Ihr kommt nicht ungelegen; mit Entzücken Betracht' ich hier die Gaben, die mir heut So ſchöne Zeugen ſind der reinſten Liebe. Pedro. Glückſel'ge Blumen, welcher ſchöne Plak. Ift euch gegönnt! Shr bleibt, und ich muß gehn. 270 275 280 Erſter Aufzug. 285 290 295 Claudine. Sie welken, da Ihr bleibt. Pedro. Was ſagſt du mir! . Claudine. Ich wollte, daß ich viel zu ſagen hätte, Ållein es iſt umſonſt. Mein Vater hält Euch länger nicht; er glaubt vielleicht, Ihr ſolltet Recht eilen. Nun, er iſt ein Mann; er hat Gelernt, fich eine Freude zu verſagen; Doch wir, wir ändern Mädchen, möchten gern Uns Eurer Gegenwart noch lange freuen. - Es iſt ein ander, froher Leben, feit Shr zu uns kamt. Sft's denn gewiß, Gewiß ſo nötig, daß Ihr geht? Pedro. Es iſt. Und würd ich eilen, wenn ich bleiben könnte ? Mein Vater ſtarb: ich habe ſeine Güter Auf dieſer Tchönen Inſel un bereiſt. Er ſah ſie lang nicht inehr, ſeitdem der König fhn mit beſondrer Gnade feſtgehalten. Ich darf nicht meinen Urlaub überſchreiten: Schon fenn' ich alles, was das Haus beſikt; Ich wäre reid), wenn nad) des Vaters Willen Ich alles für das Meine halten könnte. Állein ich bin der Aelt’ſte nicht, und nicht Der Einzige des Hauſes. Denn es ſchwärmt Ein ältrer Bruder, den ich kaum geſehen, Im Reich herum und führt, ſo viel man weiß, Ein thöricht Leben: Claudine. Gleicht er Euch ſo wenig? Pedro. Mein Vater war ein ſtrenger, rauher Mann. . Ich habe niemals recht erfahren können, Warum er ihn verſtieß ; auch ſcheint mein Bruder Fin harter Kopf zu ſein. Er hat ſich nie In dieſen Jahren wieder blicken laſſen. Genug, mein Vater ſtarb und hinterlieſ Mir alles, was er jenem nur entziehn 300 305 310 315 22 Claudine von Villa Bella. 320 mote pris en poden reinguts 323 Nach den Geſetzen konnte; und der Hof Beſtätigte den Willen. Doch ich mag Das nicht beſiken, was ein fremder Mann Aus Unvorſichtigkeit, aus Leichtſinn einſt Verlor; geſchweige denn mein eigner Brudér. Ich ſucht ihn auf. Denn hier und da erſcholl Der Nuf, er habe ſich mit frechen Menſchen In einen Bund gegeben, ſchwärme nun Mit losgebundnem Mute, ſeiner Neigung Mit unverwandtem Auge folgend, froh- Und leicht-geſinnt am Rande des Verderbens. Claudine. So habt Ihr nichts von ihm erfahren? Pedro. Nichts. Ich folgte jeder Spur, die ſich mir zeigte; Allein umſonſt. Und nun verzweifl' ich faſt, Ihn je zu finden, glaube ganz gewiß, Er iſt ſchon lang mit einem fremden Schiffe In alle Welt und lebt vielleicht nicht mehr. 330 Planklicht nicht Schiffe 335 Wirsolistdenn aus 335 3:10: So wird denn auch ein Meer uns trennen; bald Wird Euch der Glanz des Hofes dieſe ſtille, Verlaßne Wohnung aus den Augen blenden. Ich möchte gern nichts ſageri, möchte nicht Un Euch zu zweifeln ſcheinen. Pedro. Nein, o nein! Mein Herz bleibt hier; und wenn ich eilen muß, So eil ich gern, um ſchnell zurückzukehren. Ich ſage dir kein Lebewohl ; fein Äch Sólljt du vernehmen: denn du ſiehſt mich bald Und würdiger vor dir. Und was ich bin, Was ich verlange, das iſt dein. Geliebte, Ich bränge mich zur Gnade nicht für mich ! Nimm deinem Freunde, nicht den fichern Mut, Sich deiner wert zu machen. Der verdient Die Liebe nur, der um der Ehre willen Im ſüßen Augenblicke von der Liebe Entſchloſſen-hoffend ſich entfernen kann. 315 330 Erſter Aufzug. 355 360 365 Es erhebt ſich eine Stimme, Hoch und höher ſchallen Chöre; Ja, es iſt der Ruf der Ehre, ůnd die Ehre rufet laut: „Säume nicht, du friſche Jugend ! Auf die Höhe, wo die Tugend Mit der Ehre Sich den Lenipel aufgebaut." Aber aus dem ſtillen Walde, Aus den Büſchen Mit den Düften, Mit den friſchen, Kühlen Lüften, Führet Amor, Bringet Hymen Mir die Liebſte, mir die Braut. Jenes Rufen! dieſes Liſpeln! – Soll ich folgen? Soll ich's hören? Soll ich bleiben? Soll ich gehn? Ach, wenn Götter uns bethören, Können Menſchen widerſtehn? (ab.) Claudine. Er flieht! Doch iſt es nicht das letzte Wort; Ich weiß, er wird vor abends nicht verreiſen. Ď werter Mann! Es bleiben mir die Freunde, Das teure Paar, zu meinem Troft zurück, Die holde Liebe mit der ſeltnen Treue. Sie ſollen mich erhalten, wenn du gehſt, Und mich von dir beſtändig unterhalten. Liebe ſchwärmt auf allen Wegen; Treue wohnt für ſich allein. Liebe kommt euch raſch entgegen; Aufgeſucht will Treue ſein. (Sie geht fingend ab.) 370 375 380 Claudine von Villa Bella. EvWWKA 385 : 390 Einſame Wohnung im Gebirge. Rugantino mnit ciner Zither, aufs und abgehend, den Degen an der Seite. den Hut auf dein Kopfe. Bagabundent, am Tiſde, mit Wiirfelii ſpiclend. . Rugantino. Mit Mädeln ſich vertragen, Mit Männern 'rumgeſchlagen Und mehr Aredit als Geld: So kommt man durch die Welt. Vagabunden. Mit vielem läßt ſich ſchmauſen; Mit wenig läßt fich hauſen; Daß wenig vieles ſei, Schafft nur die Luft herbei ! Rugantino. Will ſie ſich nicht bequemen, So müßt ihr's eben nehmen. Will einer nicht vom Drt, So jagt ihn grade fort. . - Vagabunden. Laßt alle nrur mißgönnen, Was ſie nicht nehmen können, Und ſeid von Herzen froh: Das iſt das A und D. Rugantino (erſt attein, dann mit den übrigen). So fahret fort zu dichten, Euch nach der Welt zu richten. Bedenkt in Wohl und Weh Dies goldie A-B-C. . Rugantino. Laßt nun, ihr lieben Freunde, den Geſang Auf einen Augenblick perflingen. Leid Ift mir's, daß Basco fich nicht ſehen läßt; 105 Er darf nicht fehlen; denn die That iſt führ. Ihr wißt, daß in dem Schloß von Villa Bella Ein Mädchen wohnt, Verwandte des Alonzo. Ich liebe ſie; der Anblick dieſer Schönen Hat mich, wie feiner je, gefeſſelt. Streng Beherrſcht mich Amor, und ich muß ſie bald An meinen Buſen drücken; ſonſt zerſtört Ein innres Feuer meine Bruſt. Fhr habt 395 400 105 10 Erſter Aufzug. 415 430 420 425 425 Mir alles ausgeſpürt; ich kenne nun Das ganze Schloß durch eure Hilfe gut. Ich dank euch das und werde thätig danken. Zerſtreuet euch nicht weit und auf den Abend Šeið hier beiſammen; wir beſprechen dann Die Sache weiter. Bis dahin lebt wohl! (Die Vagabunden ab.) Barco tritt auf. Rugantino. Willkommen, Basco! Dich erwart' ich lang. Basco. Sei mir gegrüßt! Dich ſuch'ich eben auf. Rugantino. So treffen wir ja recht erwünſcht zuſammen. Heut fühl ich erſt, wie ſehr ich dein bedarf. Basco. Und deine Hilfe wird mir doppelt nötig. Sag' an, was willſt du? Sprich, was haſt du vor? .: Rugantino. Ich will heut nacht zum Schloß von Villa Bella Mich heimlich ſchleichen, will verſuchen, ob Lucinde mich am Fenſter hören wird. Und hört ſie mich, erhört ſie mich wohl auch Und läßt mich ein. Únmöglich iſt's ihr nicht; Ich weiß, ſie kann die eine Seitenthüre Des Schloſſes öffnen. Basco. . Gut, was brauchſt du da Für Hilfe? Wer ſich was erſchleichen will, Erſchleiche fich's auf ſeinen eignen Zehn. Rugantino. Nicht ſo, mein Freund? Zäßt ſie mich in das Haus, Beglü&t ſie meine Liebe -- Basco. Nun, ſo ſchleicht Der Fuchs vom Taubenſchlage, wie es tagt, Und hat den Weg gelernt und geht ihn wieder. Rugantino. Du rätſt es nicht; denn du begreifft es nicht --- Basco. Wenn es vernünftig iſt, begreif' ich's wohl. 430 135 4:10 1-10 26 Claudine von Villa Bella. 4.15 415 450 Rugantino. So laß mich reden! Du begreifft es nicht, Wie ſehr mich dieſes Mädchen angezogen. fd will nicht ihre Gunſt allein genießen; Ich will fie ganz und gar beſißen. Basco. Wie? Rugantino. Entführen will ich fie. Basco. Ha! biſt du toll ? Rugantino. Toll, aber flug! Läßt ſie mich einmal ein, Dann droh' ich ihr mit Lärm und mit Verrat, Mit allem, was ein Mädchen fürchten muß, Und geb' ihr gleich die allerbeſten Worte, Wie mich mein Herz es heißt. Sie fühlt gewiß, Wie ich ſie liebe, kann aus meinen Armen Sid, ſelbſt nicht reißen. Nein, ſie widerſteht Der Macht der Liebe nicht, wenn ich ihr zeige, Wie ich ſie liebe, wie ich mehr und mehr Sie ewig ſchäben werde. Ja, fie folgt Aus dem Palaſt inir in die Hütte, läßt Ein thöricht Leben, das ich ſelbſt verlaſſen; Genießt mit mir in dieſer ſchönen Bergen, Im Aufenthalt der Freiheit, erſt ihr Leben. Dazu bedarf ich euer, wenn ſie ſich Entſchließen ſollte, wie ich ganz und gar Es hoffen inuß: baß ihr am Fuß des Berges Euch finden laſſet; baß ihr eine Trage Bereitet, ſie den Pfað herauf zu bringen; Daß ihr bewaffnet mir den Rücken fichert, Wenn ja ein Ünglück uns verfolgen ſollte. Basco. Verſteinert bleib' ich ſtehn und ſehe kaum Und glaube nicht zu hören. Nugantino! Du biſt beſeſſen. Farfarellen ſind Dir in den Leib gefahren! Was? du willſt Ein Mädchen rauben? Statt die Laſt dem andern Zu überlaſſen, klüglich zu genießen, zu gehen und zu kommen, willſt du dir 155 460 405 170 Erſter Aufzug. 4.75 450 455 Und deinen Freunden dieſen ſchweren Bündel Auf Hals und Schultern laden? Nein, es iſt Kein Menſch ſo klug, daß er nicht eben toll Bei der gemeinſten Sache werden könnte. Sieh doch die Schafe nur: ſie weiden dir Den Klee ab, wo er ſteht, und ſammeln nicht In Scheunen auf. An jedem Berge ftehn Der Blumen viel für unſre Herden; viel Sind Mädchen übers ganze Land geſät, Von einem Ufer bis zum andern. Nein, Es iſt nicht möglich. Schleiche dich zu ihr Und ſchleiche wieder weg und danke Gott, Daß fie dich laſſen kann und laſſen muß., Rugantino. Nicht weiter, Basco, denn es iſt beſchloſſen. Basco. Ich ſeh' es, teurer Freund, noch nicht gethan. Rugantino. Du ſollſt ein Zeuge ſein, wie es gerät. Basco. Nur heute wird's unmöglich, dein zu ſein. Rugantino. Was kann euch hindern, wenn ich euch gebiete? Basco. Bedenke, Freund, wir ſind einander gleich. Rugantino. Verwegner! Rede ſchnell, was haſt du vor? Basco. Es iſt gewiß, der Fürſt von Rocca Bruna, Der uns bisher geduldet, hat zulekt Von ſeinen Nachbarn ſich bereden laſſen. Er fürchtet, daß es laut bei Hofe werde; Er iſt vor wenig Tagen ſelbſt gekommen, Und ſeine Gegenwart treibt uns gewiß Aus dieſer Gegend weg, id) weiß es ſchon. Es kommt gewiß ung morgen der Befehl, Sogleich aus dieſen Bergen abzuſcheiden. Wenn er ſich nur nicht gar gelüſten läßt, Sid unſrer merten Häupter zu verſichern. Rugantinto. Nun gut, ſo führen wir noch heute nacht Den Unſchlag aus, der mir das Mädchen eignet. 490 495 500 505 505 28 Claudine von Villa Bella. 510 510 515 Basco. O nein! Ich muß nocy Geld zur Reiſe ſchaffen. Rugantino. Was ſoll das geben? Sage, was es gibt? Basco. Gehſt du nicht mit, jo brauchſt du's nicht zu wiſſen. Rugantino. Dir ziemt es, gegen mich geheim zu ſein? Basco.. 1111s zieit der Raub noch beſſer als die Liebe. Du haſt mit keinem Knaben hier zu thun. Rugantiito. So lang ich euch ernährte, ließet ihr Nur gar zu gern euch meine Kinder nennen. Basco. Wie glücklich, daß wir nun erwacjſen find, Da deine Renten ſehr ins Stoden kommen! Rugantino.-. Was unſer Fleiß und unſre Liſt und Klugheit Den Männern und den Weibern abgelockt, Das konnten wir mit frohem Mut verzehren. És foll auch künftig keinem fehlen; zwar Fſt’s dieſe Tage ſchinal geworden – - Basco. , Ja! Warum denn dieſe Tage? Weil du did Mit einem Abenteu'r beſchäftigſt, das Nichts fruchtet und die ſchöne Zeit verzehrt. Rugantino. So willſt du denn zum Abſchied noch den Fürſten, Die ganze Nachbarſchaft verletzen? Basco, Du Ýaſt nichts Beſonders vor! Ein edles Mädchen Úus einem großen Hauſe rauben, iſt Wohl eine Kleinigkeit, die niemand rügt? Wer iſt der Thor? Riigantino. Wer glaubſt denn du zu jein, Daß du mich ſchelten willſt, du Kürbis? 520 523 530 Erſter Aufzug. Basco. Ha! 535 - 5.10 545 Du Kerze! Wetterfahne du! Es ſollen Dir Männer nicht zu deinen Poſjen dienen. Ich gehe mit den Meinen, heut zu thun, Was allen nützt; und willſt du deine Schöne Zu holen gehn, ſo wird es uns erfreuen, In unſrer Küche ſie zu finden.. Laß Von ihrer zarten Hand ein feines Mahl, Ich bitte did, bereiten, weni ihr früher Zu Hauſe feid als wir; und ſei gewiß, Wir wollen ihr aufs, beſte dankbar ſein, Wenn ſie nur nicht die guten Freunde trennt. Rugantino. . Was hält mich ab, daß ich mit dieſer Fauſt, Mit dieſem Degen, Frecher, dich nicht ſtrafe! Basco. . Die andre Fauſt von gleicher Stärke hier, Ein andrer Degen hier von gleicher Länge. Vagabunden treten auf. Vagabunden. Horchet doch, was ſoll das geben, Daß man hier ſo heftig ſpricht?. Rugantino. Deinem Willen nachzugeben! Frecher, mir vom Angeſicht! Basco. Nur als Knecht bei dir zu leben! funger Mann, du kennſt mich nicht. Vagabunden. Was ſoll das geben? Was ſoll das ſein? Zwei ſolche Männer, Die ſich entzwein! Rugantino. Es iſt geſprochen! Es iſt gethan! Basco. So ſei's gebrochen! So lei's gethan! 550 555 560 Claudine von Villa Bella. 565 Vagabunden. Aber was ſoll aus uns werden? Den zerſtreuten, irren Herden Im Gebirge gleichen wir. Rugantino und Basco. Kommt mit mir! Rommt mit mir! Euer Führer ſtehet hier. Vagabunden. Euer Zwiſt, er ſoll nicht währen; Keinen wollen wir entbehren. Rugantino und Basco. Euer Führer ſtehet hier. Vagabunden. Wer gibt Rat? Wer hilft uns hier? Rugantino. Die Ehre, das Vergnügen, Sie ſind auf meiner Seite; Ihr Freunde, folget mir! Basco. Der Vorteil nach den Siegen, Die Luſt bei guter Beute, Sie finden ſich bei mir. Rugantino. Wem hab' ich ſchlimm geraten? Wen hab' ich ſchlecht geführt? Basco. Bedenfet meine Thaten, Und was ich ausgeführt! Beide. Tretet her auf dieſe Seite! Rugantino. Ehr und Luft! Basco. Luft und Beute ! Beide. Kommt herüber! Folget mir! (Die Bagabunden teilen ſich. Ein Dritteil ſtellt ſich auf Rugantinos, ziei Dritt- teile auf Bascos Seite.) 575 580 Erſter Aufzug. 31 . 585 Vagabunden. Ich begebe mich zu dir. Vagabundet (auf Bascos Seite). Kommt herüber! Vagabunden (auf Rugantinos Seite). Nein, wir bleiben; kommt herüber ! Vagabunden (auf Bascos Seite). . Nein, wir bleiben. Vagabunden. Kommt herüber! wir ſind hier. Rugantino. Du haſt, du haſt gewonnen, Wenn du die Stimmen zähleſt; Allein, mein Freund, du Fehleſt: Die Beſten ſind bei mir. Basco. Du haſt, du haſt gewonnen, · Wenn du die Mäuler zähleft; Allein, mein Freund, du Fehleft: Die Arme find bei mir. Alle. Laßt uns ſehen, laßt uns warten, Was mir ſchaffen, was wir thun! Basco (und die Seinen). Geht nur, gehet in den Garten, Sehet, wo die Nymphen ruhn! Rugantino (und die Seinen). Geht und miſchet eure Karten! Wer gewinnt, der hat zu thun. Alle. Laßt uns ſehen, laßt uns warten, Was wir ſchaffen, was wir thun! 590 595 595 : . 600 32 Claudine von Villa Bella. 10 3 weiter Aufzug. Nacht und Mondſchein. Terraſſe des Gartens von Villa Bella, im Mittelgrunde des Theaters. Eine doppelte Treppe fühit zu einem eiſernen Gitter, das die Garten- thür ſchließt. An der Seite Bäume und Gebüſch. . Nugantino mit ſeinem Teil Vagabunden. Rugantino. Hier, meine Freunde, dieſes iſt der Plak! Hier bleibet, und ich ſuche durch den Garten Gelegenheit, dem Fenſter mich zu nahn, Wo meine Schöne ruht. Sie fchläft allein In einem Seitenflügel dieſes Schloſſes; Šo viel iſt mir befannt. Ich locke ſie Mit meiner Saiten Ton ans Fenſter. Dann Geb? Amor Glück und Heil, der ſtets geſchäftig Und wirkſam iſt, wo ſich ein Paar begegnet.. Nur bleibet ſtill und wartet, bis ich euch . Hier wieder ſuche. Eilet mir nicht nach, Wenn ihr auch Lärm und Händel hören ſolltet; Es wäre denn, ich ſchöffe; dann geſchwind! und fehet, wie ihr durch Gewalt und Lift Mir helfen könnt. Lebt wohl! - Allein, wer konımt? 15- Wer kommt ſo ſpät mit Leuten? — Still! -- Es iſt – Ja, es iſt Don Rovero, der ein Gaſt Des Hauſes mar. Er geht, mir recht gelegen, Schon dieſe Nacht hinweg. Wenn er nur nicht Den andern in die Hände fällt, die ſich Am Wege lagern, wildes Abenteuer Unedel zu begehn. – Verſteckt euch nur! Pedro (zu feinen Leuten). Ihr geht voran! In einem Augenblick Folg ich euch nach. Fhr wartet an der Eiche, Da wo die Pferde ſtehn; ich komme gleich. Lebet wohl, geliebte Bäume, Wachſet in der Himmelsluft! Tauſend liebevolle Träume Schlingen ſich durch euern Duft. 20 Zweiter Aufzug: Doch was ſteh ich und verweile? Wie ſo ſchwer, fo bang iſt's mir? Ja, ich gehe! ja, ich eile! Āber, ach! mein Herz bleibt hier. (ab.) Rugantino (hervortretend). Er iſt hinweg! ich gehe! - Still doch! Still! Im Garten ſeh' ich Frauen auf und nieder fm Mondſchein wandern. Still! Verbergt euch nur! Wir müſſen ſehen, was das geben kann. Vielleicht iſt mir Gas Liebchen nah, und näher, Als ich' es hoffen darf. Nur fort! Beiſeite! Claudine (auf der Terraſſe). In dem ſtiller Mondenſcheine Wandl ich ſchmachtend und alleine. Dieſes Herz iſt liebevoll, Wie es gern geſtehen föll. Rugantino (unten und vorn, fiir fid)). . In dem ſtillen Mondenſcheine Šingt ein Liebchen! Wohl das meine ? Ach, ſo ſüß, ſo liebevoll, Wie die Zither koden ſoll. (Mit der Zither fidh begleitend und ſich nähernd.) Cupido, loſer, eigenſinniger Knabe, Du batſt mich um Quartier auf einige Stunden! Wie viele Tag und Nächte biſt du geblieben, 50 Und bift nun herriſch und Meiſter im Hauſe geworden. Claudine hat eine Zeitlang auf die Zither gehört und iſt vorübergegangen. Es tritt Lucinde von der andernt Seite auf die Terraſſe. Lucinde. Hier im ſtillen Mondenſcheine Ging ich freudig ſonſt alleine; Doch halb traurig und halb wild Folgt mir jetzt ein liebes Bild. Rugantino (unten und vorn, für ſid)). In dem ſtillen Mondenſcheine Geht das Liebchen nicht alleine, Und ich bin ſo unruhvoll, Was ich thun und laſſen ſoll. (Sich mit der Zither begleitend und ſich nähernd.) Von meinem breiten Lager bin ich vertrieben; Nun ſitz' ich an der Erde, Nächte gequälet; Goethe, Werke. VII. 34 Claudine von Villa Bella. 65 70 : 70 75 Dein. Miutwill ſchüret Flamm' auf Flamme des Herdes, Verbrennet den Vorrat des Winters und ſenget mich Armen. (Indes iſt Claudine auch wieder herbeigekommen und hat mit Lucinden dem Gcjange Rugantinos zugehört.). Claudine und Lucinde. Das Klimpern hör' ich Doch gar zu gerne. Käm' ſie nur näher, Sie ſteht ſo ferne; Nun komnit ſie näher, Nun iſt ſie da. Rugantiño (zugleich mit ihnen). . Es ſcheint, ſie hören Das Klimpern gerne. - Ich trete näher, Ich ſtand zu ferne; Nun bin ich näher, Nun bin ich da. Rugantino (jich begleitend). Du haſt mir mein Gerät verſtellt und verſchoben. Ich ſuch und bin wie blind und irre geworben; Du lärmſt ſo ungeſchidt; ich fürchte, das Seelchen Entflieht, un dir zu entfliehn, und räumet die Hütte. (sługantino iſt unter der letzten Strophe immer näher getreten und niad) und nad) dic Treppe hinaufgeſtiegen. Die Frauenzinumer habent fid von innen an die Gitterthur geſtellt; Nugantino ſteigt die Treppen immer jadite hinauf, daß er endlid, ganz nah bei ihnicii an der Seite der Thür ſteht.) Pedro (init gezognem Degen). Sie ſind entflohn! 80. Extflohen, die Verwegnen! Mich Sünkt, mich Sünkt, Sie ſind hieher entflohn. Rugantino (indem er Pedro Hört und die Frauenzimmer zugleich zurüftreten, eilig die Treppe Herunter). O doch verflucht! Verflucht! mas muß begegnen? Pedro! Er iſt's! Den glaubt ich ferne ſchon. Claudine und Lucinde (die ſich wieder auf der Terraſſe ſehen laſſen). Trete zurück! Zurück! Was muß begegnen! Zweiter Aufzug. 95 100 Männer und Lärm! - Mich dünft, fie ſtreiten ſchon. (Die Vagabunden ſind indes zu Rugantino getreten; er ſteht mit ihnen an der einen Seite.) Rugantino. Hinter der Eiche, Kommt, laßt uns lauſchen! Pedro. Hier im Geſträuche Hör ich ein Rauſchen! — Wer da? Wer iſt's ? Seid ihr nicht Memmen, Tretet hervor! Rugantino (zu den Seinigen). Bleibet zurück! Der ſoll beiſeite! Droht er, der Thor! Alle. Horch! Horch! Still! Still! Claudine und Lucinde. . Sie ſind auf einmal ſtille! Pedro. Es wird auf einmal ſtille! Rugantino und Vagabundeir. Ei iſt auf einmal ſtille! Alle. Was das nur werden will ? Pedro. Wer da? Rugantino. Eine Degenſpitze! Pedro. Sie ſucht ihresgleichen! Hier! (Sie fechten.) Claudine und Lucinde. Ich höre Degen Und Waffen klingen; o eil', o eile! Pedro. Es ſoll dein Degen Mich nicht zum Weichen, Zum Wanken bringen. 105 110 Claudine von Villa Bella. 120 Rugantino. Dich ſoll mein Degen, Willſt du nicht weichen, Zur Nuhe bringen. Vagabunden. Ich höre Degen und Waffen klingen, Ganz in der Nähe. Claudinte und Lucinde. D, ruf den Vater Und hol' die Leute; Es gibt ein Unglück; Was kann geſchehn! Vagabundent. Hier find die Deinen, Bewährte Leute, In jedem Falle Dir beizuſtehn. 125 Pedro. 130 135 Ich ſteh' alleine; Doch ſteh' ich feſte. Fhr wißt zu rauben, ünd nicht zu ſtehn. Rugantino. Laßt mich alleine, Ich ſteh ihm feſte; Du follſt nicht Räuber, SoNft Männer ſehn. (Während dieſes Geſanges fechten Nugantino und Pedro, mit wiederholten Abſätzen. Zuleit entfernen ſich die Frauenzimmer; die Vagabunden ſtehen an der Seite. Pedro, der in den redytcr ärm verwundet lvirs, liimmt den Degeri in die Linke und ſtellt ſid, gegen Nugantino.) Rugantino. Laßt ab, Ihr ſeid verwundet! Pedro. . Noch genug Ift Stärk' in dieſem Arm, dir zu begegnen. Rugantino. Laßt ab und fürchtet nicht! Pedro. Du redeſt menſchlich. Wer biſt du? Willſt du meinen Beutel? Hier! 1.10 Zweifer Aufzug. 1.15 150 Du kannſt ihn nehmen; dieſes Leben ſolift Du teuer zahlen. Rugantino. Nimm bereite Hilfe, Du Fremdling, an, und wenn du mir nicht trauſt, So laß die Not dir raten, die dich zwingt. Pedro. Weh mir! ich ſchwanke! Blut auf Blut entſtrömt zu heftig meiner Wunde. Haltet mich, Wer ihr auch ſeid! Ich fühle mich gezwungen, . Von meinen Feinden Hilfe zu begehren. Rugantino. Hier! Unterſtüßt ihn und verbindet ihn! Bringt ihn zu unſrer Wohnung ſchneli hinauf! Pedro. Bringt mich hinein nach Villa Bella! (Er wird ohnmächtig.) Rugantino. Nicht! Er ſoll nicht hier herein. Tragt ihn hinauf Und ſorgt für ihn aufs beſte! Dieſe Nacht Iſt nun verdorben durch die Schuld und Thorheit Der zu verwegnen Naubgeſellen. Geht, Ich folge bald. (Vagabunden mit Pedro ab.) Ich muß mich um das Schloß Noch einmal leiſe ſchleichen: denn ich kann Der Hoffnung nicht entſagen, noch vor morgen Mein Abenteuer, wenn nicht zu vollführen, Doch anzuknüpfen. Warte, Basco, wart! Ich denk' es dir, du ungezähmter Thor! Alonzo und Bediente inwendig an der Gartenthür. : Alonzo. Schließt auf und macht mir ſchnell die ganze Runde Des Schloſſes! Wen ihr findet, nehmt gefangen! Rugantino. Ein ſchöner Fall! Nun gilt es mutig ſein. - Alonzo. Die Frauen haben ein Geräuſch der Waffen, Ein Äechzen tönen hören. Sehet nach! Ich bleibe hier, bis ihr zurücke' kehrt. (Bediente ab, ohne Nugantino zu bemerfen.) 155. 160 165 38 Claudine von Villa Bella. 170 170 175 175 . 180 180 Rugantino. Am beſten iſt's, der drohenden Gefahr Ins Angeſicht zu ſehen. Laßt mich erſt Durch meine Zither mich verfünd'gen. Still, So ſieht es dann recht unverdächtig aus. Cupido, kleiner, loſer, ſchelmiſcher Knabe - Alonzo. Was hör ich! Eine Zither! Laßt uns ſehen! (Herabtretend.) Wer ſeid ihr, daß Fhr noch ſo ſpät zu nacht In dieſer Gegend ſchleicht, wo alles ruht? Rugantino. Ich ſchleiche nicht, ich wandle nur für mich, Wie's mir gefällt, auf breiter, freier Straße. Alonzo. Um unſre Mauern lieben wir nicht ſehr Das Nachtgeſchwärm'; es iſt uns zu verdächtig. Rugantino. Mir wär' es lieber, Eure Mauern ſtänden Wo anders, die mir hier im Wege ſtehen. Alonzo (für fic). Es iſt ein grober Gaſt, doch ſpricht er gut. Rugantino (für ſid)). · Er möchte gern an mich und traut ſich nicht. Alonzo. Habt Ihr nicht ein Geſchrei vernommen? Nicht Hier Streitende gefunden? Rugantino. Nichts dergleichen. Alonzo (für ſiſ): Der kommt von ungefähr; ſo. ſcheint es mir. Rugantino (für fich). Ich will doch höflich ſein, vielleicht gerät’s. Alonzo. Ihr thut nicht wohl, daß fhr um dieſe Stunde Allein auf freien Straßen wandelt; fie Sind jeßt nicht ſicher. Rugantino. D, ſie ſind's für mich. Geſang und Saitenſpiel, die größten Freunde Des Menſchenlebens, ſchüßen meinen Weg Durch die Gefilde, die der Mond beleuchtet. i 185 190 . Zweiter Aufzug. 39 195 200 LL 12 203 Es wagt kein. Tier, es wagt: kein wilder Menſd), Den Sänger zu beleid:gen, der ſich ganz Den Göttern, der Begeiſtrung übergab. Nur aus Gewohnheit trag' ich dieſen Degen; Denn ſelbſt im Frieden ziert er ſeinen Mann. Alonzo. Ihr haltet Euch in dieſer Gegend auf? Rugantino. Ich bin ein Gaſt des Prinzen Rocca Bruna. Alonzo. Wie? meines guten Freundes? Seid willkommen! Ich frage nicht, ob Ihr ein Fremder feid; Mir ſcheint es ſo. Rugantino. Ein Fremder hier im Lande. Doch habich auch das Glück, daß mich der König Zu ſeinen letzten Dienern zählen will. Alonzo (beiſeite). Ein Herr vom Hof! So kam es gleich mir vor. Rugantino. Ich darf Euch mohl um eine Güte bitten? Ich bin ſo durſtig; denn ſchon lange treibt Die Luft zil wandeln mich durch dieſe Felder. Id bitť Euch, mir durch einer Eurer Diener Nur ein Glas Waſſer freundlich zu gewähren. Alonzo. Mit nichten fo. Was? Glaubt Ihr, daß ich Euch Vor meiner Thüre laſſe? Kommt herein! Nur einen Augenblick Geduld. Hier kommen Die Leute, die ich ausgeſchickt. Man hatte Nah an dem Garten Lärm gehört, das Klirren Der Waffen, ein Gefdrei von Fechtenden. (Die Bedienten kommen.) Was gibt's? Jhr hörtet niemand ? fandet keinen? (Die Bedienten machen verncinende Zeichen.) Es iſt doch ſonderbar, was meine Frauen Für Geiſter ſahn! Wer weiß es, was die Furcht Deit guten Kindern vorgebildet. Kommt! Ihr ſollt Euch laben, ſollet anders nicht Als wohlbegleitet mir von hinnen ſcheiden. Und wenn Ihr bleiben wollt, ſo findet Ihr Ein gutes Bett und einen guten Willen. 210 215 220 225 40 . Claudine von Villa Bella. Rugantino. Jhr macht mich ganz beſchämt und zeiget mir Mit wenig Worten Euern edlen Sinn. (Für ſich.) Welch Glück der Welt vermag ſo viel zu thun, Als dieſes Unglü& mir verſchafft! (Laut.) Ich fomme. (Beide durch die Gartenthiir ab.) - 230 . Wohlerleuchtetes Zimmer in dem Schloſſe von Villa Bella. Claudine. Pucinde. Claudine. Wo bleibt mein Vater? Räm' er doch zurück ! Ich bin voll Sorge. Freundin, wie ſo ſtill? Lucinde. Ich denke nach und weiß nicht, wie mir ift; Ich weiß nicht, ob mir träuinte. Ganz genau . Glaubt ich zuleßt die Stimme des Geliebten : 235 Im Lärm und Štreit zu hören. Claudine. Wie? des deinen? Ich hörte Pedros Stimme ganz genau. Ich kann vor Angſt nicht bleiben; laß uns hin, Laß uns zum Garten! Lucinde. Still! Es kommt bein Vater. Alonzo. Nugantino. Bediente. Alonzo. Hier bring' ich einen ſpäten Saft, ihr Kinder! Empfangt ihn wohl, er ſcheint ein edler Mann. Rugantino (zu Alonzo). Ich bin beſchämt von Eurer Güte; . (zu den Damen) bin Betäubt von eurer Gegenwart. Mich faßt Das Glück ganz unerwartet an und hebt Mich heftig in die Höhe, daß mir ſchwindelt. Claudine. Seid uns willkommen! Wart Ihr bei dem Streite? Alonzo. Er weiß von keinem Streit. Ich fand ihn fingend, Als ich zur Thüre kam, und alles ſtill. 240 . 245 2.15 Zweiter Aufzug.' 250 235 250 Lucinde (für ſid)). Er iſt's! D Gott! Er iſt's! Verberge dich, Gerührtes Herz! Mir zittern alle Glieder. (Claudine ſpridst mit Alonzo, im Hintergrunde auf und ab gehend.) Rugantino (heimlid) zu Lucinden). So find ich mich an deiner Seite wieder; Beſchließe mir nun Leben oder Tod! Lucinde. Ich bitt' Euch, ſtill! Verſchonet meine Ruhe, Verſchonet meinen Namen! Still, nur ſtill! Alonzo (zu den Bedienten). Ein Glas gefühltes Waſſer bringt herauf, Bringt eine Flaſche Wein von Syrakus!" (3u Rugantino.) Auf alle Fälle, wacrer Fremdling, nehmt Euch fünftig mehr in acht und naht ſo ſpät Nicht mehr allein. Wir ſind in dieſer Gegend Sehr übel dran; es iſt uns ganz nicht möglich, Das Naubgeſind, das liederliche Volk Von unſern Straßen zu vertreiben. Denken Auch zwei, drei Nachbarn überein und halten In ihren Grenzen Ordnung, ja, ſo ſchützt. Gleich im Gebirg ein andrer Herr die Schjelmen; lind dieſe ſchweifen, wenn ſie auch des Tags Nicht ſicher ſind, bei Nacht herum und treiben Solch einen Unfug, daß ein Ehrenmann In doppelter Gefahr fich findet. Rugantino. Gewiß gehorch' ich Euerm guten Rat. Alonzo. Ich hoff', es ſoll init nächſtem beſſer werden. Der Prinz von Rocca Bruna hat beſchloſſen, Was nur verdächtiges Geſindel fich In ſeinen Bergen lagert, zu vertreibeit. Shr werdet es von ihm erfahren haben; Denn er iſt ſelbſt gekommen, den Befehl Des Königs und der Nachbarn alte Wünſche Mit ſtrenger Eil' und Vorſicht zu vollbringen. Rugantino. Ich weiß, er denkt mit Ernſt an dieſe Sache. (Für ſich.) Das hatte Basco richtig ausgeſpürt. 265 270 275 280 Claudine von Villa Bella. 285 290 . . Claudine. So habt Ihr keinen Streit und nichts vernommen? Riigantiiro. Nicht einen Laut als jenen Silberton Der zarten Grillen, die das Feld beleben Und einen Dichter lieb wie Brüder ſind. Lucinde. Ihr dichtet auch ein Lied ? Rugantino. Wer dichtet nicht, Dem dieſe ſchöne, reine Sonne ſcheint, Der dieſen Hauch des Lebens in ſich zieht? (Leiſe zul Lucinden.) Dei es beſchert war, nur ein einzig Mal In dieſes Aug zu ſehen? Draußen ſtand ich, Vor deiner Thüre, draußen vor der Mauer, Und weinte jammernd in mein Saitenſpiel. Der Tau der Nacht benepte meine Kleider, Der hohe Mond ſchien tröſtend zu verweilen; Da ſah mich Amor und erbarmtë ſich. Hier bin ich nun, und wenn du dich nicht mein 295 In dieſer Nacht erbarmen willſt - Lucinde. Ihr ſeid Verwegen dringend. Shr verkennt mich ſehr; Nun ſchweigt! . Rugantino. Ich foll verzweifeln. Mir iſt's eins, Zu Leben oder gleich zu ſterben, wenn Du mir ein Zeichen deiner Gunſt verſagſt. Claudine (die indeſſen mit ihrem Vater geſprochen und wieder herbeitritt). So gebt uns doch ein Lied, ich bitte ſehr, Ein ſtilles Lied zur guten Nacht. Rugantino. Wie gern! Das rauſchende Vergnügen lieb' ich nicht, Die rauſchende Muſik iſt mir zuwider. (Bald gegen Claudinei, bald gegen Lucinden gefehrt und ſich mit der Zither begleitend.) Liebliches Kind! 305 Kannſt du mir ſagen, Sagen, warum 300 Zweiter Aufzug. Zärtliche Seelen Einſam und ſtumm Immer fich quälen, Selbſt ſich betrügen Und ihr Vergnügen Immer nur ahnen Da, wo ſie nicht find ? Kannſt du mir’s ſagen, Liebliches Kind? Alonzo (hat während der Arie mit einigen Bedienten im Hintergrunde ernſtlid; geſprochen. Man fointe aus ihren Gebärden ſchen, daß von Rugantino die Nede war, inden ſie auf ihn deuteten und ihren Herrn ctivas zu bcteucrii idienen. Gegen das Ende der Aric tritt Ålonzo Hervor und hört zu; da ſie geendigt iſt, ſpridit er). Die Frage ſcheint verfänglich, doch es möchte Sich ein und andres drauf erwidern laſſen. (Er geht wieder zu den Bedienten und ſpridit mit ihnen an der einen Seite des Theaters; indes Rugantirio und die beiden Frauenziminer ſid, an der andern Seite unterhalten.) Alonzo (zu den Bedienten). So ſeid ihr ganz gewiß, daß er es ſei, Der Rädelsführer jener Vagabunden? Ja, ja, er kam mir gleich verdächtig vor. Du kennſt ihr ganz genau? Geſtehſt mir nun, Selbſt unter ihm gedient zu haben? Gut! Dir ſoll's nicht ſchaden, daß du es geſtehſt. Seht ihn noch einmal an, daß ihr mich nicht 325 Zu einem falſchen Tritt verleitet. Still! Ich will die Kinder ſingen machen, daß Wir ſchicklich noch zuſammen bleiben können. (Er tritt zu den andern.) Wie geht es? Habt ihr's ausgemacht? Ich dächte, Shr gebt ihm das zurück als kluge Mädchen! 330 (Die Bedienten beobachten den Nugantino heimlich und genau und verſi djern von Zeit zu Zeit ihrem Herrn, daß ſie der Sadie gewiß ſind; indes ſingen) Claudine und Lucinde. Ein zärtlich Herz hat viel, Nur allzuviel zu ſagen. Allein auf deine Fragen Läßt ſich ein Wörtchen ſagen: Es fehlt, es fehlt der Mann, 335 Dem man vertrauen kann. 320 44 Claudine von Villa Bella. 3.15 350 Rugantino. Um einen Mann zu. Ichäßen, muß man ihn zu prüfen wiſſen. Lucinde. Ein Verſuch geht eher Für einen Mann, als für ein Mädchen an. . Alonzo (zu den Bedienten). Ihr bleibt dabei? Nun gut, ich will es wagen: 340 Denn hab' ich ihn, ſo ſind die andern bald Von ſelbſt zerſtreut. Du feiner Vogel, kommſt Du mir zuleßt ins Haus? Ich halt ihn hier, Geb' ihm ein Zimmer ein, das ſchon ſo gut Als ein Gefängnis iſt und doch nicht ſcheint. (Laut.) Mein Herr, Shu bleibt heut nacht bei uns. Ich laſſe Euch nicht hinweg, Jhr ſollt mir ſicher ruhen, Und morgen gibt der Tag Euch das Geleite. . Rugantino. Ich danke tauſendmal. Schlaft, werte Freunde, Aufs ruhigſte nach einem frohen Tag! (Zu Lucinden.) Entſchließe dich! Mir brennt das Herz im Buſen: Und ſagſt du mir nicht eine Hoffnung zu, So bin ich meiner felbft nicht mächtig, bin Im Falle, toll und wild das Neußerſte zu wagen. : Lucinde (für ſid)). Er macht mir bang! Ich fühle mich verlegen; 355 Ich will ihm leider nur ſchon allzuwohl. Rugantino (für ſid)). Ich muß noch ſuchen, alle ſie zuſammen fm Saal zu halten; meine Schöne gibt Zulekt wohl nach. D. Glück! D füße Freude! (Laut.) Ich denke nach, ihr Schönen, was ihr ſangt. 360 Fhr habt gewiß die Männer ſehr beleidigt; Ihr glaubt, es gebe keinen freuen Mann: Allein wie viel Geſchichten könnt' ich euch Von eiig unbegrenzter Liebe ſagen! Die Erde freut ſich einer treuen Seele, 365 Der Himmel gibt ihr Segen und Gedeihn; Indes die ſchwarzen Geiſter in der Gruft' Der falſchen Bruſt, der lügenhaften Lippe Wohl ausgedachte Qualen zubereiten. Y 355 305 Zweiter Aufzug. 45 373 380 Vernehmt mein Lied ! Es ſchwebt die tiefe Nacht 370 Mit allen ihren Schauern um uns her. Ich löſche dieſe Lichter aus; und eines Ganz ferne hin, daß in der Dunkelheit Sich mein Gemüt mit allen Schrecken fülle, Daß mein Geſang den Abſcheu meiner Seele Zugleich mit jenen ſchwarzen Thaten melde. (Das Theater iſt verfinſtert, bis auf ein lidst im Hintergrunde. Die Damen jetzen ſidh, Claudine zunädiſt an die Szene, lucindé nach der Mitte des Theaters. Alonzo geht auf und ab und ſteht meiſt an der andern Seite des Theaters. Nugantino ſteht bald zwiſchen den Frauenziminern, bald an lucindens Scite. Er flüſtert ihr zwiſchen den Strophen geſchidt einige Worte zu; ſie deint verlegen. Claudine, ivic durd, die ganze Szene, nadidentlich und abweſend. Alonzo nadidentlich und aufinertſam. Kein Bedicnter iſt auf dem Theater.) Rugantino. Es war ein Buhle frech genung, War erſt aus Frankreich kommen, Der hatt ein armes Mädel jung Gar oft in Arm genommen Und liebgekoſ't und liebgeherzt, Als Bräutigam herumgeſcherzt Und endlich ſie verlaſſen. Das braune Mädel das erfuhr, Vergingen ihr die Sinnen. 385 Sie lacht und weint und bet't und ichwur; So fuhr die Seel' von hinnen. Die Stund, als ſie verſchieden war, Wird bang dem Buben, grauſt fein Haar, Es treibt ihn fort zu Pferde. Er gab die Sporen kreuz und quer Und ritt auf alle Seiten, Hinüber, herüber, hin und her, Kann keine Ruh erreiten; Reitt ſieben Tag und ſieben Nacht, 395 Es blikt und donnert, ſtürmt und kracht, Die Fluten reißen über. Und reit’t in Blik und Wetterſchein Gemäuerwerk entgegen, Bindt's Pferð hauß an und friecht hinein 100 Und duct fich vor dem Regen. Und wie er tappt und wie er fühlt, Sich unter ihm die Erd? erwühlt; Er ſtürzt wohl hundert Klafter. 390 400 46 Claudinc von Villa Bella. 405 415 420 Und als er ſich ermannt vom Schlag, Sieht er drei Lichtlein ſchleichen: Er rafft ſich auf und krabbelt nach; Die Lichtlein ferne weichen, Frrführen ihn die Quer und Läng', Trepp' auf, Trepp' ab, durch enge Gäng', 417 Verfallne wüſte Keller. Auf einmal ſteht er hoch im Saal, Sieht ſitzen hundert Gäſte, Hohläugig grinſen alſzumal Und winken ihm zum Feſte. Er fieht ſein Schäßel untenan, Mit weißen Tüchern angethan; Die wend't fich - (Der Gejang wird durch die Ankunft von Alonzos Bedienten unterbrochen.) Zwei Bediente Alonzos. Herr, o Herr, es ſind zwei Männer Von Don Pedros braven Leuten, Vor der Thüre ſind ſie hier Und verlangen ſehr nach Sir. Alonzo. Himmel, was ſoll das bedeuten! Führet ſie geſchwind zu mir! Zwei Bediente Pedros. (Die Lichter werden wieder angeziindet und der Saal erhent.) Ganz verwirrt und ganz verlegen, Voller Angſt und voller Sorgen, Kommen wir durch Nacht und Nebel, Hilf' und Rettung rufen wir. Alonzo und Claudine. Redet, redet! Rugantino und Lucinde. Saget, ſaget! (Zu Vier.) Saget an, was ſoll das hier ? Pedros Bediente. Von verwegnem Raubgeſindel Dieſen Abend überfallen, Haben wir uns wohl verteidigt; Doch vergebens widerſtanden Wir der überlegnen Macht. 425 Zweiter Aufzug. 440 445 · Wir veriniſſen unſern Herren; Er verlor ſich in die Nacht. Claudine. - Welch ein Unheil! welche Schmerzen ! Ach, ich kann mich nicht verbergen. Filet, Vater, eilet, Leute, Unſerm Freunde beizuſtehn! Alongo. Wo ergriffen euch die Näuber? Bediente. Noch im Wald von Villa Bella. Claudine. Wo verlort ihr euern Herren? Bediente. Er verfolgte die Vermegnen. Lucinde. Habt ihr ihm denn nicht gerufen? Bediente. gewiß, und laut und öfter. Rugantino. Habt ihr das Gepäck gerettet? Bediente. Alles wird verloren ſein. Alonzo (für ſich). So ſehr mich das beſtürzt, . So ſehr es inich verdrießt, So nutz' ich doch, Gebrauch ich die Gelegenheit, Es iſt die ſchönſte, höchſte Zeit, Daß ich erſt dieſen Vogel fange. Claudine. O, bedenkt Euch nicht ſo lange! Alonzo. Liebes Kind, ich geh’, ich gehe! - Lucinde. Cilt! Er iſt wohl in der Nähe Rugantino. Laßt mich Euern zmeiten ſein! 450 455 Claudine von Villa Bella. . 460 465 470 Alonzo (zu den Bedienten). Alle zuſammen! Sattelt die Pferde ! Holetº Piſtolen! Holet Gewehre! Eilig verſammelt euch hier in dem Saal! . (Die Bedienten gehen meiſtens ab.) Rugantino. Ich bin bewaffnet, hier iſt mein Degen! Hier find Piſtolen, hier wohnt die Shre! Meine Geſchäftigkeit zeig' ich einmal. Alonzo (indem er die Terzerolen dem Nugantino abnimmt). Ach, wozu nüßen dieſe Piſtölchen! Nur Euch zu hindern, ſchlaudert der Degen. (Zu den Bedienten.) Bringt ein paar andre, bringet ein Schwert! Rugantino. Dankbar und freudig, daß Ihr mich waffnet; . Jegliche Wehre; die Ihr getragen, Doppelt und dreifach iſt ſie mir wert. Alonzo (Lucinden die Terzeroſen gebend). Hebt die Piſtolen auf bis an den Morgen. Nehinet den Degen, gehet, verwahrt ihn! Rugantino (indem er ducinden den Degen gibt). Liebliche Schönen, wenn ihr entwaffnet, Laſſ ichs geſchehen; aber erbarmt euch Cures entwaffneten zärtlichen Kriechts ! (Lucinde geht mit den Waffen ab; Alonzo und Nugantino treten zurück und ſprechen leiſe miteinander, vvie aud mit den Bedienten, die ſich nach und niad im Grunde verſammeln.) Claudine (für ſic)). Voller Angſt und auf und nieder Steigt der Buſen; kaum noch halten Mich die Glieder.' Ach, ich finke ! Meine kranke Seele flieht.' 480 Lucinde (die wieder hereinkommt und zu Claudinen tritt). Nein, gewiß, du ſiehſt ihn wieder: Ach, ich teile deine Schmerzen. (Beiſeite, heimlich nach Rugaitino fich umſehend.) Ach, daß ich ihn gleich verliere! Wenn ihm nur fein Leids geſchieht! 28 475 Zweiter Aufzug. 455 490 Rugantino (zwiſden beide hineintretend). Trauet nur! Er kommt euch wieder. Ja, wir ſchaffen den Geliebten. (Heimlid) zu Lucinden.) Adh, ich bin im Paradieſe, Wenn dein Auge freundlich ſieht. (zu drei, jedes für ſid).) Claudine. Ady, ſchon decken mich die Wogen! Nein! Wer hilft – Wer tröſtet mich ? Rugantino. · Nein, ich hab mich nicht betrogen; Ja, fie liebt – ſie lebt für mich. Lucinde. Ach, wie bin ich ihm gewogen! Ach, wie ſchön – Wie liebt er mich! (Indeſjen haben ſich alle Bedienten bewaffnet im Sintergrunde verjammelt.) Alonzo (zu den Bedienten). Seid ihr zuſammen? Seid ihr bereit? 495 Bediente. Alle zuſammen, alle bereit. Alonzo. Horcht den Befehlen, folget ſogleich! -- (Puf Flugantino deutend.) Dieſen, hier dieſen nehmet gefangen! Claudine und Lucindr. Himmel, was hör' ich? Alonzo. Nehmt ihn gefangen! . Rugantino. Ha, welche Schändlichkeit Wird hier begangen! Haltet! Alonzo (zum Chor). Gehorchet mir! Rugantino. Haltet! Bediente (zu Alonzo). Gehorchen dir. (Zu Nugantino.) Gib Dich! Goethe. Werkc. VII. 500 50 Claudine pon Villa Bella. 505 510 Rugantino (zu Alonzo). Verräter, nahmſt mir die Waffen! Sage, was hab ich mit dir z11 ſchaffen? Sage, was foll das? Alonzo (zu den Bedienten). Greifet ihr an! Rugantino. Haltet! (Nadj cincr Pauſe.) Ich gebe mich! Es iſt gethan. (Für jid), indes die andern ſuſpendiert ſtehen.) Noch ein Mittel, ich will es faſſen! Sie ſollen beben und mich entlaſſen. Gefangen? – Nimmer! Ich duld' es nie! auje. Rugantino zicht cinci Dold ycryor, faßt Claudincil bei der Hand und ſetzt ihr dei Dold, auf die Bruſt." zu Alonzo.) Entlaß mich! oder ich töte fie! Alle (außer Rugantino). Götter! Rugantino (zu Alonzo). Du ſiehſt dein Blut Aus dieſem Buſen rinnen! (Zu drci.) Alonzo und Lucinde. Schreckliche Wut! Fürchterliches Beginnen! " Claudine. Schone mein Blut! Wirſt du, was wirſt du gewinnen? Rugantino. Zurück! Zurück! Alle (außer Nugantino). Götter! Alonzo. Claudine. Lucinde. Ach, wer rettet, wer erbarmet Sich der Not? Wer ſteht uns bei? Rugantino. Du ſiehſt Dein Blut Aus dieſem Buſen rinnen! (3u drei.) Alonzo und Lucinde. Schredliche Wut! Fürchterliches Beginnen! 515 520 525 Zweiter Aufzug. dil, masolut! Waudine. 530 Runontinyer 535 Schone mein Blut! Wirſt du, was wirſt du gewinnen? Rugantino. Zurüc! Zurück ! Alle (außer Nugantino). Götter! Ach, wer rettet, wer erbarmet Sich der Not? Wer ſtelt uns bei ? Claudine. Laß ihn, Vater, laß ihn fliehen, Wär er auch ſchuldig, und mache unich frei ! Rugantino. Sprich ein Wort! Mir iſt's gelungen. Laß mich los, und ſie iſt frei. Lucinde. Du ſo grauſam? Du nid)t edel? Sci ein Menſch und gib ſie frei! Alonzo. Ach, wozu bin ich gezwungen! Nein! – Doch ja, id) laff ihn frei. Alle, (außer Nugantino). Ach, mer rettet, wer erbarmet Sich der Not? Wer ſteht uns bei ? Rugantino (zu Alonzo). Ja, du retteſt, du erbarmeſt Dich dein ſelbſt und madiſt ſie frei. Alonzo. Vermegner ! Ja, gehe! Entferne dich eilend, Ja, fliehe nur fort! Du haſt mich gebunden, Du haſt überwunden, Da haſt du mein Wort! Rugantino (nod, Claudinen Haltend). Ja, ich traue Deinem Worte, Das du mir gewiß erfüllſt; Und verſprich, daß zu der Pforte Du mich ſelbft begleiten wilft. 5.10 515 550 555 Claudine pon Villa Bella. 500 505 Alonzo. Traue, traue ineinem Worte, Wenn du auch dein Wort erfüllſt; Und ich führe dich zur Pforte, Wenn du ſie mir laſſen willſt. Rugantino. Dies Verſprechen, dieſe Worte Sind ihr Leben, ſind dein Glück. (Zu Lucinden.) Bring ſogleich mir meine Waffen, Bring, o Schöne, ſie zurück ! Lucinde. Ach, ich weiß mich kaum zu finden. Welch ein Unheil! Welches Glück! Claudine (zu Alonzo). Ach, ich kehr zu deinen Armen Aus der Hand des Tods zurück. Alonzo. Meine Liebe, deine Kühnheit Iſt dein Vorteil, iſt dein Glück. Alle. Dieſe Liebe, dieſe Kühnheit Ift fein Vorteil, iſt ſein Glück. Rugantino. Dieſe Liebe, dieſe Kühnheit Iſt mein Vorteil, iſt mein Glück. Alle. Ein grauſames Wetter Hat all'uns umzogen, Es rollen die Donner, Es braufen die Wogen; Wir ſchweben in Sorge, In Not und Gefahr. Es treiben die Stürme Bald hin uns, bald wieder; Es ſchwanken die Füße, Es beben die Glieder; Es pochen die Herzen, Es ſträubt ſich das Haar. (Indeſjen hat Lucinde die Waffen dein Rugantino zurüdgegeben. Alonzo 'begleitet ihn hinaus.) 570 575 580 585 Dritter Aufzug. Drifter Nufzug. Wohnung der Vagabunden im Gebirge. Pedro allein. Langſam weichen mir die Sterne, Langſanı naht die Morgenſtunde: Blicke mit dem Roſenmunde Midh, Aurora, freundlich an! Wie ſehnlich harr ich auf das Licht des Tages! Wie ſehnlich auf den Boten, der mir Nachricht Von Villa Bella ſchleunig bringen ſoll. Ich bin bewacht von ſonderbaren Leuten; Sie ſcheinen wild und roh und guten Muts. Den einen hab' ich leicht beſtedjen können, Daß er ein Briefchen der Geliebten bringe. Nach ſeiner Rechnung könnt er wieder hier Schon eine Viertelſtunde ſein. Er kommt. Vagabund tritt Herein und gibt Pedro ein Bilct. Pedro. .. Du haſt den Auftrag redlich ausgerichtet: Ich ſeh's an dieſem Blatt. liebe Hand, Die zitternd dieſen Namen ſchrieb.! ich füſſe Dich tauſendmal. Was wird ſie ſagen? Was? (Er lieſt.) ,, Mit Angſt und Zittern ſchreib' ich dir, Geliebter! Wie ſehr erſchreckt mich deine Wunde! Niemand Iſt in dem Hauſe: denn mein Vater folgt Mit allen Leuten deinen Feinden nach. Wir Mädchen ſind allein. Ach, alles wagt Die Liebe! Gern möcht' ich mich zu dir wagen, ,,Um dich zu pflegen, zu befrein, Geliebter. Zerriſſen iſt mein Herz; es heilet nur in deiner Gegenwart. Was ſoll ich thun? ,,És eilt der Bote; keinen Augenblick Will er verweilen. Lebe wohl! Ich kann Von dieſem Blatt, ich kann von dir nicht ſcheiden." D ſüßes Herz! Wie bringt ein Morgenſtrahl . In dieſen öden Winkel der Gebirge! Šie weiß nun, wo ich bin; ihr Vater kommt 15 23 30 54 Claudine von Villa Bella. Nun bald zurück; man ſendet Leute her. Ich bleibe ruhig hier und wart es ab. (Bum Vagabunden.) Du ſtehſt, mein Freund, du warteſt — ach, verzeih! 35 Nimm Beinen Lohn! Vor Freude hab ich dich Und deinen Dienſt vergeſſen. Hier! Entdecke Mir, wer ihr ſeid, und wer der junge Mann Am Wege mar, der mich verwundete. Ich lohne gut und kann noch beſſer lohnen. Ich höre Leute kommen. Laß uns gehen Und insgeheim ein Wort zuſammen ſprechen. (Beide ab.) Basco mit ſeinen Vagabunden, weldhe Mantelſäcke und allerlei Gepäcke tragen. Basco. Herein mit den Sachen, Herein, nur herein! Das alles iſt euer, Das alles iſt mein. So haben die andern Gar treulich geſorgt; Wir haben es wieder Von ihnen geborgt. Wie ſorglich gefaltet! Wie zierlich geſackt! Auf unſere Reiſe Zuſammengepackt. (Die Dagabunden wollen die Bündel eröffnen, Basco hält ſie ab.) Nein, Freunde, laſſen wir es noch zuſammen 55 Und geben uns nicht ab, hier auszuframen. Wir machen fichier gleich iins auf den Weg. Ich kenne zwei, drei Orte, wo wir gut Und ſicher wohnen; dort verteilen wir Die Beute, wie es Los und Glück beſtimmt. Laßt uns noch wenig Augenblicke warten, Db Rugantino ſich nicht zeigen will. Und kommt er nicht, ſo könnt ihr immer gehen; Ich warte hier auf ihn, er komme nun Mit einem Weibchen oder nur allein. Wir müſſen ihn nicht laſſen; ſind wir ſchon Nicht immer gleicher Meinung, iſt er doch Ein braver Mann, den wir nicht miſſen können, 50 60 63 Dritter Aufzug. . 55 70" 75 Pedro tritt Herein. Pedro. Was ſeh' ich! Meine Sachen! Welch Gefdhick! Basco (fiir jid)). Was will uns der? Beim Himmel! Don Rovero. Wie fommt er hier herauf? Das gibt 'nen Handel; Nur gut, daß wir die Herrn zu Hauſe find. Pedro. Wer ihr auch feid, ſo muß ich leider ſchließen, Daß iúr die Männer ſeid, die mich beraubt. Ich ſehe dies Gepäck; es iſt das meine, Hier dieſe Bündel, dieſe Decken hier. Basco. Es kann wohl ſein, daß es das Eure war; Doch jeßt, vergönnt es nur, gehört es uns. Pedro. Ich will mit euch nicht rechten, kann mit eud Verwundet und allein nicht ſtreiten. Beſſer Für mich und euch, wir finden uns in Güte. Basco. Sagt Eure Meinung an, ob ſie gefällt. Pedro. Hier ſind viel Sachen, die euch wenig nutzen ünd die ich auf der Reiſe nötig. brauche. Laßt uns das Ganze ſchäßen, und ich zahle Euch, wie und wo ihr wollt, die Siimme. – Hier Reich ich die Hand, ich gebe Treu und Wort, Daß ich, was ich verſpreche, pünktlich halte. Basco. Das läßt ſich hören; nur iſt hier der Plak Zu der Verhandlung nicht; Fhr müßt mit uns Noch eine Meile gehn. Pedro. Warum denn das? Basco. Es iſt nicht anders, und bequemt Euch nur! Pedro. Zuvörderſt ſagt mir an: Es hing am Pferde Von Leder eine Taſche, die allein 85 85 90 Claudine von Villa Bella. 100 100 anjicht.“ 105 Mir etwas wert iſt. Briefe, Dokumente . Führt' ich in ihr, die ihr nur gradezu Ins Feuer werfen müßtet. Schafft mir fie; Ich gebe dreißig Unzen, ſie zu haben. Basco (zu den Seinen). Wo iſt die Taſche? Gab ich ſie nicht dir Noch auf dem Wege zu den andern Sachen? Wo iſt ſie? Pedro. Daß ſie nicht verloren wäre ! Bosco. Geht, eilt und fucht, ſie nukt bem jungen Mann Und bringt uns dreißig Unzen in den Beutel. Nugantino tritt auf mit der Brieftaſche, welche er eröffnet hat und die Papiere Rugantino. Kaum trau' ich meinen Augen. Dieſe Briefe, An meinen Bruder leſ ich ſie gerichtet. Es kann nicht fehlen: denn wer nennt ſich Pedro Von Caſtellvecchio noch als er? Wie fann Er in der Nähe ſein? Ich bin beſtürzt. Pedro (zu Basco). Da kommt er eben recht mit meiner Taſche. Iſt dieſer von den Euren? Basco. Ja, der Beſte, Möcht' ich wohl ſagen, wenn ich ſelbſt nicht wäre. (Laut) Du fandeſt glücklich dieſe Taſche wieder; Hier dieſem jungen Mann gehört ſie zu. Rugantino (zu Pedro). Gehört ſie dir? Pedro. Du haft in deinem Blick, In deinem Weſen, was mein Herz zu dir Eröffnen muß; ja, ich geſteh' es dir: Ich bin vom Hauſe Caſtellvecchio. Rugantino. Du? Pedro. Der zweite Sohn. Doch ſtill, ich ſage dir, Warum ich mich mit einem fremden Namen Auf dieſer Reiſe nennen laſſe, gern. 110 115 120 Drifter Aufzug. . 57 ir ntabren. Las Das fins s 125 125 130 130 Riigantino. Ich will es gern vernehmen. Nimm die Taſche Und laß mich hier allein. Pedro. D, fage mir, Wie komm' ich aus den Händen dieſer Männer ? Rugantino. Du ſollſt es bald erfahren. Laß inich nur! (Pedro ab.) Rugantino (zu Basco). Das ſind die Sachen dieſes Fremden? . Basco. Ja. Sie waren unſer, und ſie ſind nun wieder Auf leidliche Bedingung ſein geworden. Rugantino. Schon gut, laß mich allein; ich rufe dir. Basco.. Hier iſt nicht lang zil zaudern; fort, nur fort! Ich fürchte ſehr, der Fürſt von Rocca Bruna Schickt ſeine Garden aus, noch eh es tagt. . Rugantino. Noch eh es tagt, ſind wir gewiß davon. (Arein.) Mein Bruder! Welch Geſchick führt ihn hierher? In dieſen Augenblicken, da die Liebe Mich jede Thorheit, die ich je beging, Bereuen läßt. Er ſcheint ein edler Mann; Er wird mich gern erkennen, wird es leicht. (Nad) einigem Schweigen.) Ihr Zweifel, weg ! Laßt meiner Freude Raum, Daß ich ſie ganz, daß ich ſie recht genieße. (Gegen die Szene gefchrt.) Ich rufe dich, o Fremder, auf ein Wort. Þedro tritt auf. Pedro. Sag' an, was du verlangſt; ich höre gern. Rugantino. Mir war vor wenig Zeit ein junger Mann Gar wohl bekannt; er lebte hier mit 1!1s. Gewöhnlich nannten wir ihn Rugantino, 135 140 Claudine von Villa Bella. 145 150 Und zwar mit Recht; er war ein wilder Menſch, Allein gewiß aus einein edeln Hauſe. Und mir vertraut er – denn wir Yebten ſehr . In Einigkeit - er ſei von Caſtellvecchio, - Er ſei der Aelteſte des Hauſes, Karlos Mit Namen. Sollteſt du ſein Bruder ſein? : Pedro. Himmel! welche Nachricht gibſt du mir! O, ſchaff’ ihn her und fchaffe die Verſichrung, Daß er es ſei; du ſollſt den ſchönſten Lohi . Von ſeinem Bruder haben; denn ich bin's. Wie lange ſuch? ich ihn! Der Vater ſtarb, Ilnd ich beſitze nuit die Güter, die Ich gern und willig mit ihm teile, wenn ich ihn an dieſen Buſen Drücken, dann Zurück zu unſern Freunden bringen mag. Du ſtehſt in Sid gefehrt? D, welch eiii Licht Scheint mir durch dieſe Nacht! D, ſieh mich an! Wo iſt er? Sage mir, wo iſt er ? Karlos. 155 160 · Hier! 165 Ich bin's! Pedro. Iſt's möglicky! Karlos. Die Beweiſe geb? Ich dir und die Gewißheit leicht genug. Hier iſt der Ning, den ineine Mutter trug, Die nur zu früh für ihren Karlos ſtarb; Hier iſt ihr Bild. Pedro. Ihr Götter, iſt's gewiß ? Karlos. Ja, zweifle nur ſo lang, bis ich den letzten Von deinen Zweifeln glücklich seben kann. Ich habe dir Geſchichten zu erzählen, Die niemand weiß als dů und ich; mir bleibt Noch manches Zeugnis. Pedro. Laß mich hören! . 170 Dritter Aufzug. 173 ISO 185 185 Karlos. Komm! (Sie gchen nach dem Grunde und ſprechen leiſe unter Icbhaften Gebärden.) Basco. Was haben die zuſammen? Wie vertraut! Ich fürchte faſt, das nimmt ein böſes Ende. Die Leidenſchaft des Thoren zu Lucinden War ſchon der lieben Freiheit ſehr gefährlich. Und wie man ſonſt ein theatraliſch Werk Mit Trauung oder Tod zu enden pflegt, So fürcht ich, unſer ſchwärmend luſtig Leben Wird fich mit einer ſchalen Ordnung ſchließen. Jhr Herrn, was gibt's ? Vergeßt ihr, daß der Tag Zu grauen ſchon beginnt und daß der Fürſt Die Räuber, den Beraubten miteinander, Die Schwärmer, die Verliebten holen wird? Karlos. O, teile meine Freude, fürchte nichts! Dies iſt mein Bruder. Basco. Hätteſt ihn ſchon lang, Wenn du ihn ſuchen wollen, finden können. Das iſt ein rechtes Glück! Karlos. Du folift es teilen. Basco. Und wie? Karlos. Ich werfe mich, von ihm geleitet, Zu meines Königs Füßen; die Vergebung Verſagt er nicht, wenn ſie mein Bruder bittet. Lucinde wird die Meine. Du, mein Freund, Soliſt dann mit mir, wenn es der König fordert, In ſeinem Dienſte zeigen, was wir ſind. Basco.. Das Zeigen kenn ich ſchon und auch den Dienſt. Nein, nein, lebt wohl! Ich ſcheide nun von Euch. Sagt an, wie Ihr die Sachen löſen wollt. Nur kurz; denn hier iſt jedes Wort z11 viel. 190. 195 Claudine von Villa Bella. 200 205 Pedro. Eröffne dieſen Mantelſack; du wirſt Hier an der Seite funfzig Unzen finden. Scheint dieſes Sir genug, daß du den Neſt Uis frei und ungepfändet laſſen magſt? Bosco (der indes den Mantelſad cröffnet und das Geld herausgenommen hat). Ich dächte, Herr, fhr legtet etwas zu. Karlos. Ich dächte, Herr, und Ihr begnügtet Euch. Basco. Gedenkt an Euer Schätzchen! Dieſer Mann 205 Hat es mit mir zu thun. Pedro (einen Beute aus der Taſche zichend). In dieſem Beutel Sind ferner zwanzig Unzen. Iſt's genug ? Karlos. Es muß und foll! Es iſt, bei Gott, zu viel. Basco. Nun, nun, es ſei! lebt wohl, ihr Herrn! Lebt wohl! Leb wohl, Freund Rugantino Dich zu laſſen, 210 Verdröff mich ſehr; du biſt ein wackrer Mann, Wenn dich die Liebe nicht zu ihrem Sklaven Schnell ungemeiſtert hätte. Fahre wohl! Ich geh', mit freien Leuten Freiheit finden. Karlos. Leb wohl, du alter Troßkopf! Denke mein! (Vasco geht mit ſeinen Vagabunden ab; zu den übrigen, die bleiben, ſpricht). Karlos. Jhr folgt uns beiden; wir verſprechen euch Vergebung, Sicherheit; an Unterhalt Soll's 'euch nicht fehlen. Traget dieſe Sachen Und eilet nur auf Willa Bella zul! Pedro. Ihr Freunde, laßt uns eilen: denn mir ſelbſt .: 220 iſt viel daran gelegen, daß uns nicht Der Fürſt von Nocca Bruna fangen laſſe: Geſchwind nach Villa Bella! Kommt nur, kommt! 215 220 Dritter Aufzug. . 225 230 235 Wald und Dämmerung. Claudinc. Ich habe Lucinden, Die Freundin, verloren. Ach, hat es mir Armen Das Schidſal geſchworen? Lucinde, wo biſt du? Lucinde! Lucinde! Wie ſtill find die Gründe, Wie öde, wie bang! Ach, hat es mir Armen Das Schickſal geſchworen? Ich ruf um Erbarmen, Ihr Götter, um Gnade! Wer zeigt mir die Pfade? Wer zeigt mir den Gang? (Sie geht nach dem Grunde.) Basco mit den Seinigen. Basco. Ihr kennt das Schloß, wo wir in Sicherheit Äuf eine Weile bleiben können; ſo Verſprachy's der Pachter, und er hält's gewiß. : 24.0 Tragt dieſe Sachen hin; ich gehe nur, Nach einer guten Freundin, die vom Wege Nicht ferne wohnt, zu ſehn. Am friſchen Morgen Hat Amor mir die Leber angezündet, Als er mit ſeiner Mutter aus dem Meere, Die über jenen Bergen leuchtet, ſtieg. Ich folge bald; es wird ein froher Tag. (Die Bagabunden gehen ; er erblidt Claudinen.) Was feh' ich dort! Wird mir ein Morgentraum Vors Aug geführt? Ein Mäddhen iſt's gewiß: Ein ſchönes, zartes Bildchen. Laßt uns ſehen, Ob es wohl greifbar und genießbar iſt? Mein Rind! Claudine. Mein Herr! Seid Ihr ein edler Mann, So zeiget mir den Weg nach einer Wohnung; Sie kann nicht weit hier im Gebirge liegen. Es ward ein junger Mann verwundet; er Ward hier herauf gebracht. Wißt fhr davon? 245 250 255 Claudine von Villa Bella. 260 · . unnen) . . 205 Basco. Ich hab? an eignen Sachen gnug zu thun Und füminte mich um nichts, was andre treiben. Claudine. Dort ſeh' ich eine Wohnung; iſt's die Eure? Basco. Die meine nicht; fie. ſteht nicht weit von hier Um dieſe Felſen. Kommt! Noch ſchläft mein Weib; Sie wird Euch gut empfangen, und ich frage : Bald den Verivund'ten aus, nach den Fhr bangt. (Da er im Begriff iſt, ſie wegzuführen, kommen) Sarlos und Pedro. Karlos. - Nur dieſen Pfad! Er geht ganz grad hinab.. Pedro. Was ſieht mein Auge! Götter, iſt's Claudine ? Claudine. Ich bin es, teurer Freund. Pedro. Wie kommſt du her? :D Hinme!! Du, hierher! Claudine. Die Sorge trieb Mich aus dem Schloſſe, dich zu ſuchen. Niemand War in dem Hauſe mehr! Der alte Pförtner Allein verwahrt' es; alle folgten ſchnell Dem Vater, der nach deinen Räubern jagt. Pedro. Ich faſſe mich und meine Freude nicht. Karlos. Mein wertes Fräulein! : Claudine. Muß ich Euch erblicken! Pedro. Daß ich dich habe! Claudine. Daß ich zeigeri kann, Wie ich dich liebe. Pedro. Himmel, welch ein Glück! mand 270 275 Dritter Aufzug. 1 .: . 280 Claudine. O, geht und ſucht! Lucinde kam mit mir; Ich habe ſie verloren. Karlos. Wie, Lucinde? Claudine. Sie irrt in Männertracht nicht weit von hier Auf dieſen Pfaden. Mutig legte fie : Ein Wämschen an; es ziert ein Federhut, Es ſchüßt ein Degen ſie. O, geht und ſucht! . Karlos Ich fliege fort! Ihr Götter, welch ein Glück! Pedro. Wir warten hier, daß wir euch nicht verfehlen. (Marlos ab.) Basco (für ſid)). Ich gehe nach; und fällt ſie mir zuerſt In meine ſtarken Hände, ſoll ſie nicht Šo leicht entſchlüpfen. Eine muß ich haben, Es gehe, wie es wolle. Nur geſchwind! (ab.) Claudine. Ich fürchte für Lucinden! Jener Mann, Der nach ihr ging, hat unſer Haus mit Schrecken und Sorgen dieſe Nacht gefüllt. Wer iſt's ? Pedro. Was dir unglaublich ſcheinen wird: mich ließ In ihin das Glück den Bruder Karlos finden. Claudine. Es drängt ein Abenteuer fich aufs andre. :: Pedro. Der wilden Nacht folgt ein erwünſchter Tag. Claudine. Und beine Wunde? Götter! Freud' und Dank! Iſt nicht gefährlich? . Pedro. Nein, Geliebte! Nein! und deine Gegenwart nimmt alle Schmerzen Mir aus den Gliedern; jede Sorge flieht. Du biſt auf ewig mein. Claudine. Es kommt der Tag! 295 64 Claudine von Villa Bella. 300 300 303 305 310 315 Pedro. An dieſem Baum erfenn ich's; ja wir ſind Auf deines Vaters Grund und Boden; hier Ift von den Garden nichts zu fürchten, die .. Der Fürſt von Rocca Bruna ſtreifen läßt. Claudine. D.Himmel, welch Gefühl ergreift mich nun, Da ſich die Nacht von Berg und Thälern hebt!: Bin ich es ſelbft? Bin ich hierher gekommen? Es weicht die Finſternis; die Binde fällt, Die mir ums Haupt der kleine Gott geſchlungen; Ich ſehe mich, und ich erſchrecke nun, Mich hier zu ſehn. Was hab' ich unternommen? Mich umfängt ein banger Schauer, Mich umgeben Qual und Trailer; Welchen Schritt hab' ich gethan?' Pedro. Laß, Geliebte, laß die Trauer! Dieſes Bangen, dieſe Schauer Deuten Lieb und Glück dir an. . Claudine. . Kann ich vor dem Vater ſtehen? Pedro. Laß uns nur zuſammen gehen. Bride. Ja, es bricht der Tag heran. Claudine. Ach, wo verberg' ich mich Tief in den Bergen? pedro. Hier in dem Buſen dich Magſt du verbergen. Claudine. Ja dir, o Grauſamer, Dank' ich die Qual. Pedro. Ich bin ein Glücklicher Endlich einmal. · Faſſe, faſſe dich, Geliebte, Ja, bedenke, daß die Liebe Alle deine Qualen heilt. 820 325 330 Dritter Aufzug. 65 Claudine. Es ermannt ſich die Betrübte, Höret auf das Wort der Liebe; Ja, ſchon fühl ich mich geheilt. Beide. Nun geſchwind, in dieſen Gründen Unſre Freundin aufzufinden, Die uns nur zu lang verweilt. Sei gegrüßet, neue Sonne, Sei ein Zeuge dieſer Wonne ! Sei ein Zeuge, wie die Liebe Alle bangen Qualen heilt! (ab.) 335 3:10 345 345 Felſen und Gebüſch. Lucinde in Mannskleidern. Voraus Basco. (Beide mit bloßen Degen.) Lucinde. Lege, Verräter, nieder die Waffen! ; Hier zu den Füßen lege fie mir! Basco (veichend). Junker, wo anders mach dir zu ſchaffen! (Tür ſich.) Liebliches Vögelchen, hab ich dich hier? Lucinde. Wandrern zu brohen, wagſt du verwegeri; Doch wie ein Bübchen Fliehſt du den Streit. Basco (der ſich ſtellt). Zwiſchen den Fingern brennt mich der Degen; Wir ſind, o Liebchen, Noch nicht ſo weit. (Sie festen. Lucinde wird entwaffnet und ſtelt in fid) gekehrt und beſtürzt da.) Basco. Sieh, wir wiſſen Nat zu ſchaffen, Haben Mut und haben Glüd. Lucinde. Ohne Freund und ohne Waffen, · Armes Mädchen, welch Geſchick! Goethe, Werke. VII. 350 5 . Slaudine von Villa Bella. 355 360 365 Basco. Sieh, wir wiſſen Rat“ zu ſchaffen. Laß dich küſſen! Seht den Affen! – Welch Entſeken, Welch ein Blick! Lucinde. Möcht' ich wiſſen Rat zu ſchaffen. Ach, zu miſſen Meine Waffen, Welch Entſeken, Welch Geſchick! Karlos (tritt eilig auf). Hab' ich, o Ingel, dich wieder gefunden! Ich bin ein glücklicher Sterblicher heut. Lucinde. Seltenes Schickſal! Gefährliche Stunden! Hat mich vom Wilden der Wilde befreit? Pedro und Claudine treten auf. Claudine. Haſt du ſie glücklich hier wieder gefunden? Alles gelinget den Glücklichen heut. Pedro. Kaum iſt der Bruder mir wieder gefunden, iſt ihm auch eine Geliebte nicht weit. (Pantomime, wodurd) ſie ſich unter einander erklären: indefjen ſirgt) Basco. Hat ſich das Völfchen zuſammengefuniden? . Friede mißlingt, es mißlingt mir der Streit. Claudine. Pedro. Lucinde. Karlos. Weilet, o weilet, ihr ſeligen Stunden'! Eilet, o eilet, verbindet uns heut! Basco (mit ihnen beiſeite). Weilet nicht länger, verðrießliche Stunden! Eil' ich und eil ich und frage mich weit! Die Garden des Fürſten von Nocca Bruna. Der Anführer. Eilet, euch umher zu ſtellen! 370 375 380 380 Dritter Aufzug. 395 Hier, hier find' ich die Geſellen; Haben wir die Schelmen nun! Die Garden (indem ſie anſdlagen). Wage keiner der Geſellen, Hier zur Wehre ſich zu ſtellen; Schon gefangen feið ihr nun. Die übrigen Perſonen. Hier auf fremdein Grund und Boden Habt ihr Herren nichts zu thun. Der Anführer. Denkt ihr wieder nur zu flüchten? Nein, ihr Frevler, nein, mit nichten! Denn der Fürſt von Rocca Bruna Und der Herr von Villa Bella, Beide ſind nun einig worden, Beide Herren wollen ſo. Die übrigen Perſonen. Weh, o weh! Was iſi geworden! :: Weh, o weh! Wer hilft uns flüchten! Nimmer werd' ich wieder froh. (Da fie den Alonz0 kommen ſchen, treten ſie mit beſtürzter Gebärde niad; dem Grunde des Theaters. Dic Garden ſtellen ſich an die Sciten, der Anfiihrer tritt Hervor.) · Alonzo mit Gefolge, alle bewaffnet. Alonzo. Habt ihr, Freunde, ſie gefangen? Brav, das war ein gutes Stück! Der Auführer. Sie zuſammen hier gefangen; Wohl, es war ein gutes Glück! Karlos, Lucinde (die den Hut in die Augen drilct) und Basco (treten vor Alonzo). Werter Herr, laßt Euch erweichen! Laſſet, laſſet uns davon! Alonzo. D, von allen euren Streichen Kennen wir die Pröbchen ſchon. 403 (Fene drei Perſonen treten zurück, Pedro komint hervor.) Pedro. Lieber Vater, darf ſich zeigen Euer Freund und Euer Sohn? 400 403 68 Claudine von Villa Bella. 410 415 Alonzo (nach einer Pauſe). Ach, die Freude macht mich ſchweigen. (Jhn umarmend.) Lieber Freund und lieber Sohn! Karlos, Lucinde, Basco (die eilig nacheinander hervorkommen, indez Claudine auf einem Felſen im Grunde in Ohninadit liegt). Ach, Hilf’ und Hilfe! Sie liegt in Ohnmacht;'- Was iſt geſchehn! (Sic kehren eilig wieder um.) Pedro. Ach, helfet, helfet ! Sie liegt in Ohnmacht; Was iſt geſchehn! (Er eilt nach dem Grunde.) Alonzo. Wem iſt zu helfen? Wer liegt in Ohnmacht? - . Was muß ich ſehn? (Indeſjen hat ſich Claudine erholt, ſie wird langſam hervorgeführt.) Claudine. Ja, du fiehſt, du ſiehſt Claudinen: . Willſt du noch Dein Kind erfennen, . Das ſich hier verloren gibt? . ' Alonzo. Kind, erheitre Deine Mienen! Laß Dich meine Liebe nennen! Sage, ſaget, was es gibt! Lucinde (die ſich entdeckt). Ja, ich muß mich ſchuldig nennen; . Ich beſtärkte ſelbſt Claudinen, Den zu ſuchen, den ſie liebt. Pedro. Ja, ich darf mich glücklich nennen! . Kann ich, kann ich es verdienen? Du verzeihſt uns, wie ſie liebt. Karlos. Laß, o Herr, mich auch erfühnen, Karlos mich vor dir zu nennen, Der Lucinden heftig liebt. 420 425 430 - : - 69 4:35 Dritter Aufzug. Basco (für ſid). Könnt ich irgend mir verdienen, Von den Volke mich zu trennen, Das mir Langeweile gibt. (Die ganze Entwickelung, welche die Pocjie nur kurz andeuten darf und die Muſit jvciter ausführt, wird durd, das Spiel des Afteira crít lebendig. A10nzos Erſtaunch, und wie er sind und niad), von den Umſtänden unterridhtet, fidh faßt, erſt von Ver- wunderung zu Verwunderung, endlich zur Ruhe übergeht, die Zärtliditeit Pedros und Staudintens, die lebhaftere Leidenſchaft Narlos' und Lucindens, welde ſidi nicht michr zurüdhält, die Gebärden Pedros, der ſeinen Bruder den Alonzo vorſtellit, der Veidruſ Báscoa, nicht von der Stelle zu diirjon: alice werden die Schauſpicier lcba haft, angemeſien und übercinſliminend ausdrücken und durd) cine ſtudierte Pantomime den muſikaliſchen Vortrag beleben.) Alonzo (zu den Garden). Dieſe Gefangenen Geben ſich willig. Es iſt ein Srrtum Heute geſchehn. Dies iſt mein Boden: Alle ſie führ ich Eilig nach Hauſe. Grüßet den Fürſten, Ich wart ihm auf. (Die Garden entfernen ſich.) Alle. Welch ein Glück und welche Wonne! Nach den Stürmen bringt die Sonne Uns den ſchönſten Tag heran, . Und es tragen Freud' und Wonne Unfre Seelen himmelan. 41.0 445 150 Irwin und Ilmire. Ein Singſpiel. .: Perſonen. Erwin. Roſa. El mire. Valerio. & r ft e r Nufz it g. Ein Garten mit einer Ausſicht auf Land- und Lufthäuſer.' 1. Auftritt. Noſa und Valerio kommen miteinander ſingend aus der Ferne. - Roſa. Wie ſchön und wie herrlich, nun ficher einmal Im Herzen des Liebſten regieren! Valerio. Wie ſchön und wie fröhlich, durch Feld und durch Thal Sein Liebchen am Arme zu führen! Roſa. Man ſiehet mit Freude die Wolken nun ziehn, Die Bäche mit Ruhe nun fließen! Valerio. Die Bäume nun grünen, die Blumen nun blühn, Kann alles gedoppelt genießen! Beide. Die Tage der Jugend, fie glänzen und blühn; D, laß uns der Jugend genießen! Roſa. Ich drücke meine Freude dir, Geliebter, Mit keinen holden, ſüßen Worter aus. Ja, du biſt mein! ja, ich erkenne nun Dein treues, einzig treues Herz! Verzeih, Erſter Aufzug. 1. Auftritt. Wenn ich mit Eiferſucht dich jemals quälte. Daß du mir wert biſt, zeigt dir meine Sorge. Valerio. Ja, ich bin dein, und nichts ſoll mich von dir, So lang mein Atem weihſelt, je entfernen. Vergib, wenn ich aus angeborner Neigung, Mit einem jeden gut und froh zu ſein, · Mich dir verdächtig machte. Sieh mir nad); Denn du allein beſißeſt dieſes Herz. Roſa. So ſei es! deine Hand! Vergiß, und ich Will auch vergeſſen. Valerio. D, bekämpfe ja Das Uebel, das in deinen Buſen fich Auch wider deinen eignen Willen chleicht. fung find wir, glücklich, und die nahe Hoffnung, Auf immer uns verbunden bald zu freuen, Macht dieſe Gegend einem Paraðieſe Mit allen ſeinen Seligkeiten gleich. Gewiß, gewiß! ich fühl es ganz, und ſchweben Wohlthätge Geiſter um uns her, die uns Dies Glück bereitet, ſo erfreuen ſie Sich ihres Werkes. Laß uns ungekränkt Vor ihren Augen der gegönnten Luſt Mit ftets entzückter Dankbarkeit genießen. Ein Schauſpiel für Götter, Zwei Liebende zu ſehn! Das ſchönſte Frühlingsmetter Iſt nicht ſo warm, ſo ſchön. Wie ſie ſtehn! nacheinander ſehn! fit vollen Blicken Ihre ganze Seele ſtrebt! In ſchwebenden Entzücken Žieht ſich Hand nach Hand, Und ein ſchauervolles Drücken Knüpft ein dauernd Seelenband. (Valerio, der dic Pantomime zu dieſer Arie gegen ſeine Geliebte quegedriiet hat, inßt fic 311lctt in den Arm, und ſie umídließt ihn mit dem ihrigen.) Aus der vollen Seele quillt ! 72 Ermin und Elmire. . 55 Das iſt euer Bild, ihr Götter! Götter, das iſt euer Bild! (31 zwei.) Das iſt euer Bild, ihr Götter! Sehet, Götter, euer Bild! (Sic gehen und dem Grunde des Thcaters, als wenn ſie abtreten wollten, und inadjen cinc paiiſc. Dann ſdcinen ſie ſich zu befinnen und kommen gleichjam ſpazieren gehend wieder hervor.) Rola. Doch laß uns auch an unſre Freundin denken. Ich ſehe ſie am Fenſter nicht, auch nicht Auf der Terraſſe. Bleibt die Arrie wohl An dieſem ſchönen Tage ſtill bei ſich Verſchloſſen? oder wandelt ſie im Walde, Gedankenvoll, betrübt, allein ? Valerio. Sie iſt Wohl zu beklagen. Seit der gute Jüngling, 60 Der ſie ſo ſehr geliebt und den ſie ſelbſt Sich heimlich widmete, Durch Kälte, ſcheinende Verachtung viel Gequält, zuleßt es nicht mehr trug und fort In alle Welt, Gott weiß wohin, entfloh: Šeitdem verfolgt und foltert der Gedanke Fhr Innerſtes, welch eine Seele ſie Čequält, und welche Liebe ſie verſcherzt. Roſa. Sie kommt. D, laß uns mit ihr gehen, ſie Mit fröhlichen Geſprächen unterhalten. . . 70. Es ziemt uns wohl, da wir ſo glücklich ſind, Den Schmerzen andrer lindernd beizuſtehn. 2. Auftritt. Elmire. Die Vorigen. Roſa und Valerio (ihr entgegengchend, zu zwei). Liebes Kind, du ſiehſt uns wieder! Komm, begleite dieſe Lieder! Dieſen Tag, ſo ſchön, ſo ſchön, . Laß im Garten uns begehn. 75 : Erſter Aufzug. 2. Auftritt. Elmire. Liebe Freunde, kommt ihr wieder ? Ach, mich hält der Kummer nieder. Sei der Tag auch noch ſo ſchön, Kann ihn nicht mit euch begehn. Roſa und Valerio. Und das Verlangen Und das Erwarten: „Blühten die Blumen! Grünte mein Garten!" Kaum erſt erfüllt, Iſt ſchon geſtillt? Elmire. Und das Verlangen Und das Erwarten: „Säh? ich den Liebſten Wieder im Garten!" Iſt nicht erfüllt, Wird nicht geſtillt. Roſi und Valerio. Soll umſonſt die Sonne ſcheinen? Elmire. Laßt, o Liebe, laßt mich weinen! Roſa und Valerio. Sieh, die Blumen blühen all! Hör', es ſchlägt die Nachtigall! Elmire. Leider, ſie verblühen all! Traurig ſchlägt die Nachtigall ! (zu drei.) Elmire. Töne, töne, Nachtigall! Meiner Klagen Wiederhal ! Roſa und Valerio. Töne, töne, Nachtigall, Neuer Freuden Wiederhan. Roſi. ſüße Freundin! Will benn keine Luft Mit dieſem Frühlingstage dich beſuchen? 100 Erwin und Elmire. 105 LA44 110 115 Valerio. Iſt dieſer Schmerz fo eingewohnt zu Haus, Daß er auf keine Stunde ſich entfernet? Elmire. Ach leider, ach! beſtürmen dieſes Herz Der Liebe Schmerzen, das Gefühl der Reue. Verlaßt mich, meine Freunde; denn was hilft's ? Die liebe Gegenwart, die tröftliche, Bringt keine Freude, keinen Troft zu mir. Bin ich allein, ſo Darf ich wiederholen, Ins Tauſendfache wiederholen, was Euch nur verdrießlich oft zu hören wäre. Valerio. Im Buſen eines Freundes wiederhallend Verliert ſich nach und nach des Schmerzens Ton. Elmire. Ich lauſche gern dem ſchmerzlichen Geſang, Der wie ein Geiſterlied das Ohr umſchwebt. Roſa. Die Freuden andrer locken nach und nach Uns aus uns ſelbſt zu neuen Freuden hin. Elmire. Wenn andre fich ihr Glück verdienen, hab' Ich meine Schmerzen mir gar wohl verdient. Nein, nein! Verlaßt mich, daß im ſtillen Hain Mir die Geſtalt begegne, die Geſtalt Des Jünglings, den ich mir ſo gern entgegen Mit ſeiner ſtillen Miene kommen ſah. Er blickt mich traurig an, er naht' fich nicht, Er bleibt von fern an einem Seitenwege Wie unentſchloſſen ſtehn. So kam er ſonſt Und drang ſich nicht wie jeder andre mir Mit ungeſtümem Weſen auf. Ich ſah : Gar oft nach ihnt, wenn ich nach einem andern Zu ſehen ſchien; er merkt es nicht, er ſollt' És auch nicht merken. Scheltet mich, und ſcheltet Mich nicht! Ein tief Gefühl der Jugendfrenden, Der Jugendfreiheit, die wir nur zu bald Verſcherzen, um die lange, lange Wandrung Auf gutes Glück, mit einem Unbekannten 120 125 130 - 135 Erſter Aufzug. 2. Auftritt. 1.10 115 150 Verbunden, anzutreten – dies Gefühl Hielt mich zurück, zu ſagen, wie ich liebte. Und doch auch ſo! Ich hätte können zärter Mit dieſer guten Seele handeln. Nur zu nah liegt eine freche Kälte neben Der heißeſten Empfindung unſrer Bruſt. Roſa. Wenn du es willſt, ſo gehn wir nach den Buchen, Wo heute die Geſellſchaft fich verſammelt. Elmire. Ich halt euch nicht, gewiß nicht ab. Ihr geht, Ich bleibe hier, ich mag mich nicht zerſtreuen. Valerio. So werden wir gewiß sich nicht allein Mit deinem Kummer im Geſpräche laſſen. Elmire. Wenn ihr mich liebt und init mir bleiben wollt, . So ſchmeichelt meiner Trauer, ſtört ſie nicht! Roſa. Beliebt es dir, zu ſingen? Valerio. Wenn du magſt — ? Elmire. Recht gern! Ich bitte, laßt uns jenes Lied Zuſammen fingen, das Erwiit ſo oft Des Abends ſang, wenn unter meinen Fenſter Er ſeine Zither rührte, hoch und höher Die Nacht ſich über ſeinen Klagen wölbte. Roſa. Verzeih! . Valerio. Es gibt ſo viele, viele Lieder! Elmire. Das eine wünſch ich, ihr verſagt mir's nicht. Roſa. Ein Veilchen auf der Wieſe ſtand, Gebückt in ſich und unbekannt, Es war ein Herzigs Veilchen. 155 160 160 Erwin und Elmire. 165 170 175 Valerio. Da kam eine junge Schäferin Mit leichten Schritt und muntern Sinn Daher, daher, Die Wieſe' her und ſang. Elmire. Ac), Denkt das Veilchen, wär' ich nur Die ſchönſte Blume der Natur, - Ach, nur ein kleines Weilchen, . Bis mich das Liebchen abgepflückt Und an dem Buſent matt gedrückt ! Ach nur, ach nur Ein Viertelſtündchen lang! Roſa. Uch! aber ach! das Mädchen kan Und nicht in acht das Veilchen nahni, Ertrat das armé Veilchen. - Valerio. Und ſanf und ſtarb und freut ſich noch: „Und ſterb' ich denn, ſo ſterb' ich doch Durch fie, durch ſie, zu ihren Füßen Doch!". (zu drei.) „Und ſterb' ich denn, ſo ſterb' ich doch Durch fie, durch fie, Zu ihren Füßen doch!" Élutire. Und dieſes Mädchen, das auf ſeinem Wege Unwiſſend eine Blume niedertritt, Sie hat nicht ſchuld; ich aber, ich bin ſchuldig. Oft hab' ich ihit, ich muß es doch geſtehn, Oft hab ich ihn gereizt, ſein Lied gelobt, Shu wiederholen laſſen, was er mir Ins Herz zu ſingen wünſchte; dann auch wohl Ein andermal gethan, als wenn ich ihn Nicht hörte. Mehr noch, mehr hab ich verbrochen. Valerio. Du klagſt dich ſtreng, geliebte Freundin, an. Elmire. Weit ſtrenger klagt mich an des Treuen Flucht. Roſa. Die Liebe bringt ihn dir vielleicht zurück. 180 185 190 195 Erſter Aufzug. 2. Auftritt. 200 205 210 Elmire. Sie hat vielleicht ihn andermärts entſchädigt. Ich bin nicht bös geboren; doch erſt jeßt Erſtaunlich, wie ich lieblos ihn gemartert. Man ſchonet einen Freund, ja, man iſt höflich Und ſorgſam, keinen Fremden zu beleid'gen; Doch den Geliebten, der ſich einzig mir Auf ewig gab, den ſchont ich nicht und konnte Mit ſchadenfroher Kälte den betrüben. Valerio. Ich kenne dich in deiner Schildrung nicht. Elmire. Und eben da lernt' ich mich ſelbſt erſt kennen. Was war es anders, als er einſt zwei Pfirſchen Von einem ſelbſtgepfropften Bäumchen friſch Gebrochen brachte, da wir eben ſpielten. Die ſtille Freude ſeiner Augen, um Dies erſte Paar der lang erwarteten, Gepflegten Frucht gleich einer Gottheit mir zu überreichen, ſah ich nicht; ich ſah Šie damals nicht, – doch hab ich ſie geſehn; Wie fönnt ich ſonſt des Ausdrucks mich erinnern? Ich dankt ihm leicht und nahm ſie an, und gleich Bot ich fie der Geſellſchaft freundlich hin; Er trat zurück, erblaßte; feinem Herzen War es ein Todesſtoß. Nicht find'š die Pfirſchen, Die Früchte ſind es nicht. Ach, daß mein Herz So ſtolz und falt und übermütig war! Valerio. Wenn es auch ebel iſt, ſich ſeiner Fehler Erinnern, ſie erkennen und ſich ſelbſt Verbeſſern, o ſo kann es keine Tugend, Nicht lobenswürdig ſein, mit der Erinnrung Die Kraft des Herzens tief zu untergraben. Elmire. Befreie mich von allen dieſen Bildern, Vom Bilde jeder Blume, die er mir Aus ſeinem Garten brachte, von dem Blick, Mit dem er noch mich anſah, als er ſchon Beſchloſſen hatte, fich von mir zu reißen. 215 220 225 230 78. Erwin und Elmire. 235 2:10 Erwin! o ſchau, du wirſt gerodhen; Kein Gott erhöret meine Not. Mein Stolz hat ihm das Herz gebrochen; D Liebe, gib mir den Tod! So jung, ſo fittſam zum Entzücken! Die Wangen, welches friſche Blut! Und, ach! in ſeinen naſſen Blicken, Ihr Götter, welche Liebesglut! Erwin! o ſchau, du wirſt gerochen; Rein Gott erhöret meine Not. Mein Stolz hat ihm das Herz gebrochen; D Liebe, gib mir den Tod! (Noſa und Valerio bemühen ſid, während dieſes Geſanges, fie 311 tröjten, beſonders Valerio. Gegen das Ende der Urie' wird Roſa ſlid, triit an die Seite, ficht ſid) manchmal nad; den beiden unruhig und verdrießlich um.) Roľn (für ſich). Ich komme hier mir überflüſſig vor; Der Freund ſcheint auf die Freundin mehr zu wirken, 215 Als eine Freundin. Gut, ich kann ja wohl Allein durch dieſe Gänge wandeln, finde Auch einen Freund, die Zeit mir zu verkürzen. (Sie geht ab, ſich noch einigemal umſchend. Flmire und Valerio, welche mit eine ander fortſprechen, bemerken nicht, daß ſie ſidi entfernt.) Valerio. Ich laſſe dich nicht mehr und leide nicht, Daß dieſe Schmerzen einig wiederkehreni. Es fehlt der Menſch, und darum hat er Freunde. Es haben gute, weiſe Menſchen fich Dazu gebildet, daß ſie den Gefallnen Mit leichter Hand erheben, Jrrende Dem rechten Wege leitend näher bringen. Ich habe ſelbſt auch viele Schmerzenszeiten Erleben müſſen; wer erlebt ſie nicht? Die angeborne Heftigkeit und Haft, Die ich nun eher bändigend beherrſche, Ergriff mich oft und trieb mich ab vom Ziel. Da führte mich zu einein alteit, edeln Und klugen Manne mein Geſchick. Er hörte Mich liebreich an, und die verworrnen Knoten Des wild verknüpften Sinnes löft' er leicht Und bald mit wohlerfahrner, treuer Hand. 250 25.5 . .260 265 Erſter Aufzug. 2. Auftritt. 79 270 275 Ja, lebt er noch – denn lange hab' ich ihn Nicht mehr geſehn -, ſo ſoliſt du zu ihm hin; Ich führe dich, und Noſa geht mit uns. Elmire. Wo iſt ſie hin? Valerio. Ich ſehe ſie dort unten Im Schatten gehn. Elmire. Wo wohnt der teure Mann? Valerio. Nicht allzuweit von hier in dem Gebirge. Du weißt, wir gingen neulich durch den Wald Und an dem Berge weg bis zu dem Drte, Wo eine Felſenwand am Fluſſe ſtill Uns ſtehen hieß. Der kleine Steg, der ſonſt Hinüber führt, war von dem Strom vor kurzem Hinweggeriſſen; doch wir finden ihn Jeft wieder hergeſtellt. Dies iſt der Weg; Wir folgen einem Pfade durchs Gebüſch, Und auf der Wieſe kennen wir gar leicht Den Fußſteig linker Hand, und dieſer führt Uns ſtets am Fluſſe hin um Wald und Fels, Durch Buſch und Thal; man kann nicht weiter irren. Zuletzt wirſt du die Hütte meines Freundes Xuf einem Felſen fehn; es wird dir wohl Auf dieſem Wege werden, wohler noch, Wenn du dies Heiligtum erreichſt. Elmire. D, bring mich hin! Der Tag iſt lang; ich ſehne Mich nach dem ſtillen Gange, nach den Worten Des guten Greiſes, dem ich meine Schuld Und meine Not gar gern bekennen werde. Valerio. Und trügt mich nicht, was ich an ihm bemerkt, So weiß er mehr, als andre Menſchen wiſſen. Sein ungetrübtes, freies Auge ſchaut Die Ferne klar, die uns im Nebel liegt. Die Melodie des Schickſals, die um uns In tauſend Kreiſen klingend fich bewegt, 280 285 290 295 80 Erwin und Elmire. X 300 300 305 310 Vernimmt ſein Ohr, und wir erhaſchen kaum Nur abgebrochné Töne hier und da. Betrüg' ich mich nicht ſehr, ſo wird der Mann Dir mit dem Troſt zugleich auch Hilfe reichen. Elmire. D, laß uns fort! Wie oft ſind wir um nichts Bergauf, bergab geſtiegen, ſind gegangen, Nur um zu gehen! Laß uns dieſes Ziel So bald, als möglich iſt, erreichen. Roſa! Wo Iſt unſre Freundin? Valerio, Gleich! ich hole fie. Auch wünſch' ich ſehr, daß ſie ihrt einmal ſehe, Aus feinein Mund ein heilſam Wort vernehme. Sie bleibt mir ewig wert; doch fürdht' ich ſtets, Sie macht mich elend: denn die Eiferſucht Nagt ihre Bruiſt wie eine Krankheit, die . Wir nicht vermögen auszutreiben, nicht Ihr zu entfliehen. Oft, wenn ſie die Freuden, Die reinſten, mir vergällt, verzweifl' ich faſt, Und der Entſchluß, ſie zu verlaſſen, ſteigt Wie ein Geſpenſt in meinem Buſen auf. Elmire. Geſchwind, geſchivind, daß uns der weiſe Mann Zuſammen rate, Troſt und Hilfe gebe, Wenn ihm die Kraft- vom Himmel zugeteilt iſt. (Indem ſic dringend Balerios. Hände nimmt.) Ich muß, ich muß ihn ſehen, Den göttergleichen Mann. Valerio (der ihre Hände feſthält und ihre Freundlichkeit erwidert). ich will mit Freude ſehen, Wie ſchön er fröſten kann. Roſa (die ungeſehen herbeikommt und ſie vecbachtet, für ſid)). Was muß, was muß ich ſehen! Du böſer, falſcher Mann! Elmire (wie oben). Der Troſt aus ſeinem Munde Wird Nahrung meinem Schmerz. Valerio (wie oben). Er heilet deine Wunde, Beſeliget dein Herz. 315 320 325 325 Erſter Aufzug. 2. Auftritt. 330 335 3:10 Roſa (wie oben). o welche tiefe Wunde! Es bricht, es bricht mein Herz ! Elmire (wird ſie gewahr). Komin mit, Geliebte! Laß uns eilend gehen Und unſre Sonnenhüte nehmen! Du Biſt doch zufrieden, daß wir neue Wege, Geleitet von Valerio, betreten? Roſa. Ich dächte faſt, ihr gingt allein, vermiedet Der Freundin unbequeme Gegenwart. Elmire. Wie, Roſa? Mich? Valerio. : Mein Kind, bedenke doch, Mit wein du redeſt, was du mir ſo heilig Vor wenig Augenblicken noch verſprachſt. Roſa. Bedenk es ſelbſt, Verräter ! Nein, ich habe Mit dieſen meinen Augen nichts geſehn. Valerio. . Das iſt zu viel, zu viel! Du ſiehſt mich hier Mit warmem Herzen einer edeli Freundin In trüber Stunde beizuſtehn bemüht. Iſt dies Verrat? Roſa. Und fie ſcheint ſehr getröſtet. Elmire. Kann deine Leidenſchaft mich auch verkennen? . Valerio. Beleid'ge, Roſa, nicht das ſchöne Herz! Geh in dich ſelbſt und höre, was bein Freund, . Was dein Geliebter ſagt, und was dir ſchon Dein eigen Herz ſtati ineiner ſagen ſollte. Roln (weinend und ſchluchzend, indem Valerio fid um ſie Bemüht). Nein, nein, ich glaube nicht, Nein, nicht den Worten. Worte, ja Worte habt ihr genug. Goethe, Werke. VII. 34.5 350 82 Erwin und Elmire. 355 360 365 370 Liebe und lieble dorten nur, dorten! Alles erlogen, alles iſt Trug. (Sie wendet ſich von ihm ab; und da ſie ſich auf die andere Seite fchrt, komint ihr Elmire entgegeni,- ſie zu beſänftigen.) Freundin, du Falſche ! Sollteſt dich ſchänien ! Laß mich! Ich will nicht, Will nichts vernehmen. Doppelte Falſchheit, Doppelter Trug. Valerio. So iſt es denn nicht möglich, daß du dich Bemeiſtern kannſt? Doch, ach, was red' ich viel! Wenn dieſer falſche Ton in einem Herzen Nun einmal klingt und immer wieder klingt, Wo iſt der Künſtler, der es ſtimmen könnte? In dieſem Augenblick verwundeſt du . Mich viel zu tief, als daß es heilen ſollte. Wie? dieſe redliche Bemühung eines Freundes, Der Freundin beizuſtehen, die Erfüllung Der ſchönſten Pflicht, du magſt, fie mißzudeuten? Was iſt mein Leben, wenn ich andern nicht Mehr nußen ſoll ? Und welches Wirken iſt Wohl beſſer angewandt, als einen Geiſt, Der, leidenſchaftlich ſich bewegend, gern Sein eignes Haus zerſtörte, zu beſänftigen? Nein! Nein! ich folge jenen Trieb, dei mir . Schon lang den Weg zur Flucht gezeigt, ſchon lange Mich deiner Tyrannei auf ewig zu 380 Entziehen hieß. Leb wohl! Es iſt geſchehn! Zerſchlagen iſt die Urne, die ſo lang Der Liebe Freuden und der Liebe Schmerzen In ihrem Buſen willig faſte; raſch Entſtürzet das Gefühl ſich der Verwahrung : 385 Und fließt, am Boden rieſelnd und verbreitet, Zu deinen Füßen nun verſiegend hin. Höret alle mich, ihr Götter, Die ihr auf Verliebte ſchauet: Dieſes Glück, ſo ſchön gebauet, Neiß?. ich vori Verzweiflung ein. 375 390 Erſter Aufzug. 2. Auftritt. - . Ach, ich hab' in deinen Armen Mehr gelitten, als genoſſen! Nun, es ſei! Es iſt beſchloſſen! Ende, Glück, und ende, Pein! (ab.) Elmire. Hörſt du, er hat geſchworen; Ich fürcht, er macht es wahr. Roſa. Sie ſind nicht alle Thoren, Wie dein Geliebter war. Elmire. Gewiß, er muß dich haſſen; Kannſt du ſo grauſam ſein? Roſa. Und kann er mich verlaſſen, So war er niemals mein. (Es kommt ein Knabe, der ein verſiegeltes Blättchen an Moja bringt.) Elmire. Welch ein Blättchen bringt der Knabe? Knabe, ſage mir, wer gab dir's ? 405 Doch er ſchweigt und eilet fort. Roſa (Elmiren das Blatt gebend). Adh, an mich iſt's überſchrieben! Liebe Freundin, lies, o lies es Und verſchweige mir kein Wort. Elmire (licſt). „Ich flieh', ich fliehe, c : 410 ,,Dich zu vermeiden . Und mit den Schmerzen Und mit den Freuden Nicht mehr zu kämpfen. ..Siehſt mich nicht wyieder, Schon bin ich fort!" Roſa (auf das Blatt ſehend). O weh! o wehe! Was muß ich hören! Was muß ich leiden! Aus meinem Herzen. Entfliehn die Freuden; Es flieht das Leben Mit ihnen fort. . Erwin und Elmire... 425 450 435 Elmire. Komm, ermanne dich, Geliebte! Noch iſt alles nicht verloren, Nein, du wirſt ihn wiederſehn. Roſa Laß, o laß die tief Betrübte; Nein, er hat, er hat geſchworen; Ach, es iſt um mich geſchehn. . Elmire. Ich weiß ein Pläßchen Und eine Wohnung; Ich wett, er eilet, Ich wett', er fliehet Än dieſen Ort. Roſa. O, was verſprech' ich Dir für Belohnung! D eil', o eile! Er flieht, er fliehet Wohl weiter fort. : Elmire. Bin bereit, mit dir zu eilen; Dort den eignen Schmerz zu heilen, Find' ich einen heil’gen Mann. Roſa. . D Geliebte, laß uns eilen, Dieſe Schmerzen bald zu heilen, Die ich nicht ertragen kann. : Elmire. Zwei Mädchen ſuchen Mit Angſt und Sorgen, Die Vielgeliebten Zurück zu finden; Es fühlet jede, Was ſie verlor. Roſa. D, laß die Buchen Am ſtillen Morgen, D, laß die Eichen Den Weg uns zeigen! Es finde jede, Den ſie erfor. 410 445 450 455 Zweiter Aufzug. 1. Auftritt. Beide. Und zwiſchen Felſen Und zwiſchen Sträuchen, O, trag, o Liebe, Die Fadel vor! 460 Zweifer Aufzug. Waldig-buſchige Einöde, zwiſchen Felſen eine Hütte init einem Garten dabei. 1. Auftritt. Erwin. · Ihr verblühet, ſüße Roſen, Meine Liebe trug euch nicht; Blütet, ach, dem Hoffnungsloſen, Dem der Gram die Seele bricht! Jener Tage denk' ich trauernd, Als ich, Engel, an dir hing, Auf das erſte Knöfpchen lauernd, Früh zu meinem Garten ging; Alle Blüten, alle Früchte Noch zu deinen Füßen trug Und vor deinem Angeſichte Hoffnung in dem Herzen ſchlug. Ihr verblühet, ſüße Roſen, Meine Liebe trug euch nicht; Blütet, ach, dem Hoffnungsloſen, Dem der Gram Sie Seele bricht! So iſt es denn vergebens, jenes Bild Aus meiner Stirne wegzutilgen. Hell Bleibt die Geſtalt und glänzend vor mir ſtehn. Je tiefer ſich die Sonne hinter Wolken Ünd Nebel bergen mag, je trüber ſich Der Schmerz um meine Seele legt, nur heller Und heller glänzt im Innerſten dies Bild, Dies Angeſicht hervor, ich ſeh', ich ſeh's! - Sie wandelt vor mir hin und blidt nicht her. 10 25 25 86 Erwin und Elmire. 30 85 35 D, melch ein Wuchs! 0, welch ein ſtiller Gang! Sie tritt ſo gut und ſo beſcheiden auf, Als ſorgte ſie zu zeigen: „Šeht, ich bin's." Und doch geht ſie ſo leis und leicht dahin, Als müßte ſie von ihrer eignen Schönheit So wenig als der Stern, der uns erquict. Aber bald wächſt das Gefühl in meinem Buſen; Dieſe ſtille Betrachtung, heftiger, heftiger Wendet ſie Schmerzen tief in der Bruſt. Inmiderſtehlich faßt mich das Verlangen zu ihr! zu ihr! und dieſe Gegenwart Des ſchönen Bilds vor meiner Seele flieht Nur mehr und mehr, je mehr ich nach ihm greife. (Gegen Hütte und Garten gekehrt.) O teurer Mann, den ich in dieſer Dede So ſtill und glücklich fand, der manche Stunde Mix Frieden in das Herz geſprochen, der zu früh nach jenen ſeligen Gefilden . Hinüber wandelte! Von deinem Grabe; Das ich mit Blumen kränzte, ſprich zu mir; Und kannſt du mich nicht retten, zieh mich nach! Welch ein Liſpeln, welch ein Schauer Weht vom Grabe des Geliebten! Ja, es wehet dem Betrübten Sanften Frieden in das Herz. (Gegen die andre Seite gekehrt.) Schweige, zarte, liebe Stimme! Mit den ſanften Zaubertönen Locft du mich, vermehrſt das Sehnen, Marterſt mit vergebnem Schmerz. (Wie oben.) Welch ein Liſpeln, welch ein Schauer Weht vom Grabe des Geliebten! Ja, es mehet dem Betrübten Šanften Frieden in das Herz. Wer kommt am Fluſſe her und ſteigt behende Den Fels herauf? Erkenn' ich dieſen Mann, So iſt's Valerio. Welch ein Geſchick Führt ihn auf dieſe Spur? Ich eile, ſchnell Mich zu verbergen. – Was beſchließ? ich? Was Iſt hier zu thun? – Geſchwind in deine Hütte! Dort kannſt du horchen, überlegen dort, 45 Zweiter Aufzug. 2. u. 3. Auftritt. 2. Auftritt. Valerio (eine blonde Haarlode in der Hand tragend). Nein, es iſt nicht genug, die Welt zu fliehn! Die ſchönen Locken hab ich gleich entſchloſſen Vom Haupte mir geſchnitten, und es iſt An keine Wiederkehr zu denken. Hier Weih' ich der Einſamkeit den ganzen Neſt Von meinem Leben. Felſen und Gebüſch, Du hoher Wald, du Waſſerfall im Thal, Vernehmet mein Gelübde, nehmt es an! Hier! Es iſt mein feſter Wille, Euch, ihr Nymphen dieſer Stille, Weih' ich dieſes ſchöne Haar! Alle Locken, alle Haare, Zierden meiner jungen Jahre, Bring' ich euch zum Opfer dar. (Er legt die Lode auf den Felſen.) 1 1 3. Auftritt. Balerio. Erwin. Valerio (ohne Erwin zu ſehen). Mein Herz iſt nun von aller Welt entfernt; Ich darf mich wohl dem heil'gen Mannie zeigen. 80 Erwii (in der Thür der Hütte). Vergebens will ich fliehn; ſie zieht mich an, Die Stimme, die mich ſonſt ſo oft getröſtet. Valerio. Er kommt! D Heiliger, vergib, bu ſiehſt – (Er erſtaunt und tritt zurück.) Erwin. Vergib, mein Freund, du ſiehſt nur ſeinen Schüler. Valerio. fft's möglich? Welche Stimme! welches Bild! 85 Erwin. Hat ihn der Gram nicht ganz und gar entſtellt? Balerio. Er iſt's! er iftºs! mein Freund! Erwin, mein Freund ! 88 : Erwin und Elmire. SO 100 Erwin. Der Schatten deines Freundes ruft dich an. Valerio: D, komm an meine Bruſt und laß mich endlich Des füßten Traumes noch mich wachend freuen. Erwin. Du bringſt mir eine Freude, die ich nie Mehr hoffen konnte, ja, nicht hoffen wollte. Mein freuer, beſter Freund, ich ſchließe dich Mit Luſt an meinen Buſen, fühle jetzt, Daß ich noch lebe. Srrend ſchlich Erwin, Verbannten Schatten gleich, um dieſe Felſen: Allein er lebt!'er lebt! - D teurer Diann, Ich lebe nur, um wieder neu zu bangen. Valerio. D, ſage mir! O, ſage viel und ſprich: Wo iſt der Mann, der Edle, der dies Haus. So lang bewohnte? Erwin. Dieſe kleine Hütte, Sein Körper und ſein Kleið ſind hier geblieben; Er iſt gegangen! – Dorthin, wohin ich ihm Zu folgen noch nicht wert war. Siehſt du, hier, Bedeckt mit Roſen, blüht bes Frommen Grab. Valerio. Ich wein' ihm keine Thräne; denn die Freude, Dich hier zu finden, hat mir das Gefühl. Von Schmerz und Tod aus meiner Bruſt gehoben. Erwin. Ich ſelbſt erfenne mich für ſchuldig; oft · Weint ich an ſeinem Grabe Thränen, die Dem ebein Mann nicht galten. Freund, o Freund! Valerio. · Was hab' ich dir zu ſagen! . Erwin. Rede nicht! - Warum biſt du gekommen? ſag' mir an! Valerio. Die Eiferſucht der Liebſten trieb mich fort. Es fonnte dieſe Qual mein treues Herz Nicht länger tragen. 105 110 115 115 . Zweiter Aufzug. 3. Auftritt. 120 125 125 130 130 Erwin. So verſcheuchte dich Ein allzugroßes Glück von ihrer Seite. Ach wehe! weh! - Wie bringt die Gegenwart Des alten Freundes, dieſe liebe Stimme, Der Blick, der tröſtend mir entgegenkam, Wenn ſich mein Herz verzweifelnd ſpalten wollte, Wie bringſt du, teurer Mann, mir eine Welt Von Bildern, von Gefühlen in die Wüſte! – Wo biſt du hin auf einmal, ſüßer Friede, Der dieſes Haus und dieſes Grab umſchwebte? Auf einmal faßt mich die Erinnrung an, Gewaltig an; ich widerſtehe nicht .. Dem Schmerz, der mich ergreift und mich zerreißt. Valerio. Geliebter Freund, verninim in wenig Worten Mehr Troſt und Glück, als du dir hoffen darfſt. Erwin. Die Hoffnung hat mich lang genug getäuſcht; Wenn du mich liebſt, ſo ſchweig und laß mich los. Rede nicht! Ich darf nicht fragen. Schweig, o ſchweig! Ich will nichts wiſſen. Ach, was weró' ich hören müſſen! Ja, fie lebt, und nicht für mich! Doch, was haſt du mir zu ſagen? Sprich! ich will, ich will es hören. Soll ich ewig mich verzehren? Schlage zu und töte mich! Valerio (oer zuletzt, anſtatt Erivinen zuzuhören und auf ſeine Leidenſdjaft zu merken, init Staunen nad der Seite hingeſehen, wo er Hereingekoinmen). Ich ſchweige, wenn du mich nicht hören willſt. Erwin. Wo blickſt du hin? Was ſiehſt du in dem Thale? Valerio. Zwei Mädchen ſeh' ich, die den ſteilen Pfad Mit Mühe klimmen. Ich betrachte ſchon Sie mit Erſtaunen eine Weile. Sanft Negt ſich der Wunſch im Buſen: „Möchte doch Auf dieſen Pfaden die Geliebte wandeln!“ 135 14.0 145 90 Erwin und Elmire. petites e modo Dein gehöre zifert 150 155 155 160 Mein unbefeſtigt Herz wird mehr und mehr Durch deine Gegenwart, o Freund, erſchüttert. Ich finde dich ſtatt jenes edeln Weiſen; Ich weiß die Freude, die noch deiner wartet; Ich fühle, daß ich noch der Welt gehöre; Entfliehen konnt' ich, ihr mich nicht entreißen. Erwin (nach der Seite ſehend). Sie kommen grad herauf, fie ſind gekleidet Wie Mädchen aus der Stadt; und wie verloren Sie ſich in das Gebirg? Es folgt von weitem Ein Diener nach; ſie ſcheinen nicht verirrt. Herein! Herein! mein Freund, ich laſſe mich Vor keinem Menſchen ſehn, der aus der Stadt zu kommen ſcheint. Valerio. Sie irren doch vielleicht; Es wäre hart, ſie nicht zurecht zu weiſen. D Himmel, trügt mein Äuge? – Retter Amor! Wie machſt du es mit deinen Dienern gut! Sie ſind es! - Erwin. Wer? Valerio. Sie ſind es! Freue dich! Das Ende deines Leidens iſt gekommen. Erwiit. Du täuſcheſt mich. Valerio. Die allerliebſten Mädchen, Roſette mit — Elmiren! Erwin. Welch ein Traum! Valerio. Sieh hin! Erkennſt du ſie ? Erwin. Ich ſeh' und ſehe Mit offnen Augen nichts; ſo blendet mich Ein neues Glück, das mit den Sinn verwirrt. Valerio. Elmire ſteht an einem Felſen ſtill. Sie lehnt ſich an und ſieht hinab ins Thal; 165 170 • Zweiter Aufzug. 4. Auftritt. 175 Ihr tiefer Blick durchwandelt Wieſ? und Wald; Sie denkt; gewiß, Erwin, gedenkt fie dein. Erwin! Erwin!" Erwiit (aus tiefen Gedanken). D, wecke mich nicht auf! Valerio. Roſette ſchreitet heftiger voraus. Geſchwind, Erwin, verberge dich! Ich bleibe, Erſchrecke ſie mit dieſein kurzen Haar, Mit Ernſt und Schweigen. Mag der kleine Gott Uns alle dann mit ſchöner Freude fränzen ! 180 180 185 - 190 4. Uuftritt. Valerio (an der Seite auf einem Felſen ſikend). Nosa. Roſa. Hier iſt der Plak! – Himmel, welch ein Glück! Balerio! Er iſt’š! So hat mein Herz, Elmire hat mich nicht betrogen. ša! Ich find' ihn wieder. – Freund, mein teurer Freund, Was machſt du hier? Was hab' ich zu erwarten? Du höreft meine Stimme, wendeſt nicht . Dein Angeſicht nach deiner Liebſten um? Doch ja, du ſiehſt mich an, du blickft nach mir; konim herab, 0 komm in meinen Arm! Du ſchweigſt und bleibſt? D Himmel, feh' ich recht! Dein ſchönes Haar haft du vom Haupt geſchnitten; O, was vermut ich, was errat' ich nun! Kannſt du nicht beſänftigt werden? Bleibſt Du ſtill und einfant hier? Ach, was ſagen die Gebärden, Ach, was ſagt dein Schweigen mir? Haſt du dich mit ihm verbunden, Iſt dir nicht ein Wort erlaubt; Ach, ſo iſt mein Glück verſchwunden; fft auf ewig mir geraubt. Valerio. Du jammerſt mich, und doch vermag ich nicht, Vetrübtes Kind, dir nun zu helfen. Nur 195 200 92 Erwin und Elmire. 205 205 Zum Troſte ſag' ich dir: Noch iſt nicht alles, Was du zu fürchten ſcheinſt, gethan; noch bleibt Die Hoffnung mir und dir. Allein ich muß In dieſem Augenblick den Druck der Hand und jeden liebevollen Gruß verſagen. Entferne dich dorthin und ſebe dich Auf jenen Felſen; bleibe ſtill und nähre Den feſten Vorſaß, dich und den Geliebten Nicht mehr zu quälen, dort, bis wir dich rufen. Roſa. Ich folge deinen Winken, drücke nicht Die Freude lebhaft aus, daß du mir wieder Gegeben biſt. Dein freundlich-ernſtes Wort, Dein Blick gebietet mir; ich geh' und hoffe. 210 215 220 5. Xuftritt. Valerio. Erwin. Valerio. Erwin! Erwin! Erwin. Mein Freund, was haſt du mir Für Schmerzen zubereitet! Sage mir, Was ſoll ich denken? Denn von ungefähr Sind dieſe Frauen nicht hieher gekommen. Grauſamer Freund, du haſt die ſtille Wohnung Doch endlich ausgeſpäht und kommſt, mit Liſt Mit glatten Worten, mit Verſtellung mich Erſt einzuwiegen; führeſt dann ein Bild Vor meinen Äugen auf, das jeden Schmerz Aufs neue regt, das weder Troſt noch Hilfe Mit bringen kann und mir Verzweiflung bringt. · Valerio. Nur ſtille, lieber Mann! Ich ſage dir Bis auf das Kleinſte, wie es zugegangen. Nur jetzt ein Wort! - Sie liebt dich -- Erwin. Nein, ach nein! Laß mich nicht hoffen, daß ich nicht verzweifle. 225 ° 230 Zweiter Aufzug. 5. Auftritt. 93 235 Valerio.. Du ſollſt ſie ſehen. Erwin. Nein, ich fliehe fie. Valerio. Du ſollſt fie ſprechen! Erwin. Ich verſtumme fchon. Valerio. Fhr vielgeliebtes Bild wird vor dir ſtehn. Erwin. Sie nähert ſich. Ihr Götter, ich verſinke! Valerio. Vernimm ein Wort. Sie hofft, den weiſen Alten Hier oben zu beſuchen. Haſt du nicht i Ein Kleid von ihm? Erwin. Ein neues Kleid iſt da; Man ſchenkt es ihm zuleßt, allein er wollte In ſeinem alten Rock begraben ſein., Valerio. Verkleide dich. Erwin. Wozu die Mummerei? Was er verließ, bleibt mir verehrungswert. Valerio. Es iſt kein Scherz; du ſolift nur Augenblicke Verborgen vor ihr ſtehn, fie ſehn, fie hören, Ihr innres Herz erkennen, wie ſie liebt, Und wen. Erwin. Was ſoll ich thun? Valerio. Geſchwind, geſchwind! Erwin. Doch mein Geſicht, mein glattes Kinn wird bald Den Trug entdecken; ſoll ich dann beſchämt, Verloren vor ihr ſtehn? Valerio. Zum guten Glück Hat meine Leidenſchaft des holden Schmuckes 240 240 2015 94 Erwin und Elmire. 250 Der Jugend mich beraubt. Das blonde Haar, (er nimmt das Haar vom Feljen) Ans Kinn gepaßt, macht dich zum weiſen Mann. Erwini. Noch immer wechſelſt du mit Ernſt und Scherz. Valerio. Vergnügter hab ich nie den Sinn geändert. Sie komint! geſchwind! Erwin. Ich folge; ſei es nun Zum Leben oder Tod; es iſt gewagt. (Sie gehen in die Hütte.) 255 200 263 6. Auftritt. Elmire (allein). Mit vollen Atemzügen Saug' ich, Natur, aus dir Ein ſchmerzliches Vergnügen. Wie lebt, Wie bebt, Wie ſtrebt Das Herz in mir! Freundlich begleiten Mich Lüftlein gelinde. Flohene Freuden, Ach, fäuſeln im Winde, Faſien die bebende, Štrebende Bruſt. Himmliſche Zeiten! Ách, wie ſo geſchminde Dämmert und blicet Und ſchwindet die Luft! Du Lachft mir, angenehmes Thar, Und du, o reine Himmelsſonne, Erfüllft ſeit langer Zeit zum erſtenmal Mein Herz mit ſüßer Frühlingswonne. Weh mir! Ach, ſonſt war ineine Seele rein, Genoß fo friedlich deinen Segen; Verbirg dich, Sonne, meiner Pein! Verivilbre dich, Natur, und ſtürme mir entgegen! 270 275 280 Zweiter Aufzug. 6. u. 7. Auftritt. 285 Die Winde ſauſen, Die Ströme brauſen, Die Blätter raſcheln Dürr ab ins Thal. Auf ſteiler Höhe, Am nadten Felſen Lieg? ich und flehe; Auf öden Wegen, Durch Sturm und Regen Führ' ich und flieh' ich Und ſuche die Qual. Wie glücklich, daß in meinem Herzen Sid wieder neue Hoffnung regt! O wende, Liebe, dieſe Schmerzen, Die meine Seele kaum erträgt. 290 295 7. Uuftritt. Elmirc. Valerio. Valerio. Welch eine Klage tönet um das Haus ? Elmire. Welch ein Stimme tönet mir entgegen? Valerio. Es iſt ein Freund, der hier ſich wiederfindet. Elmire. So hat mich die Vermutung nicht betrogen. Valerio. Ach, meine Freundin, heute gab ich dir Den beſten Troſt, belebte deine Hoffnung In einem Augenblicke, da ich nicht Bedachte, daß ich ſelbſt des Troſtes bald Auf immer mangeln würde. Elmire. Wie, mein Freund? Valerio. Die Haare ſind vom Scheitel abgeſchnitten, fch von der Welt. 300 305 Erwin und Elmire. 310 : Elmire. -D, ferne ſei uns das!. Valerio. Ich darf nur wenig reden, nur das Wenige, Was nötig iſt. Du wirſt den Ebeln ſehen, Der hier nun glücklicher als ehmals wohnt. Er faß in ſeiner Hütte ſtill und fah Die Ankunft zwei bedrängter Herzen ſchon In ſeinem ſtillen Sinn voraus. Er kommt. Sogleich will ich ihn rufen. Elmire. Tauſend Dank! O, ruf ihn her, wenn ich mich zu der Hütte Nicht wagen darf. Mein Herz iſt offen; nun Will ich ihm meine Not und meine Schuld Mit hoffnungsvoller Reue gern geſtehn. ' 315 915 320 8. Auftritt. Elmire. Erwin (in langein Neide mit weißem Barte, tritt aus der Hütte). Elmire (kniet). Sieh mich, Heil’ger, wie ich bin, Eine arme Sünderin. (Er hebt ſie auf und verbirgt die Bewegungen ſeines Herzens.) Angſt und Kummer, Reu' und Schmerz 320 Quälen dieſes arme Herz. Sieh mich vor dir unverſtellt, Herr, die Schuldigſte der Welt. Ach, es war ein junges Blut, War fo lieb, er war ſo gut! Ach, ſo redlich liebt er mich! Ach, ſo heimlich quält er ſich! Sieh mich, Heilger, wie ich hin, Eine arme Sünderin. Ich vernahm ſein ſtummes Flehn, Und ich konnt ihn zehren ſehn, Hielte mein Gefühl zurück, Gönnt ihm keinen holden Blick. Sieh mich vor dir unverſtellt, Herr, die Schuldigſte der Welt. Zweiter Aufzug. 8. Auftritt. . 97 Ach, ſo drängt und quält ich ihn ; und nuit iſt der Arme hin, Schwebt in Summer, Mangel, Not, Iſt verloren, er iſt tot. Sieh mich, Heil’ger, wie ich bin, 340 Eine arme Sünderin. (Erivin zicht cine Schreibtafel Heraus und dreibt mit zitternder Hand einige Worte, ichlägt dic Tafel zu und gibt fie Elmiren. Eilig will ſie die Blätter aufmadjen; er Vält ſie ab und madyt ihr cin Zeichen, fid) zu entfernen. Dicie Pantomime wird von Muſik begleitet, wie alles das Folgende.) is tinai mit a குமார் Sint, 345 Ja, würd’ger Mann, ich ehre deinen Wink, - Ich überlaſſe dich der Einſamkeit, ich ſtöre nicht dein Heiliges Gefühl Durch meine Gegenwart. Wann darf ich, wann Die Blätter öffnen? wann die heil'gen Züge Mit Andacht ſchauen, küſſen, in mich trinken? (Er deutet in die Ferne.) An jener Linde? Wohl! So bleibe dir Der Friede ſtets, wie du ihn mir bereiteft. Leb wohl! Mein Herz bleibt hier mit ew'gem Danke. 350 (ab.) : Erwin (fechaut ihr mit ausgeſtreckten Armen nad), dann reißt er den Mantel und die Maske ab). Sie liebt mich! Sie liebt mich! Welch ſchreckliches Beben! Führ ich mich ſelber? Bin ich am Leben? Sie liebt mich ! Sie liebt mich! Ach! rings ſo anders ! Biſt Du's noch, Sonne ? Biſt du's noch, Hütte? Trage die Wonne, Seliges Herz! Sie liebt mich! Sie liebt midi ! 355 360 Goethe, Werke. VII, Erwin und Elmire. 11 365 370 375 9. Auftritt. Erwin. Valerio. Nachher Elinire. Nadyher Noſa. Valerio. Sie liebt dich! Sie liebt sich! 365 Siehſt du, die Seele Haſt du betrübet, Die sich nur immer, Immer geliebet! Erwiir. Ich bin ſo freudig, Fühle mein Leben! Ach, ſie vergibt mir, Sie hat vergeben! Valerio. Nein, ihre Thränen Thuft ihr nicht gut. Erwin. Sie zu verſöhnen, Fließe mein Blut! Šie liebt mich! Valerio: Sie liebt dich! Wo iſt ſie hin? Erwin. Ich ſchickte fie hinab 380 Nach jener Linde, daß mir nicht Sas Herz Vor Füll' und Freude brechen ſollte. Nun Hat ſie auf einem Täfelchen, das ich Fhr in die Hände gab, das Wort geleſen: „Ér iſt nicht weit !** 385 Valerio. Sie kommt! Geſchwind! ſie koniunt. Nur einen Augenblick in dies Geſträuch! (Sie verſteđen fich.) Elmire. Er iſt nicht weit! Wo find' ich ihn wieder ? Erft iſt nicht weit! Mir beben die Glieder. Hoffnung! 0 Glück! 390 Sweiter Aufzug. 9. Auftritt. 395 Wo geh' ich, wo ſuch ich, Wo find ich ihn wieder? Shr Götter, erhört mnich, O, gebt ihn zurü&! Erwin! Grwin! Erwin (Hervortretend). Elinire! Elmire. Weh mir! Erwin (zu ihren Füßen). Ich bin's.. Elmire (an ſeinem Halſe). Du biſt's! Valerio (hereintretend). D, ſchauet hernieder! Ihr Götter, dies Glück! 400 Da haſt du ihn wieder ! Da nimm ſie zurück! (ab.) Erwint. Ich habe dich wieder ! Hier bin ich zurück. och finke darnieder, Mich tötet das Glück. Elmire. Ich habe dich wieder! Mir trübt ſich der Blid, D, ſchauet hernieder Und gönnt mir das Glück! Roſa (wvelde ſchon, während Elmirenz voriger Strophe, mit Balerio hereingetreten 1111d ihre Freude, Verivunderung und Verſöhnung mit dem Gclicbten pantomimijd aus: gedriidt). Da hab ich ihn wieder ! Du haſt ihn zurück! D, ſchauet hernieder, Ihr Götter, dies Glück! Valerio. Eilet, gute Kinder, eilet, Euch auf ewig zu verbinden. Dieſer Erde Glück zu finden, Suchet ihr umſonſt allein. 405 410 415 100 Erwin und Elmire. 420 425 Alle. Laßt uns eilen, eilen, eilen, Uns auf ewig zu verbinden! Dieſer Erde Glück zu finden, Müſlet ihr zu Paaren ſein. Erwin. Es verhindert mich die Liebe, Mich zu kennen, mich zu faſſen. Dhne Thräne fann ich laſſen Dieſe Hütte, dieſes Grab. Elmire. Roſn. Valerio. Oft, durch unſer ganzes Leben, Bringen wir der ſtillen Hütte Neuen Dank und neue Bitte, Daß uns bleibe, was ſie gab. Alle. Laßt uns eilen, eilen, eilen! Dank auf Dank ſei unſer Leben! Viel hat uns das Glück gegebent ; Es erhalte, was es gab! 430 Dery und Bätely. Ein Singſpiel. Bergige Gegend, im Grund eine Hütte am Felſen, von dem ein Waſſer herabſtürzt; an der Seite geht eine Wieſe abhängig hinunter, deren Ende von Bäumen verdedit iſt. Vorne an der Seite ein ſteinerner Tiſch mit Bänken. Vätelty mit zwei Eimern Mild), die ſie an einein Jodhe trägt, kommt von der Wieſe. Singe, Vogel, finge! Blühe, Bäumchen, blühe! Wir ſind guter Dinge, Sparen keine Mühe Spat und früh. Die Leinwand iſt begoſſen, die Kühe find gemolken, ich habe gefrühſtückt, die Sonne iſt über den Berg herauf, und noch liegt der Vater im Bette. Ich muß ihn wecken, daß ich jemand habe, mit dem ich fchwabe. Ich mag nicht müßig, ich mag nicht allein ſein. (Sie nimmt Rotten und Spinder.) Wenn er mich hört, pflegt er aufzuſtehn. Bater tritt auf. - Vater. Guten Morgen, Bätely. Bäteliz. Vater, guten Morgen! Vater. Ich hätte gern noch länger geſchlafen, und du wecft mich mit einem luſtigen Liedchen, daß ich nicht zanken darf. Du biſt artig und unartig zugleich. Bäteli. Nicht wahr, Vater, wie immer ? Vater. Du hätteſt mir die Ruhe gönnen ſollen! Weißt du doch nicht, wann ich heut nacht zu Bette gegangen bin. . Bätely. Shr hattet gute Geſelschaft. Vater. Das war auch nicht artig, daß du ſo früh hinein- ſchlupfteſt und thatſt, als wenn dir der ſchöne Mondſchein die Augen zudrückte. Der arme Fery war doch um deinet- willen da; er ſaß bis nach Mitternacht bei mir auf der Bank, er hat mich recht gedauert. 102 fery und Bätely. Bätely. Jhr ſeid gleich ſo mitleidig, wenn er klagt und druckſt und immer ebendasſelbe wiederholt, hernach eine Viertel- ſtunde ſtill iſt, thut, als wenn er aufbrechen wollte, und doch am Ende bleibt und wieder von vornen anfängt. Mir iſt's ganz anders dabei, mir macht's Langeweile. Vnter. Ich wollte doch ſelbſt, daß du dich zu etwas entſchlöſſeſt. Bätely. Wollt Ihr mich ſo gerne los ſein? Vater. Nicht das; ich zöge mit; wir hätten's beide beſſer und bequemer. Bätelıy. "Wer weiß? Ein Mann iſt nicht immer bequem. Vater. Beſſer iſt beſſer. Wir verpachteten das Gütchen hier oben und richteten uns unten ein. Bätely. Sind wir's doch einmal ſo gewohnt! Unſer Haus hält Wind, Schnee und Kegen ab, unſre Alpe gibt uns, was wir brauchen, wir haben zu eſſen und zu trinken das ganze Jahr, verkaufen auch noch ſo viel, daß wir uns ein hübſches Kleid auf den Leib fchaffen können, find hier oben allein und geben niemand ein gutes Wort! Und was wär' Euch unten im Flecken ein größer Haus, die Stube beſſer getäfelt, mehr Vieh und mehr Leute dabei? Es gibt nur mehr zu thun und zu ſorgen, und man kann doch nicht mehr eſſen, trinken und ſchlafen, als vorher. Euch wollt ich's freilich bequemer wünſchen. Vnter. Und mir wollt ich wünſchen, daß ich nicht mehr um dich zu ſorgen hätte. Freilich werde ich alt und ſpüre denn doch, daß ich abnehme. Der rechte Arm wird inir immer ſteifer, und ich fühle das Wetter mehr in der Schulter, da wo mir die Kugel Den Knochen traf. Und dann, mein Kind, wenn ich einmal abgehe, kannſt du allein gar nicht beſtehen; du mußt heiraten und weißt nicht, welchen Mann du kriegſt. Jetzt iſt's ein guter Menſch, der dir ſeine Hand anbietet. Das werf ich immer im Kopf herum und ſorge und denke für dich. Jeden Morgen, Neue Sorgen, Sorgen für dein junges Blut. Bäteli. Alle Sorgen Nur auf morgen! Sorgen ſind für morgen gut. Was hat denn Jery geſagt? Jery und Bätely. 103 Vater. Was hilft's? Du gibſt doch nichts brauf. Bätelij. Ich möchte hören, ob was Neues drunter war. Vater. Neues nichts; er hat auch nichts Neues zu fagen, bis du ihn das Alte vom Herzen nimmſt. Säteli. Es iſt mir leið um ihn. Er fönnte recht ver- gnügt ſein: er iſt allein, hat vom Vater ſchöne Güter, iſt jung und friſd); nun will er mit Gewalt eine Frau bazu · Gaben, und juſt mich. Er fände zehen für eine im Drt. Was kommt er zu uns herauf? Warum will er juſt mich? Vater. Weil er dich lieb hat. Bätely. Ich weiß nicht, was er will; er kann nichts, als mich plagen. Vater. Mir wär' er gar nicht zuwider. Bätelij. Mir iſt er's auch nicht. Er iſt hübſch, wacker, brav. Neulich auf dem Jahrmarkte warf er den Fremden, der ſich mit Schwingen groß machte, rechtſchaffen an den Boden. Er gefällt mir ſonſt ganz wohl. Wenn ſie nur nicht gleich heiraten wollten und, wenn man einmal freundlich mit ihnen iſt, einen hernach den ganzen Tag auflägen. Vater. Es iſt erſt ſeit einem Monat, daß er ſo oft kommt. Bäteli. Es wird nicht lange währen, ſo iſt er wieder da; denn ganz früh ſah ich ihn auf die Matte ſchleichen, die er oben im Walde hat. Sein Tage hat er nicht ſo oft nach den Sennen geſehen, als neuerdings; ich wollt, er ließ mich in Nuh. Die Leinwand iſt schon faſt wieder trocken. Wie hoch die Sonne ſchon ſteht! Und Guer Frühſtück? Vnter. Ich will es ſchon finden. Sorge nur zur rechten Zeit fürs Mittageſſen! Bätely. Daran iſt mir mehr gelegen, wie Euch. (Vater ab.) Bätelig. Wahrhaftig, da kommt er! Hab' ich's doch ge- ſagt. Die Liebhaber ſind ſo pünktlich, wie die Sonne. Ich muß nur ein luſtig Lied anfangen, daß er nicht gleich in ſeine alte Leier einlenfen kann. (Sie maďt ſich was zu fdjaffen und ſingt.) Es rauſchet das Waſſer und bleibet nicht ſtehn; Gar luftig die Sterne Am Himmel hin gehn; 104 Jery und Bätely. Gar luſtig die Wolken Am Himmel hin ziehn: So rauſchet die Liebe Und fähret dahin. Jery (der ſich ihr indeſjen genähert). Es rauſchen die Waſſer, Die Wolken vergehn; Doch bleiben die Sterne, Sie wandeln und ſtehn. So auch mit der Liebe, Der treuen, geſchicht: Sie wegt ſich, fie regt ſich Und ändert ſich nicht. Bätely. Was bringt Ihr Neues, Jery? Jery. Das Alte, Bätely! Bätelij. Hier oben haben wir Altes genug! Wenn Ihr uns nichts Neues bringen wollt! Wo kommt Fhr ſo früh her? Very. Ich habe oben auf der Alpe nachgeſehen, wie viele Käſe vorrätig ſind; unten am See hält ein Kaufmann, der ihrer ſucht. Ich denke; wir werden einig. Bätelin. Da kriegt Fhr wieder viel Geld in die Hände. Jery. Mehr, als ich brauche. Bätely. Ich gönn es Euch. Jery. Ich gönnt Euch die Hälfte, gönnt Euch das Ganze. Wie ſchön wär's, wenn ich einen Handel gemacht hätte und käme nach Hauſe und würfe dir die Doublen in den Schoß. Zähl es nach, fagť ich dann, heb es auf! Wenn ich nun nach Hauſe komme, muß ich mein Geld in den Schrank ſtellen und weiß nicht, für wen.' Bäteli. Wie lang iſt's noch auf Oſtern? Jery. Nicht lange mehr, wenn Ihr mir bis dahin Hoff- nung macht. Bätely. Behüte Gott! ich meinte nur. Pery. Du wirſt an vielem Uebel ſchuld ſein. Schon oft haſt du mir den Kopf ſo toll gemacht, daß ich dir zum Trutz eine andre nehmen wollte. Und wenn ich ſie nun hätte und wäre ſie gleich müde und fähe inner und immer, das iſt nicht Bätely? ich wär' auf immer elend. Bäteli. Du mußt eine Schöne nehmen, die reich iſt und gut; ſo eine wird man nimmer ſatt. Jery und Bätely. 105 Jery. Ich habe dich verlangt, und keine Reichere noch Veſſere. Ich verſchone dich mit Klagen; Doch das eine muß ich ſagen, Immer ſagen: Dir allein Iſt und wird inein Leben ſein. Willſt du mich nicht wieder lieben? Willſt Du ervig mich betrüben? Mir im Herzeit biſt du meint; Ewig, ewig bleib' ich dein. Bätely. Du kannſt recht hübſche Lieder, Jery, und fingſt fie recht gut. Nicht wahr, du lehrſt-mich ein halb Dutzend? Ich bin meine alten ſatt. Leb wohl! Ich habe noch viel zu · thun dieſen Morgen; der Vater Luft. (ab.) Jeri. · Gehe! Verſchmähe Die Treue! Die Neue Kommt nach! Ich gehe von hinnen, Du wirſt mich vertreiben, Un Luft zu gewinnen; Hier kann ich nicht bleiben. Verſchinähe Die Treue! Die Neue Kommt nach! Thomas tritt auf. Thomas. Jery ! Jery. Wer? Thomas. Guten Tag! Jerij. Wer ſeid Ihr? Thomas. Kennſt du mich nicht mehr? Jery. Thomas, biſt du's? Thomas. Hab ich mnich ſo geändert? Tery. ja wohl, bu haſt dich geſtreckt; du ſiehſt vor- nehmer aus. Thomas. Das macht das Soldatenleben; ein Soldat 106 Jery und Bätely. fieht immer vornehmer aus als ein Bauer; das macht, er iſt mehr geplagt. Teri. Du biſt auf Urlaub? Thomas. Nein! ich habe ineinen Abſchied. Wie die Kapitulation um war, adieil, Herr Hauptmann! macht' ich und ging nach Hauſe. Dery. Was iſt das aber für ein Rock? Warum trägſt du den Treſſenhut und den Säbel? Du ſiehſt ja noch ganz ſoldatenmäßig aus. Thomas. Das heißen ſie in Frankreich eine Uniforme de goût, wenn einer auf ſeine eigne Hand was Buntes trägt. Jery. Gefiel dir’s nicht? Thomas. Gar wohl, gar gut, nur nicht lange. Ich nähme nicht funfzig Doublen, daß ich nicht Soldat geweſen wäre. Man iſt ein ganz andrer Kerl; mait wird friſcher, Luſtiger, gewandter, fann ſich in alles ſchicken und weiß, wie es in der Welt ausſieht. Jery. Wie kommſt du hierher? Wo ſchwärmſt du herum? Thomas. Zu Hauſe bei meiner" Mutter wollte mir’s nicht gleich gefallen; da hab' ich ein vierzig rechte Appenzeller Ochſen zuſammengekauft und auf Kredit genommen, alle ſchwarz und ſchwarzbraun wie die Nacht; die treib' ich nach Mailand, das iſt ein guter Handel; man verdient etwas und iſt luſtig auf dem Wege. Da hab ich meine Geige bei mir, mit der mach' ich Kranke geſund und das Regenwetter fröhlich. Nun, wie iſt Senn dir, alter Tell? Du ſiehſt nicht friſch brein. Was haſt du? Dery. Ich wäre lang auch gern einmal fort, hätte , auch gernt einmal ſo einen Handel verſucht. Geld hab ich ohnedies immer liegen, und zu Hauſe gefällt mir’s gar nicht mehr. Thomas. Hm! Hm! Du ſiehſt nicht aus wie ein Kauf- mann; der muß klare Augen im Kopfe haben! Du ſiehſt trübe und verdroſſen. Very. Ach, Thomas! Thomas. Seufze nicht! Das iſt mir zuwider. Jery. Ich bin verliebt! Thomas. Weiter nichts? D, das bin ich immer, wo ich in ein Quartier komme und die Mädchen ſind nur nicht gar abſcheulich. Jery und Bätely. 107 müßten untereit, meint ismen Troete Dein Zu Ein Mädchen und ein Gläschen Wein, Kurieren alle Not; Und wer nicht trinkt und wer nicht füßt, Der iſt ſo gut wie tot. Dery. Ich ſehe, du biſt geworden wie die andern; es iſt nicht genug, daß ihr luſtig feid, ihr müßt auch gleich liederlich werden. Thomas. Das verſtehſt du nicht, Gevatter! Dein Zu- ſtand iſt ſo gefährlich nicht. Ihr armen Tröpfe, wenn es euch das erſte Mal anivandelt, meint ihr gleich, Sonne, Mond und Sterne müßten untergehn. Es war ein fauler Schäfer, Ein rechter Siebenſchläfer, Ihn fünimerte fein Schaf; . Ein Mädchen konnt ihn faſſen, Da war der Tropf verlaſſen, Fort Appetit und Schlaf! Es trieb ihn in die Ferne, Des Nachts zählt er die Sterne, Er klagt unð härmt fich brav. Nun, da ſie ihn genommen, · Iſt alles wiederkommen, Durſt, Appetit und Schlaf. Nun ſage, willſt du heiraten? Jeri. Ich freie um ein allerliebſtes Mädchen. Thomas. Wann iſt die Hochzeit? . Jeris. So weit ſind wir noch nicht. Thomas. Wie ſo ? Jery. Sie will' mich nicht. Thomas. Sie iſt nicht geſcheit. Jerij. Ich bin mein eigner Herr, hab' ein hübſches Gut, ein ſchönes Haus, ich will ihren Vater zu mir nehmen, fie ſollen's gut bei mir haben. Thomas. Und ſie will dich nicht? Hat ſie einen andern im Kopfe? Jerij. Sie mag keinen. Thomas. Reinen? Sie iſt toll. Sie ſoll Gott danken und mit beiden Händen zugreifen! Was iſt denn das für ein Troßkopf? Jeri. Schon ein Jahr geh' ich um fie. In dieſem Hauſe wohnt ſie bei ihrem Vater. Sie nähren ſich von dem 108 Jery und Bätely. kleinen Gute hierbei. Ale jungen Burſche hat ſie ſchon weg- geſcheucht, die ganze Nachbarſchaft iſt unzufrieden mit ihr. Dem einen hat ſie einen ſchnippiſchen Korb gegeben, dem andern hat ſie einen Sohn toll gemacht. Die meiſten haben ſich kurz reſolviert und habent andre Weiber genommen. Ich allein kann's nicht über das Herz bringen, ſo hübſche Mäd: chen man mir auch ſchon angetragen hat. Thomas. Man muß fie nicht lange fragen. Was will ſo ein Mädchen allein in den Bergen? Wenn nun ihr Vater ſtirbt, was will ſie anfangen? Da muß ſie ſich dem erſten beſten an Hals werfen. Jery. Es iſt nicht anders. Thomas. Du verſtehſt es nicht. Man muß ihr nur recht zureben, und das ein bißchen Serb. Ift ſie zu Hauſe? Jeri. Ja! Thomas. Ich will Freiersmann ſein. Was krieg' ich, wenn ich ſie dir kupple? Jery. Es iſt nichts zu thun. Thomas. Wag krieg' ich? Jery. Was du willſt. Thomas. Zehn Doublen! Ich muß etwas Rechts fordern. - Jeri. Von Herzen gern. Thomas. Nun laß mich gewähren! Jery. Wie willſt du's anſtellen? Thomas. Geſcheit! Jery. Nun?' Thomas. Ich will ſie fragen, was ſie machen will, wenn ein Wolf kommt? Jerij. Das iſt Spaß. Thomas. Und wenn ihr Vater ſtirbt? Jery. Ah! Thomas. Und wenn ſie krank wird? Jery. Nun, ſprich recht gut! Thomas. Únd wenn ſie alt wird? Jery. Du haft reden gelernt. Thomas. Ich will ihr Hiſtorien erzählen. Jery. Recht ſchön. Thomas. ich will ihr erzählen, daß man Gott zu danken hat, wenn man einen treuen Burſchen findet. Jery. Vortrefflich! Thomas. Ich will dich herausſtreichen! Geh nur, geh! fery und Bätely. 109 Jerij. Neue Hoffnung, neues Leben, Was mein Thomas mir verſpricht! Thomas. Freund, dir eine Frau zu geben, Iſt die größte Wohlthat nicht. (Jery ab.) Thomas (atlein). Wozu man in der Welt nicht kommt! Das hätte ich nicht gedacht, daß ich bei meinem Ochſenhandel nebenher noch einen Kuppelpelz verdienen ſollte. Ich will doch ſehen, was das für ein Drache iſt, und ob ſie kein ver- nünftig Wort mit ſich reden läßt. Am beſten, ich thu, als wenn ich den Gery nicht kennte und nichts von ihr wüßte, und fall ihr dann mit meinem Antrag in die Flanke. Bätely kóınmt aus der Hütte. Thomas (für ſid)). Iſt ſie das ? D, die iſt hübſch! (Laut.) Guten Tag, mein ſchönes Kind. Bäteli. Großen Dank! Wär fhm was lieb? Thomas. Ein Glas Milch oder Wein, Jungfer, wäre mir eine rechte Erquicung. Ich treibe ſchon drei Stunden den Berg herauf und habe nichts gefunden. Bätely. Von Herzen gerne, und ein Stück Brot und Käs dazu! Noten Wein, recht guten italieniſchen.. Thomas. Scharmant! Ift das Euer Haus? Bätely. Ja, da wohn' ich mit meinem Vater. Thomas. Ei! ei! Šo ganz allein? Bätely. Wir ſind ja unſer zwei. Wart Sr, ich will Ihm zu trinken holen; oder fomm' Er lieber mit herein; was will Er da haußen ſtehn? Er kann dein Vater was er: * zählen. Thomas. Nicht doch, mein Kind, das hat keine Eile. (Er nimmt ſie bei der Hand und hält ſie.) Bätely (macht ſich loa). Ei, was ſoll das? Thomas. Laß Sie doch ein Wort mit ſich reden. (Er faßt ſic an.) Bätely (wie oben). Meint Er? Kennt Er mich ſchon? Thomas. Nicht ſo eilig, liebes Kind ! Ei, so Thön und ſpröde! Bätely. Weil die meiſten thöricht ſind, Meint Er, iſt es jede?' Thomas. Nein, ich laſſe dich nicht los; Mädchen, ſei geſcheiter! 110 . Jery und Bätely. Bätely. Fuer Durft iſt wohl nicht groß; Geht nur immer weiter i (Bätely ab.) Thomas (allein). Das hab' ich ſchlecht angefangen! Erſt hätt' ich ſie ſollen vertraut machen, mich einniſten, eſſen und trinken; dann meine Worte anbringen. Du biſt immer zu hui! Denk ich denn auch, daß ſie ſo wild ſein wird! Sie iſt ja fo fcheu wie ein Eichhorn. Ich muß es noch einmal verſuchen. (Nach der Hütte.) Noch ein Wort, Jungfer ! Bätely (am Fenſter). Geht nur Eurer Wege! Hier iſt nichts für Euch. (Sie fahlägt das Fenſter zu.) Thomas. Du grobes Ding! Wenn ſie's ihren Lieb- habern ſo macht, ſo nimmt mich's wunder, daß noch einer bleibt. Da kommt der arme fery ſchlecht zurechte! Die ſollte ihren Mann finden, der auch wieder aus dem Walde riefe, wie ſie hineinſchreit. Das troßige Ding dünkt ſich hier oben ſo ficher! Wenit einer auch einmal ungezogen würde, müßte fie’s haben, und ich hätte faſt Luſt, ihr den ledigen Stand zu verleiden. Wenn nun Jery auf mich paßt und hofft und wartet, wird er mich auslachen, ſo wenig es ihm lächerlich iſt. Zum Henker, fie foll mich anhören, was ich ihr zu ſagen habe. Ich will wenigſtens meine Kommiſſion ausrichten. So gerade abzuziehen, iſt gar zu ſchimpflich. (An der Hütte ſtart anpochend.) Nun ohne Spaß, Jungfer, mache Sie auf! ſei Sie ſo gut und geb' Sie mir ein Glas Wein! Ich will’s gern bezahlen. Bätely (wie oben am Fenſter). Hier iſt kein Wirtshaus, und pack? Er fich! Wir ſind das hier zu Lande gar nicht ges wohnt. Darnach ſich einer aufführt, darnach wird einem. Geb' Er ſich nur keine Mühe! (Sie ſdhmeißt das Fenſter zu.) Chonias. Du eigenſinniges, albernes Ding! Ich will dir weiſen, daß du da oben ſo ſicher nicht biſt. Das Affen- geſicht! Wir wollen feheit, wer ihr beiſteht!' Und wenn ſie einmal gewißigt iſt, wird ſie nicht mehr Luft haben, ſo allein ſich auszuſeßen. Schon gut! Da ich meine Lektion nicht mündlich anbringen kann, will ich's ihr durch recht verſtänd- liche Zeichen zu erkennen geben. Da kommt meine Herde juft den Berg herauf, die ſoll auf ihrer Wieſe Mittagsruhe . halten. Ha! Ha! — Sie ſollen ihr die Matten ſchön zurechte machen, ihr den Boden wohl zuſammendämineln. (Er ruft nad der Szene.) He da! Hel Jern und Bätely. 111 Ein Anecht tritt auf. Thoinas. Treibt nun in der Hitze den Berg nicht weiter hinauf! Hier iſt eine Wieſe zum Aušruhen. Treibt nur das Vieh alle da. hinein! – Nun! was ſtehſt du und veripunderſt dich? Thu, was ich dir befehle! — Begreifft du's? Auf dieſe Wieſe hier! Nur ohne Umſtände. Und laßt euch nichts anfechten, es geſchehe, was wolle. Laßt ſie graſen und aus: ruhen! Ich kenne die Leute hier, ich will ſchon mit ihnen ſprechen. (Der Sprecht geht ab.) Wenn es aber vor den Landvogt kommt? Ei was, um das bißchen Strafe! Ich denke, die Kur foll anſchlagen; und hilft's nichts, ſo ſind wir alle auf einnial gerächt, fery und ich und alle Verliebten und Bea trübten. (Er tritt auf das Forſenſtüct nahe beim Waſſer und ſpricht init Leuten außer dem Theater.) Treibt nur die Ochſen hier auf die Wieſe! Reißt nur die Planfen zuſammen! So! nur alle! – Junge, hierher! herein! Nun gut, macht euch luſtig! Jagt inir bort die Kühe weg! - Was die für Sprünge machen, daß man fie von ihrem Grund und Boden vertreibt! – Nun Trok. dem Affen! (Er ſelt fich auf das Felſenſtüd, nimmt ſeine Violine Hervor, ſtreicht und ſingt.) Ein Quodlibet, wer hört es gern, Der komme flugs herbei; Der Autor, der iſt Holofern, Es iſt noch nagelneu. Vater eilig aus der Hütte. Vater. Was gibt's? was unterſteht Ihr Euch ? . Wer gibt das Recht Euch ? wer? Thomas. In Polen und im röm'ſchen Reich Geht's auch nicht beſſer her. Bätelij. Meinſt du, daß du hier Junker biſt, Daß niemand wehren kann? Thoings. Ein Mädchen, das verſtändig iſt, Das nimmt ſich einen Manii. Vater. Sieh, welch ein unerhörter Trop ! Wart nur, du kriegſt dein Teil! Thomas (wie oben). Man ſagt, auf einen harten Klop Gehört ein grober Keil. Bätely. Verwegner, auf und packe dich! Was hab ich dir gethan? Thomas (wie oben). Pardonnez-moil Shr fehet mich Für einen andern an. (ab.). Dru! . 112 Jery und Bätely. . , Bätely. Sollen wir's fulden? Vater. Ohne Verſchulden! Bütelij. Rufet zur Hilfe Die Nachbarn herbei! (Vater ab.) Bätelij. Mir ſpringt im Schmerze Der Wut mein Herze, Fühle inidh, ach, Rajend im Grimm Und im Grimme ſo ſchwach! Thomas (tommt wieder). Gib mir, o Schönſte, Nur freundliche Blicke, Gleich ſoll mein Vieh Von dem Berge zurücke! Bätely. Wagſt, mir vors Angeſicht Wieder zu ſtehn? Thomas. Liebchen, o zürne nicht, Biſt ja ſo ſchön! Bätely. Toller! Thomas. füßes, D himmliſches Blut! Bätely. Ach, ich erſticke! Ich ſterbe por Wut! (Er wil ſie kiiſſen, ſic ſtößt ihn weg und fährt in die Thür. Er will das Fenſter aufidicben; da ſie es zuhält, zerbricht er cinige Scheiben, und im Taumel zezídlägt er die übrigen.) Thomas (bedenklidHervortretend). St! St! Das war zu toll! Nun wirð Ernſt aus dem Spiele. Du hätteſt deine Probe geſcheiter anfarigen können. Ein Freiersmann ſollte nicht mit der Thür ins Haus fallen. Sieht man doch, daß ich immer nur für mich gefuppelt habe, und da iſt's nicht übel, gerade und ohne Umſchweife zu traktieren. – Was iſt zu thun? Das gibt Lärm. Ich muß ſehen, daß ich mich mit Ehren zurückziehe, daß es nicht ausſieht, als ob ich mich fürchtete. Nur recht frech gethan, muſiziert und ſo ſachte retiriert! (Er geht, auf der Violine ſpielend, nad der Wieſe.) Vater. D Himmel! Welcher Zorn! Welcher Verdruß! Der Böſewicht! Nun fühl ich erſt, daß mir das Mark nicht mehr in den Knochent fißt wie vor alters, daß mein Arm lahın iſt, daß meine Füße nicht mehr fortwollen!" Wart nur! Wart nur! Von den Nachbarn rührt ſich keiner, ſie ſind mir alle wegen des Mädchens aufſäſſig. Ich rufe, ich ſpreche, ich erzähle, keiner will mir zu Gefallen etwas wagen. Ja, fie Jery und Bätely. 113 ſpotten beinahe mich aus. (Nach der Wieſe gekehrt.) Seht, wie fiech! wie verwegen! Wie er umhergeht und muſiziert! Die Planfen zerriſſen! (Nady dem Hauſe.) Die Fenſter zerſchlagen! Es fehlt nichts, als daß er noch plündert. — Kommt denn kein Nachbar? Hätt' ich doch nicht geglaubt, daß fie mir's ſo denken ſollten. Fa! ja! ſo ift's! Sie ſehen zu, ſie machen höhniſche Geſichter. Sure Tochter iſt keck genug, ſagt der eine; laßt ſie ſich mit dem Burſchen herumſchlagen. — Hat fie nun feinen, ruft der andre, den ſie an der Naſe herum- führt, der ſich ihr zuliebe die Rippen zerſtoßen ließe? - Mag fie’s für meinen Sohn haben, der um ihretwillen aus dem Lande gelaufen iſt, ſagt ein Dritter. – Vergebens! – Es iſt erſchrecklich), es iſt abſcheulich! D, wenn fery in der Nähe wäre, der einzige, der uns retten könnte! Bätely (kommt aus der Hütte, der Vater geht ihr entgegen, ſie lehnt ſich auf ihn). Mein Vater! Dhne Schup! Ohne Hilfe! Dieſe Beleidigung! Ich bin ganz außer mir. — Ich fraue meinen Sinnen nicht, und mein Herz kann's nicht tragen. Fery tritt auf. Vater. . Jery, ſei willkommen, ſei geſegnet! Jerij. Was geſchieht hier? Warum ſeid ihr ſo verſtört? Vater. Ein Fremder verwüſtet uns die Matteri, zerſchlägt die Scheiben, kehrt alles brunter und drüber. Iſt er toll? iſt er betrunken?' was weiß ich? Niemand kann ihm wehren, niemand. – Beſtraf ihn, vertreib ihn! Jery. Bleibet gelaſſen, meine Beſten, ich will ihn pacen, ich ſchaff' euch Ruhe, ihr ſollt gerächt werden! Bätely. Jery, treuer, lieber! Wie erfreuſt du mich! Sei unſer Netter! Tapfrer, einziger Mann! Jery. Geht beiſeite, verſchließt euch ins Haus! Laſt euch nicht bange ſein! Laßt mich gewähren! Ich ſchaff' euch Rache und vertreib' ihn gemiß. (Vater und Bätely gehen ab.) Jery (allein, indem er einen Stoc ergreift). Dem Verwegnen zu begegnen, Schwillt die Bruſt. Welch Verbrechen, · Sie beleid'gen! Sie verteidigen, Goethe, Werte. VII. 114 Fery und Bätely. Welche Luft! (Er tritt gegen die Wieſe.) Weg von den Orte! Ich ſchone keinen. (Indem er abgchen will, tritt ihm Thomas entgegen.). Thomas. Spare die Worte ! Es ſind die meinen. Jerij. Thonias! Thomas. Ofery! Soll ich von hinnen? Jery. Biſt du von Sinnen? -, Haſt du's gethan? Thomas. Jery, ja, feri)! . Nur Höre mich an. Jerij. Wehr dich, Verräter! Ich ſchlage dich nieder. Thomas. Glaub' mir, ich habe Noch Knochen und Glieder. Irry. Wehr' dich! Thomas.. Das kann ich! Jerij. Fort mit dir, fort! Thomas. Jery, ſei flug Und hörnur eiii Wort! Jery. Rühr dich, ich ſchlag' dir Den Schädel entzwei! Liebe, o Liebe, Du ſteheſt mir bei. (Jery treibt. Thomaſſen vor ſich her; ſie gchen, ſich ſchlagend, ab. Bätely kommt ängſtlid) aus der Hütte; die beiden Stämpfenden kommen wieder aufs Theater, jie haben fid) angefaßt und ringen, Thomas Hat Vortcil über Feri).) Bätery. Fery! Jery! Höre! Höre! Wollt ihr gar nicht hören? Hilfe, Hilfe! Vater, Hilfe! Laßt euch, laßt euch wehren! (Sie ringen und Idhwingen ſich herum, endlich wirft Thomas den ferty zu Boden.) Thomas (pridit abgebrochen, wie er nach und nadzu Atem kommt). Da liegſt du! Du haft mir’s fauer gemacht! Doppelt ſauer! Du biſt ein ſtarker Kerl und mein guter Freund! Da lienſt du nun! Du wollteſt nicht hören. Üebereile dich nicht mehr! Sery und Bätely). 115 Das iſt eine gute Lektion. Armer Jery, wenn dich auch der Fall von deiner Liebe heilen könnte! (Bu Bätely, die ſich indeſſen init Jery bejdsäftigt. Jery iſt aufgeſtanden.) Um deinetwillen leidet er, und mich ſchmerzt, daß ich ihm weh gethan habe. Sorge für ihn, verbinde ihn, heile ihn! Er hat ſeinen Mann gefunden; viel Glück, wenn er bei dieſer Gelegenheit auch eine Frau findet! Ich mache mich auf die Wege und habe nicht länger zu paſſen. (ab.) Jery (der indeſſen, von Bätely begleitet, an den Tiſd, im Vordergrunde ge- kommen und ſich geſeft yat). Laß mich, laß mich! Bätely. Ich ſollte dich laſſen? Du haſt dich meiner ſo treulich angenommen! Jeri. Ach, ich kann mich noch nicht erholen; ich ſtreite für dich und werde' beſiegt. Laß mich, laß mich!' Bätely. Nein, Sery, du haſt mich gerächt; auch über- wunden, haſt du geſiegt. Sieh, er treibt ſein Vieh hinweg, er macht dem Unfug ein Ende. Jery. Und iſt dafür nicht beſtraft! Er geht trotzig um- her, prahlend davon und erſetzt nicht den Schaden. Ich ver- gehe in meiner Schande! Bätely. Du biſt doch der Stärkſte im ganzen Kanton. Auch die Nachbarn erkennen, wie brav du biſt. Diesmal war es ein Zufall, du haſt mo angeſtoßen! Sei ruhig, ſei getroſt! Sieh mich an! Geſtehe mir, haſt du dich beſchädigt? Jery. Meine rechte Hand iſt verrenkt. Es wird nichts thun, es iſt gleich wieder in Drdnung. Bätely. Laß mich ziehen! Thut es weh? Noch einmal! Ja, ſo wird es gethan ſeint. Es ivir) beſſer feint. Jery. Deine Sorgfalt hab' ich nicht verdient. Bätely. Das leideſt du um mich! Wohl hab' ich nicht verdient, daß du dich meiner ſo thätig annimmſt! Jery. ' Rede nicht! Bätely. So beſcheiden! Gewiß hab' ich's nicht um dich verdient. Sieh nur, deine Hand iſt aufgeſchlagen, und du fchweigſt. Jery. Laß nur, es will nichts bedeuten. Bätely. Nimm das Tuch, du wirft ſonſt voll Blut. Iery. Es heilt für ſich, es heilt geſchiyinde. Bätely. Nein! Nein! Gleich will ich dir einen Um- ſchlag zurechte machen. Warmer Wein iſt gut und heilſam. Warte, warte nur, gleich bin ich wieder da. (ab.) Ut! 116 fery und Bätely. Jery (atein). Endlich, endlich darf ich hoffen, Ja, mir ſteht der Himmel offen! Äuf einmal Streift ins tiefe Nebelthal Ein erwünſchter Sonnenſtrahl. Teilt euch, Wolken, immer weiter! Himmel, werde völlig heiter, Ende, Liebe, meine Qual! Thomas (der an der Scite Herein ſicht). Höre, Jery! Irri. Welch eine Stimme! Unverſchämter! darfſt du dich ſehen laſſen? Thomas. Stille! Stille! Nicht zornig, nicht aufgebracht! Höre nur zwei Worte, die ich dir zu ſagen habe.“ Jeri. Du ſollſt meine Rache ſpüren, wenn ich nur ein- mal wieder heil bin. Tlomas. Laß uns die Zeit nicht mit Geſchwätz ver- derben! Höre mich, es hat Eil. Jeri. Weg von meinem Angeſicht! Du biſt mir ab- ſcheulich. Thomas. Wenn du dieſe Gelegenheit verlierſt, ſo ift ſie auf immer verloren. Erfenne dein Glück, ein Glück, das ich dir verſchaffe. Shre Sprödigkeit verſchwindet, fie fühlt - fich dankbar, fie fühlt, was ſie dir ſchuldig iſt. Jery. Du willſt mich lehren? Toller, ungezogner Menſch! Thomas. Schelte, wenn du mich nur anhören willft. Gut, ich habe ihr dieſen tollen Streich geſpielt!. Es war Halb Vorſatz, halb Zufall. Genug, fie findet, daß ein wackrer Mann ein guter Beiſtand iſt. Gewiß, fie bekehrt ſich - Du wollteſt nicht hören, ich mußte mich zur Wehre ſebzen; du biſt ſelbſt ſchuld, daß ich dich niedergeworfen, dich be- ſchädigt habe. Žeris. Geh nur, du beredeſt mich nicht. Thomas. Sieh nur, wie alles glückt, wie alles fich (chicken muß. Sie iſt befehrt, fie ſchätzt dich, ſie wird dich lieben. Nun ſei nicht fäumig, träume nicht, ſchmiede das Eiſen, ſo lang es heiß bleibt! Jery. Laß ab und plage mich nicht länger! . Thomas. Ich muß dir's doch noch einmal ſageir: fei nur zufrieden! Du biſt inir's fduldig; bu haft mir zeit- Lebenš bein Glück zu danken. Konnte ich deinen Auftrag beſſer ausrichten? lind wenn die Art und Weiſe ein bißchen Jern und Bätely. 117 wunderlich war, ſo iſt doch am Ende der Zweck erreicht. Du fannſt dich freuen! Mache es richtig mit ihr! Ich komme zurück, ihr werdet mir vergeben und, wenn es euch wohl geht, noch gar meinen Einfall, meine Tollheit loben. Jery. Ich weiß nicht, was ich denken ſoll. Thomas. Glaubſt du denn, daß ich ſie für nichts und wieder nichts beleidigen wollte ? Jery. Bruder, es war ein toller Gedanke; als ein Soldatenſtreich mag es hingehn! Thoinas. Die Hauptſadje iſt, daß ſie deine Frau wird; und dann iſt's einerlei, wie der Freiersmann fich angeſtelli hat. Der Vater kommt! Auf einen Augenblick leb wohl. (ab.) Bator tritt auf. Vater. Jery, welch ein ſonderbar Geldick iſt das? Soll icly's ein Unglück, ſoll ich's ein Glück nennen? Bätely iſt umgewendet, erkennt deine Liebe, ehrt dich, liebt sich, iveint um dich. Sie iſt gerührt, wie ich ſie nie geſehen habe. Jeri. Konnt ich eine ſolche Belohnung erwarten? Vater. Sie iſt betroffen. In fich gefehrt ſteht ſie am Herde, ſie denkt ang Vergangne, und wie ſie ſich gegen dich Þetragen hat. Sie denkt, was ſie dir ſchuldig geworden. Sei nur zufrieden! Ich wette, ſie beſchließt noch heute, was dich und mich erfreuen wird, was wir beide winſchen. Jery. Soll ich ſie beſiken? Vater. Sie kommt, ich mach ihr Plak. (ab.) Bätely (mit einem Topfe und Leinwand). Ich bin lang, ſehr lang geblieben. Komm, wir müſſen's nicht verſchiebent; Komm und zeig' mir deine Hand. Iery (indem ſie ihn verbindet). Liebe Seele, mein Gemüte Bleibt beſchämt von deiner Güte. Ach, wie wohl thut der Verband ! Bütely (die geendigt hat). Schmerzen dich 110ch deine Wunden? Iery. Liebſte, die find lang verbunden; Seit dein Finger ſie berührt, Hab' ich keinen Schmerz geſpürt. Bätely. Rede, aber rede treulich, Sieh mir offen ins Geſicht! Findeſt du mich nicht abſcheulich? Jery), aber ſchmeichle nicht! 118 Fern und Båtely. Der du ganz dein Herz geſchenkt, Die du nun ſo ſchön verteidigt, Oft wie hat ſie dich beleidigt, Weggeſtoßen und gekränkt! Hat dein Lieben ſich geendet, Hat dein Herz fich weggewendet, Üeberlaß mich meiner Pein! Sag' es nur, ich will és dulden, Stille leiden meine Schulben! Du foliſt immer glücklich ſein. Jery. Es rauſchen die Waſſer, Die Wolken vergehn; Doch bleiben die Sterne, Sie wandeln und ſtehn. So auch mit der Liebe, Der treuen, geſchicht: Sie wegt ſid), fie regt ſich Und ändert ſich nicht. (Sie ſehen einander an, Bätely ſcheint bewegt und unſdlüſſig.) Jeri. Ingel, du ſcheinſt mir gewogen! Doch, ich bitte, halt die Regung Noch zurück, noch iſt es Zeit! Leicht, gar leicht wird man betrogen Von der Nührung, der Bewegung, Von der Güt und Dankbarkeit. Bätely. Nein, ich werde nicht betrogen. Mich beſchämet die Erwägung Deiner Lieb und Tapferkeit. Beſter, ich bin dir gewogen; Traue, traue dieſer Regung Meiner Lieb' und Dankbarkeit. Jeri. Verweile! Uebereile Dich nicht! Mit lohnet ſchon gnüglich Ein freundlich Geſicht. Bätely (nach einer Pauſe). Kannſt du deine Hand noch regen? Sag' mir, Sery, ſchmerzt ſie dir ? Jeri (jeine rechte Hand aufhebend). Nein, ich kann ſie gut bewegen. 119 Bätely (die ihrige hinreichend). Jery, nun, ſo gib ſie mir! Jery (ein wenig zurücktretend). Soll ich noch zweifeln? Soll ich mich freuen? Wirſt Du inir bleiben? Wird dich’s gereuen? Bätely. Traue mir! Traue mir! Ja, ich bin dein! Jeri (einſchlagend). Ich bin auf ewig Nun sein und fei mein! (Sie umarmen ſich.) Beide. Liebe! Liebe! Haſt du uns verbunden, Laß, o laß die Leßten Stunden Selig wie die erſten ſein! Vater tritt auf. Vater. Himmel! was ſeh' ich ? Soll ich es glauben? Jery. Soll ich ſie haben? Bätelij. Willſt du's erlauben, Vater? Jery. Vater! Pater. Kinder — (zu drei). O Glück! Vater. Kinder, ihr gebt mir Die Jugend zurück. Bätely und Jeri (knieend). Gebt uns der Segen! Vater. Nehmet den Segen. (Zu drei.) Segen und Glück! Thomas kommt. Darf ich es wagen? Bätely. Welche Verwegenheit! Jery. Welches Betragen! Vater. Welche Vermeſſenheit! Thomas. Höret mich an! In der Betrunkenheit Hab' ich's gethan. Řufet die Šeltſten, 120 Jery und Bätely. Den Schaden zu ſchätzen; Ich gebe die Strafe, Will alles erſeßen. (Heimlid) zu Jery.) Und für mein Kuppeln Krieg' ich zwölf Dubbeln; Mehr ſind der Schaden, Die Strafe nicht wert. (Laut zu Bätely.) Gebe dich! (Zum Vater.) Höre mich ! (3u Jeru.) Bitte für mich! Jeri. Laßt uns, ihr Lieben, Der Thorheit verzeihen, Am ſchönen Tage jeden fich freuen; Áuf und vergebt ihm! Bätely und Vater (zu Fery). Ich gebe dir nach. (3u Thomas.) Dir iſt verziehen. (Zu vier.) O fröhlicher Tag! (Hörnergetön aus der Ferne. Con allen Seiten, erſt ungeſehen, cinzeln, dann fid,t= - bar auf den Felſen zuſammen.) Chor der kennen. Hört das Schreien, Hört das Toben! War es unten? Iſt es oben? Kommt zu Hilfe, Wo's auch fei. Jery. Bätely. Vater. (311 drei.) Siehſt du, wie ſchlimm fich's inacht, Was du ſo unbedacht Thörig gethant. Thomas. Hurtig ſie ausgelacht! Jetzt, da wir fertig ſind, Fangen ſie an.. Chor (eintretend). AIS Mord und Totſchlag Klang es von hier. Jery. Bätelij. Vater und Thomas. Und Lieb' und Heirat Findet ſich hier. Fery und Bätely. Chor (hin und wieder rennend). Eilet zu Hilfe, Wo es auch ſei! Jene (zu vier). Nachbarn und Freunde, ſtill! –. Nun iſt's vorbei. (Die Maſſe beruhigt und ordnet ſich und tritt zu beiden Seiten nay ang Proſzenium.) Thomas (tritt in die Mitte). Ein Quodlibet, wer hört es gern, Der horch' und halte ſtand! Die Klugen alle ſind ſo fern, Der Thor iſt bei der Hand. Das ſag' ich, gute Nachbarsleut', Nicht alles ſprech' ich aus. (Thomas nimmt einen Knaben bei der Hand und zicht ihn auf dem Theater weiter vor, thut vertraulich mit ihm und ſingt.) Er falle, wenn er jemals freit, Nicht mit der Thür ins Haus ! (Thomas fährt in Proſa fort zu dem Knaben zu ſprechen: Nun wie hieß es? So was mußt du gleich auswendig können.) Der Knabe. Nicht fallet, wenn ihr jemals freit, Grob mit der Thür ins Haus! Thomas. Schön! Und das merke dir, Freiſt du einmal ! Das iſt der Kern des Stücks, Iſt die Moral. Thomas und der Knabe. (Bu zwei.) Und fallet, wenn ihr ſelber freit, Nicht mit der Thür ins Haus ! (Haben Thomas und der Knabe Anmut und Gunſt genug, ſo können ſie es wagen, dieſe Zeilen unmittelbar an die Zuſchauer zu richten.) Chor (wiederholte). (Indeſjen hat man pantomimiſd ſich im allgemeinen verſtändigt.) Thomas. Sie ſind ſelbander; Verzeiht einander ! Mir iſt verziehn, Ich fahre nun hin. Alle. Friede den Höhen, Friede den Matten, Verleiht, ihr Bäume, Kühlende Schatten 122 Jery und Bätely. Ueber die junge Frau, Ueber den Gatten! Nun zum Altar! Näher dem Himmel Kindergewimmel Freue die Nachbarn, Freue das Paar! Nun im Getümmel Auf zum Altar! I i I a. Perſonen. Recitierende. Singende. Baron Sternthal. Thor der Feeit. Graf Altenſtein. Chor der Spinnerinncii. Sophie, Lilas Schweſtern. Chor der Gefangenen. Lucie, Recitierende und Singende. Tanzende. Lila, Baron Sternthals Ge Der Oger. mahlin. Der Dämon. Marianne, deſſen Schweſter. Feen. Graf Friedrich, Graf Alten- | Špinnerinnen. ſteins Sohn. Gefangne. Verazio, ein Arzt. Der Schauplaß iſt auf Baron Sternthals Landgute. & r fier Nufzug. · Saal. Gine Geſellſchaft junger Leute beiderlei Geſchlechts, in Hauskleidern, ergötzen ſich in einem Tanze ; es ſcheint, ſie wiederholen ein Bes kanntes Ballett. Graf Friedrich tritt zu ihnen. Friedridy. Pfui doch, ihr Kinder! Still! Iſt's erlaubt, daß ihr ſo einen Lärmen macht? Die ganze Familie iſt traurig, und ihr tanzt und ſpringt! Iucie. Áls wenn's eine Sünde wäre! Das Unglück unſrer Schweſter geht uns nah genug zu Herzen; ſollte uns drum die alte Luft nicht wieder einmal in die Füße kommen, da wir ſo gewohnt ſind, immer zu tanzen? Ju unſerm Hauſe war ja nichts als Geſang, Feft und Freude, und wenn man jung iſt — Sophie. O, wir ſind auch betrübt, wir ziehen's uns nur nicht ſo zu Gemüte. Und wenn es uns auch nicht ums Herz 124 lila. wäre, wir ſollten doch tanzen und ſpringen, daß wir die an- bern nur ein bißchen (uſtig machten. Friedrich. Ihr habt eure Schweſter lange nicht geſehen? Lucie. Wir dürfen ja nicht. Man verbietet uns, in den Teil des Parks zu kommen, wo ſie ſich aufhält. Sophie. Sie iſt mir ein einzigmal begegnet, und ich habe mich der Thränen nicht enthalten können. Sie, ſchien mit ſich ſelbſt in Zweifel zu ſein, ob ich auch ihre Schweſter ſei. Und da ſie mich lange betrachtet hatte, bald ernſthaft und bald wieder freundlich geworden ivar, verließ fie mich mit einer Art von Widerwillen, der mich ganz aus der Faſſung brachte. · Friedrid). Das iſt eben das Gefährlichſte ihrer Krank- heit. Das Gleiche iſt mir mit ihr begegnet. Seitdem ihr die Phantaſieen den Kopf verrückt haben, traut ſie niemanden, hält alle ihre Freunde und Liebſtent, ſogar ihren Mann für Schattenbilder und von den Geiſtern untergeſchobenc Geſtalten. Und wie will man ſie von dem Wahne überzeugen, da ihr das Wahre als Geſpenſt verdächtig iſt? Sophie. Alle Kuren haben auch nicht anſchlagen wollen. Lucie. Und es kommt alle Tage ein neuer Zahnbrecher, der unſere Hoffnungen und Wünſche mißbraucht. Friedrid. Was das betrifft, da feid ohne Sorgen; wir werden keinem mehr Gehör geben. Sophie. Das iſt ſchon gut! Heute iſt doch wieder ein neuer gekommen, und wenn ihr gleich die andern von der vorigen Woche mit ihren Pferdearzneien fortgeſchickt habt, ſo wird euch doch der vielleicht mit ſeiner Šubtilität dran- kriegen; denn witzig fieht inir der alte Fuchs aus. Friedrid. Xha! gefällt er euch ? Nicht wahr, ob ihr gleich ſo ruſchlich feid, daß ihr auf nichts in der Welt acht gebt, ſo ſpürt ihr Goch, daß das eine andre Art von Krebſen iſt, als die Quackfalber bisher? Lucie. Es iſt ein Arzt, und darum hab' ich ſchon eine Averſion vor ihnı. Gut iſt er im Grunde und pfiffig dazii. Da wir ihn unt Arznei plagten und er wohl ſah, daß 11115 nichts fehlte, gab er doch jeder eine Doſe wohlriechender und wohlſchmeckender Schäfereiên. Sophie. Und mir dazu einen guten Rat. Mich hat er beſonders in Affektion genommen. Friedrich. Was für einen? Sophie. Und einen guten Wunſch dazu. Erſter Aufzug. 125 Lucie. Was war's ? Sophie. Ich werde beides für mich behalten. (Sie geht zu der übrigen Geſellſchaft, die ſich in den Grund des Saals zurückgezogen hat und ſich nach und nach verliert.) Lucie (die ihr nachgeht). Sage doch! Marianne tritt auf. Friedrich (der ihr entgegengeht). Liebſte Marianne, Sie neh- men keinen Anteil an dem Leichtſinne dieſer unbekümmerten Geſchöpfe. Marianne. Glauben Sie, Graf, daß mein Gemüt einen Augenblick heiter und ohne Sorgen ſein könnte? Ich habe dieſe ganze Zeit her mein Klavier nicht angerührt, keinen Ton geſungen. Wie ſchwer wird es mir, den heftigen Charakter meines Bruders zu beſänftigen, der das Schickſal ſeiner Gattin kaum erträgt! Friedrid. Ach! daß an dieſe geliebte Perſon die Schick- ſale ſo vieler Menſchen geknüpft ſind! Auch unſers, feuerſte Marianne, hängt an dem ihren. Sie wollent fhren Bruder nicht verlaſſen; Shr Bruder kann und will Sie nicht ents behren, ſo lang ſeine Gemahlin in dem betrübten Zuſtande bleibt; und ich indeſſen muß meine freue, heftige Leidenſchaft in mich verſchließen! Ich bin recht unglücklich. Marianne. Der neue Arzt gibt uns die beſte Hoffnung. Könnt' er auch unſer Uebel heilen! Beſter Graf, wie freudig wollte ich ſein! Friedrid. Gewiß, Marianne ? Marianne. Gewiß! Gewiß! ' Doktor Verazio tritt auf. Friedrid. Teuerſter Mann, was für Ausſichten, was für Hoffnungen bringen Sie uns? Verazio. Es ſieht nicht gut aus. Der Baron will von keiner Kur ein Wort hören. Friedrich. Sie müſſen ſich nicht abweiſen laſſen. Verazio. Wir wollen alles verſuchen. Friedritl. Ach, Sie heilen gar viele Schmerzen auf einmal. Verazio. Ich habe ſo etwas gemerkt. Nun, wir wollen ſehen! – Hier kommt der Baron. Baron Sternthal tritt auf. Verazio. Wenn Ihnen meine Gegenwart wie meine Kunſt zuwider iſt, ſo verzeihen Sie, daß Sie mich noch hier 126 Lila. olulite, finden. In wenig Zeit muß Graf Altenſtein hier eintreffen, ber mich wieder zurückbringen wird, wenn er leider ſieht, daſ ſeine Empfchlung nicht Eingang gefunden hat. Barðir. Verzeihen Sie, und der Graf wird mir auch verzeihen. Es iſt nicht Undankbarkeit gegen ſeine Fürſorge, nicht Mißtrauen in Ihre Kunſt, es iſt Miſtrauen in inein Schickſal. Nach ſo viel fehlgeſchlagnen Verſuchen, die Geſund- heit ihrer Seele wieder herzuſtellen, muß ich glauben, daß ich auf die Probe geſtellt werden ſoll, wie lieb ich ſie habe? ob ich wohl aushalte, ihr Elend zu teilen, da ich mir ſo viel Glück mit ihr verſprach? Ich will auch nicht widerſpenſtig ſein und in Geduld vom Himinel erwarten, was mir Menſchen nicht geben ſollen. Verazio. Ich ehre dieſe Geſinnungen, gnädiger Herr. Nur find ich hart, daß Sie mir ſogar die nähern Umſtände ihrer Krankheit verbergen, mir nicht erlauben wollen, fie zu ſehen, und mir dadurch den Weg abſchneiden, teils meine Erfahrungen zu erweitern, teils etwas Beſtimmtes über die Hilfe zu ſagen, die man ihr leiſten könnte. Sophie (zu den andern). Und er möchte auch wieder init unſerer armen Schweſter Haut feine Erfahrungen erweitern. Es iſt einer wie der andere. Lucie. O ja, wenn ſie nur was zu ſecieren, klyſtieren, elektriſieren haben, ſind ſie bei der Hand, um nur zu ſehen, was eins für ein Geſicht dazu ſchneid't, und zu verſichern, daß fie es wie im Spiegel vorausgeſehen hätten. Baron (der bisher mit Friedrich und Verazio geſprochen). Sie plagen mich! Verazio. Jeder, der in fich fühlt, daß er etwas Gutes wirken kann, muß ein Plaggeiſt ſein. Er muß nicht warten, bis man ihn ruft; er muß nicht achten, wenn man ihn fort- ſchickt; er muß ſein, was Homer an den Helden preiſt, er inuß ſein wie eine Fliege, die, verſcheucht, den Menſchen imicr wieder von einer andern Seite anfällt. Sophie. Ehrlich) iſt er wenigſtens; er beſchreibt den Markt- (dreier deutlich genug. Verazio. Laſſen Sie's nur gut ſein, Fräulein; Sie fallen mir doch noch in die Hände. Sophie.' Er hat Dhren wie ein Zauberer. Verazio. Denn, wie ich an Ihren Augen ſehe — Sophie. Kommt! wir haben hier nichts zu thun - Adieu! Erſter Aufzug. 127 Alle. Adieu! Adieu! Sophie. Er iſt wohl gar ein Phyſiognomiſt? (ab.) Friedrid. Höre doch wenigſtens, Vetter ! Baron. Ja, ſo iſt inir's ſchon mehr gegangen. Man läßt ſich nach und nach einnehmen, und unſere Hoffnungen und Wünſche find von ſo kindiſcher Natur, daß ihnen Mögliches und Unmögliches beides von einer Art zu ſein ſcheint. Vernzio. In was für Hände Sie auch gefallen ſind! Baron. Das ſagt der folgende immer vom vorher- gehenden. Und es iſt erſtaunlich, wenn unſere Einbildungs- kraft einmal auf etwas heftig geſpannt iſt, was man ſtufen- weiſe zu thun fähig wird. Mir chaudert's, wenn ich an die Kuren denke, die man mit ihr gebraucht hat, und ich zittre, zu was für weitern Grauſanıkeiten gegen ſie man mich ver- ſeiten wollte und faſt verleitet hätte. Nein, ihre Liebe zu mir hat ihr den Verſtand geraubt; die meinige fout ihr wenig ſtens ein leidlich Leben erhalten. Vernzio. Ich nehme Herzlichen Anteil an Ihrem Kummer. Idi ſtelle mir das Schredliche der Lage vor, da Sie, faum der Gefahr des Todes entronnen, Jhre Gattin in folchem Elend vor fich ſehen mußten. Friedrid. Da kommt mein Vater. Graf Altenſtein. Die Vorigen. Graf Altenſtein. Vetter, guten Morgen! Guten Morgen, Doktor! Was haben Sie Guts ausgerichtet? Hab ich dir da nicht einen tüchtigen Mann herübergeſchickt ? Baron. Es iſt recht brav, daß Sie kommen. Ich danke Ihnen für die Bekanntſchaft, die Sie inir verſchafft haben. Wir ſind in der kurzen Zeit recht gute Freunde worden; nur einig ſind wir noch nicht. Graf Altenſtein. Waruin? Haſt du kein Vertrauen zu meinem Doktor? Baron. Das beſte! wie zu Ihrem guten Willen, nur — Graf Altenſtein. Wenn du ihn hätteſt reden hören ehe- geſtern abend, wie er mir alles erzählte, alles erklärte — Es war mir ſo begreiflich, ſo deutlich, ich meinte, ich wollte nun felbſt kurieren, ſo ſchön hing alles zuſammen. Wenn ich's nur behalten hätte! Friedrid. Es geht Ihnen, Papa, wie mir und andern in der Predigt - 128 gifα. Grnt Altenſtein. Wo iſt deine Frau ? Baroit. An der -hintern Seite des Parks hält ſie ſich noch immer auf, ſchläft des Tags in Dei Hütte, die wir ihr zurecht gemacht haben, vermeidet alle Menſchen und wandelt des Nachts in ihren Phantaſieen herum. Manchinal verſteck' ich mich, ſie zu belauſchen, und ich verſichere Shnien, es gehört viel dazu, um nicht raſend zu werden. Wenn ich ſie herum- ziehen ſehe mit loſem Haar – im Mondſchein einen Kreis abgehen – mit halb unſicherm Tritt ſchleicht ſie auf und ab, jeigt ſich bald vor den Sternen, kniet bald auf den Raſen, umfaßt einen Baum, verliert ſich in den Sträuchen wie ein Geiſt! – Ha! - Graf Altenſtein. Ruhig, Vetter! ruhig! Statt wild zul fein, ſollteſt du die Vorſchläge des Doktors anhören. Verazio. Laſſen Sie's, gnädiger Herr! Ich bin faſt, feit ich hier bin, der Meinung des Herrn Barons geworden, daß man ganz von Kuren abgehen oder wenigſtens ſehr be- hutſam damit ſein müſſe. Wie lang iſt’s her, daß die gnä- dige Frau in dem Zuſtande iſt? Graf Altenſtein. Laßt ſehen! Auf den Dienſtag zehn Wochen. Es war juſt Pferdemarkt in der Stadt geweſen, und abends, wie ich nach Hauſe ritt, ſprach ich hier ein. Da war der verfluchte Brief angekommen, der die Nachricht von deinem Tode brachte. Sie lag, ohnmächtig nieder, und das ganze Haus war wie toll. – Höre, ich muß einen Augen- Blick in den Stall. Wie geht's deinem Schimmel? Baron. Ich werde ihn weggeben müſſen, lieber Onkel. Graf Altenſteint. Schade fürs Pferd! wahrlich ſchade! (ab.) Verazio. Woher kam denn das falſche Gerücht? Wer beging die entſekliche Unvorſichtigkeit, ſo etwas zu ſchreiben? Baron. Da gibt's ſolche politiſche alte Weiber, die weit- läufige Korreſpondenzen haben und immer etwas Neues brauchen, woher es auch komme, daß das Porto doch nicht ganz ver- geblich ausgegeben wird. In der Welt iſt im Grunde des Guten ſo viel als des Böſen; weil aber niemand leicht was Gutes erdenkt, dagegen jedermann ſich einen großen Spaß macht, was Böſes zu erfinden und zu glauben, To gibt's der favorablen Neuigkeiten ſo viel. Und ſo einer — Friedrid. Nun, ſei'n Sie nicht böſe! Es war ein guter Freund — Baron. Den der Teufel hole! Was ging's ihn an, ob ich tot oder lebendig war? Bleſſiert war ich, das wußte jeder- Erſter Aufzug. 129 mann und meine Frau und ihr alle. Wenn er ein guter Freund war, warum mußte er der erſte ſein, der meine Wunde tödlich glaubte? Friedrid. In der Entfernung - Verazio (zu Friedrid)). Sie waren gegenwärtig ? Friedriry. Ich hatte ihr ſchon einige Monate Geſellſchaft geleiſtet. Sie war bei der Abweſenheit ihres Mannes inimer in Sorgen. Ihre Zärtlichkeit ſtellte ſich die Gefahren doppelt lebhaft vor. Wir thaten, was wir konnten; die Mädchen unſerer beiden und der benachbarten Häuſer waren immer uni ſie; man ließ fie wenig allein und vermochte doch nichts über ihren Trübſinn. Baron. Ich hab es nie an ihr leiden können; ſie war immer mit ihren Gedanken zu wenig an der Erde. Friedricy. Wir tanzten um ſie herum, ſangen, ſprangen — Baron. Und verliebtet euch untereinander, wie ich jetzt fpüre, da ich nach Hauſe komme. Vernzio. Nun, das gehört auch zur Sache. Friedrid. Wir ſind's geſtändig. Alles ſchien ihre Trau- rigkeit zu vermehren. Zuleit kam die Nachrict, Shr wäret bleſſiert. Da war nun gar kein Auskommen mehr mit ihr: den ganzen Tag ging's auf und ab; bald wollte ſie reiſen, bald bleiben. Mit jeder Poſt mußte man einen Brief weg- ſchaffen; mit jeder Poſt wurde einer erwartet, wenn man ihr gleich die Unmöglichkeit vorſtellte. Sie fing an, uns zu miß- frauen, glaubte, wir hätten ſchliminere Nachrichten, wollteni's ihr verhehlen, und das ging an einem fort. Veraziv. Haben Sie Dainals nichts an ihr verſpürt? Friedrich. Wenn ich ſagen ſoll, To glaube ich, daß ihr Wahnſinn ſchon damals feinen Anfang genommen hat; aber wer unterſcheidet ihn von der tiefen Melancholie, in der fie vergraben ivar? Denn nach dem Schrecken, den der unglück- liche Brief machte, da ſie einige Tage wie in einem hitzigen Fieber lag, ſchien ſie wenig verändert; nur war faſt gar nichts aus ihr zu bringen; ihre Blicke wurden ſchen und unſicher; fie ſchien jedermann, den ſie fah, zu fürchten oder nicht zu bemerken." Sie verlangte Trauerkleider, und wenn wir ſie init der Ungewißheit tröſten wollten, nahm ſie ſich's gar nicht an, bemächtigte ſich alles, was ſie an uns von ſchwarzem Taffet und Bändern friegen konnte, und behing ſich damit. Baroir. Macht mir den Kopf nicht warm mit curer Erzählung! Genug, ſo iſt's, Herr Doktor! Sie wollte mnich Goethe, Werke. VII. 130 Lila. nicht wieder erkennen, fie floh mich wie ein Geſpenſt, alle Hilfe war vergebens. Und ich werde mir ewig Vorwürfe machen, daß ich fie, auch nur auf kurze Zeit, der unmenſch- lichen Behandlung eines Marktſchreiers überließ, der ſich bei mir anzuſtreichen gewußt hatte. "(Er tritt zurück.) Friedritl. Es iſt wahr, ſie geriet darüber in Wut, flüchtete in den Wald und verſteckte ſich daſelbſt. Man machte vergebens gütliche Verſuche, ſie herauszubringen, und der Baron beſteht darauf, er leide keine Gewalt mehr gegen ſie. Man hat ihr heimlich eine Hütte zurecht gemacht, worin ſie ſich bei Tage verbirgt und wohin ihr ein Kamniermädchen, das einzige Geſchöpf, dem fie traut, ivenige einfache Speiſen heim- lich ſchaffen darf. So leben wir in frauriger Hoffnung einen Tag nach dem andern hin. Unſere Familie, die in einem emigen freudigen Leben von Tanz, Geſang, Feſten und Er- göbingen ſchwebte, ſtreicht aneinander weg, wie Geſpenſter, und es wäre kein Wunder, wenn man ſelbſt den Verſtand verlore. Vernzio. Aus allem, was Sie mir ſagen, kann ich noch Hoffnung ſchöpfen. Graf Ultenſtein kommt und tritt mit dem Baron zu ihnen. Graf Altenſteiit. Hören Sie, Doktor! Man erzählt mir unten wunderbare Sachen; was ſagen Sie dazu? Lila hat ihren Kammermädchen, der einzigen, zu der ihr Vertrauen auch bei ihrem Wahnſinn geblieben iſt, unter dem Siegel der größten Verſchwiegenheit verſichert, daß fie wohl wiſſe, woran fie fei: es fei ihr offenbaret worden, ihr Sternthal ſei nicht tot, ſondern werde nur von feindſeligen Geiſtern gefangen gehalten, die auch ihr nach der Freiheit ſtrebten; deswegen fie' unerfannt und heimlich Herumwandern müſſe, bis ſie Še- Icgenheit und Mittel fände, ihn zu befreien. Baron. Deſto ſchlimmer! Sie hat Netten noch eine weitläufige Geſchichte von Zauberern, Feen, Ogern und Dä- monen erzählt, und was ſie alles auszuſtehen habe, bis ſie inich wieder erlangen könne. Vernzio. Iſt die Nette weit? Graf Altenſtein. Sie iſt hier im Hauſe. Vernzio. Dies beſtätigt in mir einen Gedanken, den ich ſchon lange in mig herumwerfe. Wollen Sie einen Vorſchlag anhören?" - Baroi. Anhören wohl. · Erſter Aufzug. 131 Verazio. Es iſt hier nicht von Kuren noch von Quad- falbereien die Rede. Wenn ivir Phantaſie durch Phantaſie kurieren könnten, ſo hätten wir ein Meiſterſtück gemacht. Baron. Wodurch wir ſie aus dem Wahnſinn in Naſerei werfen könnten. Graf Altenſtein. So laß ihn doch ausreden! Verazio. Sind nicht Muſik, Tanz und Vergnügen das Element, worin Ihre Familie bisher gelebt hat? Glauben Sie denn, daß die tote Stille, in der Sie verſunken ſind, Jhnen und der Kranken Vorteil bringe ? Zerſtreuung iſt wie eine goldne Wolke, die den Menſchen, wär' es auch nur auf kurze Zeit, ſeinem Glend entrückt; und Sie alle, wenn Sie die gewohnten Freuden wieder genießen, werden ſein wie Menſchen, die in einer vaterländiſcheit Luft ſich von Müh- ſeligkeit und Krankheit auf einmal wieder erholen. Baroit. Und wir ſollten eine Weile Thorheiten treiben, indeſſen die elend iſt, um berentwillen wir uns ſonſt nur zu vergnügen ſchienen? Vernzio. Eben von dieſem Vorwurf will ich Sie be- freien. Laſſen Sie uns der gnädigen Frau die Geſchichte ihrer Phantaſieen ſpielen. Sie ſollen die Feen, Dgern und Dämonen vorſtellen. Ich will mich ihr als ein weiſer Mann zil nähern ſuchen und ihre Umſtände ausforſchen. Aus dem, was Sie mir erzählen, zeigt ſich, daß ſich ihr Zuſtand von felbft verbeſſert habe: ſie hält Sie nicht mehr füir tot; die Hoffnung lebt in ihr, Sie wieder zu ſehen; ſie glaubt felbſt, daß ſie ihren Gemahl durch Geduld und Standhaftigkeit wieder eriverben könne. Wenn auch nur Muſik und Tanz un ſie herum ſie aus der Dunkelit Traurigkeit riſſen, in der fie verſenkt iſt, wenn das unverinutete Erſcheinen abenteuer- licher Geſtalten ſie auch nur in ihren Hoffnungen und Phan- taſieen beſtärkte, das es gewiß thun wird, fo hätten wir chon genug gewonnen. Allein ich gehe einem weit höhern Endzweck entgegen. Ich will nichts verſprechen, nichts hoffen laſſen - Graf Altenſteilt. Der Einfall iſt vortrefflich, iſt ſo natürlich, daß ich nicht weiß, warum mir nicht felbft darauf gefallen ſind. Sie glauben alſo, Doktor, daß wir, wenn wir der Phantaſie unſerer Nichte ſchmeichelii, etwas über fie vermögen werden? Vernzio. Zuletzt wirb Phantaſie und Wirklichkeit zil= ſammentreffen. Wenn ſie ihren Gemahl in ihren Armen 132 lila. hält, den ſie ſich ſelbſt wieder errungen, wird ſie wohl glauben müſſen, daß er wieder da iſt. Graf Altenſtein. Von Ogern erzählt ſie, die ihr nach der Freiheit ſtreben? Ich will den Dger machen; etwas Wildes iſt ſo immer meine Sache; und Feen, ſchöne Feen haben wir ja genug im Hauſe. Kommen Sie, das müſſen wir gefdheit anfangen! Vernzio. Schaffen Sie nur die nötigen Sachen herbei, für das übrige laſſen Sie mich ſorgen. Baron. Ich weiß nicht — laßt uns erſt überlegen. Graf Altenſteiir. . lleberleg' bu's, und wir wollen indes Anſtalten machen. Kommer Šie, Doktor, laſſen Sie uns 311 Netten gehen. Friedrich, reite hinüber und ſchaffe die Masken zuſammen. In unſern beiden Häuſern inüſſen ſich ſo viele älte und neue finden, daß man das ganze Kabinett der Feen damit fournieren fönnte. Alles, was Hände, Füße und Kehlen hat, berufe herbei. Suche Muſik aus und laß probieren, wie es in der Eile gehen will. Friedrid. Da wird ein ſchönes Impromptu zuſainmen- gehert werden! Graf Altenſteinr. Stem, es geht! Verazio. Kommen Sie! wir wollen der Sache weiter nachdenken; Sie ſollen nicht übereilt werden. Friedrich. Und an willigen Füßen und Kehlen foll's gewiß nicht ermangeln. 3 weiter R if zu g. Romantiſche Gegend eines Parts. lila. Süßer Tod! Süßer Tod! komm und leg'inich ins fühle Grab! – Sie verläßt mich nicht, die Melodie des Todés, auch in den Augenblicken, da ich hoffnungsvoll und ruhig bin. Was iſt das, das mir ſo oft in der Seele Sämmert, als wenn ich nicht mehr wäre? Ich ſchwanke im Schatten, habe feinen Teil inchr an der Welt. (Auf Mopf und Herz deutend.) Es iſt hier ſo! und hier! daß ich nicht kann, wie ich will und mag -- Sagt dir denn nicht eine Stimme in deinein Herzen: Zweiter Aufzug. 133 „Er iſt nicht auf emig dir entriſſen! daure nur aus! Er ſoll wieder dein ſein!" — Dann kommt wieder ein Schlaf über mich, eine Ohnmacht – Ich ſchwinde, verſchwinde, Empfinde und finde Mich kaum. Iſt das Leben? Iſt's Traum? Ich ſollte nicht behalten, Was mir das Schickſal gab. Ich dämmre! ich ſchwanke! Komin, ſüßer Gedanke, - Tod, bereite mein Grab! (Sie geht nach dem Grunde, indes tritt Hervor:) Der Magis (der ſie bisher beobachtet, fräuter ſudsend). Euch, die ihr auf wandernden Geſtirnen über uns ſchwebt und ihre gütigen Einflüſſe auf uns herab ſendet, euch danke ich, daß ihr mir vergönnt habt, in guter Stunde dicſe niedrigen Kinder der Erde in meinen Schoß zu verſammeln! Sie ſollen, zu herrlichen Endziecfen bereitet, aus meinen Händen wohl- thätiger und wirkender wieder ausgehen durch die Gaben eurer Weisheit und euer fortbauerndes Walten. Lila (jidnähernd). Wie kommt der Alte hierher? Was für Kräuter mag er ſuchen? Iſt's wohl ein harmloſer Menſch oder ein Kundſchafter, der dich umſchleicht, zu forſchen, wo man bir feindſelig am leichteſten beikommen mag? Daß man Doch in dieſer Welt ſo oft hierüber in Zweifel ſchweben muß! — Entflieh' ich ihm ? Magus (für ſich, aber Yauter). Auch fie, die in dieſen ein- ſamen Gefilden wandelt, erquict durch eure liebreiche Gegen=- ivart! Erhebt ihr Herz, daß aus der Dunkelheit ſich ihre Geiſter aufrichten, daß ſie nicht trübſinnig den großen End- zieck verſäume, dem ſie heimlich ſehnend entgegen hofft! Lila. Wehe inir! Er fennt mich. Er weiß von mir. Mngus. Bebe nicht, gedrückte Sterbliche! Des Freund- lichen iſt viel auf Erden. Der Unglückliche wird argwöhniſch; er kennt weder die gute Seite des Menſcheit, noch die günſtigen Winke des Schickſals. Lila (zu ihm tretend). Wer dit auch ſeiſt, verbirg unter dieſer edeln Geſtalt, verſtecke hinter dieſen Geſinnungen keinen Verräter! Die Mächtigen ſollten nicht lügen und die Ge- 134 Pila. waltigen ſich nicht verſtellen; aber die Götter geben auch den lingerechten Geipalt und gut Glück den Heimtückiſchen. Magus. Immer zu mißtrauen, iſt ein frrtum, wie, immer zu trauen. Lila. Dein Wort, deine Stimme zieht mich an. Magus. Willſt du dich einem Wohlineinenden vertrauen, ſo fage, wie fühlſt du dich? Lila. Wohl, aber traurig; und vor dem Gedanken, daß ich fröhlich werden könnte, fürchte ich mich, wie vor dem größten Uebel. Magus. Du ſollſt nicht fröhlich ſein, nur Fröhliche machen. Lila. Kann das ein Unglücklicher? Magus. Das iſt ſein ſchönſter Troſt. Vermeide nie- mand, der dir begegnet. Du findeſt leicht einen, dem du hilfft, einen, der dir helfen kann. Lila. Mein Gemüt neigt ſich der Stille, der Dede zit. Magus. Iſt es wohlgethart, jeder Neigung zu folgen? Lili. Was ſoll ich thun? Wingis. Gütige Geiſter umgeben sich und möchten dir beiſtehen. Sie werden dir ſogleich erſcheinen, wenn ſie dein Herz ruft. Lila. So nah find fie? Magus. So niah die Belehrung, ſo nah die Hilfe. Sie wiſſen viel, denn ſie ſind ohne Beſchäftigung; fie lehren gut, denn ſie ſind ohne Leidenſchaft. Lila. Führe mich zlı ihnen! Magus. Sie kommen. Du wirſt glauben, bekannte Geſtalten zu ſehen, und du irrſt nicht. Lila. Di dieſe gefährlichiſte Lift kenne ich, wenn uns falſche Geiſter mit Geſtalten der Liebe Locken. Magis. Verbanne für ewig dieſes Mißtrauen und dieſe Sorgen! Nein, meine Freundin! die Geiſter haben keine Ge- ftalten; jeder ſieht ſie mit den Augen ſeiner Seele in bekannte Forinen gekleidet. Lila. Wie wunderbar! Magus. Hüte dich, fie zu berühren; denn ſie zerfließen in Luft. Die Augen trügen. Aber Folge ihrem Nat! Was du dann faſſeft, was du in deinen Armen hältſt, das iſt wahr, das iſt wirklich. Wandle deinen Pfad fort!' Du wirſt die Deinigen wiederfinden, wirft den Deinigen wiedergegeben werden. Zweiter Aufzug. 135 Lila. Ich wandre! Und ſollt ich zum ſtillen Fluſſe des Todes gelangen, ruhig tret' ich in den Kahn - Magus. Nimm dieſes Fläſchchen, und wenn du Er- quicung bedarfſt, ſalbe deine Schläfe Samit. Es iſt eine Seele in dieſen Tropfen, die mit der unſrigen nahe verwandt iſt, freundlich ſich zu ihr gefellt und ſchweſterlich ihr in den Augen- blickert aufhilft, wo ſie ſchaffen und ivirken ſoll und ebeit er- mangeln will. (Lila zaudert.) Wenn du mir mißtraueſt, ſo wirf's ins nächſte Waſſer. Liln. Ich fraue und Danke. Mngus. Verachte keine Erquickung, die Sterblichen ſo nötig iſt. Es herrſchen die holden Feen über das Zarteſte, was der Menſch zu ſeinein Genuß nur fich auswählen möchte. Sie werden dir Špeiſe vorſeßen. Verſchinähe ſie nicht. Lila. Mir ekelt vor jeder Koſt. Mngus. Dieſe wird "Sid, reizen. Sie iſt ſo edel als ſchmachaft, und ſo ſchmachaft als geſund. Liln. Einer Büßenden ziemt es nicht, ſich an herrlicher Tafel zu weiden. Magus. Glaubſt du, dir zu fruchten und den Göttern zu dienen, wenn du dich beſſen enthältſt, was der Natur ge- mäß iſt? Freundin! dich hat die Erfahrung gelehrt, daß bu dich ſelbſt nicht retten kannſt. Wer Hilfe begehrt, muß nicht auf ſeinen Sinne bleiben. Liln. Deine Stimme gibt mir Mut. Kehr ich aber in unein Herz zurück, ſo erſchrecke ich über den ängſtlichen Ton, der darin widerhallt. Wagus. Ermanne dich, und es wird alles gelingen. Lila. Was vermag ich? Magus. Wenig! Doch erniedrige nicht deinen Willen unter dein Vermögen. Feiger Gedanken Bängliches Schwanken, Weiðiſches Zagen, Xengſtliches Klägen Wendet kein Elend, Macht dich nicht frei. Allen Gewalten Zum Truß fich erhalten, Nimmer ſich beugen, Kräftig fich zeigen, 136 dila. Rufet die Arme Der Götter herbei. (ab.) Lila (allein). Er geht! Ungern ſeh ich ihn ſcheiden. Wie ſeine Gegenwart mir ſchon Mut, ſchon Hoffnung ein: flößt! Warum eilt er? Warum bleibt er nicht, daß ich an ſeiner Hand meinen Wünſchen entgegengehe? Nein, ich will mich einſan nicht mehr abhärmen, ich will mich der Geſellſchaft erfreuen, die mich iimgibt. – Zandert nicht länger, liebliche Geiſter! Zeigt euch mir! Srſcheinet, freund- liche Geſtalten! Thor der Feen, erſt in der Ferne, dann näher. Zuleft treten ſie auf, an ihrer Spiſze Almaide. Chor. Mit Leiſem Geflüſter, Ihr Lüftgen Geſchwiſter, zum grünenden Saal! Erfüllet die Pflichten! Der Mond erhellt die Fichten, Und unſern Geſichten Erſcheinen die lichten, Die Sternlein im Thal. (Während dieſes Gcjangs hat ein Teil des Chora cinen Tanz begonnen, zwijdjen welchem Vila zuleft hinein tritt und Almaiden arivedet.) Tila. Verzeiht einer Frrenden, wenn ſie cure heiligen Reihen ſtört! Ich bin zu euch gewieſen, und da ihr mir er- ſcheint, iſt es mir ein Zeichen, daß ihr mich aufnehmen wollt. Ich ergebe inich ganz eurem Rat, eurer Leitung. Wäret ihr Sterbliche, ich könnte euch ineine Freundinnen heißen, euch Liebe geben und Liebe von euch hoffen. Täuſcht mein Herz nicht, Sas Hilfe von euch erwartet! Almaide. Sei nicht beklommen! Sei uns willkommen! Traurige Sterbliche, Weide dich hier! Wir in der Hülle Nächtlicher Stille Weihen Den Reihen, Lieben die Sterblichen; Keine verderblichen Götter ſind wir. Zweiter Aufzug. 137 (Im Grunde eröffnet ſid) cine ſchön crleuchtete Laube, worin ein Tiſch mit Speiſen ſich zeigt, daneben zwei Seſſel ſtchen.) Sei uns willkommen! Sei nicht beflominen! Traurige Sterbliche, Weide dich hier! (Lila wird von den Feen in die Laube genötigt, ſic ſetzt ſich an den Tiſc, Almaide gegen ſie über. Die tanzenden Jeen bedienen beide, indes das ſingende Thor an den Sciten des Theaters verteilt iſt.) Chor. Wir in der Hülle Nächtlicher Stille Weihen Dei Neihen Lieben die Sterblichen; Keine verberblichen · Götter ſind wir. (Lila ſteht auf und kommt mit Almaiden Hervor.) Almaide. Du biſt mit wenigem geſättigt, meine Freundin. Faſt fönnteſt du mit uns wandeln, die wir leichten Tau von der Lippe erquicter Blumen ſaugen und ſo uns zu nähren gewohnt ſind. Lila. Nicht die Freiheit eines leichten Lebens ſättigt mich); der Summer eines ängſtlichen Zuſtandes raubt mir die Luſt zu jeder Speiſe. Álmaide. Da du uns geſehen haſt, kannſt du nicht länger, elend bleiben. Der Anblick eines wahrhaft Glücklichen macht glücklich. Lila. Mein Geiſt ſteigt auf und ſinkt wieder zurück. Almaide. Auf zur Thätigkeit, und er wird voit Stufe zu Stufe ſteigen, kaum raſten, zurück nie treten. Auf, meine Freundin! Liln. Was rätſt du nir? Almaide. Vernimm! Es lebt dein Gemahl. Lila. Jhr Götter, hab' ich recht vermutet? Almaide. Allein er iſt in fer Gewalt eines neidiſchen Dämons, der ihn mit ſüßen Träumen bändigt und gefangen hält. Lila. So ahnt' ich's. Almaide. Er kann nie wieder erwachen, wenn du ihn nicht weckft. Lila. So iſt er nicht tot? Gewiß nicht tot? Er ruyt nur auf einem weichen Lager, in keiner Gruft, ein hezrlicher Thronhimmel wölbt fich iiber dem Schlafenden? Léiſe will 138 Lila. . ich an ſeine Seite treten, erſt ihu ruhen ſehen und mich ſeiner Gegenwart erfreuen. Träuint er denn wohl von mir? – Dai fang' ich leiſe, leiſe nur an: Mein Lieber, erwache! Erwache, mein Beſter! Sei vieder mein! Nichte sich auf! Höre meine Stimme, die Stimine deiner Geliebten! — Wird er denn auch hören, wenn ich rufe ? Almoide. Er wird. Lila. D, führe mich zur Stätte, wo er ſein Haupt niedergelegt hat! – Und wenn er nicht ſogleich erwachen will, faff ich ihn an und ſchüttľ ihn leiſe und ivarte beſcheiden und ſchüttl' ihn ſtärker und rufe wieder: Erwache! – Nicht wahr, es iſt ein tiefer Schlaf, in dem er begraben liegt? Almaide. Ein tiefer Zauberſchlaf, den Seine Gegenwart leicht zerſtreuen kann. Almaide. Die Stätte ſeiner Ruhe vermögen wir nicht ſogleich zu erreichen; es liegt noch manche Gefahr, mandics Hindernis dazwiſchen. Liln. D Himmel! Almaide. Dein Zaudern ſelbſt war ſchuld, daß ſich dieſe Gefahren, dieſe Hinderniſſe nur vermehrten. Nach und nach hat jener Dämon alle deine Verwandte, alle Deine Freunde in ſeine Gewalt gelockt, und wenn du fäumſt, wird er auch dich überliſten; denn auf dich iſt gezählt. Lila. Wie kann ich ihm entgehen? wie ſie befreien? Komm! Hilf mir! Komm! Almaide. Ich kann dich nicht begleiten, dir nicht helfen. Der Menſch hilft ſich ſelbſt am beſten. Er muß wandeln, fein Glück zu ſuchen; er muß zugreifen, es zu faſſen; günſtige Götter können leiten, ſegnen. Vergebens fordert der Läſſige ein unbedingtes Glück. Ja, wird es ihm gewährt, ſo iſt's zur Strafe. Lila. So fahret wohl! Ich gehe allein auf bunkelm Pfade. Almaide. Verweile dieſe Nacht! Mit dem fröhlichen Morgen ſollſt du einen glücklichen Weg antreten. Tila. Nein, jetzt! jetzt! Auf dem Pfade des Todes gleitet mein Fuß willig hinab. Alutnide. Höre mich! Lila. Vom Grabe her ſäuſelt die Stimme des Windes lieblicher, als deine füiße Lippe inich kocken kann. Álmaide (fiir fid)). D weh! Sie fällt zurück! Ich habe Dritter Aufzuig. 139 zu viel geſagt! (Laut.) Hier in dieſer Laube ſteht für dich ein Nuhebette. Bediene dich ſein, indeſſen wir unſre ſtillen Weihungen vollenden. Wir wollen sich vor der Kühle der Nacht, vor dem Tau des Morgens bewahren, ſchweſterlich für dich ſorgen und seine Pfade ſegnen. Lila. Es iſt vergebens, ich kann nicht ergreifen, was ihr bietet. Eure Liebe, eure Güte fließt mit wie klares Waſſer durch die faſſenden Hände. Almaide (für ſich). lInglückliche, was iſt für dich zu hoffen? (Laut.) Du muſt bei uns verweilen! Lila. Ich fühle die Güte Und kann euch nicht dankcn. Verzeihet den kranken, Verworrenen Sinn! Mir iſt's im Gemüte Bald Süſter, bald heiter; Ich ſehne mich weiter Und weiß nicht, wohin. (10.) Almaide. Sie verliert ſich in die Büſche. Sie entfernt ſich nicht weit. Auf, Schweſtern, ſingt ihr ein Lied, daß dei Ton des Troſtes um ihren Biſen ſchalle. Alutaide (mit dem Chor). Wir helfen gerne, Sind nimmer ferne, Sind immer nah. Rufen die Armen Unſer Erbarmen, Gleich ſind wir da! Driffer Rufzug. Nauyer Ward, im Grunde eine Hölle. Almaide. Magus. Mngus. Göttliche Fee! Was du mir erzählſt, verwundert mich nicht. Beruhige dich! Dieſe Nückfälle müſſen uns nicht erſchreckent. Jede Natur, die ſich aus einem geſunkenen Zu- ſtande erheben will, muß oft wieder nachlaſſen, um ſich von der neueni, ungewolnten Anſtrengung zu erholen. Ich fürchte 140 - lila. gemondlichen Sottbesie Sterne un mich hereg rettet! mich vor niemand mehr, als vor einem Thoren, der einen Anlauf nimmt, flug zu werden. Wir müſſen nicht verzagen, wir haben mehr ſolche Szenen zi1 crwarten. Genug, daß fie einige Speiſe zu fich genommen, daß fie den Gedanfen gefaßt hat, an ihr liege es, die Fhrigen zu retten. Wir haben uns nur zu hüten, daß wir ſie nicht zu geſchwinde geheilt glauben, baß wir den Gemahl ihr nicht eher zeigen, bis ſie fähig iſt, ſeine Gegenwart zu ertragen. Laß uns eilen, ihr Plaß machen! Sie konimt hierher, wo neue Erſcheinungen auf ſie warten! (Beide ab.) Lila (init dem Flöjdschen in der Hand). Ich habe dir unrecht ge- than, edler Alter! Ohne deinen Balſam würde es mir ſchwer geworden ſein, dieſen Süſtern, rauhen Weg zu wandeln. Die freundlichen Gottheiten ſind geſchieden. Mich hält die Nacht in ihren Tiefen. Die Sterne find geſchwunden. Ein rauher, ahnungsvoller Wind fchwebt um mich her. Chor der Gefangiten (von innen). Wer rettet! Liln. Es bangt und wehklagt aus den Höhlen! Chor (von innen.) Weh! Weh! Lila. Entgegen, ſchwaches Herz! Du biſt ſo elend und fürchteſt noch? Chor (von innen). Erbarmen! Was hilft uns Armen Des Lebens holder Tag! Lila. Es ruft dir! dir! um Hilfe! Die armen Ver- Laßnen! Ach! – Ja, es ſind die Deinen. Ihr Götter! Hier ſind ſie verſchloſſen! Hier gefangen! Ich halte mich nicht, es fofte, was es wolle. Ich muß ſie ſehen, fie tröſten und, wenn es möglich iſt, ſie retten!. Gefangne treten auf in Setten, beklagen ihr Schifal in einem traurigen Tanze, da ſie zuletzt Lila erblicfeii, ſtaunen ſie und raien ihr pantomimiſd), jid) zu entfernen. Liln. Ihr werdet mich nicht bewegen, euch zu verlaſſen. Vielleicht bin ich beſtimmt, euch zu befreiert und glüdlich zii machen. Der Himmel führt oft Unglückliche zuſammen, daß beider Elend gehoben werde. Friedrich tritt auf. Friedrid. Wer iſt die Vermegne, die ſich dem Auf- enthalt der Angſt und der Trauer nähern darf? Himmel, meine Nichte! Lila, biſt du's ? Lila. Friedrich! Darf id) mir tralien ? . Dritter Aufzug. 141 Friedrith. Ja, ich bin's. Lila. Du biſt es! (Sie faßt ihn an.) Seid Zeugen, meine Hände, daß ich ihn wieder habe! – Und in dieſein Zu- ſtande? Friedrid. Soll ich Sir's ſagen? Soll ich deine. Trauer vermehren? Ich bin, wir ſind in dieſem Zuſtande durch deine Schuld. Liln. Durch meine ? Friedrid. Erinnerſt du dich? Es iſt kurze Zeit, als ich dir nicht weit von dieſer Stelle begegnete. Lila. Deinen Schatten glaubte ich zu ſehen, nicht dich. Friedrid). Eben das war mein Unglück! Ich reichte dir die Hand, ich reichte dir fie flehend. Du eilteſt nur ſchneller vorüber. Ach, es war eben der Augenblick, da mich der Dämon durch ſeinen grauſamen Dger verfolgen ließ. Hätteſt du mir deine Hand gereicht, er hätte keine Gewalt über mich gehabt, wir wären frei und hätten zur Freiheit deines Gemahls zus ſammen wirken können. Lila. Weh mir! Friedrich. Siehſt du hier dieſe? Du kennſt ſie alle. Den frohen Karl, den ſchelmiſchen Heinrich, den treuen Franz, den dienſtfertigen Ludwig, dieſe guten Nachbarn hier, dil er: kennſt ſie. Küßt ihr die Hand! Freut euch ihrer Gegenwart! (Einige der Gefangenen treten zu ihr, geben pantomimiſdı ihre Freude zu erkennen und küſſen ihr die Hände.) Liln. Ihr ſeid's! Jhr ſeið mir alle willkommen! - Jn Ketten find' ich euch wieder! Gute Freunde! Hab' ich euch doch wieder! Sind wir doch wenigſtens zuſaminen! Wie lang iſt's, daß wir uns nicht geſehen haben? Wie kann ich euch retten? (Sie ſicht ſie von Verwundrungan, (dyweigt und ſieht ſie immer ſtarrer und ſtarrer an. Endlich wendet ſie ſich ängſtlid) Hinweg.) Wehe mir! Ich kann nicht bleiben, ich muß euch verlaſſen. Friedrid. Wie? Warum? Statt mit uns zu rat- ſchlagen, wie wir dem gemeinſamen Uebel entgehen können, willſt du fliehn? Lila. Ách, es iſt nicht Feigheit, aber ein unbeſchreiblich Gefühl. Eure Gegenwart ängſtigt mich, eure Liebe! Nicht die Furcht vor dem Ungeheuer. Stünde er da, ihr ſolltet ſehen, daß Lila nicht zittert. Eure Liebe, die ich inir nicht zueignen kanit, treibt inich von hinnen! Eure Stimine, euer Mitleiden mehr als eure Not! – Was kann ich ſagen? — Laßt mich – Laßt mich! I. 142 Lila. Friedrichy. Bleib und erwirb Den Frieden, Bleibe, du wirft uns befreien; Freundliche Götter verleihen Den ſchönſten Augenblick. Liln. Ach, mir iſt nicht beſchieden, Der Erde mich zu freuen; Feindliche Götter ſtreuen Mir Elend auf mein Glück! Friedrid. Laß dich die Liebe Laben! Lila. Ach, fie iſt mir entflohn! Friedrid. Mit allen Himmelsgaben Sollſt du ihn wieder haben, Iſt er ſo nahe fchon. Lila. Ach, alle Himmelsgaben Sollt ich im Traum nur haben? Wandre zum Grabe ſchon! (Lila geht ab, Friedrich und die übrigen ſehen ihr ver/cgen nadj.) Magus. Folgt ihr nicht! Haltet fie nicht auf! Ich habe cuch und ſie wohl beobachtet. Ich zweifle nicht an einem günſtigen Ausgange. Ich werde ihr folgen, ihr Mut cinſprechen, ſie hierher zurü&bringen. Es iſt die Zeit, da · der Dger von der Jagd zurückfehrt. Da fie der Liebe wenig Gehör gibt, laßt uns ſehen, ob Gewalt und Unrecht ſie nicht aus den Traune wecken. (Mague ab.) (Der Oger kommt von der Jagd zurück und freut ſich ſeiner Beute. Er läßt ſich von den Gefangenen bedicnien, fic formieren einen Tanz ; der Dger tritt in die Söyle.) Liln (welche eine Zeitlang von der Seite zugeſchen, tritt hervor). Nun erſt erfenn ich mich wieder, da mein Herz an dieſen fürchter: lidhen Platz fehnſuchtsvoll herfliegt. Ja, ich will's, ich kann's, ich bin's ihnen ſchuldig. Meine Freunde! Friedrid. Was bringſt du uns, Geliebte ? Liln. Mich ſelbſt. Es iſt nur ein Mittel, euch zu retten — Daß ich euer Schickſal teile. Friedrich. Wie? Lila. Mir iſt offenbart worden: ich muß dem Oger froßen, ihn auffordern, ihr reizen; und da ich keine Waffen habe, ihn zu bekämpfen, ihn zu überwinden, ſollen mir die Ketten willkommen ſein, die mich an eure Geſellſchaft ſchließen. Friedrich. Du magſt viel. Liln. Seid ruhig, denn ich bin der Eimer, ben das Schickſal in den Brunnen wirft, um euch heraus zlı ziehen. Dritter Aufzug. 143 Der Oger tritt auf, erblidt lila. Lila. Ungeheuer, tritt näher! Meine Stimme iſt die Stimme der Götter! Gib dieſe los, oder erwarte Sie Jiache ber Jinmergütigen! (linter dem Ritornell 311 folgender Arie zeigt der Oger ſeine Verachtung ihrer Sdwad)- heit; er gebietet den Seinigen, Netten Herbeizubringen, werde ihr angeirgt werden.) Tila. Ich biete dir Truk, Gib her deine Ketten! Die Götter erretten, Gewähren mir Schutz. Ich ſoll vor dir erzittern? Mir regt ſich alles Blut, Und in den Ungewittern Erzeigt ſich erſt der Mut. (Der Oger geht ab.) Fricdrid. šeit, da du dich ſo männlich bezeigſt, kann ich dir erſt ein Geheimnis entdecken, das vorher meine Lippe nicht überſchreiten durfte. Ja, du konnteſt allein durch dieſe That uns alle retten. Halte dich feſt an unſre Geſellſchaft! Lila. Iſt's gewiß? Friedrid. Ganz gewiß. Der Dämon hat ſeine Feinde mächtiger gemacht, er hat sich zum Siege gefeſſelt; er wird ſich einen Brand ins Haus tragen, der fein ganzes Reich verzehren ſoll. Liln.' Sage weiter. Ich ſehe nur Männer hier! Wo ſind meine Schweſtern, unſre Nichten, wo die Freundinnen? Friedrich. Auf das ſeltſamſte gefangen. Sie ſind genötigt, ihr Tagewerk am Rockei zu vollenden, wie wir Sen Garten zu beſorgen und im Palaſte zu dienen. Du wirſt ſie ſehen. Liln. Ich brenne: vor Begierde. Friedrid. Doch laß uns ohne Beiſtand der Geiſter nicht eilen; ſie kommen, wir bedürfen ihres Nats. Armaide, Chor der Feen treten auf. Almaide. Teure Schweſter, find' ich dich wieder ! Liln. In Freud' und Schmerzen. Gefangen hier mit dieſen Geliebten. Ihre Gegenwart tröſtet mich über alles und belebt meine Hoffnung. Almaide. Laß dich nicht wieder durch unzeitige Trauer, durch Bangigkeit und Sorgen zurückziehn. Gehe vorwärts, und du erlangſt deine Wünſche. Lila. Laßt mich bald ans Ziel meiner Hoffnungen ge- langen. 144 lila. Almaide. Schreite zu! Niemand kann es dir entrücken. Nur vernimm unſern Rat! Lila. Wie gern vernehm' ich, wie gern befolg' ich ihn! Almaide. Sobald du in dem Garten angelangt biſt, ſo eile an den nächſten Brunnen, dein Geſicht und deine Hände zu waſchen; ſogleich werden dieſe Ketten von deinen Armen fallen. Eile ſoðani in die Laube, die mit Roſenbüſchen um- chattet iſt. Dort wirſt du ein neues Gewand finden; bekleide dich damit, wirf deine Trauer ab und ſchmücke dich, wie es einer Siegerin ziemt. Lege den geſtickten Schleier ums Haupt; dieſer ſchüßt dich vor aller Gewalt des Dämons. Šo viel fönnen wir thun; das übrige iſt dein Werk. Lila. Belehrt mich weiter, was werd' ich finden? Almaide. Dieſe Freunde werden dir alles erflären. Dein Geiſt wird sich leiten, in jedem Augenblick das Rechte zu wirken. Nur froh! Nur baló! Wir ſagen, dein Gemahl, Dein Geliebter iſt nah. Lila. Sterne! Sterne ! Er iſt nicht ferne! Liebe Geiſter, kann es geſchehn, Laßt mich die Stätte des Liebſten ſehn! Götter, die ihr nicht bethöret, Höret, Hier im Walde Balde Gebt mir ben Geliebten frei! Ja, ich fühl beglückte Triebe ! Liebe Löſt die Zauberei. Friedrid und Almaide mit dem Chor der Feen und Gefangenen. Gerne! Gerne! Er iſt nicht ferne! Nur geduldig, es foll geſchehn! Du ſollſt die Stätte des liebſten ſehri." Wir, die wir das Schickſal Hören, Schwören, Hier im Walde Balde Machſt du den Geliebten frei! Sei nicht bange, ſei nicht trübe, Liebe Löſt die Zauberei. . 145 Bicrter Aufzug. Vierter Aufzug. Wald. Almaide. Friedrid). Friedrid. Nur einen Augenblick, meine Beſte! Welche Qual, bir ſo nahe zu ſein und dit kein Wort ſagen zil können! Dir nicht ſagen zu dürfen, wie ſehr ich dich liebe! Hab ich doch nichts anders als dieſen einzigen Troſt! Wenn mir auch der geraubt werden ſollte - Alitaide. Entfernen Sie ſich, mein Freund! Es ſind viele Beobachter auf allen Seiten. Friedrid. Was können ſie ſehen, was ſie nicht ſchon wiſſen: daß unſre Gemüter auf ewig verbunden ſind. Almaide. Laſſen Sie uns jeden Argivohn vermeiden, der unſer unwürdig wäre. Friedrids. Joh verlaſſe dich! Deine Hand, meine Teure ! (Er füßt ihre Hand.) Magus. Find' ich euch ſo zuſammen, meine Freunde? Verſpracht ihr mir nicht heilig, ihr wolltet auf euern Poſten bleiben?' Graf! Graf! man wořte fich klug betragen. Sie wiſſen, daß der Baron nicht immer guter Laune iſt, daß man ihn oft auf ſeine Schweſter eiferſüchtig halten ſollte. Friedrich. Machen Sie mir keine Vorwürfe! Sie wiſſen nicht, was ein Herz wie das meinige leidet. Alle dieſe langen Stunden Konnt' ich ihr fein Wörtchen ſagen; Eben habich ſie gefunden; Darf nicht meine Leiden klagen, Wenn ich lang beſcheiden war? (Zum Magus.) Ja, ich gehe, teurer Meiſter, Du beherrſcheft unſre Geiſter. (Zu Almaiden.) Ja, ich bleibe, wie ich war. (Zum Magus.) Laß ein fröftlich Wort mich hören! Ewig werd ich dich verehren, Aber, aber keine Lehren! Lehren nüßen mir kein Haar! Goetye, Werke. VII. 146 Lila. (Für ſich.) Klug hat er es unternommen; Lila ſoll Verſtand bekommen, Ach! und ich verlier' ihn gar! (Friedrich geht an der einen Seite av, an der andern der Magus mit Almaiden.) Der hintere Vorhang öffnet ſich. Man crblickt einen ſchön geſchmückten Garten, in Dojení Grunde cin Gebäude mit ſicben Hallen ſteht. Jede Haric iſt mit ciner Thüre verídloſjen, an deren Mitte cin Nocken und cinc' Spindel befeſtigt iſt; an der Ścite des Nockcns find in jeder Thüre zwei Deffnungen, ſo groß; daß ein paar Arinc Surdh- reichen können. Alles iſt romantijdj verziert. Die Chöre der Gefangenen ſind mit Gartenarbeit beſchäftigt, das tanzende ormicrt cin Ballcit. Graf Friedrid und der Magus treten Herein. Der Magus ſcheint mit dem Grafen cine Abrede zu nehmen und geht ſodann auf der andern Seite ab. Friedrid) gibt den Chöreil ein Zeichen. Sie ſtellen ſich an beide Seiten. Friedrich. Auf aus der Ruh! Auf aus der Nuh! Höret die Freunde, ſie rufen euch zu ! Horchet dem Sange, Šchlaft nicht ſo lange! Chor. Auf aus der Ruh! Auf aus der Nuh! Höret die Freunde, fie rufen euch zu! Chor der Frauen (von innen). Laßt uns die Ruh! Laßt uns die Ruh! Liebliche Freunde, nur fingt uns dazu! Fuer Getöne Wieget ſo ſchöne! . Laßt uns die Nuh, Liebliche Freunde, nur fingt uns dazu! Chor der Männer. Auf aus der Nul! Höret die Freunde, ſie rufen euch zu! Horchet dem Sange, Zaubert nicht lange! Äuf aus der Ruh! Höret die Freunde, fie rufen euch zu! (E3 Taſſen ſich Hände ſchen, die aus den Deffnungen Heraus greiſen, Noden ab Spindel faſſen und zu ſpinnen anfangen.) Chor der Männer. Spinnet dann, ſpinnet dann · Immer geſchwinder! Endet das Tagwerk, Ihr Lieblichen Kinder ! Chor der Frauen (von innen). Freudig im Spinnen, Eilig zerrinnen Uns die bezauberten Ledigen Stunden. :1 Vierter Aufzug. 147 0 - Ach, find ſo leichte Nicht wieder gefunden! Chor der Männer. Spinnet dann, ſpinnet dann Immer geſchwinder ! Endet das Tagwerk, Ihr lieblichen Kinder! Es eröffnen ſid, die ſieben Thüren. Marianne tritt ohne Maske aus der mittelſten, Sophie und Lucie aus den nächſten beiden. Das ſingcuide und tanzendo Chor der Frauen komint nad) und nach in ciner gerviſjon Drdiuulg hervor. Dos fingende Chor der Frauen tritt an die Scite zu dem Chor der Männer, zl. Friedridjen; die beiden tanzenden Chöre vereinigen ſich in cinen Ballette; indeſjen jingen : Die Chöre der Männer und Frauen. So tanzet und ſpringet In Neihen und Kranz! Die liebliche Jugend, ſhr ziemet der Tanz. Am Rocken zu ſiten Und fleißig zu ſein, Das Tagwerk zu enden,' Erfriſcht euch das Blut, Der traurigen Liebe Geht Hoffnung und Mut! (Vorſtehendes Tutti wird mit Abfälzen gejungen, ziviſchen werden der Ballettmeiſter in Geſtalt des Dämong ein Solo und mit den erſten Tänzerinnen zu zivci, aud) zu drei tanzt. Ueberhaupt wird die ganze Anſtalt des vierten Utts völlig ſeinem Gc= chinac iiberlaſſen.) Lila (welche ſich während des vorhergchenden Tanzes maidymal blicken laſſen, tritt unter der letzten Strophe in die Mitte der Tanzenden und Singenden. Sie hat ein weißes Kleid an, mit Blumen und fröhliden Farben geziert). So find’ich euch denn alle hier zuſammen! Wie lange hab' ich euch entbehren müſſen! Darf ich hoffen, daß die Gewalt des Dämons bald überwunden wird? Sophie. Sie iſt's durch deine Gegenwart. Sei uns willkommen, Schweſter ! Lila: Willkommen, meine Sophie! Meine Lucie, will- kommen! Marianne, biſt du es wirklich? Marianne. Umarme inich, teure Freundin ! (Alle begrüßen ſie, umarmen ſie, küſjen iyr die Hände.) Lila. Wie wunderlich ſeid ihr angezogen! Lucie. Bald hoffen wir von Gieſen Kleider!i, von dieſem läſtigen Schmucke befreit zu ſein. 148 Lila. Lila. Welch eine ſeltſame Erſcheinung tritt hier auf? Magus. Erkennſt du mich nicht, meine Freundin? Liln. Sagt mir, woran ich bin! Es kommt mir alles, ich komme mir ſelbſt ſo wunderbar vor. Iſt das nicht unſer Garten? Iſt das nicht unſer Gartenhaus? Was ſoll die Mummerei am Hellen Tage ? Frr' ich mich nicht, ſo ſcheinſt du älter, als du biſt. Dieſer Bart ſchließt nicht recht ans Kinn. Magus. In wenig Augenblicken ſiehſt du mich wieder. Du biſt am Ziele; ergöße dich mit den Deinigen, bald folift du deinen letzten Wunſch befriedigt ſehn. Du ſollſt deinen Gemahl in deine Arme ſchließen. (ab.) Lila. Am Ziele! Ich fühle Die Nähe Des lieben Und flehe, Getrieben Von Hoffnung und Schmerz: Ihr Gütigen, šhr könnt mich nicht laſſen! Laßt mich ihn faſſen, Selig befriedigen Das bangende Herz! Der Baron, Graf Altenſtein, Berazio in Hangkleidern treten auf. Der Baron. Haltet mich nicht länger! Wenn Fuer Mittel gewirkt hat, werter Doktor, ſo iſt es Zeit, daß wir uns ihrer verſichern! Lila! meine Geliebte, meine Gattin! Lila. D Himmel, mein Gemahl! Wo, kommſt du her? So erwartet und ſo unerwartet! Mein Dheim! Meine Freunde! Mein Gemahl! Während der Freude des Wiedererkenneng ſingt: Das Chor. Nimm ihn zurück! Die guten Geiſter geben Dir ſein Leben, Dir-Sein Glück; Neuem Leben, Uns gegeben, Komm in unſerit Arm zurück! Vierter Aufzug. 149 Friedrid. Empfinde dich in ſeinen Küſſen Und glaub? án deiner Liebe Glück: Was Lieb' und Phantaſie entriſſen, Gibt Lieb' und Phantaſie zurück. Chor. Nimm ihn zurüd! Die guten Geiſter geben Dir ſein Leben, Dir dein Glück! Marianne. Er überſtand die Todesleiden, Du haſt vergebens dich gequält: Zu unſerm Leben, unſerit Freuden Haſt du uns nur allein gefehlt. Chor. Neuem Leben, Ins gegeben, Komm in unſern Arm zurück! Lila. Ich habe dich, Geliebter, wieder, Umarme dich, o beſter Mann! Es beben alle mir Sie Glieder Vom Glüß, das ich nicht faſſen kann. Chor. Weg mit den zitternden, Alles verbitternden Zweifeln von hier! Nur die verbündete, Ewig begründete Wonne ſei dir! Kommt, ihr entronnenen, Wiedergewonnenen Freuden heran! Lebet, ihr Seligen, So die unzähligen Tage fortan! Die Fiſcheri nt. Ein Singſpiel. Auf den natürlichen Schauplatz im Park zu Tiefurt an der Ilm vorgeſtellt. Perſonen. Dortchen. Niklas, ihr Bräutigain. Ihr Vater. Nachbarn. Inter hohen Erlen am Fluſſe ſtehen zerſtreute Fiſcherhüttent. ES ift Nacht und ſtille. An einen kleinen Feuer find Töpfe geſetzt, Neke und Fiſchergeräte zings umher aufgeſtellt. Dortdhen (beſchäftigt, fingt). Wer reitet ſo ſpät durch Nacht und Wind? Es iſt der Vater mit ſeinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Ärm, Er faſt ihn ſicher, er hält ihr warm. Mein Sohn, was birgſt du ſo bang dein Geſicht? – Siehſt, Vater, bu den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif? – „Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar ſchöne Spiele ſpieľ ich mit dir; Manch bunte Blumen find an dem Strand, Meine Mutter hat manch gülden Gewand." - Mein Vater, mein Vater, und höreſt du nicht, Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern fäuſelt der Wind. — „Willſt, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter ſollen dich warten ſchön; Meine Töchter führen den nächtlichen Neihn lind wiegen und tanzen und ſingen dich ein." - Die Fiſcherin. 151 Mein Vater, mein Vater, und ſiehſt du nicht dort Erlkönigs Töchter am. Süſtern Drt? - Mein Sohn, mein Sohn, ich ſeh' es genau: Es ſcheinen die alten Weiden ſo grau. - „Ich liebe dich, mich reizt deine ſchöne Geſtalt; Habiter : Und biſt du nicht willig, ſo brauch ich Gewalt!" — Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat unir ein Leids gethan! – Dem Vater grauſet's, er reitet geſchwind, Er hält in Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Müh und Not; In ſeinen Armen das Kind war tot." Nun hätt' ich vor Ungeduld alle meine Lieder zweimal durchgeſungen, und es thäte not, ich finge ſie zum Dritten- mal an. Sie kommen noch nicht! kommen nicht! und bleiben wieder wie gewöhnlich unerträglich außen, fo heilig ſie ver- · ſprochen haben, heute recht beizeiten wieder da zu ſein. Die Erdäpfel find zu Mulin verkocht, die Suppe iſt angebrannt, · mich hungert, und ich ſchiebe von jedem Augenblick zum an- dern auf, meinen Teil allein zu eſſent, weil ich immer denfe, fie kommen, ſie müſſen kommen. "Bei den Mannsleuten iſt alle Mühe verloren, ſie ſind doch nicht zu beſſern. Ich habe gedroht, gemurrt, Geſichter geſchnitten, das Eſſen verdorben und, wenn das alles nicht helfen wollte, recht ſchön gebeten; und ſie machen's einen Tag wie den andern nach ihrer Weiſe. Ueber Niklas ärgere ich mich an meiſten; denn der will wunder thun, als wenn er mich lieb hätte, als wenn er mir alles an den Augen abſehr wollte, und dann treibt er's doch, als wenn ich ſchon ſeine Frau wäre. Verlohnte fich's nur der Mühe, ſo möchte noch alles gut ſein. Kämen fie immer von ihrem Fange recht beladen zurück, daß das Schiff ſinken möchte und man was zu Marfte tragen könnte, da möcht's noch gut ſein, man fönnte nachher auch wieder etwas auf ſich wenden und brauchte nicht immer ſo ſchlecht zu eſſen, zu trinken und einherzugehn. Gerade das Gegenteil! je weniger gefangen, je ſpäter kommen ſie nach Haus. Neulich abend habe ich ihnen vom Hügel zugeſehen, wie ſie's machen, und wäre faſt vor lingeduld vergangen. Anſtatt hübſch friſch zu rudern, laſſen ſie den Kahn treiben und rauchen ihr Pfeifchen in Ruh. Da kommt einer den Fußpfad am Ilfer her, da reitet einer ſeine Pferde in die Schwemme, da gibt's Guten- 152 Die Fiſcherin. tags und Gutenabends, daß kein Ende iſt. Bald fahren ſie da an, bald dorten, und das größte Unglück iſt, daß die Schenke am Waſſer liegt. Sie ſind gewiß wieder ausgeſtiegen und laſſen ſich's wohl ſein, und wann ſie nach Hauſe kommen, ſind ſie wieder burſtig. Es iſt mir recht zuwider! recht ernſt- lich zuwider ! Für Männer uns zu plagen, Sind leider wir heſtimmt. Wir laſſen ſie gewähren, Wir folgen ihrem Willen; Und wären ſie nur dankbar, So wär' noch alles gut. Und rührt ſich im Herzen Der Unmut zuweilen: Stille! heißt es, Stille, liebes Herz ! Aber ich will auch nicht länger Allen ihren Grillen folgen, Alles mir gefallen laſſen; Will nach meinem Kopfe' thun! Wenn ich nur was anſtellen könnte, was ſie recht ver- bröſſe! Wenn ich böſe thue, ſind ſie freundlich, und wenn ich ihnen die Schüſſel hinſtoße, ſo eſſen fie ganz gelaſſen. Wenn ich mich in eine Ecke feke, ſo ſprechen ſie unter ſich. Man ſagt immer, die Weiber ſchwätzten viel, und wenn die Männer anfangen, ſo hat's gar kein Ende. Ich will mich ins Bette legen und das Feuer ausgehn laſſen, da mögen ſie ſehen, wer ihnen aufwartet. Ja, was hilft mich das? Da laſſen ſie mich wohl auch liegen! Ich wollte lieber, ſie zankten und Tärmten; es iſt nichts abſcheulicher als gleichgültige Manns- leute! Sch bin ſo wild, ſo toll, daß ich gar nicht weiß, was ich anfangen ſoll. Ich möchte inir ſelbſt was zuleide thun! Sie werden mich am Ende noch raſend machen! Und wenn's gar zu bunt wird, ſo ſpring' ich ins Waſſer! Da mögen ſie zuſehn, wo ſie ein Dortchen wiederkriegen, das ihnen ihre Sadjen ſo ordentlich hält und alles von ihnen erträgt, nicht von Hauſe kommt und für alles ſorgt. Wann ich tot bin, da werden ſie fehn, was ſie an inir gehabt haben, werden ſich ihre Undankbarkeit vorwerfen, es wird aber zu ſpät ſein, und es wird mir und ihnen nichts helfen. (Sie fängt an zu weinen.) Da werden ſie ſich die Haare ausraufen und werden ſchreien Die Fiſcherin. 153 und jammern, daß fie nicht eher nach Hauſe gekommen ſind. Aber ich bin doch ein rechter Narr, daß ich mich ſo un ſie betrübe! Und wann ſie nach Hauſe komment, thun ſie, als wenn's gar nichts wäre. Ich fönnte fie ſchon ſtrafen, daß fie mich ſo oft in Sorgen laſſen für nichts und wieder nichts, und wenn ich denke, es iſt einen ein Unglück geſchehen, ſo Laſſen ſie ſich's beim Branntewein wohl ſchmecken. - - fa, das will ich thun! Es ſoll ausſehen, als wenn ich ins Waſſer gefallen wäre. Den einen Eimer will ich verſtecken und den andern aufs Brett hinauf ſtellen und mein Hütchen ins Ge- büſch hängen: ſie ſollen glauben, ich ſei ins Waſſer gefallen, und am Ende will ich ſie recht auslachen. (Man hört von weitem ſingen.) Ich höre fie ſchon von weitem. (Sie macht alles zurechte, Ftellt den Eimer, hängt das Hütchen ins Gebiiſdhe.) So ſieht's recht natür- lich aus! Nun mögt ihr’s haben! (Sie verſtedt fich.) Der Vater und Niklas (in der Ferne im Mahne). Wenn der Fiſcher 's Nek auswirft, Die Fiſchlein aufzufangen, Spannt er ſtill und hoffnungsvoll, Viel Beute zu erlangen. Raſch wirft er die Garn hinaus; Kehrt betrübt und leer nach Haus. Fähret denn den andern Tag Mit ſeinem Schifflein wieder, Und von ſchönem, reichem Fang Sinkt das Schiff faſt nieder; So wir fuhren heut hinaus, Kehren vergnügt und reich nach Haus. Dortden (läßt ſich wieder ſehen). Faſt wird mir’s bange! Ich möcht es wieder weg thun! Soll ich? Soll ich nicht? Šie ſind gar zu nahe, ich muß es laſſen. Niklas (Herausſpringend). Haltet an! Ich will den Kahn feſtbinden. Vater. Das hieß ein Fang! Niklas. Der beſte im ganzen Fahr. Vater. Und ſo unvermutet! Ich dachte an nichts weniger. Nur geſchwind! daß ſie nur alle, wie ſie ſind, in die Fiſch- kaſten kommen bis morgen frühe. Niklas. Sie gehn nicht alle hinein. Vater. Wir laſſen einen Teil in den Gefäßen ſtehen. 154 Die Fiſcherin. Sie müſſen nur in der Nacht noch einmal friſch Waſſer haben. Mikins. Dafür laßt mich ſorgen. Vater. Gib her, ich will das hinübertragen. Niklas. Geht nur hinauf und ruht aus, und ſagt's Dortchen, und ſeht, wie es mit dem Eſſen ſteht. Sie wird uns gewiß freundliche Geſichter inachen, da wir ſo glücklich nach Hauſe kommen. Vater. Du wirſt nicht fertig. Niklas. Gleich! Gleich! Gebt nur acht, wie geſchwind ich bin. Vater (Herauskommend). Es iſt doch ein großer Unterſchied, ob man viel gefangen hat oder nichts. Geht's? Kommiſt du zurecht? Niklas. Recht gut! Vater. Dortchen! – Wo ſtickſt du? Dortchen! (Er ſudst ſie iiberall um.) Nun, wohin die ſich verlaufen hat! (31 den Topf ſchend.) Das kocht alles, als wenn kein Waſſer in der Nähe wäre, es verbrennt ſchier. Niklas, mache, daß du fertig wirft. Dortchen iſt nicht da, und unſere Mahlzeit geht im Rauch auf. Ýiklas. Šie wird bei Suſen ſein; ruft ihr doch! Vater. Sie wird ſchon kommen! Wir wollen es ſchon allein verzehren, und ſie hat ihren Teil doch immer vorne weg. Sie kann nicht warten. Für eine Braut hat ſie einen erſchrecklichen Appetit. Nun luſtig! Vorauf einen Schluck Branntewein, den haben wir wohl verdient. Auf dem Fluß und auf der Erde Iſt der Fiſcher wohlgemut, Auf dem Fluß und auf der Erde Geht's dent armen Fiſcher, Geht's dem Fiſcher ſchlecht und gut. Um zu hungern und zu dürften, Fähret er des Morgens aus, ünð mit vieler Müh und Sorgen Findet er ſein Stückchen Brot. Macht uns auch das Waſſer naß, Macht die Luft uns wieder trocken, Und wir leben nach wie vor. Niklas (der im Heraufkommen die lekten Verſe mitſingt). Das iſt recht hübſch und gut, wenn man es nicht beſſer haben kann. Vater. Beſſer! Da verſuch' einmal die Erdäpfel. Die Fiſcherin. 155 Niklas. Ich kann Euch verſichern, in der Stadt haben fie's bequemer. (Er jicht herum.) Stickt ſie denn nirgends? Dortchen! Lieb Dortchen! Nicht zu Hauſe? Sollte ſie ſich verſteckt haben? Sie wartet ſonſt To voll Ungeduld, ſie iſt nicht leicht von ihrem Herde wegzubringen. Vater. Sebe did, her! Niklas. Die Gerichte laſſen ſich auch ſtehend verzehren. Vater. Du warſt heute ſo nachdenklich. Niklas. Ich geſteh's Euch, daß es mir im Kopf herunt geht, was ſo ein Bauerjunge ein vornehmer Herr wird, wenn er in die Stadt kommt. Pater. Ja, das ſteckt an. Niklas. Wenn ich Dortchen habe, meintet Ihr nicht, daß ich mich brinnen nach einem Dienſte umſehen ſoll? Vater. Was iſt denn fadrinnen zu fiſchen? Niklas. Genug! nur mit andern Neßen. Vater. Was kannſt du denn, um dich fortzubringen? Dikins. Ich kann alles Vernen. Vater. Ein hübſcher Anfang! Niklas. Ich habe nichts zu verlieren. Vater. Eine ſchöne Ausſtattung! und eine beredte Em- pfehlung dazu; denn du haſt eine ſchöne Frau. Niklas. Nein, Vater, darauf verſteh ich keinen Spaß. Vater. Ach, du kannſt alles Ternen!' Niklns. Da ſchmeiß' ich gewiß zu. Vater. Da ſchmeißt fich's nicht ſo. Niklas. Wo nur Dortchen iſt? Vater. Laß fie ſein und rede! Nikins. Was denn? Vater. Schwabe nur! Niklas. Bovon? Vater. Was du willſt. Niklas. Es fällt mir nichts ein. Vater. So Yüge was! Niklas. Die ſchönen Livreen haben mir lange in die Augen geſtochen. Sie haben's recht bequem, gut Eſſen und Trinken und eine Ausſicht auf ihre alten Tage. Vater. Das ſticft dir gewaltig im Kopfe. Und was ſoll ich denn indeſſen anfangen? Niklas. Ihr kommt immer fort. Vatrr. Aber wie? Niklas. Und könnt hernach zu uns ziehn. 156 Die Fiſcherin. Vater. Sei kein Thor! Ich laff euch nicht weg, und Damit iſt's aus. Niklas. Ich hör' ſie kommen. Vater. JB nur und ſei ruhig! Niklas. Nein, es war nichts. Vater. Sie wird nicht ausbleiben. Und nächſtens noch weniger. Niklas. Laßt mich nach ihr gehn. Vater. Ich mag nicht allein ſein. Niklas. Ich will ihi rufen. Vater. So ruhe doch! Sing eins, daß die Zeit ver- geht, und darnach werden wir ungewiegt einſchlafen. Ich rauche mein Pfeifchen dazu, und genug für heute. Niklas. Wenn ſie nur da wäre, fänge ich den zweiten. Vater. So finge du jeßt beide zuſammen. Šei kein Kind! Vikins. Was wollt Ihr denn? Vnter. Mir iſt's eins. Niklas. Die Geſchichte vom Waſſermann? Vater. Wie der Waſſermann das Mädchen aus der Kirche holt? Niklas. Eben das. Vater. Sollte denn da dran was Wahres ſein? Miklas. Behüte Gott! Es iſt ein Märchen. Vater. Du meinſt, es wäre ganz und gar erlogen? Miklas. Freilich! Vater. Ich habe doch manchmal auch wunderſame Ge- fchichten gehört und oft geſchieht einem auch ſo was, wo es nicht juſt ift. Biſt du niemals getickt worden? Niklas. Ach ja, aber bei Tage. Vnter. Ich rede nicht gern davon. Miklas. Es find Sinbildungen. (Er fängt an 311 ſingen.) Vater. Es platzte dahinten etwas. Niklas. Nicht doch, es iſt das Waſſer. Vater. So ſing nur. Ich bin nun ſchon ſo alt ge- worden, und manchmal überläuft mnich's doch. Niklas. Nun hört denn auch, es iſt eher lächerlich als grauslich. „O Mutter, guten Rat mir leiht, Wie ſoll ich bekommen die ſchöne Maid?" Sie baut ihm ein Pferd von Waſſer klar, Und Zaum und Sattel von Sande gar. , 157 Die Fiſcherin. Sie kleidet ihn an zum Nitter fein; So ritt er Marienkirchhof hinein. Er band ſein Pferð an die Kirchenthür, Er ging um die Kirch' Greimal und vier. Der Waſſermann in die Kirch' ging ein, Sie kamen um ihn, groß und kleiit. Der Prieſter eben ſtand vorm Altar: „Was komit für ein blanker Nitter dar?" Das ſchöne Mädchen lacht in fich: „D, wär? Der blanke Ritter für mich!" Er trat über einen Stuhl und zwei: „OMädchen, gib mir Wort und Treu!" Er trat über Stühle brei und vier: „O ſchönes Mädchen, zieh mit mir!" Das ſchöne Mädchen die Hand ihm reicht: „Hier haſt du meine Treu, ich folg' dir leicht.“ Sie gingen hinaus mit Hochzeitſchar, Sie tanzten freudig und ohne Gefahr. Sie tanzten nieder bis an den Strand, Sie waren allein jeßt Hand in Hand. Halt, ſchönes Mädchen, das Roß mir hier! Das niedlichſte Schiffchen bring' ich dir.“ Und als ſie kamen auf den weißen Sand, Da kehrten ſich alle Schiffe zu Land; Und als ſie kamen auf den Sund, Das ſchöne Mädchen ſank zu Grund. Noch lange hörten am Lande fie, Wie das ſchöne Mädchen im Waſſer ſchrie. Ich rat euch Jungfern, was ich kann: : Geht nicht in Tanz mit dem Waſſermann. Vater. Sin luſtiger Tanz! eine schöne Invitation! Niklas. Habt Ihr nichts ſchreien gehört? Vater. Einbildungen! Wenn ich mich nicht fürchte, hör? ich nichts; dir fällt noch was aus dem Lied ein. Piklás. És ſchrie wahrhaftig. Mir fiel's unterm Singen ſo aufs Herz, und ich wollte fchwören, ich hörte was. Vater. Fängſt du nun an? du Großhans ! Miklas. Ich ruh Euch nicht eher, bis ich weiß, wo ſie iſt. Vater. Sie iſt kein klein Kind, ſie wird nicht ins Waſſer fallen. Niklas. Der Waſſermann iſt mir zuwider. Vater. Siehſt du nicht gar die Nige! 158 Die Fiſcherin. Niklns. Nein, es ahnet mir was. Vater. Es träumt dir. Nikins. Es gibt ein Unglück! ein Unglück ! Vater. Geh nur! Lauf nur! Du machſt unir bange. Ich will auch ſuchen. Niklas. Dortchen! Dortchen! Vater. Nur nicht ſo ängſtlich. Dortchen! Niklas. Mein Dortchen! Vater. Faſſe dich nur, ſei nicht ſo albern! Niklas. Ach, mein Dortchen! mein Dortchen! Pater. Lauf nur zu Suſen, ich will zum Gevatter hinauf. Niklas. Sie wäre gewiß hier. Vater. Es iſt nicht möglich. Niklas. Vater, ich fahre aus der Haut. Vater. So geh nur vom Flecke! Šehe nur nach, am Ende liegt ſie gar im Bette! Niklas. Nein Doch, nein! Vater. Sie hat erſt Waſſer holen wollen, da ſteht der Stutz. Mikins. Wo iſt der andre? ich ſeh' ihn nicht. Vater. Wer weiß ! Niklns. Vater, ach Vater! Vater. Was iſt's? Niklas. Ich bin des Todes! Vater. Was gibt's ? Niklas. Sie iſt ertrunken! Hier hängt ihr Hütchen. Im Waſſerſchöpfen fiel fie hinein! Vater! Vater. Laß ſehen! Laß ſehen! Unglück über alle Un- glücke! Helft! helft fie retten! Sie iſt ertrunken! Sft unvorſichtig In Fluß geſunken! Un Gottes willen, Was ſtehſt du da? Niklas. Es lähmt der Schrecken Mir alle Glieder. Ich ſteh' verworren, Ich finke nieder; Ich kann nicht wiſſen, Wie mir geſchah. . Die FiſcherinH . 159 . . Pnter. Die Nachbarn ſchlafen, Ich will ſie wecken. Áuf! hört uns, höret! Vernehmt das Schrecken! Chor (erſt einzeln, dann zuſammen). Was gibt's! Wer ruft uns? Uns durch die Nacht? Vater. Helft! helft fie retten! Sie iſt ertrunken! Iſt unvorſichtig fit Fluß geſunken! üm Gottes willen, Was ſteht ihr da! Alle (bald wechſelnd, bald zuſammen). Gilt nur geſchwinde! Lauft nach den Reuſen! Wohl blieb ſie hangent. Und zündet Schleißen Und brennet Fácein Und Feuer an! *) Geſchwind zu Schiffe ! Herbei die Stangen, Šie aufzuſuchen, Sie aufzufangen! Den Strom hinunter! Habt acht! Habt acht! Dortden (aus dem Gebüſdhe hervortretend). Es iſt mir der Streich, Er iſt mir gelungen! Doch ſind ſie in Schreden Und Ängſt um mich! Ich habe die Lieben Vergebens geängſtet; Mich jammern die Armen! *) Auf dieſen Moment war eigentlich die Wirkung des ganzen Stücks beredynet. Die Zuſdauer ſagen, ohne es zu verinuten, dergeſtalt, daß ſie den ganzen idylängein- den Fluß hinunterwärta vor ſidi hatten. 3n dem gegenwärtigen Augenblick jah man crít Jaden jid, in der Nähe bewegen. Auf mehrcrca Rufen cridhienen ſic aud) in der Ferne; Sann loderten auf den ausſpringenden Erdzungen fladernde Feuer auf, weldie mit ihrem Schein und Widerſchein den nädyſten Gegenſtänden die größte Deut- lichkeit gaben, indeſjen die entferntere Gegend rings umher in tiefer Nadit lag. Selten hat man eine ſchönere Wirkung geſchen. Sic dauerte, inter manderlei Abwedſelungen, bis an das Ende des Stüds, da denn das ganze Tablcau niod, cinnal aufloderte. 160 Die Fiſcherin. Ich eile, zu ſagen, Ich eile, zu rufen: Hier bin ich! Noch leb' ich! Noch leb' ich für euch! (ab.) Vater (der von dem Waſſer Heraufkommt). Ihre Stimm' hab' ich vernommen; Himmel! wäre ſie entkommen! Hör ich hie? und hör' ich da? Šie ſchien fern und ſchien mir ntah. Vortden (zuriickkehrend). Ja, Jhr habet recht vernommen; Ach, ich bin zu ſpät gekommen! Lieber Vater, ich bin da! O, verzeiht mir, was geſchah! Vater: Wie? und du biſt nicht ertrunken? Find' ich dich nicht einmal feucht? Dortden. Ich bin nicht in Fluß geſunken, Vater, wie es Euch gebeucht. Vater. Heiſa luſtig! Šie iſt wieder hier! :: Hört auf, zu ſuchen! Hört auf, euch zu ängſten! Kommt her, Freut euch mit mir! Doch wo, ſag' an, haſt du geſteckt? Dortren. Verzeiht, wenn ich Euch ſo erſchreckt! 9, laßt Euch ſagen: Ich wollt' Such plagen, ich wollt Euch neden' und Euch erſchrecken; ich macht' Euch bange, · Weil für ſo lange Von Hauſe bleibt. Ja, mein Vater, Ihr müßt mir verzeihen, es war wirk- lich nicht ſo bös gemeint. Shr wißt, wie ich Euch immer fo inſtändig bitte, mich nicht warten zu laſſen, zur rechten Zeit beim Eſſen zu ſein. Glaubt Ihr, daß mich's niemals ver- drießt, $aß ich niemals Langeweile habe, wenn ich ſo bis in die tiefe Nacht alleine fißen muß und Ihr außen bleibt und Ineinen Bräutigam zurückhaltet, daß er nicht ſo bald wieder Die Fiſcherin. 161 bei mir ſein kann, als er es gern wünſchte. Ihr müßt mir dieſe Poſſe nicht übel nehmen und wieder gut ſein. Vater. Du Böſewicht! Du ungeraten Kind! Uns ſo zu necken, So zu erſchrecken! Niklas verzweifelt, Dich zu erretten; Nachbarn und Freunde Sind aus den Betten, Jammernt und klagen, Schrei'n und verzagen. Sag', welch ein Mutwill', Tolie, dich treibt! Dortdjen. Hört mich nur! Schreit nicht fo! Haltet mit Schelten! Pater. Möcht' ich doch, Sollt' ich doch Dir es vergelten! Dortden. Glaubt nur, es reut mich, Was ich gethan. Vater. Kaum und mit Mühe Halt ich mich an. Niklas (kommt mit den andern). Ach Himmel, fie lebt! fie iſt ba! Dortchen, wo biſt du geblieben? Dortdjen. Lieber Niklas! Vater. Es iſt dein Glück, daß fie kommen! Niklas. Sag' mir nur! – Ich muß dich küſſen! Vater. Weg init ihr! Sie verdient die Freude nicht. Niklas. Ich kann mich noch nicht erholen. Dortdent. Rede dem Vater zu ! Niklas. Vater, beruhigt Euch! fie iſt ja nicht verloren. Vater. Ei was! davon iſt die Rede nicht! Sie ver- diente, daß ich ihr den Mutwillen austriebe. Miklås. Was ſoll das heißen? Vater. Verſtehſt du denn nichts ? Niklas. Ich habe noch nichts gehört. Dortren. Vergib mir im voraus ! Niklas. Ich begreife kein Wort. Vater. Sie hat uns zum beſten gehabt. Guethe, Werke. VII. 11 162 Die Fiſcherin. Dortelen. Ihr habt mich oft genug geängſtigt; da wißt ihr, wie's thut. Niklas. Wie kam denn dein Hütchen hier ins Gebüſche? Dortdjen. Ich hing's hinein. Niklas. Du Vogel! Es war kein feiner Spaß; denn du weißt, wie wir dich lieben. Dortden. Mit Üeberlegung geſchah's nicht. Der Un- mut überraſchte mich. Wie oft ſoll ich noch ſagen, verzeiht ! Niklas. Unter einer Bedingung. Dortrhen. Und die ? Niklas. Daß du Erriſt machſt. Und daß wir von den Fiſchen, die wir heute gefangen haben, die ſchönſten morgen zur Hochzeit auftiſchen. Doridjen. Laß mich! Vater. Ganz gut! Wenn's mir nachgeht, ſollſt du keine Gräte davon zu ſehen kriegen und ſollſt Sein ja noch lange für dich behalten." Dortdjen. Das wäre keine große Strafe. Vater. Denk doch! Ich nehm' dich beim Wort; du darfſt mir den Kopf nicht toller machen. Niklns. Stille, Vater, und laßt uns gewähren. Ich habe Eure Einwilligung, und wegen der Schäferei wollen wir – Vnter. lind über eurem Geſchwäße wollen wir nicht vergeſſen, daß die Nachbarıt mit Recht einen großen Dank und einen guten Schlaftrunk fordern können, da wir ſie doch umſonſt geweckt haben. Sieh, wie ſie beiſammen ſtehen und ſich vermundern, daß uns nichts einfällt. . Niklas. ſhr habt recht. Dortchen, gib uns die Flaſche. Sie haben ſich's um deinetwillen recht angelegen ſein laſſen. Es war ihnen rechter Ernſt, dich zu finden und dich zu retten. Ich hab es erſt geſehen, wie lieb dit allen biſt. (Dortdien bringt Flaſde und Glas, denkt ein und reicht's dem Alten.) Vater. Gute Freunde, tauſend Dank! Und zu guter Nacht eure Geſundheit! Profit allerſeits! Und nun rings herum auf das Wohl des Brautpaars! Alle (trinken). Profit hoch! Vater. Das Mädchen, wovon du geſtern das Lied ſangſt, kriegte einen Mann durch Witz; du kriegſt ihn durch Schalk: heit. Ihr probiert doch alle Wege, bis einer gelingt. Dortder. Pfui doch! Das wäre auch der Mühe wert. Vater. Es war ein Ritter, er reiſt' durchs Land, Er ſucht ein Weib nach ſeiner Hand. Die Fiſcherin. 163 Er kam wohl an einer Witwe Thür, Drei ſchöne Töchter ſaßen vor ihr. Der Ritter, er ſah und ſah ſie lang; Zu wählen war ihm das Herz ſo bang. Niklas. Wer antwort’t mir der Fragen drei, zu wiſſen, welche die meine ſei! Dortden. Leg' vor, leg' vor uns der Fragen brei, Zu wiſſen, welche die deine ſei! Niklas. Sag', was iſt länger als der Weg baher ? Und was iſt tiefer als das tiefe Meer?" - Oder was iſt lauter als das Laute Horn ? Und was iſt ſchärfer als der ſcharfe Dorn? . Oder was iſt grüner als grünes Gras? Und was iſt ärger als ein Weibsbild was ? Vater. Die erſte, die zweite, fie ſannen nad); Die dritte, die jüngſte, die ſchönſte ſprach : Dortchen. D, Lieb? iſt länger als der Weg daher, Und Höll iſt tiefer als das tiefe Meer, Und der Donner iſt lauter als bas laute Horn, Und der Hunger iſt ſchärfer als der ſcharfe Dorn, Und Gift iſt grüner als grünes Gras, und der Teufel iſt ärger als ein Weibsbild was. Pater. Kaum hat ſie die Fragen beantwort't ſo, Der Ritter, er eilt und wählet fie froh. Die erſte, die zweite, ſie ſannen nad), Indes ihnen jetzt ein Freier gebrach. Alle. Drum, liebe Mädchen, feid auf der Hut! Frägt euch ein Freier, antwortet gut! Vater (zu den Nachbarn). Ihr wollt nun wohl auch wieder zu Bette? Kommt nur noch einen Augenblick herunter, zu ſehr, was wir für einen Fang gethan haben. Ich muß ihnen noch friſch Waſſer geben; mein einer Fiſchfaſten iſt zu Trüm- mern, und in den andern gehn ſie nicht alle. (alb mit den Nadbarn.) Miklas. Was biſt du ſo ſtill ? Dortden. Laß mich in Ruhe! Niklas. Biſt du nicht vergnügt, die ineine zu ſein? Dortchen. Es hat ſich! Niklas. Bin ich dir zuwider? Dortden. Wer ſagt das? Niklas. Du ſchienſt mich ja ſonſt nicht zu verachten? Dortden. Wer thut das? Niklas. Du magſt mich nicht? 164 Die Fiſdherin. Dortden. Hab' ich dir einen Korb gegeben? . Niklas. Ich verſteh' dich nicht. Dortdcit. Du biſt mir beſchwerlich. Niklas. Soll ich gehn? Dortden. Wenn dir's gefällt. Niklas. Das heißt mit einem Bräutigam wunderlich umgehen. Dortden. Morgen! ſchon morgen! Niklas. Nun, warum nicht, wenn du mid) lieb haft? Dortchen. Ach! Niklas. Was fehlt dir? Ich kann dich nicht ſo traurig fehen, ich bin's gar nicht gewohnt. Rede, erfläre dich! Dortchen. Was ſoll dir das? Geh nur hinunter! helfe dem Alten, daß er fertig wird, daß er nicht ewig kramt. Niklas. Liebſt du mich? Dortden. Ja doch! geh nur! Niklas. Und biſt ſo niedergeſchlagen! Dortdei. Plage mich nicht! Ich bin deine Braut, morgen deine Frau; da haſt du einen Kuß drauf und laß mich allein. (Sie füißt ihn, und er gett ab.) Dortchen. So muß und ſoll es denn ſein, was ich ſo lange wünſchte und fürchtete. Ich hab's geſagt ſchon meiner Mutter, Schon aufgeſagt vor Sommers Mitte: Such', liebe Mutter, dir nur ein Mädchen, Ein Spinnermädchen, ein Webermädchen. Ich hab geſponnen genug weißes Flächschen, Hab? genug gewirket das feine Linnchen, Hab' genug geſcheuert die weißen Tiſchdien, Hab' genug gefeget die grünen Höfchen, Hab' genug gehorchet der lieben Mutter, Muß nun auch Horchen der lieben Schwieger, Hab' genug geharket das Gras der Auen, Hab' genug getragen den weißen Harken. O bu inein Kränzchen von grüner Kaute, Wirſt nicht lang grünen auf meinem Haupte! Shr meine Flechtchen von grüner Seide, Sollt nicht mehr fünfeln im Sonnenſcheine ! o du mein Härlein, mein gelbes Härlein, Wirft nicht mehr flattern im wehnden Winde! Die Fiſcherin. 165 Beſuchen werd' ich die liebe Mutter · Nicht mehr im Kranze, ſondern 'im Häubchen! D du mein Häubchen, mein feines Häubchen, Du wirſt noch ſchallen im mehnden Winde! Und du meint Nähzeug, mein buntes Nähzeug, Du wirſt noch ſchimmern im Mondenſcheine! Ihr meine Flechtchen von grüner Seide, Ihr werdet hangen, mir Thränen machen! Ihr meine Ringchen, ihr goldnen Ringchen, Thr werdet liegen, in Kaſten roſten! Vater (indem er Heraufkommt). Nicht wahr, das ſind fette Burſche? Niklas. Nun gute Nacht! Vater. Gute Nacht allerſeits ! Sagt doch auch der Braut gute Nacht! Alle. Gute Nacht an Jungfer Dortchen! Morgen um dieſe Zeit - Dortdien. Verſchont mich mit dem Spaß! Ich habe das Gerede recht ſatt, und wenn ihr es morgen nicht beſſer treibt, ſo mag die Sule Braut ſein! Sdlußgeſang. Wer foli Braut ſein? Eule ſoll Braut ſein! Die Eule ſprach zu ihnen Hinwieder, den beiden: Ich bin ein ſehr gräßlich Ding, Kann nicht die Braut ſein, Ich kann nicht die Braut ſein! Wer foll Bräutigam ſein? Zaunkönig foll Bräutigam ſein! Zaunkönig fprach zu ihnen Hinwieder, den beiden: Ich bin ein ſehr kleiner Kerl, i Kann nicht Bräutigam ſein, Ich kann nicht der Bräutigam ſein! Wer ſoll Brautführer ſein? Krähe foll Brautführer ſein! Die Krähe ſprach zii ihnen Hinwieder, den beiden: Ich bin ein ſehr ſchwarzer Kerl, 166 Die Fiſcherin. 1 Kann nicht Brautführer ſein, Ich kann nicht der Brautführer ſein! Wer foli Roch ſein? Wolf Toll Roch ſein! Der Wolf, der ſprach zu ihnen Hinwieder, den beiden: Ich bin ein ſehr tück'ſcher Kerl, Kann nicht Koch ſein, Ich kann nicht ber Koch ſein! Wer ſoll Mundſchenk ſein? Haſe foll Mundſchenk ſein! Der Haſe ſprach zu ihnen Hinipieder, den beiden: Ich bin ein ſehr ſchneller Kerl, Kann nicht Mundſchenk ſein, Ich kann nicht der Mundſchenf ſein! Wer fol Spielmann ſein? Storch ſoll Spielmann ſein! Der Storch, der ſprach zu ihnen Hinwieder, den beiden: Ich hab' einen großen Schnabel, Kann nicht wohl Spielmann ſein, Ich kann nicht wohl Spielmann fein! Wer ſoll der Tiſch ſein? Fuchs ſoll der -Tiſch ſein! Der Fuchs, der ſprach zu ihnen Hinwieder, den beiden: Sucht euch einen andern Tiſch! Ich will mit zu Tiſch ſein, Ich will mit zu Tiſch ſein! Was ſoll die Ausſteuer ſein? Der Beifall ſoll die Ausſteuer ſein. Kommt, wendet euch zu ihnen, Die unſerm Spiele lächeln! Was wir auch nur halb verdient, Geb' uns eure Güte ganz, Geb' uns eure Güte ganz ! Sderz, Siff und Rache. Ein Singſpiel. Perſonen. Scapin. Scapine. Doktor. & r ft er Nkf. Straße. Scapine (mit einem Körbchen Waren; ſie kommt aus dem Grunde nad) und nads hervor, betraditet beſonders cins der vorderſten Häuſer zu ihrer linken Hand). Will niemand kaufen Von meinen Waren? Soll ich nur laufen? Wollt ihr nur ſparen? O ſchaut heraus! Ich fah's nur flüchtig, Schon in der Weite; Doch iſt es richtig, Es iſt die Seite, Es iſt das Haus! Wie kommt es, daß ich ihn nicht ſehe, Daß er nicht hören will ? Ich darf nicht rufen. - Scapin,' mein Mann, ſteckt hier in dieſem Hauſe. Der Herr davon iſt eigentlich Ein alter Knaſterbart, Ein Arzt, der manchem ſchon den Weg gewieſen, Den er nicht gerne ging. Doch niemand hat er leicht Geſchadet mehr als uns. Wir hatten eine Muhme, die uns zwar Nicht übermäßig günſtig war; Allein ſie hätt uns doch ihr bißchen Gelb, 168 Scherz, liſt und Rache. Und was ſie ſonſt beſaß. Aus löblicher Gewohnheit hinterlaſſen,' Hätt' dieſer Schleicher nicht gewußt, In ihrer Krankheit aufzupaſſen, Uns anzuſchwärzen, Von unſerin Lebenswandel Viel Böſes zu erzählen, Daß fie zuleit, haló ſterbend, halb verwirrt, Ihm alles ließ und uns enterbte. - Wart' nur, du Knauſer! Warte, Tüdiſcher! Unwiſſender! du Thor! Wir haben dir es anders zugedacht. Ganz nah! ganz nah! noch dieſe Nacht Biſt du um deinen Fang gebracht. Ich und mein Mann, wir haben andre ſchon Áis deinesgleichen unternominen. Verriegle nur dein Haus, Bewahre deinen Schak, Du ſollſt uns nicht entkommen. Will niemand kaufen Von meinen Waren? Soll ich nur laufen? Wollt ihr nur ſparen? O, ſchaut heraus! Scapin (am Fenſter). Biſt du's? . Scapine. Wer anders? Hörſt du endlich ? Scapin. Still! Still! Ich komme gleich! Der Alte ſchläft! Still, daß wir ihn nicht wecken! (Er tritt zurüd.) Scapine: Schlafe nur dein Mittagsſchläfchen, Schlafe nur! es wacht die Lift. Schon ſo ſicher, daß dein Schäfchen Im Trocknen iſt? Warte, du bereuſt es morgen, Was du frech an uns gethan! 50 55 Erſter Akt. 169 60 65 Warte! warte! Deine Sorgen Gehn' erſt an. Hrapiit (in krüppelhafter Geſtalt). Wer iſt hier? Wer ruft? Scapine (zurüdtretend). Welche Geſtalt! Wer iſt das? Scapin (näher tretend). Jemand Bekanntes. Scapine. D verwünſcht! Scapin! biſt du's? Scapin (ich aufrichtend). Das bin ich, liebes Weibdien! Du gutes Rind, du allerbeſter Schatz! copine. O lieber Mann, ſeh' ich Sich endlich wieder ! rapiir. Kaum halt ich mich, daß ich dich nicht beim Kopf Mit beiden Händen faſſe und auf einmal Für meinen fangen Mängel mich entſchädige... Scapine. . Laß ſein! Geduld! Wenn's jemand fähe, Das könnt uns gleich das ganze Spiel verderbent. enpiir. Du biſt ſo hübſch, ſo hübſch, du weißt es nicht! Und vierzehn lange Tage Hab' ich dich nicht geſehn! Scapine. Sieh doch, ſogar auf dich wirkt die Entfernung! - Laß uns nicht weiter tändeln! Laß uns ſchnell . Bereden, was es gibt. Du haſt dich alſo glücklich Beim Älten eingeſchmeichelt? Haſt Dich ihm empfohlen? Biſt in ſeinem Dienſte ? Scapin. Zwei Wochen faſt. Scapine. Wie haſt du's angefangen? Durch welchen Weg biſt du Ins Heiligtum des Geizes eingedrungen? 70 75 80 170 • Scherz, Liſt und Radje. 85 90 100 Hrapin. Es war ein Kunſtſtück, meiner wert. Ich wußte, daß er ſeinen Diener Schnell weggejagt und nun allein Zu Hauſe war. In der Geſtalt, Wie du mich ſiehſt, (er nimmt nad und nach die Strüppelgeſtart wieder an) ſaß ich vor ſeiner Thür. Und er ging aus und ein und ſah mich nicht, Brummte und ſchien mich nicht zu ſehn; Mein Anblick war ihm keineswegs erbaulich. Zulegt ächzť ich ſo lange, daß er ſich Verdrießlich zu mir kehrte, rief: Was willſt sil hier? Was gibt's? - Und ich war fix und bückte mich erbärmlich. Arm und elenð follt ich ſein. Ach! Herr Doktor, erbarmt Euch inein! (In der Perſon des Doltors.) Geht zu andern, guter Mann! Armut iſt eine böſe Krankheit, Die ich nicht kurieren kann. (Ats Bettler.) Ach, weit bittrer noch als Mangel Iſt mein Elend, meine Krankheit, . Iſt mein Schmerz und meine Not; Könnt Ihr nichts für inich erfinden, Ift mein Leben nur ein Tod. (Als Doklor.) Neiche den Puls! Laß mich ermeſſen, Welch ein Uebel in dir ſteckt. (A13 Boitier.) Ach, mein Herr! ich kann nicht eſſen. (A1s Doltor.) Wie? nicht eſſen? (Ats Bettyer.) fa, nicht eſſen! Lange, lang’ hab' ich vergeſſen, Wie ein guter Biſſen ſchmeckt. (Als Doftor.) Das iſt ſehr, ſehr ſonderbar! Aber ich begreif' es klar. 105 110 115 Erſter Akt. 171 120 125 130 (Ais Bettler.) Eine Küche nur zu ſehen, Gleich iſt es um mich geſchehen; Nur von fern ein Gaſtmahl 'wiitern, Macht mir alle Glieder zittern; Würſte, Braten und Paſteten Sind im ſtande, mich zu töten; Wein auf hundert Schritt zu riechen, Bringt mich in die größte Not; Reines Waſſer muß mir gnügen Und ein Stück verſchimmelt Brot. Ich ſah ihn an; kaum hatt er es vernommen, Als er ſich auf einmal beſann. In ſeinem Herzen war das Mitleið angekommen, Ich war fein guter, lieber, armer Mann. Ach! rief ich aus, ich mag noch alle Pflichten Von jedem Herrendienſt mit Munterfeit und Treu, Was man mir aufträgt, gern verrichten: Nur macht mich eines Herrn wollüſtig Leben ſcheu. Er fann und freute ſich und kurz und gut, Mein Uebel mar ihm mehr als ein Empfehlungsſchreiben. 135 Er ſprach: Mein Tiſch empört dir nicht Das Blut, Du kannſt getroft in meinem Hauſe bleiben. Wir wurden einig, und ich ſchlich mich ein. Scapine. Wie ging es dir ? Hrnpint. Eh nun! Ich faſtete ganz herrlich Dem Anſchein nach; Doch wie er den Rücken wendete, That ich im nächſten Gaſthof Nach aller Luſt mir reichlich was zu gute. capine. Und er? Scapin. Von ſeinem Geize, ſeinem fargen Leben, Von ſeinem Unſinn, ſeinem Ungeſchick Erzähl ich nichts; Darüber ſollſt du noch An manchem ſchönen Abend lachen. Genug, ich weiß nun, wie es ſteht, 140 Mild er 145 150 172 Scherz, lift und Radc. 155 160 105 Ich kenne die Gelegenheit Und jeden Winkel feines Hauſes. und ob er gleich Mit ſeiner Kaffe ſehr geheim iſt, So wett ich doch, Von jenen hundert köſtlichen Dufaten, Die uns gehörten, Die er uns vor der Naſe weggeſchnappt, Iſt noch kein einziger aus ſeinen Händen. Dit ſchließt er ſich ein und zählt, Und ich habe durch eine Nike Das ſchöne Gold zuſammen blinken ſehn. Wenn wir nun klug ſind, Iſt es wieder unſer. Scapine. So glaubſt du, jener Streich, Den wir uns vorgenommen, Sei durchzuſetzen? Scapin. Ganz gewiß! Verlaſſe dich auf mich! Nur merke wohl! Scapine. Ich merke. Scapin. fru feinem Zimmer ſtehen zwei Geſtelle Mit Gläſern, eins zur Linken, und zur Rechten Mit Büchſen eins und Schachteln: Dies iſt das Arſenal, woraus der Tod Privilegierte Pfeile ſendet. Äuf dem Geſtelle zur Rechten, Ganz oben, rechts, ſteht eine runde Büchſe, Not angemalt, Wie auf den andern Reihen Mehr Büchſen ſtehn. Doch dieſe fannſt du nicht verfehlen; Sie ſteht zuletzt, allein, Und iſt die einzige von ihrer Art In dieſer Reihe. In dieſer Büchſe iſt das Rattengift Verwahrt, 170 175 - Erſter Akt. 173 190 195 Arſenik ſteht auch außen angeſchrieben. Das nerfe dir! capine. Wie? auf dem Geſtelle rechts ? Scapin. Wohl! Scapine: Und auf der obern Reihe Die lekte Büchſe? Scapin. Necht. Scapine. Arjerif ſteht daran, Und ſie iſt rot und rund ? Scapin. Vollkommen. Du kennſt fie Wie Deinen Mann, von innen und von außen. Wir muſtern eben ſeine Flaſchen und ſeine Büchſen, Notieren, was an Arzeneien abgeht; Da bring' ich bei Gelegenheit die Sachen durcheinander, Daß ein Verſehn noch mehr wahrſcheinlich werde., 200 Sinpine. Brav! Und übrigens ſoll alles gehn, Wie wir es abgeredet? scapin. Gewiß. Scapine. Du fürchteſt nichts von deines Herren Klugheit? 205 Scapiir. Mit nrichten! Wenn dit die Kunſt, Ohnmächtig dich zu ſtellen, noch verſtehſt, Mit ſtockendem' Pulſe Für tot zi1 liegen, Wenn mir der Kopf am alten Flecke ſteht: Nur friſch! es gerät! Er iſt ein ganz erbärmlicher Menſch, Ein Schelm und überdies ein Narr, So recht ein Kerl, Von dem die Leute gerne glauben, Es ſtecke etwas hinter ihm verborgen. 210 215 174 . Scherz, Liſt und Nache. 220 225 230 Nur friſch, inein Liebchen! Deine Hand! und guten Mut, So iſt der Braten unſer! Scapine. Es ſchleicht durch Wald und Wieſen Der ſäger, ein Wild zu ſchießen, Frühmorgens, eh es fagt. capir. Die Mühe ſoll uns nicht verdrießen; Auch wir ſind angewieſen, Ein jedes hat ſeine Jagd! Scapine. Auch wir ſind angewieſen! Die Mädchen auf die Tropfen, Die Weiber auf die Thoren, Die Männer auf die Narren. O, welche hohe Jagd! capiir. Es muß uns nicht verdrießen! Denn oft iſt Malz und Hopfen Bei allen gar verloren; Man muß vergebens harren, Wenn man nichts Kühnes magt. Beide. Es muß uns nicht verdrießen! capine. Denn oft iſt Malz und Hopfen Scapin. An ſo viel armen Tropfen, Scapilte. So viel verkehrten Thoren, Scapin. Und alle Müh verloren. Scapine. Der ganze Schwall von Narren Sinpin. Läßt euch vergebens harren, Beide. Wenn ihr nichts Kühnes wagt. 235 240 Zweiter Akt. 175 245 250 Scapin. Es iſt nun deine Sache, Ich weiß, wie klug du biſt. Süß iſt die Rache Und angenehm die Lift. Scapine. Es iſt gemeine Sache; Ich weiß, wie klug du biſt. Šüß wird die Rache Und angenehm die Liſt. capin. So eile Und komme bald zurück! Scapinc. Ich weile Nicht einen Augenblick. Beide. Ich lade dich auf heute Zu neuen Ergötungen ein. Die Rache, die Lift, die Beute, Wie ſoll ſie, wie wird ſie uns freun! 255 Zweifer Nkf. Zimmer, Geſtelle init Arzeneibüchſen und Gläſern im Grunde, Tiſch zur rechten, Großvaterſtuhl zur linken Seite der Spielenden. Der Doktor (mit Geldzählen Bejchäftigt). Süßer Anblick! Seelenfreude! Augenweid' und Herzensweide! Erſte Luſt und lebte Luſt! Zeigt mir alle Erdegaben, Alles, alles iſt zu haben, Und ich bin es mir bewußt! Die meiſten Menſchen kommen mir Wie große Kinder vor, Die auf den Markt mit wenig Pfennigen Begierig eilen. 10 - 176 Scherz, Liſt und Nache. 15 25 So lang die Taſche noch Das bißchen Geld verwahrt, Ach! Da iſt alles ihre, zuckerwerk und andre Näſchereien, Die bunten Bilder und das Steckenpferdchen, Die Trommel und die Geige ! Herz, was begehrſt du? – Und das Herz iſt unerſättlich! Es ſperrt die Augen ganz gewaltig auf. Dod) iſt für eine dieſer Siebenſachen Die Barſchaft erſt vertändelt, Dann adieu, ihr ſchönen Wünſche, Ihr Hoffnungen, Begierden! lebt wohl! In einen armen Pfefferkuchen Seid ihr gefrochen; Kind, geh nach Hauſe! Nein! nein! ſo ſoll mir's niemals werden. So lang ich dich beſitze, Seid ihr mein, Jhr Schätze dieſer Erde! Was von Beſitztum Jrgend einen Reichen Erfreuen kann, Das ſeh' ich alles Und kann fröhlich rufen: Herz, was begehrſt du? Soll mich ein Wagen Mit zwei ſchönen Pferden tragen? Gleich iſt's gethan. Willſt du ſchöne reiche Kleider? Schnell, Meiſter Schneider, Méſ' Er mir die Kleider an! -- Haus und Garten? Hier iſt Geld! Spiel und Karten? Hier iſt Geld! Köſtlich Speiſen? Weite Reiſen? Mein iſt, mein die ganze Welt! Herzchen! Liebes Herzensherzchen? — 35 40 Zweiter Akt. . 177 (Es klopft.) Was begehrſt du, Herzensherzchen? Fordre nur die ganze Welt! Welcher Anblick, welche Freude! Augeniveid' und Seelenweide! Erſte Luft und letzte Luſt! Zeigt mir alle Erdegaben, Alles, alles iſt zu haben, Und ich bin es mir bewußt! Wer klopft ſo leiſe ? Gewiß mein Diener. Er glaubt, ich ſchlafe, Indes ich mich Ăn meinen Schäßen wohl beluſtige. (laut.) Wer klopft? – Biſt du's? Frapin. Wacht Shr, mein Herr und Meiſter? Doktor (als gähnte er). Ach! Oh! Xu! Ah! Soeben wach' ich auf, Gleich öffn’ ich dir die Thüre. Warte! Warte! cupin (hereintretend). Wohl bekomm' Euch das Schläfchen! Doktor. Id denk', es ſoll. Haſt du indeſſen Den Umſchlag fleißig gebraucht? Haſt du die Tropfen eingenommen? capin. Das verſäum' ich nie. Wie ſollt ich auch den eignen Leib ſo haſſen, Nicht alles thun, was Ihr verordnet ? Unendlich beſſer fühl ich mich. Seht nur, mein Knie verliert die alte Krümme, Schon fang'ich in Gelenke Bewegung an zu ſpüren, Und bald bin ich durch Eure Sorgfalt Friſch wie zuvor. Nur, ach! der Appetit Will noch nicht kommen! Goethe, Worke. VII. 70 75 80 - 85 178. Scherz, Liſt und Rache. Doktor. Danke dem Himmel dafür! Wozu der Appetit? Unð wenn du keinen haſt. Brauchſt du ihn nicht zu ſtillen. — Laß uns nun wieder an die Arbeit gehn. Wo ſind wir ſtehn geblieben? Welche Reihe haſt du zuleßt gehabt? Scapin (am Geſtelle deutend). Hier ! Dieſe. Doktor. Wohl, wir müſſen eilen, Damit ich wiſſe, was von jeder Arzenei, Von jeder Species mir abgeht, Daß ich beizeiten mich in Vorrat ſeke. Ich habe ſchon zu lange gezaudert, Es fehlt mir hie und ba. Scapin (ſteigt auf einen Tritt mit Stufen, der vor dem Nepoſitorium ſicht). Rhabarbar! Iſt zur Hälfte leer. 100 Doktor (am Schreibtiſch). Wohl. Scapin. Der Lebensbalſam! Faſt ganz und gar verbraucht. Doktor. Ich glaub' es wohl; Er will der ganzen Welt faſt ausgehn. 105 Scapin. Präparierte Perlen! — Wie? Die ganze Büchſe voll! Ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll. Shr wißt ja ſonſt recht ivohl zu ſparen; Verſchwendet Ihr ſo sie föſtlichſte" der Waren ? 110 Doktor. Gar recht! Du haſt dich nicht geirrt; Ja wohl bin ich ein guter Wirt, Es jammerte mich ſtets, die Perlen klein zu inahlen; Für diesmal ſind es Auſterſchalen. capin, Königlich Elixir! – Wie rot, wie.ſchön glänzt dieſe volle Flaſche! 105 115 Zweiter Akt. 179 120 125 Mein guter Herr, erlaubt mir, daß ich naſche; Vielleicht errett' ich mich von aller meiner Pein. Doktor. Laß ſie nur ſtehen! Laß ſie ſein! Man nimmt es nicht zum Zeitvertreibe. Die Kraft des Elixirs iſt aller Welt bekannt, Von ſeiner Wirkung königlich genannt; Es ſchlägt gewaltig durch und läßt Euch nichts im Leibe. (ES klopft.) Doch fahre hübſch in einer Reihe fort. Was ſoll das ſein? Du biſt bald hier, bald dort! 125 (Es klopft.) Doktor. Mich dünkt, es pocht. Scapii. Ich hab es auch vernommen. Doktor. Der Abend iſt ſchon nicht mehr weit. Geh hin und ſieh; es iſt ſonſt nicht die Zeit, Wo Patienten kommen. (Scapin ab. Der Doktor beſchäftigt ſid, während des Ritornells mit dieſem und icnem.) Scapii (kommt zurüd). Herr! ein Mädchen! Herr! ein Weibchen, Wie ich keines. lang geſehn. Wie ein Schäfchen, wie ein Täubchen! Jung, beſcheiden, fanft und ſchön. Doktor. Führ herein das junge Weibchen! Mich verlanget, ſie zu ſehn. 135 Scapin. Nur herein, mein Turteltäubchen! Sie inuß nicht von weitern ſtehn. Doktor. Nur herein! D wie ſchön! (Bu zwei.) Nur herein! Dwie ſchön! So beſcheiden und ſo ſchön! . , 140 Nur herein! Sie muß nicht von weitem ſtehn. 130 180 Scherz, Lift und Rache. 1.15 150 Scapine. Ein armes Mädchen! Vergebt, vergebet! Ich komm' und flehe üm Rat und Hilfe Von Schmerz und Not. Ich bin ein Mädchen! Nennt mich nicht Weibchen! Ihr madjt mich rot. Doktor. Mein liebes Kind, Sie muß fich faſſen; Tret Sie getroft herbei, Sie darf vor aller Welt ſich frei, Vor Kaiſer und vor Königen ſich ſehen laſſen. Was fehlt Ihr? Rede Sie! Sie darf ſich mir vertraun. 155 Wie ſoll man mehr auf äußres Anſehn baun! Wer Sie nur fähe, ſollte ſchwören, Sie ſei recht wader und geſund; Ich glaub' es ſelbſt, es muß fhr ſchöner Mund Mich eines andern erſt belehren. Scopine. Wollt Ihr den Puls nicht fühlen, weiſer Mann? Vielleicht erfahrt Ihr mehr, als ich Euch ſagen kann. (Sie reicht ihm den Arm.) Doktor, Ei! ei! Was iſt das? Wie geſchwind! Wie ungleich! Bald früher, bald ſpäter. Das kindiſche, unſchuldige Geſicht! – Im Herzchen iſt kein Gleichgewicht. Ja, ja, gewiß; der Puls iſt ein Verräter. Zaudre nicht! die Zeit vergeht! Geſteh, wie es in deinem Herzen ſteht! Scapine. Ach! wie ſollt' ich das geſtehen, Was ich nicht zu nennen weiß? Mir nicht ſo ins Aug geſehen! Nein, miein Herr, es wird inir heiß. 175 160 165 170 Zweiter Akt. 181 180 det inte seregelterben? 185 Fühlen Sie mein Herz! es ſchläget, Es beiveget Meine Bruſt ſchon allzuſehr! Ach! was fotí ich denn geſtehen? - Mir nicht ſo ins Aug geſehen! Nein, mein Herr, ich kann nicht mehr. (Sie hat ſich während der Arie mandımal nach Scapin umgeſehen, als wenn ſie ſich vor ihm fürditete.) Doktor. Ich verſtehe dich); Du trauſt mir wohl, Doch willſt du dich vor dieſem Burſchen da Nidit explizieren. Ich lobe die Beſcheidenheit. (Zu Scapin.) Haſt du nichts zu thun, als dazuſtehn? Geh hin, beſchäft'ge dich! capiir. Mein Herr, der Anblick heilet mich: Ich fühle nach und nach ein himmliſches Behagen; 190 Ich glaube gar, mir knurrt der Magen! Wie durch ein Wunder flieht die Pein, Die Luft zum Eſſen ſtellt ſich ein. O, dürft' id), un es zu beweiſen, Gleich hier in dieſen Apfel beißen! (Er greift ihr an die Wangen.) Doktor. Willſt du! – Unverſchämter! Hinaus mit Sir! Was fällt dir ein? Der Biſſen iſt für dich zu fein. (Er treibt ihn fort.) Nun, ſchöner Schak, ſind wir allein. Geſtehe mir nun, was dich quälet, Was du zu viel haſt, was dir fehlet. Scapine. O, ſonderbar und wieder ſonderbar Jſt mein Geſchick! Ich gleiche mir nicht einen Augenblick; Es iſt ſo feltſam und ſo wahr! Gern in ſtillen Melancholieen Wandl ich an dem Waſſerfall, Und in ſüßen Melodieen Locket mich die Nachtigal. 195 200 205 182 Scherz, Liſt und Nache. 2101 215 220 225 Doch hör ich auf Schalmeien Den Schäfer nur blaſen, Gleich möcht' ich mit zum Neihen Und tanzen und raſen, Und, toller und toller Wird's immer mit mir. Seh' ich eine Naſe, Möcht' ich ſie zupfen; Seh' ich Perücken, Möcht' ich ſie rupfen; Seh' ich einen Rücken, Möcht' ich ihn patſchen; Seh' ich eine Wange, Möcht ich ſie klatſchen. (Sie übt ihren Mutwillen, indem ſie jedes, was ſie ſingt, gleich an ihn außläßt.) Hör' ich Schalmeien, Lauf ich zum Reihen; Toller und toller Wird's immer mit mir. (Sie zwingt ihn zu tanzen, chreudert ihn in cine Ede, und wie ſic ſich erholt hat, fällt ſie iwieder ein.) Nur in ſtillen Melancholieert Wandl ich an den Waſſerfall, Und in ſüßen Melodieert Lodet' mich die Nachtigall. Doktor. Nun! nun! bei dieſem ſanften Paroxysmus Wollen wir's bewenden laſſen! Daß ja der tolle Dämon nicht ſein Spiel Zum zweitenmal mit meiner Naſe treibe. (Wie ſie eine muntere Gebärde annimmt, fährt er zuſammen.) Noch niemals hat ein Kranker So deutlich ſeinen Zuſtand init beſchrieben. Ein Glück, daß es nicht öfter kommt! Doch kommen auch ſo ſchöne Patienten Nicht öfters. Liebſtes Kind, Hat Sie Vertraun zu mir? Scapine (freundlich und zuthätig). Vertraun? Ich dächte doch! Hab' ich mich nicht genugſam expliziert? 230 . 235 240 Zweiter Akt. 183 2.45 2.15 250 Doktor. O ja! vernehmlich! – Ich meine nur, Vertraun - (er thut ihr ſchön, fie crwidert's) Was mian Vertrauen heißt, Wodurch die Arzenei exft kräftig wird – Gut! — Merke Sie, mein Schat: Die große Heftigkeit verſpricht kein langes Leben; Ich merk' es wohl, die Säfte ſind zu ſcharf. (Beiſeite.) Ich muß ihr Arzeneien geben, Damit ſie einen Arzt beðarf. (Während des Ritornells des folgenden Ductts bringt der Dottor einen kleinen Tiſch hervor, und indein er cinen Bedjer darauf fetzt, fällt er ein.) Doktor. Aus dem Becher, ſchön verguldet, Solift du, liebes Weibchen, trinken; Aber laß den Mut nicht ſinken: Es iſt bitter, doch geſund. 255 Scopine. Ewig bleib' ich Euch verſchuldet; Gern gehorch' ich Guern Winken; Was fhr gebet, will ich trinken, Ich verſprech’s mit Hand und Mund. Doktor (der jedesmal hin und wieder läuft und von den Nepojitorien Büchſen und Gläſer bolt und davori in den Becher cinjdjüttet, ſic aber zuſammen auf dem Tiſche icben dem Becher ſtehen läßt). Drei Meſſerſpitzen Von dieſem Pulver ! Drei Portiönchen Von dieſem Salze! Nun ein paar Löffel Von dieſen Tropfen! 265 Nun ein halb Gläschen Von dieſem Safte! D welch ein Tränkchen! O welch ein Trank ! ja, mein Kindchen, das erfriſchet; Du haſt ganz gewiß mir Dank ! Srapine. Ach, mein Herr! Ach miſdhet, miſchet Nicht ſo viel in einen Tranf ! 260 270 184 Scherz, Liſt und Rache. 275 280 285 Doktor. Nun misceatur, detur, signetur! Wühlendes, ſpülendes, Kühlendes Tränkchen! Köftlicher hab ich Nie was bereitet!. Nimm es, vom beſten Der Wünſche begleitet! Zaudre nicht, Kindchen, Trinke nur friſch! Und du wirſt heiter, Geſund wie ein Fiſch. (Sie nimmt indeſjen den Becher, zaudert, felt ihn wieder hin. Einige Augenblide Pauſe. Stummes Spiel. Wie ſie den Bedher gegen den Mund bringt:) rapin (außen in einiger Entfernung). Hilfe ! Doktor. Was ſoll das ſein? Scapin. Hilfe! Scapine. Wen hör' ich ſchrein ? Scapin. Rettet! Doktor. Soll das mein Diener ſein? Scapin. Nettet! Scopine. Ich hör ihn ſchrein. Scapin (hereintretend). Feuer! Feuer! Feuer im Dache ! 290 in obern Gemache Iſt alles voll Dampf. Doktor. Feuer im Dache ? šim obern Gemache? Mich lähmet der Krampf. 295 Zweiter Akt. 185 300 305 Scopine. Gilet zum Dache, Zum öbern Gemache! Wo zeigt ſich der Dampf? (Scapin ab.) Doktor. Ich bin des Todes! Auf immer geſchlagen! Scapine. Was ſoll ich ergreifen? Was ſoll ich Euch tragen? Doktor (ihr eine Schatulle reichend). Hier! nimm! Nein! laß! Scapine. Gebt her! Warum das? Doktor. Ich bin des Todes! Xuf immer geſchlagen! Mich lähmet der Krampf! Scapine. Laßt mich nur nehmen, Laßt mich nur tragen! Niecht Ihr den Dampf? Scapin (mit ein paar Eimern). Hier bring' ich Waſſer. Auf! Waſſer getragen! Es mehrt fich der Dampf. Doktor. Welche Verwirrung! Entſeßen und Graus ! Scapin. Filet und löſchet Und rettet das Haus ! Scapine. Faſſet und traget Und ſchleppet hinaus ! (Sie dringt der Doktor die Eimer auf, ſie rennen lvie ujinnig durdieinander, cida lidi ſchieben ſie den Doftor zur Thüre yinaus; Scapin hinter ihm brein, Scaping Tehrt in der Thiire um und bricht, da ſie ſich allein ſicht, in ein lautcz Laden aus.) 310 31.5 320 186 Scherz, Liſt und Nache. 325 . 330 Ha! ha! ha! ha! Nur unverzagt, Geſchwind gewagt! Das iſt vortrefflich gut gegangen! (Sie gießt den Trank zum Fenſter hinaus und ſtellt den Becher wieder an ſeinen Plak.) Ha! ha! ha! ha! Da fließt' es hin! Wir haben ihn! Er iſt mit Haut und Haar gefangen. Geſchwind, daß ich das Beſte nicht vergeſſe! Wo ſteht die Büchſe ? (Sie ſieht ſich an den Stepoſitorien um.) Hier! das muß fie fein. (Sie ſteigt auf dem Tritt in die Höhe.) Arſenik! ja, getroffen! ſchnell getauſcht! - Dieſe hier iſt ziemlich ähnlich, Weißes Pulver in dieſer, wie in jener. (Sic verwechſelt die Büdiſen, ſetzt eine auf das Tijdjdjen, die andere hinauf.) Gut! Welch Entſetzen wird den Alten faſſen! Welch Unheil ihn ergreifen, - Wenn er mich Durch ſeine Schuld vergiftet glaubt! Und nun geſchwind, zu ſehen, wo ſie bleiben, Daß ich ihn nicht verdächtig werde. Nur unverzagt! . Es iſt vortrefflich gut gegangen. Wir haben ihn! Er iſt mit Haut und Haar gefangen. 345 335 340 Drifter Nkf. Das Theater bleibt unverändert. Doktor. Scapin. Doktor. Welche Tollheit? welcher Unſinn Hat den Kopf Dir eingenommen? Unverſtänd'ger Tropf! Dritter Akt. 10 Scapin. Lobet meine häuslichen Sorgen, Meinen wadern Kopf! Unrecht bin ich angekommen, Aber bin kein Tropf. Doktor. Rede nicht, Unglücklicher! Ich kann die Halben Gräſer, Büchſen und Schachteln, Mein halb Dispenſatorium Hinunter ſchlucken, Eh ich den Schaden Wieder aus meinen Gliedern Rein Heraus zu ſpülen Im ftande bin. Scapin. Fhr habt ja ohnedies Gar manche Arzeneien Aufs neue zu bereiten. Macht die Portionen nur doppelt, Geht bei Euch ſelbſt zu Gaſte! Scapine kommt. 15 20 25 30 Denke nur, mein Kind, Der Lärm war ganz um nichts. Es roch) und ſtank im Hauſe; Allein, was war's ? Im obern Zimmer, ünterm Dache Nichts von Kauch und Dampf. Ich komm' hinunter in die Küche, Da liegt ein alter Haber in der Aſche Und dampft und ſtinkt: Das war die Feuersbrunſt! - Ich will dich künftig lehren Šo lange Kohlen halten, Nicht gleich die Brände löſchen! Geh! geh mir aus den Augen! Dein Glück iſt dieſes ſchöne Kind, Das jedes widrige Gefühl In meinem Buſen lindert 85 188 Scherz, Lift und Nache. 50 Und meine Galle Zu Honig wandelt. Geh! (Scapin ab.) Doktor (ficht in den Bedhjer. Da er ihn leer findet, vergnügt zu Scapinen). Nun, mein Kind, es wird bekommen! Sag' mir, ging es friſch hinein? Srapine (die indeſſen allerlei Gebärden des Uebelſeins gemad)t hat). Götter! hätt' idy's nicht genommen! Welche Glut! D welche Pein! - Mir iſt's, ich krieg' ein Fieber. Doktor. Nicht doch, es geht vorüber. Scapine. Id zittre, ich friere! Ich ivanke, verliere Bald Hören und Sehn! Doktor. Sag' Sie mir, ums Himmels willen, Schönes Kind, was fängt Sie an? Scapine. Ach, wer kann die Schmerzen ſtillen? Ach, was hat man mir gethan! Doktor. Weh! ich zittre! Weh! ich bebe! Welcher Zufall, welch Geſchick! Scapine. Id verſchmachte! Ach, ich lebe Nur noch einen Augenblick! Doktor. Es ſoll die Fakultät entſcheiden, 60 Ich bin nicht ſchuld an deinem Schmerz. Scapine. Schon wühlt in nieinen Eingeweiden Entſetzlicher der Schmerz ! Doktor. Ach, wie zerreißen deine Leiden Mein eigen Herz ! capine. Schon ſteigen bittre Todesleiden Herauf ans Herz. 65 65 Dritter 1 Art. Doktor. Mein Kind! Mein ſchönes, allerliebſtes Püppchen! D, ſebe dich! (Er führt ſie zum Scſjel.) Nur einen Augenblick Geduld! Es geht gewiß vorüber. Was ich dir gab, iſt unſchuldige Arzenei; Sie ſollte eigentlich Faſt ganz und gar nichts wirken; Es war auch nichts halb Schädliches dabei. Deine Klagen zerrütten mir das Gehirn, Der Angſtſchweiß ſteht mir auf der Stirn. Was iſt geſchehn? Was iſt dir? Rede frei! Scapine (auffahrend). Welch ein ſchreckliches Licht Fährt auf einmal vor der Seele mir vorüber! D Himmel! Weh mir! Weh! Ja, es iſt Gift! Ich bin verloren! Und du biſt der Mörder! Doktor. Du fabelſt, kleiner Schatz. Scapine. Widerſprich mir nicht! Geſteh mit! Ich fühles, ich muß ſterben. Doktor. Ich bin des Todes! Scapine (nach einer Pauſe, in welcher der Doktor unbeweglid) geſtanden, auf ihn losfahrend). Es wütet in meinen Eingeweiden Unbändiger der Schmerz. Es faſſen bittre Todesleiden Mein bald zerriffen Herz. (Sie geht in ein Gebärdenſpiel über, als wenn ſie außer ſich wäre, als wvenn ſie an einen fremden Ort geriete.) Doktor. Welche Gebärden! Himmel, was ſoll das werden! Scapine. Mit Widerwillen Betret' ich ſchaubernd dieſen Pfad, Allein ich muß. 90 95 190 Scherz, Lift und Nacle. : . 100 110 So ſei es denn! Ich gehe, Doch geh ich nicht allein. Halt an! halt hier! Keinen Schritt! Den Weg, den du mich ſendeſt, Solift dit init! Du ſollſt nicht mehr auf unſre Koſten lachen. Bereites Glück! Hier kommt ſchon Charons Nachen. 103 Herbéi! herbei! Lande mit deinem Kahn! Nur immer ſchneller ! Näher heran! (Zum Doktor.) Doch ſtille! daß ich dich nicht nenne, Daß dich der Alte nicht erfenné. Du haſt ihm ſo viel fährlohn zugewendet, So manches Seelchen ihm geſendet: Erkennt er dich, ſo nimmt er sich nicht ein; Du kannſt ihm hüben mehr als brüben nüße ſein. (Sie ſtößt ihn vor ſid, hin, gleidjſam in den Rahn. Sie ſteigt nach ihm ein, hält fid) mandimal an ihn feſte und gebärdet ſid) in der folgenden Uric wie eins, das in einem ſchwankenden Sdhiffe ſteht.) Hinüber, hinüber ! És heben, es kräuſeln Sich fliehende Wellen; : Wir ſchwanken und ſchwimnien, Wir ſchweben und ſchaufeln Ans Ufer hinan. Und trüber und trüber Vernehm' ich ein Säuſeln, Ein Aechzen, ein Bellen. — Sind's Lüfte? Sind's Stimmen? Ja! Ja! es umgaukeln Schon Geiſter den Kahu. (Sie macht die Gebärden, als wenn ſie ausſtiege, den Fährmann bezahlte 11. T. 10.) Doktor fa! ja! wir ſind nun angelandet. Laß uns nur ſehr, wo wir ein Obdach finden, Ob jemand hier zu Hauſe fei. (Er will nadder Thüre, ſie hält ihn ab.) Scapine. Zurück! zurück! das iſt nun meine Sache! Du wirſt noch immer früh genug In dieſen hölliſchen Palaſt Gefordert werden. 115 120 125 170 Dritter Akt. 191 Ich ruhe hier an dieſen Schwellen Erſt aus von meiner weiten, böſen Reiſe. (Sie ſchiebt den Schemel, worauf ſie ſich ſelt, quer vor, daß der Alte nicht zur Thürc kommen kann.) 135 140 150 Mit keinem Fuß den Vorhof zu verlaſſen. Doktor (indem er vergebens vcrſudst, zu entkommen). Wie komm' ich zur Thüre ? Wär? ich eine Spinne, Wär' ich eine Fliege, Kröch' ich, flög' ich fort! Aber ich verliere, Was ich auch erſinne; Wenn ich ſie nicht betrüge, . Komm' ich nicht vom Ort. Sie glaubt, in Plutos Reich zu ſein, - 145 Vor ſeiner Thür zu ſitzen und zu ruhn. Wie komm' ich da hinein? Was kann ich thun ? Ich muß mich auch- nach ihrem Sinne richten, Ich will mir was Poetiſches erdichten. Da fällt mir ein, was gut gelingen muß: Ich ſtelle mich als Cerberus. Den Hunden, die ins Haus gehören, Wird ſie den Eingang nicht verwehren. (Er kommt auf allen Vicren, knurrt und bellt ſie an.) Wau! wau! Mach Platz, Mein Schat, Es gibt Verdruß! Wau! wau! au! au! Ich muß hinaus, Ich muß ins Haus, Ich bin der Cerberus. (Da er ihr zu nahe kommt, gibt ſie ihm einen Tritt, daß er umfällt. Er belt liegend fort und endigt die Arie.) Scapine (aufſtehend). (Der Doktor fährt auf und in die rechte Ecke.) Der Hund erinnert mich, Daß ich nicht länger warten ſoll. sal ja! du Böſewicht, Dein Maß iſt voll! Hervor mit dir! Sie haben Platz genommen, 155 160 165 165 192 Scherz, Liſt und Rache. 170 185 Die hohen Richter und ihr Fürſt. Es find ſo viele Zeugen angekommen, Daß du dich nicht erretten wirft. (Gegen den Lehnſeſjel gekchrt.) Mit Shrfurcht tret' ich vor die Stufen Des hohen Throns. Habt ihr ſie all herbeigerufen, Die Opfer dieſes Erdenſohns? Verdient er ſchon von euch Belohnung, 175 Daß er die obe, falte Wohnung Mit Koloniſten reich befekt, Vergeſſet, daß ihr ihn als Unterhändler ſchätzt; Wollt ihr parteiiſch auch dem Arzt vergeben, So leiht mir doch gerecht ein unbefangen Dhr! 180 Mit Gift entriß er inir' das Leben; Ich ſtell' ihn euch als Mörder vor. In euerm finſtern Hauſe Laßt Recht inir widerfahren, Gebt ihm den verdienten lohn! Ich ſchlepp' ihn bei den Haaren, Ich zerr' ihn bei der Krauſe Vor euern furchtbarn Thron. Hier kniet der Verbrecher! Es zeigen die Rächer, 190 Mit Fackeln in Händen, Mit Schlangen und Bränden, Die Geiſter ſich ſchon! (Die Pantomime der vorhergehenden Arie gibt ſid) von ſelbſten. Um Ende wirft ſie ſich in den Seel; cr blcibt ihr zu Füßen licgeit. Sic fällt wieder in Gebärden des Sdımcrzens; fic ideint zu fid zu kommen; cư läuft hin und wieder, bringt ihr zu riedien, gebärdet ſid, ängſtlid). Sie ſtößt von Zeit zu Zeit ſchmerzhafte Seufzer ans. Dieſes ſtumine Spiel wird von Muſit begleitet, biš endlich der Doktor in folgenden Geſang fällt und Scapini zugleich von außen fid) hören läßt.) Doktor. Kneipen und Grimmen Geht bald vorüber, Dient zur Geſundheit. Sieh, ich beſchwöre Den Mond und die Sterne, Zeugen der Unſchuld! Scapin. Gräßliche Stimmen Hör ich erſchallen, 195 200 Dritter Aft. 193 205 210 215 Rufen um Hilfe. Nein, nein, ich höre Nicht länger von ferne Den Lärn mit Geduld. (Er tritt Herein.) Doktor. Ach, mein Freund, Sieh nur hier! Dieſe ſtirbt, Glaubt, von mir Und von meinen Arzeneien Umgebracht zu ſein. . Scapine. Mein Auge ſinkt in Nacht - Ich ſterbe! Dieſer hat mich umgebracht! Doktor (zu Scapin). Du glaubſt es nicht, Du kenneſt mich zu gut. capin. Iſt's möglich - Herr! – Warum? ~ Du armes junges Blut! Scapine. Daß er nicht entfliehe! Der Strafe ſich nicht entziehe! Der Tod gibt mir nur dieſe kleine Friſt, zu bitten: Sei gerecht! – Wenn du nicht ſein Helfershelfer biſt! Doktor. Not! in die wir geraten! Wer hilft uns, ſie überſtehn? cupin. Welche ſchwere Miſſethaten Seh' ich geſchehn! Scapine. Ach, wohin - bin ich – geraten? - Ach! das Licht – nicht mehr - zu ſehn! (Während dieſes Terzetts ahit ſie eine Sterbende nad und liegt am Ende desſelben für tot da) capin. Sie iſt tot! Ganz gewiß! Es ſtockt der Pulš, ihr Auge bricht. Goethe, Werte. VII. 220 223 230 13 194 Scherz, Lift und Rache. 235 240 2-45 2.15 Welch eine ſchreckliche Geſchichte! Id flüchte. Doktor. Halt! bleibe! Beim heiligen Hippokrates, Galeniis und bei Sofrates, Der am Verſuch mit Schierling ſelber ſtarb, Bei allen Pfennigen, die ich mir je erwarb, Unſchuldiger iſt nichts aus meiner Hand gekommen, Als jenes Tränkchen, das ſie eingenommen. Nähm's einer auch zum Frühſtück täglich ein, Weder ſchlimmer, weder beſſer Sollt's ihm in ſeinen Häuten ſein. Hier fteht noch alles, wie ich's eingefüllt. (Scapin tritt hinzu.) Was gibt's? Was iſt dein Blick ſo wild? Dein Uuge ſtarrt! du zitterſt! Nede, ſprid)! Welch ein Geſpenſt erſchrecket dich? Scapin. Verflucht! an dieſer Büchſe ſteht Arſenik angeſchrieben. Doktor. A–Ar-Arſenif! Weh mir! Nein! Es kann nicht ſein! Scapin. Ja wohl! Seht her! Doktor. o weh! ich Unglückſeliger! Wie fani fie sa herab? Scopiit. Das weiß ich nicht; genug, ſie ſteht nun hier, Und ſchwerlich läßt ſich ein Verſehen denken. Doktor.. Das Unglück macht mich ſtumm, Nacht wird's vor mir, mir geht der Kopf herum. - Scapint (ihm die Bidhje vorhaltend). Seht an! Seht her! Es ſei nun, wie es ſei. Welch Unheil habt jhr angeſtiftet! Das 'arme Mädchen iſt vergiftet. 250 250 . 260 Dritter Akt. 195 265 . 275 Seht die Bläſſe dieſer Wangen, Seht nur an die ſteifen Glieder! Herr! Was habt Ihr da begangen? Ách, er ſank auf ewig nieder, Dieſer ſchöne, holde Blick! Hier iſt es beſſer, weit entfernt zu ſein. Lebt wohl! Habt Dank! Gebenket mein! Doktor. Bedenke du, was ich an dir gethan! Hier iſt Gelegenheit, dein dankbar Herz zu zeigen; 270 Nimin deines guten Herrn dich auch in Nöten an. Du weißt, ich kann, ich hoff”, auch du kannſt ſchweigen. Sieh, dieſes ſchöne Paar Dukaten Iſt dein, wenn du ſie zuſainienraffft, Sie mir aus dem Hauſe ſchaffſt. Mein alter Freund, hilf mir davon! Scapir. Beim Himmel, wohl ein ſchöner Lohn! Iſt es eiit Kleines, was ich mage, Wenn ich heut nacht ſie aus dem Hauſe frage? Ich ſchleppe ſie erſt eine gute Strecke, Werf ſie in den Kanal, lehn' fie an eine Ecke ; Ertappt man mich, adieu, du armer Tropf! Was Eure Kunſt gethan, das büßt mein Kopf. Doktor (geht nach der Schatulle, nimmt Heraus). Nimm, o nimm die fünf Zechinen! Scapin. Nein, gewiß, ich thu? es nicht! 285 Doktor. Willſt du mir um zehne dienen? Scapin. Zehne haben kein Gewicht. Doktor. Hier ſind zwanzig. Scapin. Rein Gedanke! fmmer weiter! Doktor. Ich erfranke, Es vergeht mir das Geſicht! Niinm die dreißig – 280 285 290 196 Scherz, Liſt und Rache. 295 300 Scapin. Laßt doch ſehen! (Scapin nimmt das Geld, läßt's in einen Beutel laufen, den er bereit hält, reidt aber Geld und Beutel hin, oyne daß es der Alte annimmt.) Dreißig! Es wird nicht geſchehen, Es iſt wider meine Pflicht! Doktor. Hier noch fünf und nun nichts drüber ! (Scapin läßt ſie in den Beutel zählen, dann wie oben.) capin. Glaubt, mir iſt das Leben lieber. Ich laufe! ich eile, Ich ſag's dem Richter an. Doktor. Ach bleibe, verweile! Was hab' ich dir gethan? Scapin. Wollt Ihr, daß ich auf den Galgen 300 Warten ſoll? Fuer Markten iſt nur eitel ; - Nehmt zurück den ganzen Beutel Oder macht die funfzig voll. Doktor. Schönſter Teil von meinen Freuden, Soliſt du ſo erbärinlich ſcheiden? Es greift mir das Leben an. Scapin. - Herr! Nun, habt Ihr bald gethan? Doktor. Hier die funfzig! O ſchreckliche Summe! Fürchterliche Probe! Wenn er ſein Wort nur hält! Scapiir (beijeite). Schelte und brumme, Wüte und tobe! Ich habe das Geld. Doktor. Ich zahle voraus, Ich bin ein Thor. 305 305 310 315 Vierter Akt. 320 325 capin. Man nimmt voraus, Man ſieht ſich vor. — Nun, ſeid nur ruhig! Von Schmach und Strafen - Befrei’ ich Euch. Doktor. Ich bin nicht ruhig, Ich fann nicht ſchlafen. Nur fort! nur gleich! Scapin. in das Gewölbe Schieb' ich ſie ſachte, Bis uns die Nacht Ihren Mantel verleiht. Doktor. Hier ſind die Schlüſſel, Und im Gewölbe Iſt auch durch Zufall &in Sack ſchon bereit. Krapin. Sachte, ſachte Bring' ich ſie fort. Doktor. Stille, ſtille Bringe ſie fort! (Sie ſchieben ſie mit dem Seſſel hinaus.) 330 335 Vierter Nk f. Gewölbe mit einer Thüre im Grunde. Scapine kommt zur Thüre heraus und ſieht ſich um. Bin ich allein? Wie finſter hier und ſtille ! D glücklich der, den keine Furcht berückt! Sein Wille bleibt ſich gleich, wie hoher Götter Wille, Selbſt die Gefahr macht ihr beglückt. 198 Scherz, Liſt und Nache. Nacht, o holde! halbes Leben! Jedes Tages ſchöne Freundin! Laß den Schleier midumgeben, Der von deinen Schultern fällt. In dem vollen Arm der Schönen Ruhet jeßt belohnte Liebe; . Und nach einſam langem Sehnen Bringen auch verſchmähtem Triebe Träume jeßt ein Bild der Luft. Nacht, o holde! - Es ſchleicht mit ſeifen Schritteit Die Liſt in deinen Schatten; Sie ſuchet ihren Gatten, Den Trug! - Im ſtillſten Winkel Entdeckt ſie ihn, und freudig Drückt fie ihn an die Bruſt! Nacht, o holde! halbes Leben! Jedes Tages ſchöne Freundin! Laß den Schleier mich umgeben, Der von deinen Schultern fällt! Scapir (ſieht zur Seitenthüre herein). Es kommt mit Veiſen Schritten Dein Freund durch Nacht und Schatten; Erfennſt du deinen Gatten? Und in dem ſtillen Winkel Entdedt er dich, und freudig Drückt er dich an die Bruſt! Scapine. Wer ſchleicht mit Veiſen Schritten?, Wer kommt durch Nacht und Schatten? Begegn ich meinem Gatten fui dieſem toten Winkel? Willkommen! welche Freude! O, komm an meine Bruſt! Beide. ' Nacht, o holde! halbes Leben! Jedes Tages ſchöne Freundin! Laß den Schleier uns umgeben, Der von deinen Schultern fällt. Scapine. Iſt's glücklich? iſt's gelungen? Vierter Akt. 199 50 Scapin. Hier iſt das Geld errungen! Scapine. O ſchön! o wohl erworben! Scapin. Er iſt mir faſt geſtorben. (3u zivei.) Das iſt die eine Hälfte; Wie wand und krümmt er ſich! Scopine. Du haſt die eine Hälfte; Die andre bleibt für mich. Scapin. Nun iſt es Zeit, ich geh', mich zu verſtecken. Er glaubt, ich habe sich im Sade fortgebracht. Nun ruf und lärme laut, ihn aus den Schlaf zu wecken, Wenn er nicht etwa gar noch voller Sorgen wacht. Scapine. Wie wird der arme Tropf erſchrecken! Hörſt du? von ferne durch die Nacht Ein Wetter zieht herbei. Der Donner mehrt das Grauſen. 55 Er ſoll hervor, und ſchlief' er noch ſo feſt! Geh nur! ich mill im alten Neſt Wie ſieben Köſe Geiſter hauſen. Scapine (allein). Sie im tiefen Schlaf zu ſtören, Wandle näher, Himmelsſtimme! Mit poſaunenlautem Grimme Rufe zu, daß ſie es hören, Die mich grauſam hergebracht! Rollet, Donner! Blike, ſenget! Was iſt über mich verhänget? Wer verſchloß mich in die Nacht? capin (ſchaut zur Thüte Herein). Er kommt, mein Schak, er kommt! . Ich hör ihn oben ſchleichen, Dein Toben hat ihn aus dem Bett geſprengt. Nichts wird der Furcht, nichts dem Entfeßen gleichen. 70 Sin ſchwer Gericht iſt über ihn verhängt! (Scapin av. Scapine horcht und zieht ſich an die hintere Thüre zurück.) 200 Scherz, Liſt und Nache. 75 80 85 Doktor (mit einer Laterne). Still iſt es, ſtille! Stille, ſo ſtille! Niegt ſich doch kein Mäuschen, Rührt fich doch kein Lüftchen, Nichts, nichts! Negt ſich doch und rühret fich doch nichts ! War es der Donner? War es der Hagel? War es der Sturm, Der fo tobte und ſchlug? Still iſt es, ſtille. Scnpinte (inwendig, ganz leiſe, faum vernehmlich). Ad)! Doktor. Hä? Scapine (mit verſtärkter Stimme, doch immer leiſe). Ach! Doktor. Was war das? Scapine (lauter). Weh! Doktor (an der Vorderſeite niederfalend). D weh! Scapine (immer inwendig, Iciſe und geiſterinäßig). Ach! zu früh Trugen ſie Mich ins Grab, Ins fühle Grab. Doktor (immer an der Erde). Ach, ſie kommt wieder; Denn in dem Sace Trug fie mein Diener Schon lange davon. Scapine (wie oben). Die ihr es höret, Die ihr's vernehmet, Bejanimert das Schickſal, Das jugendliche Blut! Doktor (der ſid, aufzuheben judit und wieder Hinfällt). O, wär' ich von hinnen! Wo find ich die Thüre ? 90 95 100 . Vierter Akt. 201 105 110 115 Mich tragen die Füße, Die' Schenkel nicht mehr. Scapine. Früh ſollt ich ſterben, Frühe vergehen. Bejamiert das Schickſal, Das jugendliche Blut! Doktor. Ach, ich muß ſterben, Ich muß vergehen. O, gäbe der Himmel, Es wäre ſchon Tag! Scapine (im weißen Schleier an die Thiire tretend). Welch ein Schlaf! Welch Erwachen! Ein ſchauerlicher Drt, ein traurig Licht! (Sie kommt weiter Hervor.) Wie trüb iſt mir’s, Mir ſchwankt der Fuß, Wie inatt! (Sic erblickt den Alten auf der Erde.) Ihr Götter! welch ein Nachtgeſicht! Doktor. Wer rettet mich aus der Gefahr! Ach, das Geſpenſt wird mich gewahr! - Laß ab! Quäle mnich nicht, Unruhiger, unglückſel'ger Geiſt! Ich bin an deinem Tode nicht ſchuldig. Õh! – Weh mir, weh! Scapine (wankend). Weh mir! Wo bin ich? Wer hat mich hergebracht? Nede! Wie iſt mir ? Bin ich noch im Leben? Bin ich mir ſelbſt ein Traumgeſicht! - Doktor (indein er aufſtellt). Ich wollte dir gar gerne Nachricht geben, Allein ich weiß es ſelber nicht. Scapine. Ach, nun erkenn' ică dich! Weh mir! Soll meine Not und ineine Qual nicht enden? Ich lebe noch und bis in deinen Händen! 120 125 130 135 202 Scherz, liſt und Rache. 140 1.15 150 Ich fühl's an diejen Schmerzen, Noch léb' ich, aber welch ein Leben! Weit beſſer wär's, dem Herzen Den letzten Stoß zu geben. Vollende, was du gethan! Doch wie? In deinen Blick zeigt ſidi Erbarmen. Ad), Gilf mir! rette mich! Du biſt ein Arzt. göttlicher, kunſtreicher Mann, Lindre dieſe Qualen! Ich weiß, du kannſt, was feiner kann; Ich will dir's hundertfach bezahlen. D fannſt du noch Erbarmen, Kannſt du noch Mitleid fühlen, So rette mich! hilf mir Arnen! Lindre die Qual! Erbarmen! Dein Erbarmen! Zu deinen Füßen fleh' ich's an! . Doktor. Gerne, alles ſteht zu Dienſten, was ich habe. Steh nur auf! Theriak! · Mithridat! Komm herauf! komm init! (Jin Begriff, ſie wegzuführen, hält er inne.) Nein, warte, warte ! Ich will dir alles. bringen.' (Beiſeite ) Hätt' ich ſie nur zum Hauſe hinaus ! Der Böſewicht! Hat mir ſie auf dein Halſe gelaſſen. (laut.) Wart' nur, ich bringe dir gleich Die allerſtärkſten Gegengifte. Dann nimm ſie ein, Und friſch mit dir davon, Und laufe, was du kannſt, Sobald nur möglich iſt, Dein Bette zu erreichen. (Er will fort.) Scapine. Halte, Halt! Du redeſt nicht wahr, Du ſprichſt nicht ehrlich, Ich merke dir's an. Šieh mir in die Augen! 155 160 165 170 Vierter Akt. 203 175 180 185 190 Neuer Verrat Steht an der Stirne dir geſchrieben! Nein, neiir, ich ſeh' ſchon, was es ſoll! Du ivillſt mit einer friſchen Doſe Mein armes Herz auf ewig Zum Stocken, Meine Zunge zum Schweigen bringen, Mein Eingeweið' zerreißen! Weh! o welch ein Schmerz! Nein, nichts fol mich halten! Teuer verkauf ich den Neſt des Lebens. Mein Geſchrei tönt nicht vergebens Zu den Nachbarn durch die Nacht. Doktor: Stille, ſtille! laß dich halten! Du biſt nicht in Gefahr des Lebens. Lärnte nicht, verwirre nicht vergebens Meine Nachbarn durch die Nacht! Scapine. Nein, ich rufe. Doktor. Stille! Stille! Scapine. Keinen Augenblick Verſäum' ich. Ich fühle ſchon den Tod. Doktor. D Mißgeſchick ! Wach' ich oder träum' ich ? Es verwirret mich die Not. Scapine. Ich weiß es wohl, Ich habe Gift Und habe voit dir Keine Hilfe zu erwarten. Entſchließe dich! Bezahle mir Gleich funfzig bare Dukaten, Daß ich gehe, Mich kurieren laſſe; Und' iſt nicht Hilfe' mehr, 195 200 205 204 Scherz, biſt und Nache. 210 215 220 Daß mir noch etwas bleibe, Ein elend, halb verpfuſchtes Leben hinzubringen. Doktor. Weißt du auch, was du ſprichſt? Funfzig Dukaten! Scapine. Weißt du auch, was das heißt, Vergiftet ſein Nein, nichts ſoll mich halten! Teuer verkauf ich den Reſt des Lebens. Doktor. Stille, laß dich halten! Verwirre mich nicht vergebens ! Scapine. Es mehren ſich die Qualen. Meinſt du, es ſei ein Spiel ? Doktor. Noch einmal zu bezahlen! Himmel, das iſt zu viel ! (Auf den Knieen.) Barmherzigkeit! Scapine. Vergebens! Doktor. Die Freude meines Lebens Geht nun auf ewig hin. Barmherzigkeit! Scapine. Bezahle! Doktor. Sie ſind mit einemmale Fort! hin! fort! hin! (Sie nötigt den Alten, nach dem Gelde zu gehen.) Srapiit (der hervortritt). (Zu zwei.) Es ſtellet ſich die Freude Vor Mitternacht noch ein: Die Rache, die Liſt, die Beute, Wie muß ſie die Klugen erfreun! (Da fie den Arten Hören, verbirgt ſich Scapin.) Doktor (mit einem Beutel). Laß mich 110ch an Sieſen Blicke, - Mich an dieſem Klang ergötzen! 225 230 235 Vierter Akt. 2010 245 Nein, du glaubeſt, Nein, du fühlſt nicht, Welches Glücke Du mir raubeſt; Nein, es iſt nidjt zu erſetzen! Ach! Du nimmſt mein Leben hin. (Den Beutel an ſich drückend.) Sollen wir uns trennen? Werð' ich es können? Ach, du Neſt von meinen Freuden, Sollſt du ſo erbärmlich ſcheiden? Ach, es geht mein Leben hin! rapine (die unter voriger Arie ſich ſehr ungeduldig bezcigt). Glaubſt du, daß mir arien Weibe Nicht dein Becher Gift im Leibe 250 Schmerzen, Jammer, Ein elend Ende bringt? (Sie reißt ihm den Beutet weg.) Iſt's auch wahr? Leuchte her! Doktor (nimmt die Laterne auf und leuchtet). Welcher Schmerz! Frapine. Ganz und gar Ift's vollbracht. Gute Nacht! Geſchwind, daß ich mich rette! (Sic cilt nad) der Thüre, der Alte ſicht ihr verſtummt nad). Sie fchrt um, raht ſich ihm und macht ihm einen Revereniz.) Geh, Alter, geh zu Bette! Geh zu Bette Und träume die Geſchichte, So wird der Trug zu nichte, Wenn Liſt mit Lift zur Wette, Kühnheit mit Klugheit ringt. capin (hervortretend). Geh, Alter, geh zu Bette! (3u zwei.) Geh zu Bette! hrapin. Und träume die Geſchichte ! (3u zwei.) So wird der Trug zi1 nichte, 255 260 206 Scherz, Liſt und Nache. 270 275 Wenn Liſt mit Lift zur Wette, Kühnheit mit Klugheit ringt. Doktor. Was iſt das? Was feh' ich ? Was hör' ich da? Beide. Höre nur und ſieh: Das Geld war unſer Und iſt es wieder Und wird es bleiben. Gehabt Euch wohl! Doktor. Was muß ich hören? Was muß ich vernehmen? Welche Lichter Erſcheinen mir da? Nachbarn, herbei! Ich werde beſtohlen. Scapine (zu Scapin). Eile! o eile, Die Wache zu holen, Daß dieſer Mörder Der Strafe nicht entgeh'! Doktor. - 250 285 Diebe! 290 Scapine (wirft ſich Scapin in die Arme, der die Geſtalt des Strüppeľs annimmt). Gift! Hoktor. Diebe! Scapin. Nattengift! Scapine (mit Zuckungen). Ich ſterbe! Ori! Doktor. Still! Senpine. Äi! Ai! Doktor. Still! Still! Vierter Akt. 207 205 300 Senpine. Ich ſterbe! ich weh! Äch weh! Es kneipet, es drücket, Ich ſterbe, mich erſticket Ein kochendes Blut! Ich ſterbe! Doktor. Himmel, verderbe Die ſchändliche Brut! Scapine (an der einen), Scopin (an der andern Scitc). Hört Fhr die Münze? Hört fhr ſie klingen? (Sie ſchütteln ihm mit dem Beutel vor den Ohren.) venpine. Kling ling! Scapin. Kling ling! Beide. Kling! Iing, ling! Doktor. Mir will das Herz In dem Buſen zerſpringen! Beide. - Kling ling! Kling ling! ling! . Doktor. Diebe! Beide. • Mörber! Gift! Scapine (in der Stellung wie oben). Ich ſterbe! Doktor. Stille! Stille ! copine. -Wer muß nun ſchweigen? Scapin. Wer darf ſich beklagen? : Doktor. Jhr dürft euch zeigen? Jhr dürft es wagen ? Diebe! 305 310 208 Scherz, Liſt und Radje. 315 320 Beide. Mörder! Doktor. Stille! Still! Beide. Hört Ihr die Münze? Hört fhr ſie klingen? Kling ling! capire (in der obigen Stellung). Ich ſterbe! Mir ſiedet das Blut! Doktor. Himmel, verderbe Die ſchändliche Brut! Scapinr. o weh! Doktor. Ich weiß nicht, fügen ſie? Ich weiß nicht, betrügen ſie ? Ich weiß nicht, ſind ſie toll? Beide. Ha! ha! ha! ha! Šeht nur: feht! Wie er toll iſt! Wie er rennt! Ach, er kennt Sich ſelbſt nicht mehr! Ach, es iſt um ihn gethan! Doktor. Welche Verwegenheit! Beide. Keine Verlegenheit Ficht uns an. Scapin. Ai! Doktor. Stille! Beide. Hört Ihr ſie klingen? 325 330 335 Vierter Akt. 209 Doktor. Diebe! Beide. Mörder! Doktor. Stille! Beide. Wie er toll iſt ! Wie er rennt! Seid doch beſcheiden! Geht, legt Euch ſchlafen! Träumt von den Streich! Doktor. Soll ich das leiden? Kerfer und Strafen Warten auf euch. 340 Goethe, Worte. Vi. 14 Die ungleichen Hausgenoſſen. Singſpiel. Poet. (Fragmentari(d). 1789.) Scenario. Erſter Akt. Gräfin. Roſette. Roſette. Rojctte. Flavio. Zärtlich Duett. Rofette. Flavio. Porher Arie, Andantino. Die Vorigen. Gräfin. 91: Noſette. Fravio. tereſſantes Terzett. Pulper. Gräfint. Roſette. Flavio. Vierter Akt. Poet. Pumper. Noſette. Flavio. Poet. Poet. Muſif. Hauptpartie des Pumper. Pocten. Zweiter Akt. Pumper. Janitſcharenmuſik. Beide. Baroneſſe. Arie, Adagio. | Baroneſſe. Poet. Baroneſſe. Poet. Duett. Die Vorigen.' Baron. Puma Nomanze. per. NB. Baron Hauptpartic. Baronelle. Baron. Pumper. Die Vorigen. Gräfin. No: Bedientei. Terzett, eigent: 1 ſette. Flavio. Finale, Vau- lich Hauptarie des Barons. deville. Baroneſſe. Baron. Gräfin. Leichtes Terzett. Fünfter Akt. Varoncſic. Gräfin. Roſettc. Adagio. Die Vorigen. Poet. Roſette. Beiſeite Poet. Die Vorigen. Baron. Pum-/ Roſette. per. Finale. Roſette. Beiſeite Pumper. Dritter Akt. Roſette. Poet. Pumper. Gräfin. Baron. Axie, Allegretto. | Terzett. (Er will den Flavio gern haben.) | Alle. Finale. " Poveli Erſter Oft. 211 & r ft e r Nkt. Park. Roſette. Ich hab ihn geſehen! Wie iſt mir geſchehen? O himmliſcher Blick! Er kommt mir entgegen; Ich weiche verlegen, Ich ſchwanke zurück. Ich irre, ich träume ! Ihr Felſen, ihr Bäume, Verbergt meine Freude, Verberget mein Glück! Er kommt! er kommt! Ich ſah ihn von dein Pferde ſteigert, mie friſch, wie flink! Er bringt gewiß die gute Nach- richt, daß die Gräfin, ſeine Gebieterin, noch heute unſer Haus mit ihrer Gegenwart beglücken wird. Welche Freude ihrer Schweſter, der Baroneſſe, meiner gnädigen Frau! Welch Ver- gnügen ihrem Schwager, dem Baron! und welche Wonne mir! Und mir! waruni? Geſtehe, zartes Herzchen, der Bote freut dich mehr, mehr als die Botſchaft, die er bringt. Er kommt mir nach! er iſt nicht weit! Ich muß, um mich zu faſſen, noch einen Augenblick in dieſe Büſche gehen. Ja, Flavio, du dir darf ich's nicht geſtehen. (Sie geht ab.) Flavio. Hier muß ich ſie finden! Ich ſah ſie verſchwinden, Shr folgte mein Blick. Sie kam mir entgegen; Dann trat ſie verlegen Und ſchamrot zurück. Iſt's Hoffnung? ſind's Träume ? Ihr Felſen, ihr Bäume, Entdeckt mir die Liebſte, Entdeckt mir mein Glück! Wo biſt du? Fliehe nicht vor mir! Wo biſt du, ſchönes, ſüßes Kind? So hab' ich nie geritten, nie ſo toll gejagt, als ſeit ich dieſes Schloß von fern erblickte. Ja, es iſt wahr, mehr, als ich ſelber glaubte, ich liebe ſie! Und die Entfernung, das Geräuſch der Welt, die Luft des Lebens hat jenen ſanften, 212 Die ungleichen Hausgenoſſen. ſtarfen erſten Eindruck nicht geſchwächt. In deiner Nähe bin id der Leichte Menſch nicht mehr; ja, ja, ich liebe dich! D, fomnt, o fomm! und laß ein zärtliches Geſtändnis dir nicht zuwider ſein! Ich höre rauſchen, gehen – ja, fie iſt's. Nojette tritt auf. Flavio. Willkommen, ſchönes Kind! Roſette. Mein Herr, willkommen! Es freut mich, Sie zu ſehen. Flavio. Und mich entzückt es. Roſette. Wird Ihre gnädige Gräfin bald hier ſein? Flavio. Binnen wenig Stunden. Zwar, ich ließ fie weit zurück und eilte, wie ſie befahl, voraus, die Nachricht ihrer Ankunft hierher zu bringen ; Soch brauchte ſie die Eile mir nicht zu befehlen. Roſette. Wo kommen Sie jeßt her? Flavio. Gerade von Paris. Roſette. Nach dieſem deutſchen Ritterſiße? Gewiß um des Kontraſtes willen! Flavio. O nein! Die Gräfin liebet ihre Schweſter ſo ſehr und ſehnt ſich ſo nach ihr, daß ſelbſt die Hauptſtadt ohne fie ihr einſam ſcheint. Roſette. Doch Ihnen, die Sie keine Schweſter haben? Flavio. Ach, mir ! — Sie wiſſen nicht, Sie glauben nicht - Roſette. Nur eins geſtehen Sie: hat nicht die Ba- roneſſe in Briefen oft geklagt? Flavio. Worüber? Roſette. Verſtellen Sie ſich nicht! Ich weiß, die Gräfin hat Vertrauen auf Sie. Flavio. Nun ja, ich weiß es wohl: die Baroneſſe iſt nicht ganz init dem Gemahr zufrieden, noch der Gemahl mit ihr. Es iſt recht luſtig oder traurig mie man's nimmt, zu Leſen, wie ſie beide fich verklagen; und doch, ſie ſcheinen fich einander herzlich gut. · Roſette. Das ſind ſie auch und ſind recht herzlich gute Leute. Flavio. Allein warum verträgt ſich ihre Güte nicht? Das iſt mir einmal unbegreiflich. Roſette. Und doch ſehr einfach. Flavio. Nun! Roſette. Wie ſoll ich ſagen, was leicht zu ſagen iſt: Sie ſind nicht gleichgeſtimmt, fie finden nichts, was ſie ver- einigt, und da ſie keine Kinder haben, ſo hat — geſteh' ich's geradezu und ſage frei den rechten Namen – ſo hat ein jedes ſeinen eigenen Narren. Erſter Akt. 213 Flavio. Schon gut, ſie werden ſchon verſchiedener Art, an Schellenkapp' und Jacke fich nicht ähnlich ſein. Roſette. Erinnern Sie ſich nicht vom vorigen Male, da Jhre Gräfin wenig Tage nur bei uns blieb – Flavio. Nicht einer einzigen Geſtalt, als Ihrer, er- innere ich mich von jener Zeit. Ich war noch viel zu flüchtig, viel zu jung und fümmerte in keinent Hauſe mich um etwas anderes, als un meine Freude; und wo ich Wein und ſchöne Nugen fand, war übrigens die innere Verfaſſung und Herr und Frau und Knecht vor meinen Blicken ſicher. Roſette. Der Baroneſſe Günſtling iſt ein Poete, ...genannt, der ſonſt nicht übel iſt. Ich leugne nicht, daß er zuweilen recht gute Verſe niacht und artig ſingt; allein an ihm iſt unerträglich, daß alles auf ihn wirkt, wie er es nennt, daß er zu jeder Zeit empfindet. Er fühlt rechts und links die Schönheit der Natur ; kein Baum darf unbewundert grünen oder blühen, kein Stern am Horizont herauf, die Sonne ſich nicht zeigen; und der Mond beſchäftigt ihn nun gar vom erſten Viertel bis zum letzten. Flavio. lind dann das Schönſte der Natur, die reizende Geſtalt Roſettens. Roſette. Sie beſchämen mich. Ja, wohl empfindet er, wenn er mich ſieht, wie er verſichert, gar unnennbare Empfin- dungen; doch leider macht es mich nicht ſtolz; ein jedes Frauen- bild wirkt auf ſein zartes Herz, wie jeder Štern. Still, ſtill! er fommt. Ich ſtecke mich hier hinter dieſe Büſche, daß er uns nicht zuſammen trifft. Flavio. Ich gehe mit. Roſette. Nein, nein, erlauben Sie! In jenem Buſche gegenüber iſt auch ein guter Anſtand für den Säger. Be- merken Sie ihn wohl, er kommt, er ſingt. (Sie verſtecken jidh auf zivci verſchiedenen Seiten.) Þoet. Hier klag' ich verborgen Dem tauenden Morgen Mein einſam Geſchick. Verkannt von der Menge, Ich ziehe ins Enge Mich ſtille zurück. zärtliche Seele, o fchweige, verhehle Die ewigen Leiden, Verhehle dein Glück!. 214 Die ungleichen Hausgenoſſen. Was ſeh' ich hier, o weh! Ein armes Tier, ſo grauſam hintergangen. Wie, iſt dies Elyſium, der ſchönſten Seele reiner Himmelsfik, vor euren mörderiſchen Schlingen nicht ſicher! D zarte Gebieterin, ſo achtet man bein! Roſette. Nun ſehen Sie den Herrn Immenſus, da haben Sie ein Beiſpiel: die Droſſel, die hier an der Schlinge hängt, macht ihm Entſetzen. Es iſt wahr, dies iſt der Plat, an dem die Baroneſſe fich gar oft gefällt, den ſie ſich angepflanzt, den ſie geheiligt. Sie liebt die Jagd nicht, liebt nicht, daß vor ihren Augeit man töte, Droſſeln würge. Und doch warð hier geſchoſſen, Schlingen ſtellt man aus, man ſucht mit Hunden durch. Das alles thut der Baron, gar nicht, um ſie zu kränken, er denkt ſich nichts dabei; allein nun geht der zarte Sänger hin und direit von Greuel, von Barbarei der Baroneſſe vor und malet einen Vogel, der erſtickt, ſo ganz erbärmlich aus; dann gibt es ... und Thränen. Flavio. Das kann nichts Gutes werden. Roſette. Wenn nun grade der Baron den Widerpart von dieſem Dichter in ſeinem Dienſte hegt - Flavio. Nun ja, da mag es gute Scenen geben. Wer iſt denn der? Roſette. Ein ſonderbarer Kerl, ein alter treuer Diener. Schon bei dem ſeligen Herrn ſtand er in Gunſt, mit dem Baron hat er in drei Campagnen tapfer fich gehalten, das Maul iſt ihm der Quere gehauen, daß er nicht ganz ver- nehmlich ſpricht. Er iſt ein ganzer fäger, zuverläſſig wie Gold und plump, wie jener zart iſt; kurzgebunden, lang- denfend. Er kann nie ſich über ſeinen Freund erzürnen, ſeinen Feinden nie verzeihen; gefällig und wieder ſtockig ohnegleichen. Er unterſcheidet ſich vorzüglich in einem einzigen Punkte von einem Menſchen, der bei Sinnen iſt. Flavio. Ich bin begierig, dieſen Punkt zu wiſſen. Roſette. Er ſagt es gerade, wie er's denkt. So ſpricht er nun auch gerade von ſich ſelbſt, von ſeiner Treue, feiner Tapferkeit, von ſeinen Thaten, ſeiner Klugheit, und was ſein größtes Unglück iſt: er glaubt von einem großen Hauſe her: zuſtammen, das ich denn auch nicht ganz unmöglich halte. Das alles gibt Gelegenheit, ihn hundertmal zum beſten zu haben, ihn zu myſtifizieren, ihn zu mißhandeln; denn ſo inner- lich iſt ſeine Natur in Redlichkeit beſchränkt, daß er riach tau- ſend tollen, groben Streichen noch immer traut und immer Erſter Akt. 215 alles glaubt. Wer huftet? Ja, er kommt, er iſt es ſelbſt. Geſchwind an unſere Plätze! Sonſt überraſcht er uns. - Flavio (gcht ihr nad). Entfernen Sie mich nicht von Shrer Seite! Roſette. Nein, nein, mein Herr! dort, dorten iſt Ihr Platz. (Sie verſtecken ſid), wie oben.) Pumper mit einer Flinte, Haſen und Feldhühnern. Es lohnet mir heute Mit doppelter Beute Ein gutes Gefchick: Der redliche Diener Bringt Haſen und Hühner Zur Küche zurück ; Hier find' ich gefangen Auch Vögel noch hangen! – Es lebe der Jäger, Es lebe ſein Glück! Roſette. Nun, wie gefällt der Freund? Flavio. Das heiß' ich mehr Original ſein, als erlaubt iſt. Roſette. Den fennen Sie nun auch .... berb, eigen, ſteif und krumm, ein bißchen toll, nichts weniger als bumi. Wie oft verfündigt ſich der gnädige Herr an ihm: man läßt ihn lang als Kavalier behandeln, gibt aus des feligen alten Herrn Garderobe ihm reiche Kleider, friſieret ihm die tollſten Perücken auf den Kopf und treibt es ſo, daß er ſich ſelbſt gefällt. Sie haben ihm ſogar, als fäm cs von dem durch Yauchtigen Vetter, ben er zu haben wähnt, mit vielen Ccre- monien ein Ordensband und einen Stern geſchickt; ſo muß er ſich denn der Geſellſchaft präſentieren, ſich mit zui Tiſche ſetzen. Und wie's ihm wohl in ſeinem Sinne wird, dann geht es Glas auf Glas, man füttert ihn mit leckern Speiſen faſt zu tote. Der arme Kerl erträgt's nicht und fällt um. Man zieht ihn aus, legt einen ſchlechten Kittel ihm an, bc- malt ihm das Geſicht mit Ruß, ſchießt ihm Piſtolen vor den Ohren los, zündet Schwamm ihm in der Taſche an. Mich wundert, daß er noch nicht völlig raſend oder tot ift. Flavio. Ich kann mir denken, wie die Baroneſſe leidet. Roſette. Unglücklicher kann niemand werden, als ſie's bei dieſen Scherzert iſt. Oft halbe Tage lang hat ſie gemeint, ſie dauert mich), und ich weiß nicht zu helfen. 216 Die ungleichen Hausgenoſſen. . Flavio. Ich höre fie von ferne wieder kommen. Roſette. Sie ſind in Streit. Geſchwind, uns zu ver- bergen! Ich komme dann von dieſer Seite, Sie von jener, begrüßen ſie und uns, als hätten wir ſie erſt, als hätten wir uns nicht geſehen. (Sie verſteden ſich, wie oben.) (Pumper läuft der Poeten nad, und hält ihm die Droſjeln vors Geſicht.) Pumper. Teilen Sie doch mein Vergnügen! : O, der zarte Herr von Butter? Alle Vögel kann er fliegen, Keinen Vogel hangen ſehn. Poet. Welch, ein grauſames Vergnügen! Mit dem ſchönen eignen Futter Dieſe Tierchen zu betrügen, Gräßlicher kann nichts geſchehn. Pumper. Euch erwartet mehr Vergnügen: Wenn ſie mit der braunen Butter Zierlich in der Schüſſel liegen, Werdet ihr ſie lieber ſehn. Roſette. Pfui, ihr Herren, welch Vergnügen! immerfort die alten Tücken, Štets fich in den Haaren liegen, Wie zwei Hähne dazuſtehn! Poet. Und ich ſoll hier mit Entzücken Seine toten Vögel fehn? Pumper. Er kann nur mit feuchten Blicken Einen toten Vogel ſehn. Roſette. Unſer Koch wird mit Entzücken Seine fetten Vögel ſehn. Flavio (von Ferne kommend). Wenn nicht Dhr und Auge trügen Soll mich dieſer Wald beglücken. (Herbeitretend.) Welch ein föftliches Vergnügen, 25 Allerſeits Sie hier zu ſehn! 10 13 20 Erſter Akt. 30 35 40 Roſette. Unerwartetes Vergnügen, Daß Sie wieder uns beglücken! Werden wir uns nicht betrügen, Iſt es unſerthalb geſchehn. Poet. Dieſe Freude, dies Vergnügen Kann ich meinem Herrn erwidern. (Beiſeite, doch ſo, daß es alenfane Pumper Hören kann.) Leider! Leider muß ich fügen; Mich verdrießt's, ihn hier zu ſehn. Pumper. Nein, ein Deutſcher ſoll nicht lügen, Nein, mir reißt's in allen Gliedern; Nicht das mindeſte Vergnügen Macht es mir, Sie hier zu ſehn. Flavio. Läßt ſich treu und grob nicht ſcheiden? Soll ein Fremder das nicht rügen? Ihn muß wundern, ſoll er leiden, So empfangen fich zu ſehn. Roſette (beiſeite). Wie verberg' ich mein Vergnügen, Dieſe Regung, dieſe Freude! Ach, ich fürcht, an meinen Zügen, An den Augen wird er's ſehn. Flavio (beiſeite). Ihre Freude, ihr Vergnügen Zeigt ſich fitt:ſam und beſcheiden; Wenn nicht ihre Blicke lügen, Freut ſie's herzlich, mich zu ſehn. Roſette (beiſeite). Wie gebiet ich meinen Zügen? Ach, ich fürcht, er wird es ſehn. Flavio (beiſeite). Wenn nicht ihre Blicke Lügen, Freut ſie’s herzlich, mich zu ſehn. Poet (beiſeite). Sicher wird er ſie betrügen; Mich verdrießt's, ihn hier zu ſehn. 45 50 55 218. Die ungleichen Hausgenoſſen. 63 Pumper (aXein, laut). Nein, ein Deutſcher ſoll nicht lügen! Mich verdrießt's, ihn hier zu ſehn. Roſette (laut). Gern bekenn' ich das Vergnügen, Sie, mein Herr, bei uns zu ſehn. Flavio (laut). Welch ein himmliſches Vergnügen, Meine Schöne hier zu ſehn! Poet. Wem verdankt man das Vergnügen, Sie aus Frankreich hier zu ſehn? Pumper (laut und vor ſich herumgehend). Nein, ein Deutſcher ſoll nicht lügen! Mich verdrießt's, ihn hier zu ſehn. Flavio. Soll ein Fremder das nicht rügen, So empfangen ſich zu ſehn? Roſette. Wer wird eine Tollheit rügen! Laſſen Sie den Narren gehn! Flavio (gegen einander und zuſammen). Weld) ein himmliſches Vergnügen, Meine Schöne hier zu ſehn! Roſette. Ja, viel Freude, viel Vergnügen, Wieder Sie bei uns zu ſehn. Poct. Jhm mißgönn ich das Vergnügen, So empfangen ſich zu ſehn. Pumper. Ja, ein herzlich Mißvergnügen Macht es mir, ihn hier zu ſehn. 70 75 75 Flavio. Der Freude kann nichts gleichen: In Freundſchaft und Vertrauen Die Gegend anzuſchauen, Die Gärten anzuſehn! 80 Vierter Aft. Roſette. Ich muß zur gnäd’gen Frauen; Doch wird die Sonne weichen, Der Abend ſtille grauen, Iſt erſt der Garten ſchön. Poet. Sie wird ihn mir vergleichen, Dies iſt noch mein Vertrauen; Wie wird der Flüchtling weichen! Sie wird's mit Augen ſehn. Pumper. Der Bosheit kann nichts gleichen ; Das ſoll ich ruhig ſchauen, Dem Schmetterling zu weichen, Dem Paare nachzugehn. 95 95 Baronesie. Ach, wer bringt die ſchönen Tage, Jene Tage der erſten Liebe, Ach, wer bringt nur eine Stunde Fener holden Zeit zurü&! Leiſe tönet meine Klage, Ich verberge Wunſch und Triebe, Einſam nähr ich Schmerz und Wunde, Traure mein verlornes Glück. Wer vernimmt nun meine Klage? Wer belohnt die treuen Triebe? Heimlich nähr ich meine Wunde, Traure das verlorne Glück. 100 105 Vierter Nk f. Poet mit Muſicis, Pumper hernad), mit dem Regimentstambour, hordjend. Poet. Auf dem grünen Raſenplake Unter dieſen hohen Linden Werdet ihr ein Echo finden, Das nicht ſeinesgleichen hat. 220 Die ungleichen Bausgenoſſen. Uebet da die Serenade, Die der Gräfin Heut am Abend Sanft die Augen ſchließen ſoll. Welch ſchöner Gedanke Der zarten Baroneſſe ! Die göttliche Lina!' Sie iſt wie ein Engel, Gefälligkeitsvoll. (Gcht mit den Muſicis beiſeite.) Pumper (hervortretend). Xuf dem großen Plaß mit Sande In der Läng und in der Breite Habt ihr Raum für eure Leute, Und da fchlagt und lärmt euch ſatt! Uebet mir das tolle Stückchen, Das die Gräfin Morgen frühe Aus dem Schlafe wecken ſoll. (Er geht mit dem Regimentstambour ab.) (Screnade von Olajenden 31ſtrumenten mit Edo, die dem folgenden Auftritt zur Begleitung dient.) Poet. Es fäuſelt der Abend, Es finket die Sonne Erquicend und labend In Taurund in Wonne; In Nebel und Flor Šchwankt Luna hervor. D herrliche Sonne! Du gleicheſt der Gräfin, Die blendend gefällt. Und Luna, du milder Stern, Du Gleichſt der holden Baroneſſe. o Luna, ich vergeſſe Der Sonne gar gerne. O Luna, ich vergeſſe In deinen ſanften Strahlen, In deinem ſüßen Lichte, Vor seinem Angeſichte Der Sonne der Welt. Vierter Akt. .. Nur ſachte, nur leiſe, Ihr Flöten, ihr Hörner, Damit man das Rauſchen Der Wellen des Baches, Damit man das Liſpeln Des Lüftchens im Laube Vernehme! Ihr hellen Klarinetten, Nur Leiſe, nur ſachte ! Ihr Hoboen, Fagotte, Beſcheiden, beſcheiden! Sachte! Leiſe! So! So! Damit man das Rauſchen Der Wellen des Baches, Damit man das Liſpeli Des Lüftchens im Laube, Die leiſeſten Schritte Der wandelnden Göttin Vernehme! Ja, ich vernehme Die Schritte der Göttin! D näher und näher, Du himmliſche Schöne ! Hier ruht Endymion ! Welch hölliſcher Lärment Zerreißt mir die Dhren! Ô weh mir! ich ſterbe, Ich fel' mich verloren. Die göttliche Stimmung, Zum Teufel iſt ſie ! Ábſcheuliche Töne! So knirſchen, ſo grinſen Tyranniſche Söhne Týranniſcher Prinzen, Im emigen Kerker, Zu Höllenmuſiken, Žum teufliſchen Ton. Pumper. Nur lauter, nur ſtärker, Damit man es höre! 222 Die ungleichen Hausgenoſſen. SO S5 Nur laut! es erwachet Kein Schläfer davon. Nur ein bißchen ſtark und ſtärker ! Sonſt erwacht kein Menſch davon. Tönet, ihr Poſaunen, Ihr Trompeten, hallt! Donnert, ihr Kartaunen, Daß der Himmel ſchallt! Widmet eurer Stimme . . . verbundne Macht. Eines Helden Grimme Und dem Lärm der Schlacht! Seinen Ruhm zu melden, Fama, töne du, Schmeichlerin der Helden, Dreifach laut dazu! 95 Poet. In ſtilleren Chören Dich zu verehren, Verlangen die Muſen, Reinere Töne Erteilten ſie mir. Ich ehre, ich preiſe Auf ſtillere Weiſe Dei Eglen, den Guten, Die Tugend der Tugend, Beſcheidenheit hier. 100 105 Hünffer Dkf. Nach t. Roſette allein. Ach, ihr ſchönen, ſüßen Blunten ! Habt ihr drum ſo ſpät geblühet, Um an meinem bangen Herzen Zu verblühen, meiner Schmerzen Štille Zeugen, ach! zu ſein! Fünfter Akt. 223 Ja, für mich hat er ſie gepflückt, Dieſen Morgen, wie friſch! gebracht Und an dieſe Bruſt Raſch mit einem Kuß gedrückt, Und nun welken ſie zu Nacht. , Im Gemiſch von Schmerz und Luſt Bealüdt, Ach, wohin ſoll ich mich wenden? Begleitet mich, Ließ mir, friſch aus ſeinen Händen, Und weit lieber nun zerknict! 10 20 Roſette. Aha, der hat mich in Verdacht, Ais hätt' ich Flavio hierher beſtellt. Wart nur, zum Glück iſt's finſtre Nacht, Und es iſt heilſam, daß ich mich zerſtreue. Das ſoll mein krankes Herz vergnügen, Mit doppelter Stimme den Eiferſüchtigen zu betrügen. Doch ſtill! wer will mich noch belauſchen? Ich höre wieder was von dieſer Seite rauſchen. Poet. Roſette! Roſette! Sie hört nicht, ſie iſt weiter, Sie hat ſich verſteckt. Ich fah wohl zum Garten Verſtohlen ſie ſchleichen. Ich wette, ich wette, Sie hat ihn beſtellt. Roſette! Roſette! Sanftes Herz! Welche Regungen bewegen Deinen Gleichmut, Deine Nuhe? Wie ein Sturin in fernen Wogen, Kündet ſich in ineinem Buſen Ein gewaltig Wetter an. Schon rollen des Zornes Lautbrauſende Wellen, Und Bliße der Eiferſucht Erhellen Die tobende Flut. 224 Die ungleichen Hausgenoſſen. Roſette! Noſette ! Ich faſſe mich nicht, Ich ſterbe vor Wut! Wie? in dieſen tiefen Schatten, Wo nur Götter fich begegnen ſollten, Lodt fie ihn! Sie die unbeſcholten Den beſten Gatten, Die das treuſte Herz verdient. Sie lockt ihn, den Franzoſen! D Schande, ó Schmach! D Schmach dem Vaterlande! O allen Deutſchen Schande ! Für dieſen Franzoſen Šeid ihr, ihr ſchönen Roſen, So lieblich aufgeblüht? Rache! Ja, Rache glühet ſelbſt in Götterbuſen auf. Weh ihm, wenn ich ihn finde! Dieſe Hand ..... Schon rollen des Zornes Lautbrauſende Wellen, Und Bliße der Eiferſucht Erhellen Dié tobende Flut. GO 65 no Pumper. Einen von ihren Burſchen Hat ſie hierher beſtellt. Ich ſah ſie leiſe ſchleichen, Ich weiß ſchon; wer ihr gefällt; Doch will mir's nicht gefallen, Ich gebe mein ja nicht dazu. Du ärgerſt mich vor allen, O du Franzoſe, du! Ein guter deutſcher Stock Soll dir die Rippen ipaſchen, Ich lehre dich In unſerm Garten naſchen. Roſette. D glücklich! der zweite, Er kommt mir zurecht: 75 Fünfter Akt. 225 85 Betrüg' ich ſie beide, - Das alberne Geſchlecht. (Laut.) D mein Geliebter! Beſter, biſt du nah? (Ula Flavio.) Mein ſüßes Kind! hier bin id, ich bin da. Poet. Hör ich doch in jenen Lauben Ihre Stimmen ganz gewiß. Pumper. Allerliebſte Turteltauben, Girrt ihu in der Finſternis ! Roſette. D du mein Teurer, Du meine Seele! Des Lebens Freuden, Des Lebens Schmerzen Kenn ich durch dich, Fühl ich um Sich. Pumper, Poet (beiſeite). Warť, ich will es dir geſegnen! Ihm kann fie ſo ſchön begegnen! Über mir kein gutes Wort? Roſette (ate Flavio). O meine Teure ! Wenn ich mich quäle, Wenn ſich die Freude Mir drängt zum Herzen, Iſt es um dich, Iſt es durch dich. Punper. Wart', ich will es dir geſegnen! Wart', es ſollen Schläge regnen, Iſt nur erft das Mädchen fort. 95 100 103 Gräfin. Pumper, nun, wem wirſt du's bringen? Pumper. Wem? Der ſchönſten Gräfin, Jhnen. Goethe, Werkc. VII. 13 226 Die ungleichen Hausgenoffen. 110 Stilla 115 Gräfin. Was iſt ſachter als Mondeswandeln? 110 Was iſt leiſer als Katzentritte? Was iſt heimlicher als .... Was iſt Baron. Stille! Gräfin. Was iſt – Roſette. Still! Beide. Du biſt ganz aus dem Gleiſe, Ganz aus der Melodie. Baron. Jeder Narr hat ſeine Weiſe, Šeine eigne Melodie. Gräfin. Gut! ich nehm's als 'wohl geſungen, Und ich nehm's als wohl gelungen, Leiſe iſt Ses Mondes Wandeln, Doch des klugen Weibes Handeln Und ihr Witz und ihre Luft -- - - - - - - Nimm du dich in acht, du Narr! ich fürchte, dich zu erben, 125 Du warſt nur ſonſt als Narr bekannt, Nun wirſt du klug und gar galant; Geht es ſo fort, ſo mußt du nächſtens ſterben. 120 130 Er muß für den Affront, Den er uns angethan, Erſt Schläge haben! Dann kommer, Forðre Satisfaktion Auf Degen und Piſtolen, Ja, auf Kanonen! Ich bin bereit. 135 an dieſem Weſen, An dieſen Mienen leſen: Du biſt zu grob geweſen; Fünfter Akt. 1.1.0 145 150 Das wird nicht gut gethan. Ein gar zu lodres Weſen Steht keinern Prinzen an. Roſette darf ſich ſeken, Thro Durchlaucht erlauben das. Nicht höflich genug geweſen, Das wird nicht gut gethan. Gnädiger Herr, wir ſind verlegen. Hoffe, doch nicht meinetwegen? Werden ſelbſt den Scherz verzeihn. Das iſt der Herr von Pumper, Ba Ba Baron von Pumper, Der zur Geſellſchaft iſt. Du biſt zu grob geweſen, Du ſollteſt an dem Weſen, An ſeinen Mienen leſen; Schau nur, wie dumm du biſt. Ich hab ihn nicht geheißen, Inkognito zu reiſen, Und ein zu lockres Weſen Steht keinem Prinzen an. Durchlauchtigſter — Flavio. Keine Titel! Dieſes iſt das beſte Mittel, Wie man mir gefallen kann. Poet. Hoher Gönner - Flavio. Nichts dergleichen! Denn ich habe, nicht zu ſchweigen, Für die Muſen nichts gethan. 155 100 165 Da drückt ich alle Hände, Bot jeder Strauß und Kranz; Dann ſchwang ich mich behende Mit jeder mich in Tanz. Mit allen Schelmenaugen 170 Die ungleichen Hausgenoſſen. Ich Schelmereien trieb, Und leichte Luſt zu ſaugen, War jede Lippe lieb. 175 Seit dreißig Jahren Lockt dieſe Freude Die erſten Thränen Aus meinen Augen! Laßt dieſe Freude Mich nicht erſticken - - - 180 135 190 Was ein weiblich Herz erfreue In der klein- und großen Welt? Ganz gewiß iſt es das Neue, Deſſen Blüte ſtets gefällt; Doch viel werter iſt die Treue, Die auch in der Früchte Zeit Noch mit Blüten uns erfreut. Paris war in Wald und Höhlen Mit den Nymphen wohl bekannt, Bis ihm Zeus, un ihn zu quälen, Drei Der Himmliſchen geſandt; Und es fühlte wohl im Wählen, In der alt- und neuen Zeit, Niemand mehr Verlegenheit. Geh den Weibern zart entgegen, Du gewinnſt ſie, auf mein Wort; Und wer raſch iſt und verwegen, Kommt vielleicht noch beſſer fort; Doch wem wenig dran gelegen Scheinet, ob er reizt und rührt, Der beleidigt, der verführt. Vielfach iſt der Menſchen Strebent, Ihre Ünruh, ihr Verdruß ; Auch iſt manches Gut gegebeit, Mancher liebliche Genuß; Doch das größte Glüc iin Leben Und der reichlichſte Gewinn Iſt ein guter, leichter Sinn. 195 200 - 205 h Fünfter Akt. 229 210 215 Amor ſtach ſich mit dem Pfeile Und war von Verdruß und Harm, Rief zur Freundſchaft: Heile!" heile! Faßte ſchluchzend ihren Urm; Doch nach einer kleinen Weile Lief er, ohne Dank und Wort, Mit dem Leichtſinn wieder fort. Wer der Menſchen thöricht Treiben Täglich ſieht und täglich ſchilt Unð, wenn andre Narren bleiben, Selbſt für einen Narren gilt, Der trägt ſchwerer, als zur Mühle Jrgend ein beladen Tier. Únd, wie ich in Buſen fühle, Wahrlich! ſo ergeht es mir. Schießeft du nur weit vom Ziele, Ganz erbärmlich geht es dir. Dieſer Narr iſt an dem Ziele, Du verdienſt die Kolbe dir. Er trägt ſchwerer, als zur Mühle Irgend ein beladen Tier. Wer trägt ſchwerer, als zur Mühle Das geduldige, gute Tier! 220 225 230 230 Der Zauberflöte zweifer Teil. fragment. Tag, Wald, Felſengrotte, zu einem ernſthaften Portal zugehauen. Aus dem Walde kommen M 0110ſt atos. Mohren. Monoſtatos. Erhebet und preiſet, Gefährten, unſer Glück! Wir kommen im Triumphe Zur Göttin zurück. Chor. Es iſt uns gelungen, Es half uns das Glück! Wir kommen im Triumphe Zur Göttin zurück. Monoſtatos. Wir wirkten verſtohlen, Wir ſchlichen hinan; Doch, was ſie uns befohlen, Halb iſt es gethan. Chor. Wir wirkten verſtohlen, Wir ſchlidhen hinan; Doch, was ſie uns befohlen, Bald iſt es gethan. Wonoſiatus. 0 Göttin! Die du in der Grüfteit Verſchloſſen mit Dir ſelber wohneſt, Bald in den höchſten Himmelslüften, Zum Truß der ſtolzen Lichter, throneſt, 20 , höre deinen Freund! höre deinen künftigen Gatten! Was hindert did, allgegenwärtige Macht, 10 15 Der Zauberflöte zweiter Teil.! : 231 1 Was hält sich ab, o Königin der Nacht, In dieſem Augenblick uns hier zu überſchatten! (Donnerſdlag. Monoſtatos und die Mohren ſtürzen zu Boden. Finſternis. dem Portal entwickeln ſich Wolten und verſchlingen es zuletzt.) Die Königin (in den Wolken). Wer ruft mich an? Wer wagt's, mit mir zu ſprechen? Wer, dieſe Stille kühn zu unterbrechen? - Ich höre nichts – ſo bin ich denn allein! Die Welt verſtummt um mich; ſo ſoll es ſein! (Die Wolken dehnen ſid, über das Theater aus und ziehen über Monoſtatos und die Mohren hin, die man jedod) 110 di fchen kann.) Woget, ihr Wolken, hin, Decket die Erde, Daß es noch düſterer, Finſterer werde! Schrecken und Schauer, Klagen und Trauer Leiſe verhalle bang, Ende den Nachtgeſang Schweigen und Tod! Monoſtatos und das Chor (in voriger Stellung, ganz leiſe). Vor deinem Throne hier Liegen und dienen — . - Königin. Seid, ihr Getreuen, mir Wieder erſchienen? Monoſtatos. Ja, dein Getreuer, Čeliebter, er iſt's. Königint. Bin ich gerochen? Chor. Göttin, du biſt's! Königiit. Schlängelt, ihr Blite, Mit wütendem Eilen, Raſtlos, die laſtenden Nächte zu teilen! 232 Der Zauberflöte zweiter Teil. 55 60 Strömet, Kometen, Am Himmel hernieder, Wandelnde Flammen, Begegnet euch wieder, Leuchtet der hohen Befriedigten Wut! Monoſtatos und das Chor. Siehe !. Kometen, Sie ſteigen hernieder, Wandelnde Flammen Begegnen ſich wieder, Und von den Polen Erhebt ſich die Glut. (judem ein Nordlidt jid aus der Mitte verbreitet, ſteht die Königin wie in einer Glorie. Jll den Wolkeit freuzen ſich Rometen, Elmsfeuer und Lichtbaren. Das Ganze muß durd) Form und Farbe und scheime Symunctrie cinci zwar grauſen- vajten, dod angenchmen Effekt inadien.) Monoliatos. In ſolcher feierlichen Pracht Wirſt du nun bald der ganzen Welt erſcheinen; fuis Neich der Sonne wirket deine Macht. Pamina und Tamino weinen; Ihr Höchſtes Glück ruht in des Grabes Nacht. Königiit. Ihr neugeborner Sohn, iſt er in meinen Händen? Monoſtatos. Noch nicht; doch werden wir's vollenden, Ich lef es in der Sterne wilder Schlacht. Königin. Noch nicht in meiner Hand? Was habt ihr denn gethan? . Monoſtatos. O Göttin, fieh uns gnädig an! In Jammer haben wir das Königshaus verlaſſen; Nun kannſt du ſie mit Freude haſſen. Vernimm! – Der ſchönſte Tag þeſtieg ſchon ſeinen Thron, 75 Die füße Hoffnung hahte ſchon, Verſprad), der Gattentreue Lohn, Den langerflehten erſten Sohn. Die Mädchen 'wanden ſchon Sie blumenreichſten Kränze, Sie freuten ſich auf Opferzug und Tänze, 65 70 SO Der Zauberflöte zweifer Teil. 233 90 95 Und neue Kleider freuten ſie noch mehr. Indes die Fraun mit klugem Eifer machten ünd mütterlich die Königin bedachten — Unſichtbar ſchlichen wir durch den Palaſt umher — Da rief's: Ein Sohn! ein Sohn! Wir öffnen ungeſäumt 85 Den goldnen Sarg, den du uns übergeben; Die Finſternis entſtrömt, umhüllet alles Leben, Giit jeder tappt und ſchwanft und träumt. Die Mutter hat des Anblicks nicht genoſſen, Der Vater ſah noch nicht das holde Kind, Mit Feuerhand ergreif? ich es geſchwind, In jenen goldnen Sarg wird es ſogleich verſchloſſen – Und immer finſtrer wird die Nacht, In der wir ganz allein mit Tigeraugen ſehen; Doch; ach! da muß, ich weiß nicht, welche Macht Mit ſtrenger Kraft uns widerſtehen. Der goldne Sarg wird ſchwer – Chor. Wird ſchwerer uns in Händen. Monoſtatos. Wird ſchwerer, immer mehr und mehr! Wir können nicht das Werk vollenden. Chor. Er zieht uns an den Boden hin. Monofiatos. Dort bleibt er feſt und läßt ſich nicht bewegen. Gewiß! es wirkt Saraſtros Zauberſégen. Chor. Wir fürchten ſelbſt den Bann und fliehn. Königin. Ihr Feigen, das ſind eure Thaten? Mein Zorn - Chor. Halt ein den Zorn, o Königin! Monoſtatos. Mit unverwandtem, klugem Sinn Drück ich dein Siegel ſchnell, das niemand löſen kann, Aufs goldne Grab und fperre ſo den Knaben Auf ewig ein. 110 100 105 234 Der Zauberflöte zoveiter Teil... 115 120 125 So mögen ſie den ſtarren Liebling haben! Da inag er ihre Sorge ſein! Dort ſteht die tote Laſt; der Tag erſcheinet bange, Wir ziehen fort mit drohendem Geſange. Chor.. Sähe die Mutter je, Säh ſie den Sohn, Riffe die Parze gleich Schnell ihn davon. Sähe der Vater je, Säh' er den Sohn, Riffe die Parze gleich Schnell ihn davon. Monoſtatos. Zwar, weiß ich, als wir uns entfernt, Iſt federleicht der Sarkophag geworden. Šie bringen ihn dem brüderlichen Orden, Der, ſtill in fich gekehrt, die Weisheit lehrt und lernt. Nun muß mit Lift und Kraft dein Knecht aufs neue wirken! Selbſt in den heiligen Bezirken Hat noch dein Haß, dein Fluch hat ſeine Kraft. Wenn ſich die Gatten ſehn, ſoll Wahnſinn ſie berücken; 130 Wird fie der Unblick ihres Kinds entzüfen, So ſei es gleich auf ewig weggerafft. Königiit, Monoſfatos und Clor. Sehen Sie Eltern je, Sehn fie fich an, Falſe die Seele gleich Šchauder und Wahn! Sehen die Eltern je, Sehn ſie den Sohn, Neiße die Parze gleich Schnell ihn davon! Das Theater geht in ein Chaos über, daraus entwickelt ſich : Ein königlicher Saal. (Frauen tragen auf einein gordnen Geſtelle, von welchem ein prächtiger Teppid, herab- hängt, einen goldnen Sarkophag. Andre tragen einen reidhen Baldad in dariiber. Chor.) Chor der Frauen. In ſtiller Sorge wallen wir - Und trauern bei der Luft; 135 140 Der Zauberflöte zweiter Teil. 235 145 145 150 135 Ein Kind iſt da, ein Sohn iſt hier, Und Kummer drückt die Bruſt. Eine Dame: So wandelt fort und ſtehet niemals ſtille, Das iſt der weiſen Männer Wille; Vertraut auf ſie, gehorchet blind! So lang ihr wandelt, lebt das Kind. Chor. Uch, armes eingeſchloßnes Kind, Wie wird es dir ergehen! Dich darf sie gute Mutter nicht, Der Vater dich nicht ſehen. Eine Dame. Und ſchmerzlich ſind die Gatten ſelbſt geſchieden, Nicht Herz an Herz iſt ihnen Troft gegönnt. Dort wandelt er, dort weinet ſie getrennt; Saraſtro nur verſchafft dem Hauſe Frieden. Chor. O ſchlafe ſanft, o ſchlafe ſüß, Du längſt erwünſchter Sohn! Aus deinem frühen Grabe ſteigft Du auf des Vaters Thron. Eine Dame. Der König kommt; laßt uns von danner wallen! Im öden Naum läßt er die Klage ſchallen, Schon ahnet er die Dede feines Throns: Gr' ſehe nicht den Sarg des teuern Sohns. (Sie ziehen vorüber.) Tamino. Wenn den Vater aus der Wiege Zart und friſch der Knabe Cächelt, ünd die vielgeliebten Züge Holde Morgenluft umfächelt, Ja! dem Schickſal diefe Gabe Dankt er mehr, als alle Habe: Ach, es lebt, es wird geliebt, Bis es Liebe wiedergibt. Die Frauen (in der Ferne). Ach, es lebt, es wird geliebt, Bis es Liebe wiedergibt. 160 105 105 170 236 Der Zauberflöte zweiter Teil. 175 180 Tamino. Dämmernd nahte ſchon der Tag In Aurorens Purpurſchöne. Ách! ein grauſer Donnerſchlag Hüllt in Nacht die Freudenſcene. Und was mir das Schickſal gab, Deckt ſo früh ein goldnes Grab. Die Frauen (in der Ferne). Ach, was uns das Schickſal gab, Dect ſo früh ein goldnes Grab. Tamino. Ich höre fie, die meinen Liebling tragen. kommt heran! Laßt uns zuſammen klagen! O ſagt! wie trägt Pamina das Geſchick ? 185 Cine Dame. Es fehlen ihr der Götter ſchönſte Gaben, Sie ſeufzt nach dir, fie jammert um den Knaben. Tamino. D ſagt mir, lebt noch mein verſchloßnes Glück ? Bewegt ſich's noch an feinem Zauberplaße ? O, gebt mir Hoffnung zu dem Schake ! O, gebt mir Hald' ihn ſelbſt zurück ! Damen. Wenn mit betrübten Sinnen Wir wallen und wir lauſchen, So hören wir da Srinnen Gar wunderlich es rauſchen. Wir fühlen was ſich regen, Wir fehn den Sarg fich bewegen, Wir horchen und wir ſchweigen Auf dieſe guten Zeichen. Und nachts, wenn jeder Ton verhalt, So hören wir ein. Kind, das (alt. Tamino. Ihr Götter, ſchüket es auf wunderbare Weiſe, Erquicts mit eurem Trank, nährt es mit eurer Speiſe! und ihr beweiſt mir eure Treue, Bewegt euch inimer fort und fort! Bald rettet uns mit heil'ger Weihe Saraſtros (öfend Götterwort. 190 195 200 205 Der Zauberflöte 2 237 210 zweiter Teil. Lauſchet auf die kleinſte Regung, Meldet jegliche Bewegung Dem beſorgten Vater ja! Tamino und Chor. Und befreiet und gerettet, An der Mutter Bruſt gebettet, Lieg' er bald ein Engel da! 215 Wald und Fels, im Hintergrund eine Hütte, an der einen Scite derſelben ein goldner Waſſerfall, an der andern ein Vogelherd. Papageno, Papagena ſiken auf beiden Seiten des Thcaters von cinander abgcrvendet. Sie (ſteht auf und geht zu ihm). Was haſt du denn, mein liebes Männchen? Er (fifend). Ich bin verdrießlich; laß mich gehn! 215 - sie. Bin ich denn nicht dein liebes Hennchen? Magſt du mich denn nicht länger ſehn? Er. Ich bin verdrießlich! bin verdrießlich ! bie. Er iſt verdrießlich ! iſt verdrießlich ! Beide. Die ganze Welt iſt nicht mehr ſchön. 220 (Sic ſeft fich auf ihre Seite.) Er (steht auf und geht zu ihr) Was haſt du denn, mein ſiebes Weibchen? . mie. Ich bin verdrießlich; laß mich gehu! Er. Biſt du denn nicht mein ſüßes Täubchen? Will unſre Liebe ſchon vergehn? tir. Ich bin verdrießlich! bin verdrießlich ! Er (lich entfernend). Ich bin verdrießlich! bin verdrießlich! Bride. Was iſt uns beiden nur geſchehn? 220 225 238 Der Zauberflöte zweiter Teil. Er. Mein Kind! Mein Kind! laß uns nur ein bißchen zur Vernunft kommen! Sind wir nicht recht undankbar gegen unſere Wohlthäter, daß wir uns ſo unartig gebärden? Sie. Ja wohl! ich fag' es auch, und doch iſt es nicht anders. Er. Warum ſind wir denn nicht vergnügt? Hie. Weil wir nicht luſtig ſind. Er. Hat uns nicht der Prinz zum Hochzeitgeſchenk die koſtbare Flöte gegeben, mit der wir alle Tiere herbeilocken, hernach die ſchmackhaften ausſuchen und uns die beſte Mahl- zeit bereiten? Sie. Haſt du mir nicht gleich am zweiten Hochzeittag das herrliche Glockenſpiel geſchenkt? Ich darf nur drauf ſchlagen, ſogleich ſtürzen ſich alle Vögel ins Netz. Die Tauben fliegen uns gebraten ins Maul. Er. Die Haſen laufen geſpickt auf unſern Tiſch. Und Saraſtro hat uns die ergiebige Weinquelle an unſre Hütte herangezaubert – und doch ſind wir nicht vergnügt. Sie (leufzend). Ja! es iſt kein Wunder. Er (jeufzend). Freilich! kein Wunder. Sie. Es fehlt uns – Er. Leider, es fehlen uns - Sie (weinend). Wir ſind doch recht unglücklich! Er (weinend). ja wohl, recht unglüdlich! Hie (immer mit zunehmendem Weinen und Sajludjzen). Die ſchönen, Er (gleiðsfalla). Artigen, Sie. Kleinen, Er. Charmanten, Hie. Pa - Er. Pa Sie. Papa - Er. Papa -- Sie. Ach! der Schmerz wird mich noch umbringen. Er. Ich mag gar nicht mehr leben! Sir. Mich deudste, fie' wären ſchon da. Er. Sie hüpften ſchon herum. Wie war das ſo artig., Erſt einen kleinen Papageno. Hie. Dann wieder eine kleine Papagena. Er. Papageno. Hie. Papagena. Er. Wo ſind ſie nun geblieben? Sie. EL. Der Zauberflöte zweiter Teil. Sie. Sie ſind eben nicht gekommen. Er. Das iſt ein rechtes Unglück! Hätte ich mich nur beizeiten gehangen! Hie. Wär' ich nur eine alte Frau geblieben! Beide. Ach, wir Armen! Chor (hinter der Scene). Ihr guten Geſchöpfe, Was trauert ihr fo? Shr (uſtigen Vögel, Seid munter und froh! 230 Er. Aha!. 235 Sie. Aha! Beide. Es klingen die Felſen, Sie ſingen einmal. So klangen, .. So ſangen Der Wald ſonſt und der Saal. Chor. Beſorgt das Gewerbe, Genießet in Ruh! Euch ſchenken die Götter — (Pauſe.) Er: Die Pa? Chor (ats Edo). Die Pa, Pa, Pa. - Sie. Die Pa? Pa? Pa? . Chor (ats Echo). Pa, Pa, Pa, Pa. Er. Die Papagenos? (Pauſe.) Bie. . Die Papagenas? (Pauſe.) Chor. Euch geben die Götter Die Kinder dazu. 2.15 240 Der Zauberflöte zweiter Teil. 250 2 255 Er. Komm, laß uns geſchäftig ſein! Da vergehn die Grillen. Erſtlich noch ein Gläschen Wein – (Sie gehn nadi der Quelle und trinken.) Beide. Nun laß uns geſchäftig ſein! Schon vergehn die Grillen. (Er nimmt die Flöte und ficht ſich um, als wenn er nadı dem Wilde jähe. Sie fctzt ſich in die kleine Laube an den Vogelherd und nimmt das Glockenſpiel vor ſid).) (Er bläſt.) Wie (ſingt). Laß, o großer Geiſt des Lichts, Unſre fagd gelingen! (Sie ſpielt.) Beide (ſingen). Laß der Vögel bunte Schar Nach dem Herde dringen? (Er bläſt.) - Sie (ſingt). Sieh! die Löwen machen ſchon Friſch ſich auf die Reiſe. (Sie ſpielt.) Er (ſingt). Gar zu mächtig ſind ſie mir;.. Sie ſind zähe Speiſe. (Er bläſt.) Sie (jingt). Hör, die Vöglein flattern ſchon, Flattern auf den Äeſten. (Sie ſpielt.) Er (ſingt). Spiele fort! Das kleine Volk Schmeckt am allerbeſten. Auf dem Felde hüpfen ſchon Schöne, fette Hühnchen. (Er bläſt.) Sie (ſpielt und ſingt). Blaſe fort! da kommen ſchon Haſen und Kaninchen. (Es crſcheinen auf dem Felſen Haſen und Kanindjen. Indoſjen ſind auch die Löwen, Bären und Affen angekommen und treten dem Papageno in Weg.) (Sie ſpielt.) Er (ſingt). Wär ich nur die Bären Yos! Die verwünſditen Affen! 260 .265 270 Der Zauberflöte zweiter Teil. 241 275 280 Gene find ſo breit und Sunn, Das ſind ſchmale Laffent. (Auf den Bäumen laſſen ſich Papageien ſehen.) Sie (ſpielt und ſingt). Auch die Papageienſchar Kommt von weiten Reiſen. Glänzend farbig find fie zwar, Aber ſchlecht zu fpeiſen. . Er (hat indeſſen den Haſen nachgeſtellt und einen erwiſđt und bringt ihn an den Löffeln hervor). Sieh, den Haſen haſcht' ich mir Aus der großen Menge. Sie Chat indeſſen das Garn zugeſchlagen, in welchem man Vögel flattern fickt). Sieh, die fetten Vögel hier Garſtig im Gebränge. (Sie nimmt einen Vogel heraus und bringt ihn an den Flügeln hervor.) Beide. Wohl, mein Kind! wir leben fo Einer von dem andern." Laß uns Heiter, laß uns froh Nach der Hütte wandern! Chor (unſichtbar). Ihr luſtigen Vögel, Seid munter und froh! Verdoppelt die Schritte ! Schon ſeid ihr. erhört: Such iſt in der Hütte Das beſte beſchert. 290 (Bei der Wiederholung fallen Er und šie mit cin.) Verdopple die Schritte! Schon ſind wir crhört: Uns iſt in der Hütte Das beſte beſchert. 255 Goethe, Werke. VII. 16 242 Der Zauberflöte zweiter Teil.. . 295 300 Temper. Dcrſam in (ung der Priciter. Chor. Schauen kann der Mann und wählen! Doch was hilft ihnı oft die Wahl?. Kluge ſchwanken, Weiſe fehlen, Doppelt iſt dann ihre Qual. Recht zu handeln, Grad zu wandeln, Sei deš. edlen Mannes Wahl! Soll er leiden, Nicht entſcheiden, Spreche Zufall auch einmal! Saraſtro tritt vor dem Schluſje des Oějanges unter ſie. Sobald der Ocjang vers klungen hat, kommt der Spredjer herein und tritt zu Saraſtro. Der spreder. Vor der nördlichen. Pforte unſerer heiligen Wohnung ſtehet unſer Bruder, der die Pilgrimſchaft unſeres Jahres zurücgelegt hat, und wünſcht, wieder eingelaſſen zu werden. Er überſendet hier das gewiſſe Zeichen, an dem du erkennen kannſt, daß er noch wert iſt, in unſere Mitte wieder aufgenommen zu mperden. (Er überreicit Saraſtro einen runden Sryſtall an einem Bande.) Saraſtro. Dieſer geheimnisvolle Stein iſt noch hell und · klar. Er würde trüb erſcheinen, wenn unſer Bruder gefehlt hätte. Führe den Wiederkehrenden herán! (Der Sprecher geht ab.) , Sarafiro. In dieſen ſtillen Mauern Lernt der Menſch ſich ſelbſt und ſein Innerſtes erforſchert. Er bereitet ſich vor, die Stimme der Götter zu vernehmen; aber die erhabene Sprache der Natur, die Töne der bedürftigen Menſchheit lernt nur der Wandrer kennen, der auf den weiten Gefilden der Erde umherſchweift. In dieſem Sinne verbindet uns das Geſetz, jährlich einen von uns als Pilger hinaus in die rauhe Welt zu ſchicken. Das Los entſcheidet, und der Fromme gehorcht. Auch ich, nachdem ich mein Diadem dem würdigen Tamino übergeben habe, nach denn er mit junger Kraft und frühzeitiger Weisheit an meiner Stelle regiert, bin heute zum erſtenmal auch in dem Falle, ſo wie jeder von euch in das heilige Gefäß zu greifen und mich dem Ausſpruche des Schick- fals zu unterwerfen. · Der Zauberflöte zweiter Teil... 243 Der Spreder mit dem Pilger fritt ein. Pilger. Heil dir, Vater! Heil euch, Brüder ! Alle. Heil dir! Saraſtro. Der Kryſtall zeigt inir an, daß du reines Herzens zurüce kehrſt, daß keine Schuld auf dir ruht. Nun aber teile deinen Brüdern mit, was du gelernt, was du er- fahren haſt, und verinehre die Weisheit, indem du ſie be- ſtätigſt! Vor allem aber warte noch ab, wem Du deine Kleider, wem du dieſes Zeichen übergeben ſollſt, wen der Wille der Götter für diesmal aus der glücklichen Geſellſchaft entfernen wird. (Er gibt dem Pilger die Kugel zurüc. Zwei Prieſter bringen cinen tragbaren Altar, auf welchem cin fladjes gordics Gefäß ſteht. Der Urtar muß ſo hodh ſein, daß mani nicht in das Gefäß vincinjchen kann, ſondern in die Höhe reidhen muß, im hinein- zugreifen.) Chorgeſang. Saraſtro (der ſeine Rolle auseinander wickelt). Mich traf das Los, und ich zaudere keinen Augenblick, mich ſeinem Gebote zu unterwerfen. Ja, die Ahnung iſt erfüllt. Mich entfernen Die Götter aus eurer Mitte, um euch und mich zu prüfen. fm wichtigen Augenblicke werde ich abgerufen, da die Kräfte feindſeliger Mächte wirkſamer werden. Durch meine Trennung von euch wird die Schale des Guten leichter. Haltet feſt zu= ſainment, dauert aus, lenkt nicht vom rechten Wege, und ivir werden uns fröhlich wiederſehen. Die Krone gab ich meinem lieben, Ich gab ſie ſchon dem werten Marin. Die Herrſchaft iſt mir noch geblieben, Daß ich euch allen dienen kann. Doch wird auch das mir nun entriſſen; Ich werd euch heute laſſert müſſen, ũnd von dem heilig lieben Ort" – Ich gehe ſchon. Leb? wohl, mein Sohn! Lebt wohl, ihr Söhne ! Bewahret der Weisheit hohe Schöne! Ich gehe ſchont : Vom heilig lieben Ort Als Pilger aus der Halle fort. (Während dieſer Urie gibt Saraſtro ſein Oberfleid und die Hohcuprieſterlidion X6- zeidien hinweg, die nebſt Dein goldnen Gefäße weggetragen Iverdeii. Er empfängt Dagegen' dic Pilgerkleider, das Band mit der Kriſtallkugel wird ihm umgehangen, und er nimmt den Stab in die Hand. Hiczu wird der Komponiſt zivijdjen deri ucr Ichiedenen Teilen der Uric, icdod) nur ſo viel als nötig, Raum zu laſjon iviſſen.) 305 310 244 Der Zauberflöte zweiter Teil. 320 325 330 Chor. Wer herrſchet nun An heilig lieben Ort? Sr geht von uns als Pilger fort. (Die Prieſter bleiben zu beiden Seiten ſtehen, der Altar in der Mitte.) Saraſtro. Mir wars bei euch, ihr Brüder, Das Leben nur ein Tag. Drum finget Freudenlieder, Werft euch in Demut nieder Und gleich erhebt euch wieder, Was auch der Gott gebieten mag. Von cuch zu ſcheiden, Von euch zu laſſen, Welch tiefes Leiden! Ich inuß mich faſſen, O harter Schlag! (nb.) Chor. Ihr heiligen Hallent, Vernehmet die Klagen! Nicht mehr erſchallen An Heitern Tagen Saraſtros Worte, Am ernſteu Dite In edlen Pflichten Zu unterrichten.- Es ſoll die Wahrheit Nicht mehr auf Siden In ſchöner Klarheit Verbreitet werden. Dein hoher Gang Wird nun vollbracht; Doch uns umgibt Die tiefe Nacht. 335 340 Ein feierlicher Zug. Pamina mit ihren Geforge. Das Räſtchen wird gebracht. Sie will cs, ciner Bor: Bedeutung zufolge, der Sonne widmen, und das Nälldheri wird auf den Altar geſetzt. Gcbet, Erdbeben. Der Altar verſinkt und das säjidier mit. 'Verziuciflung der Hamina. Dicje Scene iſt dergellalt angelegt, daß die Sdhauſpiclerin Durd, Scihilfe der Muſik cinc vedeutende Folge von Leidenſchaften auädriicken fanii. 3:13 Der Zauberflöte zweiter Teil. 245 Ward und Fels. Þapagenua Wo 11111119. Sie haben große ſchöne Eicr in der Hütte gefunden. Sie vermuten, daß beſondere Vöget drinnen ſteden mögen. Der Didyter muß jorge, daß die bei dieſer Gelegene heit vorjallenden Späße innerhalb der Grenzeil der Schidlichkeit bleibeni. Saraſtro kommt zil ihnen. Nach einiger myſtiſchen Nieußerungen über die Naturfräfte ſteigt cin niedriger Jelien aus der Erde, in doſjen Sinnern ſid, ein Jeuer bewegt. Auf Saraſtros Unweiſung wird auf demſelbigen ein artigos Neſt zurecht gemacht, sie Fier hincingeregt und mit Blumen bedeckt. Saraſtro' cnticrut fid). Die Gier fangen an zu schwellen, cins niad, dem andern bridit auf, und drci Sinder kommen Heraus, zivci guigen und ein Mäddien. Syr erſtes Betragen untereinander, ſuivie gegen die Alten, gibt 311 didterijden und muſikaliſden Edicrzen Geligenyeit. Saraſtro formt zii ihnen. Einige Worte über Erzichung. Darin erzählt er ihnen den traurigen Zuſtand, in dem ſidPamina und Tamino befinden. Nadi Dein Berjiniken des Näjichens jucht Banina ihreil Gaticii ai auf. Indem fic fi di erblickcii, fallcii fie in cinci pcriodijden Schlaf, vvie ihnen angedroht war, aus dem ſie nur kurze Zeit crivadcu, im jidi der Verzweiflung zu überíaſja. Saraſtro heißt die muntre Familic niad) Hofe gehen, in die Betrübnis burd; ihre Edicrze auſzuheitern. Beſonders foll Papageno die Flöte mitnehmen, um deren Heilinde Straft zu verſuchen. Saraſiro bleibt allein zurück und erſteigt unter einer bedeutenden Ärie den Heiter liegenden Berg. 350 Vorſaal im Palaſt. 3 wci Damen und zwei Qerren gehen auf und ab. Tutti. Stille, daß niemand ſich rühre, ſich rege, Daß der Geſang nur fich ſchläfernd beivege! Wachend und ſorgend befümmert euch hier; Kranket der König, ſo franken auch wit. Dritte Dame (jajuelt kommend). Wollet ihr das Neuſte hören, Kann ich euch das Neuſte ſagen; Lange werden wir nicht flagen, Denn die Mutter iſt verſöhnt. Dritter Herr (fahneď tommend und einfallend). Und man ſaget, Papageno Hat den größten Schatz gefunden, Große Gold- und Silberklumpen, Wie die Straußencier groß. Erſtes Tutti. Stille, wie mögt ihr das Nene nur bringen, Da wir die Schmerzen der Könige fingen? (Pauſe.) Aber ſo redet denn, inacht es nur fund ! - 353 360 Der Zauberflöte zweiter Teil. Dritte Dame. Wollet ihr das Neuſte hören? — Dritter Herr. 365 370 375 Dritte Dame. Laſſet euch das Neuſte ſagen – Dritter Herr. Hat den größten Schatz gefunden – Vierte Dame (ſchnell kommend und einfallend). War Saraſtro doch verſchwunden; Doch man weiß, wo er geweſen, Kräuter hat er nur geleſen, Und er kommt und macht geſund. Vierter Herr (geſchwind kommend und einfallend). Ich verkünde frohe Stunden, . Alle Schmerzen ſind vorüber; Denn es iſt der Prinz gefunden, Und man trägt ihn eben her.. Tutti (der letzten Viere, in welchem ſie ihre Nadrid,ten verſchränkt wiederholen.) Tutti (der erſten Diere). Stille, wie mögt ihr die Märchen uns bringen? Helfet die Schmerzen der Herrſcher befingen! Wär' es doch wahr, und ſie wären geſund! (Die legten Biere fallen ein, indem ſie ihre Nachrichten immer verſdränkt wiederholen.) Papageno und Papagena, die mit der Wadhe ſtreitend hereindringen. Papageno. Es ſoll mich niemand abhalten! Papagenn. Mich auch nicht! Papageno. Ich habe dem König eher Dienſte geleiſtet, als eure Bärte zu wachſen anfingen, mit denen ihr jeko grimmig thut. Papagenn. Und ich habe der Königin manchen Gefallen gethan, als der böſe Mohr ſie noch in ſeinen Klauen hatte. Freilich würde ſie inich nicht mehr kennen; denn damals war ich alt und häßlich, jezo bin ich jung und hübſch. Papageno. Alſo will ich nicht wieder hinaus, da ich einmal herein bint. Papagenn. Und ich will bleiben, weil ich hier bin. L Der Zauberflöte y 247 zweitei Teil. . Herr. Sieh da das gefiederte Paar! recht wie gerufen! (Zur Wache.) Laßt ſie nur! ſie werden dem König und der Königin willkommen ſein. Papageno. Tauſend Dank, ihr Herren! Wir hören, es ſieht hier ſehr übel aus. verr. Und wir hören, es ſieht bei euch ſehr gut aus. Papageno. Bis es beſſer wird, mag es hingehen.. Dame. Ift's denn wahr, daß ihr die herrlichen Eier gefunden habt? Papageno. Gewiß. Herr. Goldne Straußeneier? Papageno. Nichts anders. Dame. Kennt ihr denn auch den Vogel, der ſie legt? Papageno. Bis jeßt noch nicht. Dame. Es müſſen herrliche Eier ſein. Papageno. Ganz unſchätzbar. Herr, Wie viel habt ihr denn bis jetzt gefunden? Papageno. Ungefähr zwei bis dritthalb Schod. Dame lind alle maſſiv ? Papageno. Bis auf einige, die lauter. Ivaren. Herr. Allerliebſter Papageno, Shr ließt mir wohl eine Mandel zukommen? Papageno. Von Herzen gern. Dame. Ich wollte mir nur ein paar in mein Naturalien- kabinett ausbitten. Papageno. Sie ſtehen zu Dienſten. Dame. Dann habe ich noch ein Dukend Freunde, alles Naturforſcher, die ſich beſonders auf die edeln Metalle vor- trefflich verſtehen... Papageno. Alle ſollen befriedigt werden. Herr. Ihr ſeid ein vortrefflicher Menſch. . Papageno. Das wird mir leicht. Die Gier ſind das Wenigſte. Ich bin ein Handelsmann und zwar im Großen, ivie ich ſonſt im Kleinen war. Dane. Wo ſind denn eure Waren? Papageiro. Draußen vor dem äußerſten Schloßhofe. Ich mußte ſie ſtehen laſſen. Dame. Gewiß wegen des Zolls. Papageno. Šie wußten gar nicht, was fie fordern ſollten. Herr. Sie ſind wohl ſehr koſtbar. Papageno. Unſchätbar. 248 Der Zauberflöte zweiter Teil. LU 380 885 Dame. Man kann es nach den Eiern berechnen. Papageno. Freilich! fie ſchreiben ſich von den Eiern her. Herr (zur Dame). Wir müſſen ihn zum Freunde haben, wir müſſen ihnen durchhelfen. (Mit Papageno und Papagena ab, fodann mit beiden zuriid. Sie tragen goldne Säfige mit beflügelten Kindern.) Papageno und Papagenn. Von allen ſchönen Waren, Zum Markte hergefahren, Wird feine mehr behagen, Als die wir euch getragen Aus fremden Länderit bringen. D höret, was wir finger, Und ſeht die ſchönen Vögel ! Sie ſtehen zum Verkauf. Papagena (einen herauslaſſend). Zuerſt beſeht den großen, Den luſtigen, den lofen! Er hüpfet leicht und munter Von Baum und Buſch herunter; Gleich iſt er wieder droben. Vir ivollen ihn nicht loben. O, ſeht den inunterit Vogel! Er ſteht hier zum Verkauf. Popogeno (den andern vorweiſend). Betrachtet nur den kleinen: Er will bedächtig ſcheinen, Und doch iſt er der loſe, So gut als wie der große. Er zeiget meiſt im ſtillen Den allerbeſten Willen. Der loſe kleine Vogel, Er ſteht hier zum Verkauf. Papagena (das dritte zeigend). O, feht das kleine Täubchen, Das liebe Turtelweibchen! Die Mädchen ſind ſo zierlich, Verſtändig und manierlich; Sie mag fich gerne putzen Und eure Licbe nutzen. 390 390 395 400 405 Der Zauberflöte zweiter Teil. 249 4.15 413 Der kleine zarte Vogel, Er ſteht hier zum Verkauf. 410 Beide. Wir wollen ſie nicht lobent, Sie ſtehn zu allen Probei.. Sie lieben ſich das Neue; Doch über ihre Treue Verlangt nicht Brief und Siegel: Sie haben alle Flügel. Wie artig ſind die Vögel ! Wie reizend iſt der Kauf! (Es hängt von dem Komponiſten ab, die letzten Zeilen eines jeden Berſes teils durch die Kinder, teils durch die Alten und zuletzt vielleidt durch das ganze Char der gegen= wärtigen Perſonen wiederyolen zu laſſen.) Dame. Sie find, wohl artig genug; aber iſt das alles ? Papagenn. Alles und, ich Sächte, genug. Herr. Habt ihr nicht einige von den Eiern im Korbe? Sie wären mir lieber als die Vögel. Papagrno. Ich glaub's. Sollte man übrigens in dieſer wahrheitsliebenden Geſellſchaft die Wahrheit ſagen dürfen, ſo würde man bekennen, daß man ein wenig aufgeſchnitten hat. Herr. Nur ohne Umſtände. Papngeno. So würde ich ſagen, daß dieſes unſer ganzer- Reichtum fei. Dame. Da wärt ihr weit. Herr. lind die Eier ? Papageno. Davon ſind nur die Schalen 110ch übrig, denn chen dieſe find heraiisgekrochen. Herr. Und die übrigen Dritthalb Schock ingefähr? Papageno. Das war nur eine Rederisart. Dame. Da bleibt Euch wenig übrig. Papngeno.. Ein hübſches Weibchen, luſtige Kinder und . guter Humor. Wer hat mehr? · Herr. Du biſt alſo noch immer weiter nichts als ein Luſtigmacher? Papageno. Und deshalb unentbehrlich. Herr. Vielleicht könnte dieſer Spaß den König und die Königin erheitern? Dame. Keineswegs. Es würde vielleicht ihnen nur traurige Erinnerungen geben. Papageno. Und doch hat mich Saraſtro deswegen her: geſchickt. 11 1. 250 Der Zauberflöte zweiter Teil. Herr. Saraſtro? Wo Habt Ihr Saraſtro gelehn? Papageno. In unſern Gebirgen. Herr. Er ſuchte Kräuter ? Papageno. Nicht, daß ich wüſte. Herr. Ihr ſaht doch, daß er ſich manchmal bückte. Papageno. fa, beſonders menn er ſtolperte. Herr. So ein heiliger Mann ſtolpert nicht; er büfte fich vorſäßlich. Papageno. Ich bin es zufrieden. Herr. Er ſuchte Kräuter und vielleicht Steine und kornmt hieher, König und Königin zu heilen. Papageno: Wenigſtens heute nicht; denn er befahl mir ausdrücklich, nach dem Palaſte zu gehen, die berühmte Zauber- flöte mitzunehmen und beim Šrwachen von Shro Majeſtäten gleich die ſanfteſte Melodie anzuſtimmen und dadurch ihren Schmerz menigſtens eine Zeitlang auszulöſchen. Danie. Man muß alles verſuchen. Herr. Es iſt eben die Stunde des Erwachens. Ver- ſucht euer Möglichſtes. An Dank und Belohnung ſoll es nicht fehlen. Pamina und Tamino unter cinem Thronhimmel auf zwei Seſſeln ſchlafend. Man wird, um den pathetiſchen Eindruck nicht zu ſtören, wohl die Papagena mit den fiindcrii abtreten laſſen, auch Papageno, der die Flöte bläſt, kann ſich hinter die Couliſjc wenigſtens Halb verbergen und nur von Zeit zu Zeit jid chen (aſſen.) Pominn (auf den Ton der Flöte erwachend). An der Seite des Geliebten Süß entſchlafen, ſanft erwachen, Gleich zu ſehn den holden Blic – (Papageno hört auf zi1 blaſen und hordst.) Tamino (erwachend). Ach, das könnte den Betrübten Gleich zum frohen Gatten machen; Aber, ach, was ſtört inein Glück!" Chor. Papageno, blaſe, blaſe! 425 Denn es fehrt der Schmerz zurück. Pamina (aufſtehend und Herunterkommend). Xufgemuntert von den Gatten, Sich zur Thätigkeit erheben, Nach der Ruhe fanftem Schatten 420 Der Zauberflöte zweiter Teil. 251 435 435 4:10 F Wieder in das raſche Leben 430 Und zur Pflicht, o welche Luſt! Tamino (aufſtehend und Heruntertommend).' Inimerfort bei guten Thaten Šich der Gattin Blick erfreuen, Von der Milden wohlberaten, Sich der heitern Tugend weihen, O, wie hebt es meine Bruſt! (Sie umarmen fid). Pauſe, beſonders der Flöte.) . Chor. Papageno, laß die Flöte Nicht von deinem Munde kommen, Halte nur noch diesmal aus! Papageno Laßt inich nur zu Atem kommen, Denn er bleibt mir wahrlich aus. , Tamino und Pamina (jich voneinander entfernend). Ach, was hat man uns genonimen! 'D, wie leer iſt dieſes Haus! Chor. Blaſe, Papageno, blaſe! Halte nur noch diesmal aus! (Papageno bläſt.) Tamiro und Pamina (ſich einander freundliớ) nähernd). Nein, man hat uns nichts genommen, Groß und reich iſt unſer Haus. Papageno. Ach, mir bleibt der Atem aus! Chor. Halte nur noch diesmal aus! Pamina und Tamino. D, wie leer iſt dieſes Haus! 450 (Es iſt wohl überflüſſig, zu bemerken, daß es ganz von dem Komponiſten abhängt, den liebergang von Zufriedenheit und Freude zu Schmerz und Verztveiflung, nadi Prins vorſtehender Veríc, zu verdränken und zu ivicderholen.) 4.15 , 252 Der Zauberflöte zweiter Teil. . 403 460 (Es komen Prieſter. Es wird von dem Aomponiſten abhängen, ob derſelbe nur zwvci oder das ganze Chor cinfiihren will. d) nehme das Letzte an. Sie geben Nadjrid't, 'wo ſich das Kind befinde.) Prieſter. In den tiefen Erdgewölben, Hier das Waſſer, hier das Feuer, .. Ünerbittlich dann die Wächter, Dann die wilden Ungeheuer, Zwiſchen Leben, zwiſchen Tod, Halb entſeelet, Von Durſt gequälet, Liegt der Knabe. Hört ſein Flehen! Weh! ach, er verſchmachtet ſchon. Rettet! tettet euern Sohn! Alle. Welche Stille, welches Grauſen Liegt auf einmal um uns her! Welch ein dumpfes, fernes Sauſen, Welch ein tiefbewegtes Brauſen, 465 Wie der Sturm im fernen Meer! ammer lauter aus der Ferne Hör' ich alle Wetter brohen. Welche Nacht bedeckt den goldnen, Heitern Himmel, Ünd die Sterne Schwinden ſchon vor meinem Blick! (unterirdiſdes Gelvölbe. In der Mitte der Ultar mit dem säſtchen, wic cr verjant. din zwei Pfeilern ſtehen-geivaffnete Männer gelehnt und idcircii zii iclafen. Von ihnen gehen Netten herab, woran die Löwen gefcljelt ſind, die am Altare liegen. Alles iſt dunkel, das Häſtchen iſt transparent" und beleudstet die Scene.) Chor (unſichtbar). Wir richten und beſtrafen, Der Wächter ſoll nicht ſchlafen, Der Himmel glüht fo rot. Der Löwe fobie nicht raſten, Und öffnet ſich der Kaſten, So ſei der Knabe tot! (Die Löwen rịchten ſich auf und gehen an der. Sette hin und her.) Erſicr Wärter (ohne ſid) 311 Bewegen). Bruder, wachſt du? Zweiter (ohne ſich zu bewegen). Ich höre. 430 470 47:5 Der Zauberflöte zweiter Teil. 253 485 Erſter. Sind wir allein? Bweiter. Wer weiß? Erſter. Wird es Tag? Zweiter. Vielleicht ja. Erſter. Kommt die Nacht? Zweiter. Sie iſt da. Erſter. Die Zeit vergeht. Zweiter. Aber wie? Erſter. Schlägt die Stunde wohl? Bweiter. Uns nie. Bu zweien. Vergebens bemühet Thr euch da droben ſo viel. Es rennt der Menſch, es fliehet Vor ihm das bewegliche Ziel. Er zieht und zerrt vergebens Am Vorhang, der ſchwer auf des Lebens Geheimnis, auf Tagen und Nächten ruht. Vergebens ſtrebt er in die Luft, Vergebens dringt er in die tiefe Gruft. Die Luft bleibt ihm finſter, Die Gruft wird ihm heile; Doch wechſelt das Helle Mit Dunfel ſo ſchnelle. Er ſteige herunter, Er bringe Hinan; Er irret ud irret Von Wahne zu Wahı. • 490 495 495 500 505 254 Der Zauberflöte zieiter Teil. (Der hintere Vorhang öffnet ſids. Dekoration des Waſſers und Feucrs, ivie in der Zauberflöte. Linta das Feucr, cine kleine freie Erhöhung, wenn man da durd)= gegangen iſt, alsdann das Waſſer, oben drüber ein gangbarer Felſen, aber ohne Tempel. Die ganze Dekoration muß jo eingeriditet ſein, daß es ausſicht, als wenn 1110n von dein Felfen nur durd, das Feuer und das Waſſer in die Gruft kommen fönnte.) Tamino und Þamina kommen mit Fadern den Felſen Herunter. Im Scrab: ſteigen ſingen ſie. Tamino. Meine Gattin, meine Teure, D, wie iſt der Sohn zu retten! Zwiſchen Waſſer, zwiſchen Feuer, 510 Zwiſchen Graus und Ungeheuer Nuhet unſer höchſter Schat. (Sie gehen durchs Feuer.) . Paminn. Finer Gattin, einer Mutter, Die den Sohn zu retten eilet, Macht das Waſſer, macht das Feuer, 515 in der Gruft das Ungeheuer, Macht der ſtrenge Wächter Platz. (Oudejjen hat sich eine Wolke herabgezogen, ſo daß ſie in der Mitte zivijdon Waſſer und Feuer ſchwebt. Die Wolke thut fidi auf.) Die Königin der Nadt. Was iſt geſchehen! Durch das Waſſer, durch das Feuer Drangen fie glücklich und verwegen. 520 Auf, ihr Wächter! ihr Ungeheuer! Stellet mächtig euch entgegen Und bewahret mir den Schak! Die Wädter (richten ihre. Spcere gegen das Käſtchen, doch ſo, daß ſie davon ent- fernt bleiben. Die Löwen ſchließen ſich aufmerkſam an ſie an. Die Stellungen ſollten auf beiden Seiten ſymmetriſd). ſein). Wir bewahren, wir bewachen . Mit Speer und Löwenrachen, 525 O Göttin, deinen Schatz! Tamino und Pamina (hervorkommend). O mein Gatte, mein Geliebter, Meine Sattint, meine Teure, Sieh, das Waſſer, ſieh, das Feuer Madit der Mutterliebe Plak. 530 Fhr Wächter, habt Erbarmen! Dei Zauberflöte zweiter Teil. 255 535 510 Königin. Ihr Wächter, kein Erbarmen! Behauptet euren Plaß! Tamino und Pamina. Diveh! o weh uns Armen! Wer rettet unſern Schaß? Königin. Sie dringert durch die Wachen, Der grimme Löwenrachen Verſchlinge gleich den Schatz! (Die Wolke zicht weg. Stille.) Das Kind (im Näſtdien). Die Stimme des Vaters, Des Mütterchens Ton, Es hört ſie der Knabe Und wachet auch ſchon. Pamina und Tamino. O Seligkeit, den erſten Ton, Das Lallen ſeines Šohns zu hören! D, laßt nicht Zauber uns bethören! Für Götter, welche Seligkeit Beglückt uns ſchon! , laßt uns ihn noch einmal hören, Den füßeit Ton! Chor (unſichtbar). Nur ruhig! es ſchläfet Der Knabe nicht mehr; Er fürchtet die Löwen Und Speere nicht ſehr. Ihr halten die Grüfte Nicht lange mehr auf; Er Sringt in die Lüfte Mit geiſtigem Lauf. (Der Deckel des Staſtens ſpringt auf. Es ſteigt ein Genius Hervor, der durch die Lichter, weldie den Kaſten transparent machten, ganz erleuchtet iſt, wenn die Lichter To diaponiert ſind, daß die obere Hälfte der übrigen Figuren gleichfalls mit erleuchtet ijt. 31 dem Augenblick treten dič Wächter mit den Löwen dem Staſten näher ulld chtfernen Tamino und Pamina.), Genius. Hier bin ich, ihr Lieben! llud bin ich nicht ſchön? 513 550 555 . 256 . . Der Zauberflöte zweiter Teil. 560 505 Wer wird ſich betrüben, Sein Söhnchen zu ſehr?: In Nächten geboren, Im herrlichen Haus, Und wieder verloren fit Nächten und Graus. Es drohen die Speere, Die grimmigen Rachen; Und drohten mir. Heeré Und drohten mir Drachen, Sie haben doch alle 570 Dem Knaben nichts an. (In dem Augenblic, als die Wächter nach dem Genius mit den Spießen ſtoßen, fliegt er davon.) Goethes ſämtliche Werke. Reu durchgeſehene und ergänzte Uusgabe - in ſedysunddreißig Bänden. Mit Einleitungen von Karl Goedeke. Adter Band. Inhalt: Beitſtücke. Dramatiſche Gelegenheitsdidhtungen. Der Groß-Sophta. – Der Bürgergeneral. – Die Aufgeregten. - Des Epimenides Erivadjen. - Palacophron und Neoterpe. – Vorſpiel zu Eröffnung des Weimariſdien Theaters. – Was wir bringen. – Einzelne Szenen zu feſtlichen Gelegenheiten. DE Stuffgar f. I. G. Gotta’ſche 1 Gebrüder Kröner, Buchhandlung. Derlagshandlung. Drud von Ocbrüder Kröner in Stuttgart. Sinſei fung. Beitſtücke. Nach den Xeußerungen, die Goethe in der Beſchreibung der Campagne in Frankreich und in den Tages- und Jahresheften über Den unausſprechlichen Eindruck macht, den die berüchtigte Halsband- geſchichte auf ihn geübt habe: daß ſie ihn wie das Haupt der Gor- gone erſchreckt; daß ihm in dein unſittlichen Stadt-, Hof- und Staatsabgrunde, der ſich dort eröffnet, die greulichſten Folgen ge- ſpenſterhaft erſchienen ſeien, deren Erſcheinungen er geraume Zeit nicht habe los werden können, – nach Neußerungen der Art ſollte inan anichinen Sürfen, daß ſich in einer Dichteriſchen Behandlung eines ſolchen Stoffes wohl ein entſprechender Ausdruck werde finden Iaſien. Allein wenn man den Groß-stophta, den er 1791 ſchrieb, und die Geſchichte desſelben durchläuft, ſo zeigt ſich eine ſolche Gr- wartung als Täuſchung. Man darf aber auch nicht vergeſſen, daß iene Neußerungen erſt in den zwanziger Jahren, mehr als dreißig Fahre nach der Begebenheit, niedergeſchrieben wurden. Gleichzeitige Aeuße- rungen laſſen erkennen, daß Goethe nur von dem Nätſelhaften der berüchtigten Geſchichte angezogen wurde. Als das Dunkel gelichtet war, verror die Begebenheit den Reiz des Ungewiſſen. Er geſteht ſelbſt, daß er, dem Ungeheuren eine heitre Seite abzugewinnen', im Jahre 1789 für die Behandlung des Stoffes ,die Form der komiſchen Oper' geivählt, die ſich ihm ſchon längere Zeit als eine Scr vorzüglichſten drainatiſchen Darſtellungsweiſen empfohlen gehabt. Die Oper wurde begonnen, einige Baß-Arien (die kophtiſchen Lieder) von Reichardt komponiert, aber da waltete kein froher Geiſt über dem Ganzen, es geriet in Stocken', und um nicht alle Mühe zu verlieren, ſchrieb er ein proſaiſches Stück, und zwar ein Stück für die ,analogen Geſtalten der neuen Schauſpielergeſellſchaft, die cr Einleitung. bei lebernahme der weimariſchen Theaterleitung vorfand. Der Kardinal Nohant tritt als Domherr, die betrügeriſche Lamothe als Marquiſe, Sie mißbrauchte Oliva als Nichte auf, und daß unter dem Groß-Kophta niemand als Caglioſtro zu verſtehen iſt, ergibt fich von ſelbſt. Mit großer Bühnenkenntnis iſt das Stück aus: gearbeitet, aber der ,furchtbare und zugleich abgeſchmackte Stoffs war wenigſtens nicht von der furchtbaren Seite dargeſtellt; nur das Unſittliche der Geſellſchaft, an ſich allerdings furchtbar genug, und Die Myſtifikation trat hervor. Beifall fand das Stück nirgend, dennoch bekannte Goethe die Abſicht, dasſelbe wenigſtens alle Jahr einmal als Wahrzeichen aufführen zu laſſen, wie es denn in Weimar wirklich auch mehreremale wiedergegeben iſt. Für Goethe war das Stück ſo intereſſant, weil er barin mit den Thaumaturgen abſchloß. Die Welt hatte längſt damit abgeſchloſſen, und nichts konnte im Sommer 1791 grundloſer ſein, als die Klage über das erbärmliche Schauſpiel, wie die Menſchen nach Wundern ſchnappen, um nur in ihren linſinn und ihrer Albernheit Beharren zu dürfen und um ſich gegen die Obermacht des Menſchenverſtandes und der Vernunft wehren zu fönnen. War der Groß-ſophta ohne Beifall geblieben, fo traf der Bürgergeneral, ein Luſtſpiel in einem Akte, das 1793 anonyin erſchien, auf entſchiedenen Widerſpruch. Goethe nennt es die „zweite Fortſetzung der beiden Billets'. Dieſe einaktige Poſſe hatte Chr. Lebr. Heyne, der unter dem Namen Anton Wall ſchrieb, nach einem Nachſpiel des Grafen Florian ſchon 1783 für den achten Teil von Dyks komiſchem Theater der Franzoſen Bearbeitet und in der Folge in dem ,Stammhaum', mit Beibehaltung der drei Perſonen, Schnaps, Görge, Röſe, und unter Hinzufügung von Röſes Vater Märten, fortgeſetzt. Die kleinen Stücke fanden auf der deutſchen Bühne allgemeinen Eingang. In keinem von beiden war irgend ein poli- tiſches Element berührt. Die beiden Billets ſind ein Rottobillet, das eine Terne gewonnen, und ein Liebesbillet, beide in Görges Beſitz. Schnaps, der das Lottobillet ſtehlen will, vergreift fich und ſtiehlt das Liebesbillet. Er ſpinnt daraus eine pfiffige Intrigue, lügt Röschen vor, wie höhniſch ſich Görge Damit bei andern Mädchen breit gemacht habe, und weiß die Gläubige dahin zu bringen, daß ſic den zum Manne wählen will, der im Beſitz ihres Billets iſt. Da Görge fich ſicher glaubt, geht er die Abrede ein, findet aber nur das Lottobillet, während Schnaps bas andre aufweiſt. Görge wird alſo zornig abgewieſen. Da ihn Nöschen mehr gilt als der Gewinn Des Geldes, was bei Schnaps der umgekehrte Fall, bewegt er dieſen zum Austauſch des Billets, eilt "nach Nöſe zurück und erzählt ihr Einleitung. den Vorgang. Gerührt von ſeiner aufopfernden Liebe, erhört fie ihn und weiß unter einem Vorwande dem Schnaps auch das Lotto- billet wieder aus der Hand zu ſpielen, worauf das Liebespaar ihn init Schimpf und Schande heimiſdickt. Ebenſo harmlos iſt die Fort- ſetzung. Schnaps erſcheint þci Märten mit Trauerflor und lieſt ihin einen Brief, worin ,der oſtindiſche Gouverncur in Surinam mit Der erſten reitenden Poſt, franko Batavia', anzeigt, daß Schnapſens Vetter geſtorben und ihn zum Univerſalerben ab inteſtato' cingc- ſett Fabe; zugleich fügt er den Stammbaun der Schnäpſe bei, Ocren erſter Ahnherr von Karls des Großen Tochter oft in ihr Schlaf- gemach durch den Schnee getragen iſt; der zweite hat Kaiſer Rudolf von Schwaben die rechte Hand abgehauen, die noch in Merſeburg gezeigt wird u. ſ. w. Schnaps ſtainıt im ſiebten Gliede von dem Erſten ab und führt deshalb eine 7 im Wappen. Mit dieſen Aufſchneidereien beredet er den Alten, ihm Röſe zur Frau zu geben, und verheißt ihin die Würdc cines Geheimen Landrichters. Bei der Verbindung ſoll ihm der Alte nichts geben als die hundert So- vereigns, die er liegen hat, und nur als Reiſegeld – alles im tiefſten Geheimnis. Indeſſen ſtiehlt Schnaps dem Görge, der den Gewinn aus der Stadt geholt hat, während er init Nöſe tändelt, die Beutel vom Karren, ſteckt ſie in den Barbierſack und entfernt ſich. Görge aber hat Verdacht auf ihn, ſteigt bei ihm ein und findet den Barbier- ſack init dein Gelde, aber auch einen Brief darin, der als Begleit- brief zu: jenem grotesken Fabrikat gedient hat, das ein Kollege von Schnaps angefertigt, um dem Alten die hundert Goldſtücke abzu- ſchwindeln. Dieſein gehen die Augen auf. Schnaps redet ſich danit aus, es ſei ein Scherz geweſen, er haße mit dem Richter um zwei Groſchen gewettet, daſs der Alte zu ſchlau ſei, um ſich prellen zu laſſen. – Die Poſſen ſelbſt ſind längſt vergeſſen, und eine Inhalts- angabe, die nirgend geliefert war, ſchien Deshalb ſchon erforderlich, uin das Verhältnis Goethes zu ſeinem Vorgänger kenntlich zu machen. Auf Wunſch des Schauſpielers Beck und ganz cigentlich für dieſen nahın Goethe den Charakter des Schnaps wieder auf und ließ ihni ein weiteres Abenteuer veſtehen. Die Liebenden ſind verheiratet und glücklich. Schnaps iſt der arme ränkevolle Schlucker geblieben. Eine alte franzöſiſche Uniform nobft Freiheitsmüße und National- kokarde, die er ſich zu verſchaffcri gewußt, dienen ihm, als er ſich bei Märten eingeſchlichen, zur Beglaubigung der Lüge, daß er voin Jakobinerklub zur Anwerbung von tauſend Mann Revolutionsinacher aufgefordert und darüber zum Bürgergeneral geſetzt ſei. In dieſer vorausgenommenen Würde ſucht er ein Frühſtück zu ergaunern. Er erbricht, um die Revolution zu verſinnbildlichen, den Milchſchrank Einleitung. und bereitet ſich aus dem Rahm, der Schlippermilch, Brot und Zucker, die er den Reichen, dem Mittelſtande, den Adel und der Geiſtlichkeit vergleicht, die Suppe der Freiheit und Gleichheit, wird aber vor dem Genuß des Gerichtes durch den berben Knittel des Bauern vertrieben. Der Lärın ruft Richter und Edelmann herbei, · von denen der erſtere durch ſein amtseifriges Benehmen den ver- meintlichen Revolutionsbrand erſt recht auszubreiten im Begriff iſt, während Goethe durch den Mund des letzteren ſeine eigne beruhi- gende Anſicht ausjpricht, daß ein jeder bei ſich anfangen möge, er werde dann viel zu thuit finden. - An ſich iſt gegen das Luſt- ſpiel nidits einzuivenben, es iſt in Anlage und Ausführung eint Muſter- und Meiſterſtüc. Aber es rief bei den Zeitgenoſſen die lauteſte Mißbilligung hervor, und die Freunde des Dichters rebeten fich ein, er ſei gar nicht der Verfaſſer, und er habe nur aus Grille ſeinen Namen und einige Federſtriche einer ſehr ſubalternen Pro- Duftion zugewendet. Dieſen Zweiflerit, die durch die anonyme Herausgabe beſtärkt wurden, und den Beurteilern überhaupt ſchien es Goethcs Genius nicht würdig, ein Ereignis von ſo ungeheurer weltgeſchichtlicher Bedeutung wie sie franzöſiſche Revolution, alle ihre Auswüchſe zugegeben, in ein poſſenhaftes Luſtſpiel zu bringen; der Gegenſtand war zu ernſthaft, zu gegenwärtig, um eine ſolche Behandlung zu ertragen. Man ging aber weiter, indem man Goethe wegen dieſes heitern Bildes, wegen dieſer abſeits von der Straße der Weltgeſchichte liegenden grotesken Figut, die alle Schrecken der Revolution nachäfft, unt – ein Frühſtück zu erlangen, wie für ein abgelegtes politiſches Glaubensbekenntnis, gegen den Strom der Zeit, in Anſpruch nahn. Wenn auch. Wer würde denn heute nicht unterſchreiben, was hier über die Wirkung der Revolution auf kleine ungebildete und ungefittete Paraſiten ber Menſchheit geſagt iſt? Anders liegt die Sache freilich, wenn man den Wert Der Poffe mit Goethes Dichterwert maß; die Gattung erſchien tief - unter ihm; er wetteiferte mit einent Autor wie Wall; er ſchrieb einem Schauſpieler, wie mait ſagt, eine Rolle auf den Leib. Ja, wenn er nach Fauſt und Sphigenie nur ſolche Poffen geſchrieben hätte! Der Reichtum des Dichters beſteht nicht darin, nur viel in derſelben Gattung zu geben, ſondern jede Gattung zu behandeln, als wäre er für ſie geboren. Mit den beiden Billets' wollte auch Schiller wetteiferri; er hat gleichfalls eine Poſſe mit Schnaps als Þauptfigur entworfen. Und wo wäre denn in der dramatiſch- theatraliſchen Litteratur eine große Figur oder eine kleine, die nicht einem Schauſpieler auf den Leib geſchrieben würde ? Jeder Dichter fieht eine lebendige Perſon vor Augen, wenn er Perſonen ſchafft ; Einleitung. es wäre der dramatiſchen Litteratur in aller Weiſe förderlich, wenn die lebendigen Perſonen, die dem Dichter vorſchweben, nicht bloß in der Einbildung lebten, ſondern auf der Bühne ſtehen und gehen fönnten. Wir hätten viele ſchwächliche Kreaturen und ungeheuerliche Zerrbilder weniger. In den Aufgeregten, einem unvollendeten politiſchen Drama, zog Goethe breitere Schranken, um die politiſche Bewegung der Zeit zu erfaſſen und, wie ſie ihm erſchien, in lebendigen Geſtalten vor Augen zu ſtellen. In einem kleinen ablegenen Winkel der Erde, um einen kleinen Prozeß, den die Bauern gegen ihre Gutsherrſchaft führten, ſollte ſich das verkleinerte Bild der Revolution und ihrer hemmenden und freibenden Kräfte abſpiegeln. Die Auswahl der Charakterc war reich und treffend; die Herrſchaft, die Beamten, das Volk werden geſchildert und ganz, wie es dem Dichter gebührt, mit Gerechtigkeit. Die Gräfin, die ihres unmündigen Sohnes Güter, nicht ihre eignen, verwaltet, iſt in Paris geweſen und hat von dort mildere Geſinnungen mitgebracht. Sonſt hat ſie es leichter genommen, wenn die Herrſchaft Unredit hatte und im Beſitz war. Seitdem ſie aber bemerkt hat, wie ſich unbilligkeit von Geſchlecht zu Geſchlecht ſo leicht aufhäuft, wie großmütige Handlungen meiſtens teils nur perſönlich ſind und der Eigennut alleint gleichſam erblich wird; ſeitdem fie mit Augen geſehen hat, daß die menſchliche Natur auf einen unglücklichen Grad gedrückt und erniedrigt, aber nicht unterdrüdt und vernichtet werden kann: ſo hat ſie ſich feſt vor: genommen, jede einzelne Handlung, die ihr unbillig erſcheint, ſelbft ſtreng zu meiden 'und unter den Fhrigen, in Geſellſchaft, bei Hofe, in der Stadt über ſolche Handlungen ihre Meinung laut zu ſagen. Sie will zu keiner Ungerechtigkeit inehr ſchweigen, keine Kleinheit unter einem großen Scheine ertragen, und wenn ſie auch unter dem verhaften Namen einer Demokratin verſchrieen werden ſollte. Sie wünſcht, dem unangenehmen Streite mit den Unterthanen in Billigkeit ein Ende gemacht zu ſehen; ſie denkt und handelt groß- mütig, wie es dein anſteht, der Macht hat. Andrer Art iſt ihre Tochter, deren wilde unbändige Gemütsart den Umgang mit ihr unangenehm und oft ſehr verdrießlich macht; dagegen iſt ihr edles Herz, ihre Art zu handeln aller Achtung wert; ſie iſt heftig, aber bald zu beſänfligen; unbillig, aber gerecht; ſtolz, aber menſchlich); das Abbild ihres Vaters, in ihren wilden, aber edlen Feuer, ſo ſchwer zu behandeln, wie ihr Bruder leicht. Kurz von Entſchlüſſen, ift fie ebenſo bereit,, auf die Anführer inißvergnügter Bauern zu (chießen, wie einem Schurfen, der ſich durch eine förmliche Unter- ſuchung durchzuwinden wiſſen würde, mit der Büchſe in der Hand Einleitung das Geſtändnis ſeiner Niederträchtigkeit abzupreſſen, die zum Vorteil ihrer Familie erſonnen iſt, von deren Früchten ſie aber nichts ernten mag. Dieſen entſchiedenen Charakteren iſt in der Perſon des Barons ein weniger ausgeführter beigeſellt, wie ſie im Geleit der Macht aufzutreten pflegen, ein leichtſinniger Patron, der die allgemcine Verwirrung für ſeine Sinnlichkeit auszunuten trachtet. Neben und unter ihnen ſtehen die Beamten, der Hofrat, der Amtmann. Jener, der ein Bürger iſt und es zu bleiben denkt, der das große Gericht des höheren Standes int Staate anerkennt und zu ſchätzen Irſache hat, iſt eben bcswegen underſöhnlich gegen die kleinlichen neidiſchen Neckereien, gegen den blinden Haß, der nur aus eigener Selbftigkeit erzeugt wird, prätentiös Prätenſionen bekämpft, fich über Formali- täten formaliſiert und, ohne ſelbft Realität zu haben, da nur Schein ſieht, wo er Glück und Folge ſehen könnte. Er ſieht nicht ein, wenn alle Vorzüge gelten ſollen, Geſundheit, Schönheit, Reichtum, Verſtand, Talente, Klima, warum dann der Vorzug nicht auch eine Art von Gültigkeit haben ſoll, von einer Rcihe tapferer, bekannter, chrenvoller Väter entſprungen zu ſein. . Das will er ſagen, wo cr eine Stimme hat, und wenn man ihm auch den verhaften Namen. eines Ariſtokraten zueignete. Sein Gegenbild der Amtmann, der in heuchleriſcher Treue der Herrſchaft keinen Finger breit von ihrem Nechte vergeben will, der aber ohne Bedenken ein Dokument, auf das die Inferthanen ihr Recht gründen, beiſeite bringt und in Prozeſſe ſo verlicht iſt, daß er ſich allenfalls einen kaufen würde, uin nicht ganz ohne dieſcs Vergnügen zu leben. Einen ſolchen ,crzinfamen Spitbuben' läßt ſich nur begegnen, wie die junge Gräfin ihm begegnet. - Und nun dieſen Herrſchenden und Regierenden gegenüber das Volf, das unter dem Drucke leidet, zu leiden glaubt oder Vorteil davon zu ziehen ſucht, die Bauern von Entſchloſſenen, Schwankenden, Feigen und Getreuen repräſentiert unter Leitung des Dorfbadcrs Breme von Bremenfeld, Des Enfels von jenem politiſchen Kannengießer Breme, Deſſen große Talente boshafte pasquillantiſche Schauſpieldichter (Holberg) nicht ſehr glimpflich be- handelt haben'. Breme, wie ſeine verſtändige Nichte ihn dhildert, iſt ein guter Mann, aber ſeine Einbildungen inachei ihit oft höchſt albern, beſonders ſeit der letzten Zeit, da jeder ein Recht zu haben glaubt, nicht nur über die großen Welthändel zu redet, ſondern auch darin initzuwirken. Sie kennt den guten Mann' aber nicht ganz, da ſie nicht weiß, daß er die Bauern aufriegelt, um ein kleines Kapital, das er der Kirche ſchuldct, von der Gemeine erlaſſen zu ſehen, ſonſtige kleine Vorteile zu gewinnen und vor allen Dingen, um ſeiner Eitelkeit Genüge zu leiſten. Es iſt der Barbier Schnaps Einleitung. in veredelter Form. Mit Vorliebe behandelt der Dichter Bremes Nichte Luiſe, ,dieſes vorzügliche Frauenzimmer“, die ſich kein anderes Verðienſt Beilcgt, als daß ſie ſich in ihr Schickſal zu finden weiß; ihre Geſinnungen ſind ganz häuslich, die einzigen, die ſich für den Stand ſchicken, der ans Notwendige zu denken hat, dem wenig Will- kür erlaubt iſt. - Der fünfte Aft iſt nur in der Grundzügen ent- worfen; die Hauptſzene des Dritten Aftcs, wo ſich alle im Scherz als Nationalverſanımlung konſtituieren, deren Ende nahe an Schlägerei hinſtreift, iſt leider auch nur angedcutet. Die Revolution ſelbſt iſt nicht zuſtande gebracht, aber es ſind genug treibende und hindernde Kräfte in Thätigkeit geſetzt, um ein reiches bewegtes Lebensbild zu ſchaffen. Für Goethe ſelbſt waren die bisher genannten Zeitſtücke eigentlich nur Schwingenproben. Erſt in Hermanit und Dorothea wurde er des pielfach angefaßten Stoffes in vollendeter Dichteriſcher Form mächtig, den er in der Natürlichen Tochter nochmals auf: nahm, aber nun in veränderter, ſymboliſcher Darſtellung. Die Welt- begebenheiten ſelbſt waren zu maſſenhaft aufgetreten, unt ſich in Formen der menſchlichen Geſtalt faſſen zit laſſen. Goethe ließ ſie, wie im Traume, vorübergehen und faßte ſie, wo er ſich ihnen näherte, als allegoriſche Erſcheinungen. Die ausgebildete Forin dieſer Be: handlungsweiſe zeigt ſich im zweiten Teil des Fauſt und in einem Feſtſpiele, das er nach dem Kriege Dichtete. Voil. Berlin erging bic Aufforderung an Goethe, cin Feſtſpiel zur Feier der Rückkehr des Königs abzufaſſen. Er ſagte zu und. hatte die im Mai 1814 begonnene Arbeit am 9. Juni bereits voll- endet: Des Epimenidcs Erwachen, ein Gelegenheitsſtück, das zunächſt als ſolches nach ſeiner Wirkung zu beurteilen iſt. Bei der Aufführung am 30. März 1815 wurde das Ganze Lebhaft, vieles darin mit jubelndem Beifall aufgenommen. Etwas verändert liegt die Allegorie hier vor; beſtimmte Perſönlichkeiten ſind ausgeſchieden und, dein allegoriſchen Charakter des Ganzen gemäß, verallgemeiner- ten Erſchcinungen gewichcn. Während des Schlafes des Epimenides geht wie ein Bild ſcincs Traumes das Neich durch Ränke zu Grunde; ein Deſpot weiß, nachdein er alles unterdrückt hat, auch die Genien des Glaubens und der Liebe durch Schmeichelei zu feſſeln, die von der Hoffnung getröſtet werden. Epimenides erwacht, und Sie Völker, vom Jugendfürſten init dem Rufe Vorwärts von Oſten nach Weſten geführt, brechen auf, um die Tyrannei zu ſtürzen. Die Befreiung gelingt; die Deutſchen werden geprieſen und zur Einigkeit crinaint. Eine ausgeführte Maskenallegorie, gleichfalls ein Gelegenheits- gedicht, haben wir in Palaeophron und Neoterpe, im Sommer 10 Einleitung. 1800 dem Fräulein v. Göchhauſen Diktiert und anı 24. Oktober des- ſelben Jahres, zum Geburtstage der Herzogin Mutter, durch Charakter- masken dargeſtellt; nur Neoterpe, die ſchöne Amalie v. Imhof, durfte ohne Maske erſcheinen. Erfreulich iſt die Milde, mit welcher Goethe hier am Wechſel der Jahrhunderte die Möglichkeit eines vcrträg- lichen, ja einträchtigen Zuſammenwirkens alter und neuer Denk- weiſen empfichlt. Gelbſchnabel ſoll dem Griesgram, wie der Naſe- wcis dem Haberecht, beſtändig aus dem Wege gehen, ſo wird es Friede bleiben in der edlen Stadt. In der Herzogin Amalie wird ein ſchönes Muſter verehrt, wic man, was ſie längſt gethan, den Bund der Eintracht zwiſchen Palaeophron und Neoterpe, dem Alten und den Neuen, begründen und erhalten könne. Das Gute beider Richtungen wie ihre liebel ſchildern die beiden Unterredner. Die antikc Form, der freilich, da das Ganze improviſiert wurde, einige zu kurze und zu lange Verſe entſchlüpft ſind, bezeichnet eine Durchgangsſtufe in Goethes Kunſt, der um dieſe Zeit und in den nächſten Jahren mehr der Art in Trimetern und andern antiken Verſen Dichtete, wie die Helena zum Fauſt, Pandora und anderes. Auch Schiller machte um dieſe Zeit in einer Szene der Jungfrau von Orlcans einen Verſuch, den dramatiſchen Vers der alten Tra- gödie wieder aufzunehmen, beharrte aber, wie auch Goethe, beim fünffüßigen Jambus, ben, einige ältere vergeffene Verſuche abge- rechnet, zuerſt Leſſing im Nathait auf die Bühne geführt hatte. Dieſe bequemere Forin Gricht auch in den Arbeiten Goethes häufig durch, bei denen es auf die Anwendung des Trimeters abgeſehen war; ſo namentlich in dem Vorſpiel Was wir bringen, cinci kleinen allegoriſchen Gclegenheitsſtück, das am 8. Juni 1802 be- gonnen und ſchon am 14. zur Leſeprobe gebracht, ann 26. zur Era öffnung des Theaters in Lauchſtedt aufgeführt wurde. Hier auf kurſächſiſchen Grund und Boden hatteit die weimariſchen Schau- ſpicler ein altes enges baufälliges Theater, bas 1802 durch eint neues bequemeres erſetzt wurde und wohin, namentlich von Halle, ,der nachbarlichen Stadt des großen Königs', die Beſucher zahlreich zu kommen pflegten. In der beliebten allegoriſchen Manicr wurde die Verwandlung des alten Hauſcs in ein prächtigeres zugleich als ein Symbol der aus anfänglicher Beſchränktheit zu glanzvoller Heiter- keit ſich erhebenden dramatiſchen Kunſt behandelt. Schiller hielt die „allegoriſchen Knoten für einen unglücklichen Einfall, und Goethe felbſt geſtand, daß es nicht in der beſten Stimmung geſchrieben, wenn auch im Verhältnis der dringenden Umſtände gegen den Schluß noch leidlich gelungen ſei. Auch dies Gelegenheitsſtück erhielt durch die Beziehungen auf die Eigentümlichkeiten der den dortigen Publi- Einleitung. 11 fum allbekannten und liebgewordenen Schauſpieler, deren Namen deshalb nicht ohne Grund beigefügt wurden, einen beſondern Nciz, Der bei den Nachlebenden, bei denen eine nähere Kenntnis von der Tüchtigkeit der Beck und Malkolmis oder des ausgezeichneten Geſanges der ſchönen Jagemann nicht vorausgeſeizt werden konnte, notwendig wegfallen mußte. Dennoch bleibt in dieſem Spiele, wenn man die Miſchung oca Allegoriſchen mit dem Alltäglichen gelten läßt, manch überraſchender Zug und manches große ſchöne Wort der Bewunde- rung und der Beherzigung wert. Der Groß-Kophta. Ein Luſtſpiel in fünf Aufzügeri.. Perſonen. Der Domherr. La Fleur, Bedienter des Mar- Der Graf. quis. Der Nitter.' Jäd, ein Snabe, Diener der Der Marquis. Darquiſe. Die Marquiſe. Geſells daft von Herren und Ihre Nichte. Dainen. Der Oberſt der Schweizer- zwei Hofjuweliere. garde. Jünglinge. Saint Jean, Bedienter des šinder. Domherrn. Ein Sammermädchent. Sechs Schweizer. Bediente. Gr ft er Nufzug. 1. Auftritt. Erleuchteter Saal. gm Grunde des Theaters an einem Tiſch cine cſclſchaft von zwölf bis funfzehn Perſonen beim Abendeſſen. An der rediten Seite ſitzt der Domherr, leben ihm Hintermärts die Marquije, dann folgt eine bunte Reihe; der Ictzte Mann auf der linken Sţite iſt der Nitter. Das Deſſert wird aufgetragen, und die Bedienten entfernen ſid). Der Doinherr ſteht auf und geht nachdenklich am Projcenio hin und wieder. Die Geſellschaft ſcheint ſich von ihm zií unterhalten. Endlich ſteht die Mars quiſe auf und geht zil ihni. Die Duvertiire, quelche bis dahin fortgedauert, hört auf, und der Dialog beginnt. Marquiſe. Iſt es erlaubt, ſo zerſtreut zu ſein? gute Geſellſchaft zu fliehen, ſeinen Freunden die Luſt traulicher. Stunden zu verderben? Glauben Sie, daß wir ſcherzen und genießen können, wenn unſer Wirt den Tiſch verläßt, den er ſo gefällig bereitet hat? Schon dieſen ganzen Abend ſcheinen Sie nur dem Körper nach gegenwärtig. Noch hofften wir, gegen das Ende der Tafel, jetzt, da ſich die Bedienten ent- Erſter Aufzug. 1. Auftritt. 13 fernt haben, Sie heiter, offen zu ſehen, und Sie ſtehen auf, Sie freten von uns weg und gehen hier am andern Side des Saals gedankenvoll auf und nieder, als wenn nichts in der Nähe wäre, das Sie intereſſieren, das Sie beſchäftigen könnte. Domherr. Sie fragen, was mich zerſtreut? Marquiſe, meine Lage iſt Ihnen bekannt -- wäre es ein Wunder, wenn ich von Šinnen käme? Iſt es möglich, daß ein menſchlicher Geiſt, ein menſchliches Herz von mehr Seiten beſtürmt werden kann als das meinige! Welche Natur muß ich haben, daß fie ' nicht unterliegt! Sie wiſſen, was mich aus der Faſſung bringt, und fragen mich? Märnuiſe.' Aufrichtig, fo ganz klar feh' ich es nicht ein. Geht doch alles, wie Sie es nur wünſchen können! Domherr. Und dieſe Erwartung, dieſe Ungewißheit? Marquiſe. Wird doch wenige Tage zu ertragen ſein? - Hat nicht der Graf, unſer großer Lehrer und Meiſter, ver- ſprochen, uns alle und Sie beſonders weiter vorwärts in die Geheimniſſe zu führen? Hat er nicht den Durſt nach geheimer Wiſſenſchaft, der uns alle quält, zu ſtillen, jeden nach ſeinem Maße zu befriedigen verſprochen? Und können wir zweifeln, daß er ſein Wort halten werde? Domherr: Gut! er hat. — Verbot er aber nicht zugleich alle Zuſammenfünfte, wie eben die iſt, die wir jeßt hinter ſeinem Rücken wagen? Gebot er uns nicht Faſten, Einge- zogenheit, Enthaltſamkeit, ſtrenge Sammlung und ſtille Be- trachtung der Lehren, die er uns ſchon überliefert hat? - Und ich bin leichtſinnig genug, heimlich in dieſem Gartenhauſe eine fröhliche Geſellſchaft zu verſammeln, dieſe Nacht der Freude zu weihen, in der ich mich zu einer großen und heiligen Er- fcheinung vorbereiten ſoll! -- Schon mein Gewiſſen ängſtiget mich, wenn er es auch nicht erführe. lind wenn ich nun gar bedenke, daß ſeine Geiſter ihm gewiß alles verraten, daß er vielleicht auf den Wege iſt, uns zu überraſchen! - Wer kann vor ſeinem Zorn beſtehen? Ich würde vor Schain zu Boden ſinken – jeden Augenblick! - es ſcheint mir, ich höre ihn; ich höre reiten, fahren. (Er eilt nach der Thüre.) Marquiſe (fiir fid). D Graf! du biſt ein unnachahinlicher Schjelm! Der meiſterhafteſte Betrüger!' fumer haố' ich dich im Auge, und täglich lern ich von dir! Wie er die Leiden- ſchaft dieſes jungen Mannes zu brauchen, ſie zu verinehren weiß! Wie er ſich ſeiner ganzen Seele bemächtigt hat und 14 Der Groß-Kophta. A ihm unumſchränkt gebietet! Wir wollen ſehen, ob unſre Nach- ahmung, glückt. (Der Domherr kommt zurück.) Bleiben - Sie außer Sorgen. Der Graf weiß viel; allwiſſend iſt er nicht, und dieſes Feſt ſoll er nicht erfahren. – Seit vierzehn Tagen habe ich Sie, habe ich unſre Freunde nicht geſehen, habe mich vierzehn Tage in einem elenden Landhauſe verborgen gehalten, manche langweilige Stunde ausdauern müſſen, nur um in der Nähe unſrer angebeteten Prinzeſſin zu ſein, manchmal ein Stündchen ihr heimlich aufzuwarten und von den Angelegen- heiten eines geliebten Freundes zu ſprechen. Heute kehre ich nach der Stadt zurück, und es war ſehr freundlich von Ihnen, daß Sie mir auf halbem Wege, hier in dieſem angenehmen Landhauſe, ein Gaſtmahl bereiteten, mir entgegenkamen und meine beſten Freunde zu meinem Empfange verſammelten. Gewiß, Sie ſind der guten Nachrichten wert, die ich Ihnen bringe. Sie ſind ein warmer, ein angenehmer Freund. Sie ſind glücklich, Sie werden glücklich ſein; nur wünſchte ich, daß Sie auch Fhres Glücks genöſſen. Domherr. Es wird ſich bald geben, bald! Warquiſe. Kommen Sie, feben Sie ſich! Der Graf iſt abmefend, feine vierzigtägigen Faſten in der Einſamkeit aus- zuhalten und ſich zu den großen Werke vorzubereiten. Er erfährt unſre Zuſammenkunft nicht, ſo wenig er unſer großes Geheimnis erfahren darf. (Vedenklich.) Könnte es vor der Zeit entdeckt werden, daß die Prinzeſſin verzeiht, daß ſich der Fürſt wahrſcheinlich durch eine geliebte Tochter bald verſöhnen läßt;: wie leicht könnte das ganze ſchöne Gebäude durch die Be- mühungen der Mißgunſt zu Grunde gehen! Ausdrücklich hat mir die Prinzeſſin, die Ihre Verbindung mit dem Grafen fennt, befohlen, dieſem Manne, den ſie fürchtet, unfre wichtige Angelegenheit zu verbergen. Domherr. Ich hange ganz von ihrem Willen ab; auch dieſes ſchwere Gebot will ich erfüllen, ob ich gleich überzeugt bint, daß ihre Furcht ungegründet iſt. Dieſer große Dann würde uns eher nützen als ſchaden. Vor ihm ſind alle Stände gleich. Zwei Liebende Herzen zu verbindent, iſt ſein angenehm- ftes Geſchäft. Meine Schüler, pflegt er zu ſagen, find Könige, mert, die Welt zu regieren, und eines jeden Glückes wert. - Und wenn es ihm feine Geiſter anzeigen, wenn er ſieht, Daß in dieſem Augenblick Mißtrauen gegen ihn unſre Herzen zuſammenzieht, da er die Schäße ſeiner Weisheit vor uns eröffnet! Erſter Aufzug. 1. Auftritt. 15 Marquiſe. Ich kann nur ſagen, daß es die Prinzeſſi: ausdrücklich verlangt. Domherr. Es ſei! Ich gehorche ihr, und wenn ich mnich zu Grunde richten ſollte. Marquiſe. Und wir bewahren unſer Geheimnis leicht, da niemand auch nur von ferne vermuten fann, daß die Prin- zeſſin Sie begünſtigt. Domherr. Gewiß. Jedermann glaubt mich in Ingnade, auf ewig vom Hofe entfernt. Mitleidig, ja verachtend find die' Blicke der Menſchen, die mir begegnen." Nur durch einen großen Aufwand, durch Anſehn meiner Freunde, durch Unter- ſtüßung mancher Unzufriedenen erhalte ich mich aufrecht. Gebe der Himmel, daß ineine Hoffnungen nicht trügen, daß dein Verſprechen in Erfüllung gehe! Marquiſe. Mein Verſprechen? – Sagen Sie nicht mehr ſo, beſter Freund. Bisher war es mein Verſprechen; aber feit dieſem Abend, ſeitdem ich Ihnen einen Brief übers brachte, gab' ich Ihnen nicht mit Dieſem Briefe die ſchönſten Verſicherungen in die Hände? Domherr. Ich habe es ſchon tauſendmal geküßt, dieſes Blatt. (Er bringt ein Blatt aus der Taſde.) Laß es mich noch tauſend- mal küſſen! Von meinen Lippen ſoll es nicht kommen, bis dieſe heißen, begierigen Lippen auf ihrer ſchönen Hand ver- weilen können: auf der Hand, die mich unausſprechlich ent- zückt, indem ſie mir auf ewig mein Glück verſichert. Marquiſe. Und wenn dann der Schleier von dieſem Ge- heimnis hinwegfällt und Sie mit dem völligen Glanze des vorigen Glückes, ja in einem weit ſchönern vor den Augen der Menſchen daſtehnı, neben einem Fürſten, der Sie wieder erkennt, neben einer Fürſtin, die Sie nie verkannt hat: wie wird dieſes neue, dieſes leuchtende Glück die Augen des Neides blenden, und init welcher Freude werde ich Sie an dem Platze ſehen, den Sie ſo ſehr verdienen! Domherr. Und mit welcher Dankbarkeit werde ich eine Freundin zu belohnen wiſſen, der ich alles ſchuldig bin! Marquiſe. Neben Sie nicht davon. Wer kennt Sie, und iſt nicht gleich lebhaft für Sie hingeriſſen? Wer wünſcht nicht, Ihnen, ſelbſt mit Aufopferung, zu dienen? Donlerr. Horch! es kommt ein Wagen angefahren. Was iſt das? Marquiſe. Sei'n Sie unbeſorgt; er fährt vorbei. Die Thüren ſind verſchloſſen, die Läden verwahrt; ich habe aufs 16 Der Groß-Rophta. genauſte die Fenſter zudecken laſſen, daß niemand den Schein eines Lichts bemerken kann. Niemand wird glauben, daß in dieſem Hauſe Geſellſchaft ſei. Domherr. Welch ein Lärm, welch ein Getümmel ? Ein Bedienter tritt ein. Bedienter. Es iſt ein Wagen vorgefahren; man pocht an die Thüre, als wenn man ſie einſchlagen wollte. Ich höre des Grafen Stimme; er droht und will eingelaſſen ſein. Marquiſe. Iſt das Haus verriegelt? – Macht ihm nicht auf! Rührt euch nicht! Antwortet nicht! Wenn er aus- getobt hat, mag er abfahren. Domherr. Sie bedenken nicht, mit wem wir zu thun haben. – Macht ihin auf! Wir widerſtehn vergebens. Bedienfe (die Hereinſtürzen). Der Graf! Der Graf! Barquiſe. Wie iſt er hereingekommen? Bedienter. Die Thüren thaten ſich von ſelbſt auf; beide Flügel. Domherr. Wo ſoll ich hin? Die Frauen. Wer wird uns retten! Ritter. Nur getroſt! Die Frauen. Er kommit! er kommt! 2. Auftritt. Der Graf. Vorige Graf (hinter der Thüre hinauswärts ſprechend). Afſaraton! Pan- taſaraton! Dienſtbare Geiſter, bleibt an der Thüre, laßt niemand entwiſchen! leider nicht, daß jemand über die Schwelle gehe, der nicht von mir bezeichnet iſt! Die Frauen. Weh uns! Die Männer. Was ſoll das werden! Graf. Uriel, du zu meiner Rechten, Sthruriel, du zu meiner Linken, tretet herein! Beſtrafet die Verbrecher, denen ich diesmal nicht vergeben werde! Die Frauen. Wohin verkriech' ich mich! Domherr. Es iſt alles verloren! Graf. Uriel ! (Pauſe, als wenn er Antwort vernähme.) So recht! - „Hier bin ich!“ das iſt dein gewöhnlicher Spruch, folg: ſamer Geiſt. — Uriel, faſſe dieſe Weiber! (Die Mädchen iyun einen lauten Schrei.) Führe ſie weit über Berg und Thal, ſetze ſie auf einen Kreuzweg nieder; denn ſie glauben nicht, ſie ge- horchen nicht, bis ſie fühleni. Greif zu! Erſter Aufzug. 2. Auftritt. 17 Die Frauen. Ai! Äi! Er hat mich! - Großer Meiſter, um Gotteswillen! Warguiſe. Herr Graf! Die Fëauen. Knieend bitten wir unſre Schuld ab. Graf. Uriel, du bitteſt für ſie! Soll ich mich erweichen laſſen? Die Frauen. Bitte für uns, Uriel! Marquiſe. Iſt es erlaubt, dieſe Geſchöpfe.ſo zu ängſtigen? Graf. Was! Was! Auf Ihre Kniee nieder, Madame! Nicht vor mir, vor den unſichtbaren Mächten, die neben mir ſtehen, auf die Kniee! Können Sie ein ſchuldloſes Herz, ein freies Angeſicht gegen dieſe himmliſchen Geſtalten wenden? Ein Mädden. Siehſt du was? Die andre. Einen Schatten, ganz dicht an ihm! Graf. Wie ſieht es in Ihrem Herzen aus ? Marquiſe. Großer Meiſter! Schone des zarten Ge- ſchlechts! Graf. Ich bin gerührt, nicht erweicht. Ithruriel, ergreife dieſe Männer, führe ſie in meine tiefſten Keller! Domherr. Mein Herr und Meiſter! Ritter. Nicht ein Wort mehr! Fhre Geiſter erſchrecken uns nicht, und hier iſt eine Klinge gegen Sie ſelbſt. Glauben Sie nicht, daß wir noch Arm und Mut genug haben, uns und dieſe Frauen zu verteidigen? Graf. Thörichter Jüngling! Zieh völlig, ziehe! Stoß hieher, hieher auf dieſe freie unbeſchützte Bruſt! Stoß her, daß ein Zeichen geſchehe für dich und alle. Ein dreifacher Harniſch, der Niechtſchaffenheit, der Weisheit, der Zauberkraft, ſchüßt dieſe Bruſt. Stoß Her und ſuche die Stücke deiner zers' brochenen Klinge beſchämt zu meinen Füßen. Die Männer. Welche Majeſtät! Die Frauen. Welche Gewalt! Die Männer. Welche Stimme! Vie Frauen. Welch ein Mann! Der Ritter. Was ſoll ich thun? Domherr. Was kann das werden? Marquiſe. Was ſoll ich ſagen? Graf. Steht auf! ich begnadige das unverſtändige Ge- ſchlecht. Meine verirrten Kinder will ich nicht ganz verſtoßen; doch alle Züchtigung erlaff ich euch nicht. (Zu den Männern.) Entfernt euch! (Die Männer treten in den Grund zurück.) Boethe, Wertc. VIII. 18 Der Groß-Kophta. (Zu den Frauen.) Und ihr, faßt und fammelt euch! (Als wenn er vertraulid) zu den Geiſtern (präche.) liriel! fthruriel! geht zu euren Brüdern! (Zu den Frauen.) Nun laßt hören, ob ihr meiner Lehren noch eingedenk ſeid. - Was ſind die Haupttugenden der Weiber? Erſtes Mädchenr. Geduld und Gehorſam. Graf. Was iſt ihr Sinnbild? Zweites Mäddjen. Der Mond. . Graf (gegen die Marquiſe). Warum? Marquiſe. Weil er ſie erinnert, daſs ſie kein eigen Licht haben, ſondern daß fie allen Glanz von Manne erhalten. Graf. Wohl, das merkt euch! -- Und nun, wenn ihr nach Hauſe fahrt, werdet ihr linker Hand das erſte Viertel am flaren Himmel erblichen; dann ſprecht untereinander: Seht, wie zierlich es da ſteht! welches gemäßigte Licht! welche ſchöne Taille, welche Sittſamkeit! das wahre Bild einer liebenswürdigen heranwachſenden Jungfrau. Erblickt ihr künftig den Vollmond, ſo ermahnt euch untereinander und ſprecht: Wie ſchön glänzt das Bild einer glücklichen Haus- frau! ſie wendet ihr Geſicht gerade ihrem Manne zu; ſie fängt Sie Strahlen ſeines Lichtes auf, die ſanft und lieblich von ihr widerglänzen. Das bedenkt recht und führt unter- einander dieſes Bild aus, ſo gut ihr nur könnt; fekt eure Betrachtungen ſo weit fort, als ihr vermöget; bildet euren Geiſt, erhebet euer Gemüt: denn ſo nur fönnt ihr würdig werden, das Angeſicht des Groß-kophta zu ſchauen: — Nun geht! übertretet keines meiner Gebote; und der Himmel be- hüte euch vor dem abnehmenden Lichte, vor dem betrübten Witwenſtande! – Jhr fahrt ſogleich ſämtlich nach der Stadt, und nur eine ſtrenge Buße kann euch Vergebung erwerben und die Ankunft des Groß-kophta beſchleunigen. Lebt wohl! - Marquiſe (beiſeite). Der verwünſchte Kerl! -Er iſt ein Phantaft, ein Lügner, ein Betrüger: ich weiß es, ich bin's überzeugt; und doch imponiert er mir! (Die Frauenzimmer neigen ſich und gehen ab.) Erſter Aufzug. 3. Auftritt. 3. Auftritt. Die Vorigen außer den Damen. Graf. Nun, Nitter und ihr andern, tretet herbei! Ich hab euch vergeben; ich ſeh' euch beſchämt, und meine Groß- mut überläßt eurem eigenen Herzen Strafe und Beſſerung. Ritter. Wir erkennen deine Huld, väterlicher Meiſter. Graf. Aber wenn ihr in der Folge meine Verordnungen überſchreitet, wenn ihr nicht alles anwendet, den begangenen Fehler wieder gut zu machen, ſo hoffet nie, das Angeſicht des Groß-Kophta zu ſehen, nie, an der Quelle der Weisheit eure durſtigen Lippen zu erquicken! – Nun, laßt hören, habt ihr gefaßt, was ich euch überlieferte? — Wann ſoll ein Schüler ſeine Betrachtungen anſtellen? Ritter. Bei Nachtzeit. Graf. Warum? Erſter Sdüler. Damit er deſto lebhafter fühle, daß er im Finſtern wandelt. Graf. Welche Nächte foll er vorziehen? Zweiter Sdüler. Nächte, wenn der Himmel klar iſt und die Sterne funkeln. Graf. Warum? Ritter. Damit er einſehe, daß viele tauſend Lichter noch nicht hell machen, und damit ſeine Begierde nach der einzig erleuchtenden Sonne deſto lebhafter merde. Graf. Welchen Stern foll - er vorzüglich im Auge haben? Erſter Schüler. Den Polarſtern... Graf. Was ſoll er ſich dabei vorſtellen? Bweiter Sdüler. Die Liebe des Nächſten. Graf. Wie heißt der andere Pol? Erfter Schüler.. Die Liebe der Weisheit. Grof. Haben dieſe beiden Pole eine Achſe? Ritter. Freilich, denn ſonſt könnten ſie keine Pole ſein. Dieſe Achſe geht durch unſer Herz, wenn wir rechte Schüler der Weisheit ſind, und das Üniverſum dreht ſich um uns herum. Graf. Sage mir den Wahlſpruch des erſten Grades. Ritter. Was du millft, das dir die Leute thun follen, wirſt du ihnen auch thun. Graf. Erkläre niir Sieſen Spruch. Ritter. Er iſt deutlich, er bedarf keiner Erklärung. 20 Der Groß-Kophta. Graf. Wohl! – Nun geht in den Garten und faſt ben Polarſtern recht in die Augen! Ritter. Es iſt ſehr trübe, großer Lehrer; kaum daß hie und da ein Sternchen durchblinkt. Graf. Deſto beſſer! — So bejammert euren Ungehor- fam, euren Leichtſinn, eure Leichtfertigkeit; das ſind Wolfen, welche die himmliſchen Lichter verðunkeln.. "Ritter. Es iſt kalt, es geht ein unfreundlicher Wind, wir ſind leicht gekleidet. Graf. Hinunter! hinunter mit euch! Darf ein Schüler der Weisheit frieren? --- Mit Luft folltet ihr eure Kleider abwerfen, und die heiße Begierde eures Herzens, der Durft niach geheimer Wiſſenſchaft ſollte Schnee und Šis zum Schinel- zen bringen. Fort mit euch! fort! (Der Nitter und die andern mit einer Verbeugung ab.) 4. Uuftritt. Der Graf. Der Domherr. Graf. Nun hervor mit Ihnen, Domherr! hervor! Sie erwartet ein ſtrenger Gericht. – Shnen hätte ich es nicht zugetraut. Der Schüler, dem ich mehr als allen andern die Hand reiche, den ich mit Gewalt zu mir heraufziehe, dem ich ſchon die Geheimniſſe des zweiten Grades enthüllt habe - dieſer beſteht ſo ſchlecht bei einer geringen Prüfung ! – Nicht Die Drohungen ſeines Meiſters, nicht die Hoffnung, den Groß-Kophta zu ſehen, können ihn abhalten, ſeine Gelage nur wenige Nächte zu verſchieben. Pfui! iſt das männlich? iſt das weiſe? Die Lehren des größten Sterblichen! die Hilfe der Geiſter! die Eröffnung aller Geheimniſſe der Natur, eine ewige Jugend, eine inimer gleiche Geſundheit, eine unver- wüſtliche Stärke, eine nie verſchwindende Schönheit! Um dieſe größten Schäße der Welt bemüheſt du dich, und kannſt nicht einem Abendſchmauſe entſagen! . Domherr (niedertnicend). Du haſt mich oft zu deinen Füßen geſehen; hier lieg' ich wieder. Vergib mir! entziehe mir nicht Deine Huld! – Die Reize - die Lockung - die Gelegen- heit – die Verführung! — Nie ſollſt du mich wieder unge- horſam finden! gebiete! lege mir auf, was du willſt! Graf. Wie kann ich mit dir zürnen, du mein Liebling! wie kann ich dich verſtoßen, du Erwählter des Schi&fals! Erſter Aufzug. 4. Auftritt. 21 Steh auf, komm an meine Bruſt, von der du dich, ſelbſt mit Geivalt, nicht losreißen kannſt! Domljerr. Wie entzückſt du mich! – Aber darf ich in dieſem Augenblicke, wo ich büßen und trauern ſollte, Darf ich als ein Zeichen der Verföhnung mir eine Gnade von dir ausbitten? Grnf. Sprich, mein Teurer! Domherr. Laß mich nicht länger in Ungewißheit, gib mir ein helleres Licht über den wunderbaren Mann, den du Groß-Kophta nennſt, den du uns zeigen willſt, von dem du uns ſo viel verſprichſt. Sage mir, wer iſt er? Wo iſt er? Iſt er ſchon nah? Berd' ich ihn ſehen? Kann er mich wür- digen? Kann er mich aufnehmen? Wird er mir die Lehren überliefern, nach denen mein Herz ſo heftig begehrt? Graf. Mäßig! mäßig, mein Sohn! Wenn ich dir nicht gleich alles entdede, ſo iſt dein Beſtes meine Abſicht. — Deine Neugierde zu wecken, deinen Verſtand zu üben, deine Gelehr- ſamkeit zu beleben, das iſt es, was ich wünſche; ſo möchte ich mich uin dich verdient machen. — Hören und Lernen kann jedes Kind; mecken und raten müſſen meine Schüler. - Als ich ſagte: sfophta, fiel dir nichts ein? Domherr. Kophta! Kophta! — Wenn ich dir es geſtehen Foll, wenn ich mich vor dir nicht zu ſchämen brauche! Meine Einbildungskraft verließ ſogleich dieſen falten, beſchränkten Weltteil; ſie beſuchte jenen heißen Himmelsſtrich, wo die Sonne noch immer über unſäglichen Geheimniſſen brütet. Aegypten ſah ich auf einmal vor mir ſtehen; eine heilige Däm- merung umgab mich); zwiſchen Pyramiden, Obelisken, unge- heuren Sphinxen, Hieroglyphen verirrte ich mich; ein Schauer überfiel mich. – Da ſah ich den Groß-Kophta wandeln; ich ſah ihn umgeben von Schülern, die wie mit Ketten an ſeinen klugen Mund gebunden waren. Graf. Diesmal hat sich deine Einbildungskraft nicht irre geführt. Ja, dieſer große, herrliche, und ich darf wohl ſagen, dieſer unſterbliche' Greis iſt és, von dem ich euch ſagte, Sen ihr zu ſehen dereinſt hoffen dürfet. In ewiger Jugend wandelt er ſchon Jahrhunderte auf dieſem Erdboden. Indien, Aegypten iſt ſein liebſter Aufenthalt. Nackt betritt er die Wüſten Libyens; forglos erforſcht er dort die Geheimniſſe der Natur. 'Vor feinem gebieteriſch hingeſtreckten Arm ſtutzt der hungrige Löwe; der grimmige Tiger entflieht vor ſeinem Schelten, Daß die Hand des Weiſen ruhig heilſame Wurzeln aufſuche, Steine 22 Der Groß- Kophta. zil unterſcheiden wiſſe, die wegen ihrer geheimen Kräfte ſchätz- barer ſind als Gold und Diamanten. Domherr. Und dieſen trefflichen Mann ſollen wir ſehen? Gib mir einen Wink, auf welche Weiſe es möglich ſei? Graf. D du Kurzſichtiger! welche Winke foll ich dir geben? Dir, deſſen Augen geſchloſſen ſind! Domherr. Nur ein Wort ! : Graf. Es iſt genug! – Was der Hörer wiſſen ſoll, pflege ich ihm nie zu ſagen. Domherr. Ich brenne vor Begierde, beſonders ſeitdem du mich in den zweiten Grad der Geheimniſſe erhoben haſt. -O, daß es möglich wäre, daß du mir auch ſogleich den dritten ſchenkteſt! Graf. Es kann nicht geſchehen! Domherr. Waruni? Graf. Weil ich 110ch nicht weiß, wie du die Lehren des zweiten Grades gefaßt haben magſt und ausüben wirſt. Domherr. Prüfe mich ſogleich. Graf. Es iſt jekt nicht Zeit. Domherr. Nicht Zeit? Graf. Haſt dit ſchon vergeſſen, daß die Schüler des zweiten Grades ihre Betrachtungen bei Tage und beſonders morgens anſtellen ſollen? Domherr. So ſei es senn morgen bei guter Zeit. - Graf. Gut! Nun aber zuvörderſt die Buße nicht ver- fäumt! - Hinunter zu den andern in den Garten! Aber du ſollſt einen großen Vorzug vor ihnen haben. - - Wende ihnen den Rücken zu — ſchaue gegen Mittag. Von Mittag kommt der Groß-fophta; Sieſes (Seheimnis entdeck ich dir allein. Alle Wünſche' deines Herzens eröffne ihm; ſprich, ſo leiſe du willſt, er hört dich. Domherr. Ich gehorche mit Freuden. (Er füßt dem Grafen die Hand und entfernt ſids.) - - 5. Auftritt. Der Graf. Saint Jean. Saint Jean (der vorſichtig /;ereintritt). Hab' ich meine Sachen nicht recht gemacht? Graf. Du haſt deine Pflicht erfüllt. Saint Jean. Flogen die Thüren nicht auf, als wenn Erſter Aufzug. 5. u. 6. Auftritt. 23 Geiſter ſie voneinander ſprengten? Meine Kameraden er: ſchrafen und flohen; es hat keiner was geſehen, noch gemerkt. 0 Graf. Es mag gut ſein! Ich hätte ſie auch ohne dich aufgebracht; nur verlangt eine ſolche Operation mehr Umſtände. Ich nehme nur manchmal zu gemeinen Mitteln meine Zu- fliicht, um die edlen Geiſter nicht immer zu inkommodieren. (Einen Beutei cröffnend.) Hier für deine Mühe? Gib dies Geld nicht frevelhaft weg; es iſt philoſophiſches Gold. Es bringt Segen! – – Wenn man's in der Taſche behält, wird ſie nie leer. Saint Jean. So! da will ich's wohl verwahren. Graf. Wohl, und ſpare Sir immer zwei, drei Goldſtücke dazu, du wirſt Wunder ſehen. Saint Jean. Haben Sie das Gold ſelbſt gemacht, Herr Graf? Grnf. Ich gebe gar kein andres aus. Haint Jenn. Wie glücklich ſind Sie! Graf. Weil ich Glückliche mache. Saint Jean. Ich bin Ihnen init Leib und Seele er- geben. Graf. Das ſoll dein Schade nicht ſeint. Gehe hin und ſchweige, damit nicht andre dieſe Quelle kennen lernen! In wenig Zeit ſollſt du die Stelle haben, um die du gebeten haſt. (Bedienter ab.) ---- -- 6. Auftritt. Der Graf. Glücklicherweiſe find' ich hier eine wohlbefekte Tafel, ein feines Deſſert, treffliche Weine. Der Domherrº läßt's nicht fehlen. Wohi, hier fann ich meinen Magen reſtaurieren, indes die Menſchen glauben, ich halte meine vierzigtägigen Faſten. Ich ſcheine ihnen auch darum ein Halbgott, weil ich ihnen meine Bedürfniſſe zu verbergen weiß. 24 Der Groß-Kophta. 3 we i fer Nufzu g. 1. Auftritt. Wohnung des Marquis. Der Marquis, hernach La Fleur. Der Marquis (in einem ſehr eleganten Frack vor dem Spiègel). Ge- burt, Nang, Geſtalt, mas ſind ſie alle gegen das Geld? Wie bank ich der fühnen Induſtrie meiner Frau, daß ſie mir ſo viel verſchafft. Wie anders ſeh' ich aus, da ich nun das erſte Mal nach meinem Stande gekleidet bin! Ich kann nicht er--- warten, bis ich mich öffentlich zeige. (Er klingelt.) In Fleur. Was befehlen Sie, gnädiger Herr ? Marquis. Gib mir die Schatulle! La Fleur (bringt ſie). So ſchwer hab' ich noch nie daran getragen. Marquis (indem er die Schatulle öffnet). Was ſagſt du, ſind dieſe beiden Uhren nicht ſchön, die ich geſtern kaufte ? ' La Fleur. Sehr ſchön. Marquis. Und dieſe Doſe? In Fleur. Koſtbar und zierlich. Marquis. Dieſer Ning ? In Fleur. Gehört auch Ihnen? Marquis. Dieſe Schnallen? Dieſe Stahlknöpfe? Genug, alles zuſammen! Findeſt du mich nicht elegant und vornehm gekleidet? In Fleur. Sie zeichnen ſich nun auf dem Spaziergange gewiß vor vielen aus. Marquis. Wie wohl mir das thut! — Aus Not ewig in der Uniform zu gehen, immer in der Menge verloren zit ſein, die Aufmerkſamkeit keines Menſchen zu reizen! Ich hätte lieber tot ſein mögen, als länger fo leben. - Iſt die Nichte ſchon aufgeſtanden? La Fleur. Ich glaube kaum. Sie hat wenigſtens das Frühſtück noch nicht gefordert. Es ſcheint mir, ſie iſt erſt wieder eingeſchlafen, ſeitdem Sie heute früh von ihr weg- ſchlichen. Mnrquis. Unverſchämter! - Stille! La Fleur. Unter uns Darf ich doch aufrichtig ſein? · Marquis. Wenn dir in Gegenwart meiner Frau ſo ein Wort entführe! Zweiter Aufzug. 1. 1. 2. Auftritt. 25 La Fleur. Glauben Sie nicht, daß ich Herr über meine Lippen bin? Marquis. Noch kann die Marquiſe unmöglich etwas argwöhnen. Sie hält die Nichte für ein Kind, in drei Jahren haben ſie ſich nicht geſehen; ich fürchte, wenn ſie das Kind recht anſieht - La Fleur. Das möchte noch alles gehen. Wenn ſie nur nicht die Bekanntſchaft mit dem alten Herenmeiſter hätte; vor dem fürchte ich mich. Der Mann iſt ein Wunder! Alles weiß er, alles verraten ihm ſeine Geiſter. Wie ging es in Hauſe des Domherrn? Der Zauberer entdeckte ein wichtiges Geheimnis, und nun ſollte es der Kammerdiener verſchwakt haben. Marquis. Er iſt eben, fo viel ich weiß, nicht der größte Freund meiner Frau. In Fleur. Ach, er bekümmert ſich um alles; und wenn er ſeine Geiſter fragt, bleibt ihm nichts verborgen. Marquis. Sollte denn das alles wahr ſein, was man von ihm erzählt? La Fleur. Es zweifelt niemand daran. Nur die Wunder, die ich gewiß weiß — Marquis. Es iſt doch ſonderbar! — Sieh zu, es fährt ein Wagen vor. (La Fleur ab.) Marquis. Wenn meine Frau mein Verhältnis zur ſchönen Nichte erfahren könnte! – Nun, es käme auf den erſten Augenblick an. Wenn ſie ihre Plane durchſetzt, wenn ich ihr zum Werfzeug diene, läßt ſie mich dann nicht machen, was ich will? - Sie ſelbſt? 2. Auftritt. Der Marquis. Die Marquiſe. Marquiſe. Ich komme früher, als ich dachte. Marquis. Ich freue mich, dich endlich wieder zu ſehen. Marquiſe. Warum kamſt du mir nicht auch entgegen? Der Domherr hatte dich eingeladen. Marquis. Verzeih mir! Ich hatte eben geſtern vieles zu berichtigen. Du fchriebſt mir ja, daſ ich mich zu einer Reiſe vorbereiten ſollte. Marquiſe. Du haſt nicht viel verloren. Der Domherr war unleidlich und die Geſellſchaft verſtimmt. Zuletzt über- raſchte uns noch der Graf und jagte uns auseinander. Man Der Groß-Kophta. muß ſich nun einmal die Tollheiten dieſes Menſden gċ- fallen laſſen. Marquis (lädjeind). Wie geht es denn mit deiner Unter- handlung ? (Froniſch.) Haſt du dich bei Hofe recht eingeſchmeichelt? Marquiſe. Es iſt wahr, wir haben uns lange nicht ge- ſehen. Du warſt abweſend, als ich verreiſte. Gleich als der Fürſt und die Prinzeſſin auf das Luſtidloß hinalisgezogen waren, mietete ich mir ein kleines Landhaus in der Nähe und wohnte da ganz im ſtillen, indes ſich der Domherr ein- bildete, ich habe ein Zimmer im Schloſſe und ſehe die Prin- zeſſin täglich. Ich ſchickte ihm Boten, ich erhielt Briefe von ihm, und ſeine Hoffnung war aufs äußerſte geſpannt. Denn mie unglücklich dieſer Mann iſt, ſeitdem ihir ſein unkluges Betragen vom Hofe entfernt hat, wie leichtgläubig, wenn ſeinen Hoffnungen geſchmeichelt wird, läßt ſich nicht denken. Ich brauchte es nicht ſo künſtlich anzulegen, als ich es gethan · habe, und ich überredete ihn doch. Marquis. Aber auf die Länge kann dieſes Märchen nicht halten. Marquiſe. Dafür laß mich ſorgen. Er iſt ießt nahe bem Gipfel feiner Glückſeligkeit. Heute nacht, als er mich auf ſeinem Landhauſe empfing, brachte ich ihin einen Brief von der Prinzeſſin - Marquis. "Von der Prinzeſſin? Marquiſe. Den ich ſelbſt geſchrieben hatte. Er war, in allgemeinen Ausdrücken gefaßt; die Ueberbringerin, hieß es, würde mehr ſagen. Marquis. Und weiter? Marquiſe. Ich kündigte ihm die Gnade der Prinzeſſin an; ich verſicherte ihm, daß ſie ſich bei ihrem Vater ver- wenden und die Gnade des Fürſten gewiß für ihn wieder erlangen würde. Marquis. Gut! aber welchen Vorteil verſprichſt du dir von allem dieſeni? Marquiſe. Erſtlich eine Kleinigkeit, in die wir uns auf der Stelle teilen wollen. (Sie zieht einen Beutel Hervor.) Marquis. Beſtes Weib! Marquiſe. Das erhielt ich vom Domherrn, um die Garderobe der Fürſtin mir günſtig zu machen. Zähle dir nur gleich deine Hälfte davon ab! (Der Marquis tritt an den Tiſch und zählt, ohne auf das, was ſie ſagt, acht zu geben.) Aber, wie geſagt, eine Kleinigkeit! - Gelingt mir mein Anſchlag, ſo ſind wir Zweiter Aufzug. 2. Auftritt. 27 auf immer geborgen. – Die Hofjuweliere haben ſchon lange ein koſtbares Halsband liegen, das ſie gern verkaufen möchten; der Domherr hat ſo viel Kredit, daß fie es ihm wohl eins händigen, wenn er ihnen eine terminliche Zahlung garantiert, und ich — Marquis (der naš ihr hinſicht). Was ſagſt du von Termi- nien? von Zahlung? Marquiſé. Ďterfſt du denn nicht auf? Du biſt ſo ganz bei dem Gelde. Marquis. Hier haſt du deine Hälfte! die meine ſoll gut angewendet werden. Sieh einmal, wie ich mich heraus- gepußt habe. (Er zeigt fich ihr; dann tritt er vor den Spiegel.) Marquiſe (für ſid)). D des eitlén, kleinlichen Menſdhen! Marquis (ich umechrend). Was wollteſt du ſagen? Marquiſe. Du hätteſt beſſer aufgemerkt, wenn du hätteſt ahnen fönnen, von welcher wichtigen Sache ich ſprach. Es iſt - nichts weniger, als mit einem einzigen Schlage unſer ganzes Glück zu machen. Marquis. Und wie? Marquiſe. Erinnerſt du dich, von dem koſtbaren Hals- band gehört zu haben, das die Hofjuweliere arbeiten ließen, in Hoffnung, der Fürſt ſolle ſeiner Tochter damit ein Ge- ſchenk machen? Marquis. Ganz recht! Ich habe es ſogar dieſe Woche noch bei ihnen geſehen, als ich dieſen Ring faufte; es iſt von unglaublicher Schönheit. Man weiß nicht, ob man die Größe der Steine, ihre Gleichheit, ihr Waſſer, die Anzahl oder den Geſchmack, womit fie zuſainmengeſetzt ſind, am meiſten be- wundern ſoll. Ich konnte mich vom Anblick nicht ſcheiden; dieſer Ning verſchwand zu nichts dagegen; ich ging recht uns zufrieden weg und konnte mir das Halsband einige Tage nicht aus dem Sinne ſchaffen. Marquiſe. Und dieſes Halsband foll unſer werden! Marquis. Dieſes Halsband ? Unſer? Du erſchreckft mich! Welch ein ungeheurer Gedanke! Marquiſe. Glaubſt du, daß ich weiter keine Abſicht habe, als dir für úhren, Ringe und Stahlknöpfe zu ſorgen?' Ich bin gewohnt, armſelig zu leben, aber nicht, armſelig zu denken. - Wir haben uns lange genug elend beholfen, unter unſerm Stande, unter der Würde meiner großen Vorfahren leben müſſen; jeßt, da ſich eine Gelegenheit darbietet, will ich ge- wiß nicht kleinlich ſein und ſie entſchlüpfen laſſen. 28 Der Groß-Kophta. Marquis. Aber ums Himmelswillen, was iſt dein Plan? Wie iſt es möglid), ihr auszuführen? Marijuiſe. Höre mich! Dem Domherrn mach' ich glauben, die Prinzeſſin wünſche, das Halsband zu beſitzen, und daran fage ich keine ganze Unwahrheit; denn man weiß, daß es ihr außerordentlich gefallen hat und daß ſie es gern beſeſſen hätte. Ich ſage dem Domherrn ferner, die Prinzeſſin wünſche, das Halsband zu kaufen, und verlange von ihm, daß er nur ſeinen Namen dazu hergeben ſolle, daß er den Kauf mit den Ju- welieren ſchließe, die Termine feſtſebe und allenfalls den erſten Termin bezahle. Sie wolle ihn völlig ſchadlos halten und dieſen Dienſt als ein Pfand ſeiner Treue, ſeiner Ergebenheit anſehen." Marquis. Wie verblendet muß er ſein, ſo viel zu wagen! Marquiſe. Er glaubt, ganz ſicher zu gehen. Auch habe ich ihm ſchon ein Blatt zugeſtellt, in welchem die Prinzeſſin ihm Sicherheit zu verſprechen ſcheint. Marquis. Liebe Frau, das wird gefährlich! Marquiſe. Schäme dich! Mit mir darfft du alles wagen. Ich habe mich ſchon vorgeſehen in Ahficht auf die Ausdrücke, die Unterſchrift. Sei nur ruhig! — Und wenn alles entdeckt würde, bin ich nicht als ein Seitenzweig der fürſtlichen Familie ſo gut als anerkannt? – Höre nur! Der Domherr iſt jeßt voller Freuden über dieſes Vertrauen; er ſieht darin ein ge- wiſſes Zeichen der neugeſchenkten Gunſt und wünſcht nichts ſehnlicher, als daß der Kauf zuſtande und das Halsband ſchon in ihren Händen ſei. Marquis. Und dieſes Halsband denkſt du zu unter- ſchlagen? Marquiſe. Natürlich! Mache dich nur iinmer reiſefertig.! Sobald der Schat in unſern Händen iſt, wollen wir ihn nußen. Wir brechen den Schmuck auseinander, du gehſt nach England hinüber, verkaufeſt, vertauſcheſt zuerſt die kleinert Šteine mit Klugheit; ich fomme nach, ſobald mir ineine Sicherheit nicht mehr erlaubt, hier zu bleiben; indeſſen will ich die Sache ſchon ſo führen und verwirren, Daß der Domherr allein ſtecken bleibt. Marquis. Es iſt ein großes Unternehmen; aber ſage mir, fürchteſt du dich nicht, in der Nähe des Grafen, dieſes großen Zauberers, folch einen Plan zu entwerfen? Marquiſe. Ein großer Schelm iſt er! ſeine Zauberei beſteht in ſeiner Klugheit, in ſeiner Unverſchämtheit. Er fühlt wohl, daß ich ihn kenne. Wir betragen uns gegeneinander, Zweiter Aufzug. 2. Auftritt. 29 wie fich's gebührt; wir verſtehen einander, ohne zu ſprechen; wir helfen einander ohne Abrede. Marquis. Aber die Geiſter, die er bei ſich hat? Marquiſe. Poſſen! Marquis. Die Wunder, die er thut? Marquiſe: Märchen! Marquis. So viele haben doch geſehen – 3ħarquiſt. Blinde! Marquis. So viele glauben - Marquiſe. Tröpfe! Marquis. Es iſt zu allgemein! die ganze Welt iſt das von überzeugt! Marquiſe. Weil ſie albern iſt! Jarquis. Die Wunderkuren – Marquiſe. Charlatanerie! Marquis. Das viele Geld, das er beſitzt -- Marquiſe. Mag er auf eben dem Wege erlangt haben, wie wir das Halsband zu erlangen gedenken. Marquis. Du glaubſt alſo, daß er nicht mehr weiß als ein anderer? Marquiſe. Du mußt unterſcheiden – wenn du kannſt. Er ift kein gemeiner Schelm. Er iſt ſo unternehmend und gewaltſam als klug, ſo unverſchämt als vorſichtig; er ſpricht fo vernünftig als unſinnig; die reinſte Wahrheit und die größte Lüge gehen ſchweſterlich aus ſeinem Munde hervor. Wenn er aufſchneidet, iſt es unmöglich, zu unterſcheiden, ob er dich zum beſten hat, oder ob er toll iſt. - - Und es braucht weit weniger als das, um die Menſchen verwirrt zu machen. Järk (hereinſpringend). Shre Nichte fragt, ob ſie aufmarten kann? - Sie iſt hübſch, Ihre Nichte! Warquiſe. Gefällt ſie dir ? — Laß ſie kommen! (Jäck ab.). Marquiſe. Ich wollte sich eben fragen, wie dir es ge- gangen iſt, ob du fie glücklich in die Stadt gebracht haft? Wie iſt ſie geworden? Glaubſt du, daß fie ihr Glück machen wird? • Marquis. Sie iſt ſchön, liebenswürdig, ſehr angenehm; und gebildeter, als ich glaubte, da ſie auf dem Lande er: zogen iſt. Marquiſe. Ihre Mutter war eine kluge Frau, und es fehlte in ihrer Gegend nicht an guter Geſellſchaft. — Da iſt ſie. 30 Der Groß-Hophta. 3. Auftritt. Die Vorigen. Die Nichte. Nidjte. Wie glücklich bin ich, Sie mieder zu ſehen, liebſte Tante! . Marquiſe. Liebe Nichte! Sei’n Sie mir herzlich will- kommen! Marquis. Guten Morgen, Nichtchen! Wie haben Sie geſchlafen? Midte (beſchämt). Ganz wohl. Marquiſe. Wie ſie groß geworden iſt, ſeit ich ſie nicht geſehen habe! Midte. Es werden drei Jahre ſein. Marquis. Groß, ſchön, liebenswürdig! Sie iſt alles geworden, was ihre Jugend uns weisſagte. Marquiſe (zum Marquie). Erſtaunft du nicht, wie ſie unſerer Prinzeſſin gleicht? Marquis. So oben hin. In der Figur, im Wuchſe, . in der Größe mag eine allgemeine Aehnlichkeit ſein; aber . dieſe Geſichtsbildung gehört ihr allein, und ich denke, ſie wird ſie nicht vertauſchen wollen. Marquiſe. Sie haben eine gute Mutter verloren. Nidjte. Die ich in Ihnen wiederfinde. Marquiſe. Ihr Bruder iſt nach den Inſeln. Midyte. Ich wünſche, daß er ſein Glück mache. Marquis. Dieſen Bruder erſeße ich. Marquiſe (zum Marquis). Es iſt eine gefährliche Stelle, Marquis! Marquis. Wir haben Mut. Jäck. Der Ritter! – Er iſt noch nicht freundlicher geworden. 'Warquiſe. Er iſt willkommen! (Jäť ab.) Marquiſe (zur Nichte). Sie werden einen liebenswürdigen Mann kennen lernen. Marquis. Ich dächte, ſie könnte ſeinesgleichen ſchon mehr geſehen haben. Zweiter Aufzug. 4. Auftritt. : 31 4. Auftritt. Die Vorigen. Der Nitter. Marquiſe. Es ſcheint, Sie haben ſo wenig geſchlafen als ich. Ritter. Gewiß, diesmal hat der Graf unſere Geduld fehr geprüft, beſonders die meine. Er ließ uns eine völlige Stunde im Garten ſtehen, dann befahl er uns, in die Wagen zu ſitzen und nach Hauſe zu fahren; er ſelbſt brachte den Domherrn Herein. Marquiſe. So find wir denn glücklich alle wieder in der Stadt zuſammen!' Ritfer. Iſt dieſes Frauenzimmer Ihre Nichte, die Sie uns anfündigten ? " Marquiſe. Sie iſt's. Ritter. Ich bitte, mich ihr vorzuſtellen. Marquiſe. Dies iſt der Ritter Greville, mein werter Freund. Michte. Ich freue mich, eine ſo angenehme Bekannt- ſchaft zu machen. "Ritter (nachdem er ſie aufmertſam betraďtet). Ihre Tante hat nicht zu viel geſagt; gewiß, Sie werden die ſchönſte Zierde unſers gemeinſchaftlichen Kreiſes ſein. Midte. Ich merke wohl, daß man ſich in der großen Welt gewöhnen muß, dieſe ſchmeichelhaften Ausdrücke zu hören. Ich fühle meine Unwürdigkeit und bin von Herzen beſchämt; noch vor kurzer Zeit würden mich ſolche Komplimente fehé verlegen gemacht haben. Ritter. Wie gut ſie ſpricht! Marquiſe (ſett jid)). - Sagť ich Ihnen nicht voraus, daß fie fhnen gefährlich werden könnte? . Ritter (ſept ſich zu ihr). Sie ſcherzen, Marquiſe! (Der Marquis erſucht pantomimiſch die Nichte, ihm an der Hutfokarde, an dem Stuđ= bande ctwas zurechte zu maden; ſie thut ca, indem ſie jidh an ein Tidden der Marquiſe gegenüberſetzt. 'Der Marquis bleibt bei ihr ſtchen.) Marquiſe. Wie haben Sie den Domherrit verlaſſen? Ritter. Er ſchien verdrießlich und verlegen; ich verdenk es ihn nicht. Der Graf überraſchte uns, und ich sarf wohl ſagen, er kam uns allen zur Unzeit. Marquiſe. Und Sie wollten ſich mit gewaffneter Hand den Geiſtern widerſeken? Ritter. Ich verſichere Sie; ſchon längſt war mir die 32 Der Groß-Kophta. Arroganz des Grafen unerträglich; ich hätte ihm ſchon einige- mal die Spike geboten, wenn nicht ſein Stand, ſein Alter, ſeine Erfahrung, ſeine übrigen großen Eigenſchaften mehr als feine Güte gegen mich mir wiederum die größte Ehrfurcht einflöſzten. Ich leugne es nicht, oft iſt er mir verbächtig: bald erſcheint er mir als ein Lügner, als ein Betrüger; und gleich bin ich wieder durch die Gewalt ſeiner Gegenwart an ihn gebunden und wie an Ketten gelegt. Marquiſe. Wem geht es nicht ſo? Ritter. Auch Ihnen? Marquiſe. Auch mir. Ritter. Und ſeine Wunder? Seine Geiſter? Marquiſe. Wir haben ſo große, ſo fichere Proben von ſeiner übernatürlichen Kraft, daß ich gerne meinen Verſtand gefangen nehme, wenn bei ſeinen Betragen mein Herz widerſtrebt. Ritter. Ich bin in dem nämlichen Fall, menn meine Zweifel gleich ſtärker ſind. Nun aber inuß fich's bald ent- ſcheiden, heute noch! denn ich weiß nicht, wie er ausweichen will. - Als er uns heute gegen Morgen aus dem Garten erlöſte – denn ich muß geſtehen, wir gehorchten ihm pünkt- lich, und keiner wagte nur einen Schritt – trat er endlich zu uns und rief: Šeið mir geſegnet, die ihr die ſtrafende Hand eines Vaters erkennt und gehorcht! Dafür ſoll euch der ſchönſte Lohn zugeſichert werden. Ich habe tief in eure · Herzen geſehen. Ich habe euch redlich gefunden. Dafür ſollt ihr heute noch den Groß-Kophta erkennen. Marquiſe. Heute noch? Ritter. Er verſprach's. Marquiſe. Hat er ſich erklärt, wie er ihn zeigen will? Wo? Ritter. In dem Hauſe des Domherrn, in der ägyptiſchen Loge, wo er uns eingeweiht hat. Dieſen Abend. Marquiſe. Ich verſtehe es nicht. Soll der Groß-Kophta ſchon angelangt ſein? Ritter. Es iſt mir unbegreiflich! Marquiſe. Sollte ihn der Domherr ſchon kennen und es bis hieher geleugnet haben? Ritter. Ich weiß nicht, was ich denken foll; aber es werde nun, wie es wolle, ich bin entſchloſſen, den Betrüger zu entlarven, ſobald ich ihn entdecke. Marquiſe. Als Freundin kann ich fhnen ein ſo heroiſches Unternehmen nicht raten; glauben Sie, daß es ſo ein Leichtes ſei? Zweiter Aufzug. 4. Auftritt. Ritter. Was hat er denn für Wunder vor unſern Augen gethan? Und wenn er fortfährt, uns mit dem Groß-Kophta aufzuziehen, — wenn es am Ende auf eine Mumierei hinaus- läuft, daß er uns einen Landſtreicher ſeinesgleichen als den Urmeiſter ſeiner Kunſt aufdringen will: wie leicht werden dem Domherrn, wie leicht der ganzen Schule die Augen zu öffnen ſein! Marquiſe. Glauben Sie es nicht, Ritter! Die Menſchen lieben die Dämmerung mehr als den hellen Tag, und eben in der Dämmerung erſcheinen die Geſpenſter. Und dann denken Sie, welcher Gefahr Sie ſich ausſeßen, wenn Sie einen ſolchen Mann durch eine raſche, durch eine übereilte That beleidigen. Ich verehre ihn noch immer als ein über- natürliches Weſen. – Seine Großmut, ſeine Freigebigkeit und ſein Wohlwollen gegen Sie! Hat er Sie nicht in das Haus des Domherrn gebracht? Begünſtigt er Sie nicht auf alle Weiſe? Können Sie nicht hoffen, durch ihn Jhr Glücf zu machen, wovon Sie als ein Sritter Sohn weit entfernt ſind? - - Doch Sie ſind zerſtreut - irre ich, Nitter? oder Ihre Augen ſind mehr auf meine Nichte als Ihr Geiſt auf mein Geſpräch gerichtet? Ritter. Verzeihen Sie meine Neugierde! Ein neuer Gegenſtand reizt immer. Marquiſe. Beſonders wenn er reizend iſt. Marquis (der bisher mit der Nidste leiſe geſprochen). Sie ſind zer- ſtreut, und Ihre Blicke ſcheinen nach jener Seite gerichtet zu ſein. Midte. Ich ſah meine Tante an. Sie hat ſich nicht geändert, ſeitdem ich ſie geſehen habe. Marquis. Deſto mehr verändert find' ich Sie, ſeitdein der Ritter eingetreten iſt. Niclite. Šeit dieſen wenigen Augenblicfen? Marquis. D ihr Weiber! ihr Weiber! Nidte. Beruhigen Sie ſic), Marquis! Was fällt Ihnen ein? Marquiſe. Wir machen doch dieſen Morgen eine Tour, Nichtchen? Midjte. Wie es Ihnen gefällt. Ritter. Darf ich mich zum Begleiter anbieten? Marquiſe. Diesmal nicht, es würde Shnen die Zeit lang werden. Wir fahren von Laden zu Laden, wir haben viel einzukaufen; denn es muß dieſer ſchönen Geſtalt an keinem Puke fehlen. Dieſen Abend finden wir uns in der ägyptiſchen Loge zuſammen. Goethe, Werfe. VIII. Der Groß-Rophta. 5. Auftritt. Die Vorigen. Fäd. Der Graf. Järk. Der Graf! – Graf (der gleich hinter fäd hereinkommt). Wird nirgends ange- meldet. Keine Thür iſt ihm verſchloſſen, er tritt in alle Ge- mächer unverſehens herein. Und ſollte er auch unerwartet, unwillkommen herabfahren wie ein Donnerſchlag, ſo wird er Doch nie hinweggehen, ohne, gleich einem wohlthätigen Ge- witter, Segen und Fruchtbarkeit zurückzulaſſen. (Fäck, der indes unbeweglid, dageſtanden, den Grafen angeſchen und ihm zugehört, ſchüttelt den Kopf und geht ab. Der Graf ſetzt ſich und behält in dieſem, ſowie in den vorhergehen, den und folgenden Auftritten den Hut auf dem Kopfe, den er höchſtens iur, um jemand zul griißen, lilftet.) Auch Sie treff? ich wieder hier, Ritter? Fort mit Jhnen, überlaſſen Sie ſich der Meditation; und dieſen Abend zur geſekten Stunde finden Sie ſich in dem Vorzimmer des Doinherrn. "Ritter. Ich gehorche. 'Und Ihnen allerſeits empfehle ich mich. (ab.) . Vidite. Wer iſt dieſer Herr? Marquis. Der Graf Noftro, der größte und wunder: barſte aller Sterblichen. Graf. Marquiſe! Marquiſe! Wenn ich nicht ſo nach- ſichtig wäre, wie würde es um Sie ſtehen? Marquiſe. Wie das, Herr Graf? Graf. Wenn ich nicht ſo nachſichtig und mächtig zugleich wäre! Ihr ſeið ein leichtſinniges Volk! Wie oft habt ihr mich nicht fußfällig gebeten, daß ich euch weiter in die Geheimniſſe führen ſoll! Habt ihr nicht verſprochen, euch allen Prüfungen zu unterwerfen, wenn ich euch den Groß-Kophta zeigen, wenn ich euch ſeine Gewalt über die Geiſter ſehen und mit Händen greifen ließe; und was habt ihr gehalten? Marquiſe. Keine Vorwürfe, beſter Graf! Sie haben uns genug geſtraft. Graf. Ich laſſe inich erweichen. (Nach einigem Nachdenken.) Ich ſehe wohl, ich muß anders zu Werke gehen und euch durch eine ganz beſondere Weihung, durch die kräftigſte Anwendung ineiner Wundergaben in wenig Augenblicken rein und fähig machen, vor bein Wundermann zu erſcheinen. Es iſt eine Operation, die, wenn ſie nicht gerät, uns allen gefährlich ſein kann. Ich ſehe es immer lieber, wenn meine Schüler ſich ſelber vorbereiten, damit ich ſie als umgeſchaffene Menſchen ruhig und ſicher in die Geſellſchaft der Geiſter führen kann. Zweiter Aufzug. 5. Auftritt. 35 Marquiſe. Laſſen Sie uns nicht länger warten! Machen Sie uns noch heute glüdlich, wenn es inöglich iſt. Lieber will ich inich der größten Gefahr ausſeßen, die nur einen Augen- blick dauert, als mich dem ſtrengen Gebot unterwerfen, das mir monatelang Tage und Nächte raubt. Graf. Leicht wollt ihr alles haben, leicht und bequem! uird ihr fragt nicht, wie ſchwer mir nun die Arbeit werden muß? Marquiſe. Ihnen ſchwer? - Ich wüßte nicht, was Ihnen ſchwer werden könnte. Graf. Schmer! ſauer! und gefährlich! – Glaubt ihr, der Umgang mit Geiſtern ſei eine Luſtige Sache? Man zwingt ſie nicht, wie ihr die Männer, mit einem Blick, mit einem Händedruck. Ihr denkt nicht, daß fie mir widerſtehen, daß fie mir zu ſchaffen machen, daß ſie mich überwältigen möchten, daß ſie auf jeden meiner Fehler acht haben, mich zu überliſten. Schon zweimal in meinem Leben habe ich ge- fürchtet, ihnen unterzuliegen; darum trage ich dieſes Gewehr (er zieht ein Terzeroſ aus der Taſche) immer bei mir, um mich des Lebens zu berauben, wenn ich fürchten müßte, ihnen unterthänig zu · werden. Midte (zum Marquis). Welch ein Mann! Es zittern mir die Kniee vor Schrecken! So hab' ich nie reden hören! von ſolchen Dingen hab' ich nie reden hören! von ſolchen Dingen hab ich nichts geträumt! Marquis. Wenn Sie erſt die Einſichten, die Gewalt dieſes Mannes kennen ſollten, Sie würden erſtaunen. Nichte. Er iſt gefährlich! mir iſt angſt und bange! (Der Graf ſitt indes unbeweglich und ſieht ſtarr vor ſich hin.) Marquiſe. Wo find Sie, Graf? Sie ſcheinen abmeſend! - So hören Sie doch! (Sie faßt ihn an und ſchüttelt ihn.) Was iſt das? Er rührt ſich nicht! Hören Sie mich doch! Marquis (tritt näher). Sie ſind ein Kenner von Steinen, wie hoch ſchäßen Sie dieſen Ring? – – Er hat die Augen auf und ſieht mich nicht an! . Marquiſe (die ihn noch bei dem Arm hält). So ſteif wie Holz, als wenn kein Leben in ihm wäre! Nidjte. Sollte er ohnmächtig geworden ſein? Er ſprach To heftig! Hier iſt etwas zu riechen! Marquis. Nein doch, er ſikt ja ganz gerade; es iſt nichts Hinfälliges an ihm. Marquiſe. Stille! er bewegt ſich! (Der Marquis und die Nidhte treten von ihm weg. ) 36 . .. Der Groß- Kophta. Graf (ſchr laut und heftig, indem er vom Stuhle auffährt). Hier! halt ein, Schwager! hier will ich ausſteigen! Marquiſe. Wo ſind Sie, Graf? Brnf (nachdem er tief Atem geholt hat). Ah! – Sehen Sie, ſo geht mir'S! (Nad) einer Pauſe.) Da haben Sie ein Beiſpiel. (Pauſe.) Ich kann es fhnen wohl vertrauen. — Ein Freund, der gegenwärtig in Amerika lebt, fant unverſehens in große Gefahr; er ſprach die Formel aus, die ich ihin anvertrauet habe; nun konnte ich nicht widerſtehen! Die Seele ward mir aus dem Leibe gezogen und eilte in jene Gegenden. Mit wenig Worten entdedte er mir ſein Anliegen, ich gab ihm ſchleunigen Rat; nun iſt mein Geiſt wieder hier, verbunden mit der irdiſchen Hülle, die inzwiſchen als ein lebloſer Klokz zurückblieb. — (Pauſe.) Das Sonderbarſte iſt dabei, daß eine folche Abweſenheit ſich immer damit endigt, daß es mir vor- kommt, ich fahre entſetzlich ſchnell, ſehe meine Wohnung und rufe dem Poſtillon zu, der eben im Begriff iſt, vorbeizufahren. - Hab ich nicht fo was ausgerufen? Marquiſe. Sie erſchreckten uns damit. – Sonderbar und erſtaunlich! (Leiſe.) Welche Unverſchämtheit! Graf. Sie können aber nicht glauben, wie ich ermüdet. bin. Mir ſind alle Gelenke wie zerſchlagen; ich brauche Stunden, um mich wieder zu erholen. Davon ahnet ihr nichts; ihr wähnt, man mache nur alles bequein mit dem Zauber- ſtäbchen. Marquis. Wunderbarer, verehrungswürdiger Mann. (Leiſe.) Welch ein breiſter Lügner! Nichte (herbeitretend). Sie haben mir recht bange genracht, Herr Graf. Graf. Ein gutes, natürliches Kind! (Zur Marquiſe.) Fhre Nichte ? Marquiſe. Ja, Herr Graf! Sie hat vor kurzein ihre Mutter verloren; ſie iſt auf dem Lande erzogen und erſt drei Tage in der Stadt. Graf (die Nidhte ſcharf anſehend). So hat mich Ulriel doch nicht betrogen. Marquiſe. Hat Ihnen Uriel von meiner Nichte was geſagt? Graf. Nicht geradezu; er hat mich nur auf ſie vorbereitet. Nidjte (leiſe zum Marquis). Um Gotteswillen, der weiß alles, der wird alles verraten." Marquis (lciſe). Bleiben Sie ruhig; wir wollen hören. JULLE Zweiter Aufzug. 5. Auftritt. 37 Grnf. Ich war dieſe Tage ſehr verlegen, als ich die wichtige Handlung überdachte, die noch heute vorgehen ſoll. - Sobald ſich euch der Groß-Kophta wird offenbart haben, wird er ſich umſehen und fragen: Wo iſt die Unſchuldige? Wo iſt die Taube? Ein unſchuldiges Mädchen muß ich ihin ſtellen. Ich dachte hin und wieder, wo ich fie finden, wie ich fie zit uns einführen wollte. Da lächelte Üriel und jagte: „Sei gefroſt! Du wirſt ſie finden, ohne ſie zu ſuchen. Wenn du von einer großen Reiſe zurückkelreſt, wird die ſchönſte, reinſte Taube vor dir ſtehen.“ – Alles iſt eingetroffen, wie ich mir’s gar nicht denken konnte. Ich komme aus Amerika zurück, und dieſes unſchuldige Kind ſteht vor mir. Marquis (leiſe). Diesmal hat llriel gewaltig fehlgegriffen. Midte (leiſe). Ich zittre und bebe! Marquis (1ciſe). So hören Sie doch aus ! Marquiſe. Dem Groß-Kophta ſoll ein unſchuldiges Mädchen gebracht werden? Der Groß-Kophta fommt von Drient? Ich hoffe nicht — Graf (zur Marquiſe). Entfernen Sie alle fremde, alle leicht: fertige Gebanken! (Zur Nichte, janft und freundlich.) Treten Sie näher, mein Kind! nicht furchtſam, treten Sie näher! – So! – Ebenſo zeigen Sie ſich dein Groß-Ktophta. Seine ſcharfen Augen werden Sie prüfen; er wird Sie vor einen blendenden, glänzeriden Kryſtall führen, Sie werden darin die Geiſter er: blicken, die er beruft; Šie werden das Glück genießen, wornach andre vergebens ſtreben, Sie werden Fhre Freunde belehren und ſogleich einen großen Rang in der Geſellſchaft einnehmen, in die Sie treten; Sie, die jüngſte, aber auch die reinſte. -:-: Wetten wir, Marquiſe! dieſes Kind wird Sachen ſehen, die den Domherrn höchft glücklich machen. Wetten wir, Marquiſe? Marquiſe. Wetten? Mit Ihnen, der alles weiß? . Pichte (die bisher ihre Verlegenheit zu verbergen gejudst). Verſchonen Sie mich, Herr Graf! Ich bitte Sie, verſchonen Sie mich! Graf. Sei’n Sie getroſt, gutes Kind! die Unſchuld hat nichts zu fürchten! ". Nidte (in der äußerſten Bewegung). Ich kann die Geiſter nicht fehen! ich werde des Todes ſein! Graf (dhmeichelnd). Faſſen Sie Mut! Auch dieſe Furcht, Sieſe Demut kleidet Sie ſchön und macht Sie würdig, vor unſern Meiſter zu treten! Reden Sie ihr zu, Marquiſe ! (Dic Marquiſe ſpridit Heimlich mit der Nidjie.) 38 Der Groß-Ropita. Marquis. Darf ich nicht auch ein Zeuge dieſer Wunder ſein? Graf. Kaum! Sie ſind noch unvorbereiteter als dieſe Frauen. Sie haben dieſe ganze Zeit unſere Verſammlungen gemieden. .. Marquis. Verzeihen Sie, ich war beſchäftigt. . Graf. Sid) zu pußen; das Sie den Weibern überlaſſen follten. Marquis. Sie ſind zu ſtrenge. Graf. Nicht ſo ſtrenge, daß ich den ausſchließen ſollte, der mich noch hoffen läßt. Kommen Sie, kommen Sie! Laſſen Sie uns eine Viertelſtunde ſpazieren gehen. Wenigſtens muß ich Sie examinieren und vorbereiten. Leben Sie wohl! Auf Wiederſehen beide! Midjte (die den Grafen zurüçhält). Ich bitte, ich beſchwöre Sie! Grnf. Noch einmal, mein Kind! Verlaſſen Sie ſich auf mich, daß Ihnen nichts Schreckliches bevorſteht, daß Sie die Unſterblichen mild und freundlich finden werden. Marquiſe! geben Sie ihr einen Begriff von unſern Verſammlungen, be- lehren Sie das holde Geſchöpf! Unſer Freund, der Domherr, fragt den Groß-Kophta gewiß nach den, was ihm zunächſt am Herzen liegt; ich bin überzeugt, die Erſcheinung wird ſeine Hoffnungen ſtärken. Er verdient, zufrieden, verdient, glücklich 311 werden; und wie ſehr, meine Taube, wird er Sie ſchäßeii, wenn die Geiſter ihm durch Sie ſein Glück verkünden. Leberi Sie wohl! Kommen Sie, Marquis! . Nidte (dem Grafen nad eilend). Herr Graf! Herr Graf! 6. Auftritt. Die Marquiſe. Die Nidte. (Da der Graf und der Marquis abgegangen ſind, bleibt dic Nidite in ciner trojllojen Stellung im Hintergrunde ſteyen.) Marquiſe (an dem vordern Teile des Theaters für ſid)). Ich verſtehe dieſe Winke; ich danke dir, Graf, daß du mich für deines- gleichen hältſt. Dein Schade foll es nicht ſein, daß du mix nutzeſt. - Er merkt (chon lange, daß ich den Domherrn mit der Hoffnung ſchmeichle, die Prinzeſſin für ihn zu gewinnen. Von ineinem großen Plan ahnet er nichts; er glaubt, es ſei auf kleine Prellereien angelegt. Nun denkt er, mir zil nutzen, indem er mich braucht; er gibt mir in die Hand, dem Dom- herrn durch meine Nichte vorzuſpiegeln, was ich will, und ich Zweiter Aufzug. 6. Auftritt. 39 kann es nicht thun, ohne den Glauben des Domherrn an die Geiſter zu ſtärken. Wohl, Graf! ſo müſſen Kluge fich ver- ſtehen, um thörichte, leichtgläubige Menſchen ſich zu unter- werfen. (Sid; umkehrend.) Nichtchen, wo ſind Sie? Was machen Sie? Nidjte. Ich bin verloren! (Geht mit unſidern Sdjritten auf die . Tante los und bleibt auf halbem Wege ſtehn.) Marquiſe. Faſſen Sie ſich, meine Liebe! Nidjte. Ich kann – ich werde die Geiſter nicht ſehen! Marquiſe. Gutes Kind, dafür laſſen Sie mich ſorgen. Id will fhnen ſchon raten, ſchon durch helfen. Vidte. Hier iſt kein Rat, keine Hilfe! Netten Sie mich! Netten Sie eine Unglückliche vor öffentlicher Schmach! Der Zauberer wird mich verwerfen, ich werde keine Geiſter ſehen! Ich werde beſchämt vor allen da ſtehen! Marquiſe (für fich). Was kann das bedeuten? Nidite. Auf meinen Knieen! Ich bitte! Ich flehe! Er- retten Sie nich! Alles will ich bekennen! Adh, Tante! Ach, Liebe Tante! Wenn ich Sie noch ſo niennen darf? Sie ſehen fein unſchuldiges Mädchen vor ſich. Verachten Sie mich nicht! Verſtoßen Sie mich nicht! Marquiſe (für ſid). Unerwartet genug! (Gegen die Nichte.) Stehn Sie auf, mein Kind ! Nidhte. Id vermöchte nicht, wenn ich auch wollte! Meine Kniee tragen mich nicht! Es thut mir wohl, ſo vor Ihnen zu liegen. Nur in Sieſer Stellung darf ich ſagen: Vielſeicht bij ich zu entſchuldigen! Meine Jugend! Meine Unerfahrenheit! Mein Zuſtand! Meine Leichtgläubigkeit – Marquiſe. Unter den Augen Ihrer Mutter glaubt ich Sie ſicherer als in einem Kloſter. Stehen Sie auf! (Sie hebt die Nidite auf.) Nityte. Ach! Soll ich ſagen, ſoll ich geſtehen? Marquiſe. Nun? Vitte. Erſt ſeit dem Tode meiner Mutter iſt die Ruhe, die Glückſeligkeit von mir gewichen. Marquiſe. Wie? (Abgewendet.) Sollt es möglich ſein? (aut.) Neden Sie weiter! Nidte. D, Sie werden mich haſſen! Sie werden inich verwerfen! Unglückſeliger Tag, an dem Ihre Güte ſelbſt mich zu Grunde richtete! Marquiſe. Erklären Sie ſich! Michte. D Gott! wie ſchwer iſt es auszuſprechen, was uns ein unglücklicher Augenblick ſo ſüß vorſchmeichelt! – Der Groß-Kophta. Vergeben Sie, daß ich ihn liebenswürdig fand! Wie liebens- würdig war er! Der erfte Mann, der mir die Hand mit In- brunft Brückte, mir in die Augen ſah und ſchwui, er liebe mich. Und in welcher Zeit? In den Augenblicken, da mein Herz, von dem traurigſten Verluſte lange unausſprechlich ge- preßt, ſich endlich in heißen Thränen Luft machte, weid), ganz weich, war; da ich in der öden Welt um mich Her durch die Wolfen dés jammers nur Mangel und Kummer erblickte; wie erſchien er mir da als ein Engel, der Mann, den ich ſchon in meiner Kindheit verehrt hatte, erſchien als mein Tröſter! Er drückte ſein Herz an das meinige. – Ich vergaß, daß er nie der meine werden konnte – daß er fhnen angehört -- Es iſt ausgeſprochen! — Sie wenden Sihr Geſicht von mir weg? Haſſen Sie mich, ich verdiene es! verſtoßen Sie mich! Laſſen Sie mich ſterben! (Sie wirft ſich in einen Sejjel.) Marquiſe (für ſich). Verführt – durch meinen Gemahl! – Beides überraſcht mich, beides kommt mir ungelegen. — – Faſſe dich! -- Weg mit allen kleinen beſchränkten Ge- ſinnungen! Hier iſt die Frage, ob du nicht auch dieſen Um- - ſtand benutzen fannſt? - - Gewiß! - - D! ſie wird nur deſto geſchmeidiger ſein, mir blindlings gehorchen - - und über meinen Mann gibt mir dieſe Entdeckung auch neue Vorteile. — Wenn ich meine Abſichter erreiche, ſo iſt mir das übrige alles gleichgültig! -- (Laut.) Kommen Sie, Nichte, erholen Sie ſich! Sie ſind ein gutes, braves Kind! Alles vergebe ich! Kommen Sie, werfen Sie Ihren Schleier über, wir wollen ausfahren, Sie müſſen ſich zerſtreuen. Mitte (indern ſie aufſteht und der Marquiſe um den Hals füſt). Beſte, liebſte Tante, wie beſchämen Sie mich! Marquiſe. Sie ſollen eine Freundin, eine Vertraute an mir finden. Nur der Marquis darf nicht wiſſen, daß ich es bin; wir wollen ihm die Verlegenheit erſparen. Nidte. Welche Großmut! Marquiſe. Sie werden ihn auf eine geſchickte Weiſe vermeiden; ich werde Ihnen behilflich ſein. Nidhte. Ich bin ganz in Ihren Händen! . Marquiſe. Und was die Geiſter betrifft, will ich Ihnen die wunderbarſten Geheimniſſe entdecken; und Sie ſollen dieſe fürchterliche Geſellſchaft luſtig genug finden. Kommien Sie! Kommen Sie nur! Dritter Aufzug. 41 1. Auftritt. - drifter Nuf zit g. 1. Uuftritt. Zimmer des Domherrn. Im Grunde ein Namin, auf deſſen beiden Seiten zwei Bilder in Lebensgrüße, eines · ältlichen Herrn und einer jungen Dame. Der Domherr 'Papiere in der Hand haltend). Soll ich denn wieder einmal, angebetete Fürſtin, vor dein ſchönes Bild mit hoffnungsvoller Freude treten! Soll die Sehnſucht, die zu dir hinaufblidt, endlich einigen Troſt von deinen Lippen er: warten dürfen! - Noch ſchweb' ich in Ungewißheit. Dieſe föſtlichen Züge ſeh' ich vor mir (auf die Papiere deutend), ich er- fenne deine Hand, ich fühle beine Geſinnungen; aber noch iſt es nur allgemeine Höflichkeit, noch ſteht feine Silbe von dem, was ich ſo heftig wünſche, auf dieſen Blättern. – Thor! und was verlangſt du? – Iſt es nicht ſchon genug, daß ſie ſchreibt? Dir ſo viel ſchreibt? Und wäre nicht ihr bloßer Nanienszug ſchon ein Zeuge ihrer glücklich veränderten Ge- ſinnungen? - Veränderten? – Nein, fie hat ſich nie ver- ändert. Sie ſchwieg, als man mich verſtieß; fie verſtellte ſich), um mir zil nutzen. Und nun belohnt ſie mich mit zehn- fachen Vertrauen und wird bald Gelegenheit finden, mich wieder heraufzuführen. – Sie wünſcht das foſtbare Hals- band, ſie gibt mir den Auftrag, ohne Vorbewußt ihres Vaters ihr dieſes Kleinod zu verſchaffen, ſie ſendet mir ihre Garantie, ſie wird wegen der Zahlungen immer in Verbindung mit mir bleiben; gerne lege ich den erſten Termin aus, um ſie noch Feſter an mich zu knüpfen. — fa, du wirſt - du wirſt – darf ich es in der Gegenwurt deines Bildes ausſprechen? — Dii wirſt inein ſein! – Welch ein Wort! – Welch ein Gc- danke! — Schon füllt die Glückſeligkeit wieder ganz mein Herz aus. Ša! dieſes Bild ſcheint wieder ſich zu bewegen, mir zu lächelit, mir freundlich zuzuwinken. - Schon hebt ſich der Ernſt von des Fürſten Stirne hinwey. Huldreich ſicht er mich an, wie in jenen Tagen, als er mir dieſe koſtbaren Geinälbe unverinutei ſchenkte. Und ſie! — Komin herab, Göttin, herab! - Oder' hebe mich zu dir hinauf, wenn ich nicht vor deinen Augen ſterben foll! Der Groß-Kopýta. 2. Uuftritt. Der Domherr. Ein Bedienter, Hernad; die Hofjuwelier e. Bedienter. Ew. Gnaden haben die Hofjuweliere befohlen; fie ſind vor der Thüre. Domherr. Laß fie hereinkommen! (Zu den Juwelieren.) Nun, wie find Sie mit dem Entwurfe des Kontrakts zufrieden, den ich Ihnen zugeſchickt habe? Juwelier. Wegen der Summe hätten wir noch einige Erinnerungen zu machen. Domherr. Ich dächte doch, der Schmuck wäre gut bezahlt. Sie finden nicht leicht einen Käufer. Liegt Ihnen das Hals- band nicht ſchon ein Jahr müßig? Juwelier. Leider ! - Únd dann – Verzeihen Sie, gnädiger Herr -- Domherr. Was iſt's noch? Juwelier. Wenn wir auch mit der gebotenen Summe uns begnügen und ſie in den feſtgeſepten Terminen annehmen wollten, ſo werden Sie doch nicht ungnädig nehmen, wenn wir auf fhre bloß handſchriftliche Verſicherung ein ſo koſt- bares Stück abzuliefern Bedenken' tragen. Es iſt gewiß nicht Mißtrauen; nur unſre Sicherheit in einem ſo wichtigen Ge- ſchäfte -- " Domherr. Ich verdenke Ihnen nicht, daß Sie mir eine ſo große Summe nicht geradezu anvertrauen wollen. Ich habe Ihnen aber ſchon geſagt, daß ich das Halsband nicht für midh, ſondern für eine Dame kaufe, die allerdings ſo viel Kredit Hei Jhnen haben ſollte. Juwelier. Wir trauen völlig Ihren Worten und wünſchten nur eine Zeile von der Hand unſrer gnädigſten Käuferin. Domherr. Ich ſagte Shnen ſchon, daß es nicht angeht, und empfehle Ihnen nochmals das Geheimnis. Genug, id) werde Ihr Schuldner. Damit Sie aber nicht glauben, als handelte ich übereilt und hätte nicht gewußt, mich und Sie zu decken, ſo leſen Sie hier. (Er gibt ihnen ein Papier und ſpricht fiir ſid), indem ſie es lejen.) Zwar hat die Marquiſe ausdrücklich verlangt, ich ſoll das Blatt niemanden zeigen, ſoll es nur zu meiner eigenen Sicherheit verwahren. -- Wenn nun aber dieſe Leute auch an ihre Sicherheit denken, wenn ſie nun auch wiſſen wollen, wer mir und ihnen für eine ſo große Summe ſteht - (laut.) Was ſagen Sie nun, meine Herren? Juwelier (indem er das Blatt zuriicgibt). Wir bitten um Ver- Dritter Aufzug. 2. u. 3. Auftritt. 43 gebung, wir zweifeln keinen Augenblic. -- Auch ohne dies würden wir das Halsband ausgeliefert haben. — Hier iſt es. Wäre es gefällig, den Kontrakt zu unterſchreiben? Domherr. Sehr gern. (Er unterſchreibt und wechſelt das Papier gegen das Schmuckfäſtchen aus.) Leben Sie wohl, meine Herren! Die Termine follen richtig abgetragen werden, und künftig haben wir mehr miteinander zu thun. (Die Juweliere gehen mit tiefen Berbeugungen ab.) miteinander abgetragen comorbt, mein puolitelt das Papier 3. Auftritt. Domherr, nadjher ein Bedienter, dann 38 d. Domherr (indem er das Halsband betrachtet). Koſtbar, ſehr koſt- bar! - und wert des ſchlanken, weißen Halſes, der dich tragen ſoll, wert des himmliſchen Buſens, den du berühren wirft. Eile zu ihr, glänzender Schmuck, damit ſie einen Augen- blick lächle und gefällig an den Mann denke, der viel wagt, um ihr Dieſe Freude zu verſchaffen. Geh, ſei ihr ein Zeuge, daß ich alles für ſie zu thun bereit bin. (Den Schmuď anſehend.) Wäre ich ein König, du ſollteſt ſie als ein Geſchenk über- raſchen und bald durch koſtbarere Geſchenke wieder verdunkelt werden. — Ach, wie betrübt's mid), wie demütigt's mich, daß ich jeßt nur den Mäkler machen kann! Bedienter (ein Bilet bringend). Sin Bote von der Marquiſe. Domherr. Er ſoll warten. (Bedienter ab.) Domherr (lieſt.) „Wenn der Schmuck in Ihren Händen iſt, ſo geben ,,Sie ihn gleich dem Ueberbringer. Ich habe die ſchönſte ,,Gelegenheit, ihn hinauszuſchicken; eine Kammerfrau iſt in „der Stadt; ich ichide verſchiedene Pußiareil an die Gött- „liche und packe die Juwelen bei. Der Lohr für dieſen ,,kleinen Dienſt erwartet Sie ſchon heute nacht. In einer ,,Viertelſtunde bin ich bei Ihnen. Was ſteht uns nicht heute bevor! Das Angeſicht des Groß-Kophta und das ,,Angeſicht eines Engels. Leben Sie wohl, liebſter Aus- , erwählter! Verbrennen Sie dies Blatt!" Traue ich meinen Augen? Noch heute nacht? Geſchwinde! Geſchwinde! Sei der Vorläufer des Glücklichſten unter allen Sterblichen! (Er ſchreibt wenige Worte und ſiegelt das Schmuckäſtchen ein.) Warum muß auch heute ſich alles zuſammendrängen? Soll ein einziger Abend mich für ſoviel Langeweile, ſoviel Ungeduld und Schmerzen entſchädigen? Erſcheine, ſehnlich erwarteter 44 Der Groß-Kophta. Eile Zeitpunkt meines Glücks! Führet mich, ihr Geiſter, ins Heilig- tum der geheimen Kenntniſſe ; führe midi, ó Liebe, in dein Heilig- tum! (Er klingelt. Bedienter tritt ein.) Wer iſt von der Marquiſe da? Bedienter. Ihr fäck. Domherr. Laß ihn hereinkommen! (Bedienter ab.) Ich habe keine Ruhe, bis ich das Kleinod in ihren Händen weiß. Järk (tritt auf).' Was befehlen Ihro Gnaden? Domherr. Bringe dies Pafet deiner gnädigen Frau ! und halt es feſt, daß du es nicht etwa verlierſt. Jäck. So wenig als meinen Kopf. Domherr. Du biſt ſo leichtſinnig. Järk. Nicht im Beſtellen. Domherr. So geh hin! Järk. Gnädiger Herr! Sie verwöhnen die Boten. Domherr. Ich verſtehe. (Gibt dem Knaben Geld.) Hier, wende es wohl an! Jäck. Ich geb' es gleich aus, damit ich es nicht verliere. Ich danke unterthänig! (Halb laut, als ſpräche er für ſid), doch ſo, daß c3 der Domherr Hören fann.) Welch ein Herr! Fürſt verdient er zu ſein! Mit vielen mutwilligen Bücklingen ab.) Domherr. Eile nur! eile! -- Wie glücklich, daße ich dieſert Auftrag ſo ſchnell ausrichten konnte! – Nur das einzige macht mir Sorge, daß ich es dem Grafen verbergen mußte. - Es war der Fürſtin ausdrücklicher Wille. - 0 ihr guten Geiſter, die ihr mir ſo ſichtbar beiſtandet, bleibt auf meiner Seite und verbergt die Geſchichte nur auf kurze Zeit eurem Meiſter ! 4. Uuftritt. Domherr. Nitter. Bedienter. ut. Iran. Der Nitter! Domherr. Drei Seſſel! (St. Jean ſtellt die Scijel.) Ritter. Hier bin ich! Kaum habe ich dieſen Augenblick erwarten können. Schon lange geh' ich ungeduldig auf der Promenade hin und wieder; es ſchlägt die Štunde, und ich fliege hieher. Domherr. Sei'n Sie mir willkommen! Ritter. Den Grafen fand ich auf der Treppe. Er redete inich liebreich an, mit einem ſanften Tone, den ich nicht an ihni gewohnt bin. Er wird gleich hier ſein. Domljerr. Iſt er hinüber ins Logenzimmer gegangen? Dritter Aufzug. 4. u. 5. Auftritt. 45 LO Ritter. So ſchien mir's. Domherr. Er bereitet ſich zu feierlichen Handlungen, Sie erſt hier in den zweiten Grað aufzunehmen, dann mich in den dritten zu erheben und uns dein Groß-Rophta vor: zuſtellen. Ritter. Ja, er hatte die Miene eines Wohlthäters, eines Vaters. Dieſe Miene ließ mich viel hoffen." D, wie ſchön glänzt die Güte vom Angeſicht des Gewaltigen! 5. Auftritt. Die Vorigen. Der Graf. Graf (indem er ſeinen Hut abnimmt und gleich wieder aufſetzt). Ich grüße euch, Männer des zweiten Grades! Domherr. Wir danken dir! Ritter. Nennſt du mich auch ſchon ſo ? · Graf. Den ich ſo grüße, der iſt's. (Er ſetzt ſich auf den mittelflen Seſſel.) Bedeckt euch! Domherr. Du befiehlft es! (Er ſetzt auf.) Graf. Ich befehle nicht. Ihr bedient euch eures Rechtes; id, erinnere euch nur. Ritter (beijeite, indem er den Hut aufſcßt). Welche Milde! Welche Nachſicht! Ich brenne vor Begierde, die Geheimniſſe des zweiten Grades zu hören. Graf. Selzt euch, meine Freunde, fett euch, meine Gehilfen! Domherr. Die Gehilfen ſollten vor dem Meiſter ſteheit, um, gleich dienſtbaren Geiſterni, ſeine Befehle ſchleunig aus- zurichten. Graf. Wohl geſprochen! Aber ſie ſitzen bei ihm, weil fie ſeine Näte mehr als ſeine Diener find. (Beide ſchen ſich. Zum Nitter.) Wie nennt man die Männer des zweiten Grades? Ritter. Wenit id) eben recht hörte, Gehilfen. Grof. Warum mögen ſie dieſen Namen tragen? Ritter. Wahrſcheinlich, weil ſie der Meiſter aufgeklärt und thätig genug findet, zii ſeinen Abſichten mitzuwirken und ſeine Zwecke zu erfüllen. Graf. Was denkſt du von den Endzweden dieſes Grades? Ritter. Ich kann mir nichts anders denken, als daſ wir nun erſt ausüben ſollen, was uns der erſte Grad gelehrt hat. Dem Schüler zeigt man von weitern, was zu thun iſt; Wenn ich die Mänment fins. " 46 Der Groß-Rophta. dem Gehilfen gibt man die Mittel an die Hand, wie er das Ziel erreichen könne. Graf. Was iſt das Ziel, das man den Schülern vorſteckt? Ritter. Das eigene Beſte in dem Beſten der andern zu ſuchen. Graf. Was erwartet nun der antretende Gehilfe ? Ritter. Daß ihm der Meiſter die Mittel anzeigen ſolle, das allgemeine Beſte zu befördern. Graf. Erkläre dich näher. Ritter. Du weißt beſſer, als ich ſelbſt, was ich zu ſagen habe. In jedes gute Herz iſt das edle Gefühl von der Natur gelegt, daß es für ſich allein nicht glücklich ſein kann, daß es fein Glück in dem Wohl der andern ſuchen muß. Dieſes ſchöne Gefühl weißt du in den Schülern des erſten Grades zu er: regen, zu ſtärken, zu beleben! — Und wie nötig iſt es, uns zum Guten Mut zu machen! Unſer Herz, das von Kindheit an nur in der Geſelligkeit fein Glück findet, das ſich ſo gern hingibt und nur dann am höchſten und reinſten genießt, wenn es ſich für einen geliebten Gegenſtand aufopfern fann - ach! dieſes Herz wird leider durch den Sturm der Welt aus ſeinen liebſten Träumen geriſſen! Was wir geben können, will niemand nehmen; wo wir zu wirken ſtreben, will niemand helfen; wir ſuchen und verſuchen und finden uns bald in der Einſamkeit. Graf (nach einer Pauſe). Weiter, mein Sohn. . - Ritter. Und, was noch ſchlimmer iſt, mutlos und klein. Wer beſchreibt die Schmerzen eines verkannten, von allen Seiten zurückgeſtoßenen menſchenfreundlichen Herzens? Wer drückt die langen, langſamen Qualen eines Gemüts aus, das, zu wohlthätiger Teilnehmung geboren, ungern feine Wünſche und Hoffnungen aufgibt und ſich doch zuletzt derſelben auf ewig entäußern muß? Glücklid), wenn es ihm noch möglich wird, eine Gattin, einen Freund zu finden, denen er $as einzeln ſchenken kann, was dem ganzen Menſchengeſchlechte zugedacht war; wenn er Kindern, wenn er — Tieren nüßlic) und wohlthätig ſein kann! Graf. Shr habt noch mehr zu ſagen; fahrt fort. Ritter. Ja, dieſes ſchöne Gefühl belebt Ihr' in Euren Schülern aufs neue; Ihr geht ihnen Hoffnung, daß die Hinder- niſſe, die dem ſittlichen Menſchen entgegenſtehen, nicht unüber- windlich ſeien, daß es möglich ſei, ſich nicht allein zu kennen, ſondern ſich auch zu beſſern; daß es möglich ſei, die Nechte der Dritter Aufzug. 5. Auftritt. 47 Menſchen nicht nur einzuſehen, ſondern auch geltend zu machen und, indem man für andere arbeitet, zugleich den einzigen ſchönen Lohn für ſich zu gewinnen – Graf (zum Domherrn, der ſich bisher unruhig auf ſeinem Seſſel bewegt hat). Was ſagt Ihr zu dieſen Neußerungen unſers Ritters ? Domherr (tädhelnd). Daß ſie von einem Schüler kommen und von feinem Gefährten. Ritter. Wie? Domherr. Es iſt nicht von ihm zu verlangen, er muß belehrt werden. Ritter. Was ? Domherr. Sage mir den Wahlſpruch des erſten Grades! Ritter. Was du willſt, daß die Menſchen für dich thun ſollen, das thue für ſie. Domherr. Vernimm dagegen den Wahlſpruch des zweiten Grades: Was du willſt, daß die Menſchen für dich thun ſollen, das thue für ſie nicht. Ritter (aufſpringend). Nicht? Hat man mich zum beſten? -- Darf ein vernünftiger, ein edler Menſch ſo reden? Graf. Seke dich nieder und höre zu. (zum Domherrn.) Wo iſt der Mittelpunkt der Welt, auf den ſich alles beziehen muß? Domherr. In unſerm Herzen. Graf. Was iſt unſer höchſtes Geſetz ? Domherr. Unſer eigener Vorteil. Graf. Was lehrt uns der zweite Grad? Domherr. Weiſe und klug zu ſein. Graf. Wer iſt der Weiſeſte? Domherr. Der nichts anders weiß noch will als das, was begegnet. Graf. Wer iſt der Klügſte? . Domherr. Der in allem, was ihm begegnet, ſeinen Vorteil findet. Ritier (der wieder aufſpringt). Entlaßt mich! Es iſt mir un- inöglid), es iſt mir unerträglich, folche Reden zu hören. Domherr (halb ladjend). Ging es mir doch beinahe ebenſo, wie Ihnen. (Zum Grafen.) Es iſt ihn zu verzeihen, daß er ſich ſo ungebärdig ſtellt. (Zum Mitter.) Beruhigen Sie ſich! Sie werden ſchon über ſich ſelbſt lachen und uns das Lächeln ver- zeihen, das Sie in dieſem Augenblick verdrießt. Kus dem Felde der jugendlichen Schwärmerei, worin der Meiſter ſeine Schüler gängelt, glaubt man über eine goldene Brücke in eine reizende Feenwelt hinübergeführt zu werden. Und freilich iſt 48 Der Groß-Kophta. es unerwartet, wenn man unſanft in die wirkliche Welt wieder zurücgebracht wird, aus der man ſich zu entfernent glaubte. Ritter. Meine Herren, Sie erlauben, daß ich gehe, daß ich mich von meinen Erſtaunen erhole. Domherr. Gehn Sie nur, gehn Sie und fehn Sie ſich in der Welt, ſehn Sie ſich in Ihrem Herzen um! Be- Dauren Sie meinetwegen die Thoren; aber ziehen Sie Vorteil aus der Thorheit! Šehn Sie, wie jeder von andern ſoviel als möglich zu nehmen ſucht, um ihm ſo wenig als möglich zurückzugeben. Jeder mag lieber befehlen, als dienen, lieber ſich tragen laſſen, als tragen. Jeder fordert reichlich Achtuna und Ehre und gibt ſie ſo ſpärlich als möglich zurück. Alle Menſchen ſind Egoiſten; nur ein Schüler, nur ein Thor fann ſie ändern wollen. Nur wer ſich ſelbſt nicht fennt, wird leugnen, daß es in ſeinem Herzen ebenſo beſtellt ſei. Ritter. Wohin bin ich geraten! Domherr. Dieſen Lauf der Welt wird Ihnen der Meiſter im zweiten Grade ganz enthüllen. Er wird Ihnen zeigen, daß man von den Menſchen nichts verlangen kann, ohne fic zum beſten zu haben und ihren Eigenſinne zu fchineichelit; daß man ſich unverſöhnliche Feinde macht, wenn mait die Albernen aufflären, die Nachtwandler aufwecken und die Ver- irrten zurechtweiſen will; daß alle vorzügliche Menſchen nur Marktſchreier waren und ſind – flug gerug, ihr Anſehn und ihr Einkommen auf die Gebrechen der Menſchheit zu gründenr. Ritter. Abſcheulich! Abſcheulich! Graf. Es ſei genug! Er 'mag nun ſelbſt denken; und noch ein Wort, eh wir uns trennen. Wie nennt man den erſten Grad? Donherr. Die Lehre. Graf. Warum? Domherr. Damit die Schüler glauben, ſie lernen etwas. Graf. Wie nennt man den zweiten Grad? Domherr. Die Prüfung. Graf. Und weswegen? Domherr. Weil der Kopf eines Menſchen darin geprüft wird und man ſieht, zu was er fähig iſt." Graf. Vortrefflich! (Leiſe zum Domherrn.) Laß uns allein! ich muß dieſen Trotzkopf zu begütigen ſuchen. Domherr. Ich hoffte, du würdeſt meine Wünſche erhören und mich in den dritten Grad erheben. Dritter Aufzug. 6. Auftritt. 49 Graf. Ich darf dem Groß- Kophta nicht vorgreifen. Warte feine Erſcheinung ab; in kurzer Zeit werden alle deine Wünſche befriedigt ſein. 6. Auftritt. Der Graf. Der Ritter. Graf. Junger Mann! Ritter (der indeſjen nadidenklich und unbeweglidh geſtanden). Leben Sie wohl, Herr Graf! Graf. Wo wollen Sie hin? Ich laſſe Sie nicht meg. Ritter. Halten Sie mich nicht! Ich laſſe mich nicht halten! Graf. Bleiben Sie! Ritter. Nicht länger, als bis ich Ihnen Dank geſagt für das Gute, das Sie mir erzeigt, für die Bekanntſchaften, die Sie mir gemacht, für den guten Willen, den Sie mir ver- fichert. Und nun leben Sie wohl! auf ewig wohl! denn ich möchte mich nicht undankbar zeigen gegen meinen Wohlthäter. Leben Sie wohl! und laſſen mich nur noch das ſagen: Jhre Wohlthaten beſchämten mich nicht; denn ich glaubte fie einem edlen, großen Manne zu verdanken. Graf. Weiter! weiter! Rében Sie aus, eher kommen · Sie nicht von der Stelle. Rifter. Sie wollen es? Sie befehlen es? Es ſei denn! D Graf! wie haben Sie in dieſer Viertelſtunde mein Glück, meine Hoffnungen zernichtet! Haben Sie mich nicht beſſer gekannt, nicht beſſer beurteilt? Graf. Worin hab ich mich denn ſo ſehr betrogen? Ich lernte Sie als einen jungen Mann kennen, der ſein Glück zu machen wünſchte; der mit Eifer, ja mit Heftigkeit, nach Rang, nach Vermögen ſtrebte, und deſto heftiger, je weniger ihm ſeine Lage Anſprüche zu großen Hoffnungen erlaubte. Ritter. Wohl! Áber zeigte ich mich nicht auch mit einen Herzen, das niedrige, gewöhnliche Mittel verſchmähete? Wünſchte ich nicht meine beſte Empfehlung von meiner Redlichkeit, meiner Geſeßlichkeit, meiner Treue, von allen jenen Eigenſchaften, die einen edlen Mann, die einen Soldaten zieren ? — Und nun? Graf. Und nun erſchreden Sie über den Fuchspelz, mit dem Sie Ihre Löwenmähne bedecken ſollten. . Ritter. Scherzen Sie nur, ich will ernſthaft reden; ernſthaft zum letztenmale mit einem Manne, den ich für meinen Goethe, Werke. VIII. 50 Der Groß-Sophta. Freund hielt. Ja, ich geſteh' es Ihnen: Ihr Betragen war mir längſt verdächtig. Dieſe geheimen Wiſſenſchaften, in deren Vorhof mir dunkler mard als vorher in der freien Welt, dieſe wunderbaren Kräfte, die uns auf guten Glauben ver- fichert wurden, dieſe Verwandtſchaft mit Geiſterii, dieſe un- fruchtbaren Ceremonieen, alles weisſagte mir nichts Gutes; nur die Großheit Ihrer Geſinnungen, die ich in vielen Fällen fennen lernte, die Entäußerung von jedem Eigennut, Shre Teilnehmung, Ihre Dienſtfertigkeit, Ihre Freigebigkeit, das alles deutete mir dagegen auf einen tiefen Grund eines edlen Herzens. Ich hing an Ihrem Munde, ſaugte Ihre Lehren ein bis auf dieſen Augenblick, der alle meine Hoffnungen zerſtörte. Lehen Sie wohl! – Wenn ich je ein kleinlicher, niedriger Schelm werden, wenn ich den Strome nachſchwimmen und nur einen augenblicklichen elenden Vorteil für inich zum Schaden der andern gewinnen ſollte: ſo bedurft' es nicht dieſer Vorbereitungen, dieſer Anſtalten, die mich beſchämen und cr- niedrigen. Ich verlaſſe Sie! Aus mir werde, was da will. Graf. Ritter, ſehen Sie mich an! Ritter. Was verlangen Sie von mir? Graf. Was Sie mich thun ſehn, thun Sie auch! (Er nzimmt den Hut ab.) Ritter. Sollen wir mit Ceremonien ſcheiden? Graf. Selbſt die Höflichkeit gebietet Ihnen, zu folgen. Ritter (indem er den Hut abnimmt). Nun denn, ſo empfehle ich mich Ihnen. Graf (der ſeinen Hut wegwirft). Nun, Nitter? Ritter. Was ſoll das? Grnf. Ich verlange, daß Sie mir nachfolgen. Ritter (der ſeinen Hut wegwirft). So ſei denn zum letztenmal ctwas Unverſtändliches, etwas Thörichtes gethan. Graf. Nicht ſo thöricht, wie du glaubſt. (Er geht mit offenen Armen auf ihn zu.) Siehe mich von Angeſicht zu Angeſicht, du Erwählter! Komm in meine Arme, chließe dich an meine Bruſt, erhabener Meiſter! Ritter. Was ſoll das? Laſſen Sie mich los! Graf. Niemals, wenn ich dich nicht eher laſſen ſollte, als bis meine Freude über dieſen meinen trefflichen Freund erſchöpft wäre! Ritter. Erklärt Euch! Jhr macht mich verwirrt. Graf. Erinnerſt du dich, wie nannte der Domherr dent zweiten Grad? Dritter Aufzig. 6. Auftritt. 51 Ritter. Mich Sünft: die Prüfung. . Graf. Gut, die haſt du überſtanden. Ritter. Erklärt Euch! Graf. Laß mich erſt meine lebhafteſte Freude in dieſen Umarinungen ausdrücken. Ritter. Ich verſtumme! Graf. Wie ſelten hab' ich ſie genoſſen! Ich wünſche Such Glück und mir. Ritter. Laß mich nicht länger in Ungewißheit. Graf. Du haſt das ſonderbarſte Abenteuer überſtanden; bu haſt dir die Würde eines Meiſters ſelbſt gegeben, bu haſt dir die Vorzüge des dritten Grades wie mit ſtürmender Fauſt crobert. Ritter. Noch immer bin ich in Zweifel und Ungewißheit. Grof. Ich wünſchte nun, daß sein Verſtand dir crklärtc, was dein Herz ausgeübt hat; mit weniger Aufmerkſamkeit wirſt du es leicht. Was waren deine Hoffnungen als Schüler des erſten Grades? Ritter. Beſſer zu werden, als ich bin, und Succh Sure Hilfe das Gute, was ich erkenne, in Ausübung zu bringen. Graf. · Und was erfuhrſt du, als du aus dem Munde des Domherrn die Grundfäße •bes zweiten Grades ver- nahmſt? Ritter. Ich erfuhr zu meinem Entſetzen, daß Ihr Euch bisher nur verſtelltet und die Schüler zum beſten haltet; daſs man die, die Ihr Gehilfen nennt, zii weltflugen Menſchen machen, ſie zu Egoiſten ſtempeln, die zarteſten Empfindungen der Freundſchaft, der Liebe, der Treue und jeder ſchönen An- forderung, die unſer Herz unwiderſtehlich macht, aus ihrent Buſen reißen und ſie, ich darf es wohl fagen, zu gerneinen, ganz gemeinen, ſchlechten, ganz ſchlechten Menſchen machen wollte. Du weißt, mit welchem Aufdheu ich dieſen Uebergang verwarf. Weiter hab' ich nichts zu ſagen: ich verändere meine Geſinnungen nicht, und — entlaß mich! Graf. Eben deswegen ſchließ' ich dich an mein Herz, werfe meinen Hut vor dir weg und grüße sich als Meiſter. Du haſt die Prüfung überſtanden, du biſt der Verſuchung ent- gangen, du haſt dich als einen Mann gezeigt, den ich ſuche. Alles, was die aus dem Munde des Doinherrn gehört haſt, was leider dieſer Unglückliche nebſt mehreren andern für Wahr- heit hält, iſt nur Prüfung, nur Verſuchung. Wenn die er- habenen, großen, uneigennützigen Meiſter einen Lehrling, der 52 . Der Groß-Nophta. fich gut anläßt, weiter vorwärts führen wollen, fo verſuchen ſie ihn erſt, und am ſicherſten geſchieht es, wenn ſie ihm die ſcheinbaren Vorteile eines eigennüßigen Betragens vorlegen. Greift er darnach, ſo thut er einen Schritt zurück, indem er glaubt, einen vorwärts 311 thun. Wir laſſen ihn lange Zeit in ſeinem Sinne hingehen, und glücklich iſt er, menn wir ihn nach und nach durch große Umwege zum Licht führen. Ritter. Ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll. Glaubt denn der Domherr, daß die Grundfäße, die er mit ſo viel Behag- lichkeit vorgetragen, die rechten, die wahren ſind? Graf. Freilich glaubt er's, der Unglüdlidie ! Ritter. Und óu, ſein Buſenfreund, ziehſt ihn nicht aus dieſem Irrtum? Graf. Ich arbeite daran. És iſt aber ſchwerer, als du benfft. Der Eigendünfel eines halbklugen Egoiſten hebt ihi über alle Menſchen hinweg; indem er ſie zu überſehen glaubt, läßt er ſich alles nach und gibt andern eben dadurch Gelegens heit, ihn zu überſehen, ihn zu beherrſchen.: Ritter. Ihr ſolltet nicht ruhen, bis ihm die Augen ge- öffnet ſind. Graf. Damit du einſehen lernſt, wie ſchwer das iſt, ſollſt du mir helfen, ihn auf den rechten Weg zu bringen. Ritter (nad; einer Pauſe). So wäre es denn mahr, daß ich mich an Euch nicht geirrt habe? Daß ich in dir, je länger ich dich kenne, immer den Beſſern, den Größern, den Unbegreif- lichen finde? Meine Dankbarkeit iſt grenzenlos, meine Freude verſtummt in dieſer Umarmung. Graf. Nun gehe, mein Sohn. Drüben in dem Zimmer ſind Kleider zurecht gelegt, in denen man ſich nur dem Groß- Kophta zeigen darf. Wären alle, die ſich ihn heute vorſtellen, rein wie du, ſo würde er von ſeiner Erſcheinung ſelbſt große Freude haben. Du wirſt große Wunder ſehen und wirft ſie bald verſtehen, ja bald ſelbſt hervorbringen lernen. Gehe, ſtaune und ſchweige! Ritter. Ich bin ganz, ich bin ewig dein! 7. Uuftritt. Der Graf, nachher ein Bedienter. Graf. So wäre denn auch dieſer nach ſeiner Art zur Ordnung gewieſen. Man muß die Ängeln, die Neße nach Proportion der Fiſche einrichten, die man zu fangen gedenkt, Dritter Aufzug. 7. u. 8. Auftritt. und wenn es ein Walfiſch iſt, wirft man init Harpunen nach ihm. Den Mäuſen ſtellt man Fallen, Füchſen legt man Giſen, Wölfen gräbt man Gruben, und die Löwen verſcheucht man mit Fadeln. Dieſen jungen Löwen habe ich auch mit einer . Fackel zur Ruhe gebracht, und ich darf den Meiſterſtreich wagen, der mein Anſehen bei allen befeſtigen muß. Die Dekoration iſt in Ordnung, die Marquiſe hat mich verſtanden, und es wird alles glücklich von ſtatten gehen. Ein Bedienter in einem langen weißen Feiertleide). Alles iſt fertig, Herr Graf! Der Domherr, der Ritter, die Damen ſind alle gekleidet. Wollen Sie ſich hier anziehen? Soll ich Ihre Kleider herüberbringen? Graf. Nein, ich komme! Folge inir und thue dein Umt! LV 8. Uuftritt. Vorſaal und Eingang in die ägyptiſche Loge. Muſik. Sed3 Rinder kommen gepaart in weißen langen Kleidern, mit fliegendem Haar, Roſenkränze auf dem Kopfe und Naudfäſſer in den gänden. Sechs Jünglinge hinter ihnen, weiß, aber kurz gekleidet, gleichfalls mit Rojena kränzen auf dein Haupte, jeder zivci Fackein freuzivciſe über der Bruſt. Sie zichen anſtändig über das Theater und ſtellen fidi an beide Seiten. Chor der Kinder. Schon eröffnet iſt der Tempel, Sind die Hallen, ſind die Grüfte. Weihrauch reinige die Lüfte, Die um dieſe Säulen wehn! Chor der Jünglinge. Holde Kinder, zarte Sproſſen, Bleibet in den Vorhof ſtehn, Und ihr Weiſen, ihr Genoſſen, Eilt, ins Heiligtum zu gehn! (M ujit.) Die Genofen der loge kommen zivei und zwei aug entgegengeſekten Couliſſen, jedesmal ein Frauenzimmer und eine Mannsperſon. Sie begegnich einander, grüßen ſidy und treten an die Thiire der Loge. Chor der Kinder und Jünglinge. Klein und ärmlich wie die Zwerge, Tief umhült von Rauch und Wahn, Stehn wir vor dem heil'gen Berge – Geiſter, dürfen wir hinan? 54 Der Groß-Kophta. , Chor (von innen). Bringet Ernſt zur ernſten Sache, Kommt zum Licht aus Dunſt und Wahn. Daß der Kophta nicht erwache - Leiſe, leiſe tretet an! (Die Bjorie öffnet ſid). Dic Genojen treten hincin; dic Pforte dhließt ſid), und es fomint ivicdcr cin neues Banr. Ceremonie und Gejang werden wiederholt. Es ſid), daß der Domycrr und die Nichte zuſammentreffen und mit einander ins Scilig- im gehen; ſie ſind die letzten. Dic Muſik verliert" jidins Pianiſſimo, die Kinder treten in die Couliſjen, die Jünglinge fallcit auf die Sinice zu beiden Seiten des Broſcenii.) 9. Wuftritt. Der Vorhang geht auf, und es zeigt ſid, cin Saal mit ägyptiſchen Bildern und Zieraten. in der Mitte ſteht ein ficfer Scſjel, auf weldjen cine in Goldſtoff ge- fleidete Perſon zuriidgelehnt liegt, deren Saupt mit einem weißen Schleier bedeckt iſt. zur rediten vand frict der Domherr, zur (infen der Nitter, vorivärts neben den Domherri die Marquiſe, neben dem Nitter der Marquis, dann die Nid)te. Dic Muſik verliert ſid). Domherr. Erhabener, unſterblicher Greis! Du erlaubſt Unwürdigen, ſich deinen Füßen zu nähern, Gnade und Hilfe von dir zu erbitten. Du ſchläfft, oder vielmehr du ſcheinſt zu ſchlafen; denn wir wiſſen, daß du ſelbſt in deiner Ruhe auf- merkſain und thätig biſt und das Wohl der Menſchen be- förderſt. Gib uns ein Zeichen, daran wir erfennen, Daß du ins Hörſt, daß du uns Hold' hiſt! (Muſik, fur wenige Töne. Der Verſchleierte Hebt die rechte Hand auf.) Ritter. Du ſiehſt hier eine Anzahl Menſchen vor dir, die, aufgemuntert durch das Verſprechen seines würdigſten Schülers, in vollem Vertrauen ſich zu Sir nahen und hoffen, daß du ihre Bedürfniſſe befriedigen werdeft. Freilich ſind dieſe Bedürfniſſe ſehr verſchieden; doch ſelbſt das Mannig- faltigſte wird einfach vor deinem allgemeinen Blic, vor deiner ausgebreiteten Macht. Wirſt du uns erhören, wenn wir gleich unwürdig ſind? (Muſif, wie oben, nad Verhältnis. Der Verſchleierte richtet ſich auf.) Marquiſe. Verzeihe der Ungeduld eines Weibes, laſ uns dein Angeſicht fehen! Wir ſchmachten ſchon Monate lang nach deiner Gegenwart. (Muſik, wie oben. Der Verſchleierte ſteht auf und bleibt vor dem Seſjet Meten.) Marquis. Erlaube, daß wir uns dir nahen, daß wir ben Šaum deines Nockes küſſen! Die Wünſche, die ſo lange in unſern Herzen ſchliefen, find jetzt aufgewacht; in deiner Gegenwart werden ſie unerträglich) unruhig. (Mujit, wie oben. Der Verjd leierte tritt ſachte die Stufen herunter:) Dritier der Aufzuig55 . . 9. Auftritt. Slieder!. Slanz deinek AufzugNiste (lciſe). Mir zittern alle Glieder! Domherr. Berſage uns nicht länger den Glanz deines Angeſichts! Alle. Großer Kophta, wir bitten! (Muſif, wenige raſche Töne. Der Saleier fält.) Alle indem ſie auf einmal aufſtehen und weiter vortreten). Der Graf! (Die Jünglinge ſtehen auf.) Graf (der Hervortritt). Ja, der Graf! Der Mann, den ihr bisher mit einem Namen nanntet, unter dem ihn die Welt in dem gegenwärtigen Augenblicke kennt. Dihr Blinden! Jhr Hartherzigen! Faſt ein Jahr gehe ich mit euch um, id) unterrichte cure Inwiſſenheit, ich belebe euren toten Sinn, ich deute euch auf den Groß-Kophta, ich gebe euch die ents ſcheidendſten Winke; und es geht euch fein Licht auf, daß ihr denſelben Mann, den ihr ſucht, beſtändig vor euch habt, daß ihr die Güter, nach denen ihr euch ſehnt, täglich von ſeinen Händen empfangt, daß ihr mehr Urſache habt, zu danken, als zu bitten. Doch ich habe Mitleiden mit eurem irdiſchen Sinn, ich laſſe inich zu eurer Schwäche herab. Seht mich denn in meiner Herrlichkeit; mögen eure Augen mich erkennen, wenn euer Herz mich verkannt hat! Und wenn die Gewalt, die ich über eure Gemüter ausübte, euren Glauben ſchwach ließ, ſo glaubt nun an die Wunder, die ich außer eud), aber in eurer Gegenwart vollende! . Domherr (beiſeite.. Ich erſtaune! Ritter (beiſeite). Ich verſtumme! Marquiſe (beiſeite). Seine Unverſchämtheit übertrifft meine Erwartung. Marquis (beiſeite). Ich bin nieugierig, zu ſehen, wo das hinaus will. Graf. Ihr ſteht beſtürzt? Jhr ſeht vor euch nieder? Shr getraut euch kaum, mich von der Seite anzublicken? Wendet euer Geſicht zu mir, ſeht mir freudig und zutraulich) in die Augen, werft alle Furcht weg und erhebt euer Herz! - Ja, ihr ſeht den Mann vor euch, der, ſo alt als die ägypti- ſchen Prieſter, ſo erhaben als die indiſchen Weiſen, ſich in dem Umgange der größten Männer gebildet hat, die ihr ſeit Jahrhunderten bewundert; der über allen Rang erhaben iſt, feiner Güte hedarf, in der Stille bas Gute wirkt, das die Welt bald dieſer, bald jener Urſache zuſchreibt; der in einer geheimen, durch die ganze Welt ausgebreiteten Geſellſchaft von Männern lebt, die mehr oder weniger einander gleich 56 Der Groß-Kophta. ſind, ſich ſelten perſönlich, öfters aber durch ihre Werke offenbaren. Domherr. Iſt es möglich, daß es noch mehrere deines- gleichen gebe? Graf. Alles findet ſeinesgleichen, außer (in die Höhe deutend) ein einziger! Ritter. Welch ein erhabener Gedanke! Marquiſe (beiſeite). Welch ein Schelm! Das Heiligſte in feine Lügen zu verweben! Graf. fa, ſeht her! Dieſem Haupte fann die brennende Sonne, der beizende Schnee nichts anhaben. Mit dieſem un- bewehrten vorgeſtreckten Arm habe ich in den libyſchen Wüſten - einen brüllenden hungrigen Löwen aufgehalten, mit dieſer Stimme, die zu euch ſpricht, ihm gedroht, bis er mir zu meinen Füßen ſchmeichelte. Er erkannte ſeinen Herrn, und ich konnte ihn nachher auf die Jagd ausſdicken; nicht für mich, der ich blutige Speiſe nicht genieße, ja kaum einer irdiſchen Speiſe bedarf, ſondern für meine Schüler, für das Volk, das ſich oft in der Wüſte um mich verſammelte. Dieſen Löwen habe ich in Alexandrien gelaſſen; ich werde bei ineiner Rückunft einen freuen Gefährten an ihm finden. Domherr. Haben die übrigen Meiſter deiner Geſellſchaft auch ſo große Fähigkeiten als du? Graf. Die Gaben ſind verſchieden ausgeteilt; keiner von uns darf ſagen, er ſei der größte. Ritter. jft denn der Zirker dieſer großen Männer ge- fchloſſen, oder iſt es möglich, darin aufgenommen zu werdeu? Graf. Vielen wäre es möglich; wenigen gelingt es. Die Hinderniſſe ſind zu groß. Domherr. Wenn uns deine Erſcheinung nicht unglück licher machen ſoll, als wir bisher waren, ſo gib uns wenigſtens einen Wink, wohin wir unſere Aufmerkſamkeit, unſer Beſtreben richten ſollen? Graf. Das iſt mein Vorſak. - Nach allen Prüfungen, die ihr ausgeſtanden habt, iſt es billig, daß ich euch einen Schritt weiter führe, daß ich euch gleichſam eine Magnetnadel in die Hand gebe, die euch zeige, wohin ihr eure Fahrt zu richten habt. Vernehmt! Domherr. Ich bin ganz Dhr! Ritter. Meine Aufmerkſamkeit kann nicht höher geſpannt werden. Marquis (beiſeite). Ich bin äußerſt neugierig! Dritter Aufzug. 9. Auftritt. 57 Marquiſe (beiſeite). Was wird er vorbringen? Graf. Wenn der Menſch, mit ſeinen natürlichen Kräften nicht zufrieden, etwas Beſſeres ahnet, etwas Höheres begehrt; wenn er ſich eine unverwüſtliche Geſundheit, ein dauerhaftes Leben, einen unerſchöpflichen Reichtum, die Neigung der Menſchen, der Gehorſam der Tiere, ja ſogar Gewalt über Elemente und Geiſter ſtufenweiſe zu verſchaffen denkt: ſo kann es nicht ohne tiefe Kenntnis der Natur geſchehen. Hierzu eröffne ich euch die Pforte. --- - Die größten Geheimniſſe, Kräfte und Wirkungen liegen verborgen - – in verbis, herbis et lapidibus. Alle. Wie? Graf. In Worten, Kräutern und Steinen. (Pauſe.) Marquiſe (für ſid)). In Steinen? Wenn er die meint, die ich in der Taſche habe, ſo hat er vollkommen recht. Marquis. Jn Kräutern? Man ſagt, es ſei kein Kraut gewachſen, das unſer beſtimmtes Lebensziel verlängern könne; und doch muß Ihnen ein ſolches Kraut bekannt ſein, da Sie Ihr Leben nidjt allein hoc gebracht, ſondern auch fhre Kräfte, Ihr äußeres Anſehen ſo lange erhalten haben. Graf. Die Ünſterblichkeit iſt nicht jedermanns Sache. Domherr. In Worten? Hier ahne ich das meiſte, er- habener Lehrer. Gewiß habt ihr eine Sprache, eine Schrift, wodurch ganz andere Dinge bezeichnet werden, als mit unſerni armſeligen Lauten, wodurch wir nur die gemeinſten Dinge auszudrücken imſtande find. Gerviß beſikeſt du die geheimnis- vollen Zeichen, mit denen Salomon die Geiſter bezwang? Graf. Alle dieſe, ja die ſonderbarſten Charaktere, sie man jemals geſehen hat, Worte, die eine menſchliche Lippe kaum auszuſprechen vermag. Ritter." Di Lehre fie uns nach und nach buchſtabieren! Graf. Vor allen Dingen müßt ihr erkennen, daß es nicht auf die Lippen ankommt, nicht auf die Silben, die aus: geſprochen werden, ſondern auf das Herz, das dieſe Worte nach den Lippen ſendet. Ihr ſollt erfahren, was eine un- ſchuldige Seele für Gewalt über die Geiſter hat. Nidite (Flie ſic). Ach Gott! Nun wird er mich vorrufen; ich zittre und bebe! Wie ſchlecht werde ich meine Rolle ſpielen! ich wollte, ich wäre weit von hier, ich hätte dieſen Menſchen niemals geſehen. Graf. Tritt herbei, ſchönes unſchuldiges Kind! Ohne Furcht, ohne Sorge tritt näher, mit einer holden Freude, 58 Der Groß-Sophta. daß du zu dem Glück auserleſen biſt, wonach ſo viele fich jehnen. Domherr. Was ſoll das geben? Ritter. Was haben Sie vor? Graf. Wartet und merket auf! (Mujik. Der Graf gibt cin Zeiden. Ein Dreifuß ſteigt aus dem Budini, auf welchen cine erleuchtete Nugel befeſtigt iſt. Der Graf vinkt der Nichte und hängt ihr den Schleicr über, der ihn vorher bedeckt hat, doch ſo, daß ihr Gejidt frei bleibt; ſie trist Vinter den Dreifuß. Bei dicicr Pantomimc legt der Graf join gcbicicrijdes cert ab; të zeigt jich ſehr artig und gejällig, gewiſſermaßen ehrerbietig gegen ſie. Die stinder mit den Randfäſjern treten neben den Dreijuß. Der Graf ſteht zunächſt der Nidhte, die übrigen gruppieren ſich mit Verſtand. Die Jünglinge ſtehen ganz vorn. Die Midte jicht auf die Kugel, die Geſellſchaft auf fic, mit der größten Aufmertjamfcit. Sie ſcheint einige Worte auszuſprechen, ſieht wieder auf die Siugch und biegt ſich dann crſlaut, wie jemand, der was Unerwartetes jicht, zuriicf und bleibt in der Stellung ftchen. Die Mujić hört auf.) Graf. Was fiehſt du, geliebte Tochter? Erſchrick nicht, faſſe dich! Wir ſind bei Sir, mein Kind! Ritter. Was kann ſie ſehen? Was wird ſie ſagen? Domherr. Still, fie ſpricht! (Die Nichte ſpricht einige Worte, aber leiſe, daß man ſie nicht verſtehen kann.) Graf. Laut, meine Tochter, Lauter, daß wir es alle verſtehen! · Nichte. Ich ſehe Kerzen, helle, brennende Kerzen in einen prächtigen Zimmer. Jekt unterſcheide ich chineſiſche Tapeten, vergoldetes Schnitzwerf, einen Kronleuchter. Viele Lichter blenden mich. Graf. Gewöhne dein Auge, ſieh ſtarr hin! was ſiehſt Du weiter? Iſt niemand in Zimmer? Nidjte. Hier! — Laßt mir Zeit - hier in dem Schimmer beim Kerzenlichte — am Tiſche fibcnd' -- erblick ich eine Dame; ſie ſchreibt, ſie lieſt.. Domhert. Sag’, fannſt du-ſie erkennen? Wie ſieht ſie aus? Wer iſt's? Verſchweige nichts! Uichte. Jhr Geſicht fann ich nicht ſehen; die ganze Ge- ſtalt ſchwankt vor meinen Augen wie ein Bild auf bewegtem Waſſer. Marquiſe (für ſid). Ganz vortrefflich ſpielt das gute Sind uns ihre Lektion vor. Marquis (fiir ſid). Ich bewundere die Verſtellung. Liebe Natur, wozu biſt du nicht fähig! Nidhte. Jeßt! jekt! Ihr Kleid kann. ich deutlicher ſehen; himmelblau fällt es um ihren Seſſel, und wie der Himmel iſt es mit ſilbernen Sternen beſät. ry Dritter Aufzug. 9. Auftritt. 59 Domherr (zur Marquiſe). Nun werde ich ganz glücklich! Es iſt die geliebte Fürſtin. Man ſagte mir von dieſem Sileide, blau init filbernen Muſchen, die den Augen des Kindes als Sterne erſcheinen. Horch! Midte. Was ſeh' ich! Großer Meiſter, erhabener Kophta, entlaß mich! Ich ſehe fürchterlide Dinge. Graf. Bleibe getroft und ſprich: was ſiehſt du? Nichte. Ich ſehe zwei Geiſter hinter dem Stuhle; fie flüſtern einer um den andern der Dame zu. Grnf. Sind ſie häßlich? Nichte. Sie ſind nicht häßlich; aber mich ſchaudert's. Graf (zum Domherun). Dieſe Geiſter ſprechen zum Vorteil eines Freundes. Sannſt du die Dame erfennen? Rennſt du den Freund ? Domherr (ihm die Hand lijjend). Du biſt ewig meiner Dank- barkeit verſichert! Nidite. Sie wird unruhig; das Flüſtern der Geiſter hindert ſie am Leſen, hindert ſie am Schreiben; ungeduldig ſteht ſie auf; die Geiſter ſind weg. (Sie wendet ihr Geſicht ab.) Laſt mich einen Augenblick! Graf. Nur gelaſſen, meine Tochter! Wenn du wüßteſt, unter welchem Schuße du ſtehſt! (Er unterſtützt ſie.) Ritter (fiir ſid)). D, wie ſie liebensivürdig iſt! Wie reizend in ihrer Unſchuld! Nie hat mich ein Mädchen ſo gerührt. Nie hab' ich eine ſolche Neigung empfunden! Wie ſorge ich für das gute Kind! Gewiß, der Domherr, die Tante – das himmliſche Weſen ahnet nicht, in welcher Gefahr ſie ſchwebt! D, wie gern möcht' ich ſie aufmerkſam machen, ſie retten, wenn ich mich auch ganz dabei vergeſſen ſollte! Graf. Nimm dich zuſainien, meine Taube, ſieh hin; gewiß, du haſt uns noch mehr zu offenbaren! Midte (auf die Buger blickend). Sie tritt ans Siamin, ſie blidt in den Spiegel! Ahi! Graf. Was iſt dir? Nidte. Ahi! Marquiſe. Was haſt du? Nidte. Ach, in dem Spiegel ſteht der Domherr. Domherr. Welche Glüdſelig feit! Meiſter -- ich – wie foll ich dir danken! Das thuſt dit alles für mich! Nidte. Sie ſieht hinein, fie lächelt; weg iſt der Dom- herr, ſie ſieht ſich ſelbſt. Ritter.' Welche Wunderkraft! Welche Gaben! 60 Der Groß-Kophta. Ach! - Midtc (mit einem gefühlvollen, freudigen Ausdruck). Ja nun! - Ich ſehe alles nun deutlich, ich ſehe die herrliche Schönheit, das liebenswürdige Geſicht. Wie ihm die Traurigkeit ſo ſchön ſteht, die ſich über alle Züge verbreitet! · Domherr (der bisher die Hände des Grafen gehalten und ſie öfters geküßt). Unausſprechlich, unbeſchreiblich beglückſt du deinen Knecht. Nichte. Sie wird unruhig, das Zimmer ſcheint ihr zu enge, fie geht nach der Glasthüre, fie will hinaus. Ad)! Graf. Ermanne dich! Nur noch einen Augenblick! Sieh noch einmal hin! Nishte (verwirrt). Die Geiſter ſtehn ihr zur Seite. Sie öffnen die Thüre, draußen iſt's dunkel. Marquiſe (zum Domherrn). Sie geht dir entgegen. Domherr. Ift's möglich! - Marquiſe. Du wirſt's erfahren. Midte. Ach! (Sie fällt in Ohnmadst.) Ritter. D Gott! Helft ihr! Schont fie! Es iſt unver- zeihlich, daß ihr ſie nicht eher entlaſſen habt! Marquiſe. Hier iſt Salz. (Die Hauptperſoiren drängen ſid, zit ihr, die Jünglinge treten aus dem Proſcenio ins Theater, die Kinder furditſam zu ihnen. Es madit alles eine ſchöne, aber wilde Gruppe.) Graf. Ueberlaßt ſie mir! Nur durch himmliſden Balſain kann ſie erquickt werden. (Der Vorhang fällt.) Vierter Nufzug. 1. Uuftritt. Zimmer der Nichte. Die Nichte. Ein Mädden. Nidjte (bei der Toilette. Ein Mädden hilft ihr fidh ankleiden und geht Todann in die Garderobe; ſie kommt mit einem Bündel zurück und gcht über das Theater). Was trägſt du da? Was iſt in den Bündel? Mäddjen... Es iſt das Kleid, das Sie mir befahlen zum Schneider zu ſchaffen. Nidite. Gut. Daß ich es, wo möglich, morgen oder übermorgen wieder habe. (Mädchen geht ab.) Nidjte. Nun bin ich angezogen, wie es meine Tante befohlen hat. – Was mag dieſe neue Plummerei bedeuten? — Vierter Aufzug. 1. Auftritt. 61 Wenn ich bedenke, was mir heute begegnet iſt, ſo habe ich alles zu befürchten. Kaum erhole ich mich von jener ſchauder- haften Szene, ſo mutet man mir zu, mich umzukleiden, und wenn ich mich recht anſehe, ſo iſt das ungefähr, wie ich die Prinzeſſin beſchrieben habe. Der Domherr liebt die Fürſtin, und ich foll ſie wohl gar vorſtellen? In welche Hände bin ich geraten? Was hab' ich zu erwarten? Welchen grauſamen Gebrauch macht meine Tante von dem Vertrauen, das ich ihr zu voreilig hingab! Wehe mir! Ich ſehe niemanden, an den ich mich wenden könnte. Die Geſinnungen des Marquis werden inir nun deutlicher. Es iſt ein eitler, frecher, leicht- ſinniger Mann, der mich unglücklich gemacht hat und bald in mein Verderben willigen wird, um mich nur los zu werden. Der Domherr iſt eben ſo gefährlich. Der Graf ein Be- trüger. - - Ach, nur der Ritter wäre der Mann, an den ich mich wenden könnte. Seine Geſtalt, ſein Betragen, ſeine Geſinnungen zeichneten mir ihn im erſten Augenblick als einen rechtſchaffenen, einen zuverläſſigen, thätigen Füngling; und wenn ich mich nicht irre, war ich ihm nicht gleichgültig. — Aber, ach! betrogen durch die unverſchämte Mummerei der Geiſterſzene, hält er mich für ein Geſchöpf, das der größten Verehrung wert iſt. Was ſoll ich ihin bekennen? Was foll ich ihm vertrauen? - - Es komme, wie es wolle, ich will eś wagen! Was hab' ich zu verlieren? Und bin ich nicht ſchon in dieſen wenigen Stunden der Verzweiflung nahe ge- bracht? - Es entſtehe, was wolle, ich muß ihn ſchreiben. Ich werde ihn ſehen, mich ihm vertrauen; der edle Mann fann mich verdammen, aber nicht verſtoßen! Er wird einen Schukort für mich finden. Jedes Kloſter, jede Penſion foll mir ein angenehmer Aufenthalt werden. (Sie ſpridit und ſchreibt.) „Ein unglückliches Mädchen, das Shrer Hilfe bedarf „und von dein Sie nicht übler denfen müſſen, weil ſie Jhnen vertraut, bittet Šie morgen früh um eine Viertel- ſtunde Gehör. Halten Sie ſich in der Nähe, ich laſſe Ihnen ſagen, wenn ich allein bin. Die traurige Lage, in ,,ber ich mich befinde, nötigt mich zu dieſem zweideutigen „Schritt.“ So mag es ſein! ~ ~ Der kleine Fäck iſt mir wohl ein ſichrer Bote. (Sie geht an die Thüre und ruft.) fäck ! Der Groß-Kopyta. 2. Auftritt. Nichte. Jätt. Hichte. Kleiner! weißt du des Ritters Greville Wohnung? Jäck. Ich bin oft Dort geweſen. Nidhte. Willſt du mir wohl gleich ein Billet an ihn beſtellen? Aber daß es niemand erfährt! Jäck. Recht gern! Was hab ich davon? Nidte (indem ſie ihm Geld reicht). Einen Laubthaler. Jäck (der ſid, auf einem Fuße einigemal herumdreht). Ich habe Flüger. Mirte (indem ſie ihm das Billet gibt). Hier! Järk. Das Geld wird bald verdient ſein. Wahrſcheinlich iſt er in der Nähe. Um dieſe Zeit pflegt er in das Kaffec- haus. an der Ecke zu kommen. - Nichte. Das wäre ſchön. Nur vorſichtig ! · Jäck. Geben Sie nur! Verlaſſen Sie ſich auf mich! Nirhte. Du biſt ein durchtriebener. Schelm! Jäck. Ich bin zu brauchen, das weiß Ihre Tante. 3. Xuftritt. Ni dyte allein. Wie frech dieſer Knabe iſt! Wie abgerichtet! So ſollt' ich auch werden; und wäre fie langſamer zu Werke gegangen, ſie hätte mich Schritt vor Schritt ins Verderben. geführt. Glücklicherweiſe werd ich es gewahr und fühle noch ſo viel Kraft, mich zu retten. Geiſt meiner Mutter, ſteh inir bei! Ein Fehler riß mich aus dem gleichgültigen Zuſtande, in welchem ich ſonſt zwiſchen Tugend und Lafter ſchlummerte. O, möge dieſer Fehler Der erſte Schritt zur Tugend ſein! 4. Auftritt. Nichte. Marquiſe. Marquiſe. Laſſen Sie ſehen, Nichte, wie finden Sie ſich in das neue Kleid? Mirhte. Nicht eben ſo ganz, als wenn es mein eigen wäre. Marquiſe. Nun, nun, es geht ſchon! Es kleidet Sie alles. Withte. Auch der Betrug, wie Sie heute geſehen haben. Vierter Aufzug. 4. Auftritt. 63 Marquiſe. Wer wird ſolche Worte brauchen! (Etwas an ihr zurecht rückend.) So! es muß mehr an den Leib geſchloſſen ſein, “ und dieſe Falte muß reicher fallen. Der Wagen wird bald kommen, und wir fahren heute noch aufs Land. Nidjte. Noch heute ? Marquiſe. ſa, und Sie haben heute noch eine Rolle zu ſpielen. Nidte. Noch eine? Sie ſind unbarmherzig, Tante. Die erſte hat mir ſchon ſo viel Mühe gekoſtet, daß Sie mich mit : der zweiten verſchonen ſollten. Marquiſe. Eben deswegen, mein Kind. Noch dieſe und Dann die dritte und vierte, und es wird Ihnen keine mehr Mühe koſten. Nidjte. Ich fürchte, Sie finden mich nicht halb ſo fähig, als Sie glauben. Marquiſe. Es kommt auf einen Verſuch an. Dieſe Nacht werden Sie eine ſehr geringe Rolle zu ſpielen haben. Nidjte. In dieſem prächtigen Kleide? : Marquiſe. Dem Inhalte nach, meine ich. Sie haben eine halb ſtumme Liebhaberin vorzuſtellen. Nichte. Wie verſtehn Sie das? Marquiſe. Ich bringe Sie in einen Garten, führe Sie in eine Laube, gebe Ihnen eine Roſe, und Sie verweilen cinen Augenblick. Es kommt ein Kavalier auf Sie zu, er wirft ſich Ihnen zu Füßen, er bittet Sie um Vergebung, Sie geben einen unvernehmlichen Laut von fich: „Mein Herr !“ – oder was Sie wollen; – er fährt fort, um Ver- zeihung zu bitten. „Stehn Sie auf!" verſetzen Sie leiſe; er bittet um Ihre Hand, als um ein Zeichen des Friedens. Sie reichen ihm Jhre Hand; er bedeckt ſie mit tauſend Küſſen. „Stehn Sie auf ?" ſagen Sie alsdann: „entfernen Sie ſich, man könnte uns überraſchen!“ Er zaudert; Sie ſtehen vom Siße auf: „Entfernen Sie ſich!“ ſagen Sie dringend und drücken il in die Roſe in die Hand. Er will Sie aufhalten. „Es kommt jemand !" liſpeln Sie und eilen aus der Laube. Er will zum Abſchiede einen Kuß wagen; Sie halten ihn zurück, drücken ihn die Hand und ſagen ſanft: Wir ſehr uns wieder !“ und machen ſich von ihm los. Nirhte. Liebe Tante, verzeihen Sie mir, es iſt eine (dwere, eine gefährliche Aufgabe. Wer iſt der Mann? Wen ſoll ich vorſtellen? Wird die Nacht, werden die Umſtände ihn nicht verwegener machen? Können Sie mich ſo ausſetzen? · Der Groß-Rophta. Marquiſe. Du biſt ſicher, mein Kind. Ich bin in der Nähe und werde nicht einen Augenblick verweilen, wenn ich dieſe letzten Worte höre. Ich trete herbei und ver- ſcheuche ihn. Midte. Wie ſoll ich meine Rolle recht ſpielen, da ich nicht weiß, wen ich vorſtelle? Marquiſe. Betragen Sie ſich edel, ſprechen Sie leiſe; das übrige wird die Nacht thun. Widte. Welch einen Árgwohn erregt mir das blaue Kleid, dieſe filbernen Muſchen! Marquiſe. Nun gut, wenn Sie es denn vermuten, wenn Sie es erraten. Sie ſtellen die Prinzeſſin vor, und der Kavalier wird der Domherr ſein. Nidyte. Liebe Tante, wie können Sie einem unglück lichen, verlaſſenen Mädchen ſolch eine ſonderbare Unternehmung zumuten! Ich begreife den Zuſammenhang nicht, ich ſehe nicht, was es Ihnen nußen fann; aber bedenken Sie, daß es kein Scherz iſt. Wie hart mürde einer geſtraft, der die Hand des Fürſten in irgend einer Unterſchrift nachahmte, der das Bild ſeines Königs auf ein unechtes Metall zu prägen ſich unterfinge? Und ich ſoll wiſſentlich mein armſeliges Selbſt für die geheiligte Perſon einer Fürſtin geben, ſoll mit er: Vogenen Zügen, durch erborgte Kleider šie äußere Geſtalt jener erhabenen Perſon nachäffen und durch mein Betragen in eben dem Augenblick die edie Sittlichkeit ſchänden, die den Charakter dieſer großen Fürſtin macht? Ich ſchelte mich ſelbſt, ich bin zu beſtrafen, bin zu verdammen. Haben Sie Mitleid mit mir! denn Sie werden niich nicht retten, wenn man mich verurteilt. Wollen Sie mich zu einer Verbrecherin machen, weil ich Shnen einen Fehler eingeſtand? Marquiſe. Es iſt nicht zu ändern. : Nidjte (bittend). Meine Tante! Marquiſe (gebieteriſai). Meine Nichte! — Sobald der Wagen da iſt, erfahren Sie es; werfen Sie dann Fhren Mantel um und folgen Sie mir! Midte. Ich wünſchte - Marquiſe. Sie wiſſen, was zu thun iſt; es kann nichts abgeändert werden. Vierter Aufzug. 65 5. 11. 6. Xuftritt. 5. Uuftritt. Nicile, nachyer Järf. Mirlife. So war inein Argwohn auf dem rechten Wege! Es iſt gewiß, was ich fürchtete. Sie will mich dem Dom- Herrn auf eine oder sie andere Weiſe in die Hände lieferit, und vielleicht iſt der Marquis ſelbſt mit ihr einig. Von folchen Menſchen läßt ſich alles erwarten, und deſto beſſer habe ich gethan, mich an den Ritter zii wenden. Ich werde mich heute ſchon zu betragen wiſſen, und morgen, wenn ich mich in ihm nicht betrogen habe — Jädt (in der Thüre). Oft ſie weg? Mirlite. Nur herein! : Järk. Wie geſagt, ſo gethan!. Vidyte. Was bringſt du? Järk. Hier ein Blättchen! (Indem cr ihr ein Villet gibt und ſich dann im Sprunge herumdreht.) Und noch einen Laubthaler vom Ritter für meine. Mühe. Brauchen Sie mich ferner zum Kurier ! Widte. Wo haſt du ihn angetroffen? Jäck. Im Kaffeehauſe gegenüber, wie ich ſagte. Nichte. Sagte er was zu dir ? Jür. Er fragte, ob Šie zu Hauſe, ob Sie allein ſeien? - Ich muß ſehen, was es gibt; ich höre, die gnädige Frau fährt aus. 6. Uuftritt. Nichte, nachyer der Nitter. Nidite (das Billet leſend). Ich weiß Ihr Vertrauen zu ſchätzen und freue mich „unendlid, darüber. Schon habe ich Sie im ſtillen beklagt; in wenig Minuten bin ich bei Ihnen.“ O "Gott, was will das heißen? „Bis morgen früh kann ich meiner Ungeduld nicht „gebieten. In Ihrem Quartier habe ich eine Zeitlang ge- ,,wohnt und beſitze noch durch einen Zufall den Haupt- iſchlüſſel. Ich eile nach Ihrer Garderobe; ſeien Sie ohne ,,Sorgen, es ſoll mich niemand entdecken, und verlaſſen Sie ſich in jedem Sinn auf meine Diskretion." Ich bin in der entſetzlichſten Verlegenheit! Er wird mich in dieſen Kleidern finden! Was ſoll ich ſagen? Goethe, Werte. VIII. 66 . Der Groſs-Kopyta. Ritter (der aus der Garderobe tritt). Sie verzeihen, daß ich eile; ivie hätt' ich dieſe Nacht ruhig ſchlafen können? Nidte. Mein Herr — Ritter (jie darf anſehend). Wie find' ich Sie verändert? Welcher Aufputz! Welche fonderbare Kleidung! Was ſoll ich dazu ſagen? Midte. D mein Herr! ich hatte Sie jeßt nicht vermutet. Entfernen Sie ſich, eilen Sie! ' Meine Tante erwartet mich dieſen Augenblick. Morgen früh - Ritter. Morgen früh wollen Sie mir vertrauen, und heute nicht? Nichte. Ich höre jemand kommen, man wird mich rufen. Ritter. Ich gehe; ſagen Sie nur, was ſtellt das Seleið vor? Nište. O Gott! Ritter. Was fann das für ein Vertrauen ſein, wenn Sie mir dieſe Kleinigkeit verſchweigen? Mithte. Alles Vertrauen hab' ich zu Ihnen, nur – bas iſt nicht mein Geheimnis. Dieſes Kleid - Ritter. Dieſes Kleid iſt mir merkwürdig genug. Einige- mal hat ſich die Prinzeſſin in einent ſolchen Kleide ſeljeni laſſen. Selbſt heute haben Ihnen die Geiſter die Fürſtin in • dieſem Kleide gezeigt, und nun find' ich Sie - Nidte. Nechnen Sie mir dieſe Maskerade nicht zu ! Ritter. Welche entſetzliche Vermutungen! - Midte. Sie ſind wahr. Ritter. Die Geiſterſzene? Midtr. War Betrug. Ritter. Die Erſcheinungen? Nidte. Abgeredet. Ritter. Dich Unglücklicher! D, hätten Sie mir ewig geſchwiegen! Hätten Sie mit den ſüßen Frrtum gelaſſen! Šie zerſtören inir den angenehmſten Wahı meines Lebens ! Uidite. Ich habe Sie nicht berufen, Shnen zu ſchmeicheln, ſondern Sie als einen edeln Mann um Rettung und Hilfe anzuflehn. Eilen Sie, entfernen Sie ſich! Wir ſehen uns morgen wieder. Verſchniähen Sie nicht ein unglüdliches Geſchöpf, das nach Ihnen wie nach einein Schutzgoit hinauf- ſieht! . Ritter. Ich bin verloren! Auf ewig, zu Grunde ges richtet! Wüßten Sie, was Sie in dieſem Augenblicke mir geraubt haben, ſo würden Sie zittern; Sie würden mich nicht Vierter Aufzug. 7. Auftritt. 67 um Mitleid anflehn. Ich habe kein Mitleid mehr! Den Glauben an mich ſelbſt und an andre, an Tugend, Unſchuld, an" jede Größe und Liebenswürdigkeit haben Sie mir ent- riſſen. Ich habe kein Intereſſe mehr, und Sie verlangen, daß ich es an Ihren nehmen ſoll? Meine Zutraulichkeit iſt auf das ſchändlichſte mißhandelt worden, und Sie wollen, baß ich Ihnen trauen ſoll? Ihnen, einer doppelten, dreifachen Schauſpielerin! Welch ein Glück, daß ich dieſen Abend hieher fam und Ihnen nicht Zeit ließ, ſich vorzubereiten, die Maske anzulegen, mit der Sie auch mich zu hintergehen dachten! Nirhte. Ich bin ganz unglücklid)! Eilen Sic! &nt- fernen Sie ſich! man kommt! Ritter. Ich gehe, Sie nie wiederzuſehen! 7. Uuftritt. Die Nichte. Der Marquia. Marquis (halb in der Thiire). Sind Sie alleint, Nichte? Nur cin Wort! Ninjte (indem der Marquis wieder zur Thir hinaus ſieht, betrachtet jic jich geſchwind im Spiegel). Ich ſehe verweint, verworren aus! Was werd' ich ſagen? Márquis (jie umarmend und feſt an ſid; drückend). Süßes, holdes Geſchöpf! Midte (ihn zuriidhaltend). Um Gottesrvillen, Marquis ! Marquis. Wir ſind allein, fürchten Sie nichts ! Uirlte (jich von ihm losmachend). Die Marquiſe erwartet mich. (Veiſeite.) Wenn der Ritter noch da wäre! Marquis. Was haben Sie? Sie ſehen ganz verſtört aus. Mithjte. Ach Gott! Die Zumutungen meiner Tante – Marquis. Du bauerſt mich, liebes Kind; aber ich will dich retten. Midte. Sie wiſſen God), heute nacht ſoll ich die Rolle der Prinzeſſin ſpielen. Es iſt erſchrecklich! Kommen Sie! (Sie ſieht ſich inzwiſchen jurchtjam nadi der Garderobenthiir um.) Marquis. Bleiben Sie, bleiben Sie! eben deswegen bin ich hier! Spielen Sie heute nacht Ihre Nolle nur gut, Sie haben nichts zu beſorgeir. Nichte. So laſſen Sie uns gehen. Marquis. Nein doch; ich wollte Shnen ſagen -- Nidite. Dazu iſt's morgen Zeit. 68 Der Groß-Kophta. Marquis. Keinesweges! Sie ſcheinen dieſe Abenteuer weniger zu fürchten, als Sie ſollten. Nidte (wie oben). Ich bin in der größten Verlegenheit! Marquis. Es ſteht Ihren noch etwas Seltſames dicſe Nacht bevor, ait bas. Sie nicht denken. Widte. Was denn? Sie erſchreden mich! Marquis. Daß Sie mit mir wegreiſen werdeii. Uityte. Mit Ihnen? Marquis. Und das ſagen Sie mit einer Art von Wider- willen? Midte. Ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll. Warguis. Ich werde Sie leicht aufklären. Die Mas- ferade, zu der Sie angezogen ſind, iſt nicht ein bloßer Scherz. Meine Frau hat im Namen der Prinzeſſin den Domherrii um einen wichtigen Dienſt erſucht, und Sie ſollen die Dank- barkeit der Fürſtin gegen den betrogenen Mann ausdrücken. Vidyte (wie oben in Verlegenheit). Ich ſoll ihm eine Noſe geben. Warquis. Eine würdige Belohnung für einen ſolchen Dienft! Denn zu nichts Geringerem hat ſich die blinde Leiden- schaft des Domherrn bereden laſſent, als das ſchöne Halsband von den Hofjuwelieren zu kaufen. Nidjte. Das Halsband? Marquis. Das wir geſtern ſo ſehr bewunderten, als wir dieſen Ning kauften. Nidte. Es iſt nicht möglich! Marquis. So gewiß, daß ich ſchon einen Teil davon in der Taſche habe. Mitite. Šie? Was foll das heißen? – Man könnte Horchen. Marquis. So treten Sie hieher! (Er nähert ſid) der Garderobe.) Ja, mein Kind! Der Domherr beſaß es kaum eine Viertel- ſtunde; gleich war es in den Händen meiner Fraut, um es der Prinzeſſin noch heute abend zu überliefern. Wie glücklich war das Weib in dieſem Augenblick, und ich nicht weniger? Unbarmherzig brach ſie die ſchöne Arbeit von einander; es that mir im Herzen weh, den koſtbaren Schmuck ſo zerſtört zu ſehen, und ich konnte nur durch das herrliche. Pafetchen getröſtet werden, das ſie mir zu meiner Reiſe zubereitete. Ich habe wenigſtens für hunderttauſend Livres Steine in der Taſche. Ich geh noch heute nach England ab, mache dort alles zu Gelde, ſchaffe Silbergeſchirr und Koſtbarkeiten in Menge. Vierter Aufzug. 7. Au ftritt. Nichte (welche bisher die gröſste Verlegenheit verborgen). Welche ge- führliche Unternehmung ! Marquis. Wir müſſen jetzt nicht ſorgen, ſondern wagen. Nirhte. Ich wünſche Ihnen Glück! Warquis. Nein, Su ſollſt es mir bringen! Du follit 11110 mußt meine Reiſegefährtin ſein. Midte. Sie wollen mich dieſer Gefahr ausſehen? Marquis. Die Gefahr iſt weit größer, wenn du zurück: bleibſt. Meine Frau iſt verwegen genug, Das Märchen, ſo lang es nur gcheit will, durchzuſpielen. - Bis der erſte Zahlungstermin komint, ja noch weiter, iſt ſie ziemlich ſicher. judes kann ich dich nicht hier laſſen. Uithte. Bedenken Sie - Marquis. Ich weiß nicht, wie ich dein Betragen erklären ſoll. Wär? es möglich, daß man niir ſchon sein Herz ent- ivendet hätte? - Neill, es iſt nicht möglich! Du biſt ver- legen, aber nicht verändert. Laß dich nicht etwa den an- ſcheinenden Reichtum des Domherri blenden; wir ſind jetzt reider als er, der in kurzcın ſich in der größten Verlegenheit fchen wird. Ich habe alles genau berechnet. Du magſt heute nadit die Perſon der Prinzeſſin noch vorſtellen. -- Es iſt die Abſicht ineiner Frau, daß ich euch hinaus begleiten und dann gleich weiter fahren ſoll. Ich nehme deswegen einen beſondern Wagen. Iſt die Szene vorbei, ſo erkläre ich der Marquiſe furz und gut, daß du mich begleiteſt. Du magſt ein wenig widerſtehen, ich führe didi mit Gewalt ivog. Lärm darf ſie nicht machen, aus Furcht, daß alles verraten wird. - Du hörſt nicht zu; was iſt div? Midte. Verzeihen Sie mir — dieſer Vorſchlag - ich bin verwirrt – ich verſtuinme! Bedenken Sie, in welcher Lage wir die Tante zurücklaſſen! Marquis. Sie ivird ſich ſchon helfen, ſie iſt klug genug. Sie hat dieſc Sache ſo weit gebracht, und ivir verderben ihr nichts an ihrem Plan. Genug, ich will, ich kann sich nicht entbehren, und wenn du je ani ineiner Liebe zweifelteſt, ſo ſiehſt du nun, wie heftig fie iſt. Ich werde dich nicht hier laſſen, ſo vielen Nachſtellungen, ſo vielen Gefahren ausgeſetzt; nicht acht Tage, ſo hab' ich dich verloren. Die unſinnige Leidenſchaft des Domherrn zur Fürſtin hält ihn nicht von andern Liebeshändelit zurüd. Nur wenige Tage, und dll wirſt unter dem Schleier ſeine Gebieterin und ohne Schleier ſein" gehorſamſtes Liebchen ſein. Komu! – So hab ich es 70 Der Groß-Sophta. beſchloſſen, und davon laff ich nicht ab. (Er umarmt ſie.) Du biſt mein geworden, und niemand ſoll dich mir rauben! Meine Frau war mir niemals hinderlich, und wenn ſie die Steine glücklich davon bringt, wird ſie uns gern verzeihen. - Wie iſt dir? Du biſt nicht bei dir! Nidte. Es iſt an mich geſchehen! Führen Sie mich, wohin Sie wollen! Marquis. Wiſſe nur, es iſt schon alles richtig. Unter cinem andern Vorrvande habe ich von deinem famunermädden nur das Notwendigſte zuſammenpaden laſſen. Es l'ommt auf wenige Tage an, ſo ſind wir nen und beſſer als jemals ge- kleidet. Wir wollen uns nicht mit alter Trödclware be- Tdiveren. (Er führt die Nichte ab, die ihm troſtlos folgt und nochmals zurüct nach der Garderobenthiire jieht.) 1 8. Auftritt. Der Ritter, der aus dem Kabinett hervorgeht. Was hab' ich gehört, und in welchen Abgrund von Ver- räterei und Nichtswürdigkeit hab' ich hineingeblickt! Niemals fonnte ich dieſe Menſchen achten, mit denen ich leben mußte! Oft waren ſie mir verdächtig; aber wenn man ſie bei mir ſolcher verruchten Handlungen wegen angeflagt hätte, ich hätte fie gegen jedermann in Schutz genominen. Nun verſteh' ich did), fchöne Verführerin, warum du mich erſt morgen früh ſehen wollteſt! Gewiß war es ihr bekannt, daß der Marquis heute nacht verreiſen ſolle; aber daß er ſie zwingen würde, mit ihm zu gehen, dachte ſie nicht. Sie glaubte gewiß, ſeine Neigung zu ihr ſei erſchöpft, wie ihre Neigung zu ihm. D die Abſcheuliche! Dieſe Unſchuld zi1 heucheln! – Wie ein himmliſcher Geiſt ſtand fie vor 1113, und die reinſten Weſen ſchienen burch ihren Mund zu ſprechen, indes fie, eines Lieb- habers überdrüſſig, ſich nach anderit umſieht und über die Zauberkugel weg nach den betrogenen Männern ſchielt, die fie als ein himmliſches Weſen anbeten. Wie ſoll ich das alles zurecht legen, was ich gehört habe? Was ſoll ich thun? Der Graf und die Marquiſe ſpinnen den unerhörteſten Be- frug an. Um ihren ungeheuern Plan durchzuführen, wagen fie es, den Namen einer vortrefflichen Fürſtin zu inißbrauchen, ja ſogar ihre Geſtalt in einem ſchändlichen Poſſenſpiel nach- zuäffen. Früher oder ſpäter wird fich's entdecken, und die Vierter Aufzug. 8. Auftritt. 71 Sache endige fid), wie ſie wolle, ſo muß ſie dem Fürſten und der Fürſtin höchſt unangenehm fein. Es leidet keinen Auf- djub. - Soll ich hingehen und dem betrogenen Domherrn die Augen eröffnen? Noch wäre es möglich, ihn zu retten! Das Halsband iſt zerſtückt; aber noch iſt der Marquis hier, man kami ſie feſthalteit, ihnen den Schmuck abnehmen, die Betrüger beſchämen und ſie in der Stille verjagen. – Gut, ich gehe. — Doch halt! Das Thu' ich um des falten, eigen- nützigen Weltmannes willen? Er wird mir danken und für die Nettung aus der ungeheuren Gefahr mir ſeine Proteftion verſprechen, mir eine anſehnliche Charge zu ſichern, ſobald er ſich wieder würde in Gunſt geſeßt haben. Dieſe Erfahrung macht ihn nicht flug; er, wird dem erſten beſten Betrüger ſich wieder in die Hände geben, ſich immer leidenſchaftlich, ohne Sinn, Verſtand und ohne Folge betragen; mird mich als einen Schmaroker in ſeinem Hauſe bulden; wird bekennen, baß er mir Verbindlichkeiten habe, und ich werde vergebens auf eine reelle Unterſtützung warten, da es ihm ungeachtet ſeiner ſchönen Einnahme immer an barem Geldé fehlt. -'- (Ocht naddenfend auj und nieder.) Thörichter, beſchränkter Menſch! Und du ſiehſt nicht ein, daß ſich hier der Weg zu deinen Glücke öffnet, det du ſo oft vergebens geſucht haſt? Mit Niecht hat sich heute der Domherr als einen Schüler verlacht, mit Recht der Graf Seine Gutmütigkeit auf eine verruchte Wciſe mißbraucht! Du verdienteſt jene Lektion, da du nicht einmal durch fie flüger geworden biſt. – Sie glaubten nicht, dich zu ihrem Verderben zil unterrichten. — Wohl, ſo ſoll es ſein! Ich eile zu bem Miniſter. Er iſt ebeit auf dem Land- hauſe, wohin bieſe Betrüger zuſammen in die Falle gehen. Sie ſind feiner Schonung mert! Es iſt eine Wohlthat fürs menſchliche Geſchlecht, wenn ſie nach Verdienſt geſtraft werden, wenn man ſie außer ſtand ſetzt, ihre Künſte weiter fortzu- treiben. Jd eile; der Moment iſt entſcheidend! Werden ſie über der That ergriffen, ſo iſt alles bewieſen. Die Steine, die der Marquis in der Taſche hat, zeugen wider ihn; es hängt von dem Fürſten ab, Sie Schuldigen zu behandeln, wie es ihn recht Sünft, und ich werde mit leeren Verſprechungen gewiß nicht hingehalten. Śch ſehe inein Glück mit dein Ån- bruche des Tages Ycrvortreten! Hier iſt nicht ein Augenblick 311 fäumen! Fort! Fort ! 72 Der Groß-Sophta. Jiü ifter I it f zit g. 1. Uuftritt. Nacht. Ein Luſtgarten. Nechter Hand der Schauſpieler eine Laube. Der Graj. La Fleur'. In Fleur. Ich höre noch niemand. Es rührt ſich nichts im ganzen Garten. Ich bin recht verlegen. Ich habe doch gewiß recht gehört. Der Graf (mit anmaßlicher Bedeutung). Du haſt recht gehört. In Fleur. Nun, wenn Sie es ſelbſt wiſſen, ſo iſt es Deſto beſſer; benit Sie können verſichert ſein, daß ich immer die Wahrheit fage. Um dieſe Stunde wollte meine Herrſchaft hier in dieſem Garten ſein. Ich weiß nicht, was ſie vorhaben. Mit vier Pferden ſind ſie vor uns weggefahren, und ihr Wagen wird an der kleinen Thüre ſtill halten. Ich habe Sie deswegen an der andern Seite ausſteigen laſſen. Ich verinute, der Domherr iſt auch hierher beſtellt. Graf (wie oben). Warte! (er härt ſeinen kleinen Finger ang Dhr.) Dieſer Ning ſagt mir, baß dit gewiſſermaßen wahr redeſt. In Fleur. Gewiſſermaßen? Orof. Ja. Das heißt, inſoferne du es ſelbſt wiſſen kannſt. Ich bin nicht allwiſſend, aber dieſer Ning ſagt mir immer, ob die Menſchen liigen, oder ob ſie ſich irren. La Fleur. Wenn ich Ihnen zaten ſollte – doch Sie wiſſen ſchon, was das Beſte iſt. Graf. Sprich nur! ich will ſchon ſehn, ob du mir das Beſte rätſt. La Fleur. Ich Sächte, wir gingen ſachte dieſe dunkle Allee hinauf und horchten immer im Gehen, ob mir nicht irgend etwas kommen oder liſpeli hören. Graf. Ganz recht! Geh nur voraus und horche, ob der Weg ficher iſt. 2. Auftritt. Der Graf allein. Ich begreif' es nicht – und nach allen Itinſtänden, die Dieſer Menſch angibt, iſt es höchſt wahrſcheinlich. Die Mar- quiſe beſtellt den Domherrn hier heraus; wär' es möglich, daß es ihr gelungen wäre, die Prinzeſſin zıı gewinnen? was Fünfter Aufzug. 2. u. 3. Auftritt. 73 ich immer für ein albernes Unternehmen, was ich für Lüge und Trug hielt. - Wenn ihr das gelingt, was ſoll dann dem Menſchen nicht gelingen! (Er geht von der linken Seite im Grunde ab.) 5. Uuftritt. Dor Nitter. Der Oberst der Schweizergarde. Sechs Schweizer foumen von der linfen Scite aus den vordern Couliſſen. Oberſt (der zuſcht herauskommt, nach der Szene). Hier bleibt ver- ſteckt und rührt euch nicht eher, es mag ſich zutragen, was will, bis ihr Waldhörner hört. In den Augenblick, da fie ſtillſchweigen, fallt zit und nehmt gefangen, wen ihr im Garten findet. (Bu den Schweizern, die auf dem Theater ſtehn.) Jhr gebt auf Das nämliche Signal acht. Viere verbergen ſich bei der großen Pforte; laßt herein, es komme, wer will, aber niemanden hinaus. Cin Sdweizer. Herein mögen fie kommen, hinaus ſoll feiner. Der Overſi. Und wer hinaus will, den haltet feſt. Idhweizer. Wir wollen ſchon wader anfaſſen. Oberfi. llnd wenn die Walshörner ſchweigen, ſo bringt hierher, wen ihr etma angehalten habt. Zwei aber halten die Pforte beſetzt." Schweizer. Ja, Herr Obriſt. Ich und mein Kamerad bringen Euch die Gefangenen, und der Michel und der Dusle bleiben bei der Pforte, daß nicht etwa ein anderer hinaug- ſchlupfet. Oberſt. Geht nur, Kinder, geht! ſo iſt's recht! (Die vier Schweizer gchen ab.) fhr beiden tretet etwa zehn Schritte von hier ins Gebüſch; das übrige wiſst ihr.. dweizer. Gut. Overfi. So, Ritter, wären unſre Poſten alle beſetzt. Ich zweifle, daß uns einer entgeht. Wenn ich ſagen ſoll, ko glaub ich, wir werden hier auf dieſem Platze den beſten sang tuoi. "Ritter. Wie ſo, Herr Oberſt? Oberfi. Da von Liebeshändeln die Nede iſt, ſo werden ſie dieſes Pläbchen gewiß ausſuden. In dem übrigen Garten ſind die Alleen zu gerade, die Pläße zu licht; dieſes Buſch- iverk, dieſe Lauben ſind für die Schalkheiten der Liebe dicit genug zuſammengewachſen. Ritter. Ich bin recht in Sorgen, bis alles vorüber iſt. 74 Der Groß-Sophta. Oberſt. lInter ſolchen Umſtänden ſollt es einem Sol- daten erſt recht wohl werden. Ritter. Id wollte als Soldat lieber an einem gefähr- lichen Poſten ſtehn. Sie werden mir es nicht verdenken, daß es mir bang um das Schickſal dieſer Menſchen iſt, wenn ſie gleich nichtswürdig genug ſind und meine Abſicht ganz löblich war. Oberſt. Sei'it Sie. ruhig! Ich habe Befehl vom Fürſten und von Miniſter, die Sache in der Kürze abzuthun; man verläßt ſich auf mich. Und der Fürſt hat ſehr recht. Denn wenn es Händel gibt, wenn die Geſchichte Aufſehn macht, ſo denken doch die Menſchen von der Sache, was ſie wollen, und es iſt alſo immer beſſer, man thut fie im ſtillen ab. Deſto größer wird auch Ihr Verdienſt, lieber junger Mann, das gerviß nicht unbelohnt bleiben wird. Mich Sünkt, ich höre was; laſſen Sie uns beiſeite treten. 4. Auftritt. Die Marquiſe. Der Marquis. Die Nichte. Dir Marquiſe (zum Marquis, der nur eben Heraustritt). Bleiben Sie nur immer in dieſem Gebüſch und halten Sie ſich ſtill. Ich frete gleich wieder zu Ihnen. (Der Marquis tritt zurück.) Hier! liebes Kind, iſt die Laube, hier iſt die Roſe; das übrige wiſſen Sie. Nichte. D liebſte Tante, verlaſſen Sie mich nicht! Han- deln Sie menſchlich mit mir; bedenken Sie, was ich Ihnen zuliebe thue, was ich Ihnen zu Gefallen wage! Marquiſe. Wir ſind bei Ihnen, mein Kind; nur Mut! Es iſt keine Gefahr; in fünf Minuten iſt alles vorüber. (Die Marquiſe tritt no.) Nichte (allein). D. Gott, was hilft es, daß eine tiefe Nacht die Schult bedeckt? Der Tag bewillkommt eine jede gute That, Sie im ſtillen geſchal), und zeigt ein ernſtes, fürchter- liches Geſicht dem Verbrecher. 5. Auftritt. Dic Nidte. Der Domb orr. (Die Nichte feft ſidy in die Laube und hält die Noſe in der sand.) Der Domherr (der von der entgegengeſekten Seite aus dem Grunde des Theatero fervorkommt). Sine tiefe Stille iveisſagt mir meine nahe Glückſeligkeit. Ich vernehme keinen Lauit in dieſen Gärten, · Fünfter Aufzuig. 5. Auftritt. 75 die ſonſt durch die Gunſt des Fürſten allen Spaziergängern offen ſtehn und bei ſchönen Abenden oft von einem einſamen unglücklich Liebenden, öfter von einem glücklichen, 'frohen Paar beſucht werden. De ich danke dir, himniliſches Licht, daß du dich heute in einen ſtillen Schleier Kyüllteſt! Dit erfreueſt mich, rauher Wind, du drohende trübe Regenwolke, daß ihr die leichtſinnigen Geſellſchaften verſcheuchet, die in dieſen Gängen oft umſonſt hin und wieder ſchwärmen, die Lauben mit Gelächter füllen und ohne eigenen Genuß andere an den ſüßeſten Vergnügungen ſtören. Ø ihr ſchönen Bäume, wie ſcheint ihr mir ſeit den wenigen Sommern gewachſen, ſeit mich der traurige Bann von euch entfernte! Ich ſehe euch nun wieder, ſeh euch mit den Tchönſten Hoffnungen wieder, und meine Träume, die mich einſt in euern jungen Schatten beſchäftigten, werden nunmehr erfüllt. Ich bin der Glück- lichſte von allen Sterblichen. Marquiſe (die leiſe zu ihm tritt). Sind Sie es, Doniherr ? Nähern Sie ſich, nähern Sie ſich Ihrem Glück! Sehr Sie dort in der Laube? Domherr. D, ich bin auf dem Gipfel der Seligkeit! (Die Marquiſe tritt zurück. Der' Domherr tritt an dic Laube und wirft ſich der Nidite zu Füßen.) Anbetungsıvürdige Sterbliche, erſte der Frauen! Laſſen Sie inich zu Jhren Füßen verſtummen, laſſen Sie mich auf dieſer Hand meinen Dank, mein Leben aushauchen! Nichte. Mein Herr -- Donilerr. Deffnen Sie mir nicht Fhre Lippen, Gött- liche! es iſt an Fhrer Gegenwart genug. Verſchwinden Sie inir wieder, ich habe jalrelang an dieſem glücklichen Augen- blicke zu genießen. Die Welt iſt voll von Threr Vortreff- lichkeit; Jhre Schönheit, Ihr Verſtand, fhre Tugend entzückt alle Menſchen. Sie ſind wie eine Gottheit; niemand vaht ſich ihr, als um fie anzubeten, als um das Inmögliche von ihr zu bitten. Und ſo bin ich auch hier, .meine Fürſtin - Nidte. D, ſtehit Sie auf, mein Herr - Domherr. linterbrechen Sie mich nicht! So bin id; auch hier, aber nicht, um zu bitten, ſondern um zu Danfert, für das göttliche Wunder zu danken, womit Sie mein Leben retteten. Midte (indem ſie aufſtellt). Es iſt genug! Domherr (knicend und ſie zurüdhaltend). Ja wohl, der Worte genug, der Worte ſchon zu viel! Vergeben Sie! Die Götter felbſt verzeihen, wenn wir mit Worten umſtändlich bitten, Der Groß-Rophta. ob ſie gleich ufre Bedürfniſſe, unſere Wünſche lange ſchon kennen. Vergeben Sie meinen Worten! Was hat der arme Menſch Beſſers als Worte, wenn er das hingeben möchte, was ihm ganz zugehört. Sie geben den Menſchen viel, er: habenë Fürſtin; kein Tag, der nicht durch Wohithaten aus- gezeichnet wäre; aber ich darf mir in dieſem glücklichen Augen: Blicke ſagen, daß ich der einzige birr, der Ihre Hulb in dieſem Grade erfährt, der ſich ſagen kann: „Sie hezeigt dir Ver- gebung auf eine Weiſe, die sich höher erhebt, als du jemals tief fallen konnteſt. Sie kündigt bir ihre Gnade an, auf eine Art, die dir ein ewiges Pfand dieſer Geſinnungen iſt; fie macht dein Glück, ſie befeſtigt's, fie verewigt's, alles in einem Augenblick." Die Midte (madit cine Bewegung vorwärtz, die den Domherrn nötigt, auſzuſtehil). Entfernen Sie ſich; man kommt! Wir ſehr uns wieder. (Sie hat ihm, indem er aufſtand, die Hand gereicht und läßt ihm, da ſie ſich zurückzieht, die Noſe in den Händen.) Domnlerr. fa, nun will ich eilen, ich will ſcheiden, will dem brennenden Verlangen widerſtehn, das mich zur größten Verivegenheit treibt. (Er naht ſich ihr mit Feſtigkeit und tritt gleid, wieder zurück.) Nein, befiirchten Sie nichts! Ich gehe, aber laſſen Sie mich es ausſprechen; denn es hängt doch nur mein künftiges Leben von Ihren Winken ab. ich darf alles bekennen, weil ich Madit genug über mich ſelbſt habe, dieſent glüdlichen Augenblick hier gleichſant zu trotzen. Verbannen Sie mich auf ewig von Shrem Angeſicht, wenn Sie mir die Hoffnung nehmen, jemals in dieſen Arinen von allen verdienten und unverdienten Qualen auszuruhn. Sagen Sie ein Wort! (Sie bei der Szand faſjend.) Midytë (ihn die Hände driiciend). Alles, alles; nur jetzt ver- laſſen Sie mnich! Domherr (auf ihren Händen ruhend): Sie machen mich zum glücklichſten Menſchen; gebieten Sie unumſchränkt über mich! (Es laſſen ſid, in der Jérie zrvei Waldhörner Hören, die cine yöchſt angenehme Sadeniz miteinander ausführen. Der Domherr ruht indeſjen auf den Händen der' Nidite.) 6. Auftritt. Die Vorigen. Die Marquiſe. Der Marquis, hernach der Oberſt der So w ciz ergarde. Schweizer. Marquiſe (zwiſchen die beiden hineintretend). Eilen Sie, mein Freund, entfernen Sie ſich; ich habe ein Geräuſch gehört, Sie ſind keinen Augenblick ſicher. Man könnte die Prinzeſſin im Schloſſe vermiſſen; eilen Sie! wir müſſen weg. Fünfter Aufzug. 6. Auftritt. 77. Domherr (jidh Yoreißend). Ich muß, ich will hinweg. Leben Sie wohl, laſſen Sie mich feine Ewigkeit ſchmachten! (Er gert {achte nach der linten Seite des Grundes.) Marquiſe. Nun folgen Sie mir, Nichte! Leben Sie wohl, Marquis, machen Sie Ihre Sachen gut, Sie ſollen Ihre Frau – Jhre Freundin bald wiederſehn. Umarmen Sie ihn zum Abſchied, Nichte ! Marquis (imarmt sic Nichte und zicht ſie auf ſeine Seite Vcrübcr). Hierher, ſchönes Kind, kommen Sie init mir, vor jener Thüre ſteht mein Wagen. Die Nichte (jaudernd). Gott, mas will das werden! Marquiſe (nad der Nichte greifend). Was heißt das, Marquis? Sind Sie toll? Marquis. Machen Sie keinen Lärm; Das Mädchen iſt mein. Laſſen Sie inir dieſes Geſchöpf, in das ich raſend ver- liebt bin, und ich verſpreche Shnen dagegen, alles treulich auszurichten, was Sie mir aufgetragen haben. Id gehe nach England, beſorge Ihre Geſchäfte; wir erwarten Sie dort und wollen Sie wohl und redlich empfangen; aber laſſen Sie unir, das Mädchen. Marquiſe. Es iſt nicht möglich! Folgen Sie mir, Nidhte ! Was ſagen Sie zu der Verwegenheit meines Mannes? Neben Sie! Sind Sie mit ihm einverſtanden? Nidte (zaudernd). Meine Tante - Marquis (fie fortzichend). Geſtehen Sie es ihr, keine Ver- ſtellung! Es iſt abgeredet! Kommen Sie! Seinen Wider: ſtand, oder ich mache Lärm und bin in dieſem Augenblicke meiner Verzweiflung fähig, uns alle 311 verraten. Marquiſe. Entſetzlic)! Entſetzlich! Ich bin zu Grunde gerichtet. (Die Waldhörner ſchweigen auf einmal, nachdem ſie ein lebhaftes Stück goblajen.) Der Oberſte (der den Domherrn zurüdbringt und dem zivci Schweizer jorgen). Hierher, mein Herr, hierher! Domherr. Was unterſtehrt Sie ſich? Dieſer Spazier- gang iſt einem jeden frei gegeben. Oberlier. Jedem Spaziergänger, nicht dem Verbrecher! Sie entkommen nicht; geben Sie ſich gutwillig. Domherr. Glauben Sie, daſ ich unbemaffiiet hin? (Er greift in dic Tajde und zieht ein Terzerot Hervor.) Oberſter. Stecken Sie Ihr Terzerol ein! Sie können nach mir ſchießen; aus dem Garten kommen Sie nicht. Alle Zu- gänge find beſetzt. Es kommt niemand hinaus. Ergeben Sie ſich in das Schickſal, dem Sie mutwillig entgegenrannten 78 Der Groß-Sophta. Marquiſe (die indeſſen aufmerkſam gevorden iſt und gehorcht hat). Weld) ein neuer, unerwarteter Auftritt! Kommt auf dieſe Seite! Wenn wir nicht einig ſind, gehn wir miteinander zu Grunde. (Die Marquiſe, der Marquis, die Nichte wollen jid, auf die Seite zurüđzichni, wo ſie Vercingekommen ſind; c3 treten ihnen zwei Schweizer in den Weg.). · Marquiſe. Wir ſind zu Grunde gerichtet! Marquis. Wir ſind verraten! Nitte. Ich bin verloren! Domherr (der in dieſem Augenblick neben die Nichte zu ſtehen kommt). Gott! Oberſter. Niemand gehe von der Stelle! Sie ſind alle meine Gefangene. Domherr (auf die Nidste deutend). Auch dieſe? Overſier. Gewiß! Domherr. Mein Unglück iſt ſo groß, daß ich es in dieſem Augenblick nicht überdenken kann. Oberſter. Nicht ſo groß, als Ihre Unbeſonnenheit. Domherr. Ich will jeden Vorwurf ertragen, alles, was mir eine beleidigte Gerechtigkeit von Strafen auferlegen kann; ich folge Ihnen, ſchleppen Sie mich in einen Kerker, wenii es Ihnen befohlen iſt: nur verehren Sie dies überirdiſche Weſen! Verbergen Sie, was Sie geſehen haben, leugnen Sie, erfinden Sie! Sie 'thun dem Fürſten einen größern Dienſt, als mit der traurigen, ſchrecklichen Wahrheit, daß ſeine Tochter, ſeine einzig geliebte Tochter — Oberſter. Ich kenne meine Pflicht. Ich ſehe hier nur meine Gefangenen; ich kenne nur meine Drdre und werde ſie vollziehn. Marquiſe. Wohin? Marquis. D, warum mußt ich mit hieher fommen! Nichte. Meine Furcht war gegründet! Domherr. So bin ich denn der unglücklichſte aller Menſchen! Was hat man im Sinn? It's möglich! Was kann der Fürſt gegen das Liebſte beginnen, das er auf der Welt hat? Meine Gebieterin - meine Freunde – ich bin's, der euch unglücklich macht! D, warum mußt' ich leben? warum ſo lieben? warum verfolgt ich nicht ben Gedanfen, der mir mehr als einmal einkanı, in einen fremden Lande meine Zärtlichkeit, meine Ehrbegier ait andern Gegenſtänden abzuſtumpfen? Waruin floh ich nicht? Ach, waruin ward ich immer wieder zurückgezogen? Ich möchte euch Vorwürfe inachen, ich möchte mich ſchelten, mich haſſen; und doch, menn ich mnich Fünfter Aufzug. 7. Auftritt. . 79 in dieſem Augenblicke anſehe, ſo kann ich nicht ivünſchen, daſs es anders ſein möge. Idi biir immer noch der Glücklichſte mitten im Inglück! Oberſter. Endigen Sie, mein Herr; denn es iſt Zeit, hören Sie mich an! Domherr. ja, ich will; aber ziierſt entlaſſen Sie unſre Gebieterin! Wie? ſie ſollte hier in Nacht und Tau ſtehn und das Urteil eines Unglücklichen anhören, an dem ſie teil- nimmt? Nein, fie fehre zurück in ihre Zimmer, ſie bleibe nicht länger den Augen dieſer Knechte ausgeſetzt, die ſich über ihre Beſdjämung freuen! Eilen Sie, eilen Sie, meine Fürſtin! wer kann ſich Jhnen widerſeken? Únd dieſer Mann, der inich gefangen harten barf, dieſe Koloſſen, die mir ihre Hellebardei entgegenſeken, ſind Ihre Diener. Gehn Sie, leben Sie wohl ! Wer will Sie aufhalten? Aber vergeſſen Sie nicht eines Mannes, der endlich zu Ihren Füßen liegen konnte, ber enda lich Jhnen beteuern durfte, daß Sie ihm alles in der Welt find. Sehu Sie noch einen Augenblick auf ſeine Qual, auf ſeine Wehmut, und dann überlaſſen Sie ihn dein grauſament Schickſal, das ſich gegen ihn verſchworen hat. . (Er wirjt jich der Nichte 311 Fiiben, die ſich auf die Marquije (crnt. Der Marquis iteht dabci in ciner ucriogenicu Stellung, und jie maden auf der rediteit Seite des Theaters cine döne Gruppe, in weldier die zwei Sdilucizer nicht zul vergeſjen find. Der Doorſte und zluci Sdweizer ftchn an der linken Seite.) 7. Auftritt. Die Vorigen. Der Graf. Der Graf (den zwei Schweizer mit den umgekehrten Hellevarden vor ſich herirciben). Ich ſag' eud), daß ihr eure Grobheit zeitlebens zu büißeri haben werdet! Mit ſo zu begegnen! Dem größten aller Sterblichen! Wißt, ich bin Conte di Roſtro, di Noſtro impudente, ein ehrſamier, überall verehrter Fremder, ein Meiſter aller geheimen Wiſſenſchaften, ein Herr über die Geiſter – Schweizer. Bring Er das unſerm Oberſten vor, der ver- ſteht das Welſche, ſieht Er; und wenn Er nicht geradezu geht, ſo werden wir fhr rechts und links in die Nippen ſtoßen und Fhm den Weg weiſen, wie's uns befohlen iſt. Graf. Habt ihr Leute denn gar keine Vernunft? Soweizer. Die hat der, der uns kommandiert. Ich fag's fhm, geh Er geradezu, ganz gerade dahin, da ſteht inſer Oberſter. Graf (gebieteriſch). Wagt es nicht, mich anzurühren! 80 Der Groß-Sophta. . Domhert (der auf die Stimme des Grafen zit fid) kommt und auffährt). ja, da erwartete ich dich), großer Kophta, würdigſter Meiſter, erhabenſter unter allen Sterblichen! So ließeſt du deinen Sohn fallen, uit ihr durch ein Wunder wieder zu erheben. Wir ſind die alle auf ewig verpflichtet. Ich brauche dir nicht zu geſtehen, daß ich dieſes Abenteuer hinter deinem Rücken unterirahm. Du weißt, was geſchehen iſt; dit weißt, wie unglücklich es ablief; fonſt wärſt dir nicht gefonimen. In dieſer einzigen Erſcheinung, großer Kophta, verbindeſt du mehr edie Seelen, als su vielleicht auf deiner langen Wallfahrt auf Erden beiſammen geſehen haft. Hier ſteht ein Freund vor dir, vor wenig Augenblicken der glücklichſte, jetzt der uns glücklichſte aller Menſchen. Hier eine Dame, deš ſchönſten Glüds wert. Hier Freunde, die das Mögliche und Unmög- Viche zu wirken mit der lebhafteſten Teilnahme verſuchten. Es iſt was Unglaubliches geſchehen. Wir ſind hier beiſammen, und wir leiden nur aus Mißtrauen gegen dich. Hätteſt 011 die Zuſammenkunft geführt, hätte deine Weisheit, deine Macht : die Umſtände gefügt - (einen Augenblick nachdenkend und init Ent- id loſſenheit fortfahrend) niein, ich will nichts ſagen, nichts wünſchen - dann wäre alles gegangen, wie es abgeredet war; du hätteſt nicht Gelegenheit gehabt, dich in deinem Glanze ſehen zu laſſen, gleichſam als ein Gott aus einer Maſchine herunterzuſteigen und unſre Verlegenheit zu endigen. (Er naht ſidy ihm vertraulich und lädjelnd.) Was beſchließen Sie, mein Freund ? Sehn Sie, ſchon ſtehn unſre Wächter nie betäubt; 1912 ein Wort von Ihnen, ſo fallen fie in einen Schlummer, in dem ſie alles - vergeſſen, was geſchah, und wir begeben uns inzwiſchen glück- lich hinweg. Geſchwind, mein Freund, drücken Sie mich - an Ihre Bruſt, verzeihen Sie mir und retten Sie mich! Graf (gravitätiſch ihn umarmend). Ich verzeihe dir. (Zu dem Oberſten.) Wir iverden zuſammen ſogleich von hier wegfahren. Overſter (fächelnd). O ja! recht gern! Domherr. Welch ein Wunder! Marquiſe (zum Márquiz). Was ſoll das heißen? Wenn der uns noch rettete ! Marquis. Ich fange an, zu glauben, daß er ein Heren- meiſter iſt. Oberfter. Id brauche dieſe Neben nicht weiter anzuhören; ich weiß nur ſchon zu klar, mit wem und was ich zu thun habe. (Gegen die Szene gekehrt.) • Treten Sie nur auch herein, junger Mann, Sie haben mich lange genug allein gelaſſen. Fünfter Aufzug. 8. Auftritt. 81 8. Auftritt. Die Vorigen. Der Nitter. Ritter. Ja, hier bin ich, die Abſcheulichen zu beſchämen und die Thoren zu bedauern! Die Uebrigeit (außer dem Oberſten). Was ſoll das heißen ! Der Ritter! Entſetzlich! Es iſt nicht möglich! Ritter. Ja, ich bin hier, um gegen euch alle zlı zeugen. Michte. Daran bin ich allein ſchuld! Domherr. Was ſoll das heißen? Ich werde wahnſinnig ! Oberji. Sie kennen alſo dieſen Mann? Hier geht alles natürlich zu, außer daß dieſer in folcher Geſellſchaft ehrlich geblieben iſt. Er hat eure Schelmereien beobachtet, er hat fie dem Fürſten entdeckt, und ich habe den Auftrag, zu unter- ſuchen und zil ſtrafen. (Zum Domherrn.) Zuvörderſt alſo, damit Sie einſehen, auf welchem Wege man Sie bisher geführt, von wem Sie geführt worden, wie fehr Sie betrogen ſind, ſo erkennen Sie doch endlich das Phantomt, womit man dieſen Abend unſre Fürſtin geläſtert hat. (Er hebt der Nichte den Sdiſeier vom Geſicht.) Domherr (erkennt ſie und drüdt pantomimiſch) ſein Entſetzen aus). Ritter. Wie die Fürſtin, ſo die Geiſter! – Solchen Menſchen vertrauten Sie! Domherr. Auch Ihnen vertraut ich, und Sie, merf' ich, haben mich zu Grunde gerichtet. Overſier. Dieſe Nichtswürdigen haben ſich Ihrer Schwäche bedient und Sie zu den ſtrafwürdigſten Unternehmungen an- gefeuert. Was können Sie eriparten? Domherr. Herr Oberſt - Oberſt. Beruhigen Sie ſich! Und erfahren Sie zuvörderſt, daß der Fürſt edel genug denkt, um auch diesmal Ihren Leichtſinn, Ihren Frevel mit Gelindigkeit zu beſtrafen. Was ſag´ ich, beſtrafen? Er will vielmehr den , zweiten Verſuch machen, ob es möglich ſei, Sie zu beſſern, Sie der großeit Ahherren würdig zu machen, von denen Sie abſtammen. Jhre Entfernung vom Hofe, die nun zwei Jahre dauert, hat Ihnen wenig genußt. Ich kündige Shnen an, daß Sie frei ſind, aber nur mit der Bedingung, daß Sie binnen acht Tagen das Land verlaſſen, unter dem Vorwande, als wenn Sie eine große Reiſe zu thun willens wären. Mit fhrem Dheim, ben der Fürſt beſonders ſchätzt, dem er vertraut, wird alles abgeredet und eingerichtet werden. Sie können frei in Fhrenı Docthe, Werte. VIII. 82 Der Groß-Kophta. Wagen zurückkehren, wenn Sie nur erft unterrichtet ſind, wie es mit dem gefährlichen Juwelenhandel ausſieht, in den Sie ſich eingelaſſen haben. Domherr. Was muß ich erfahren! Was muß ich erleben! Oberft (zu dem Marquia). Geben Sie zuvörderſt die Juwelen heraus, die Sie in der Taſche haben. Marquis. Die Juwelen?' ich weiß von keinen! Eiit Schweizer. Er hat ba mas erſt in den Buſch ge- worfen. Es muß nicht weit liegen. (Man fucht und bringt das Mäſtehen hervor, das man dem Oberſten überreicht.) Oberſt. Leugnet nicht weiter! Es iſt alles am Tage. (Zur Marquiſe.) Wo ſind die übrigen Steine? Geſtehn Sie nur ! Sie kommen nicht wieder nach Hauſe, und zu Hauſe bei Ihnen iſt in dieſem Augenblicke - alles verſiegelt. Verdienen Sie die Gelindigkeit, mit der man Sie zu behandeln gedenkt! Marquiſe. Hier ſind ſie. (Das Sahmuckkäſtchen Hervorbringend.) So bachť ich ſie nicht los zu werden. Oberſt (zum Domherrn). Man wird dieſe Juwelen den Hof- juwelieren wieder zuſtellen und Ihre Verbindlichkeit dagegen einlöſen. Die falſche Unterſchrift der Prinzeſſin werden Sie dagegen zurücklaſſen. Ich halte Sie nicht weiter auf, Sie können gehen. Domherr. Ja, ich gehe. Sie haben mich beſchäint ge- fehen; aber glauben Sie nicht, daß ich erniedrigt bin. Meine Geburt gibt mir ein Recht auf die erſten Bedienungen in Staate; Dieſe Vorzüge kann mir niemand nehmen, und noch weniger wird man mir die Leidenſchaft aus dem Herzen reißen, die ich für meine Fürſtin empfinde. Sagen Sie es ihr, wie glücklich mich dieſes Phantom gemacht hat. Sagen Sie ihr, daß alle Demütigungen nichts gegen den Schmerz ſind, mich) . noch weiter von ihr entfernen zu müſſen, in ein Land zu gehen, wo ich ſie nicht mehr auch nur im Vorüberfahren erblicken werde; aber ihr Bild und die Hoffnung werden nie aus meinem Herzen kommen, ſolange ich lebe. Sagen Sie ihr das! Euch Uebrige verachte ich. fhr waret geſchäftig um meine Leiden- ſchaft, wie Käfer um einen blühenden Baum; die Blätter fonntet ihr verzehren, daß ich niitten im Sommer wie ein dürres Reis daftehe; aber die Aeſte, die Wurzeln mußtet ihr unangetaſtet laſſen. Schwärmt hin, wo ihr wieder Nahrung findet! (Der Domherr geht ab.) Oberſter. Die Uebrigen werden unter guter-Bedeckung ganz in der Stille auf eine Grenzfeſtung gebracht, bis man ន Fünfter Aufzug. 8. Auftritt1. 83 . hinlänglich unterſucht hat, ob ihre Schelmſtreiche nicht viel- leicht 11och weiter um ſich gegriffen haben. Findet ſich's, Daß ſie in weiter keine Händel verwickelt ſind, ſo wird man fie in der Stille des Landes verweiſen und ſo von dieſem be- trügeriſchen Volke ſich befreien. Es ſind eben vier, ein Wagen voll. Fort mit ihnen! mart begleite fie bis an das große Thor, wo ein Fuhrwerk ſteht, und übergebe' fie dort den Dragonern. Nichte. Wenn ein unglückliches Mädchen von einem ſtrengen Urteilsſpruch noch auf Gnade ſich berufen darf, ſo hören Sie mich an! Ich unterziehe mich jeder Strafe; nur frennen Sie mich von dieſen Menſchen, die meine Verrvandte ſind, ſich meine Freunde riannten und mich in das tiefſte Slend geſtürzt haben. Verwahren Sie mid), entfernen Sie mich; nur haben Sie Barmherzigkeit, bringen Sie mich in ein Kloſter! Ritter. Was höre ich ? Overft. Iſt es Ihr Ernſt? Yidyte. O, hätte dieſer Mann geglaubt, daß meine Ges ſinnungen aufrichtig ſeien, ſo wären mir alle nicht, wo wir. ſind. Ritter, Sie haben nicht edel gehandelt. Durch meine Unvorſichtigkeit, durch einen Zufall haben Sie das Geheim- nis erfahren. Wären Sie der Mann geweſen, für den ich Sie hielt, Sie hätten dieſen Gebrauch nicht davon gemacht, Sie hätten den Domherrn unterrichten, die Suwelen beiſchaffen und ein Mädchen retten können, das nun unwiederbringlich verloren iſt. Es iſt wahr, man wird Sie für dieſen Dienſt belohnen: unſer Unglück wird ein Kapital ſein, von dem Sie große Renten ziehen. Ich verlange nicht, daß Sie im Genuß der fürſtlichen Gunſt, der einträglichen Stellen, in deren Beſik Sie ſich bald befinden werden, an die Thränert eines armen Mädchens denken ſollen, deren Zutraulichkeit Ihnen Gelegen- heit gab, zu horchen. Aber brauchen Sie jetzt, da Sie ein bedeutender Mann bei Hofe ſind, ſhren Einfluß, das zu be- wirfen, warum ich Sie bat, da Sie noch nichts hatten, wenig ſtens zeigten, als Geſinnungen, die ich ehren mußte. Er- langen Sie von dieſem ernſthaften, würdigen Manne nur, daß ich nicht mit dieſer Geſellſchaft weggebracht werde, daſ meine Jugend in einem fremden Lande nicht größern Er- niedrigungen ausgeſeßt werde, als ich in dieſem leider ſchon dulden mußte. (Zum Oberſten.) Ich bitte; ich beſchwöre Sie, mein Herr, wenn Sie eine Tochter haben, an der Sie Freude Der Groß-Sophta. zu erleben wünſchen, ſo ſchicken Sie mich fort; aber allein. Verivahren Sie mich; aber verbannen Sie mich nicht! Oberft. Sie rührt mich! Ritter. Iſt es Ihr Ernſt? Nichyte. O, hätten Sie es früher geglaubt! - Überfi. Ich kann Ihren Wunſch erfüllen; ich gehe in nichts von meiner Inſtruktion ab. Midyte. Ja, Sie erfüllen ganz fhre Inſtruktion, wenn die Abſicht iſt, wie es ſcheint, dieſen verwegenen Handel im ſtillen beizulegen. Verbannen Sie mich nicht, ſchicken Sie inich in fein fremdes Land; denn die Neugierde wird rege werden. Man wird die Geſchichte erzählen, man wird ſie wiederholen. Man wird fragen: „Wie ſieht das abenteuer- liche Mädchen aus? Sie ſoll, ſie muß der Prinzeſſin gleichen, ſonſt hätte die Faber nicht können erfunden, nicht geſpielt werden. Wo iſt ſie? Man inuß Sie ſehen, man muß fie kennen.“ O Ritter, wenn ich ein Geſchöpf war, wie Sie bachten, ſo wäre der gegenwärtige Fall für mich erwünſcht genug, und ich brauchte keine Ausſtattung weiter, um in der Welt mein Glück zu machen. Oberſt. Hiermit ſei es genug! Begleitet jene drei an den Wagen; der Offizier, dem ihr ſie übergebt, weiß ſchon das weitere. Marquis (Teiſe zur Marquiſe). Es iſt nur von Verbannung die Nede. Wir wollen demütig abziehn, um das Ilebel nicht ärger zu machen. Marquiſe (leiſe). Wut und Verdruß kochen mir im Herzen; Luft zu' machen. Överfi. Nur fort! den Fürſten bedenken, welches Blut in meinen Adern fließt, daß ich ihm verwandt bin und daß er ſeine eigne Ehre ver- lekt, wenn er mich erniedrigt! i Overſi. Das hätten Sie bedenken ſollen! – Gehen Sie! Schon hat man dieſe noch lange nicht erwieſene Ver- wandtſchaft zu Ihrem Vorteil mit in Anſchlag gebracht. Graf. Mein Herr, Sie vermiſchen mit dieſem Geſindel einen Mann, der gewohnt iſt, überall ehrenvoll behandelt 211 werden. Oberſt. Gehorchen Sie! Graf. Es iſt wir unmöglich! Fünfter Aufzug. 8. Auftritt. 85 Oberſt. So wird man Sie's lehren. Graf. Ein Reiſender, der überall, wo er hinkommt, Wohlthaten verbreitet - Oberli. Es wird ſich zeigen. Graf. Dem man wie einem Schußgeiſt Tempel bauen jollte – . Oberſt. Es wird fich finden. Graf. Der ſich als Groß-Kophta legitimiert hat – Oberji. Wodurch? Graf. Durch Wunder. Overft. Wiederholen Sie eins und das andre, rufen Sie Ihre Geiſter herbei, laſſen Sie ſich befreien! Graf. Ich achte euch nicht genug, um meine Macht vor euch ſehen zu laſſen. Oberjt. Groß gedacht! So unterwerfen Sie fich dem Befehl! Graf. Ich thue es, meine Langmut zu zeigen; aber bald werde ich inich offenbaren. Ich werde Ihren Fürſten ſolche Geheimniſſe melden, daß er mich im Triumphe zurück- holen ſoll, und Sie werden vor den Wagen voranreiten, in Dem der Groß-Kophta verherrlicht zurückkehren wird. Overft. Das wird ſich alles finden; nur heute kain ich Sie unmöglich begleiten. Fort mit ihnen! 5dweizer. Fort, ſagt der Oberſte, und wenn ihr nicht geht, ſo werdet ihr unſre Hellebarden fühlen. Graf. Ihr Elenden, ihr werdet bald vor mir ins Gewehr freten. Die dyweizer (chlagen auf ihn 103). Will Er das letzte Wort haben? (Die Schweizer mit den drei Perſonen ab.) Oberſt (zur Nidste). Und Sie ſollen noch heute nacht in das Frauenkloſter, das feine Viertelſtunde von hier liegt. Wenn es Jhr Ernſt iſt, ſich von der Welt zu ſcheiden, jo follen Sie Gelegenheit finden. Midte. Es iſt mein völliger Ernſt. Ich habe keine Hoffnung mehr auf dieſer Welt. (zum Nitter.) Aber das muß ich Ihnen noch ſagen, daß ich meine erſte, lebhafte Neigung mit in die Einſamkeit nehme - die Neigung zu Ihnen. Ritter. Sagen Sie das nicht, ſtrafen Sie mich nicht ſo hart. Jedes Jhrer Worte verwundet mich tief. Ihr Zuſtand iſt gegen den meinigen zu beneiden. Sie können ſagen: „Man hat mich unglücklich gemacht"; und welchen unrrträg- le meile führen, wenn ib Gabenoweizer Clean 86 Der Groß-Kophta. lichen Schmerz muß ich empfinden, wenn ich mir fage: „Auch dich zählt ſie unter die Dienſchen, die zu ihrem Verðerben mitwirften." D, vergeben Sie mir! vergeben Sie einer Leidenſchaft, die, durch einen unglückſeligen Zufall mit ſich ſelbſt uneins, das verleßte, was ihr noch vor wenig Augen- blicken das Liebſte, bas Werteſte auf der Welt war. Wir ſollen uns trennen! Unausſprechlich iſt die Qual, die ich in dieſem Zuſtand empfinde. Erkennen Sie meine Liebe und bedauren Sie mich. D, daß ich nicht meiner Empfindung folgte und nach der zufälligen Entdeckung gleich zum Dom= herrn eilte! Ich hätte mir einen Freund, eine Beliebte er- worben, und ich hätte mein Glück mit Freuden genießen können. Es iſt alles verloren! Oberſt. Faſſen Sie ſich! Nidte. Leben Sie wohl! Dieſe letzten tröſtlichen Worte werden mir immer gegenwärtig bleiben. (zum Oberſt.) Ich ſehe an Ihren Augen, daß ich ſcheiden foll. Möge Ihre Menſchlichkeit belohnt werden! (Sie geht mit der Mache ab.) Oberft. Das arme Geſchöpf dauert mich! Kommen Sie, alles iſt gut gegangen. Ihre Belohnung wird nicht ausbleiben. Ritter. Sie mag fein, welche ſie will, ſo fürſtlich, als ich ſie erwarten darf: ich werde nichts genießen können, denn * ich habe nicht recht gehandelt. Mit bleibt nur ein Wunſch und eine Hoffnung, das gute Mädchen aufzurichten und ſie ſich ſelbſt und der Welt wiederzugeben. Der Bürgergeneral. Ein Luſtſpiel in einen Aufzuge. Zweite Fortſchung der Beiden Billets. Perſonen. Röſe. Schnaps. Görge. Der Nichtcr. Märten. Baucrn. Der Edelmann. Der Schauplatz iſt in Märtens Hauſe, wie in den vorigen Stücken. 1. Auftritt. Nöje. Görge. Görge (der zum Hauſe mit einem Rechen herauskommt, ſpricht zurüic). Hörſt du, liebe Nöſe? Röſe (die unter die Thiire tritt). Recht wohl, lieber Görge! Görge. Ich gehe auf die Wieſe und ziehe Maulwurfs:- haufen auseinander. Röſe. Gut. Görge. Hernach feh ich, wie es auf dem Acer ausſieht. Röſe. Schön! Und dann kommſt du aufs Krautland und gräbſt und findeſt mich da mit dem Frühſtück. Görge. Und da ſeben wir uns zuſammen und laſſen es uns ſchmecken. Röſe. Du ſolift eine gute Suppe haben. Görge. Wenn ſie noch ſo gut wäre! Du muſt initeſſen, ſonſt ſchmeckt ſie mir nicht. Röſe. Mir geht's ebenſo. Görge. Nun (eb wohl, Röſe! (Nöje geht, bleibt ſtehen, ſieht ſid) um; ſie werfen fidh Rußhände zul, cr fchrt zurück. ) Görge. Höre, Röſe! — die Leute reden fein wahr Wort, Röſe. Selten wenigſtens. Wie fo? 88 Der Bürgergeneral. Görge. Sie ſagen, als Mann und Frau hätte man ſich nicht mehr ſo lieb, wie vorher. Es iſt nicht wahr, Röſe. Wie lange haben wir uns ſchon? Wart! Röſe. Zwölf Wochen. Görge. Wahrhaftig! Und da iſt inimer noch Görge und Nöschen, und Röschen und Görge wie vorher. Nun Yeb wohl! Röſe. Leb wohl! Wie oft haben wir das nicht ſchon geſagt! Görge (entfernt fich). Und wie oft werden wir es noch ſagen! Röſe. Und uns immer wieder ſuchen und finden. Görge (ſtille ſtehend). Das iſt eine Luft! Röſe. Ich komme gleich nach. Leb wohl! Görge (gehend). Leb wohl! Röſe (unter der Thüre). Görge! Görge (zurüdkommend). Was gibt's ? - Röſe. Du haſt was vergeſſen. Görge (jich anſehend). Was denn? Röſe (ihm entgegenſpringend). Noch einen Kuß! Görge. Liebe Röſe! . Röſe. Lieber Görge! (Rüſſend.), 2. Auftritt. Die Vorigen. Der Edelman 1. Edelmani. Brav, ihr Kinder! Brav! an eudi merkt inan nicht, daß die Zeit vergeht. Görge. Wir merken's auch nicht, gnädiger Herr. Röſe (bedeutend). Sie werden's auch bald nicht mehr merken. Edelmann. Vie ſo ? Röſe. Machen Sie nur kein Geheimnis daraus! – Sie iſt ja ſo hübſch. Edelmann (lächelnd). Wer? Görge. Hm! Nöſe, du haſt recht. ja wohl, recht hübſch. Röſt. Und Sie ſind auch ſo ein ſchöner junger Herr. Edelmann. Görge! Sarf ſie das ſagen? Görge. Jekt eher als ſonſt. Denn ich will's 11118 ge': ſtehen, ich bin oft eiferſüchtig auf Sie geweſen. Edelmann. Du haſt's auch Urſache gehabt. Röſe gefiel mir immer. Röſe. Sie ſcherzen, gnädiger Herr. 2. Auftritt. 89 Görge. Es iſt mir nur immer gar zu eriſtlich vor- gekommen. Röſe. Er hat mich oft genug gequält. Görge. Und ſie mich auch. Edelmani. iind jetzt? Görge. Jetzt iſt Nöfe meine Frau, und ich denke, eine recht brave Frau. Edelmann. Das iſt gewiß. Röſe (bedeutend). Und Šie ? – Edelmann. Nun? Görge (mit Büdlingen). Darf man gratulieren? Edelmanii. Wozu ? Röſe (jich neigend). Wenn Sie's nicht ungnädig nehmen ivollen. Görge. Sie werden auch bald ein allerliebſtes Weibchen haben. Edelmann. Daß ich nicht wüßte. Röſe. In wenig Tagen leugnen Sie es nicht mehr. Görge. Und ſie iſt ſo liebenswürdig. Edelman. Wer senin? Röſe. Fräulein Karoline, die neulich mit der alten Tante hier zum Beſuche war. Edelmann. Daher habt ihr êuren Argwohn? Wie ihr fein feid! Görge. Ich dächte doch, ſo etwas ließe ſich einſehen. Röſe. Es iſt recht ſchön, daß Sie ſich auch verheiraten. Görge. Man wird ein ganz andrer Menſch, Sie werden's Fehen. Röſe. Jekt gefällt mir's erſt zu Hauſe. Görge. Und ich meine, ich wäre dadrin im Hauſe geboren. Röſe. Und wenn der Vater die Zeitungen lieſt und ſich um die Welthändel befümiert, da drücken wir einander die Hände. Görge. Und wenn der Alte ſich betrübt, daß es draußen ſo wild zugeht, dann rücken wir näher zuſammen und freuen uns, daß es bei uns ſo friedlich und ruhig iſt. Edelmanit. Das Beſte, was ihr thun könnt. Röſe. Und wenn der Vater gar nicht begreifen kann, wie er die franzöſiſche Nation aus den Schulden retten will, .. ba ſag'ich: Görge, wir wollen uns nur hüten, daß wir keine Schulden machen. Der Bürgergencral. . Görge. Und wenn er außer fich iſt, daß man allen Leuten dort ihre Güter und ihr Vermögen nimmt, da über- Icgen wir zuſammen, wie wir das Gütchen verbeſſern wollen, das wir von dent Lottogelde 311 kaufen gedenken. Edelman. Shu ſeid geſcheite junge Leute. Röſt. Und glücklich. Edelmann. Das hör ich gern. · Görge. Sie werden's auch bald erfahren. Röſe. Das wird wieder eine Luſt auf dem Schloſſe werden! Görge. Als wie zu Lebzeiten Ihrer ſeligen Frau Mama. Röſt. Zu der man immer lief, wenn jemand krank war. Görge. Die einen ſo guten Spiritus auflegte, wenn man ſid, eine Beule geſtoßen hatte. Röle. Die ſo gute Salben wußte, wenn man ſich ver- brannt hatte. Edelmann. Wenn ich heirate, will ich mich nach einem Frauenzimmer iimſehen, die ihr ähnlich iſt. Görge. Die iſt ſchon gefunden. Röſe. Ich denk's. Sei'n Sie nicht böſe, gnädiger Herr, - daß wir ſo vorlaut ſind. Görge. Wir können's aber nicht abwarten - Röſë. Sie ſo glücklich zu ſehen als uns. Görge. Sie müſſen nicht länger zögerit. Röſe. Es iſt verlorne Zeit. Görge. Und wir haben ſchon den Vorſprung. Edelmann. Wir wollen ſehen. Görge. Es thut freilich nichts, wenn unſer Junge cin bißchen älter iſt als der Fhrige; ba kann er deſto beſſer auf den funker acht haben. Röſe. Das wird hübſch ſein, wenn ſie zuſammen ſpielen. Sie dürfen doch? Edelmaitit. Wenn ſie nur ſdon da wärenr. Ja! – meine Kinder ſollen mit den eurigen aufwachſen, wie ich init euch. Röſe. Das wird eine Luſt ſein! Görge. Ich ſehe ſie ſchon. 3. 11. 4. Auftritt. 3. Auftritt. Dic Vorigen. Märten am Fenſter. Märten. Röſe! Röſe! Wo bleibt das Frühſtück ? Röſe: Gleich! Gleich! Märten. Muß ich ſchon wieder warten! (Das Fenjier zul.) Röſe. Den Augenblick. Görge. Mach nur, Röſe. Röſê. Da werd ich ausgeſchmält. Edelmani. Daran iſt der Kuß ſchuld, über den ich euch ertappte. Ich vergaß auch darüber mein Wildbret. Görge. Ihre Freundlichkeit ift fchuld, gnädiger Herr! Röſi. Ja wohi. Ich vergaß darüber den Vater. Görge. Und ich Wieſe, Acker und Krautland. Edelmait. Nun denn, jedes auf ſeinen Weg! (Unter wedſelſeitigen Begrüßungen an verſdjiedenen Seiten ab, und Nöje ins Haus.) 4. Auftritt. Märteng Stube, mit einem Kamin, einigen Schränken, einent Tiſch mit Stühlen. An der Seite ein Fenſter. Gegenüber eine angelehnte Leiter. Märten. Nöje. . Märten. Röſe, wo biſt du? Röſe. Hier, Vater. Märten. Wo bleibſt du? Röſe. Der gnädige Herr kam gegangen, und wie er ſo gut iſt, ſchwalzte er mit uns. Märten. Und mein Staffee? Röſe (auf den Kamin deutend)." Steht hier. Märten. Das ſeh' ich. Aber die Milch ? Röle. It gleich warm. (Geht nach dem Sdsranke, öffnet ihn mit cinem Schlüſſel des Bundes, das ſie anhängen hat, nimmt Nahı heraus und ſoft ihn in den Stamin.). Märten (indeſſen). Röſe, das iſt nicht hübſch. Röſe (Gejchäftigt). Was Senii, Vater? Märten. Daß du mich ganz und gar über Görgen vergißt. Röſe (wie oben). Wie fo? Märten. Mit ihm haſt du geplaudert; für ihn haſt du geſorgt. Röſe. Auc, Vater. Ich hab' ihm ein Butterbrot gegeben. Märtcir. Für ihn allein ſorgſt du. 92 Der Bürgergeneral. Röſe. Nicht doch! Für Euch ſo gut, wie für ihr. Märten. Und doch verſprachſt du mir, wenn ich dich heiraten ließe - Röſe. Sollte alles bleiben vor wie nach. Märterr. Hältſt du nun Wort? Röle. Gewiß. Hier iſt der Staffee. Märten. Biſt du alle Morgen gleich bei der Hand wie ſouſt? Röſe. Hier iſt die Milch. (Sie läuft wieder nadı dem Schrante.) Märten. Und muß ich richt auf alles warten? Röſe. Hier die Taſſe! Der Löffel! der Zucker! Wollt Ihr auch ein Butterbrot? Märter. Nein, nein. - Du bleibſt inir die Antwort fchuldig. Röſe (auf das Friihſtüicf deutend) Hier ſteht ſie. Märten. Es inag gut ſein. Erzähle mir etwas. Röſe. Ich muß fort. Märten. Schon mieber. Röſe. Görgen die Suppe bringen, der mag den Kaffee nicht. Märten. Warum iſt er ſie nicht zu Hauſe? Röſe. Er will erſt was arbeiten. Auf dem Krautlande hat er eine Laube gebaut, da machen wir ein Feuerchen an, wärmen die Suppe und verzehren ſie miteinander. Märten. So geh hin! Es iſt doch nicht anders. Röſe. Wie meint Ihr? Märten. Vater und Mutter verlaßt ihr und folgt dem Manne niach. Röſe. So foll's ja ſein. . Märteir. Geh nur. Röſe. Zu Mittag ſollt Ihr ein gut Eſſen haben; ich fage nicht, mas. Märten. Schon recht. Röſt. Seid nicht verdrießlich. Mürteir. Nein doch! Röſe. So lebt wohl! Märten. Geh nur! Ich komme auch hinaus. 5. Auftritt. Märten allein, ſitzend und trinfend. Es iſt gut, daß fie geht. Schnaps ſagte mir geſtern in Vorbeigehu: wenn die Kinder im Felde wären, mollte er mich) 5. 11. 6. Auftritt. 93 beſuchen und inir viel Neues erzählen. – Ein vertracter Kerl, der Schnaps! Alles weiß er! – Wenn er nur mit Görgen beſſer ſtände! Aber der hat geſchworen, wenn er ihn wieder im Hauſe trifft, mill er ihn lederweich ſchlagen. Ind Görge hält ſein Wort. – Ein guter Burſch! ein heftiger Burſch! - Ich höre was. (A11 der Thüre.) Ha! Ha! Schnaps - Da iſt er ja. 6. Auftritt. Märten. S dh 11 ap 3. Schnaps (hereinſehend). Seid Ihr allein, Vater Martin? Märten. Nur herein! Sdnaps (einen Fuß Hereinſekend). Görgen ſah ich gehen; ift Nöſe nach? Märten. Ja, Gevatter Schnaps. Wie immer. Sdnaps. Da bin ich. Ihr ſeid vorſichtig. Sdnaps. Das iſt die erſte Tugend. Märten. Wo komnint Ihr her? Sdnaps. Hm! Hm! Märten. Seit acht Tagen hat man Euch nicht geſehen. Sdnaps. Ich glaub' es. Märten. Habt Ihr auswärts eine kur verrichtet? Sdnaps. Pater Martin! - Ich habe furieren gelernt. Märten. Gelernt? - Als wenn Ihr 110ch was zu lernen brauchtet. Sdnaps. Man lernt nie aus.. Märten. Ihr ſeid beſcheiden. Schnaps. Wie alle große Männer. Märten. Nun, was die Größe betrifft – Ihr ſeid ja kleiner als ich. Sdnaps. Vater Martin, davon iſt die Rede nicht. Aber hier! hier! (Auf die Stirn deutend.) Märten. Ich verſtehe. Sdnaps. Und da gibt's Leute in der Welt, die das zlı ſchäßen wiſſen. Märten. Dhne Zweifel. Hanaps. Da findet man zutrauen – Märten. Ich glaub's. dnaps. Da erfährt man -- Märten (ungeduldig). Was denn? Sagt! 94 Der Bürgergenerar. diaps. Und erhält Aufträge. Märten. Geſchwind! Was gibt's ? Sdnaps (bedeutend). Man wird ein Mann von Einfluß. Märten. Iſt's inöglia) ?. Schnaps. In wenig Tagen erfahrt Jhr's. Märten. Nur gleich! Nur heraus damit! Schnaps. Ich kann nicht. Schon das iſt genug geſagt. Märtent (bedenklid)). Gevatter Schnaps - Sdnaps. Was gibt's ? Härtent. Seht mich an. Sanaps. Nun? Märten. Gerad in die Augen. dnaps. So? Märten. Scharf! Sdnaps. Zum Henker! Ich ſeh'Euch ja 'an. Mich wundert's, daß Fhr meinen Blick ertragen könnt. Märten. Hört! Sdnaps. Was ſoll's ? Märten. Wäre sas, was Ihr zu erzählen habt -- Sdumps. Wie meint Ihr? Wärten. Nicht etwa wieder ſo eine Hiſtorie? Sdnaps. Wie könnt Ihr ſo denken? Märteir. Oder – Sdjiaps. Nicht doch, Vater Martin! Märten. Oder von den vielen Schnäpſen, Euren hoch- anſehnlichen Vorfahren? Sdnaps. Das war Scherz, lauter Scherz! Nun fängt's an, Ernſt zu werden. Mürter. Ueberzeugt mich. Sdnaps. Nun denn! Weil fhr's ſeid. Märten. Ich bin äußerſt neugierig. Sdnaps. So hört! – Sind wir auch ſicher? Märten. Ganz gewiß! Görge iſt aufs Feld und Röſe zit ihm. die Augen auf! Mürteir.. So macht denn fort! schnaps. Shr habt oft gehört. – Es lauſcht doch niemand? Märten. Niemand. Sdnaps. Daß die berühmten Jakobiner — cş iſt doch 6. Auftritt. 95 Märten. Gewiß nicht! draps. Geſcheite Leute in allen Länderit aufſuchen, fennen, benuken. Wörteit. So ſagt man. Siljnaps. Nun iſt mein Ruf – ich höre jemand. Märten. Nein Doch! Schnaps. Mein Ruf über den Rhein erſchollen - Mürteit. Das iſt weit. Sdnaps. Und man gibt ſich ſchon ſeit einem halben Jahre alle erdentliche Mühe - Märten. So fahrt nur fort! Sdiaps. Mich für die Šadje der Freiheit und Gleich: heit zu gewinnen. Märten. Das wäre! Schnaps. Man kennt in Paris meinen Verſtand – Märten. Ei! Ei! Sdnaps. Meine Geſchicklichkeit. Märten. Kurios! stuaps. Genug, die Herren Jakobiner ſind ſeit einem halben Jahre un mich herumgeſchlichen, wie die Kaße um den heißen Brei! Märten. Ich kann mich nicht genug verivundern! Hihnaps. Bis man mich vor acht Tagen in die Stadt beſtellte. Märten. Ihr ſolltet einen Fremden furieren, der das Bein gebrochen hatte. So ſagtet Ihr. Idnaps. So hatte man mir geſagt. Märten. Wir wunderten uns. draps. Ich auch. Märten. Db's denn nicht auch in der Stadt Chirurgen gebe? . Sdnaps. Genug, ich wunderte mich – und ging.. Märten. Da habt Ihr wohl gethait. Hanaps. fich finde meinen Patienten. Märten. Wirklich? Sdnaps. Und wie ich den Fuß aufbinde — Märten. Nun? Sdnaps. Iſt er ſo geſund wie meiner. Märten. Was? Sdinps. Ich erſtaune! Märten. Das glaub ich. Schnaps. Der Herr Yacht - 96 Der Bürgergeneral. TI II Märten. Natürlich. Trhnaps. Und fällt mir um den Hals. Wärter. Jit's möglich! anaps. Bürger Schnaps! ruft er aus. Würteir. Bürger Schnaps? Das iſt kurios! Schnaps. Werteſter Bruder ! Märten. Lind weiter? diaps. Genug, er eröffnete mir alles.. Märten. Was denn? Srhunps. Daß er ein Abgeſandter des Jakobinerklubs ſci. Mürter.' Wie ſah er denn aus? Sdnaps. Wie ein andrer Menſch. Märten. Habt Ihr Euch nicht vor dem Manne gefürchtet? hitaps. Ich mich fürchten? Märten. Und habt mit ihm geſprochen, mie mit Eures- gleichen? Sdnaps. Nafürlich ! – Alle Menſchen ſind gleich. Marteir. So ſagt nur! Sdnaps. Was foll ich alles weitläufig erzählen? Märten. Ich hör' es gern. dhnaps. Er nahm mich in ſeine Geſellſchaft auf. Märten. Wie ging das zu? Schnaps. Mit vielen Ceremonien. Märten. Die möchť ich wiſſen. Schnaps. Ihr könnt alles ſehen. Wörteit. Wie fo? údnaps. Gebt 'acht! Hier in Barbierſacke trage ich das ganze Geheimnis. Märten. Iſt's möglich? Sdnaps. Schaut her! Märten. Laſt ſehen! Schnaps. Eins nach dem andern. Märten. Nur zu! Sdnaps (100) einer Baạje). Erſtlich umarmt er mich nochmal. Märten. Ein höflicher Herr! Snaps. Das dank ihm der Henfer! Märten. Ich wüßte sticht - njiaps. Dani bracht er — (Er bringt eine rote Mütze Hervor.) Märten. Das rote Käppchen? Ihr ſeid ja kein Ehemann. rhnaps. Ungeſchidt! - Die Freiheitsinübe. Märten. Laßt ſehen. Sthitaps. Und fekte inir ſie auf. (Er ſetzt das stäppden auf ) 6. Auftritt. 97 Bater, es keleid.ationaluniform bir Märten. Jhr ſeht ſchnafiſch aus! Sdnaps. Ferner den Nock. (Er zieht eine Nationaľuniformn hervor.) Märten. Das iſt ein ſchmuckes Kleid. Sdnaps. · Helft mir, Vater, es iſt ein bißchen knapp. Märtent (indem ſie ſich mit Anziehen plagen). 9, das iſt eine Not! das zwängt! Sdnaps. Das iſt die Uniform der Freiheit. Märten. Da iſt mir meine weite Bauerjacke doch lieber. Srhnaps. Nun ſeht her! Was ſagt Ihr zu dem Säbel ? Märten. Gut! Sdinaps. Nun die Kokarde? Märten. Iſt das die Nationalkokarde? dnaps. Freilich. (Steckt ſie auf den Hut.) Märten. Wie ſie den alten Hut nicht ziert! Sdnaps. Möchtet Shr nicht aạch ſo eine fragen? Märten. Es käme drauf an. Sdnaps. Wie mich der Fremde ſo angezogen hatte — Märten. Er ſelbſt? Sdnaps. Freilid). Wir bedienen jeßt alle einander. Märten. Das iſt hübſch. Sdnaps. So fagte er — Märten. Ich bin neugierig. Siljnaps. Ich habe ſchon viele hier im Lande angeworben —. Märten. So iſt das doch wahr. Sdnaps. Aber keinen gefunden, auf den ich mehr Ver- trauen fekte, als auf Euch. Märten. Das iſt ſchmeichelhaft. Sdnaps. So erfült nun meine Hoffnungen - Märten. Und wie? Sdnaps. Geht zu Euren Freunden und macht ſie mit unſern Grundfäßen bekannt. Märten. Laßt ſie hören! Sdnaps. Gleich! - Und menn Ihr tauſend redliche – Märten. Tauſend Redliche? Das iſt viel! Sdnaps. Wohldenkende und beherzte Leute beiſammen habt Märten. Nun? Sdnaps. So fangt die Revolution in Eurem Dorfe an. Märten. In unſerm Dorfe? Hier, in unſerm Dorfe? Sdnaps. Freilich! Märten. Behüt uns Gott! Srhnaps. Ei! wo denn? Goethe, Werte. VIII. 98 Der Bürgergeneral. Märten. Eh! was weiß ich? Da oder dort! überall! Nur nicht hier. Sdnaps. - Hört nur, nun kommt das Wichtigſte. Märten. Noch was Wichtigers? Sdnaps. Fangt die Revolution an! ſagte er. Märten. Snað uns Gott! Sdnaps. Ich gebe Euch dazu völlige Autorität und mache Euch hiermit – Märten. Wozu? Sdnaps. Zum Bürgergeneral. Märten. Zum General? – Herr Schnaps, Herr Schnaps! das klingt nun faſt wieder nach dem oſtindiſchen General- gouverneur. Sdnaps. Stille! Es iſt nicht Zeit, zu ſcherzen. Märten. Es ſcheint. Sdnaps. Und zum Zeichen geb' ich Euch dieſen Schnurr- bart - Märten. Einen Schnurrbart? Sdnaps. Den jeder Bürgergeneral tragen muß. Märten. Iſt's möglich! Sdnaps (hat den Sánurrbart angeheftet). Ihr habt nun ein Anſehen – Märten. Wahrhaftig! Sdnaps. Fine Autorität – Märten. Zum Erſtaunen! Schnaps. Und an der Spike der Freigeſinnten werdet Ihr Wunder thun. Märten. Ohne Zweifel, Herr General. Sdnaps. Man ſagt nicht: Herr General. Man ſagt: Mein General! Bürgergeneral! – Es iſt kein Menſch ein Herr. Märten. Mein Gerieral! Sdnaps. Was gibt's, Bürger? Märten. Ich bin nur ein Bauer. Sdnaps. Wir ſind alle Bürger. Märten. So ſagt mir nur, wo das hinaus will ? Sdnaps. Unſre Grundſätze heißt man das. Märten. Worauf es hinaus will ? Sdnaps. Ja. Märten. Ich dächte faſt, es ginge auf Schläge hinaus. Schnaps. Nun müßt Ihr hören - Märten. Was benn? Sdnaps. Die Grundfäße, die ich ausbreiten ſoll. 6. Auftritt. 99 Märten. Die hatt' ich ganz und gar vergeſſen. Schnaps. Hört! Märten (der zufälligerweiſe im Auf- und Abgehen an das Fenſter kommt). weh! Sdnaps. Was gibt's? Märten. Herr General! Mein General – da kommt Görge den Berg herein. Sdnaps. Verflucht! Märten. Herr — mein General! Er hat einen großen Prügel. Sthnaps (naddem Fenſter laufend). Ich bin in großer Ver- legenheit. Märten. Das glaub ich. Schnaps. Ich fürchte Märten. So kommt mir's vor. Tunaps. Meint Ihr etwa Görgen? Märten. Nein doch, den Prügel. Sdnaps. Nichts in der Welt, als verraten zu werden. Märten. Da habt Ihr recht. Sdnaps. Die gute Sache würde leiden, wenn man unſre Abſicht zu früh entdeckte. Märten. Gewiß. Snaps. Verſteckt mich! Märten. Steigt auf den Boden! Sdnaps. Ja! Ja! Märten. Nur unters Heu. Sdnaps. Ganz recht. Märten. Nur fort, Herr General! Der Feind iſt in der Nähe. Sdnaps. Geſchwind den Sac her! (Er nimmt den-Barbier- fac auf.) Märten. Fort! Fort! Sdnaps (indem er die Leiter hinaufſteigt). Verratet mich ja nicht. Märten. Nein, nein! Sunnps. Und denkt nicht, daß ich mich fürchte. Märten. Nicht doch! Sdnaps. Lauter Klugheit! Märten. Die iſt zu loben. Nur zu! Sdnaps (ganz oben, indem er hineinſteigt). Lauter" Klugheit! 100 Der Bürgergeneral. youtlet 7. Auftritt. Märten. Görge mit einem Stođ. Görge. Wo iſt der Schurke ? Märten. Wer? Görge. Iſt es wahr, Vater? Märten. Was denn? Görge. Röſe ſagte mir, ſie hätte, da ſie weggegangen wäre, Schnapſen ins Haus ſchleichen ſehen. Märten. Er kam; ich habe ihm aber gleich die Wege gewieſen. Görge. Da habt Ihr wohl gethan. Ich ſchlag? ihm Arm und Bein entzwei, wenn ich ihn hier antreffe. Märten. Du biſt gar zu aufgebracht. Görge. Was? nach allen den Streichen? Märtenr. Das iſt vorbei. Görge. Er hat noch keine Ruhe. Jetzt, da Röſe meine Frau iſt — Märten. Was denn? · Görge. Hört er nicht auf, uns zu necken, uns zu be- unruhigen. Märten. Und wie denn? Görge. Da ſagt er zu Röſen im Vorbeigehen: Guten Abend, Röſe! Wie Jhr doch allen Leuten in die Augen ſtecht! Der Offizier, der da durchritt, hat nach Euch gefragt. Märten. Das kann wohl wahr ſein. Görge. Was braucht er's wieder zu ſagen? Nein, es find lauter Lügen. Märten. Wahrſcheinlich. Görge. Da kommt er einmal und ſagt: Der Fremde, der auf dem Schloſſe gewohnt hat, der hat Euch recht gelobt. Wollt Ihr ihn in der Stadt beſuchen? Es wird ihm recht lieb fein. Er wohnt in der Langen Straße Numero 636. Märten. Das heißt man ja kuppeln. Görge. Er iſt alles imſtande. Märten. Ich glaub's wohl. Görge. Und Köſe gibt ihm immer was ab, wie er's verdient, und der böſe Kerl trägts ihr nach. Ich fürchte, er thut uns einen Poſſen. Märten. So böſe iſt er doch nicht. Er ſpaßt nur. Görge. Ein ſchöner Spaß! Ich will ihn aber treffen. Märten. Nimm dich in acht! das koſtet Strafe. 7. 11. 8. Auftritt. 101 Görge. Die bezahl ich gern. Und ich will's ihm ge- denken, daß er mich jetzt von Nöſen weggeſprengt hat. Wenn er nur nicht gar draußen bei ihr iſt! Geſchwind, geſchwind! ich muß fort. (Eilig ab.) Sit olie en een eigeneral 8. Uuftritt. Märten, Hernady SⓇ nap 8. Märten. Ein Glück, daß er ihn nicht vermutet! Das hätte ſchöne Händel geſetzt! (Am Fenſter.) Wie er läuft! Er iſt ſchon am Berge. Nun kann mein General wieder aus dem Hinterhalte hervorkommen. Es iſt doch kurios, daß jekt die ſchlimmſten Leute immer in die Höhe konimen! Man lieſt's in allen Zeitungen. Der da oben taugt nun ganz und gar nichts, und komint zu ſolchen Ehren! Wer weiß, was noch daraus wird! Es ſind gefährliche Zeiten; man weiß gar nicht inehr, wen man um ſich hat. Auf alle Fälle will ich ihin fchmeicheln. Er nubt mir wohl wieder. – Mein General! Schnaps (an der Bodenthiire. Es fällt sucu hcrunter). Iſt er fort? Mörteir. Schon weit weg. Sdjitaps (mit Hen bededt). Ich komme ſchon.' Märten. Ihr ſeht verzweifelt aus, General Schnaps. dnaps (auf der Leiter ſid, reinigend). Das iſt im Felde nicht anders; man kann nicht alles ſauber haben. Märter. Komit nur Gerunter. Schnaps. Iſt er wirklich fort? Mörtert. Schon weit weg. Er war beſorgt, Ihr möditet indeſſen zu Röſen ſchleichen, und lief, als wenn es hinter ihm brennte. Sdnaps (herunterkommend). Vortrefflich! Nun ſchließt mir aber die Hausthür zu. Märten. Das ſieht verdächtig aus. udraps. Beſſer verdächtig, als ertappt. Schließt 31, Vater Martin. Mit wenig Worten ſag' ich Euch alles. Märten (gehend). Nun gut. 5 dnaps. Wenn jemand pocht, pact' ich ein und ſchleiche mich zur Hinterthür hinaus; und Ihr macht, was Fhr wollt. 102 Der Bürgergeneral. 9. Auftritt. Schnaps, nadsher Märten. Sdnaps. Wenn ich ihn nur erſt ein Frühſtück abge- wonnen hätte! Eine rechte Schande! ein reicher Mann und immer ſo knauſerig! (Er fa leicht an den Sæhränken Heruin.) Alles ver- ſchloſſen wie gewöhnlich, und Röſe hat wieder die Schlüſſel mit. – Hernach brauch' ich noch ein paar Laubthaler patrio- tiſche Kontribution. (Wieder am Sdhrante.) Die Thüren klappern, die Schlöſſer ſind ſchiccht verwahrt. Der Magen fnurrt, der Beutel noch ärger. Schnaps! Bürgergeneral! Friſch Sran! madı' ein Probeſtück deines Handwerks! Märten (zurüdtommend). Alles iſt verwahrt. Nun ſeid kurz. Sdnaps. Wie es die Sache zuläßt. Märten. Ich fürchte, die Kinder kommen zurück. Sdnaps. Das hat Zeit. Wenn ſie beiſainmen ſind, wiſſen ſie nicht, wenn's Mittag oder Abend iſt. Märten. Ihr wagt am meiſten. Sdnaps. So hört mich? Märten. So macht fort! Srhnaps (nad) einer Pauſe). Doch wenn ich bedenke – Märteit. Noch ein Bedenken? dynaps. Fhr ſeid ein geſcheiter Mann, das iſt wahr. Märten. Großen Dank! Sdnaps. Doch ohne Studien. Märten. Das iſt meine Sache nicht. Sdnaps (wichtig). Den guten, unſtudierten Leutchen, die man ſonſt den gemeinen Mann zu nennen pflegte — Märten. Nun? Schiaps. Trägt man eine Sache beſſer durch Exempel, durch Gleichniſſe vor. Märten. Das läßt fich hören. Sdnaps. Alſo zum Erempel — (Er geht heftig auf und nieder und ſtößt án Märten.) Märten. Zum Exempel: das iſt grob. Sdjuaps. , Verzeiht, ich war in meiner Revolutionslaune. Märten. Die gefällt mir ganz und gar nicht. rhnaps. Zum Exempel - (auf Märten (vögehend.) Märten. Bleibt mir vom Leibe ! Sdnaps. Zum Erempel, wir haben uns vereinigt. Mürteir. Wer? Sdnaps, Wir beide und noch neunhundertneunundreunzig. MTOTO 9. Auftritt. 103 Märfen. Ehrliche Leute ? draps. Das macht tauſend. Märten. Richtig. 5diaps. Gehen wir gewaffnet auf den Edelhof, mit Flinten und Piſtolen – Märten. Wo ſollen die Flinten und Piſtolen herkommen? Schnaps. Das findet ſich alles. Seht Ihr nicht, daß ich ſchon einen Säbel habe? (Er nimmt Märten an die eine Seite des Theaters.) Märten. Ei wohl! Hanaps. Wir ziehen auf den Edelhof und ſtellen ben Edelmann zur Nede. Da kominen wir nun hinein. (Er agiert das Hereinkommen.) Märten (macit fidz (os). Hört nur, ich muß Euch ſageit, ich mag nicht mitgehen. Wir ſind dem Edelmanne viel Dank ſchuldig. Hihnaps. Narrenspoſſen! Dankbarkeit iſt das, was Ihr zum voraus abſchaffen inüſſt. Märten. Wie iſt das möglich? Sdnaps. Es iſt ganz natürlich. Schafft ſie nur ab! Ihr werdet finden, der Undank iſt die bequemſte Sache von der Welt. Märten Hätt' ich nicht gedacht! Sdnops. Probiert's und kommt! Macht keine Umſtände, es iſt ja nur ein Gleichnis. : Märten. Ja ſo! ein Gleichnis. dynaps (nimit ihn wieder an die Seite). Nun kommen wir herein. – Aber, wißt Ihr was? Märten. Nun? Sdinaps. Es iſt beſſer, daß Ihr den Edelmann macht. (Er führt ihn hinüber.) Stellt Euch hierher! Wärten. Meinetwegen. Sdnaps. Ich komme mit dem Bürgerausſchuß. Märten. Mit den neunhundertneunundneunzig ? Hanaps. Drüber oder drunter. Märten. Gut. Schnaps. Herr! fag' ich – Märteir. Nur gemach! Sdnaps. Nein! das war nicht recht; es ſoll niemand ein Hert ſein. Märten. Nun, wie ſagt Ihr denn? draps. Warte — Kurz und gut: im Namen der 104 Der Bürgergeneral. Freiheit und Gleichheit macht Eure Reller auf und Eure Vorratskammern; wir wollen eſſen, und Ihr ſeid ſatt. Märten. Wenn's nach Tiſche iſt, mag's angehn. Sdnaps. Thut Eure Garderoben auf! wir ſind entblößt. Märten. Pfui! Fhr werdet doch nicht — Sdnaps. Nicht anders. – Thut Eure Beutel auf! wir ſind nicht bei Gelde. Märten. Das glaubt Euch jedermann. Sdnaps. Nun antwortet! Märten. Ja, was ſoll ich ſagen? Sdnaps (auffahrend und trotzig). Was wollt Ihr ſagen? Mörten. Nur gemach! Sinaps. Was könnt Ihr ſagen? Ihr ſeid cin Ver: wegner! (Puf den Scrant losgehend.) Shr habt verſchloßie Gewölbe! Märten. Das iſt Röſens Milchſchranf. Sdnaps (natiirlid).' Pfui! Ihr müßt im Gleichniffe bleiben. märten. Ja fo! Schnaps (wie oben). Und verſperrte Kaſten! Mörteit. Da ſind Kleider Grin. Snaps. Wo ſind die Schlüſſel? Märten. Röſe hat ſie mitgenommen. Sie iſt ſehr häuslich, ſehr ſorgfältig ; ſie verſchließt alles und trägt die Schlüſſel bei fidh. Sdnaps. Ausflüchte! Weitläuftigkeiten! Wo find die Schlüſſel? Märten. Ich habe ſie nicht. Schnaps. So werd ich aufbrechen müſſen. (Er zicht den Säbel und modit ſich an den Schrank.) Märten. Reitet Euch der Henker? diaps. Das iſt nur zum Erempel. Märten. Laßt das bleiben! Sdnaps. Was, fhr wollt Euch widerſeben? (Er bricht an den Leiſten.) Märten. Seid Ihr denn vom Teufel beſeſſen? Sdnaps. Das muß auf! (Er bridst.) Frick ! Krack ! Märten (herumlaufend). Röje! Röſe! wo biſt du? Sdnaps (bricit). Es geht! Arick ! Krack ! Märten. Görge! Görge! .. hthiaps. So haltet . Euer Maul und bedenkt, daß ich es Euch nur erzählungsweiſe vorbringe. Märten. Nur erzählungsweiſe ? Ich dächte, es wäre handgreiflich genug." . 9. Auftritt. 105 Schnaps. Bedenkt doch! Ihr ſeid jeßt der Edelmann. (Der Schranť geht indeſſen auf.) Märten. Gott bewahre mich! Da ſteht der Schrank auf. Die Leiſten ſind weggebrochen, das Schloß verdorben. Was wird Röſe ſagen? Padt Euch zum Henker! Wißt Ihr, daß ich das nicht leide! daß das Grobheiten ſind! Unge- zogenheiten! daß ich die Nachbarn rufen werde, daß ich zum Nichter gehen werde! Holnaps (der ſich indeſſen im Schranke umgeſehen und die Töpfe viſitiert hat). Zum Nichter? Eurem Todfeind? Zu dem ſtolzen Kerl ? Märten. Peſt! Sditaps. Wißt nur, daß fhr Nichter werden müßt, wenn wir nur hier erſt den Freiheitsbaum errichtet haben. Märten. Richter? Ich weiß wohl noch, wie ich geheimer Landrichter werden ſollte. Sdnaps. Das ſind jeßt andre Zeiten; man betrügt niemand mehr. . Märten. Das wäre mir lieb. Sdnaps. Man hat niemand zum beſten. Märten. Das iſt mir angenehm. Sdnaps. Nun, vor allen Dingen – Märten. Macht, daß ich Richter werde! Urhnaps. Dhne Zweifel. – Vor allen Dingen aber hört, wovon die Rede iſt. Märten. Die Rede iſt, daß wir die Schränke wieder zumachen. śdynaps. Mit nichten. Märten. Daß wir die Leiſten wieder annageln. Schnaps. Keinesweges. Die Rede iſt, daß Ihr begreift, warum man mich zum General gemacht hat. Märten. Das ſeh' ich freilich nicht ſo deutlich ein. Sdnaps. Alſo Grempli gratia - Märten. Noch ein Exempel ? Sdnaps. Wir haben ja noch keins gehabt. Märtent. Nur zu viel. Sdnaps. Ich ſage alſo – (Er holt einen großen Milchtopf und ſeht ihn auf den Tijd.)" Märten. Um Gotteswillen rührt mir den Topf nidit an! Röſe ſagt, das wäre jeßt ihr beſter. Schnaps. Das iſt mir lieb zu hören. Märten. Nehint doch einen kleinen Topf, wenn's ja ſein ſoll. 106 Der Bürgergeneral. Sdnaps. Nein, ich brauche den größten zu meinem Srempel. Märten. Nun, ſo ſag' ich Euch kurz und gut, daß ich von alle dem Zeuge nichts wiſſen will. Sdnaps. So! Märten. Und daß Ihr Euch aus dem Hauſe packen könnt. Adnaps. Ei! Märten. Und daß ich ganz und gar nichts Hören will. Sdnaps. Shr wollt nichts hören? Märten. Nein. Sdnaps. Jhr wollt nichts wiſſen? Märten. Nein. Sdnaps. Nichts annehmen? Märten. Nein. Schnaps (zicht den Säbel). So wißt, daß ich Euch das Ver- ſtändnis eröffnen werde.. Märteit. Mit dem Säbel? Das iſt eine ſchöne Manier. Sdnaps (ihm zu Leibe gehend). So wißt, daß Shr ſchuldig ſeid, Euch zu unterrichten, neue Gedanken zu erfahren; daß Fhr geſcheit werden müßt, daß Shr frei' werden müßt, daß fhr gleich werden müßt, Ihr mögt wollen oder nicht. Märten (beiſeite). Görge! Görge! Kämſt du nur! ich wollt ihn nicht verſtecken. Sdhnaps. Ihr hört alſo gern? Märten. Semiß. Sdnaps. Und habt keine Abneigung, Euch zu unter: richten? Märten. Keinesweges. Sdnaps. So iſt's recht. Märten. Ich find' es auch. Sdnaps. Nun gebt acht! Märten. Recht gern. Sdnaps. Dieſer Topf ſtellt ein Dorf vor. wärten. Ein Dorf? dynaps. Dber eine Stadt. Märten. Kurios! Sdnaps. Oder eine Feſtung. Märten. Wunderlich ! Sdnaps. fa! Zum Exempel eine Feſtung. Märten (beiſeite). Wenn ich nur die Erempel los wäre! Sdnaps. Ich ziehe davor. Märten. Was gibt das? 9. Auftritt. . 107 Schnaps. Ich fordre fie auf. Treteng! Treteng! (Die Trompete iradiahmend.) Märten. Er iſt ganz und gar verrückt. Sdnaps. Sie macht Mäuſe und will ſich nicht ergeben. Mörten. Daran thut ſie wohl. (Beiſeite.) Wenn nur Röſe käme, die Feſtung zu entſeßen. Sdnaps. Ich beſchieße ſie! Pu! Pu! Märten. Das wird arg! dhnaps. Ich mache ihr die Hölle heiß. Ich feße ihr Tag und Nacht zu. Pu! Pu! Pu! Sie ergibt ſich. Pärten. Da thut ſie übel. Schnaps (nähert ſich dem Topfe). Ich ziehe hinein. Märten. Es wird ihr ſchlimm gehen. Sdnaps (nimit den Löffel). Śch verſammle die Bürgerſchaft. Märten. Nun iſt's aus. Sdnaps. Die Wohlgeſinnten kommen eilig. Da laſſ? ich mich nieder (er ſekt fidi) und rede ſie an. Märten. Du armer Topf! Sdnaps. Brüder Bürger! ſag' ich. Märten. Das klingt freundlich genug. Sdnaps. Leider ſeh ich euch uneins. Märten. Im Topfe iſt es ja ganz ſtille. Sdnaps. Es iſt eine heimliche Gärung. Märten (horchend). Ich ſpüre nichts davon. Sdnaps. Ihr habt den urſprünglichen Zuſtand der Gleichheit verlaſſen. Märten. Wie ſo? Schnaps (pathetijd). Da ihr zuſammen noch reine Milch wart, fand ſich ein Tropfen wie der andere. . Märten. Das läßt ſich nicht leugnen. Sdnaps. Nun aber ſeid ihr ſauer geworden. Märten. Die Bürger? Sdnaps. Ihr habt euch geſchieden. Märten. Sieh soch! Sdnaps. Und ich finde, die Reichen, die unter dem ſauren Rahn vorgeſtellt werden – Märten. Das iſt ſchnafiſch! Sdnaps. Die Reichen ſchwimmen oben. Märten. Die Reichen ſind der ſaure Rahm? Ha! ha! Sdnaps. Sie ſchwimmen oben! Das iſt nicht zu dulden. Märten. Es iſt unleidlich ! Schnaps. Ich fchöpfe ſie alſo ab. (Er ſchöpft auf einen Teller.) 108 Der Bürgergeneral. Märten. O weh! Nun geht's drüber her. Sdnaps. Und wie ich den Rahm abgehoben habe, find ich die Schlippermilch.' Märten. Natürlich. Sdiraps. Die iſt auch nicht zu verachten. Märten. Mich deucht. Schnaps. Das iſt ſo der hübſche, wohlhabende Mittelſtand. Märten. Die Schlippermilch der Mittelſtand? Was das für Einfälle ſind! Schnaps. Davon nehme ich nach Gutdünken. (Er ſchöpft.) Märten. Der verſteht's. Ednaps. Nun rühre ich ſie untereinander (er rührt) und Lehre ſie, wie man ſich verträgt. Märten. Was ſoll's nun? ' Urhnaps (ſtekt auf und geht nach dem Schranke). Nun ſehe ich inrich in der Gegend unt und finde — (er bringt ein großes Brot bervor) einen Edelhof. Märten. Das iſt ja ein Brot. Schnaps. Die Édélleute haben immer die beſten Recfer in der Flur; drum werden ſie billig unter dem Ýrote vor: geſtellt. Märten. Das ſoll auch dran? Sdnaps. Natürlich! És muß alles gleich werden. Märten (beiſeite). Hätte er nur den Säbel nicht anhängen! Das macht unſer Spiel verwünſcht ungleich. Sdnaps. Da wird nun auch das nötige abgeſchnitten und Märten (beiſeite). Käme nur Görge! Sdnaps. Auf dem Reibeiſen gerieben. Märten. Gerieben? Snaps. Sa, um den Stolz, den liebermut zu demütigen. Märten. Ja! Ja! Sdnaps. Und wird ſodann unter das übrige gemiſcht und umgerührt. Märten. Seid Ihr bald fertig? . Sdnaps (bedächtig). Nun fehlen noch die geiſtlichen Güter. Märten. Wo ſollen die herfommen? Sdnaps. Hier find' ich eine Zuckerſchachtel. (Er greift nach der, weldje bei dem Saffcezeuge ſteht.) Märter (fällt ihm in den Arm). Laßt ſtehen! Rührt ſie nicht an! Röſe wiegt mir immer für die ganze Woche Zucker ab; damit muß ich reichen. 10. Auftritt. 109 Sdnaps (an den Säbel greifend). Bürger ! Märten. Geduld! Sdnaps. Die geiſtlichen Herren haben immer die ſchmack- hafteſten, die füßeſten Beſitztümer - Märten. Es muß ſie ja jemand haben. Srhnaps. Und werden deshalb billig durch den Zucker · repräſentiert. Der wird nun auch gerieben – Märten. Was fang'ich an? Srhnaps. Und drüber geſtreut. Märten (beiſeite). Ich hoffe, du follft mir das bezahlen. (Ang Fenſter.) Horch! Kommt Görge wohl? Schnaps. Und ſo iſt die ſauerſüße Milch der Freiheit und Gleichheit fertig. Märten (am Fenſter, fciſe). Es war nichts. Sdnaps. Kommt her! Was macht Fhr am Fenſter? Märten. Ich dachte, es käme jemand. Sdnaps. Görge kommt doch nicht? (Er ſteht auf.) Märten. Es iſt alles ſtille. Bunaps. Laßt einmal ſehen. (Er tritt an das Fenſter und legt ſich auf Märten.) 10. Auftritt. Die Vorigen. Görge, der zur Sinterthiir Hercinſchreidt. Görge (leiſe). Wer zum Henker iſt beim Vater? Sollte das Schnaps ſein? Märten (am Fenſter). Drückt mich- nicht ſo! Sdnaps. Ich muß ja ſehen. (lehnt ſich hinaus.) Märten. Was benn? Hanaps. Wie ſich ineine Soldaten betragen. Görge (wie oben). Es iſt ſeine Stimme! Wie ſieht der Kerl aus? Sdnaps. Brav! meine wackern Freunde! Märten. Mit wem redet Ihr? Hanaps. Seht ihr nicht, wie meine Leute uin den Freiheitsbaum tanzen? Mürteit. Seid Ihr toll? Es regt ſich keine Seele. Görge. Er iſt's fürwahr! Was heißt das? Der Vater ſchließt ſich mit ihm ein! Wie er vermummt iſt! Glücklich, daß ich die Hinterthür offen fand ! 110 Der Bürgergeneral. Sdnaps. So ſeht doch, mie man euern Weibern und Töchtern Begriffe von der Freiheit und Gleichheit beibringt! Märten (der ſich losmachen will, aber von Schnaps gehalten wird). Das iſt zu arg. Görge. Was ſie nur zuſammen reden! Ich verſtehe nichts. (Sidy umſchend.) Was fort das heißen? Der Schrank offen! Saure Milch zurechte gemacht! Das ſoll wohl ein Frühſtück werden? Schnaps (wie oben). So freut Euch doch, wie alles einig und vergnügt ift. Märten. In Eurem Kopfe muß es wunderlich ſpufen; ich ſehe nichts. Görge (fich zurückzichend). Ich muß nur horchen. Urhnaps (Märten loslaſſend). Esch ſehe alles im Geiſte; Shr .werdet es bald por Eurem Hauſe mit Augen ſehen. Märfen. In meinem Haufe ſeh' ich ſchon im voraus nichts Gutes. dnaps (nod, einmal zum Fenſter hinausſehend, für ſich). Alles iſt ruhig und ſicher. Nun geſchwind an die Mahlzeit! (Er tritt an den Tijd.) Märten. Säh' ich dich wo anders! Sdinaps. O du liebliche Suppe der Freiheit und Gleich: heit, ſei mir geſegnet! – Seht her! Märten. Was gibt's ? Sdnaps. Nun ſetzt ſich der Bürgergeneral drüber. Märten. Das dacht' ich. Sdnaps. Und verzehrt ſie. Märten. Allein? Sdnaps (cijend). Nicht doch! - Mit den Seinigen. Märten. Das iſt Honett. Schnaps. Sekt Euch, Bürger Martin. Märten. Danke ſchön! Sdnaps. Laßt's Euch ſchmecken. Märten. Ich bin nicht hungrig. Snaps. Scheut Euch nicht vor mir, wir ſind alle gleich. Märten. Das merf ich. Sdnaps. Ihr ſeid ein braver Bürger. Märten. Davon weiß ich kein Wort. Schnaps. Ihr ſollt mein' Korporal werden. Märten. Viel Ehre! Sdnaps. Sekt Such, mein Korporal. Märten. Ihr ſcherzt, mein General. ; 10. Auftritt. 111 Sdnaps (aufſtehend und komplimentierend). Mein Korporal. Märten. Mein General. (Görge, der ſich indeſſen hervorgeſchlichen, trifft Schnapſen mit dem Stode, indem er ſid, büdt.) Sdnaps. Was iſt Bas? Görge. Mein General ! Märten. Bravo, Görge! Görge (auf Schnapſen ſchlagend). Mein Korporal ! Sdnaps. Heilige Freiheit, ſtehe mir bei! Görge. Find' ich dich To ? Märten. Nur zu! Sdnaps. Heilige Gleichheit, nimm dich meiner an! Görge. Singe nur! ich ſchlage den Takt. Schnaps (den Säbel ziehend und ſich zur Wehre ſehend). Heilige Revolutionsgewalt, befreie mich! Görge. Was? Du willſt dich wehren? Märten. Nimm dich in acht, der Kerl iſt deſperat. Görge. Der Nichtswürdige! er ſoll mir kommen! (Dringt auf Schnapſen-ein.) Sdnaps. D weh mir! Görge. Du folift empfinden! Märten. Den Säbel her! Görge (ihn entwaffnend). Jich habe ihn ſchon. Schnaps (hinter Tiſd) und Stühle ſid) verſchanzend). Nun gilt Kapitulieren. Görge. Hervor! Sdnaps. Beſter Görge, ich ſpaße nur! Görge. Ich auch. (Er (dlägt nach ihm, trifft aber nur den Tiſch.) Märten. Triff ihn! dnaps (madt ſich hervor und läuft herum). Oder ſonſt Görge (iyin nads). Das ſoll dir nichts helfen. Sdnaps (da er gegen das Fenſter kommt)., Hilfe! Hilfe! Görge (treibt ihn weg). Willſt du ſchweigen! Sdnaps (wie oben). Feuer! Feuer! Märten (verrennt ihm von der andern Seite den Weg). Stopf ihm das Maul ! Sdnaps (hinter zwei Stühlen verídanzt). Verſchont inich! Es iſt genug. Görge. Willſt du heraus! Sdnaps (wirft ihnen die Stühle nadı den Beinen, ſte ſpringen zurüd). Da habt ihr's! Görge. Warte nur! 112 Der Bürgergeneral. :', Sdnaps. Wer ein Narr wäre! (Springt zur Hinterthiir hinaus.) Görge. Ich haſche dich doch. (Jhm nad).) Märten (ſteht und reibt das Bein, das der Stuhl getroffen hat, und hinft den übrigen Teil des Stüđa). Der Böſewicht! Mein Bein! Hat er's doch auch brav abgekriegt! 11. Auftritt. Märten. Röje. Sjernadı Görge. Röſe (von außen). Vater! Vater! Märten. O weh, Röſe! Was wird die zu der Geſchichte ſagen? Röſe. Macht auf, Vater! Was iſt das für ein Lärm? Märten (am Fenſter). Ich komme! Warte nur! Görge (zur Hinterthür Herein). Der verwünſchte Kerl! Er hat ſich in die Kammer eingeſperrt; ich hab aber gleich das Vor- legeſchloß vorgelegt, er ſoll uns nicht entwiſchen. Röſe. Vater! wo bleibt Ihr? Macht auf! . :: Görge. Das iſt ja Nöſe. Märten. Geh! Ich hinke. Mad' ihr die Thür auf! (Görge ab.) Nun geht das Unglück an. Die arme Röſe! Der ſchöne Topf! (Seft ſids.) Görge (der mit Nöſen hereinkommt). Sieh nur, Nöſe. Röſe. Was iſt das? Was gibt das? Görge. Denke nur — Röſe. Mein Topf! Vater, was heißt das? Märten. Schnaps — Görge. Stell' dir nur vor – Röſe. Mein Schrank! Der Zucker! (Hin und her laufend.) O weh! o weh! Schnaps? Wo iſt er? Görge. Sei ruhig, er iſt eingeſperrt. Röſe. Das iſt recht. Wir wollen ihn gleich den Gerichts- leuten überliefern. Sie kommen ſchon. Märten (aufſpringend und hintend). Wer? Röſe. Die Nachbarn ſind zum Richter gelaufen, da es hier im Hauſe Lärm gab. Märten. Zum Richter? D weh, wir ſind verloren! Röle. Mein ſchöner Topf! Görge. Er ſoll's bezahlen. Märten. Hört mich, Kinder, hört mich! Vergeßt Topf und alles! 11. 4. 12. Auftritt. 113 : Röſe. Warum nicht gar? Märten. Schweig und höre! Wir dürfen Schnapſen nicht verraten; wir müſſen ihn verleugnen. Görge. Das wäre ſchön! Märten. So höre doch! Wir ſind alle verloren, wenn ſie ihn finden. Er iſt ein Abgeſandter vom Jakobinerklub. Röſe. Unmöglich! Der Schuft? Märten. Warum nicht? Sie finden ihn in der liniform. Er kann's nicht leugnen. Görge. Ja, die hat er an. Märteit. Und wir werden verdächtig, wir werden ein- gezogen, wir müſſen vors Amt! Gott weiß! Görge. Wir könnten ja aber ſagen — Märten. Eile nur und ſag', es ſei nichts geweſen. Görge. Wenn ſie's nur glauben! (Eilig ab.) Röſe. Ich gebe mich nicht zufrieden. Mein ſchöner Topf! Märten. Narrenspoſſen! Beſinne dich auf was, unſre Köpfe zu retten. Röſe. Die verliert man nicht gleich. Ihr dürft ja nur ſagen, wie Euch der Kerl Hätte anwerben wollen, hätte ihn Görge brav durchgeprügelt. Märten. Das wäre vortrefflich! Warum iſt dir’s nicht gleich eingefallen? Nun iſt Görge hinunter und verleugnet ihn; nun ſind wir verdächtig. Es iſt ein Unglück! Ein Unglück! Röle. O verwünſcht! 12. Auftritt. Die Vorigen. Der Nidter. Görge. Bauern. Ridhter (hereindringend). Nein, nein, ich muß die Sache unterſuden. Görge ihn abhaltend). Es iſt nichts. Märten. Muß ich den Richter in meinem Hauſe ſehen? Ich unglüdlicher Mann! Röle (vortretend). Bemüh' Er fich nicht, Herr Richter ! Ridter, Kein Bemühen! Es iſt Schuldigkeit. Wer hat Feuer geſchrieen? Röſe. Es war Spaß. Ridhter. Man ſpaßt nicht ſo. Wer hat Hilfe gerufen? Röſe. Ich – ich – neckte mich mit Görgen. Ridjter. Nedtet Euch? Goethe, Werke. VIII. 114 Der Bürgergeneral. . Röſe (führt den Richter herum und erzählt, indem ſie ſich beſinnt). Da hatt' ich im Milchſchranke einen ſchönen Topf ſaure Milch . und ſchloß den Schrank zu und ging weg – Da kam Görge - Warte nur, Görge! — Da kam Görge und hatte Appetit - und brach den Schrank auf. : Ritter. Ei! ei! Röſe. Ind rahmte mir den Topf ab – und machte ſich ein Frühſtück zurecht — hier ſteht es noch – da kam ich nach Hauſe – und war böſe – und — gab ihm eine Ohr- feige - da haſcht" er mich) — und kikelte mich, und da, ſchrie ich – und da balgten wir uns, und da warfen wir die Stühle um – und da fiel einer dem Vater auf die Füße — Nicht wahr, Vater? Märten. Shr ſeht, wie ich hinke. Röſe. Und da ſchrie ich noch ärger – und - Ridter. Und da log ich dem Richter was vor. Röſe. Ich lüge nicht. Richter. Ich glaube, shr wißt es ſelbſt nicht, ſo glatt geht's Euch vom Maule. Glaubt Ihr, daß unſer einer nicht beſſer aufpaßte? Görge. Wie ſo? Richter (su Röſen). Gingt fhr nicht eben vor meinem Hauſe vorbei ? Röſe. Ja. Ridter. Begegnetet Ihr nicht dieſen Leuten? Röſe. Ich erinnere mich's nicht. Richter (zu den Baucin). Iſt fie euch nicht begegnet? Ein Baner. Ja! und fie hat mit uns geſprochen, und wir haben ihr geſagt, daß bei ihrem Vater großer Lärm wäre. Märten. Nun iſt's aus! Röſe. D verwünſcht! Görge. So geht's mit dem Ausreden! Ridjter. Da ſteht Ihr nun! Was ſagt Ihr dazu? (Sie ſehen einander an; der Nichter geht auf und nieder und findet die Müfe.) Dho? Was iſt das? Görge. Ich weiß nicht. Ridter (ſieht ſich um und findet den Hut mit der Rokarde). Und das? Röſe. Ich verſteh's nicht. . Ridhter (hält ſie Märten hin). Nun? Vielleicht wißt Ihr? Vielleicht verſteht Ihr? Märten (für jid). Was ſoll ich ſagen? - Ridster. So werd' id's Euch wohl erklären müſſen. 12. Auftritt. 115 f Das iſt eine Freiheitsmüße. Das iſt eine Nationalkokarde. Eine ſchöne Entdeckung! Nun ſteht fhr da und verſtummt, weil es zu deutlich iſt. — In dieſem Hauſe iſt alſo der Klub der Verſchwornen, die Zuſammenfunft der Verräter, der Sitz der Rebellen? - Das iſt ein Fund! das iſt ein Glück! – Fhr habt euch gewiß unter einander veruneinigt, wie die Franzoſen auch – und ſeid euch einander in die Haare ge- fallen. - habt euch ſelbſt verraten. So iſt's ſchon recht! - Wir wollen weiter hören. Röſe. Lieber Herr Richter! · Ridter. Sonſt ſeid Ihr ſo ſchnippiſch. Jeßt könnt Ihr - bitten. Görge. Ihr müßt wiſſen -- Ridter. Ich muß? – Jhr werdet bald anders reden. Märten. Herr Gevatter! Ridler. Bin ich einmal wieder Gevatter?... Röſe. Seid Ihr nicht mein Pate? Ritter. Seit der Zeit hat ſich vieles geändert. Märten. Laßt Euch ſagen - Ridhter. Schweigt! Ihr dürft mir gar nicht kommen! Habt ihr nicht etwa ſchon Anſtalt zum Freiheitsbaum ge- machi? Habt ihr nicht ſchon abgeredet, mich an den erſten beſten Pfahl zu hängen? Man weiß, wie jetzt das unruhige Volk von ſeiner Obrigkeit ſpricht, wie es denkt! Es ſoll ihm übel bekommen! Es ſoll euch übel bekommen! (Zu den Bauern.) Fort mit ihnen! Ind gleich zum Gerichtshalter! Es muß perſiegelt werden, es muß inventiert werden. Es finden ſich Waffen, Pulver, Kofarden! Das gibt eine Unterſuchung. Fort! Fort! Märten. Ich unglücklicher Main! Röſe. So laßt Such bedeuten, Herr Richter. Richter. Etwa belügen, Mamſell Röschen! Fort! fort! Görge. Wenn's nicht anders iſt, ſo fóll Schnaps auch mit. Da muß fich die Sache aufklären. Richjfer. Was ſagt. Ihr von Schnaps ? Görge. Ich ſage – Röſe (am Fenſter). Da kommt zum Glück der gnädige Herr. Richter. Der wird's zeitig genug erfahren. Görge. Ruf ihn! Röſe. Gnädiger Herr! Gnädiger Herr! Zu Hilfe! zu Hilfe! · Richter. Schweigt nur! Er wird euch nicht helfen; er 116 Der Bürgergeneral. wird. froh ſein, daß ſolche Böſewichter entdeckt ſind. Und dann iſt es eine Polizeiſache, eine Kriminalſache; die gehört für mich, für den Gerichtshalter, für die Regierung, für den Fürſten! Es muß ein Exempel ſtatuiert werden! Märten. Da haben wir das Exempel! 13. Auftritt. Die Vorigen. Der Edelmann. Edelmann. Kinder, was gibt's ? Röſe. Helfen Sie uns, gnädiger Herr! Ridhter. Hier ſehen Ew. Gnaden, was ſich im Hauſe findet. Edelmann. Was denn? . Ridter. Eine Freiheitsmüße. Edelmann. Sonderbar! Ridjter. Eine Nationalkokarde. Edelmann. Was ſoll das heißen? Richter. Verſchwörung! Aufruhr! Hochverrat! (Er behärt die Mütze und Kokarde in der Hand und nimmt ſie hernad) mit hinaus.) Edelmann. Laßt mich fragen! Richter. Laſſen Sie uns nachſuchen! Wer weiß, was noch im Hauſe ſteckt. Edelmann. Stille! Röſe. Gnädiger Herr! Edelmann. Dieſe Sachen? Märten. Brachte Schnaps ins Haus. Görge. In meiner Abweſenheit. Märten. Brach die Schränke auf. - Röſe. Machte ſich über die Milchtöpfe - Märten. Und wollte mich in der Gleichheit und Frei- heit unterrichten. Edelmani. Wo iſt er? Görge. In der Hinterkammer. Er hat ſich eingeſperrt, als ich ihi verfolgte. Edelmani. Schafft ihn herbei! (Görge mit dem Nichter und den eu wie ich merke. Edelmain. Wie kam er ins Haus ? Märten. In meiner Kinder Abweſenheit. 13. Auftritt. 117 Röſe. 'Er fürchtet ſich vor Görgen. Märten. Šr machte inich neugierig. Edelmann. Man ſagt, Śhr ſeid's manchmal. Märtenr. Verzeihen Sie! Edelmann. Und ein bißchen Leichtgläubig dazu. Märten. Er machte es gar zu wahrſcheinlich, daß er die wichtigſten Sachen wiſſe. Edelmann. Und hatte Euch zum beſten. Märten. Wie es ſcheint. Röſe. Es war ihm nur um ein Frühſtück zu thun. Da fehen Sie nur, gnädiger Herr, welche ſchöne ſaure Milch er fich zurecht gemacht hat, mit geriebenem Brot und Zuder und allem. Das liebe Gut! man muß es nun wegwerfen; es kann's fein ehrlicher Menſch genießen, da der Unflat die Schnauze drüber gehabt hat. Edelmann. Et wollte alſo ein Frühſtück gewinnen? Märten. Nach ſeiner Art. Er ſagte, er ſei von den Jakobinern abgeſchickt. Edelmann. Und weiter? Märten. Zog er eine Uniform an und bewaffnete fich. Edelmann. Toll genug! Märten. Und ſagte, er wäre Bürgergeneral, und warð init jedem Augenblick gröber. Edelmanit. Das iſt ſo die Art. Märten. Erſt that er freundlich und vertraut; dann ward er brutal und brach mit den Schrank auf und nahm, was ihm gefiel. Edelmann. Gerade wie ſeine Kollegen! Märten. Ich bin recht übel Gran. Edelmann. Noch nicht ſo übel, wie die Provinzen, wo ſeinesgleichen gehauſt haben; wo gutmütige Thoren ihren auch anfangs zufielen, wo ſie mit Schineicheln und Verſprechungen anfingen, mit Gewalt, Raub, Verbannung ehrlicher Leute und allen Arten böfer Begegnung endigten. Dankt Gott, daß Ihr ſo wohlfeil davonkomint! Röſe. Sie ſchützen uns alſo, gnädiger Herr? Edelmann. Es ſcheint, daß ihr nichts verſchuldet habt. Märtenr. Da kommen ſie. 118 Der Bürgergeneral. . 14. Auftritt. Die Morinen. Görae. Der Richter. Schnaps, von den Bauern geführt, in der Uniform, mit Säbel und Schnurrbart. Edelmann. Hervor, Herr General ! Richter. Hier iſt der Rädelsführer!' Sehen Sie ihn nur an! Alles, was die Zeitungen ſchreiben. Uniform! Säbel! (Er ſetzt ihm Mütze und Hut auf.) · Müße! Hut! So ſoll er am Pranger ſtehen! Geſchwind zum Gerichtshalter! Verhört ! În Ketten und Banden nach der Reſidenz geſchleppt! Edelmani. Sachte ! Sachte! Richter. Boten fort! Der Kerl iſt nicht allein! Man muß ihn torquieren! Man muß die Mitverſchwornen ent- decken! Man muß Regimenter marſchieren laſſen! Man inuß 5a6fuc5ung thun! Edelmann. Nur gemach! - Schnaps, was ſind das für Poſſen? Sdnaps. ja wohl, eitel Poſlen! Edelmann. Wo ſind die Kleider her? Geſchwind! ich weiß ſchon. Schnaps. Sie können unmöglid) wiſſen, gnädiger Herr, daß ich dieſe Kleider mit dem ganzen militäriſchen Apparat von einem armen Teufel geerbt habe. Edelmanı. Geerbt? Er pflegt ſonſt zu ſtehlen. Schiaps. Hören Sie mich an! Märten. Was wird er ſagen? Sdnaps. Als der letzte Transport franzöſiſcher Kriegs- gefangnen durch die Stadt gebracht wurde — Edelmann. Nun? naps. Schlich ich aus Neugierde hinein. Edelmann. Weiter! Schnaps. Da blieb im Wirtshauſe in der Vorſtadt ein armer Teufel liegen, der ſehr krank war. Richter. Das iſt gewiß nicht wahr. Holnaps. Ich nahm mich ſeiner an, und er -- verſchied. Edelmann. Das iſt ſehr wahrſcheinlich. Sdnaps. Er vermachte mir feine Sachen für die Mühe, die ich mir genommen - Edelmann. Shn umzubringen. Sdnaps. Beſtehend aus dieſem Rocke und Säbel. Edelmann. Und die Müße? Die Kokarde? Sdnaps. Fand ich in ſeinem Mantelſack unter alten Luipen. 14. Auftritt. . 119 Edelmann. Da fand Er ſein Generalspatent. Sdnaps. Ich kam hierher und fand den einfältigen Märten. Märten. Den einfältigen Märten? Der Unverſchämte! Sdnaps. Leider gelang es mir nur zur Hälfte; ich fonnte die ſchöne Milch nicht auseſſen, die ich eingebrodt hatte. Ich kriegte darüber eine kleine Differenz mit Görgen - Edelmann. Dhne Umſtände! Iſt alles die reine Wahr-, heit, was Er ſagt? Sdnaps. Erkundigen Sie ſich in der Stadt. Ich will : angeben, wo ich den Mantelſack verkauft habe. Dieſe Gar- derobe trug ich im Barbierbeutel herüber. Edelmanit. Es wird ſich alles finden. Ritter. Glauben Sie ihn nicht! Edelmann. Ich weiß, was ich zu thun habe. Findet ſich alles wahr, ſo muß eine ſolche Kleinigkeit nicht gerügt werden; ſie erregt nur Schrecken und Mißtrauen in einem ruhigen Lande. Wir haben nichts zu befürchten. Kinder, liebt euch, beſtellt euren Ader wohl und haltet gut haus! Röſe. Das iſt unfre Sache. Görge. Dabei bleibt's. Edelmann. Und Euch, Alter, ſoll es zum Lobe gereichen, wenn Ihr Euch auf die hieſige Landsart und auf die Witte- rung verſteht und Euer Säen und Ernten darnach einrichtet. Fremde Länder laßt für ſich ſorgen und den politiſchen Himmel betrachtet allenfalls einmal Šonn- und Feſttags. Märten. Es wird wohl das Beſte ſein.. Edelmann. Bei ſich fange jeder an, und er wird viel zu thun finden. Er benutze die friedliche Zeit, die uns ge . gönnt iſt; er ſchaffe ſich und den Seinigen einen rechtmäßigen Vorteil, ſo wird er dem Ganzen Vorteil bringen. Richter (der indeffen ſeine lingeduld gezeigt hat, gleichſam cinfallend). Aber dabei kann's Doch unmöglich bleiben! Bedenken Sie die Folgen! Ginge ſo was ungeſtraft hin – Edelmann. Nur gelaſſen! Unzeitige Gebote, unzeitige Strafen bringen erſt das lebel hervor. In einem Lande, wo der Fürſt ſich vor niemand verſchließt; wo alle Stände billig gegen einander denken; ipo niemand gehindert iſt, in ſeiner Art thätig zu ſeint; wo nübliche Einſichten und Kennt: niffe allgemein verbreitet ſind: da werden keine Parteien ent- ſtehen. Was in der Welt geſchieht, wird Aufmerkſamkeit erregen;.. aber aufrühreriſche Geſinnungen ganzer Nationen werden keinen 120 Der Bürgergeneral. Einfluß haben. Wir werden in der Stille dankbar ſein, daß wir einen heitern Himmel über uns ſehen, indes unglückliche Gewitter unermeßliche Fluren verhageln. Röſe. Es hört ſich Ihnen ſo gut zu! Görge. Wahrhaftig, Röſe! – Reden Sie weiter, gnädiger Herr! Edelmann. Ich habe ſchon alles geſagt. (Erzieht Sajnapſen hervor.) Und wie viel will das ſchon heißen, daß wir über dieſe Kokarde, dieſe Müße, dieſen Rock, die ſo viel Uebel in der Welt geſtiftet haben, einen Augenblick lachen konnten! Röſe. Ja, recht lächerlich ſieht Er aus, Herr Schnaps ! Görge. Ja, recht albern! Sdnaps. Das muß ich mir wohl gefallen laſſen. (Nady der Milch ſchielend.) Wenn ich nur vor meinem Abzug die andere Hälfte der patriotiſchen Kontribution zu mir nehmen dürfte! Röſe. So gut joll's fhm nicht werden! Die Kufgeregfen. Politiſches Drama in fünf Ukten. Perſonen. Die Gräfin. Der Magifter, Hofmeiſter des Friederife, ihre Tochter. jungen Grafen. Karl, ihr Söhnchen. Der Aintmann. Der Baron, ein Vetter. Jakob, junger Landmann und Der Hofrat. Jäger. Breme von Bremenfeld, Martin, ) Chirurgus. Albert, ļ Landleute. . Karoline, Bremens Todter. Peter, luiſe, Bremens Nichte. | Georg, Bedienter der Gräfin. & r fier Nufzug. 1. Auftritt. Ein gemeines Wohnzimmer, an der Wand zwei Bilder, eines bürger- lichen Mannes und ſeiner Frau, in der Tracht, wie ſie vor funfzig oder ſechzig Jahren zu ſein pflegte. Nacht. Luiſe, an einem Tiſde, worauf ein Licht ſteht, ſtrickend. Karoline, in cinem Großvaterſeffel gegenüber, dilafend. . Luiſe (einen vollendeten geſtrickten Strumpf in die Höhe Haltend). Wieder ein Strumpf! Nun wollt ich, der Onkel fäme nach Hauſe; denn ich habe nicht Luft, einen andern anzufangen. (Sie ſteht auf und geht ans Fenſter.) Er bleibt heut ungewöhnlich lange weg, ſonſt kommt er doch gegen elf Uhr, und es iſt jetzt ſchon Mitternacht. (Sie tritt wieder an den Tiſch) Was die franzöfiſche Revolution Gutes oder Böſes ſtiftet, kann ich nicht beurteilen; ſo viel weiß ich, daß ſie mir dieſen Winter einige Paar Strümpfe mehr einbringt. Die Stunden, die ich jetzt machen und warten muß, bis Herr Breme nach Hauſe kommt, hätt' ich verſchlafen, 122 Die Aufgeregten. wie ich ſie jetzt verſtricke, und er verplaudert ſie, wie er ſie ſonſt verſchlief. Karoline (im Schlafe redend). Nein, nein! Mein Vater! Luiſe (ſich dem Seſſel nähernd). Was gibt's, liebe Muhme? - Sie antwortet nicht! – Was nur dem guten Mädchen fein mag! Sie iſt ſtill und unruhig; des Nachts ſchläft ſie nicht, und jeßt, da ſie por Müdigkeit eingeſchlafen iſt, ſpricht ſie im Traume. Sollte meine Vermutung gegründet ſein? Sollte der Baron in dieſen wenigen Tagen einen ſolchen Eindruck auf ſie gemacht haben, ſo dnell und ſtark? (Hervortretend.) Wunderſt du dich, Luiſe, und haſt du nicht ſelbſt erfahren, wie die Liebe wirkt !' wie ſchnell und wie ſtark ! . 2. Auftritt. Die Vorigen. Georg. Georg (heftig und ängſtlich). Liebes Mamſellchen, geben Sie - mir geſchninde, geſchwinde - Luiſe. Was Senn, Georg? Georg. Geben Sie mir die Flaſche. Luiſe. Was für eine Flaſche ? Georg. Ihr Herr Onkel ſagte,: Sie ſollen mir die Flaſche geſchwinde geben; ſie ſteht in der Kammer, oben auf dem Brette rechter Hand. Luiſe. Da ſtehen viele Flaſchen; was ſoll denn drinne ſein? Georg. Spiritus. Luiſe. Es gibt allerlei Spiritus; hat er ſich nicht deut: licher erklärt? wozu ſoll's denn? Georg. Er ſagt es wohl, ich war aber ſo erſchrocken. Ach, der junge Herr –.. Karoline (die aus dem Schlafe auffährt). Was gibt's ? — Der Baron? Luiſe. Der junge Graf. Georg. Leider, der junge Graf! Karoline. Was iſt ihm begegnet? Georg. Geben Sie mir den Spiritus. Luiſe. Sage nur, was dem jungen Grafen begegnet iſt, ſo weiß ich wohl, was der Onkel für eine Flaſche braucht. Georg. Ach, das gute Kind! was wird die Frau Gräfin ſagen, wenn ſie morgen fömmt! zvie wird ſie uns ausſchelten! Karoline. So red? Er doch! Erſter Aufzug. 2. Auftritt. 123 Georg. Er iſt gefallen, mit dem Kopfe vor eine Tiſch- ecke; das Geſicht iſt ganz in Blut; wer weiß, ob nicht gar das Auge gelitten hat. Luiſe (indem ſie einen Wachsſtock anzündet, und in die Kammer geht) Nun weiß id), pas ſie brauchen. Karoline. So ſpät! wie ging das zu? Georg. Liebes Mamſellchen, ich dachte lange, es würde nichts Gutes werden. Da ſikt Jhr Vater und der Hofmeiſter allé Abend beim alten Pfarrer und leſen die Zeitungen und Monatsſchriften, und ſo disputieren ſie und können nicht fertig werden, und das arme Kind muß dabei ſitzen; da druckt ſich's denn in eine Ecke, wenn's ſpät wird, und ſchläft ein, und wenn ſie aufbrechen, da taumelt das Kind schlaftrunken mit. Und heute — nun ſehen Sie — sa chlägt's eben Zwölfe - heute bleiben ſie über alle Gebühr aus, und ich ſitze zu Hauſe und habe Licht brennen, und dabei ſtehen die andern Lichter für den Hofmeiſter und den jungen Herrn, und Ihr Vater und der Magiſter bleiben vor der Schloßbrücke ſtehen und können auch nicht fertig werden - Luiſe (kommt mit einem Glaſe zurück). . Georg (fährt fort). Und das Kind kommt in den Saal getappt und ruft mich, und ich fahre auf und will die Lichter anzünden, wie ich imnier thue, und wie ich ſchlaftrunken bin, löſche ich das Licht aus. Indeſſen tappt das Kind die Treppe hinauf, und auf dem Vorſaal ſtehen die Stühle und Tiſche, die wir morgen früh in die Zimmer verteilen wollen; Das Kind weiß es nicht, geht gerade zu, ſtößt ſich, fällt, wir hören es ſchreient, ich mache Lärm, ich mache Licht, und wie wir hinauf kommen, liegt's ba und weiß kaum von ſich ſelbſt. Das ganze Geſicht iſt blutig. Wenn es ein Auge verloren hat, wenn es gefährlich wird, geh' ich morgen früh auf und davon, ehe die Frau Gräfin ankommt; \mag's verantworten, wer will! Luiſe (die indeſſen einige Bündelchen Leinwand aus der Schublade genommen, gibt ihm die Flaſche). Hier! geſchwind! trage das hinüber und nimm die Läppchen dazu , ich fomme gleich ſelbſt. Der Himmel verhüte, daß es ſo übel ſei! Geſchwind, Georg, ge- ſchwind! (Georg ab.) Luiſe. Halte warmes Waſſer bereit, wenn der Onkel nach Hauſe kommt und Kaffee verlangt. Ich will geſchwind hinüber. Es wäre entſetzlich, wenn wir unſere gute Gräfin ſo empfangen müßten. Wie empfahl ſie nicht dem Magiſter, after bereit sich miculite Seiten 124 Die Aufgeregten. wie empfahl fie nicht mir das Kind bei ihrer Abreiſe! Leider habe ich ſehen müſſen, daß es die Zeit über ſehr verſäumt worden iſt. Daß man doch gewöhnlich ſeine nächſte Pflicht verſäumt! (ab). 3. Auftritt. Si a roline, hernach der Baron. Karoline (nadidem fic einige Male nadidenfend auf und ab gegangen). Er verläßt mich keinen Augenblick, auch im Traume ſelbſt war er mir gegenwärtig. D, wenn ich glauben könnte, daß ſein Herz, ſeine Abſichten ſo redlich ſind als ſeine Blicke, ſein Betragen reizend und einnehmend iſt! Ad), und die Art, mit der er alles zu ſagen weiß, wie edel er ſich ausdrü&t! Man ſage, was man will, welche Vorzüge gibt einem Menſchen von edler Geburt eine ſtandesmäßige Erziehung! Ach, daß ich doch feinesgleichen wäre! ... Der Baron (an der Thüre). Sie ſind allein, beſte Karoline? .. Karoline. Herr Baron, wo kommen Sie her? Gritfernen Sie ſich! wenn mein Vater käme! Es iſt nicht ſchön, mich ſo zu überfallen. Baron. Die Liebe, die mich hieher führt, wird auch mein Fürſprecher bei Ihnen ſein, angebetete Karoline. (Er will ſie umarmen.) Karoline. Zurück, Herr Baron! Sie ſind ſehr verwegen! Wo kommen Sie her? Baron. Ein Geſchrei weckt mich, ich ſpringe herunter und finde, daß mein Neffe fich eine Brauſche gefallen hat. Ich finde Shren Vater um das Kind beſchäftigt, nun kommt auch Shre Muhme; ich ſehe, daß es keine Gefahr hat, es fällt mir ein: Karoline iſt allein! Und was kann mir bei jeder Gelegenheit anders einfallen als Karoline? Die Augen- Blicke ſind koſtbar, ſchönes , angenehmes Kind! Geſtehen Sie mir, ſagen Sie mir, daß Sie mich lieben (will fie umarmen). Karoline. Noch einmal, Herr Baron! Laſſen Sie mich und verlaſſen Sie dieſes Haus! . Baron. Sie haben verſprochen, mich ſo bald als mög- lich zu ſehen, und wollen mich nun entfernen? Karoline. Ich habe verſprochen, morgen früh mit Sonnen- aufgang in dem Garten zu ſein, mit Ihnen ſpazieren zu gehen, mich Ihrer Geſellſchaft zu freuen. Hieher Haß ich Sie nicht eingeladen. Erſter Aufzug. 3. Auftritt. 125 16t. Baron. Aber die Gelegenheit – Karoline. Hab ich nicht gemacht. Baron. Aber ich benuße ſie; können Sie mir es ver- denken? Karoline. Ich weiß nicht, was ich von Ihnen denken ſoll. Baron. Auch Sie — laſſen Sie es mich frei geſtehen – auch Sie erkenne ich nicht." Karoline. Und worin bin ich mir denn ſo unähnlich! Baron. Können Sie noch fragen? Karoline. Ich muß wohl, ich begreife Sie nicht. Baron. Ich foll reden? Karoline. Wenn ich Sie verſtehen ſoll. Baron. Nun gut. Haben Sie nicht ſeit den drei Tagen, die ich Sie kenne, jede Gelegenheit geſucht, mich zu ſehen und zu ſprechen? " Karoline. Ich leugne es nicht. Baron. Haben Sie mir nicht, ſo oft ich Sie anſah, mit Blicken geantwortet? und mit was für Blicken! Karoline (verlegen). Ich kann meine eignen Blicke nicht fehen. Baron. Aber fühlen, was ſie bedeuten – Haben Sie mir, wenn ich Ihnen im Tanze die Hand drückte, die Hand nicht wieder gedrückt? Karoline. Ich erinnere mich's nicht. Baron. Sie haben ein kurzes Gedächtnis, Karoline. Als wir unter der Linde brehten und ich Sie zärtlich an mich fchloß, damals ſtieß mich Raroline nicht zurück. Karoline. Herr Baron, Sie haben ſich falſch ausgelegt, was ein gutherziges, unerfahrnes Mädchen - Baron. Liebſt du mich? Karoline. Noch einmal, verlaſſen Sie mich! Morgen frühe – Baron. Werde ich ausſchlafen. Karoline. Ich werde Ihnen ſagen - Baron. Ich werde nichts hören. Karoline. So verlaſſen Sie mich ! Baron (rich entfernend). O, es iſt mir leid, daß ich ge- kommen bin. Karoline (allein, nady einer Bewegung, als wenn ſie ihn aufhalten wollte). Er geht; ich muß ihn fortſchicken, ich darf ihn nicht halten. Ich liebé ihn und muß ihn verſcheuchen. Ich war unvorſich- tig und bin unglücklich. Weg find meine Hoffnungen auf den 126 Die Aufgeregteit. ſchönen Morgen, weg die goldnen Träume, die ich zu nähren magte. D, wie wenig Zeit braucht es, unſer ganzes Schick ſal umzukehren! Seiten im Spiegels Bremer me Sväfin! wenn der fibela 3ufani 4. Auftritt. Karoline Breme. Karoline. lieber Vater , wie geht's? was macht der junge Graf? Breme. Es iſt eine ſtarke Kontuſion; doch ich hoffe, die Läſion foll nicht gefährlich ſein. Ich werde eine vortreffliche Kur machen, und der Herr Graf wird ſich fünftig, ſo oft er ſich im Spiegel beſieht, bei der Schmarre ſeines geſchickten Chirurgi, ſeines Breme von Bremenfeld, erinnern. Karoline. Die arine Gräfin! wenn ſie nur nicht ſchon morgen käme. Breme. Deſto beſſer! und wenn ſie den übeln Zuſtand des Patienten mit Augen ſieht, wird fie, wenn die Kur voll- brad)t iſt, deſto inehr Ehrfurcht für meine Kunſt empfinden. Standesperſonen müſſen auch wiſſen, daß fie und ihre Kinder Menſchen find; man kann ſie nicht genug empfinden machen, wie verehrungswürdig ein Mann iſt, der ihnen in ihren Nöten beiſteht, denen ſie wie alle Kinder Adams unterworfen ſind, beſonders ein Chirurgus. Ich ſage dir, mein Kind, ein Chirurgus iſt der verehrungswürdigſte Mann auf den ganzen Erdboden. Der Theolog befreit dich von der Sünde, die er ſelbſt erfunden hat; der Juriſt gewinnt dir deinen Prozeß und bringt deinen Gegner, der gleiches Recht hat, an den Bettelſtab;, der Medikus furiert dir eine Krankheit weg, die andere herbei, und du kannſt nie recht wiſſen, ob er dir ge- nußt oder geſchadet hat; der Chirurgus aber befreit dich von einem reellen Üebel, das du dir ſelbſt zugezogen haſt, oder das dir zufällig und unverſchuldet über den Hals fommt; er nutzt dir, ſchadet feinem Menſchen, und du kannſt dich un- widerſprechlich überzeugen, daß ſeine Kur gelungen iſt. Karoline. Freilich auch, wenn ſie nicht gelungen iſt. Breme. Das lehrt sich den Pfuſcher vom Meiſter unter: ſcheiden. Freue dich, meine Tochter, Baß du einen ſolchen Meiſter zum Vater haſt: für ein ipohlbenkendes Kind iſt nichts ergötlicher, als ſich ſeiner Eltern und Großeltern zul freuen. Erſter Aufzug. 4. Auftritt. 127 : . Karoline (mit traurigem-Ton wie bisher). Das thu' ich, mein Vater. Breme (jie nadjahmend). Das thuſt du, mein Töchterchen, mit einem betrübten Geſichtchen und weinerlichen Tone. - Das ſoll doch wohl keine Freude vorſtellen? Karoline. Uch, mein Vater ! Breme. Was haſt du, mein Kind! Karoline. Ich muß és fhnen gleich ſagen. Breme. Was haſt du? Karoline. Sie wiſſen, der Baron hat dieſe Tage her ſehr freundlich, ſehr zärtlich mit mir gethan; ich ſagt es Ihnen gleich und fragte Sie um Rat. Breme. Du biſt ein vortreffliches Mädchen! wert, als eine Prinzeſſin, eine Königin aufzutreten. Karoline. Sie rieten mir, auf meiner Hut zu ſein, auf mich wohl acht zu haben, aber auch auf ihn; mir nichts zii vergeben, aber auch ein Glück, wenn es mich aufſuchen ſollte, nicht von mir zu ſtoßen. Ich habe mich gegen ihn betragen, daß ich mir keine Vorwürfe zu machen habe; aber er — Breme. Rede, mein Kind, rede! Karoline. Dies iſt abſcheulich. Wie frech, wie ver- wegen! - Breme. Wie? (Nach einer Pauſe.) Sage mir nichts, meine Tochter, du fennſt mich, ich bin eines hißigen Temperanients, ein alter Soldat; ich würde mich nicht faſſen können, ich würde einen tollen Streich machen. Karoline. Sie können es hören, mein Vater, ohne zil zürren, ich darf es ſagen, ohne rot zu werden. Er hat meine Freundlichfeit übel ausgelegt, er hat ſich in Ihrer Abweſen- heit, nachdem Luiſe auf das Schloß geeilt war, hier ins Haus geſchlichen. Er war verwegen, aber ich wies ihn zurechte. Ich trieb ihn fort, und ich darf wohl fagen, feit dieſem Augen- blick haben ſich meine Geſinnungen gegen ihn geändert. Er ſchien mir liebenswürdig, als er gut war, als ich glauben fonnte, daß er es gut mit mir meine; jekt kommt er mir vor ſchlimmer als jeder andere. Ich werde Ihnen alles, wie bis- her, erzählen, alles geſtehen und mich Ihrem Rat ganz allein überlaſſen. Breme. Welch ein Mädchen! welch ein vortreffliches Mädchen! D ich beneidenswerter Vater ! Wartet nur, Herr Baron, wartet niur! Die Hunde werden von der Kette los- fommen und den Füchſen ben Weg zum Taubenſchlag ver- 128 Die Nufgeregten. rennen. Ich will nicht Breme heißen, nicht den Namen Bremen- feld verdienen, wenn in kurzent nicht alles anders werden ſoll. Karoline. Erzürnt Euch nicht, mein Vater! Breme. Du gibſt mir ein neues Leben, meine Tochter; ja, fahre fort, deinen Stand durch deine Tugend zu zieren, gleiche in allem deiner vortrefflichen Urgroßmutter, der ſeligen Bürgermeiſterin von Bremenfeld. Dieſe würdige Frau war durch Sittſamkeit die Ehre ihres Geſchlechts und durch Ver- ſtand die Stüke ihres Gemahls. Betrachte dieſes Bild jeden Tag, jede Stunde, ahme ſie nach und werde verehrungswürdig wie ſie! (Karoline ſieht das Bild an und lacht.) - Was lachſt du, meine Tochter? Karoline. sich will meiner Urgroßmutter gern in allen Guten folgen, wenn ich mich nur nicht anziehen ſoll wie fie. Ha, ha, ha! Sehen Sie nur, ſo oft ich das Bild anſehe, inuß ich lachen, ob ich es gleich alle Tage vor Augen habe, ha, na, ha! Sehen Sie nur das Häubchen, das wie Fleder- mausflügel vom Kopfe losſteht. Breme. Nun, nun! zu ihrer Zeit lachte niemand dar- über, und wer weiß, wer über euch fünftig lacht, wenn er euch gemalt ſieht; denn ihr ſeid ſehr ſelten angezogen und aufgepubt, daß ich ſagen möchte, ob du gleich meine hübſche Tochter biſt, ſie gefällt mir! Gleiche dieſer vortrefflichen Frau an Tugenden und fleide dich mit beſſerm Geſchmack, ſo hab' ich nichts dagegen, vorausgeſetzt, daß, wie ſie ſagen, der gute Geſchmack nicht teurer iſt als der ſchlechte. ' Uebrigens dächt' ich, bu gingſt zu Bette; denn es iſt ſpät. Karoline. Wollen Sie nicht noch Kaffee trinken? das Waſſer ſiedet; er iſt gleich gemacht. Breme. Seße nur alles zurechte, ſchütte den gemahlenen Kaffee in die Kanne; das heiße Waſſer will ich ſelbſt darüber gießen. Karoline. Gute Nacht, mein Vater! (Geht ab.) Breme. Schlaf wohl, mein Kind ! 5. Auftritt. Breme allein. Daß auch das unglück juſt dieſe Nacht geſchehen mußte! Ich hatte alles klüglich eingerichtet, meine Einteilung der Zeit als ein echter Praktifus gemacht. Bis gegen Mitternacht Erſter Aufzug. 5. u. 6. Auftritt. 129 hatten wir zuſammen geſchwakt, da war alles ruhig; nachher wollte ich meine Taſſe Kaffee trinken, meine beſtellten Freunde follten kommen zu der geheimnisvollen Ueberlegung. Nun hat's der Henker! Alles iſt in Unruhe; ſie wachen im Schloß, den Kinde Umſchläge aufzulegen. Wer weiß, wo ſich der Baron herumdrückt, um meiner Tochter aufzupaſſen. Beim Amtmain ſeh' ich Licht, bei dem verwünſchten Kerl, den ich am meiſten ſcheue. Wenn wir entdeckt werden, ſo kann der größte, ſchönſte, erhabenſte Gedanke, der auf mein ganzes Vaterland Einfluß haben ſoll, in der Geburt erſtickt werden. (Er geht ang Fenſter.) Ich höre jemand kommen; die Würfel find geworfen, wir müſſen nun die Steine ſeben; ein alter Soldat darf ſich vor nichts fürchten. Bin ich denn nicht bei dem großen, unüberwindlichen Fritz, in die Schule gegangen! 6. Auftritt. Dreme. Martin. Breme. Seid Ihr's, Gevatter Martin ! Martin. Ja, lieber Gevatter Breme, bas bin ich. Ich habe mich ganz ſtille aufgemacht, wie die Glocke zwölfe ſchlug, und bin hergekommen; aber ich habe noch Lärm gehört und hin und wieder gehen, und da bin ich im Gartent einigemal auf und ab geſchlichen, bis alles ruhig war. . Sagt mir nur, was Ihr wollt, Gevatter Breme, daß wir ſo fpät bei Euch zuſanımenkommen, in der Nacht; könnten wir's denn nicht bei Tage abmachert? Breme. The follt alles erfahren, nur müßt Ihr Geduld haben, bis die andern alle beiſammen ſind. Martin. Wer ſoll denn noch alles kommen? . : Breme. Alle unſere guten Freunde, alle vernünftige Leute. Außer Euch, der fhr Schulze von dem Drt hier ſeið, kommt noch Peter, der Schulze von Roſenhahn, und Albert, der Schulze von Wieſengruben; ich hoffe auch, Jakob wird kommen, der das hübſche Freigut beſitzt. Dann find recht ordentliche und vernünftige Leute beiſammen, die ſchon was ausmachen können. Martin. Gevatter Breme, Ihr ſeid ein wunderlicher Mann; es iſt Euch alles eins, Nacht und Tag, Tag und Nacht, Sommer und Winter. Breme. Ja, wenn das auch nicht ſo wäre, könnte nichts Goethe, Werke. VIII. 130 Die Aufgeregten. Rechts werden. Wachen oder Schlafen, das iſt mir auch ganz gleich. Es war nach der Schlacht bei Leuthen, wo unſere Lazarethe ſich in ſchlechtem Zuſtande befanden und ſich wahr- haftig noch in ſchlechterem Zuſtande befunden hätten, wäre Breme nicht damals ein junger, rüſtiger Burſche geweſen. Da lagen viele Bleſſierte, viele Kranke, und alle Feldſcherer marent alt und verdroſſen, aber Breme, ein junger, tüchtiger Kerl, Tag und Nacht parat. Ich ſag' Euch, Gevatter, Saſ ich acht Nächte nacheinander weg gemacht und am Tage nicht geſchlafen habe. Das merkte ſich der auch, der alte Fritz, der alles wußte, was er wiſſen wollte. Höre Sr, Breme, ſagte er einmal, als er in eigner Perſon das Lazareth viſitierte, höre Er, Breme! Man ſagt, daß Er an der Schlafloſigkeit Frank liege. – Ich merkte, wo das hinaus wollte; denn die anderen ſtunden alle dabei; ich faßte mich und ſagte: Shro Majeſtät, das iſt eine Krankheit, wie ich ſie allen Ihren Dienern wünſche, und da ſie keine Maitigkeit zurückläßt und ich den Tag auch noch brauchbar bin, ſo hoffe ich, daſs Seine Majeſtät deswegen keine Ungnade auf mich werfen werden. Martin. Ei, ei! wie nahm denn das der König auf? Breme. Er ſah ganz ernſthaft aus, aber ich ſah ihm wohl an, daß es ihm wohl gefiel. Breme, ſagte er, womit vertreibt Er fich denn die Zeit? Da faßt ich mir wieder ein Herz und ſagte: Ich denke an das, was shro Majeſtät ge- than haben und noch thun werden; und da könnt ich Methu- falems Jahre erreichen und immer fortwachen und könnt's Doch nicht ausdenken. Da that er, als hört? er's nicht und ging vorbei. Nun war's wohl acht Jahre Garnach, da faſzt er mich bei der Revue wieder ins Auge. Wadit Er noch immer, Breme? rief er. Shro Majeſtät, verſetzt 'ich, laſſen einen ja im Frieden ſo wenig Ruh, als im Kriege. Sie thun immer ſo große Sachen, daß ſich ein geſcheiter Kerl daran zu ſchanden denkt. Martiit. So habt Ihr mit dem König geſprochen, Ge- vatter? Durfte man ſo mit ihin reden? Breme. Freilich durfte man fo und noch ganz anders; denn er wußte alles beſſer. Es war ihm einer wie der andere, und der Bauer lag ihm an mehrſten am Herzen. Ich weiß wohl, ſagte er zu ſeinen Miniſtern, wenn ſie ihm das und jenes einreden wollten, die Reichen haben viele Advokaten, aber die Dürftigen haben nur einen, und das bin ich. Erſter Aufzug. 7. Auftritt. 131 Martiit. Wenn ich ihn doch nur aud) geſehen hätte! Breme. Stille, ich höre was! es werden unſere Freunde ſein. Sieh da! Peter und Albert. 7. Auftritt. Þeter. Xibert. Die Vorigen. Breme. Willkommen! - Iſt Jakob nicht bei euch? Peter. Wir haben uns bei den drei Linden beſtellt; aber er blieb uns zu lang aus, nun ſind wir allein da. Albert. Was habt Ihr uns Neues zu ſagen, Meiſter Vreme? Iſt was von Weßlar gekommen, geht der Prozeſ vorwärts? Breme. Eben weil nichts gekommen iſt, und weil, wenn was gekommen wäre, es auch nicht viel heißen würde, ſo wollt ich euch eben einmal meine Gedanken ſagen; denn ihr wißt wohl, ich nehme mich der Sachen aller, aber nicht öffentlich an, bis jetzt nicht öffentlich); denn ich darf's mit der gnädigen Herrſchaft nicht ganz verderben. Peter. Ja, wir verðürben's auch nicht gern mit ihr, wenn ſie's nur halbweg leidlich machte. Brente. Ich wollte euch ſagen – wenn nur Jakob da wäre, daß wir alle zuſammen wären, und daß ich nichts wiederholen müßte und wir einig würden – Albert. Jakob? Es iſt faſt beſſer, daß er nicht dabei iſt. Ich traue ihn nicht recht; er hat das Freigütchen, und wenn er auch wegen der Zinſen mit uns gleiches Intereſſe hat, fo geht ihn doch die Straße nidjts an, und er hat ſich im ganzen Prozeß gar zu läſſig bewieſen. Breme. Nun, ſo laßt's gut ſein! Sekt euch und hört mid, an! (Sie ſetzen ſich.) Martin. Ich bin recht neugierig, zu hören. Breme. Jhr wißt, daß die Gemeinden ſchon vierzig Jahre lang mit der Herrſchaft einen Prozeß führen, der auf langen Umwegen endlich nach Wetzlar gelangt iſt und von dort den Weg nicht zurückfinden kann. Der Gutsherr ver- langt Fronen und andere Dienſte, die ihr verweigert und mit Recht verweigert; denn es iſt ein Rezeß geſchloſſen worden mit dem Großvater unſers jungen Grafen – Gott erhalt ihn! - der ſich dieſe Nacht eine erſchreckliche Brauſche gefallen hat. 132 Die Aufgeregten. Martin. Eine Brauſche? Peter. Gerade dieſe Nacht? Albert. Wie iſt das zugegangen? Imartin. Das arme, liebe Kind! Breme. Das will idh euch nachher erzählen. Nun hört mich weiter an. Nach dieſen geſchloſſenen Rezeß überließen die Gemeinden an die Herrſchaft ein paar Fleckchen Holz, einige Wieſen, einige Triften und ſonſt noch Kleinigkeiten, die euch von keiner Bedeutung waren und der Herrſchaft viel nuſten; denn man ſieht, der alte Graf war ein kluger Herr, aber auch ein guter Herr. Leben und Leben laſſen, war ſein Spruch. Er erließ der Gemeinden dagegen einige zu ent- behrende Fronen und - Albert. Und das ſind die, die wir noch immer Leiſten inüſſen. Breme. Und machte ihnen einige Konvenienzen - Martiit. Die wir noch nicht genießeit. Brente. Richtig, weil Ser Graf ſtarb, die Herrſchaft ſich in den Beſitz deſſen ſeizte, was ihr zugeſtanden war, der Krieg einfiel und die Ünterthanen noch mehr thun mußten, als ſie vorher gethan hatten. Peter. Es iſt akkurat ſo; ſo hab' ich's mehr als einmal aus der Advokaten Munde gehört. Breme. Und ich weiß es beſſer als der Advokat; denn ich ſehe weiter. Der Sohn des Grafen, der verſtorbene gnädige Herr, murde eben um die Zeit volljährig. Das war, bei Gott! ein wilder, böſer Teufel, der wollte nichts herausgeben und mißhandelte euch ganz erbärmlich. Er war im Beſik, der Rezeß war fort und nirgends zu finden. Albert. Wäre nicht noch die Abſchrift da, die unſer verſtorbener Pfarrer gemacht hat, wir wüßten kaum etwas davon. Breme. Dieſe Abſchrift iſt euer Glück und euer Unglück. Dieſe Abſchrift gilt alles vor jedem billigen Menſchen, vor Gericht gilt ſie nichts. Hättet ihr dieſe Abſchrift nicht, ſo wäret ihr ungewiß in dieſer Sache. Hätte man dieſe A6- ſchrift der Herrſchaft nicht vorgelegt, ſo müßte man nicht, wie ungerecht ſie denkt. Martin. Da müßt Ihr auch wieder billig ſein. Die Gräfin leugnet nicht, daß vieles für uns ſpricht; nur weigert fie fich, den Vergleich einzugehen, weil ſie, in Vormundſchaft ihres Sohnes, fich nicht getraut, ſo etwas abzuſchließen. Erſter Aufzug. 7. AuftrittLOC 133 . LU Albert.' In Vormundſchaft ihres Sohnes ! Hat ſie nicht den neuen Schloßflügel bailen laſſen, den er vielleicht ſein Lebtage nicht bewohnt, denn er iſt nicht gern in dieſer Gegend. Peler. ltid beſonders, ba cr nun eine Brauſdje ge- fallen hat. Albert. Hat ſie nicht den großen Garten und die Waſſerfälle anlegen laſſen, worüber ein paar Mühlen haben müſſen weggelauft werden? Das getraut ſie ſich alles in Vormundſchaft zu thun, aber das Rechte, das Billige, das getraut ſie ſich nicht. Breme. Albcrt, du biſt ein waderer Mann; ſo hör' ich gerit reden, und ich geſtehe wohl, wenn ich von unſerer gnädigen Gräfin vranches Gute genieße und deshalb mid) für ihren unterthänigen Diener betenne, ſo möcht ich doch auch darin meiner König iadiahıcı und euer Sachwalter ſein. Peter. Das wäre recht ſchön. Macht nur, daß unſer Prozeß bald aus wird! Breme. Das kann ich nicht, das müßt ihr. Peter. Wie wäre denn das anzugreifen? Breme. Syr guten Leute wißt nicht, daß alles in der Welt vorwärts geht, daß heute möglich iſt, was vor zehn fahren nicht möglich war. Ihr wiſt nicht, was jetzt alles unternommen, was alles ausgeführt wird. Martin. O ja, wir wiſſen, daß in Frankreich jetzt ivunderliches Zeug geldjieht. Peter. Wunderliches und abſcheuliches ! Albert. Wunderliches und gutes ! Breme. So recit, Albert, man muß das Beſte wählen! Da ſag' ich nun: was man in Güte nicht haben kann, ſoll man mit Gewalt nehmen. Martin. Sollte das gerade das Beſte ſein? Albert. Ohne Zweifei. Peter. Ich dächte nicht. Breme. Ich muß euch ſagen, Kinder, jekt oder niemals. Albert. Da dürft Ihr uns in Wieſengruben nicht viel vorſchmaßen; bazit ſind wir fir und fertig. Unſere Leute wollten längſt rebellern; ich habe nur immer abgewehrt, weil inir Herr Breme immer ſagte, es ſei noch nicht Zeit, und das iſt ein geſcheiter Mann, auf den ich Vertrauen habe. Brente. Gratias, Gevatter, und ich ſage euch: jeßt iſt cs Zeit. la chroeife gerade dag valente 134 Die Aufgeregten. Albert. Ich glaub's auch. Peter: Nehmt mir's nicht übel, das fann ich nicht ein- ſehen; denn wenn's gut Aderlaſſen iſt, gut purgieren, gut ſchröpfen, das ſteht im Kalender, und darnach weiß ich mich zu richten; aber wenn's juſt gut rebellern ſei? das glaub' ich, iſt viel ſchwerer zu ſagen.' Breme. Das muß unſer einer verſtehen. Albert. Freilich verſteht Shr's. Peter. Aber ſagt mir nur, woher's eigentlich kommt, daß Shr's beſſer verſteht, als andere geſcheite" Leute? Breme (gravitätijd). Erſtlich, mein Freund, weil ſchon vom Großvater an meine Familie die größten politiſchen Einſichten erwieſen. Hier dieſes Bildnis zeigt euch meinen Großvater Hermann Breme von Bremenfeld, der, wegen großer und vorzüglicher Verdienſte zum Burgermeiſter ſeiner Vaterſtadt erhoben, ihr die größten und wichtigſten Dienſte geleiſtet hat. Dort ſchwebt ſein Andenken noch in Ehren und Segen, wenn gleich boshafte, pasquillantiſche Schauſpieldichter ſeine großen Talente und gewiſſe Eigenheiten, die er an ſich haben inocte, nicht ſehr glimpflich behandelten. Seine tiefe Einſicht in die ganze politiſche und militäriſche Lage von Europa wird ihm felbſt von ſeinen Feinden nicht abgeſprochen. Peter. Es war ein hübſcher Mann, er ſieht recht wohl- genährt aus. Brente. Freilich genoß er ruhigere Tage als ſein Enkel. Martin. Habt Ihr nicht auch das Bildnis Eures Vaters? Breme. Leider, nein! Doch muß ich euch ſagen: die Natur, inden ſie meinen Vater Soft Breme von Bremenfeld hervorbrachte, hielt ihre Kräfte zuſammen, um euren Freund mit ſoldhen Gaben auszurüſten, durch die er euch nüblich zu werden wünſcht. Doch behüte der Himmel, daß ich mich über meine Vorfahren erheben ſollte; es wird uns jetzt viel leichter gemacht, und wir können mit geringern natürlichen Vorzügen eine große Rolle ſpielen. Martin. Nicht zu beſcheiden, Gevatter! Breme. Es iſt lauter Wahrheit. Sind nicht jetzt der Zeitungen, der Monatsſchriften, der fliegenden Blätter ſo viel, aus denen wir uns unterrichten, an denen wir unſern Verſtand üben können! Hätte mein ſeliger Großvater nur den tauſend- ſten Teil dieſer Hilfsmittel gehabt, er wäre ein ganz anderer Mann geworden. Doch, Kinder, was rede ich von mir! Die Zeit vergeht, und ich fürchte, der Tag bricht an. Der Hahn Erſter Aufzug. 7. Auftritt. 135 macht uns aufmerkſam, daß wir uns kurz faſſen ſollen. Habt ihr Mut? Albert. An mir und den Meinigen ſoll's nicht fehlen. Peter. Unter den Meinigen findet ſich wohl einer, der ſich an die Spike ſtellt; ich verbitte inir den Auftrag. Marfiit. Seit den paar letzten Predigten, die der Magiſter hielt, weil der alte Pfarrer ſo krank liegt, iſt das ganze große Dorf hier in Bewegung. Breme. Gut! ſo kann was werden. Ich habe aus- gerechnet, daß wir über ſechshundert Mann ſtellen können. Wollt ihr, ſo iſt in der nächſten Nacht alles gethan. Martin. In der nächſten Nacht? Breme. Es ſoll nicht wieder Mitternacht werden, und ihr ſollt wieder haben alles, was euch gebührt, und mehr dazu. Peter. So geſchwind? wie wäre das möglich? Albert. Geſchwind oder gar nicht. Breme. Die Gräfin kommt heute an, ſie darf ſich kaum beſinnen. Nückt nur bei einbrechender Nacht vor das Schloß und fordert eure Rechte, fordert eine neue Ausfertigung des alten Reverſes, macht euch noch einige kleine Bedingungen, die ich euch ſchon angeben will, laßt fie unterſchreiben, laßt ſie ſchwören, und ſo iſt alles gethan. Peter. Vor einer ſolchen Gewaltthätigkeit zittern mir Arm' und Beine. Alvert. Narr! Wer Gewalt braucht, darf nicht zittern. Martiir. Wie leicht können fie uns aber ein Regiment Dragoner über den Hals ziehen. So arg Sürfen wir's doch nicht machen. Das Militär, der Fürſt, die Regierung würden uns ſchön zuſammenarbeiten. Breme. Gerade umgekehrt. Das iſt's eben, worauf ich fuße. Der Fürft iſt unterridjtet, wie ſehr das Volk bedruct ſei. Er hat ſich über die Unbilligkeit des Abels, über die Langweiligkeit der Prozeſſe, über die Schikane der Gerichts- halter und Advokaten oft genug deutlich und ſtark erflärt, ſo daß inan vorausſetzen kann, er wird nicht zürnen, wenn man ſich Recht verſchafft, da er es ſelbſt zu thun gehindert iſt. Peter. Sollte das gerviß ſein ? Albert. Es wird im ganzen Lande davon geſprochen. Peter. Da wäre noch allenfalls was zu wagen. Breme. Wie ihr zu Werfe gehen müßt, wie vor allen Dingen der abſcheuliche Gerichtshalter beiſeite muß, und auf wen noch mehr genau zu ſehen iſt, das follt ihr alles noch L 136 Die Aufgeregten. vor Abend erfahren. Bereitet eure Sachen vor, regt eure Leute an und feid mir heute abend um ſechſe beim Herren- brunnen. Daß Jafob nicht kommt, macht ihn verdächtig; ja, es iſt beffer, daß er nicht gekommen iſt. Gebt auf ihn acht, daß er uns wenigſtens nicht ſchade; an dem Vorteil, den wir · uns erwerben, wird er ſchon teilnehmen wollen. Es wird Tag; Icht wohl und bedenkt nur, daß, was geſchehen ſoll, ſchon geſchehen iſt. Die Gräfin fomint eben erſt von Paris zurück, wo ſie das alles geſehn und gehört hat, was wir mit .fo vicler Verwunderung leſen; vielleicht bringt ſie ſchon ſelbſt mildere Geſinnungen mit, wenn ſie gelernt hat, was Menſchen, die zu ſehr gedruckt werden, endlich für ihre Rechte thun fönnen und müſſen. Martin. Lebt wohl, Gevatter, lebt wohl! Punkt ſechſe bin ich am Herrenbrunnen.. Álbert. Ihr ſeid ein tüchtiger Mann! Lebt wohl! Peter. Ich will Euch recht Ioben, wenn's gut abläuft. Martin. Wir wiſſen nicht, wie wir's Euch danken ſollen. Breme (mit Würde)." Shr habt Gelegenheit genug, mich zu verbinden. Das kleine Kapital z. B. von zweihundert Thaleri, das ich der Kirche ſchuldig bin, erlaßt ihr mir ja wohl. Martin. Das ſoll uns nicht reuen. Albert. Unſere Gemeine iſt wohlhabend und wird auch gern was für Euch thun. Breme. Das wird ſich finden. Das ſchöne Fleck, das Gemeindegut war und das der Gerichtshalter zum Garten einzäunen und umarbeiten laſſen, das nehmt ihr wieder in Beſitz und überlaßt mir's. Albert. Das wollen wir nicht anſehen, das iſt ſchon verſchmerzt. Peter. Wir wollen auch nicht zurückbleiben. Breme. Ihr habt ſelbſt einen hübſchen Sohn und ein ſchönes Gut; dem fönnt ich meine Tochter gebeii. Id, bin nicht ſtolz, glaubt mir, ich bin nicht ſtolz. Ich will Euch gern meinen Schmäher heißen. Peter. Das Mamſellchen iſt hübſch genug; nur iſt ſie ſchon zu vornehm erzogen. - ? Breme. Nicht vornehm, aber geſcheit. Sie wird ſich in jeden Stand zu finden wiſſen. Doch darüber läßt ſich noch vieles reden. Lebt jèkt wohl, meine Freunde, lebt wohl! Alle. So lebt denn wohl! Zweiter Aufzug. 1. Auftritt. 137 3 weiter N it fzug. 1. Uuftritt. Vorzimmer Der Gräfint. Sowohl iin Fond als an den Seiten hängen adlige Familienwappen in mannigfaltigen geiſtlichen und weltlichen Koſtümen. Der Amtmann tritt herein, und indem er ſich umſicht, ob niemand da iſt, kommt Quiſe von der andere Seite. Amtmann. Guten Morgen, Demoiſelle! Sind Shro Exzellenz zu ſprechen? Kann ich meine unterthänigſte Devotion zu Füßen legen? Luiſe. Verziehen Sie einigen Augenblick, Herr Umt- mann! Die Frait Gräfin wird gleich herauskommen. Die Beſchwerlichkeiten der Reiſe und das Schrecken bei der Ankunft haben einige Ruhe nötig gemacht. Amtmann. Ich bedaure von ganzem Herzen. Nach einer To langer Abweſenheit, nach einer ſo beſchwerlichen Reiſe ihren einzig geliebten Sohn in einem ſo ſchrecklicheri Zuſtande zu finden! Ich muß geſtehen, es ſchaudert mich, wenn ich nur baran denke. Shro Exzellenz waren wohl ſehr alteriert? Luiſe. Sie können ſich leicht vorſtellen, was eine zärt- liche, ſorgſame Mutter empfinden mußte, als ſie ausſtieg, ins Haus trat und da die Verwirrung fand, nach ihrem Sohne fragte und aus ihren Stocken und Stottern leicht ſchließen konnte, daß ihm ein Unglück begegnet ſei. Amtmann. Ich bedauere von Herzen. Was fingen Sie an? Luiſe. Wir mußten nur geſchwind alles erzählen, damit ſie nicht etwas Schlimmeres beſorgte; wir mußten ſie zu dem Kinde führen, das init verbundenem Kopf und blutigen Kleidern da lag. Wir hatten nur für Umſchläge geſorgt und ihn nicht ausziehen können. Amtmann. Es muß ein ſchrecklicher Anblick geweſen ſein. Luiſe. Sie blidte hin, that einen lauten Schrei und fiel mir ohnmächtig in die Arme. Sie war untröſtlich, als ſie wieder zu fich kam, und wir hatten alle Mühe, fie zu überführen, daß das Kind ſich nur eine ſtarke Beule gefallen, daß es aus der Naſe geblutet und daß keine Gefahr ſei. Amtmanir. Ich möcht es mit dem Hofmeiſter nicht teilen, der das gute Kind ſo vernachläſſigt. Luiſé. Ich wunderte mich über die Gelaſſenheit der 138 Die Aufgeregten. . Gräfin, beſonders da er den Vorfall leichter behandelte, als es ihm in dem Augenblick geziente. Amtmann. Sie iſt gar zlı gnädig, gar zu nachſichtig. Luiſe. Aber ſie kennt ihre Leute und merkt ſich alles. Sie weiß, wer ihr redlich und freu dient; fie iveiß, mer nur dem Schein nach ihr unterthäniger finecht iſt. Sie kennt die Nachläſſigen ſo gut als die Faiſchen, die Unklugen.ſo wohl als die Bösartigen. Amtmann. Sie ſagen nicht zuviel, es iſt eine vortreff- liche Dame, aber eben Deswegen! Der Hofmeiſter verdiente doch, daß ſie ihn geradezu wegſchikte. Luiſe. In allem, was das Schickſal des Menſchen betrifft, geht fie langſam z11 Werfe, wie es einen Großen geziemt. Es iſt nichts ſchrecklicher als Macht und Ilebereilung. Amtmani. Aber Macht und Schwäche ſind auch ein trauriges Paar. Luiſe. Sie werden der gnädigen Gräfin nicht nachſagen, daß fie ſchwach ſei. . Amtmann. Behüte Gott, daß ein ſolcher Gedanke einem alten, freuen Diener einfallen ſollte! Aber es iſt denn doch erlaubt, zum Vorteil ſeiner gnädigen Herrſchaft zu wünſchen, daß man manchmal mit mehr Strenge gegen Leute zu Werfe gehe, die mit Strenge behandelt ſein wollen. Luiſe. Die Frau Gräfin ! (Luiſe tritt ab.) 2. Uuftritt. Die Gräfin im Negligé. Der Amtmann. Amtmann. Euer Exzellenz haben zwar auf eine ange- nehme Weiſe, doch unvermutet fhre Dienerſchaft überraſcht, und wir bedauern nur, daß Dieſelben bei Ihrer Unfunft durch einen ſo traurigen Anblick" erſchreckt worden. Wir hatten alle Anſtalten zu Dero Empfang gemacht: das Tannenreiſig zlı einer Ehrenpforte liegt wirklich ſchon im Hofe; die ſämt- lichen Gemeinden wollten reihenweis an dem Wagen ſtehen und Hochdieſelben mit einein lauten Vivat empfangen, und jeder freute ſich ſchon, bei einer ſo feierlichen Gelegenheit feinen Feſttagsrock anzuziehen und ſich und ſeine Kinder zu putzen. Gräfiit. Es iſt mir lieb, daß die guten Leute ſich nicht zu beiden Seiten des Wegs geſtellt haberi; ich hätte' ihnen Zweiter Aufzug. 2. Auftritt. 139 unmöglich ein freundlich Geſicht machen können, und Ihnen an wenigſten, Herr Amtmann! Amtmann. Wie ſo? Wodurch haben wir Euer Exzellenz Ungnade verdient? Gräfin. Ich kann nicht leugnen, ich war ſehr verdrießlich, als ich geſtern auf den abſcheulichen Weg fam, der gerade da: anfängt, wo meine Beſikungen angehen. Die große Reiſe hab' ich faſt auf lauter guten Wegen vollbracht, und eben da ich wieder in das Meinige zurückkomme, find ich ſie nicht nur ſchlechter, wie vorm Jahr, ſondern ſo abſcheulich, daß fie alle Uebel einer ſchlechten Chauſſee verbinden. Bald tief ausgefahrne Löcher, in die der Wagen umzuſtürzen Sroht, aus denen die Pferde mit aller Gewalt ihn kaum Herausreißen, bald Steine, ohne Ordnung übereinander geworfen, daß mari eine Viertel: ſtunde lang ſelbſt in dem bequemſten Wagen aufs unerträg- lichſte zuſammengeſchüttelt wird. Es ſollte mich wundern, wenn nichts daran beſchädigt wäre. Ainfignir. Euer Exzellenz werden mich nicht ungehört verdammen; nur mein eifriges Beſtrebeni, von Euer Exzellenz Gerechtſamen nicht das Mindeſte zu vergeben, iſt Urſache an dieſeni übeln Zuſtande des Wegs. Gräfiit. Ich verſtehe - Amtmann. Sie erlauben, Ihrer tiefen Einſicht nur an- heinzuſtellen, wie wenig es mir hätte ziemen wollen, den widerſpenſtigen Bauern auch nur ein Haar breit nachzugeben. Sie ſind ſchuldig, die Wege zu beſſern, und da Euer Exzellenz Chauſſee befehlen, ſind ſie auch ſchuldig, die Chauſſee zu machen. Gräfin. Einige Gemeinden waren ja willig. Amtmann. Das iſt eben das Unglück. Sie fuhren die Steine an; als aber die übrigen widerſpenſtigen ſich weigerten und auch jene widerſpenſtig machten, blieben die Steine liegen und wurden nach und nach, teils aus Notwendigkeit, teils aus Mutwillen, in die Gleiſe geworfen, und da iſt nun der Weg freilich ein bißchen holprig geworden. Gräfii. Sie nennen das ein wenig holprig! Amtmann. Verzeihen Euer Exzellenz, ivenn ich ſogar ſage, daß ich dieſen Weg öfters mit vieler Zufriedenheit zu- rücklege." Es iſt ein vortreffliches Mittel gegen die Hypo- chondrie, ſich dergeſtalt zuſammenſchütteln zu laſſen. . . Gräfint. Das, geſteh ich, iſt eine eigie Kurmethode. Amtmann. Und freilich, da nun eben wegen dieſes 140 Die Aufgeregten. Streites, welcher vor dem Kaiſerlichen Reichskammergericht auf das eifrigſte betrieben wird, ſeit einem Jahre an keine Weg beſſerung zu denken geweſen und überdies die Holzfuhren ſtark gehen, in dieſen letzteren Tagen auch anhaltendes Regenwetter eingefallen, ſo möchte denn freilich jemandem, der gute Chauſſeen gewohnt iſt, unſere Straße gewiſſermaßen impraktikabel vor: fominen. Gräfin. Gewiſſermaßen? Ich dächte, ganz und gar. Amtmann. Euer Exzellenz belieben zu ſcherzen. Man kommt doch noch immer fort. --- Gräfiit. Wenn man nicht liegen bleibt. Und doch hab ich an der Meile ſechs Stunden zugebracht. Amtmain. Ich, vor einigen Tagen, noch länger. Zwei- mal wurd' ich glücklich herausgewunden, das fritte Mal brach ein Rad, und ich mußte mich noch nur ſo hereinſchleppen laſſen. Aber bei allen dieſen Unfällen war ich getroſt und gutes Muts; denn ich bedachte, daß Euer Exzellenz und Ihres Herrn Sohnes Gerechtſame ſalviert ſind. Aufrichtig geſtanden, ich wollte auf ſolchen Wegen lieber von hier nach Paris fahren, als nur einen Finger breit nachgeben, wenn Sie Rechte und Befugniſſe meiner gnädigen Herrſchaft beſtritten werden. Ich wollte daher, Euer Exzellenz Sächten auch ſo, und Sie würden gewiß dieſen Weg nicht mit ſo viel Ünzufriedenheit zurück- gelegt haben. Gräfin. Ich muß ſagen, darin bin ich anderer Meinung, und gehörten dieſe Beſitztümer mir eigen, müßte ich mich nicht bloß als Verwalterin anſehen, ſo würde ich über manche Bedenklichkeit hinausgehen, ich würde mein Herz hören, das mir Billigkeit gebietet, und meinen Verſtand, der mich einen wahren Vorteil von einem ſcheinbaren unterſcheiden lehrt. Ich würde großmütig ſein, wie es dem gar wohl anſteht, der Macht hat. Ich würde mich hüten, unter dem Scheine des Redits auf Forderungen zu beharren, die ich durchzuſeken kaum wünſchen müßte und die, indem ich Widerſtand finde, mir auf lebenslang den völligen Genuß eines Beſikes rauben, den ich auf billige Weiſe verbeſſern könnte. Ein leiblicher Vergleich und der unmittelbare Gebrauch find beſſer als eine wohlgegründete Rechtsſache, die mir Verdruß macht und von der ich nicht einmal den Vorteil für meine Nachkommen einſehe. Amtmanni. Euer Exzellenz erlaubeit, daß ich darin der entgegengeſetzten Meinung ſein darf. Ein Prozeß iſt eine ſo reizende Sache, daß, wenn ich reich wäre, ich eher Zweiter Aufzug. 3. 11. 4. Auftritt1 . . 141 einige kaufen würde, um nicht ganz ohne dieſes Vergnügen zu leben. (Tritt ab.) . Gräfin. Es ſcheint, daß ec feine Luft an unſern Beſitz: tümern büßen will. LU 3. Auftritt. Gräfin. Magiſter Magifter. Darf ich fragen, gnädige Gräfin, wie Sie ſich befinden? Gräfin. Wie Sie denken können, nach der Alteration, die mich bei meinem Eintritt überfiel.' Magiſter. Es that mir herzlich leid; doch hoff' ich, ſoll es von keinen Folgen ſein. Ueberhaupt aber kann Ihnen ſchwerlich der Aufenthalt hier fobald angenehm werden, wenn Sie ihn mit dem vergleichen, den Sie vor kurzem genoſſen haben. Gräfin. Es hat auch große Reize, wieder zu Hauſe bei den Seinigen zu wohnen. Magiſter. Wie oftmals hab' ich Sie um das Glück beneidet, gegenwärtig. zu ſein, als die größten Handlungen geſchahen, die je die Welt geſehen hat, Zeuge zu ſein des ſeligen Taumels, der eine große Nation in dem Augenblick ergriff, als ſie ſich zum erſtenmal frei und von den Retten ent- bunden fühlte, die ſie ſo lange getragen hatte, daß dieſe idwere fremde Laſt gleichſam ein Glied ihres elenden, kranken Körpers geworden. Gräfint. Ich habe wunderbare Begebenheiten geſehen, aber wenig Erfreuliches. Magiſter. Wenn gleich nicht für die Sinne, doch für den Geiſt. Wer aus großen Abſichten fehlgreift, handelt immer lobenswürdiger, als wer dasjenige thut, was nur kleinen Ab- fidhten gemäß iſt. Man kann auf dem rechten Wege irren und auf dem falſchen recht gehen — -- 4. Auftritt. Die Vorigen. Luife. (Durd, die Ankunft dieſes vorzüglideen Frauenzimmers wird die Lebhaftigkeit des Bejprádys erſt gemildert und ſodann die Unterredung von den Orgenſiand gänzlid) abgelenkt. Der Magiſter, der nun weiter kein Intereſie findet, entfernt ſid), und das Geſpräd, unter den beiden Frauenzimmern reßt ſich fort, wie folgt.) Gräfin. Was macht mein Sohn? Ich war eben im Begriff, zu ihm zu gehen. 142 Die Aufgeregten. Luiſt. Er ſchläft recht ruhig, und ich hoffe, er wird bald wieder herumſpringen und in kurzer Zeit keine Spur der Beſchädigung mehr übrig ſein. Gräfin. Das Wetter iſt gar zu übel, ſonſt ging' ich in den Garten. Jd bin recht neugierig, zu ſehen, wie alles ge- wachſen iſt, und wie der Waſſerfall, wie die Brücke und die Felſenfluft ſich jetzt ausnehmen. Luiſe. És" iſt alles vortrefflich gemachſen; die Wildniſſe, die Sie angelegt habent, ſcheinen natürlich zu ſeint, ſie bezaubern jeden, der ſie zum erſtenmal ſieht, und auch mir geben ſie in einer ſtillen Stunde einen angenchmen Aufenthalt. Doch muß ich geſtehen, daß ich in der Baumſchule unter den fruchtbaren Bäument lieber bin. Der Gedanke bes Nußens führt mich aus mir ſelbſt heraus und gibt mir eine Fröhlichkeit, die ich ſonſt nicht empfinde. Ich kann fäen, pfropfen, okulieren; und wenn gleich mein Auge keine inaleriſche Wirkung empfindet, ſo iſt mir Doch der Gedanke von Früchten höchſt reizend, die einmal und wohl bald jemanden erquicken werden. Gräfint. Ich ſchätze Ihre guten häuslichen Geſinnungen. Luiſe. Die einzigen, die ſich für den Stand ſchicken, der ans Notwendige zu denken hat, dem wenig Willkür erlaubt iſt. . Gräfiit. Haben Sie den Antrag überlegt, den ich Ihnen in meinem letzten Briefe that? Können Sie ſich entſchließen, meiner Tochter Fhre Zeit zu widmen, als Freundin, als Geſellſchafterin mit ihr zu leben? Luiſe. Ich habe kein Bedenken, gnädige Gräfin. Gräfin. Ich hatte viel Bedenken, Ihnen den Antrag zu thun. Die wilde unbändige Gemütsart meiner Tochter“ - macht ihren Umgang unangenehm und oft ſehr verðrießlich. So leicht mein Sohn zu behandeln iſt, ſo ſchwer iſt es meine Tochter. Luiſe. Dagegen iſt ihr ebles Herz, ihre Art, zu handelii, aller Achtung wert. Sie iſt heftig, aber bald zu, beſänftigen, unbillig, aber gerecht, ſtolz, aber menſchlich. Gräfiit. Hierin iſt ſie ihren Vater --- Luiſe. Aeußerſt ähnlich. Auf eine ſehr ſonderbare Weiſe ſcheint die Natur in der Tochter den rauhen Vater, in dem Sohne die zärtliche Mutter wieder hervorgebracht zu haben. Gräfint. Verſuchen Sie, Luiſe, dieſes wilde, aber edle Feuer zu dämpfen. Sie beſitzen alle Tugenden, die ihr fehlen. In Ihrer Nähe, durch Ihr Beiſpiel wird ſie gereizt werden, fich nach einem Muſter zii bilder, das ſo liebenswürdig iſt. Luiſe. Sie beſchämen mich, gnädige Gräfin. Ich kennie Zweiter Aufzug. 5. Auftritt. 143 an mir keine Tugend als die, daß ich mich bisher in mein Schickſal zu finden wußte, und ſelbſt dieſe hat kein Vers dienſt mehr, feitdem Sie, gnädige Gräfin, ſo viel gethan haben, um es zu erleichtern. Sie thun jeßt noch mehr, da Sie mich näher an ſich heranziehen. Nach dem Tode meines Vaters und dem Umſturz meiner Familie habe ich vieles entbehren lernen, nur nicht geſitteten und verſtändigeit llmgang. Gľäfin. Bei Ihrem Onkel müſſen Sie von dieſer Seite viel ausſtehen. Luiſe. Es iſt ein guter Mann; aber ſeine Sinbildung macht ihn oft hödiſt albern, beſonders ſeit der letzten Zeit, V Welthandel zu reden, ſondern auch darin mitzuwirken. Gräfin.“ Es gelt ihm wie ſehr vielen. Luiſe. Ich habe manchmal meine Bemerkungen in ſtillen darüber gemacht. Wer die Menſchen nicht kennte, würde ſie jetzt leicht kennen lernen. So viele nehmen ſich der Sache der Freiheit, der allgemeinen Gleichheit an, but um für ſich eine Ausnahme zu machert, nur um zu wvirken, es fei, auf welche Art es wolle. Gräfin. Sie hätten nichts mehr erfahren können, und wenn Sie init mir in Paris geweſen wären. 5. Uuftritt. Friederike. Der Varon. Die Vorigen. Friederike. Hier, liebe Mutter, ein Haſe und zwei Feld- hühner! Ich habe drei Stücke geſchoſſen, der Vetter hat immer gepudelt. Gräfin. Du fiehſt wild aus, Friederike; wie du Surch- näßt biſt! Friederike (das Waſſer vom Hute abſchwingend). Der erſte glück liche Morgen, den ich ſeit langer Zeit gehabt habe. Baron. Sie jagt mich nun ſchon vier Stunden im Felde heruin. Friederike. Es war eine rechte Luſt. Gleich nach Tiſche wollen wir wieder hinaus. Gräfiit. Wenn du's ſo heftig treibſt, wirſt du es bald überdrüffig werden. Friederike. Geben Sie mirdas Zeugnis, liebe Mama! 144 Die Aufgeregten. d Wie oft hab' ich mich aus Paris wieder nach unſern Nevieren geſehnt: Die Opern, die Schauſpiele, die Geſellſchaften, die Gaſtereien, die Spaziergänge, was iſt das alles gegen einen einzigen vergnügten Tag auf der Jagd, unter freient Himmel, auf unſern Bergen, wo wir eingeboren und eingewohnt find! – Wir müſſen eheſtentags heken, Vetter. Baron. Sie merden noch warten müſſen; die Frucht iſt noch nicht aus dem Felde. Fricderike. Was will das viel ſchaden? es iſt faſt von gar keiner Bedeutung. Sobald es ein bißchen aufgetrocknet, · wollen wir hetzen. Gräfin. Geh, zieh dich um! Ich verinute, daß wir zil Tiſche noch einen Gaſt haben, der ſich nur kurze Zeit bei uns aufhalten kann. Baron. Wird der Hofrat kommen? Gräfiit. Er verſprach mir, heute wenigſtens auf ein Stündchen einzuſprechen. Er geht auf Kommiſſion. Baroit. Es ſind einige Unruhen im Lande. Gräfin. Es wird nichts zu bedeuten haben, wenn man ſich nur vernünftig gegen die Menſchen beträgt und ihnen ihren wahren Vorteil zeigt. Friederike. Unruhen? Wer will Unruhen anfangen? Baron. Mißvergnügte Bauern, die von ihren Herr- ſchaften gedrückt werden und die Veicht Anführer finden. Friederike. Die muß man auf den Kopf ſchießen. (Sie madt Beivegungen mit der Flinte.) Sehen Sie, gnädige Mama, mie mir der Magiſter die Flinte verwahrloſt hat! Ich wollte ſie doch mitnehmen, und da Sie es nicht erlaubten, wollte ich ſie dem säger aufzuheben geben. Da bat mich der Graurod ſo inſtändig, fie ihm zu laſſen: fie ſei ſo leicht, ſagt er, jo bequem, er wole fie ſo gut halten, er wolle ſo oft auf die Jagd gehen. Ich ward ihm wirklich gut, weil er jo oft auf die Jagd gehen wollte, und nun, ſehen Sie, find ich ſie heute in der Geſindeſtube hinterm Ofen. Wie bas ausſieht. Sie wird in meinem Leben nicht wieder rein. Baron. Er hatte die Zeit her mehr zu thun; er arbeitet mit an der allgemeinen Gleichheit, und da hält er wahrſchein- lich die Haſen auch mit für ſeinesgleichen und ſcheut ſich, ihnen was zuleide zu thun. Gräfin. Zieht euch an, Kinder, damit wir nicht zu warten brauchen. Sobald der Hofrat kommt, wollen wir eſſen. (ab.) Friederike (ihre Flinte beſchend). Ich habe die franzöſiſche Dritter Aufzug. 1. Auftritt. 145 Revolution ſchon ſo oft verwünſcht, und jetzt thu' ich's doppelt und dreifach. Wie kann mir nun der Schaden erſetzt werden, daß meine Flinte roſtig iſt? Dritter Nufzug. . 1. Auftritt. Saal im Schroffe. Gräfin. Hofrat. Gräfint. Ich geb' es Ihnen recht aufs Gewiſſen, teurer Freund. Denken Sie nach, wie wir dieſem unangenehmen Prozeſſe ein Ende machen. Ihre große Kenntnis der Geſeke, Ihr Verſtand und Fhre Menſchlichkeit helfen gewiß ein Mittel finden, wie wir aus dieſer widerlichen Sache ſcheiden können. Ich habe es ſonſt leichter genommen, wenn man unrecht hatte und im Beſitz war: je nun, dacht' ich, es geht ja wohl ſo hin, und wer hat, iſt am beſten drar. Seitdem ich aber bemerkt habe, wie ſich Unbilligkeit von Geſchlecht zu Geſchlecht ſo leicht aufhäuft, wie großmütige Handlungen meiſtenteils nur perſön- lich ſind und der Eigennuß allein gleichſam erblich wird; ſeit- bei ich mit Augen geſehen habe, daß die menſchliche Natur auf einen unglücklichen Grab gedrückt und erniedrigt, aber nicht unterdrückt und vernichtet werden kann: ſo habe ich mir feſt vorgenommen, jede einzelne Handlung, die mir unbillig ſcheint, ſelbſt ſtreng zu vermeiden und unter den Meinigen, in Geſell- ſchaft, bei Höfe, in der Stadt über ſolche Handlungen meine Meinung laut zu ſagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr ſchweigen, feine Kleinheit unter einen großen Scheine ertragen, und wenn ich auch unter dem verhaßten Namen einer Demokratin verſchrieeir werden ſollte. Hofrat. Es iſt ſchön, gnädige Gräfin, und ich freue mich, Sie wieder zu finden, wie ich Abſchied von Ihnen ge- nommen, und noch ausgebildeter. Sie maren eine Schülerin der großen Männer, die uns durch ihre Schriften in Freiheit geſetzt haben, und nun finde ich in Ihnen einen Zögling der großen Begebenheiten, die uns einen lebendigen Begriff geben von allem, was der wohldenfende Staatsbürger wünſchen und verabſcheuen muß. Es ziemt Ihnen, Ihrem eignen Stande Widerpart zu halten. Ein jeder kann nur ſeinen eignen Stand beurteilen und tadeln. "Aller Tadel heraufwärts oder Goethe, Werke. VIII. 146 Die Aufgeregten. hinabwärts iſt mit Nebenbegriffen und Kleinheiten vermiſcht, inan kann nur durch ſeinesgleichen gerichtet werden. Aber eben deswegen, weil ich ein Bürger bin, der es zu bleiben denkt, der das große Gewicht des höheren Standes im Staate anerkennt und zu ſchäßen Urſache hat, bin ich auch unverföhn- lich gegen die kleinlichen neidiſchen Neckereien, gegen den blinden Haß, der nur aus eignier Selbſtigkeit erzeugt wird, prätentiös Prätentionen bekämpft, ſich über Formalitäten formaliſiert und, ohne felbft Realität zu haben, da nur Schein - ſieht, wo er Glücł" und Folge ſehen könnte. Wahrlich! menn alle Vorzüge gelten ſollen, Geſundheit, Schönheit, Jugend, Reichtum, Verſtand, Talente, Klima, warum ſoll der Vorzug nicht auch irgend eine Art von Gültigkeit haben, daß ich von einer Reihe tapferer, bekannter, ehrenvoller Väter entſprungen bin! Das will ich ſagen da, wo ich eine Stimme habe, und wenn man mir auch den verhaßten Namen eines Ariſtokraten zueignete. (Hier findet ſich eine Lüde, welche wir durch Erzählung ausfüllen. Der trockne Ernſt dieſer Szene wird dadurch gemildert, daß der Höfrat ſeine Neigung zu Luiſen bekennt, indein er ſich bereit zeigt, ihr feine Hand zu geben. Ihre früheren Berhält: niſie vor dem Umſkurz, den Duiſcie Familie erlitt, kommiei zur Sprache, forvic die ſlilfen Bemühungen des vorzüglichen Mannes, rid) und zugleid) Luiſen cine Exiſtenz zu verſchaffen. Eine Szene ziviſchen der Gräfin, luiſen und dem Hofrat gibt Gelegenheit, drei ſchöne Charaktere näher kennen zu lernen und uns füir das, was wir in den nächſten Auftritten erdulden ſollen, vorläufig cinigerinaßen zu entſchädigen. Denn nun ver- faminelt ſich um den Thectijd), wo Buiſc einſchenkt, nad und nach das ganze Perſonal des Stüdcs, ſo daß zulcit aud die Baucrn cingeführt werden. Da man ſich nun nid)t enthalten kann, von Politik zu ſprechen, ſo thut der Baron, welder Leichtſinni, Frevel und Sport nicht verbergen kann, den Vorldlag, ſogleid, eine Nationalverſamm- lung vorzuſtellen. Der Hofrat wird zum Präſidenten erwählt, und die Charaktere der Mitſpielenden, wic man ſie ſdon kennt, entwickeln ſich freier und Heftiger. Die Gräfin, das Söhndjen mit verbundenem Kopfe neben fid), ſtellt die Fürſtin vor, deren Anſchen geſchmälert werden ſoll und die aus eignen liberalen Geſinnungen nad)311= geben geneigt iſt. Der Hofrat, verſtändig und gemäßigt, ſudyt ein Gleidigewicht 311 erhalten, ein Bemühen, das jeden Augenblick ſchwieriger wird. Der Baron ſpielt die Rolle des Ebcímanns, der von ſeinem Stande abfällt und zum Volkc iibcrgcht. Durch fcinc dhelmiſche Vorſtellung werden die andern gclodt, ihr Innerſtes Hervorzufchreii. Auch Herzensangelegenheiten mijden ſid, mit ins Spiel. Der Baron verfehlt nidit, Sarolinen die dmcichelhafteſten Sachen zu ſagen, die ſie zu ihren ſchönſten Gunſten auslegen kann. In der Heftigkeit, womit Jakob dic Gerechtſame des gräſlidien Hauſes verteidigt, läßt ſid) cine ſtille, unbewußte Neigung zu der jungen Gräfin nicht ver- kouinc Duiſe ſicut in allem dicſent nur die Erschütterung des häuslichen Glücks, deit ſie ſich ſo nahe glaubt, und wenn die Bauern initunter ſchwerfällig werden, ſo era heitert Bremenfeld die Szene durd) ſeinen Dünfel, durch Guidhidhten und guten Himmor. Der Magiſler, wie wir ihn ſchon fennen, überſdreitet vortfonimen die Grenze, und da der Baron immerfort het, läuft es endlich auf Perſönliditeiten hinaus, und als nun votlends die Brauſche des Erógrafeil als unbedeutend, ja lächerlich behandelt wird, ſo bridit die Gräfin los, und die Sadie kommt ſoweit, daß dem Magiſter auf gekündigt wird. Der Baron verſd)limmert das lebel, und er bedient ſid), da der Vierter Aufzug. 1. Auftritt. . 147 Lärm immer ſtärker wird, der Gelegenheit, mehr in Karolinen zu dringen und ſie zu einer Heimlichen Zuſammenkunft fiir dic Nadit zu bereden. Bei allen dieſem zcigt jid die junge Gräfin entſchieden bcftig, parteiiſch auf ihren Stand, Hartnäckig auf ihren Beſit, welche Härie jedod Durdi cin unbefangenes, rein natürliches und im tiefſten Grunde reditlidhes weibliches Weſen bis zur Liebenswürdigkeit gemildert wird. Ilnd ſo läßt ſich einſchen, daß der Akt ziemlid, tumultuariſch und, inſofern cs der bedenkliche Gegenſtand crlaubt, für das Gefühl nicht ganz unerträglick) geendigt wird. Victleidt bedauert man, daß der Verfaſſer die Schwierigkeiten einer ſolchen Szene nid;t zur rechten Zeit zu überwinden Bemüht war.) Vierfer I it f zit g. 1. Auftritt. Bremens Wohnung. Breine. Martin. Albert. Breme. Sind eure Leute alle an ihren Poſten? Habt ihr ſie wohl unterrichtet? Sind ſie gutes Muts? Martin. Sobald Ihr mit der Glocke ſtürmt, werden ſie alle da ſein. Breme. So ift's recht! Wenn im Schloſſe die Lichter alle aus find, wenn es Mitternacht iſt, ſoll es gleich angehen. Unſer Glück iſt's, daß der Hofrat fort geht. Ich fürchtete ſehr, er möchte bleiben und uns den ganzen Spaß verderben. Albert. Ich fürchte ſo noch immer, es geht nicht gut ab. Es iſt mir ſchon zum voraus bange, die Glocke zu hören. Breme. Seið nur ruhig! Habt ihr nicht heute ſelbſt gehört, wie über es jetzt mit den vornehmen Leuten ſteht? Habt ihr gehört, was wir der Gräfin alles unters Geſicht geſagt haben? Martin. Es war ja aber nur zum Spaß. Albert. Es war ſchon zum Spaße grob genug. Breme. Habt ihr gehört, wie ich eure Sache zil perfechten weiß? Wenn's Ernſt gilt, will ich ſo vor den Kaiſer treten." Und was ſagt ihr zum Herrn Magiſter, hat ſich der nicht auch wacker gehalten? Albert. Sie haben's Euch aber auch brav abgegeben. Ich dachte zuletzt, es würde Schläge ſetzen; und unſere gnädige Komteſſe, war's doch, als wenn ihr feliger Herr Vater leib- haftig da ſtünde. Breme. Laßt mir das Gnädige weg, es wird ſid, bald nichts mehr zu gnädigen haben. Seht, hier hab' ich die Briefe ſchon fertig, die ſchick ich in die benachbarten Gerichts- dörfer. Sobald's hier losgeht, ſollen die auch ſtürmen und rebellieren und auch ihre Nachbarn auffordern. AV 148 Die Aufgeregten. Martin. Das kann was werden. Breme. Freilich! Und alsdann Ehre, dem Ehre gebührt! Euch), meine lieben Kinder. Ihr werdet als die Befreier des Landes angeſehn. Martii. Ihr, Herr Breme, werdet das größte Lob da- von tragen. Breme. Nein, das gehört ſich nicht; es muß jetzt alles gemein fein. Martin. Indeſſen habt Ihr's doch angefangen. Breme. Gebt mir die Hände, brave Männer! So ſtanden einſt die drei großen Schweizer, Wilhelm Tell, Walther Staub- bach, Fürſt von Uri, bie ſtanden auf dem Grütliberg bei- ſammen und ſchwuren den Tyrannen ew'gen Haß und ihren Mitgenoſſen ewige Freiheit. Wie oft hat man dieſe wackern Helden gemalt und in Kupfer geſtochen! Auch uns wird dieſe Ehre widerfahren. In dieſer Poſitur werden wir auf die Nachwelt kommen. Martin. Wie Ihr Euch das alles ſo denken könnt. Albert. Ich fürchte nur, daß wir im Karrn eine böſe Figur machen können. Hordt! Es klingelt jemand. Mir zittert das Herz im Leibe, wenn ſich nur was bewegt. . Breme. Schämt Euch! Ich will aufziehen. Es wird der Magiſter fein, ich habe ihn herüber beſtellt. Die Gräfin hat ihm den Dienſt aufgeſagt; Die Konteſſ hat ihn ſehr be- leidigt. Wir werden ihn Yeicht in unſere Partei ziehen. Wenn wir einen Geiſtlichen unter uns haben, ſind wir unſerer Sache deſto gewiſſer. Martin. Einen Geiſtlichen und Gelehrten. Breme. Was die Gelehrſamkeit betrifft, geb' ich ihm nichts nach, und beſonders hat er weit weniger politiſche Lektüre als ich. Alle die Chroniken, die ich von meinem ſeligen Großvater geerbt habe, waren in meiner Jugend ſchon durchgeleſen, und das Theatrum Europäum fenn ich in- und auswendig. Wer recht verſteht, was geſchehen iſt, der weiß auch, was geſchieht und geſchehen wird. Es iſt immer einerlei; es paſſiert in der Welt nichts Neues. Der Magiſter kommt. Halt! wir müſſen ihr feierlich empfangen. Er muß Reſpekt vor uns kriegen. Wir ſtellen jetzt die Ne- präſentanten der ganzen Nation gleichſam in Nuce vor. Sezteuch! (Er ſetzt drei Stühle auf dic cine Seite des Theaters, auf die andere cinen Stuhl. Die beiden Schulzen [cizer ſid), und wie der Magiſter hereintritt, fctzt ſich Bremne geſchwind in ihre Mitte und nimmt ein gravitätiſches Weſen an.) Vierter Aufzug. . 2. Auftritt.“ 149 2. Uuftritt. Die Vorigen. Der Magifter. Magiſter. Guten Morgen, Herr Breme! Was gibt's Neues? Sie wollen mir etwas Wichtiges vertrauen, ſagten Sie. Breme. Etwas ſehr Wichtiges, gewiß! Setzen Sie ſich! (Magiſter will den einzelnen Stuht nehmen und zu ihnen rücken.) Nein, bleiben Sie bort, fitzen Sie dort nieder! Wir wiſſen noch nicht, ob Sie an unſerer Seite niederſitzen wollen. Magiſter. Eine wunderbare Vorbereitung. Breme. Sie ſind ein Mann, ein freigeborner, ein frei- Denkender, ein geiſtlicher, ein ehrwürdiger Mann. Sie ſind ehrwürdig, weil Sie geiſtlich ſind, und noch ehrwürdiger, weil Sie frei ſind. Sie ſind frei, weil Sie edel ſind, und find ſchätzbar, weil Sie frei ſind. Und nun! Was haben wir erleben müſſen! Wir ſahen Sie verachtet, wir fahen Sie be- Leidigt; aber wir haben zugleich Ihren edlen Zorn geſehen, einen edlen Zorn, aber ohne Wirkung. Glauben Sie, Saß wir Ihre Freunde find, ſo glauben Sie auch, daß ſich unſer Herz im Buſen umkehrt, wenn wir Sie verkehrt behandelt ſehen. Ein edler Mann und verhöhnt, ein freier Mann und bebroht, ein geiſtlicher Mann und verachtet, ein treuer Diener und verſtoßen! Zwar verhöhnt von Leuten, die ſelbſt. Hohn verdienen, verachtet von Menſchen, die keiner Achtung wert ſind, verſtoßen von Undankbaren, deren Wohlthaten man nicht genießen möchte, bedroht von einem Kinde, von einem Mädchen, - das ſcheint freilich nicht viel zu bedeuten; aber wenn fhr bedenkt, daß dieſes Mädchen kein Mädchen, ſondern ein ein- gefleiſchter Satan iſt, daß man ſie Legion nennen ſollte — denn es ſind viele tauſend ariſtokratiſche Geiſter in fie ge- fahrent' – ſo ſeht Ihr deutlich, was uns von allen Ariſtokraten Bevorſteht, jhr ſeht es, und wenn Ihr klug ſeid, ſó nehmt Jhr Eure Maßregeln. Magiſter. Bozu ſoll dieſe fonderbare Rede? Wohin wird Euch der ſeltſame Eingang führen? Sagt fhr das, um meinen Zorn gegen dieſe verðammte Brut noch mehr zu erhißen, um meine aufs äußerſte getriebene Empfindlichkeit noch mehr zıı reizen? Schweigt ſtille? Wahrhaftig, ich wüßte nicht, wozu mein gefränktes Herz jekt nicht alles fähig wäre. Was! Nach ſo vielen Dienſten, nach ſo vielen Xufopferungen inir ſo zu begegnen, mich vor die Thüre zu ſeben! Und warum? Wegen einer elenden Beule, wegen einer gequetſchten 150 Die Aufgeregten. Naſe, mit der ſo viele hundert Kinder auf und davonſpringen. Aber es kommt eben recht, eben recht! Sie wiſſen nicht, die Großen, wen fie in uns beleidigen, die wir Zungen, die wir Federn Haben. Breme. Dieſer edle Zorn ergötzt mich, und ſo frage ich diddenn im Namen aller edlen, freigebornen, der Freiheit werten Menſchen, ob Ihr dieſe Zunge, dieſe Feder von nun an dem Dienſte der Freiheit völlig widmen wollt? Mngiſter. O ja, ich will, ich werde! Breme. Daß Ihr keine Gelegenheit verſäumen wollt, zu dem edlen Zwecke mitzuwirken, nach dem jetzt die ganze Menſchheit emporſtrebt. Mngiſfer. Ich gebe Euch mein Wort. Breme. So gebt mir Eure Hand, mir und dieſen Männern! Magiſter.. Einem jeden; aber was haben dieſe armen Leute, die wie Sklavent" behandelt werden, init der Freiheit zu thun? Breme. Sie ſind nur noch eine Spanne davon, nur ſo breit, als die Schwelle des Gefängniſſes iſt, an deſſen eröff- neter Thüre fie ftehen. Magiſter. Wie? Breme. Der Augenblick iſt nahe, die Gemeinden ſind verſammelt, in einer Stunde ſind ſie hier. Wir überfallen das Schloß, nötigen die Gräfin zur Unterſchrift des Rezeſſes und zu einer eidlichen Verſicherung, daß fünftighinº alle drückende Laſten aufgehoben ſein ſollen. Magifier. Ich erſtaune! Breme. Da habe ich nur noch ein Bedenken wegen des Eids. Die vornehmen Leute glauben nichts mehr. Sie wird einen Eid fchwören und ſich davon entbinden laſſen. 'Man wird ihr beweiſen, daſs ein gezwungener Eid nidits gelte. Magiſter. Dafür will ich Rat ſchaffen. Dieſe Menſchen, die ſich über alles wegſeken, ihresgleichen behandeln wie Das Vich, ohne Liebe, ohne Mitleid, ohne Furcht frech in den Tag hineinleben, ſolange ſie mit Menſdhen zu thun haben, die ſie nicht ſchätzen, ſolange ſie von einem Gott ſprechen, ben ſie nicht erkennen: dieſes übermütige Geſchlecht fann fich doch von dem geheimen Schauer nicht losmachen, der alle lebendige Kräfte der Natur durchſchwebt, kann die Verbindung ſich nicht leugnen, in der Worte und Wirkung, That und Folge ewig miteinander bleiben. Laßt ſie einen feierlichen Eid thun! Vierter Aufzug. 2. Auftritt. 151 Martin. Sie ſoll in der Kirche ſchwören. Breme. Nein, unter freiem Himmel. Magiſter. Das iſt nichts. Dieſe feierlichen Szenen rühren nur die Einbildungskraft. Ich will es euch anders lehren. Umgebt ſie, laßt ſie in eurer Mitte die Hand auf ihres Sohnes Haupt legen, bei dieſem geliebten Haupte ihr Verſprechen beteuern und alles Uebel, was einen Menſchen betreffen kann, auf dieſes kleine Gefäßi herabrufen, wenn ſie unter irgend einen Vorwande ihr Verſprechen zurücknähme oder zugäbe, daß es vereitelt würde. Breme. Herrlich! Martin Schrecklich! Albert. Glaubt mir, ſie iſt auf ewig gebunden. Breme. Fhr ſollt zu ihr in den Kreis treten und ihr das Gewiſſen ſchärfen. Magiſter. An allem, was ihr thun wollt, nehm' ich Anteil; nur ſagt mir, wie wird man es in der Reſidenz an- ſehen? Wenn ſie euch Dragoner ſchicken, ſo ſeid ihr alle gleich verloren. Martiir. Da weiß Herr Breme ſchon Nat. Albert. Ja, was das für ein Kopf iſt! Magiſter. Klärt mich auf! Breme. Ja, ja, das iſt's nun eben, was man hinter Hermann Breme dem Zweiten nicht ſucht. Er hat Konexionen, Verbindungen da, wo man glaubt, er habe nur Kunden. So viel kann ich euch nur ſagen, und es wiſſen’s dieſe Leute, daß der Fürſt ſelbſt eine fievolution wünſcht. . Magiſter. Der Fürſt? Breme. Er hat die Geſinnungen Friedrichs und Joſephs, der beiden Monarchen, welche alle wahren Demofraten als ihre Heiligen anbeten ſollten. Er iſt erzärnt, zu ſehen, wie der Bürger- und Bauernſtand unterm Druck des Abels ſeufzt, und leider kann er ſelbſt nicht wirken, da er von lauter Ari- ſtokraten umgeben iſt. Haben wir uns nur aber erſt legiti- iniert, dann feßt er ſich an unſere Spike, und ſeine Truppen find zu unſern Dienſten, und Breme und alle brave Männer find an ſeiner Seite. Magiſter. Wie habt Ihr das alles erforſcht und ge- than, und habt Euch nichts merken laſſen? Breme. Man muß im ſtillen viel thun, um die Welt zu überraſcheit. (Er geht ans Fenſter.) Wenit nur erſt der Hofrat fort wäre, dann ſolltet ihr Wunder ſehen. 152 Die Aufgeregten. Martin (auf Bremen deutend). Nicht wahr, das iſt ein Mann? Albert. Er kann einem recht Herz machen. Breme. Und, lieber Magiſter, Sië Verdienſte, die Ihr Such dieſe Nacht erwerbt, dürfen nicht unbelohnt bleiben. Wir arbeiten heute fürs ganze Vaterland. Von unſerm Dorfe wird die Sonne der Freiheit aufgehen. Wer hätte das gedacht! Magiſter. Befürchtet Ihr keinen Widerſtand? Breme. Dafür iſt ſchon geſorgt. Der Amtmann und die Gerichtsdiener werden gleich gefangen genommen. Der Hofrat geht weg; die paar Bedienten wollen nichts ſagen, und der Baron iſt nur der einzige Mann im Schloſſe; Ben locke ich durch meine Tochter herüber ins Haus und ſperre ihn ein, bis alles vorbei iſt. Martiir. Wohl ausgedacht. Magifter. Ich verwundere mich über Eure Klugheit. Breme. Nu, nu! wenn es Gelegenheit gibt, fie 311 zeigen, ſollt Ihr noch mehr ſehen, beſonders was die aus- wärtigen Angelegenheiten betrifft. Glaubt mir, es geht nichts über einen guten Chirurgus, beſonders wenn er dabei ein ge- ſchickter Barbier iſt. Das unverſtändige Volf ſpridyt viel von Bartfrabern und bedenkt nicht, wie viel Dazu gehört, jeman- den zu barbieren, eben daß es nicht fratze. Glaubt mir nur, es wird zu nichts mehr Politik erfordert, als den Leuten den Bart zu puben, ihnen dieſe garſtigen, barbariſchen Erfremente der Natur, dieſe Barthaare, womit ſie das männlidje Kinn täglich verunreinigt, hinwegzunehmien und den Mann Dadurch an Geſtalt und Sitten einer glattmangigen Frau, einem zarten, liebenswürdigen Jüngling ähnlich zu machen. Komme ich dereinſt dazu, mein Leben und Meinungen aufzuſetzen, ſo ſoll man über die Theorie der Barbierkunft erſtaunen, aus der ich zugleich alle Lebens- und Klugheitsregeln herleiten will. Magiſter. Ihr ſeid ein originaler Kopf. Breme. Ja, ja, das weiß ich wohl, und deswegen habe ich auch den Leuten verziehen, wenn ſie mich oft nicht be- greifen konnten und wenn ſie, albern genug, glaubten, mich zum beſten zu haben. Aber ich will ihnen zeigen, daß, mer einen rechten Seifenſchaum zu ſchlagen weiß, wer mit Leichtig- keit, Bequemlichkeit und Gewandtheit der Finger einzuſeifen, den ſprödeſten Bart zalm zu machen verſteht; wer da weiß, daß ein friſch abgezogues Meſſer eben ſo gut rauft als ein ſtumpfes, wer mit dem Strich oder wider den Strich die Vierter Aufzug. 3. Auftritt. 153 Haare wegnimmt, als wären ſie gar nicht dageweſen; wer dem warmen Waſſer zum Abwaſchen die gehörige Temperatur verleiht und ſelbſt das Abtrocknen mit Gefälligkeit verrichtet und in ſeinem ganzen Benehmen etwas Zierliches darſtellt – Das iſt fein gemeiner Menſch, ſondern er muß alle Eigen- ſchaften beſitzen, die einem Miniſter Ehre machen. Albert. Ja, ja, es iſt ein Unterſchied zwiſchen Barbier und Barbier. Martin. llnd Herr Breme beſonders, das iſt dir eine ordentliche Luft. Breme. Nu, nu, es wird fich zeigen. Es iſt bei der ganzen Kunſt nichts unbedeutendes. Die Art, den Scherſack aus- und einzukramen, die Art, die Gerätſchaften zu halten, ihn unterm Árm zu tragen – ihr ſollt Wunder hören und Féhen. Nun wird's aber Zeit, saß ich meine Tochter vor- kriege. Thr Leute, geht an eure Poſten! Herr Magiſter, halten Sie ſich in der Nähe! Magiſter. Ich gehe in den Gaſthof, wohin ich gleich meine Sachen habe bringen laſſen, als man mir im Schloſſe übel begegnete. Breme. Wenn Sie ſtürmen hören, ſoll's Ihnen frei ſtehen, ſich zu uns zu ſchlagen oder abzuwarten, ob es uns glückt, woran ich gar nicht zweifle. Magiſter. Ich werde nicht fehlen. Breme. So lebt denn wohl und gebt aufs Zeichen acht! 3. Auftritt. Breme allein. Wie würde mein ſeliger Großvater fich freuen, wenn er ſehen könnte, wie gut ich mich in das neue Handwerk ſchicke. Glaubt doch der Magiſter ſchon, daß ich große Konnexionen bei Hofe habe. Da ſieht man, was es thut, wenn man ſich Kredit zu machen weiß. Nun muß Karoline kommen. Sie hat das Kind ſo lange gewartet; ihre Schweſter wird ſie ab- löſen. Da iſt ſie. 154 Die Aufgeregten. 4. Auftritt. Breme. Raroline Breme. Wie befindet ſich der junge Graf? Karoline. Recht leidlich. Ich habe ihm Märchen er- zählt, bis er eingeſchlafen iſt. Breme. Was gibt's ſonſt im Schloſſe? Karoline. Nichts merkwürdiges. Breme. Der Hofrat iſt noch nicht weg? Karoline. Er Tcheint Anſtalt zu machen. Sie binden :eben den Mantelſack auf. Breme. Haſt du den Baron nicht geſehen? Karoline. Nein, mein Vater. Breme. Er hat dir heute in der Nationalverſammlung allerlei in die Dhren geraunt? Karoline. Ja, mein Vater. Breme. Das eben nicht die ganze Nation, ſondern meine Tochter Karoline betraf? Karoline. Freilich, mein Vater. Breme. Du haſt dich doch klug gegen ihn zu benehmen gewußt? Karoline. O gewiß. Breme. Er hat wohl wieder ſtark in dich gedrungen? Karoline. Wie Sie denken können. Breme. Und du haſt ihn abgewieſen? Karoline. Wie ſich's ziemt. Breme. Wie id es von meiner trefflichen Tochter er: warten barf, die ich aber auch mit Ehre und Glück überhäuft und für ihre Tugend reichlich belohnt ſehen werde. Karoline. Wenn Sie nur nicht vergebens hoffen. Breme. Nein, meine Tochter, ich bin eben im Begriff, einen großen Anſchlag auszuführen, wozu ich deine Hilfe рхаиђе. Karoline. Was meinen Sie, mein Vater? Breme. Es iſt dieſer verivegenen Menſchenraſſe der Untergang gedroht. Karoline. Was ſagen Sie? Breme. Sebe dich nieder und ſchreib! Karoline. Was? Breme. Ein Billet an den Baron, daß er kommen ſoll. Karoline. Aber wozu? Vierter Aufzug. 4. 11. 5. Auftritt. 155 Breme. Das will ich dir ſchon ſagen. Es ſoll ihn kein Leids widerfahren, ich ſperre ihn nur ein. Karoline. D Himinel! Breme. Was gibt's ? Karoline. Soll ich mich einer ſolchen Verräterei ſchuldig machen? Breme. Nur geſchwind! Karoline. Wer ſoll es denn hinüber bringen? Breme. Dafür laß mich ſorgen. Karoline. Ich kann nicht. Breme. Zuerſt eine Kriegsliſt. (Er zündet eine Blendiaterne an und löjdst das Licht aus.) Geſchwind, nun ſchreib! ich will dir leuchten. Karoline (fiir ſidi). Wie ſoll das werden? Der Baron wird ſehen, daß das Licht ausgelöſcht iſt; er wird auf das Zeichen kommen. Breme (zwingt ſie zum Siben). Schreib! Luiſe bleibt int Schloſſe, mein Vater ſchläft. Ich löſche das Licht aus, fommen Sie!“ Karoline (widerſtrebend). Ich ſchreibe nicht. 5. Auftritt. . Die Vorigen. Der Baron am Fenſter. Baron. Karoline! Breme. Was iſt das? (Er (diebt die Blendraterne zu und hält Karolinen feſt, die aufſtehen will.) Baron (wie oben). Karoline! Sind Sie nicht hier? (Er ſteigt Herein.) Stille! Wo bin ich? Daß ich nicht fehl gehe. Gleich dem Fenſter gegenüber iſt des Vaters Schlafzimmer und hier rechts an der Wand die Thüre in der Mädchen Kammer. (Er tappt an der Seite hin und trifft die Thür.) Hier iſt ſie, nur ange- lehnt. D wie gut ſich der blinde Cupido im Dunkeln zu finden weiß! (Er geht hinein.) Brente. In die Falle! (Er ſchiebt die Blendiaterne auf, ciſt nads der Sammertyüre und ſtößt den Nieger vor.) So recht, und das Vorlege- ſchloß iſt auch ſchon in Bereitſchaft. (Er legt ein Schloß vor.) Und du Nichtswürdige! So verrätſt du mich? Karoline. Mein Vater! Breme. So heuchelſt du mir Vertrauen vor? Baron (inwendig). Karoline! Was heißt das? 156 Die Aufgeregten. Karoline. Ich bin das unglücklichſte Mädchen unter der Sonne. Breme (laut an der Thiire). Das heißt, daß Sie hier ſchlafen werden, aber allein. Baron (inwendig). Nichtswürdiger ! Machen Sie auf, Herr Breme! der Spaß wird Ihnen teuer zu ſtehen kommen. Breme (laut). Es iſt mehr als Spaß, es iſt bitterer Ernſt. Karoline (an der Thüre). fch bin unſchuldig an dem Verrat! Breme. Unſchuldig? Verrat? Karoline (an der Thiire knieend). D, wenn Du ſehen könnteſt, mein Geliebter, wie ich hier vor dieſer Schwelle liege, wie ich untröſtlich meine Hände ringe, wie ich meinen grauſamen Vater bitte!' – Machen Sie auf, mein Vater! – Er hört nicht, er ſieht mich nicht an. – O mein Geliebter, habe mich nicht im Verdacht, ich bin unſchuldig ! Breme. Du unſchuldig? Niederträchtige, feile Dirne! Schande deines Vaters! Swig ſchändender Flecken in dem Ehrenkleid, das er eben in dieſem Augenblicke angezogen hat. Steh auf, hör auf zu weinen, daß ich dich nicht an den Haaren von der Schwelle wegziehe, Sie du, ohne zu erröten, nicht wieder betreten ſollteſt. Wie! In dem Augenblick, da Breme fich den größten Männern des Erdbodens gleich ſetzt, ernied- rigt ſich ſeine Tochter ſo ſehr! Karoline. Verſtoßt mich nicht, verwerft mich nicht, mein Vater! Er that mir die heiligſten Verſpredungen. Breme. Rede mir nicht davon, ich bin außer mir. Was! ein Mädchen, das ſich wie eine Prinzeſſin, wie eine Königin aufführen ſollte, vergißt fich ſo ganz und gar? Ich halte mich kaum, daß ich dich nicht mit Fäuſten ſchlage, nicht mit Füßen trete. Hier hinein! (Er ſlößt ſie in fein Schlafzimmer.) Dies franzöſiſche Schloß wird dich wohl verwahren. Von welcher Wut fühl ich mich hingeriſſen! Das wäre die rechte Stimmung, um die Glocke zu ziehen. – Doch nein, faſſe dich, Breme! — Verdruß gehabt haben. Schäme sich nicht einer frechen Tochter und bedenke, daß Kaiſer Auguſtus in eben dem Augenblick mit Verſtand und Macht die Welt regierte, da er über die Vergehungen ſeiner Julie bittere Thränen vergoß. Schäme dich nicht, zu weinen, daß eine ſolche Tochter dich hintergangen hat; aber bedenke auch zugleich, daß der Endzivec erreicht iſt, daß der Widerſacher eingeſperrt verzweifelt und daß deiner Unternehmung ein glückliches Ende bevorſteht. - - - Vierter Aufzug. 6. 1. 7. Auftritt. 157 - 6. Uuftritt. · Saal im Schloffe erleuchtet. Friederike mit einer gezogenen Büchſe. Jakob mit einer Flinte. Friederike. So ift's recht, Jakob; du biſt ein braver- Burſche. Wenn du mir die Flinte zurecht bringſt, daß mir der Schulfuchs nicht gleich einfällt, wenn ich ſie anſehe, ſoliſt du ein gut Trinkgeld haben. Jakov. Ich nehme ſie mit, gnädige Gräfin, und will mein Beſtes thun. Sin Trinkgeld braucht's nicht, ich bin ſhr Diener für ewig. Friederike. Du willſt in der Nacht noch fort? Es iſt dunkel und regnicht; bleibe doch beim Häger ! Jakov. Ich weiß nicht, wie mir iſt; es treibt mich etwas fort. Ich habe eine Art von Ahnung.' Friederike. Du ſiehſt doch ſonſt nicht Geſpenſter. Jakob. Es iſt auch nicht Ahnung, es iſt Vermutung. Mehrere Bauern ſind beim Chirurgiis in der Nacht zuſammen gekommen; ſie hatten mich auch eingeladen, ich ging aber nid)t hin; ich will keine Händel mit der gräflichen Familie. Und jetzt wollt ich doch, ich wäre hingegangen, damit ich wüſte, was ſie vorhaben. Friederike. Nun, was wird's fein? Es iſt die alte Prozeßgeſchichte. Jakob. Nein, nein, es iſt mehr! Laſſen Sie mir meine Grille; es iſt für Sie, es iſt für Sie Ihrigen, daß ich bez ſorgt bin. (Geljt ab.) 7. Auftritt. Friederike, nachher die Gräfin und der Hofrat. Friederike. Die Büchſe iſt noch, wie ich ſie verlaſſen habe; die hat mir der Jäger recht gut verſorgt. Ja, das iſt auch ein Jäger, und über die geht nichts. Ich will fie gleich laden und morgen früh bei guter Tageszeit einen Hirſch ichießen. (Sie Beſchäftigt ſid, an einem Tiſche, worauf cini Armleuchter ſteht, mit Pulverhorn, Lademaß, Pflaſier, Suger, Hammer, und lädt die Büdiſe ganz langſam iind methodiſch.) Gräfiir. Da Haſt du ſchon wieder das Pulverhorn beim Licht; wie leicht kann eine Schnuppe herunterfallen. Sei doch vernünftig, du kannſt dich unglücklich machen! 158 Die Aufgeregten. Friederike. Laſſen Sie mich, liebe Mutter ! Ich bin ſchon vorſichtig. Wer ſich vor dem Pulver fürchtet, muß nicht mit Pulver umgehen. Gräfiir. Sagen Sie mir, lieber Hofrat, ich habe es recht auf dem Herzen: könnten wir nicht einen Schritt thun, wenigſtens bis Sie zurückkommen? Hofrat. Ich verehre in Ihnen dieſe Heftigkeit, das Gute zil wirfen und nicht einen Augenblick zu zaudern. Gräfin. Was ich einmal für Recht erkenne, möcht' ich auch gleich gethan ſehi. Das Leben iſt ſo kurz, und das Gute wirft ſo langſam. Hofrat." Wie meinen Sie denn? Gräfint. Sie ſind moraliſch überzeugt, daß der Umt: mann in dem Kriege das Dokument beiſeite gebracht hat. – Friederike (heftig). Sind Sie’s? Hofrat. Nach allen Anzeigen kann ich wohl ſagen, es iſt mehr als Vermutung. Gräfin. Sie glauben, daß er es noch zu irgend einer · Abſicht verwahre ? Friederike (wie oben). Glauben Sie? Hofrat. Bei der Verworrenheit ſeiner Rechnungen, bei der Unordnung des Archivs, bei der ganzen Art, wie er dieſen Rechtshandel benutzt hat, kann ich vermuten, daß er ſich einen Rückzug vorbehält, daß er vielleicht, wenn man ihn von dieſer Seite brängt, ſich auf die andere zu retten und das Doku- inent dem Gegenteile für eine anſehnliche Summe zu ver- handeli Denkt. Gräfin. Wie wäres, man flichte ihn durch Gewinſt zu locken? Er wünſcht ſeinen Neffen ſubſtituiert zu haben; wie wär' es, wir verſprächen dieſem jungen Menſchen eine Belohnung, wenn er zur Probe das Archiv in Ordnung brächte, beſonders eine anſehnliche, wenn er das Dokument ausfindig machte? Man gäbe ihm Hoffnung zur Subſtitution. Sprecheit Sie ihn noch, ehe Sie fortgehen; indes, bis Sie wieder- kommen, richtet ſich's ein. Hofrat. Es iſt zu ſpät, der Mann iſt gewiß ſchon 311 Bette. Gräfin. Glauben Sie das nicht! So alt er iſt, paſt er Ihnen auf, bis Sie in den Wagen ſteigen. Er macht Shnen noch in völliger Kleidung ſeinen Scharrfuß und ver- ſäumt gewiß nicht, ſich Ihnen zu empfehlen. Laſſen wir ihr rufen. Vierter Aufzug. 8. Auftritt. . 159 Friederike. Laſſen Sie ihn rufen, man muß doch ſehen, wie er ſich gebärdet. Hofrat. Ich bin's zufrieden. Friederike (klingelt und ſagt zum Bedienten, der hereinkommt). Der Amtmann möchte doch noch einen Augenblick herüberkommen! Gräfiit. Die-Augenblicke ſind koſtbar. Wollen Sie nicht indes nuoch einen Blick auf die Papiere werfen, die ſich auf dieſe Sache beziehen? (Zuſammen ab.)". 8. Uuftritt. Friederike allein, niachher der amtin ann. Friederike. Das will mir nicht gefallen. Sie ſind über- zeugt, daß er ein Schelin iſt, und wollen ihm nicht zu Leibe. Sie ſind überzeugt, daß er ſie betrogen, ihnen geſchadet hat, und wollen ihn belohnen. Das taugt nun ganz und gar nichts. Es wäre beſſer, daß man ein Erempel ſtatuierte. - Da kommt er eben recht. Amtmann. Ich höre, baß des Herrn Hofrats Wohl- geborent nnoch vor fhrer Abreiſe mir etwas z11 ſagen haben. Ich komme, deſſen Befehle zil vernehmen. Friederike (inden ſie die Büdiſe nimmt). Verziehen Sie einen Augenblick, er wird gleich wieder hier ſein. (Sie Idhüttet Pulver auf die Pfanne.) Amtmann. Was machen Sie da, gnädige Gräfin? Friederike. Ich habe die Büchſe auf morgen früh ge- laden; da ſoll ein alter Hirſch fallen. Amtmani. Ei, ei! Schon heute geladen und Pulver auf die Pfanne, das iſt verwegen! Wie leicht kann da ein Inglück geſchehen! Fricderike. Ei was! Ich bin gern fix und fertig. (Sie hebt das Gewehr auf und hält es, gleidhjam zufällig, gegen ihn.) Amtmann. Ei, gnädige Gräfin, kein geladen Gewehr jemals auf einen Menſchen gehalten! Da kann der Böſe ſein Spiel haben. Friederike (in der vorigen Steưung). Hören Sie, Herr Amt- mann, ich muß Ihnen ein Wort im Vertrauen ſagen: – daß Sie ein erzinfamer Spitzbube ſind. Amtmanir. Welche Ausdrücke, meine Gnädige! – Thun Sie die Büchſe meg! Friederike. Rühre dich nicht vom Pfaß, verdammter 160 Die Aufgeregten. Kerl! Siehſt du, ich ſpanne, ſiehſt du, ich lege an! Du haſt ein Dokument geſtohlen – Amtmann. Ein Dokument? Ich weiß von keinem Do- kumente. Friederike. Siehſt du, ich ſteche, es geht alles in der Ordnung, und wenn du nicht auf der Stelle das Dokument Herausgibſt oder mir anzeigſt, wo es ſich befindet, oder was mit ihm vorgefallen, fo rühr ich dieſe kleine Nadel, und du biſt auf der Stelle mauſetot. Aintianit. Um Gotteswillen! Fricderike. Wo iſt das Dokument? Amtmann. Ich weiß nicht – Thun Sie die Büchſe weg - Sie könnten aus Verſehen – Friederike (wie oben). Aus Verſehen oder mit Willen biſt du tot. Nede, wo iſt das Dokument? Amtmann. Es iſt – verſchloſſen. 9. Auftritt. Gräfint. Hofrat. Die Vorigen. Gräfint. Was gibt's hier ? . . . Hofrat. Was machen Sie? Friederike (immer zum Amtmann). Nühren Sie ſich nicht, oder Sie find des Todes!' wo verſchloſſen? Amtuanır. In meinem Pulte. Friederike. Und in dem Pulte ipo? Amtmann. Zwiſchen einem Doppelboden. Friederike. Wo iſt der Schlüſſel ? Auntmani. In meiner Taſche. Friederike. Und wie geht der doppelte Boden auf? Amtmann. Durch einen Druck an der rechten Seite. Friederike. Heraus den Schlüſſel! Amtmann. Hier iſt er. Friederike. Hingeworfen! (Der Amtmann wirft ihn auf die Erde.) lind die Stube ? Amtmani. Iſt offen. Friederike. Wer iſt brinnen? Amtmann. Meine Magd und mein Schreiber. Friederike. Sie haben alles gehört, Herr Hofrat. Ich habe Ihnen ein umſtändliches Geſpräch erſpart. Nehmen Sie den Schlüſſel und holen Sie das Dokument. Bringen Sie Vierter Aufzug. 9. Auftritt. 161 cs nicht zurück, ſo hat er gelogen, und ich ſchieße ihn dar- uin tot. Hofrat.. Laſſen Sie ihn mitgehen; bedenken Sie, was Sie thun. Friederike. Ich weiß, was ich thue. Machen Sie mich nicht wild und gehen Sie! (Hofrat ab.) Gräfin. Meine Tochter, du erſchreckſt mich. Thu das Gewehr weg! Friederike. Gewiß nicht eher, als bis ich das Doku- ment fehe. Gräfin. Hörſt du nicht? Deine Mutter befiehlt's. Friederike. Und wenn mein Vater aus dem Grabe aufſtünde, ich gehorchte nicht. Gräfiit. Wenn es losginge! Friederike. Welch Unglück wäre das? Amtmann. Es würde Sie gereuen. Friederike. Gewiß nicht. Erinnerſt du dich noch, Nichts- würdiger, als ich vorm jahr im Zorn nach deni Jäger- burſchen ſchoß, der meiner Hund prügelte, erinnerſt du Sich 110ch, da ich ausgeſcholten wurde und alle Menſchen den glück- lichen Zufall prieſen, der mich hatte fehlen laſſen, da iparſt du's allein, der hämiſch lächelte und ſagte: Was wär' es denn geweſen? Ein Kind aus einem vornehmen Hauſe! Das. wäre mit Geld abzuthun. Ich bin noch immer ein Kind, ich bin noch immer aus einem vornehmen Hauſe; ſo müßte das auch wohl mit Geld abzuthun ſein. Hofrat (kommt zurücf). Hier iſt das Dokument. Friederike. Iſt es? (Sie bringt das Gewehr in Nuk.) Gräfint. Ift's möglich? Amtmanit. D ich Unglücklicher ! Friederike. Geh, Elender! Saß deine Gegenwart meine Freude nicht vergälle! . Hofrat. Es iſt das Original. Friederike. Geben Sie mir's! Morgen will ich's den Gemeinden ſelbſt zeigen und ſagen, daß ich's ihnen erobert habe. Gräfin (fie umarmend). Meine Tochter! Friederike. Wenn mir der Spaß nur die Luſt an der Jagd nicht verdirbt! Solch ein Mildbret ſchieß ich nie wieder! Boethe, Werfc. VIII. il , 162 Die Aufgeregten. Hünffer Nufzug. Nacht, trüber Mondſchein. Das Theater ſtellt einen Teil des Parts vor, der früher beſchrieben worden. Nauje, ſtcile Felſenbänke, auf denen ein Verfallencs Sdiloß. Natur und Mauer- rocrt ineinander verſchränkt. Die Nuine forvie die Jellen mit Bäumen und Büſdicit bervacijen. Eine dunkle Kluft deutet auf Höhlen, wo nid)t gar unterirdiſche Gänge. Friederike, Fackeltragend, die Büdiſe unterm Arm, Piſtolen im Gürtel, tritt aus der Höhle, umherſpiirend. Jyr folgt die Gräfin, den Soun an der Hand. Quds Luiſe. Sodann der Bediente, mit Räſtchen Beſchwert. Man crfährt, dai poil hier ein unterirdiſder Gang zu den Gewölben des Sdhylojica reidt, daß man die Sdiloßpforten gegen die andringenden Bauern verriegelt, daß die Gräfin verlangt habe, man jolle ihnen aus dem Fenſter das Dokument ankündigen und zeigen und jo alics beilegen. Friederike jedod jci nicht zu bewegen geweſen, ſich in irgend cine Kapitulation cinzulaſſen, 110ch ſid, einer Gewalt, ſelbſt nad eigenen Abjichten, zu fügen. Sic habe vielinehr die Shrigen zur Fludit genötigt, um auf dicfcin ge- Yeimen Wcge ins Freie zu gelangen und den beriadhbarten Sitz cincs Anyerivandten zu erreiden. Eben will man ſich auf den Weg madjen, als man oben in der Nuinc Lidyt ſicht, ein Ocräuſdh hört. Man zicht ſich in die Höhle zurück. Scrunter formen Fakob, der sofrat und eine Partei Bauern. Jakob hatte ſie unterwegs angetroffen und ſie zu gunſten der Herrſchaft zu Vereden gejudit. Der Wagen des wegfahrenden Hofrats war unter ſie gefomien. Diejer würdige Mann verbindet ſid, mit Jakob und kann das Hauptargument, daß der Original: rezeß gefinden ſei, allen übrigen Beweggründen hinzufügen. Die aufgeregte Schar wird beruhigt, ja ſic entidyließt ſid), den Damen zu Hilfe zu koinmen. Friederike, die gelaufdt hat, nun vor allem unterrichtet, tritt unter ile, dern Sofrat und dem jungen landma 111 ſehr willkommen, aud, den übrigen durch die Vorzeigung des Dokuments höchſt erivünſđt. Eine früher ausgcfcudete Patrouille dieſes Trupps kommt zurück und meldet. daß ein Teil der Lufgeregten vom Schloſje her im Unmarſche ſci. Alles verbirgt ſid), teils in die Höhle, teils in Felfen und Gemäuer. Vreme mit einer Anzahl bewaffneter Bauern tritt auf, ſchilt auf den Magijler, daß er außen geblieben, und erklärt die Urjadje, warum er cinen Teil der Mann- fdjaft in den Gewölben des Schloſſes gelaſſen und mit dem andern ſidi hicher ver: fügt. Er weiß das Geheimnis des unterirdiſchen Ganges und iſt überzeugt, daß dic Familie ſid) darin verſteckt, und dics gibt die Gewißheit, ihrer yabhaft zu werden. Sie zünden Fackelii an und ſind im Begriff, in die Höhle zu treten. Friedcrifc, Jakob, der Hofrat erſdeinen in dem Augenblicke bewaffnet, ſowie die übrige Menge. Bremne ſucht der Sadje cine Wendung durd) Beiſpiele aus der alten Geſchidhte zu geben und thut ſid) auf ſeine Einfälle viel zu gute, da man ſie gelten läßt, und als nun das Dokument auch hier ſeine Wirkurig nicht verfehlt, ſo ſchließt das Stiict zu allgemeiner Zufriedenheit. Die vier Perſonen, deren Gegenwart einen unango- nchmen Eindruck adien könnte: Saroline, der Baron, der Magiſter und der Amii ani, kommen nidt mchr zum Vorſdcin. Des Spimenides Srwachen. Ein Feſtſpiel. Den Frieden kann das Wollen nicht bereiten: Wer alles will, will ſich vor allen inächtig, Inden er ſiegt, lehrt' er die andern ſtreiten; Bedenkend macht er ſeinen Feind bedächtig. So wachſen Kraft und Liſt nach allen Seiten, Der Weltkreis ruht von Ungeheuern trächtig, Und der Geburten zahlenloſe Plage Droht jeden Tag als mit dem jüngſten Tage. Der Dichter ſucht das Schickſal zu entbinden, Das, wogenhaft und ſchrecklich ungeſtaltet, Nicht Maß, noch Ziel, noch Richte weiß zu finden Und brauſend webt, zerſtört und knirſchend ivaltct. Da faßt die stunſt, in liebenden Entzünden, Der Maſſe Wuſt; die iſt ſogleich entfaltct. Durch Mitverdienſt gemeinſamen Erregens, Geſang und Rede, ſinnigen Bewegens. Mitwirkende. ris: · · · · · · · · · · Genaſt. Tonkünſtler . . . . . . . . . . : B. A. Weber. Schauſpieler. Prolog: die Muſe... · · . . . . Wolff. Dortfiihrer: Epimenides .... Graff. Dämonen: des Striegs . . . . . . . . Haide. Sardinal . . . . . Dels. Diplomat . . . . . Wolff. der Lift. / | Hofmanıı . . . . Deny. Dame . . . . . . Engels. Juriſt . Lorzing. Luſtige Perſon .Unzelmann. der Unterdrückung i. . . . . Stromercr. Schauſpieler. Chorführer: Jugendfürſt ...Moltke. . . 164 Des Epinenides Erwachen. Chor der Tugenden: Glaube . . . . . . . . . . Sberiveill. Liebe . . . . . . . . . . Iinzelmanni. Hoffnung . . . . . . . . . Wollt. Einigkeit . . . . . . . . . Porzing. Begleitende: Zwei Prieſter. Zwei Genien . . . . . . . 3 Niemau. Schweigende: Kleinere Gcnicn, Sleine Dämonen. Chöre: Strieger, Hofleute, Echo der Freigeſinnten, Sieger, Frauen, Landleutc. . Dekorateur . . . . . . . . . Beither. tent . . . . : 5 Veck. Berlin, den 30. März 1815. Weimar, den 30. Januar 1910. S r ft er N it f zig. Ein prächtiger Säulenhof; im Grunde ein tempelähnliches Wohn- gebäudc. Hallen an der Seite. Die Mittelthüre Ocs Gebäudes iſt durch einen Vorhang geſchloſſen. 1. Auftritt. Die Muſe. (3wei Genien, der eine, an einem Thyrſus Leier, Masken, geſdj riebene Nolle trophäenartig tragend; der andere einen Sternenkreis um ſich her.) In tiefe Sklaverei lag ich gebunden, Und mir gefiel der Starrheit Eigenſinn; Ein jedes Licht der Freiheit war verſchwunden; Die Feſſeln ſelbſt, fie ſchienen mir Gewinn: Da nahte ſich in holden Frühlingsſtunden Ein Glanzbild; gleich entzückt - ſo wie ich bin - Seh? ich es weit und breiter fich entfalten, Und rings umher iſt keine Spur des Alten. Die Feſſeln fallen ab von Hänð' und Füßen, Wie Schuppen fällt's herab vom ſtarren Blick, 10 Und eine Thräne, von den liebeſüßen, Zum erſtenmal ſie kehrt ins Aug’ zurück ; Erſter Aufzug. 1. Auftritt. 165 I') * 100% - 25 Sie fließt – ihr nach die Götterſchweſtern fließen, Das Herz empfindet längſt entwohntes Glück, Und mir erſcheint, was mich bisher gemieden, 15 Ganz ohne Kampf, der reine Seelenfrieden. lind mir entgegnet, was mich ſonſt entzüfte: Der Leier Klang, der Töne ſüßes Licht Ind, was nich ſchnell der Wirklichkeit entrückte, Bald ernſt, bald frohgemut, ein Kunſtgeſicht; Und das den Pergamenten Aufgedrückte, Ein unergründlich ſchweres Leichtgewicht; Der Sterne Kreis erhebt den Blick nach oben, Und alle wollen nur das eine loben. Und Glück und Unglück fragen ſo fich beſſer ; Die eine Schale ſinft, die andre ſteigt, . Das Unglüd mindert ſich, das Glück wird größer, So auf den Schultern trägt man beide leicht! Da leere das Geſchick die beiden Fäſſer, Der Segen trifft, wenn Fluch uns nie erreicht; 30 Wir ſind für ſtets den guten Geiſt zu teile, Der böſe ſelbſt, er wirft zu unſerm Heile. So ging es mir! Mög’ es euch ſo ergehen, Daß aller Haß ſich augenblics entfernte Und, wo wir noch ein dunkles Wölkchen ſehen, Sich alſobald der Himinel überſternte, Es tauſendfach erglänzte von den Höhen Und alle Welt von uns die Eintracht lernte; Und ſo genießt das höchſte Glück hienieden: Nach hartem äußern Kampf den innern Frieden. 40 (Die Muſc Deivegt jid), als wenn ſie abgchen wollte; dic Kinder zichen voran und ſind ſchon in der Couliſje, fie aber iſt 1104) auf dem Theater, wenn Epimenides er: ſcheint; dann ſpridit ſic folgende Stanze, geht ab, und jener kommt die Stufen berunter.) Muſe. Und dieſen laſt? ich euch an meiner Stelle, Der, früher ſchon, geheimnisvoll belehrt, Als Mann, der Weisheit unverſiegter Quelle Und ihrem Schaun fich treulich zugekehrt; Nun, freigeſinnt, beinah zur Götterhelie 45 Die wunderbarſten Bilder euch erklärt; Doch laßt vorher die wildeſten Geſtalten In eigenſinniger Kraft zerſtörend walten. (16.) 35 166 Des Epimenides Erwachen. 50 55 55 . . 2. Auftritt. Epimenides. Uralten Waldes majeſtätiſche' Kronen, Schroffglatter Felſenwände Spiegelflächen Im Schein der Abendſonne zu betrachten - Erreget Geiſt und Herz zu der Natur Erhabnen Gipfeln, ja zu Gott hinan. Auch ſchau' ich gern der Menſchenhände Werk, Woher des Mieiſters Hochgedanke ftrahlt; Und dieſer Pfeiler, dieſer Säulen Pracht Umwandlich ſinnend, wo ſich alles fügte, Wo alles trägt und alles wird getragen! So freut mich auch, zu fehn ein edles Volk Mit ſeinem Herrſcher, die im Einklang ſich Zuſammenwirfend fügen, für den Tag, fa für Jahrhunderte, wenn es gelingt. Únd ſo begrüß' ich froh die Morgenſonne, Begriiße gleidjerweiſ' die ſcheidende!' Dani wend' ich meinen Blick den Sternen zu, Und dort wie hier iſt Einklang der Bewegung. Der Jugend Nachtgefährt iſt Leidenſchaft, Ein wildes Feuer leuchtet ihrem Pfad; Der Greis hingegen wacht mit hellen Sinn, Und ſein Gemiit umſchließt das "Ewige. 65 3. Uuftritt. Genien (treten rajd, auf und ſtellen ſich ihm zu beiden Seiten). Wandelt der Mond und bewegt ſich der Sterii, Junge wie Alte, fie ſchlafen ſo gern; Leuchtet die Sonne nach löblichem Brauch, Junge wie Alte, fie ſchlafen wohl auch. Epimenides. Gin heitres Lied, ihr Kinder, doch voll Sinn. 75 Ich fenn' euch wohl! Sobald ihr ſcherzend kommt, Dann iſt es Ernſt, und wann ihr ernſtlich ſprecht, Vermut ich Schalkheit. Schlafen, meint ihr, ſchlafen? An meine Jugend wollt ihr mich erinnern. Erſter Nufzug. . 3. Auftritt. Auf Kretas Höhn, des Vaters Herde weidend, 80 Die Inſel unter mir, ringsum das Meer, Den Tageshimmel von der einzigen Sonne, Von tauſenden den nächtigen erleuchtet; Da ſtrebt's in meiner Seele, dieſes' Aii, .. Das herrliche, zu kennen; doch umſonſt: Der Kindheit Bande feſſelten mein Haupt. · Da nahmen ſich die Götter meiner an, Zur Höhle führten ſie den Sinnenden, Verſenkten mich in tiefen, langen Schlaf. Als ich erwachte, hört' ich einen Gott: „Biſt vorbereitet," ſprach er, „wähle nun! Willſt du die Gegenwart und das, was iſt, Willſt du die Zukunft ſehn, was ſein wird ?" - Gleich Mit heiterm Sinn verlangť ich zu verſtehn, Was mir das Auge, was das Dhr mir beut. Und gleich) - erſchien durchſichtig dieſe Welt, Wie ein Kryſtallgefäß init ſeinem Inhalt. --- Den ſchau' ich nun ſo viele Jahre ſchon; Was aber künftig iſt, bleibt mir verborgen. Soll ich vielleicht nun ſchlafen, ſagt mir an, 100 Daß ich zugleich auch Künftiges gewahre ? Genien. Wäreſt du fieberhaft, wäreſt du krank, Wüßteſt dem Schlafe du herzlichen Dank: Zeiten, ſie werden ſo fieberhaft ſein, Laden die Götter zum Schlafen dich ein. 103 Epimenides. Zum Schlafen? jetzt? – Ein ſehr bedeutend Wort. Zwei euresgleichen ſind's, wo nicht ihr ſelbſt, Sind Zwillingsbrüder, einer Schlaf genannt, Den andern mag der Menſch nicht gerne nennen; Doch reicht der Weiſe einem wie dem andern Die Hand mit Willen -- alſo, Kinder, hier! (Er reidit ihnen die Hände, welche ſie anfajjen.) Hier habt ihr mich! Vollziehet den Befehl, Ich lebte nur, mich ihm zu unterwerfen. . Genien. Wie man es wendet und wie man es nimmt, Alles geſchieht, was die Götter beſtimmt! 115 100 100 110 168 Des Epintenides Erwachen. Laß nur den Sonnen, den Monden den Lauf, Kommen wir zeitig und ivecken dich auf. (Epimenides ſteigt, begleitet von den Snaben, die Stujen hinaii, und als die Dor: hänge ſich öffnen, jicht man ein prädytiges Lager, über demſelben eine wohlerleichtete Lampe, Gr beſteigt es; man ficyt ihn fich niederlegen und cinſdlafen. Sobald der Weiſe ruht, clicben die Strabon zici chcrne Pfortenflügel, auf wveldheil man den Solaf und Tod, nadı antiker Wciſe, vorgeſtellt ſicht. Fernes Donnern.) 4. Auftritt. Heereszug. (Sm Noſtüm der ſämtlichen Döffer, weldie von den Nömern zuerſt bezwungen und dann als Bundesgenoſſc gegen die übrige Welt gebraudit worden.) Der Ruf des Herrn Der Herrn ertönt; Wir folgen gern, 120 Wir ſind's gewöhnt. Geboren ſind Wir all zum Streit, Wie Schall und Wind, Zum Weg bereit. Wir ziehn, wir ziehn Und ſagen's nicht; Wohin? wohin? Wir fragen's nicht; lind Schwert und Spieſ, Wir tragen's fern, Und jen's und dies, Wir wagen's gern. 125 130 . - 135 135 · 5. Auftritt. Dämon des Kriegs (ſchr jduen auftretend). Mit Staunen ſeh' ich euch, mit Freude, Der ich euch ſchuf, bewundr' euch heute: Jhr zieht mich an, ihr zieht mich fort, Mid, inuß ich unter euch vergeſſen: Mein einzig Streben ſei immerfort, An euren Eifer mich zlı ineſſen. Des Höchſten bin ich mir bewußt, Dem Wunderbarſten widn' ich mich mit Luft: Denn wer Gefahr und Tod nicht ſcheut, 140 Erſter Aufzuig. 5. Auftritt. 169 1.15 150 Iſt Herr der Erde, Herr der Geiſter; Was aud fich gegenſetzt und bräut, Er bleibt zulekt allein der Meiſter. Kein Widerſpruch! kein Widerſtreben! Ich kenne keine Schwierigkeit, Ilnd wenn umljer die Länder beben, Dann erſt iſt meine Wonnezeit. Ein Neich mag nach dem andern ſtürzen, Ich ſteh allein und wirke frei; Und will ſich wo ein ſchneller Knoten ſchürzen, Um deſto ſchneller hau' ich ihn entzwei. Kaum iſt ein großes Werk gethan, - Ein neues war ſchon ausgedacht; 155 Und wär ich ja aufs äußerſte gebracht, Da fängt erſt meine Kühnheit an. Ein Schauder überläuft die Erde, Ich ruf ihr zu ein neues Werde. (Ein Brandſchein verbreitet ſich über das Theater.) Es werde Finſternis! – Ein brennend Meer 160 Soll allen Horizont umrauchen und ſich der Sterne zitternd Heer. Im Blute meiner Flammen tauchen. Die höchſte Stunde bricht herein; Wir wollen ihre Gunſt erfaſſen: ' Gleich unter dieſer Ahnung Schein Entfaltet euch, gedrängte Maſſen; Vom Berg ins Land, flußab ans Meer Verbreite dich, unüberivindlich Heer! llud wenn der Erdkreis überzogen Kaum noch den Atem heben mag, Demütig ſeine Herrn bewirtet - Am Ufer ſchließet mir des Zwanges ehrnen Bogen; . Denn wie euch ſonſt das Meer umgürtet, llmgürtet ihr Die fühnen Wogen: : So Nacht für Nacht, ſo Tag für Tag; Nur feine Worte! — Schlag auf Schlag! Heereszug (lich entfernend). So geht es fühn zur Welt hinein; Was wir beziehn, 180 Wird unſer fein; 175 170 Des Epimenides Erwachen. . . . 185 190 Will einer das, Verwehren wir's; Hat einer was, Verzehren wir's. Hat einer gnug. Und will noch mehr, - Der wilde Zug · Macht alles leer. Da ſagt man auf, Und brennt das Haus, Da padt man auf Und rennt heraus. So zieht vom Drt Mit feſtem Schritt Der Erſte fort Den Zweiten mit. Wenn Wahn und Bahn Der Beſte brac), Kommt an und an Der Lekte nach. 195 200 6. Uuftritt. Dämonen der Liſt (treten, in verſchiedenen Geſtalten, von derſelben Seite, nad) welder das Stricgabeer nozicht, auf, jdlingan jid) durddic Nolonne durd), weldje, in ihrem raſchen Sdiritt gehindert, langſamer abzicht). Wenn unſer Sang Gefällig lockt, Der Siegesdrang, Er ſchwankt und ſtockt; Wenn unſer Zug Sich krümmt und ſchlingt, Der Waffen Flug Wird felbſt bedingt. Nur alle mit, 210 Dahin! dahin! Nur Schritt vor Schritt, . Gelaſſen fühn. 205 Erſter Aufzug. 6. u. 7. Auftritt. 171 215 Wie's ſteht und fällt, Fhr tretet ein; Geſchwind die Welt Wird euer ſein. (Wenn der Kriegszug das Theater verlaſſen hat, haben dic Neuangelommenen das: cibe don völlig eingenommen, und indem der Dämon. des Stricgs den Seinigen folgen will, treten ihm die Dämonen der Liſt in den Weg.) 220 7. Auftritt. Dämonen der Liſt. Alle. Halt ein! Du rennft in dein Verderben! Dämon des Kriegs. Wer alſo ſpricht, der müſſe ſterben! Pfaffe. Erkenn' ich doch, daß du unſterblich biſt; Doch auch unſterblich iſt die Pfaffenliſt. Dämon des Kriegs. So ſprccht! Juriſt. Fürwahr, dein ungezähınter Mut Läßt ſich zur Güte nicht erbitten. Du iyirſt init einem Meer von Blut Den ganzen Erdkreis überſchütten. : Diplomat. Doch wandl ich dir nicht ſtill voran Und folg' ich nicht den raſchen Pfaden, So haſt du wenig nur gethan Und wirſt dir immer ſelber ſchaden. Dame. Wer Veiſe reizt und leiſe quält, 230 Erreicht zuletzt des Herrſchers höchſtes Ziel, Und wie den Marmor ſelbſt der Tropfen Folge. höhlt, So töt' ich endlich das Gefühl. Diplomat. Du eilft uns vor, wir folgen ſtill, . Und mußt uns doch am Ende ſchäken; Denn wer der Liſt fich wohl noch fügen will, Wird der Gewalt fich widerſetzen. 225 235 172 . Des Epimenides Erwachen. 240 Dämon des Kriegs. Verweilet ihr, ich eile fort! Der Abſchluß, der iſt meine Sache. Du wirkeſt hier, du wirkeſt bort, llnd-wenn ich nicht ein Ende mache, So hat ein jeder noch ein Wort. Ich löſe raſch mit einemmale Die größten Zweifel angeſichts : So legte Brennus in die Schale Das Schwert ſtatt goldenen Gewichts. Du magſt nur bein Gewerbe treiben, fil dem did niemand übertrifft; Ich kann nur mit dem Schwerte fchceiben, Mit blutigen Zügen, meine Schrift. (Geht rajd, ab.) 250 2.15 255 8. Auftritt. Dämonen der Liſt. Pfaffe. Der Kriegesgott, ei wüte jekt, Und ihr umgarnt ihn doch zuletzt. Diplomat. Zertret er goldner Saaten Halme Mit flügelſchnellen Siegeslauf; Allein, wenn ich ſie nicht zermalme, Gleich richten ſie ſich wieder auf. Dame. Die Geiſter macht er nie zu Sklaven; Durch offne Nache, harte Štrafen Macht er ſie nur der Freiheit reif. . Hofmann. Doch alles, was wir je erſonnen, und alles, was wir je begonnen, Gelinge nur durch Unterſchleif. Pfaffe. Den Völkern wollen wir verſprechen, Sie reizen zu der fühnſten That; Wenn Worte fallen, Worte brechen, Nennt man uns weiſe, klug im Rat. Juriſt. Durch Zaudern wollen wir verwehren, Ilnd alle werden uns vertraun : 260 265 Erſter Aufzug. 8. Auftritt. 173 270 Es ſei ein ewiges Zerſtören, Es ſei ein ew'ges Wiederbaun. Luſtige Perſon. Steht nur nicht ſo in enggeſchloßien Reiher., Schließt mich in eure Zirkel ein, Damit zu euren Gaufeleien Die meinigen behilflich ſei'n! Bin der Gefährlichſte von allen! Dieweil man mich für nichtig hält, Daran hat jedermann Gefallen, Und ſo betrüg' ich alle Welt. Euch dien' es allen zum Beſcheide! Ich ſpiele doppelte Perſon; Erſt komm' ich an in dieſen Kleide, In dieſem mach' ich mich davon. 275 280 Diplomat. Und nun beginnet gleich! – Das Herrliche Gebäude, Der Augen Luſt, des Geiſtes Freude, Im Wege ſteht es mir vor allen; 285 Durch eure Künſte ſoll es fallen!' Hofmann. Leiſe müßt ihr das vollbringen; * Die gelinde Macht iſt groß, Wurzelfaſern, wie ſie dringen, Sprengen wohl die' Felſenlos. 290 Chor. Leiſe müßt ihr das vollbringen; Die geheime Macht iſt groß. Hofmann. Und ſo löſet ſtill die Fligen An dem herrlichen Palaſt! Und die Pfeileć, wie ſie triigen, Stürzen durch die eigiie Laſt. In das Feſte ſucht zu dringen Ungewaltſam, ohne Stoß! Chor. Leiſe müßt ihr das vollbringen; Die geheime Macht iſt groß. (Während dieſes (cten Thors verteilen ſid) dic Dämonen an alle Couliſjen, nur der jofnann bleibt in der Mitte, die übrigen ſind mit dem letzten Laute auf einmal alle verídwunden.) 295 300 174 Des Epimenides Erwachen. 305 9. Auftritt. Hofmann als Dämon der Liſt allein (Lauſchend.) Ich trete ſacht, ich halte Puls und Oden. -- Ich fühle ſie wohl, soch hör? ich ſie nicht; Es zittert unter mir der Boden ; Ich fürchte felbſt, er ſchwankt und bricht. (Er entfernt ſid) von der einen Seite ) Die mächtig rieſenhaften Quadern, Sie ſcheinen unter ſich zu haberii. (Er entfernt ſich von der andern Scite.) Die ſchlanken Säulenſchäfte zittern, Die ſchönen Glieder, die in Liebesbanden Einträchtig ſich zuſammen fanden, Fahrhunderte als eins beſtanden - Erdbeben ſcheinen ſie zu wittern, Bei dringender Gefahr und Not, Die einen wie dem andern droht, Sich gegenſeitig zu erbittern. (Er tritt in die Mitte, argwöhniſdı gegen beide Seiten) Ein Wink, ein Hauch den Bau zu Grunde ſtößt, 313 Wo fich von ſelbſt das Feſte löſt. (In dem Augenblicke bridit alles zuſammen. Er ſteht in ſchweigendci, umſichtiger Betrad)tung.) 510 10. Auftritt. Dämon der unterdrückung tritt auf, im Koſtiim eines orientaliſchen Deſpoter. Dämon der Liſt (chrerbietig). Mein Fürſt, mein Herrſcher, ſo allein? Dämon der Unterdrückung. Da, wo ich bin, da Toll kein andrer ſein. Dämon der lijt. Auch die nicht, die dir angehören? Dämon der Unterdrückung. Ich werde niemals dir vermehren, 320 Zu ſchaun mein fürſtlich Angeſicht; Doch weiß ich wohl, du liebſt mich nicht. Dein Vielbemühn, was hilft es dir ? Denn ewig dienſtbar biſt dit nir. Erſter Aufzug. 10. u. 11. Auftritt. 325 330 Dämon der Liſt. Herr, du verkenneſt meinen Sinn! Zu dienen dir, iſt mir Gewinn; ünd wo kann freieres Leben ſein, Als dir zu dienen, dir allein! Was Großes auch die Welt geſehit, Für deinen Zepter iſt's geſchehn; Was Himmel zeugte, Hölle fand, Ergoſſen über Meer und Land, Es kommt zuleßt in deine Hand. Dämon der Unterdrückung. Sehr wohl! Die Mühe mir verkürzen, Das iſt dein edelſter Beruf; Denn, was die Freiheit langſam ſchuf, Es kann nicht ſchnell zuſammenſtürzen, Nicht auf der Kriegspoſaune Ruf; Doch, haſt du klug den Boden untergraben, So ſtürzt das alles Bliß vor Blik; Da kann ich meinen ſtummen Sitz In ſel'gen Wüſteneien haben. Du haſt gethan, wie ich gedacht; Ich will nun fehn, was du vollbracht. (Verliert ſich unter die Nuinen.) 335 கக்கக்கேக்க S40 34.5 Il. Uuftritt. Dämon der Liſt (juverſichtlid)). Ja, gehe nur und ſieh dich um! In unſrer Schöpfung magſt du wohnen. Du findeſt alles ſtill und ſtumm, Denkſt du in Sicherheit zii thronen. Fhr brüſtet euch, ihr unteren Dämonen, Šo mögt ihr wüten, inögt auch ruhit, Ich deut euch beides heimlich ani; Da mag Denn jener immer thun Und dieſer glauben, es ſei gethan. fich aber wirke ſchleichend immer 311, Un beide nächſtens zu erſchrecken; Did), Kriegesgott, bring' ich zur Ruh, Dich, Sklavenfürſten, will ich mecken, 350 355 176 Des Epimenides Erwachen. 360 Zu dringen und zu weichen, Das iſt die größte Kunſt, Und ſo zu überſchleichen Das Glück und ſeine Gunſt. Die Wege, die ſie gehen, Sie ſind nach meinem Sinn; Der Uebermut ſoll geſtehen, Daß ich allmächtig bin. (ab.) 865 370 675 12. Auftritt. Dämon der Unterdrückung (aus den Nuinen Hervortretend). Es iſt noch allzu friſch; man fönnt es wieder banen; Die graue Zeit, wirkend ein neues Grauen - Verwittrung, Staub und Regenſchlick - Mit Moos und Wildnis füſtre fie die Näume. Nun wachſt empor, ehrwürdige Bäume, Und zeiget dem erſtaunten Blick Ein längſt veraltetes, verſchwundenes Geſchick, Begraben auf ewig jedes Glück! (Während dieſer Arie begrünet ſich die Nuine niady und nad).) Nicht zu zieren — zu verbecken, Nicht zu freuen – zu erſchrecken, . 875 Wachſe dieſes Zauberthal! Und ſo ſchleichen und ſo manken, Wie verderbliche Gedanken, Sich die Büſche, ſich die Nanken, Als Jahrhunderte zumal. So ſei die Welt denn einſam! Aber mir, Dem Herrſcher, ziemt es nicht, daſs er allein: Mit Männern mag er nicht verkehren, Eunuchen ſollen Männern wehren, Und halb umgeben wird er ſein; Nun aber ſollen ſchöne Frauen Mit Taubenblick mir in die Augen ſchauen, Mit Pfauenwedeln luftig wehn, Gemeßrien Schrittes mid; umgehi, Mich liebenswürdig all umſehnen, und ganze Scharen mir allein. Das Paradies, es tritt herein! – 380 385 300 Erſter Aufzug. 12. u. 13. Auftritt. 177 Er ruht in Ueberfluß gebettet, Und jene, die ſich glüdlich wähnen, Sie ſind bewacht, ſie ſind gekettet." . 395 VU IL 400 13. Auftritt. Liebe (ungeſehen, aus der Ferne). Ja, ich ſchweife ſchon im Weiten Dieſer Wildnis leicht und froh; Denn der Liebe ſind die Zeiten Alle gleich und iinmer fo. Dämon der Unterdrückung. Wie? was hör? ich da von Weiten? 400 Iſt noch eine Seele froh? – Ich vernichte Zeit auf Zeiten, und ſie ſind noch immer fo. (Melodie jenes Geſangs, durch Vlaſende Inſtrumente. Der Dämon zeigt indelſen Gebärden der leberraſdung und Niihrung.) Doch dein Buſen will entflammen, Dich beſänftigt dieſer Schall ? 405 Nimm, o nimm dich nur zuſammen Gegen dieſe Nachtigall! Liebe (tritt auf). (Der Dämon iſt zurüdgetreten.) Ja, ich walle gar im Weiten Dieſer Pfade leicht und froh ; Denn. der Liebe ſind die Zeiten 410 Immer gleich und immer fo. Dämon der Unterdrückung. D, wie kommt ſie da von Weiten, Dhne Furcht und immer froh ! Liebe. Denn der Liebe ſind die Zeiten : Immer gleich und immer ſo. Dämon der Unterdrückung (zu ihr tretend). Wen ſuchſt du denn? Du ſucheſt wen? Ich dädyte doch, du mußt ihn kennen. Liebe. Ich ſuche wohl – es iſt ſo ſchön! Und weiter weiß ich nichts zu nennen. Bortle, Werkc., VIII. 12 . 415 178 Des Epimenides Erwachen. 420 Dämon der Unterdrückung (anſtändig zudringlid), gchalten und scherzhaft). Nun! o nenne mir den Lieben, Dem entgegen man ſo eilt! Liebe. Ja, es iſt, es iſt das Lieben, Das im Herzen ſtill verweilt! (Der Dämon entfernt ſich.) 425 430 14. Auftritt. Glaube hat die Sdiveſler am cfang erkannt, kommt eilig berbei, wirft ſid, ihr ani die Vruſt Liebc fährt in ihrem heitern Dejange nod) eine Zeitlang fort, bis Glaube ſid, leidenſchaftlid) losrcißt und abwärts tritt. GINIUe. o liebſte Schweſter! Kannſt du mich Und inéine Leiden ſo empfangen? Ich irre troſtlos, ſuche dich, An deinem Herzen auszubangen; Nun flieh' ich leider, wie ich fani, Mich abgeſtoßen muß ich fühlen: Wer teilt nun Zweifel, ſummer, Gram, Wie ſie das tiefſte Herz durchmühlen! Liebe (jidh nähernd). Schweſter, mich ſo in Verdacht? Die, immer neu und immer gleich, lluſterbliche unſterblich macht, Die Sterblichen alle gut und reich. Von oben kommt mir der Gewinn; Die höchſte Gabe willſt du Läſtern Denn ohne dieſen heitren Sinn, Was wäreit wir und unſre Schweſtečn? Glaube. Nein, in dieſen fammerſtunden 410 Klinget keine Freude nadj! Schmerzen, tauſendfach empfunden, Herz um Herz, das knirſchend brach, Leer Gebet, vergebne Thränen, Fingefettet unſer Sehneit, Inſrer Herrlichkeit Verhöhnen, Der Erniedrigung Gewöhnen! – Eivig deckt die Nacht den Tag. 435 4.15 Erſter Aufzug. 14. Auftrilt. 179 450 400 Liebe. Es ſind nicht die letzten Stunden; Laß den Göttern dağ Gericht! Glaubr. Nie haſt du ein Glück empfunden: Denn der Sammer rührt dich nicht! (Sie treten auscinander.) Dämon der Unterdrückung (für ſid)). Still! nun hab' ich überwunden – Schweſtern und verſtehn ſid, nicht! (Zum Glauben.) Herrlich Mädchen! welches Vangen, 455 Welche Neigung, welch Verlangen Neget dieſe ſchöne Bruſt? Glaube. Herr, o Herr! gerecht Verlangen War, die Schweſter zlı umfangen; Treue bin ich mir bewußt. Dämon der Unterdrückung (zur Liebe). Wie, du Holde? Das Verlangen, Deine Schweſter zu umfangen, Regt ſich's nicht in deiner Bruſt? Liebe. Sie, die Beſte, zu umfangen, Fühl ich ewiges Verlangen; Konin, 0 komm an meine Bruft! Glaube. O, verzeih dem Schmerz, dem Bangen! Kaum getraut ich, zu verlangen Lieb' un Liebe, Luſt um lujt! (Sie umarmen ſich.) Dämon der Muterdrückung (für ſids). Jinmer wächſt mir das Verlangen, 470 Zu bethören; ſie zu fangen, Sei mein Streben, meine Luſt! (Zwiſchen ſic tretend) Holdſel'ges Paar, das himnmliſch mir begegnet, Es ſei der Tag für eich und mich geſegnet, Er ſei bezeichnet immerdar! Ja, dieſer Stunde jedes von uns gedenke ! (Kleine Dämonci' mit Juwelen.). Verſchmähet nicht die wenigen Geſchenke Uus meiner Hand, verehrtes Paar! (Die Liebe liebkoſend und ihr Armbänder anlegend.) 165 175 180 Des Epimenides Erwachen. 485 490 Hände, meiner Augen Weide, D, wie drück' und füll' ich ſie! 450 Nimim das föſtlichſte Geſchmeide, - Trag es und vergiß mich nie! (Den Glauben liebkoſend und ihr einen köfllidhen Gürtel oder vielmehr Bruſtſchmuck anlegend.). Wie ſie ſich in dir vereinen, Hoher Sinn und Lebensluſt: Soʻmit bunten belſteinen Schmück ich dir die volle Bruſt. (Die kleinen Dämonen bringen Heimlid) dwarze, dwere Setten hervor.) Glaube. Das verdient wohl dieſer Buſen, Daß ihn die Jumele ſchmückt. (Der eine Dämon hängt ihr die Ketten hinten in den Gürtel; in dein Augenblic fühlt ſie' Schmerzen, ſie ruſt, indem ſie auf die Vruſt ſieht.) Doch, wie iſt mir! von Meduſen Werb' ich greulich angeblidt. Liebe. D, wie ſich das Auge weidet, llnd die Hand, wie freut ſie ſich! (Sie ſtreckt die Arme aus und beſieht die Armbänder von oben; das Dämonchen hängt von unten eine Doppelfette cin) Was iſt das? wie ſticht's und ſchneidet, Und unendlich foltert's mich! Dämon der Unterdrückung (zur Liebe, mäßig jpoitend). So iſt dein zartes Herz belohnt! Von dieſen wird dich nichts erretten; . Doch finde ich, du biſt's gewohnt, Du gehſt doch immerfort in Ketten. (zum Glauben, der fid) ängſtlid, gebärdet, mit geheudjelter "Teilnahme.) Ja, ſchluchze nur aus voller Bruſt Und mache den Verſuch, zu weinen! 500 (Zu beiden gewaltſam.) Verzichtet aber auf Glück und Luſt; Das Beßre wird euch nie erſcheinen ! (Sie fahren von ihm weg, werfen ſich an den Seiten nieder; Liebe liegt ringend, Glaube ſtil.) Dänion der Unterdrückung. So hab' ich euch dahin gebracht, Beim hellſteit Lag in tiefſte Nacht! Getrennt, wie ſie gefeſſelt ſind, -- Iſt Liebe thöricht, Glaube blind. 195 505 Erſter Aufzug. 15. Auftritt. 181 Allein die Hoffnung ſchweift noch immer frei; Mein Zauber winke ſie herbei! Ich bin ſchon oft ihr liſtig nachgezogen, Doch, wandelbar wie Regenbogen, Sekt ſie den Fuß bald da, bald dort, bald hicr; Und hab ich dieſe nicht betrogen, Was hilft das alles andre mnir! 510 15. Auftritt. Şoffung erſcheint auf der Nuine linter Hand des Zuſdauers, bewaffnct init Helm, Schild und Speer. Dämon der Unterdrückung. Sie kommt! ſie iſt's! – Jich will ſie firren; 's iſt auch ein Mädchenhaupt, ich will's vezwirren. 515 525 Sie foll mir diesmal nicht entgehn. (Sanft teilnchmend.) Im Gedränge hier auf Erden Kann nicht jeder, was er will; Was nicht iſt, es kann noch werden, 520 Hüte sich und bleibe ſtill! (Cie Hebt den Speer gegen ihn auf und ſteht in drohender Gebärde unbeweglich.) Doch welch ein Nebel, welche Dünſte Verbergen plößlich die Geſtalt! Wo find ich fie?' ich weiß nicht, wo ſie wallt; An ihr verſchwend' ich meine Künſte. Verdichtet ſchwankt der Nebelrauch und wächſt Und webt; er webt undeutliche Geſtalten, Die deutlich, doch undeutlich, immer fort Das Ungeheure inir entfalten. Geſpenſter ſind's, nicht Wolfen, nicht Geſpenſter, 530 Die Wirklichen, ſie dringen auf mich ein. Wie kann das aber wirklich ſein, Das Webende, das immer ſich entſchleiert? Verſchleierte Geſtalten, Ungeſtalten, fn ewigem Wechſeltrug erneuert ! Wo bin ich? bin ich mir bewußt? -- Sie ſind's, fie find auch nicht, und aus dem Grauen Muß ich, voran lebendig Kräft'ge ſchauen; Fürwahr, es drängt ſich Bruſt an Bruſt Voll Lebensmacht und Kampfesluſt; 535 182 Des Epimenides Erwachen.. 545 Die Häupter in den Wolfen ſind gekrönt, Die Füße ſchlangenartig ausgedehnt, Verſchlungen ſchlingend, Mit fich ſelber ringend, Doch alle klappernd nur auf inich geſpitzt. Die breite Wolke ſenkt fich, eine Wolfe, Lebendig tauſendfach, von ganzen Volfe, Von allen Edlen ſchwer; ſie ſinkt, ſie brüdt, Sie beugt ſich nieder, ſie erſtickt ! (Er wehrt ſich gegen die von der Einbildungskraft ihm vorgeſpiegelte Vijion, weicht ihr aus, wähnt, in die Enge getrieben zu ſein, iſt ganz nahe zu fiicei. Die Hoff- nung nimmt ihre ruhige Stellung wieder an. Er ermannt ſich.) Du biegſt das Knie, vor dem ſich Tauſend brachen; 550 Der Alibeherrſcher ſei ein Mann! Denn, wer den Haß der Welt nicht tragen kann, Der muß ſie nicht in Feſſeln ſchlagen. Aufgeregte Höllenbilder, Zeigt euch wild und immer wilder, Únd ihr fechtet mich nicht an! Euer Wanken, euer Weben Sind Gedanken; ſollt' ich beben Vor dem ſelbſtgeſchaffnen Wahn? Euer Laſten, euer Streben, Ihr Verhaſten, iſt fein Leben; Eure Häupter, eure Kronen Sind nur Schatten, trübe Luft. Doch ich wittre Grabesduft; Unten ſchein' ich mir zu wohnen, . 565 Und ſchon modert mir die Gruft. (Er entflieht mit Grauen. Hoffnung iſt nicht mehr zu ſehen. Der Vorhang fällt.*) wilson 555 560 3 weiter N it fz ut g. l. Auftritt. Liebe (erhebt ſich nach einiger Zeit, wie abweſend, wo nicht wahnjinnig). Sag', wie iſt dir denn zumalen? Was beengt dir ſo das Herz? *) 3m erſten, die Aufführung in Berlin wiedergebenden Druck iſt hier kein neuer uufzug; die folgenden Auftritte idhließen ſid, an den vorausgchenden als der cdhszehnte, ficbenzchnte 11. 1. f. an. (U. d. H.) Zweiter Aufzug. 1. Auftritt. 183 10 Was ich fühle, find nicht Qualen; Was ich leide, iſt nicht Schmerz. Db ich gleich ben Namen höre, 5 Liebe, fo hieß ich immerfort; Es iſt, als ob ich gar nicht wäre, Liebe, 's iſt ein leeres Wort. Glaube (die indejjen aufgeſtandelt, aber nicht fixer auf ihren Füßcn flicht). Wanft der Felſen unter mir, Der mich ſonſt ſo fräftig trug? Nein, ich wanke, finke hier, Habe nicht mehr Kraft genig, Mich zu halten; meine Knie Bredjen, ach, ich benge fie Nicht zum Beten; ſinnenlos, 15 Herzloš lieg' ich an den Boden, Mir verſagt, mir ſtodt der Oden; Götter! meine Not iſt groß! - Liebe (weiter (dreitend). Zwar gefeſſelt ſind die Hände, Doch der Fuß bewegt ſich 100h); Wenn ich, ach), dorthin mich wende, Schüttlich ab das ſchwere Joch. Glaube (wie jene, nur etwas raſcher und lebhafter). Will ich mich vom Drt bewegen, Wird vielleicht der Buſen frei. (Sicht die Liebe Verankommen.) D, die Schweſter! Welch ein Segen! Ja, die Gute kommt herbei. (Inden ſie gegeneinander die Arine ausſtrecken, ſehen ſie ſidi ſo lucit entfernt, daß fie fid) nicht berühren können.) Liebe. Gott! ich kann sich nicht erreichen! Ach, von dir ſteh' ich gebannt! (Zudem ſie an ihren vorigen Plaß eilig zuriicffchrt.) Glaube. Gibt's ein Elend ſolchesgleichen? (Die noch gezögert und ſich hin und wieder umgeſchen hat, ſtiirmt auch nam ihrer Seite.) Nein! die Welt hat's nicht gefannt. 30 (Veide werfen ſid, an ilrer Stelle nieder.) 20 23 184 Des Epimenides Erwachen. 2. Auftritt. Hoffnung (weldhe indeſjen oben erſchienen und herunter getreten iſt). Ich höre jammern, höre klagen. In Banden meine Schweſtern? Wie, , wie ſie ringen, wie ſie zagen! Vernehmt mein Wort, es fehlet nie. Ihr zeigt mir freilich eure Ketten, Getrauet nicht, mich anzuſchaun; Doch bin ich hoff' euch zu erretten; Erhebt euch, kommt, mir zu vertraun! 35 40 . 3. Auftritt. Genien (herbcieilend). Jimer ſind wir noch im Lande, Hier und dort mit raſchen Lauf. (Sie nehmen die Seiten ab. zugleich mit dem Schmucf.) Erſtlich löſen wir die Bande; Nichte du ſie wieder auf! Denn uns Genien gegeben Ward gewiß ein ſchönes Teil; Euer eigenes Beſtreben Wirke nun das eigne Heil! (Sie entfernen ſids.) Hoffnung (zu den wegeilenden Genien). Nehmt Gotteslohı, ihr ſüßen Brüder! (Sie hebt erſt den Glauben auf und bringt ihn gegen die Mitte.) Und ſteht nur erſt der Glaube feſt, So hebt ſich auch die Liebe wieder. Liebe (die von ſelbſt aufſpringt und auf die Hoffnung loscilt). Ja, ich bin's, und neugeboren Werf ich mich an deine Bruſt. Glaube. Völlig hatt ich mich verloren, Wieder find' ich mich mit Luſt. Hoffirung. Ja, wer ſich mit mir verſchworen, Sft ſich alles Glücks bewußt. Denn wie ich bin, ſo bin ich auch beſtändig, Nie der Verzweiflung geb' ich mich dahin; Ich mildre Schmerz, das höchſte Glück vollend' ich; 5.3 Zweiter Aufzug. 3. u. 4. Auftritt. 185 Weiblich geſtaltet, bin ich männlich fühn. Das Leben ſelbſt iſt nur durch mich lebendig, 60 Ja, über's Grab kann ich's hinüberziehn, Und wenn ſie mich ſogar als Aſche ſammeln, So müſſen ſie noch meinen Namen ſtammeli. Und nun vernehmt! – Wie einſt in Grabeshöhlen · Ein frommes Volk geheim ſich flüchtete lind allen Drang der himmliſch reinen Seelen Nach oben voll Vertrauen richtete, Nicht unterließ, auf höchſten Schuß zu zählen, Und auszubauern ſich verpflichtete: 65 70 15 Und ſich zu Schutz und Trutz geheim verbündet. Im Tiefſten, hohl, das Erdreich untergraben, Auf welchem jene ſchrecklichen Gewalten Nuit offenbar ihr wildes Weſen haben, In majeſtätiſch häßlichen Geſtalten, Und mit den holden überreifen Gaben Der Oberfläche nad) Belieben ſchalten; Doch wird der Boden gleich zuſammenſtürzen Und jenes Reich des Uebermuts verkürzen. Von Oſten rolit Lawinen gleich herüber 80 Der Schnee- und Eisball, wälzt ſich groß und größer, Er ſchmilzt, und nah und näher ſtürzt vorüber Das alles überſchwemmende Geiväſſer: So ſtrömts nach Weſten, dann zum Süd hinüber, Die Welt ſieht ſich zerſtört und – fühlt ſich beſſer. 85 Vom Dcean, vom Belt her kommt uns Rettung: So wirkt das all in glüiflicher Verkettung. 4. Auftritt. Genien (den drei Schweſtern Kronen darreichend). lind ſo beſtärkt euch, Königinnen! Jhr ſeid es; obſchon jeßt gebeugt. Jhr müßt nioch alles Glück gewinnen: Zum Himmel werdet ihr euch heben Die Sterblichen, fie ſehn's entzückt – Und glorreich über Welten ſchweben, Die ihr auf ewig nun beglückt. 95 186 Des Epimenides Erwachen. 100 105 110 Doch, was dem Abgrund füón entſtiegen, Sann durch ein ehernes Geſchick Den halbei Weltfreis überſiegen, Zum Abgrund muß es dodi zurück. Sdion droht ein ungeheures Bangen, Vergebens wird er widerſtehni! lind alle, die .11och an ihm hangen, Sie müſſen mit zil Grunde gehn. Hoffnung. Nun begegn’ ich meinen Braven, Die ſich in der Nacht verſammelt, Um zu ſchweigen, nicht zii ſchlafen, llud das ſchöne Wort der Freiheit Wird geliſpelt und geſtaimelt, Bis in ungewohnter Neuheit Wir an unſrer Tempel Stufen Wieder neu entzückt es rufen: (Mit Ueberzeugung, laut.) . Freiheit.! (Gemäßigter.) Freiheit! (Don allen Sciten und Enden. Echo.) Freiheit! Liebe. Kommt, zu ſehr, was unſre frommen, Guten Schweſtern unternoininen, Die mit Seufzen ſich bereiten Auf die blutig wilden Zeiten. Glaube. Denn der Liebe Hilf' und Laben Wird den ſchönſten Segen haben, Und im Glauben überwinden Sie die Furcht, die ſie empfinden. 120 Genius I. Ihr werdet eure Kraft beweiſen; Bereitet ſtill den jüngſten Tag. Genius II. Denn jenes Haupt von Stahl und Eiſen Zermalmt zuletzt ein Donnerſchlag. (Die jämtlichen Fünfe, unter muſikaliſcher Begleitung, kehren jid, um und gehen rady dem Grunde. Die Hoffnung beſteigt die Ruinen linfa des Zuſdaucrs, Glaube und Licbe die Nuinen rodsta; sic Strabon boſtcigen die Treppen und ſtellen ſid) an die Pforten. Sie begrüßen ſich alle unter einander 110chmals zum Abſchicd. Es wiró Nacit.) 115 Zweiter Aufzug. 5. u. 6. Auftritt. 187 5. Auftritt. Unſidtbares Chor. Sterne verſanfen und Monden in Blut; 123 Aber nun wittert und lichtet es gut: Sonne, ſie nahet dem himmliſchen Thron, Lieber, ſie kommen und wecken dich ſchon. (Die Ocnici eröffnen die Pforten, indem ſie jid dahinter verſtecken und lauſchen. Epimenides ruht 11od), wie er cinge dilafen; die Lampe brennt. Er erivadt, regt ſid), steht auf, tritt unter die Thüre, gibt ſeine Ücrivunderung zu erkennen, tritt wankend die Stufeni herunter, ungewiß, wo er ſid) befinde.) 6. Auftritt. Epimenides. Und welch Erivachen! ivunderbar genug! Die Pforten öffnen ſich bei düſtrer Nacht. 130 Täuſcht mich der Genien ſonſt ſo treuer Dienſt? Kein Stern am Himmel ? (ES crjdheint ein Somet, ungeheuer.) Welch ein furchtbar Zeichen Erſchredt den Blick mit Niutenfeuerſchein! Wo bin ich denn? - In eine Wüſtenei, Von Fels und Baum beſchränkt, bin ich begraben. 135 Wie war es ſonſt, als mir die Flügelthüren Beim erſten Morgenlicht von Geiſterhand Sich öffneten, das liebe Himmelspaar Mich in die holde Welt herunter führte, Mich Tempel und Palaſt und nah und fernt Die herrlichſte Natur mich glänzend grüßte. Wie düſter jeft! Und was der Feuerſchein Mir ahnungsvoll entdeckt, iſt grauſenhaft. Wer leitet mich ? wer rettet vom Verderben? Verdient wohl euer Freund, ihr Götter, ſo zu ſterben? 145 (Die Genien treten oben an der Pforte hervor mit Fadeln.) Doch ihr erhört des treuen Prieſters Ruf! Ich ſehe nelien goldnen Schein umſchimmeri. Die Lieben find's! D, wo ſie leuchtend gehn, Liegt keine Wüſte, hauſt fein Schrecknis mehr. (Sie ſind herunter gekommen und ſtehen neben ihm.) 110 188 Des Epimenides Erwacher. 160 165 D, ſagt mir an, ihr Holden, welchen Traum 150 Von Ñengſtlichkeiten ſchafft ihr um mich her? . (Sie tegen den Finger auf den Mund.). Ich träume, ja! wo nicht, ſo hat ein Gott in tiefe Wüſteneien mich verſchlagen. - Hier – keine Spur von jenen alten Glanz, Nicht Spur von Kunſt, von Ordnung keine Spur! 155 Es iſt der Schöpfung wildes Chaos hier, Das letzte Grauen endlicher Zerſtörung. (Genien deuten hinüber und Gerüber.) Was deutet ihr? Ich foll mich hier erfeninen? (Die Genien (enditen voran nad, der cinen Seite.) Euch folgen? Wohl! ihr Leuchtet dieſerſeits. Was feh ich hier! ein wohlbekanntes Bild! Jn Marinorglanze, Glanz vergangner Tage. ,,Der Vater ruht auf ſeinem breiten Polſter, Die Frau im Seffer, Kinder ſtehn umher Von jedem Alter; Knechte tragen zu, Das Pferd fogar, es wiehert an der Pforte; Die Tafel iſt beſetzt, man ſchwelgt und ruht." Fürwahr, es iſt die Stätte noch, wo mir Des Freudentages Hellſte Sonne ſchien; Iſt alles doch in Schutt und Graus verſunken. (Sie deuten und leiten iln nach der andern Seite.) Noch weiter? Nein, ihr Guten, nein, ach nein! 170 Ich glaub? es euch, es iſt die alte Stätte. Doch während meines Schlafes hat ein Gott Die Erd’ erſchüttert, daß Nuinen hier Sich aufeinander türmen, durch ein Wunder Der Bäume, der Geſträuche Trieb beſchleunigt. - 175 So iſt es hin, was alles ich gebaut llnd was mit mir von Jugend auf emporſtieg: O, wäres herzuſtellen! Nein, ach nein! Ihr nötigt mich an dieſe Tafel hin! Zerſchlagen iſt ſie, nicht mehr leſerlich. Hinweg von mir! O mein Gedächtnis! O! Du hältſt das Lied noch feſt, du wiederholſt es. Unțidtbares Chor. Haſt du ein gegründet Haus Fleh' die Götter alle, 180) Zweiter Aufzug. 7. Auftritt. 189 . 190 Daß es, bis man sich trägt hinaus, 185 Nicht zu Schutt zerfalle Und noch lange hinterdrein Kindesfindern diene liud umher ein friſcher Hain Immer neii ergrüne. Epimenides. Dämonen ſeid ihr, keine Genien! Der Hölle, die Verzweiflung haucht, entſtiegen. Sie haucht mich an, durddringt, erſtarrt die Bruſt, Umſtridit das Haupt, zerfüttet alle Sinnen. (Er beugt ſeine snice, richtet ſich aber greid, wieder auf.) Nein, kniee nicht! ſie hören dich nicht mehr; 195 Die Genien ſchweigen, wünſche Dir den Tod, Denn wo der Menſch verzweifelt, lebt kein Gott, Und ohne Gott-will ich nicht länger leben. (Er wendet ſich ab, verzweifelnd.) Genien (ſid, einander zuwingend). fromm! ivir wollen dir verſprechen Nettung aus dem tiefſten Schnierz; Pfeiler, Säulen kann man brechen, Åber nicht ein freies Herz: Denn es lebt ein ewig Leben, Es iſt ſelbſt der ganze Mann, In ihm wirfen Luſt und Streben, Die man nicht zermalmen kann. Epimenides (wehmütig). o ſprecht! o helft! mein Knie, es trägt mich kaum; Ihr wollt euch bittern Spott erlauben? Geniei. Komm mit! den Ohren iſt's ein Traum ; Den Augen ſelbſt wirſt du nicht glauben. 210 (Es wird auf einmal Tag. Von ferne kriegeriſche Muſik. Epimenides und die Snaben ſtehen vor der Pforte.) 7. Auftritt. Die fricgeriſme Muſit kommt näher. Die Hoffnung, den Jugend füríl cui an der Seite, führt über die Nuinen, da ivo ſic abgegangen iſt, cini Secr hercini, weldies dic verſchiedenen neuern, zu dieſem Stricge verbindeten Dörfer bezeidinct. Chor. Brüder, auf! die Welt zu befreien! Kometen winken, die Stund' iſt groß. ! 190 Des Epimenides. Erwachen. 215 220 225 230 Alle Gewebe der Tyranneien Kaut entzwei und reißt euch los! Hinan! – Vorwärts - Hinan! lind das Werk, es werde gethan. So erſchallt nun Gottes Stimme, Denn des Volkes Stimme, fie erſchallt, lind, entflammt von heiligem Grimnie, Folgt des Blißes Allgewalt. Hinan! -- Vorwärts – Hinan! und das große Werk wird gethan. Und ſo ſchreiten wir, die Kühnen, Eine halbe Welt entlang; Die Verwüſtung, die Ruinen, Nichts verhindre deinen Gang. Hinan! - Vorwärts - Hinan! Und das große, das Werk ſei gethan. Jugendfürſt. Hinter uns her vernehmt ihr ſchallen Starfe Worte, treuen Nuf, Siegen, heißt es, oder fallen iſt, was alle Völker ſchuf. Hinan! – Vormärts – Hinan! Und das Werk, es wäre gethan. Hoffnung. Noch iſt vieles zu erfüllen, Noch iſt manches nicht vorbei; Doch wir alle, durch den Willen Sind wir ſchon von Banden frei. Chor. Hinan! – Vorwärts – Hinan! und das große, das Werk ſei gethan. Jugendfürjt. Auch die Alten und die Greiſen Werden nicht im Rate ruhn; Denn es iſt um den Stein der Weiſen, Es iſt um das Al zu thun. Hinan! - Vorwärts – Hinan! lind das Werk, es war ſchon gethan. - Chor. Denn ſo einer Vorwärts" rufet, Gleich ſind alle hinterdreint, 235 2.15 Zweiter Aufzug. 8. Auftritt. 191 250 Und ſo geht es, abgeſtufet, Stark und ſchwach und groß und klein. Hinan! - Vorwärts – Hinan! Und das große, das Werk iſt gethan. Und wo eh wir ſie nun erfaſſen, In den Sturz, in die Flucht ſie hinein! Ja, in ungeheuern Maſſen Stürzen wir ſchon hinterdrein. Hinan! - Vorwärts - Hinan! Und das alles, das Werk iſt gethan. 255 265 8. Auftritt. Glaube und liebe mit der Frauen und Land Bewohnern an der anderen Seite. Chor. Und wir kominen Mit Verlangen, 260 Wir, die Fromnien, Zit empfangen Sie, die Braven, Sie mit Kränzen Zu umſchlingen. Und mit Hymnen Zu umſingen, zu erheben fene Braven, Die da ſchlafen, Die gegeben Höhrem Leben. Landbewohner (aller Alter und Stände). lind die. wir zurückgeblieben, . Eurer Kraft uns anvertraut, Haben unſern führen Lieben Haus und Hof und Feld gebaut: llud wie ihr im Siege ſchreitet, Drüdt uns traulich an die Bruſt; Alles, was wir euch bereitet, Lang genießt es und mit Luft!. 270 275 280 192 Des Epimenides Erwachen. 285 Sämtlide Chöre. Und mit den wichtigſtent Geſchäften Verherrlicht heut den großen Tag! Zuſammen all'init vollen Kräften Erhebt den Bau, der niederlag! Strebt an! -- Glück auf – Strebt an! 285 Nur zu! und ſchon regt ſich's hinan. Und ſchon der Pfeiler, der geſpalten, Er hebt gefüget ſich empor, Und Säulenreihen, ſie entfalten Der ſchlanken Stämme Zierd' und Flor. Streht an! - Glück auf – Strebt an! Es ſteht, und das Werk iſt gethan. (Indeſſen ſind die Nuinen wieder aufgerichtet. Ein Teil der Vegetation bleibt und zicrt.) 290 Stres chantent'eiben, riempo, el geſpalten 295 9. Uuftritt. Epimenides mit zwei Prieſterni. Epimenides (nadh oben). Wie ſelig euer Freund geweſen, Der dieſe Nacht des fammers überſchlief, Ich konnt's an den Ruinen leſen, Ihr Götter, ich empfind' es tief! · (Zu den Uinſtehenden.) Doch ſchäm’ ich mich der Ruheſtunden; Mit euch zu leiden, war Gewinn: Denn für den Schmerz, den ihr empfunden, Seid ihr auch größer, als ich bin. Prieſter. Taple nicht der Götter Willen, Wenn du manches Jahr gewannſt: Sie berpahrten dich im ſtillen, Daß du rein empfinden kannſt. Und ſo gleichſt du fünft'gen Tagen, Denen unſre Qual und Plagen, Unſer Streben, unſer Wagen Endlich die Geſchichte beut. lind nicht glauben, was wir ſagen, Wirſt du, wie die Folgezeit. 300 305 305 310 Zweiter Aufzug. 9. Auftritt. 193 315 320 Die Bluet ten Briesen Pin Glaube. Zum Ungeheuren war ich aufgerufen, Dir sienten ſelbſt Zerſtörung, Blut und Tod; So flammte denn ait meines Thrones Stufen Der Freiheit plötzlich, furchtbar Morgenrot. - , Schneidend eiſige Lüfte blaſen, Ströme ſchwellen, Schlund auf Schlund, lind der Elemente Raſen, Alles kräftigte den Bund. Heil der Eblen, die den Glauben In der tiefſten Bruſt genährt, . Unter Glut und Mord und Nauben Das Verderben abgewehrt. fhr danken wir, nach mancher Jahre Grauen, Das ſchöne Licht, das wir vergnüglich ſchauen. Liebe. . Begrüßet ihn mit liebevollen Blicken, Der liebevoll bei ſeinem Volk verweilt, Der treuen Seinen neubelebt Entzücken Mit offiem holden Vaterherzen teilt. Der Edle hat mit Edlen fich verbündet, Da jauchzte fühn die treue Schar; Und wo die Liebe wirkt und gründet, Da wird die Kraft der Tugend offenbar, Das Glück iſt ſicher und geründet. Hoffnung. Ich will geſtehn den Eigennut, o Schweſtern! Für jedes Dpfer fordr' ich meinen Lohn, Ein ſelig Heute für ein ſchredlich Geſtern, Triumpheswonne ſtatt der Duldung Hohn: So wollt ich es sem hohen Paare geben, Von deſſen Blick beſeelt wir alle leben. *) 325 330 335 *) Hier hat der erſte Druc 110ch folgende, für die Berliner Aufführung gedichtete Erweiterung: liljer König ſoll uns Icben, Heil! daß wir den Tag geſchn, Da wir tvieder um ihn steun, Seinem Willen hingegeben. Leben joll der König, Leben! Chor. Leben ſoll der König, leben! Guctue, Werke. VIII. 13 : 194 Des Epimenides Erivachen. .. 340 Epimenides. Die Tugenden, die hier ein kräftig Wirken und in unendlichen Bezirfer Sich herrlich tauſendfach gezeigt, Den Höchſten Zweck init Blikesflug erreicht, .. Sie helfen uns die größten Tage feiern. Nur eine, die mit treuer Hand Die Schweſtern feſt und zart verband, Abſeits, verhüllt, beſcheiden ſtand, Die Einigkeit muß ich entſchleiern. (Er fiihrt eine bisher verborgen gebliebene Deridſeierte hervor und ſchlägt ihr den Schleier zurüd.) · 3415 350 10. Auftritt. Die Einigkeit. Der Geiſt, der alle Welten ſchafft, Durch mich belehrt er ſeine Teuren: „Von der Gefahr, der ungeheuren, Errettet nur geſamte Kraft.“ Das, was ich lehre, ſcheint ſo leicht, Und faſt unmöglich zu erfüllen: „Nachgiebigkeit bei großem Willen." 355 24. Yuftritt. Beharrlichkeit Wetteifernd komm' id) an, dodobne Neid, 11nd weiß ivohl, die Beharrlidikoit 3ft allen incilien Sdiwcſteril cigen : Was ſid, nicht ſelber gicidyt, wird keine Tugend ſein; So tomm' id) froh und frijd herein, Als Tugend mich der Tugenden zu zeigen. ...D! beharret im Beſtande, Den der Wille rein gefaßt! Chor. Beſtändigkeit. Ach! im eingekleminten verzen Nengſlet ſich die große That. Shor. 0! beharret! Nähret, nähret Der geheiin crzcugtei Rat. Jugendfürſt. · Ilnter ſternercidien Höhen Vor dem Gott der Väter ſtchen, Das beſänftigt auf einmai, Da verſchwindet Peint und Qual. Epimenides. Laſt von fternereichen Höhen Unjrei König Uliick crrlchen Und auf Jahre ſonder Zahl Seinen Folgern alizumal. · Chor. fa, von ſternercidien Höhen Fiihlen wir's hernieder wehen: Walte, Gliid, im Freudenthal Dhne Namen, ohne Zahl! Epimenides. Die Tugenden, die hier ein träftig Wirten (ſiehe oben). D! beharret! Beſtändigkeit. Auch der Edle trägt die Bande lingeheurer Sdmach und laſt. Chor. Ja, wir trugen chwere Bande! Beſtändigkeit. Nähret, ervig, audi mit Schmerzen, Den geheim crzeugten Nat. Shor. Näyret! Nähret! . 3 weiter Aufzug. 10. Auftritt. 195 365 Nun iſt des Wortes Ziel erreicht; Den höchſten Wunſch ſeh' ich erfüllen. Jugendfürjt. . fa, alle Kronen ſeh' ich neugeſchmückt Mit eignem Gold, mit Feindes Beute; Ihr habt das Volk, ihr habt euch ſelbſt beglüdit; 360 Was ihr beſitzt, beſikt ihr erſt von heute. Zwar hat der Ahnen würdiges Verdienſt Die goldnen Reife längſt geflochten, Ihr habt das Recht daran erfochten. 865 Epimenides. Und wir find alle neugeboren, Das große Sehnen iſt geſtillt; Bei Friedrichs Aſche war's geſchworen • Und iſt auf ewig nun erfüllt. Chor der Krieger. Und wir wandeln mit freien Schritten, Weil wir uns was zugetraut, Und empfangen in unſre Mitten Gattin, Schweſter, Tochter, Braut. Gethan! – Glück auf! – Gethan! Und den Dank nun zum Himmel hinant! Chor der Frauenr. Euch zu laben, Laßt uns eilen, Unſre Gaben Auszuteilen, Eure Wunden Auszuheilen: Selige Stunden Sind gegeben Inſerin Leben! (Große Gruppe.) Epimenides. Ich ſehe nun mein frommes Hoffen Nach Wunderthaten eingetroffen; Schön iſt's, dem Höchſten ſich vertraun. Er lehrte mich das Gegenwärtige kennen; Nun aber foli mein Blick entbrennen, In fremde Zeiten auszuſchaun. 375 380 385 385 390 196 Des Epimenides Erwachen. VY 395 4.00 405 Prieſter. Und nun ſoll Geiſt und Herz entbrennen, Vergangnes fühlen, Zukunft ſchaun. Chor. So riſſen wir uns rings herum Von fremden Banden los! Nun ſind wir Deutſche wiederum, Nun ſind wir wieder groß. So waren wir und ſind es auch, Das edelſte Geſchlecht, Von biebern Sinn und reinem Hauch lind in der Thafen Recht. Und Fürſt und Volf und Volk und Fürſt Sind alle friſch und neu ! Wie du dich nun empfinden wirſt, Nach eignem Sinne frei! Wer dann das Innere begehrt, Der iſt ſchon groß und reich; Zuſammen haltet euren Wert, ünd euch iſt niemand gleich. Gedenkt unendlicher Gefahr, Des wohlvergoßnen Bluts, lind freuet eud, von Jahr zu Jahr Des unſchäßbaren Guts! Die große Stadt am großen Tag Die unſre follte ſein! Nach ungeheurem Doppelſchlag Zum zweitennial hinein! Nun töne laut: Der Herr iſt da! Von Sternen glänzt die Nacht, Er hat, damit uns Heil geſchah, Geſtritten und gewacht. Für alle, die ihm angeſtammt, Fiir ins war es gethan! Und wie's von Berg zu Bergen flammt, Entzücken flamin' hinan! (Der Vorhang fällt.) 410 415 420 Palaeophron und Neoferpe. Ein Feſtſpiel zur Feier des 24. Oktobers 1800. Der Serzogin Amalia von Sachſen-Weimar widincte dicjes kleine Stück der Verfaſjer miſ dankbarer Verehrung. Er hatte dabei dic Abjidit, an alte bildende Sunſt zu erinnern und ein plaſtijdjes, dodOcrvegliches und belebtes Wert den Zu- ſdhauern vor Augen zu ſtellen. Durd) gegenwärtigen Abdruck kann man dem Publikum freilich nur cinen Teil des Ganzen vorlegen, indein die Wirkung der vollſtändigen Darſtellung auf die Ocſinnungen und die Empjänglichkeit gebildcter Zuſdauer, auf die Empfindung und die perſönlidien Vorzüge der ſpiclenden Perſonen, auf gefühlte Recitation, auf Kleidung, Maskeit und mehr Umſtände berechnet war. Um jedoch wenigſtens die Einbildungskrajt des Leſers einigermaßen zul be- cit, ſo iſt cine bedeutende Situation, worin beide Hauptfiguren 1100jt den ſie begleitenden vier Masten zuſammen cridzincn, in Stupfer geſtoden und illuminicrt, durch die Zeitung für die clegante Welt verbreitet worden. Eine Vorhalle, an der Seite ein Altar, um denſelben ein Aſyl, durch eine niedrige Mauer Bezeichnet; außerhalb, an dem Fortſake der Mauer, ein ſteinerner Seſſel. Neoterpe (mit zwei Rindern in Charaktermaéken). Zum frohen Feſte find ich feine Leute hier Verfaminelt, und ich bränge mich beherzt herein, Ob ſie mir und den Meinen guten Schutz vielleicht Gewähren möchten, deſſen ich ſo ſehr bedarf. Zwar wenn ich komme, Gaſtgerechtigkeit zu flehn, 5 Könnte man auch fordern, daß ich ſagte, wer ich ſei; Doch dieſes iſt viel ſchwerer, als man denken mag. Zu Teben weiß ich, mich zu kennen weiß ich nicht; Doch, was ſo manche Leute von mir ſagen, weiß ich wohl ; Die einen haben mich die neue Zeit genannt, i Auch manchmal heiß ich ihnen Genius der Zeit; Genug! ich bin das Neue eben überall. Willkommen ſtets und unwillkommen wandl ich fort, lind wär' ich nicht, ſo wäre nichts auch überall. Und ob ich gleich ſo nötig als erfreulich bin, So wandelt doch ein Alter immer hinter mir, Der inich vernichten würde, wenn es ihm einmal, 15 15 198 Palaeophron und Neoterpe. 20 30 Mit ſeinem langſam langbedächtgen Schritt Mich zu erreichen glückte. Doch ſo hebt er mich Von einem Ort zum andern, daß ich nicht ſo froh Mit meinen artigen Geſpielen mich, der Luſt Des heitern Lebens hingegeben, freuen darf. Nun hab' ich mich hierher gerettet, ivo mit Recht Man fich des ſchönſten Tags zu freun verſammelt iſt, Und denke, Schutz zu finden vor dem wilden Mann 25 Und Necht, ob gleidi er ſtärker iſt als idi. Drum werf ich bittend mich an den Altar Der Götter dieſes Hauſes flehend hin. Kniet nieder gleichfalls, allerliebſte Kinder ihr, Die ihr, zu mir geſellt, ein gleich Geſchick, 30 Wie ich es hoffe, hier getroſt erwarten dürft. Palaeophron (auf zivei Alte in Charaktermasten gelehnt, im Hereintreten zu ſeinen Begleitern). Ihr habet flug die Flüchtige mir ausgeſpürt, Únd nicht vergebens wenden wir den Fuß hierher ; Denn, ſeht! ſie hat ſich flehend an den Ort gewandt, Berühret den Altar, der uns verehrlich iſt. Doch wenn er gleich fie ſchüßt und ihre leid’ge Brut, So wollen wir ſie soch belagern, daß ſie ſich Von ihrem Schußort nicht entfernen darf, wofern Sie nicht in unſre Hände ſich begeben will. Drum führet mich zum Seſſel, daß ich mich Fhr gegenüber feien und bedenken kann, Wiefern ich mit Gewalt, wo nicht mit gutem Wort, Zu ihrer Schuldigkeit zu bringen ſie vermag. (Er ſetzt ſich und ſpricht zu den Zuſchauern.) Und ihr, die ihr vielleicht in euren Schuß fie nehmt, Dieweil ſie lieblich ausſieht und bethulich iſt lind jedem gern nach ſeiner eignen ärt erſcheint, Erfahrt, welch Necht, fie zu verfolgen, mir gebührt. Ich will nicht ſagen, daß ſie meine Tochter ſei; Doch hab' ich ſtets als Dheim Vaterrecht auf fie Und kann behaupten, daß aus meinem Blute ſie Entſproſſen, mir vor allen andern angehört. In allgemeinen nennt man inich die alte Zeit, ünd wer beſonders wohl mir will, der nennt mich auch Die goldne Zeit und will in ſeiner Jugend mich Als Freund beſeſſen haben, da ich, jung wie er 55 Mbalisasi 35 40 15 Palaeophron und Neoterpe. 199 GO 65 Und rüſtig, unvergleichlich-foll geweſen ſein. Auch hör' ich überall, wohin ich horchend nur Die Dhren wende, mein entzückend großes Lob. Und dennoch fehret jedermann den Kücken mir Ilnd richtet emſig ſein Geſicht der Neuen zu, Der Jungen da, die ſchmeichelnd jeglichen verdirbt, Mit thörichtem Gefolge durch das Bolf fich drängt. Drum hab' ich ſie, mit dieſen waderen Geſellen hier, Verfolgt und in die Enge ſie zuletzt gebracht. Ihr ſeht es, wie ich hoffe, doch zufrieden an, Daß ich ein Ende mache ſolchem Frevelgang. Neoterpe. Holde Gottheit dieſes Hauſes; Der die Bürger, der die Fremdeit Auf dem reinlichen Altare Manche Dankesgabe bringen, Haſt du jemals den Vertriebnen Aufgenroninen, dem Verirrten Aufgeholfen und der Jugend Süßes Jubelfeſt begünſtigt; Ward an dieſer heil’gen Schwelle Mancher Hungrige geſpeiſet, Mancher Durſtige getränket und erquict durch Mild’ und Güte, Mehr als durch die beſten Gabeir: D! ſo höra auch unſer Flehen! Sieh der zarten Kleinen jammer! Steh uns gegen unfre Feinde, Gegen dieſen Wütrich bei! Palaeophron. Wenn ihr freventlich ſo lange Guter Ordnung euch entzogen, Zwedlos hin und her geſchwärmet Und zuletzt euch Sorg und Mangel An die fälten Steine treiben, Denkt ihr, werden gleich die Götter Eurentwillen ſich hernieder. . Aus der hohen Ruhe regen! Nein, mein gutes, füßes Püppchen! Sammile nach dem eignen Herzen Die zerſtreuten Blicke nieder, llud wenn du dich unvermögend 75 80 85 90 95 200 Palaeophron und Neoterpe. 100 105 110 Fühleſt, deiner Not zu raten, Wende ſeitwärts, wende hieher, Nach dem alten, immer ſtrengen, Aber immer guten Dheim, Deine Seufzer, Deine Bitten Und erwarte Troft und Glück. Veoterpe. Wenn dieſer Mann, den ich zum erſtenmal ſo nah Ins Auge faſſe, nicht die allerhäßlidjſten Begleiter hätte, die ſo grämlich um ihn ſtehn, So könnt er mir gefallen, da et freundlich ſpridit Und edel ausſieht, daß man eines Göttlichen Erfreulich ſchöne Gegenwart empfinden muß. Ich dächt', ich wendete mich um und ſpräch ihn an. Palacophron. Wenn dieſes Mädchen, das ich nur von fernie ſonſt Und auf der Flucht geſehen, nicht die läppiſche Geſellſchaft mit ſich ſchleppte, die verhaßt mir iſt, So müßt ich wünſchen, immer an der Seite mir Die liebliche Geſtalt zu ſehn, die Heben gleich Der Jugend Becher aus den holden Augen gießt. Sie kehrt ſich um, und ſpricht ſie nicht, ſo iſt's an mir. 115 Ucoterpe. Wenn wir uns zu den Göttern wenden, iſt es wohl -- Kein Wunder, da uns auf der Erde ſolche Not Bereitet iſt und ich bes edlen Mannes Kraft, Die mich beſchüßen ſollte, mir als ärgſten Feind lind Widerſacher finde. Solches hofft ich nicht! 120 Denn da ich noch ein Kind war, hört ich ſtets : Der Jugend Führer ſei das Alter; beiden ſei Nur, wenn ſie als Verbundne wandeln, Glück beſchert. Palacoplror. Dergleichen Reden hören freilich gut ſich an; Doch hat es allerlei Bedenkliches damit, 123 Das ich jetzt nicht berühren will. Doch ſage mir: Wer ſind die Kreaturen heide, die, an sich So feſt geſchloſſent, durch die Straßen ziehn? Du ehreſt dich mit ſolcherlei Geſellſchaft nicht. Neoterpe. Die guten Kinder! Beide haben das Verdienſt, Daß ſie, ſo ſchnell als ich durch alles durchzugehn 125 130 Palaeophron und Neoterpe. 110 . Gewohnt, die Menge teilen, die ich finden mag. Nicht eine Spur von Faulheit zeigt das junge Paar, Und immer ſind ſie früher an dem Platz als ich. Doch wenn du mich nach Eigenſchaft und Namen fragſt: 135 Gelbſchnabel heiſst man dieſen; heiter tritt er auf Und hat nichts Arges weiter in der argen Welt. Doch dieſen heißt man Naſeweis, der, flink und raſch, Nach allen Gegenden das ftumipfe Näschen kehrt. Wie kannſt du ſolchen guten, zarten Kindern nur Gehäſſig ſein, die feltne Lebenszierdeit find ? Doch daß ich dein Vertraun erwibre, ſage mir: Wer ſind die Männer, die, nicht eben liebenswert, An deiner Seite ſtehn, mit düſterm, wildem Blick? Palaeophron. Das Ernſte kommt euch eben wild und düſter vor, 1:45 Weil ihr, gewöhnt an flache, leere Heiterkeit, Des Augenblicks Bedeutung nicht empfinden fönnt. Dagegen fühlet dieſer Mann nur allzugut, Daß in der Welt nur wenig zur Befriedigung Des weiſen Mannes eigentlich gereichen kann. 150 Griesgram wird er daher genannt. Er muß fürwahr, Wie ich es ſelbſt geſtehe, der bepflanzten Welt Und des geſtirnten Himmels Hochzeitſchmuck Mit ganz beſondern wunderlichen Farben ſehr, Die Sonne rot, die Frühlingsblätter hraun und falb. 155 So ſagt er wenigſtens. und ſcheint gewiß zu ſein, Daß das Gewölb des Himmels nädyſtens brechen wird. Doch dieſer, den man Haberecht mit Recht genannt, Iſt ſeiner tiefgegründeten Unfehlbarkeit .. So ganz gewiß, daß er mic nie das lekte Wort, Ob ich gleich Herr und Meiſter bin, gelaſſen hat. So sienet er zur Uebung mir der Niedekunſt, Der Lunge, ja der Galle, das geſteh' ich gern, Veoterpe. Nein, ich werd' es nie vermögen, Dieſe wunderlichen Fratzen 165 An der Seite des Verivandten Mit Vertrauen anzuſehn! Palaeophron. Könnt ich irgend einem Freunde Meine würdigen Begleiter 100 202 Palacophron und Neoterpe. 170 175 Nuf ein Stündchen überlaſſen, Thät ich es von Herzen gern: Neoterpe. Wüßť ich ineine kleinen Schäße Frgend jemand zu vertrauen, Der mir ſie ſpazieren führte: Mir geſchäh' ein großer Dienſt. Palaeophroir. Mein lieber Griesgram! was ich dir bisher verſchwieg, Entdeck' ich nun, ſo ſehr es dich verdrießen muß. Durch Stadt und Vorſtadt zieht ein frecher Mann und lehrt Und ruft: Ihr Bürger, merket auf mein wahres Wort! Die Thätigkeit iſt, was den Menſchen glücklich macht; 180 Die, erſt das Gute ſchaffend, bald ein Üebel ſelbſt Durch göttlich wirkende Gewalt in Gutes kehrt. Drum auf beizeiten inorgens ! ja, und fändet ihr, Was geſtern ihr gebaut, ſchon wieder eingeſtürzt, Ameiſen gleich nur friſch die Trümmern aufgeräumt 185 Und neuen Plan erſonnen, Mittel neu erdacht! So werdet ihr, und wenn aus ihren Fugen ſelbſt Die Welt geſchoben in ſich ſelbſt zertrümmerte, Sie wieder bauen, einer Ewigkeit zur Luſt. So ſpricht er thöricht und erreget mir. Das Volk; . 190 Und niemand ſikt mir an der Straße inehr und flagt, lind niemand ſtickt in einem Winkel jainmervoll. Ich brauche nicht hinzuzuſeßen: eile hin Und ſteure dieſem Unheil, wenn es möglich iſt! . (Griesgram ab.) Dich aber, edler Haberecht, beleidigt man Noch ärger faſt; denn in den Hallen an dem Markt Läßt ſich ein Fremder hören, welcher ſchwört, Es habe grade Haberecht darum kein Recht, Weil er es iinmer haben und behalten will. Es habe niemand recht, als wer den Widerſpruch 200 Mit Geiſt zu löſen, andre zu verſtehen weiß, Wenn er auch gleich von andern nicht verſtanden wird. · Dergleichen keizeriſche Reden führet er – (Haveredyt cilig ab.) Du eileft fort, zu kämpfen? Ich erkenne dich! Peoterpe. Du haſt die beiden wilden Männer fortgeſchickt; 193 205 Palaeophron und Neoterpe. 203 210 Um mcinetwillen, merkich mohl, iſt es geſchehn. Das zeiget gute Neigung an, und ich fürivahu Bin auch geneigt, die kleinen Weſen hier, die dir - Verdrießlich ſind, hinwegzuſchicken, wenn ich nur Auch ſicher wäre, daß Gefahr und Not fie nicht Ergreifen fann, wenn ſie allein im Volke gehii. Palaeophron. Kommt nur! ich geb' euch beiden ſicheres Geleit. (Die Kinder treten aus dem Aſyl vor den Alten.) Geht nur, ihr Kinder! doch erfüllet mein Geſek, Das ich euch wohlbedächtig gebe, ganz genali. Gelbſchnabel folle bem Griesgram, wie der Nuſemeis 213 Dem Haberecht beſtändig aus dem Wege gehn; So wird es Friede bleiben in der edler Stadt. (Die Kinder gehen ab.) Neoterpe .. (die aus dem Aſyl tritt und ſich neben den Alten auf die Mauer ſeljt) Ich ſteige ſicher nun heraus Und komme dir vertraulich nah. O! ſieh mich an und ſage mir: Iſt möglich die Veränderung? Du fcheineſt mir ein jüngerer, Ein rüſtig friſcher Mann zu fein; Der Kranz von Roſen meines Haupts, Gr kleidete fürivahr dich auch. Palaeophron. Ich ſelber fühle rüſtiger In meinem tiefen Buſen inid); Und wie du mir ſo nahe biſt, So ſtellſt-du ein geſittetes Und lieblich ernſtes Weſen dar. Den Bürgerkranz auf meinem Haupt Von dichtem Eichenlaub gedrängt, Auf deiner Stirne fäh' ich ihn, Auf deinen Locken, wonnevoli. Neoterpe. Verſuchen mir's und wechſeln gleich 235 Die Kränze, die init Eigenſinn . Ausſchließend wir uns angemaſt. Den meinen nehm' ich gleich herab. (Sie nimmt die Rojenkrone herunter.) 220 225 230 235 204 Palaeophron und Neoterpe. 2.10 2.15 250 Palaeophron (der den Eidsoufranz Herabnimmt). lind ich ben meinen ebenfalls, Und mit des Kranzes Wechſelſcherz Sei zwiſchen uns ein ew'ger Bund Geſchloſſen, der die Stadt beglückt. (Er ſett ihr den Eidsenkranz auf.) Neoterpe. Des Eichenfranzes Würde ſoll Mir immer ſagen, daß ich nicht Der edlen Mühe ſchonen darf, Ihn zu verdienen jeden Tag. (Sie ſetzt ihm die Roſenkrone aufs Haupt.) Palaeophron. Der Roſenkrone Munterfeit Soll mich erinnern, daß auch inir Im Lebensgarten, wie vordem, - Noch manche holde Zierde blüht. 250 Neoterpe (indem ſie aufſteht und vortritt). Das Alter ehr ich; denn es hat für mich gelebt. Palaeophron (indem er aufileht und vortritt). Die Jugend ſchätz' ich, die für mich nun leben foly. Neoterpe. Haſt du Geduld, wenn alles langſam reifen wird? Palaeophron. Von grüner Frucht ain Baume hoff ich Süßigkeit. Neoterpe. Aus harter Schale ſei der ſüße Kern für mich). Palneophron. Von meiner Habe mitzuteilen, fei mir Pflicht. Neoterpe. Gern will ich ſammeln, daß ich einſt auch geben kann. Palaeophron. Gut iſt der Vorſatz, aber die Erfüllung ſchwer. Neoterpe. Ein edles Beiſpiel macht die ſchweren Thaten leicht. 255 Palaeophron und Neoterpe. 205 Palaeophron. Ich ſehe deutlich, wen du mir bezeichnen willſt. 260 Neoterpe. Was wir zu thun verſprechen, hat Sie längſt gethan. Palacophron. Und unſern Bund hat Sie begründet in der Stadt. Neoterpe. Ich nehme dieſen Kranz herab und reich ihn Ihr. Palaeophron. iind ich den meinen. (Sic nehmen die Stränze herunter und halten ſie vor fid; yin.) Neoterpe. Lange Lebe, Würdige! Palacophron. Und fröhlich Yebe, wie die Roſe Dir es winkt ! 265 Neoterpe: Sie lebe! rufe jeder wahre Bürger mit. Vorſpiel zu Fröffnung des Weimariſchen Theaters am 19. September 1807 nach glücklicher Wiederverſammlung der Herzoglichen Familie. Wald. Fels. Meer. Nacht. . (Ferner Donner.) Kriegesgöttin. Durch dieſer nachtbedeckten Felder ftill Gebreit Mit unbemerkten Schritten ſtürm' ich raſch heran, Ob irgend jemand widerſtünde meiner Kraft. Noch aber find' ich niemand. Ja, behende ſoll Dies Schwert mir Raum verſchaffen, wenn ſich mir Die aufgeſchreckte Menge Kühn entgegenſtellt; Denn dieſein Stahle widerſteht kein Sterblicher. Ein grauſer Kampf umhüllt ſich bald mit Nebelnacht, Und ineine Facel leuchtet weit und breit zur Flucht. (Näherer Blitz und Donner ) Schon reihenweis liegt ausgeſtreckt Getötetes, Wie hinter emſig Mähenden das Blumengras. Ich aber, unaufhaltſam, kräftig ſchreite vor, Dem Glücksgeſtirn entgegen, das mich leitete. Wohlauf denn, Schlachtruf! (Blitz und Donner.) Töne gräßlich durch die Nacht! Du Blikgeſchoß, verbreite Schreck, verbreite Tod! Heran, ihr Donner, ihr mich längſt verkündenden! (Blitz und Donner immer näher.) Entwickle dich, du hagelſchwerer Wolkenzug! Stürz', alles überrauſchend, Flutendes Geſtein, Ilnd ſchwemme, was entgegenſteht, vom Grund hinweg! 10 15 Vorſpiel zu Eröffnung des Weimariſchen Thcaters. 207 Eine Flüdytende. (Blitz und Donner entfernen ſidh.) Wo flieh' ich hin, wo berg' ich mein bedrohtes Haupt? 20 Denn überall umgeben mich die Drängenden. Gewaltger Kriegskampf, Waffenklang und Mordgeſchrei Ertönen heute, wo noch geſtern Friede ſang. Und aufgeſchredt, wir Armen, ſcharweis fliehen wir, Und gleich zerſprengt, von Ungemach z11 Ungemach. 25 Umſonſt! Kein Ausgang aus dem Grijal zeigt ſich mir. 30 40 Die Felſenwänd an aufgeregter wilder Flut, Sie halten hier und überall den Schritt mir an; Und aus der Tiefe tönet mir der Schreckensruf: Zurück! zurück! Wohin entfliehſt du einzelne? Zurück! Des Gatten denke, den das ſcharfe Schwert, Der Kinder, die des Hauſes Flamme tobend faßt. Vergebens! Ach, an dieſer Seite trennet mich Der breite Strom des mörderiſchen Ungeſtüms Mit blutigen Mogen von bekannter Spur hinweg. (Ganz ferner Donner.) D, Seligkeit verhüllendes und nie genug Geſchäftes Dach der Friedenshütte, die mich barg! nie genug verehrter Engraun, kleiner Herd ! Du runde Tafel, sie den holden Kinderfreis Anmutig anſchloß elterlicher Sorgenluſt! Dort lodert's auf! Die Ernte ſtrömt in Feuerquall Zum Himmel an, und des Beſites treu Gehäus Schwankt unterflammt und beugt ſich, widerſteht und ſinkt. Durchglühter Schutt ſtürzt, Flammenrauchſtaub krauſt empor, 45 Und unten krachend, ſchwerbelaſtet, dumpfgedrückt, Verkohlt ſo vieler Menſchenjahre weyter Fleiß, Und Grabesruhe waltet über Trümmern. (Ferner Donner.) Ach! Selbſt in das Grab dringt wilder Elemente Wut Und reißt die Toten zwiſchen die Lebendigen; 50 Sie ſollen ſchauen, welch ein Glend uns betraf, Und irren, unſre Väter, heimatlos wie wir. (Näherer Donner.) Schon kehrt zurück das Wetter, das zerſtörende, Vergebne Hoffnung, ausgewütet hab es nun; Es kehrt zurück und raſet allgewaltiger, 50 55 208 Vorſpiel zu Eröffnung des Weimariſchen Theaters. Und Land und Meer bewegen ſich in wildem Bund. Iſt dies der Erde feſter Boden? Weh mir! Weh! Sind dies die Pfade, ficher ſonſt betretene? Im Schiffe fteh ich, wogend ſchwankť es hin und her; Mein Knie verſagt mir; nach dem Boden zieht es mich); 60 Zu knieen und zu fleheir dränget mich das Herz. (Sie kniet.) Iſt über dieſer Wolkendecke düſtrer Nacht Kein Stern, der in der Finſternis uns leuchtete? Kein Auge, das herunterfäh' auf unſre Not? O du, dem ich von Jugend auf hinangefleht, Du, deſſen heilgen Tempel ich mit Kinderſchritt lind Kinderfinn erſt, dann mit marmer, jugendlich Bewegter Bruſt hinanſtieg, iin vertrauenden Andächt'gen Chor der Aelteren und Aelteſten; Mit heitrem, feſttags-fonnenhaftem Freudeblick Ein Danflies, ein Triumphlied deiner Vaterkraft Und Vatergüte tauſendſtimmig bargebracht: Warum verbirgſt du hinter düſtern Teppichen Dein Antlit, deiner Šterne ſtrahlende Heiterfeit? Iſt es dein ew'ger Wille? ſind es der Natur Unbänd'ge, taube Kräfte, dir im Widerſtreit? Dein Werk zerſtörend, uns zerknirſchend ... (Naher Donner.) Weh mir! Weh! Vergebens alles! Jinner wilder brängt's heran. Die Elemente faſſen ſicly, die tobenden; Die Welle ſprüht des Felſenwaldes Véſte durch, Und in dem blitzdurchflammten Aether ſchmelzen hin Die Gipfel, Glutſtroni ſtürzet um Verzweifelnde. (ES (dlägt ein. Zugleid; erſcheint ein Wunder- und Troſtzeichen, der verehrten regierenden Herzogin Namenszug im Sternbilde.) T5 Sunda SO Königlicher Saal. Die Majeſtät (im Krönungeornat). Sicher treť ich auf und glanzumgeben; Jedes Auge freut ſich meines Kommens, Jedes Herz erhebt ſich gleich zur Hoffnung, Jeder Geiſt, ſchon ſchwelget er in Wünſchen. Denn die Weisheit, mandelt ſie beſcheiden Lliter Menſchen, lehrend, ratend, ſcheltend, Vorſpiel zu Eröffnung des Weimariſchen Theaters. 209 90 95 100 105 Wenig achtet ſie der Haufe, leider öfters Wird ſie wohl verachtet und verſtoßen; Aber wenn ſie ſich zur Macht geſellet, Neiget gleich ſich die erſtaunte Menge Freudig, ehrfurchtsvoll und hoffend nieder; Und wie vor Gewalt ſich Furcht geflüchtet, So entgegnet nun der Macht Vertrauen. Hat Natur, nach ihrem dunklen Walten, Hier ſich Bergreihit hingezogen, droben Felſen aufgezakt und gleich daneben Ueber Thalgeſtein und Höhn und Höhlen Heilig ruhend alten Wald gepfleget, Daß den unwirtbaren Labyrinthen Sich der Wandrer grauſend gern entzöge: Sieh! da bringt heran des eðlen Menſchen Meiſterhand; ſie darf es unternehmen, Darf zerſtören tauſendjähr’ge Schöpfung. Schalet nun das Beil iin tiefſten Walde, Klingt das Eiſen an dem ſchroffen Felſen, Und in Stämmen, Splittern, Maſſen, Trümmern Liegt zu unbegreiflich neuem Schaffen Ein Zerſtörtes gräßlich durcheinander. Aber bald dem Winkelmaß, der Schnur nach Reihen ſich die Steine, wachſen höher; Neue Forin entſpringt an ihnen, herrlich Bildet mit der Ordnung ſich die Zierbe. Und der alte Stamm, gekantet, fügt ſich, Ruhend bald und bald emporgerichtet, Einer in den andern. Hohen Giebels Neuer Kunſtwald hebt ſich in die Lüfte. Sieh! des Meiſters Kränze wehen droben, Jubel ſchallt, ihm, und den Weltbaumeiſter Hört man wohl dem irdiſchen vergleichen. So vermag's ein jeder. Nicht der König Hat das Vorrecht; allen iſt's verliehen. Wer das Rechte kann, der ſoll es wollen; Wer das Rechte will, der ſollt es können, Und ein jeder kann's, der ſich beſcheidet, Schöpfer feines Glücks zu fein im Kleinen. . Der du an dem Weberſtuhle ſitzeſt, Unterrichtet, mit behenden Gliedern, Goethe, Merke. VIII. 110 115 115 120 125 14 210 Vorſpiel zu Eröffnung des Weimariſchen Theaters. 130 135 Fäden durch die Fäden ſchlingeſt, alle Durch den Taktſchlag aneinander drängeſt, Du biſt Schöpfer, daß die Gottheit lächeln Deiner Arbeit muß und deinem Fleiße. Du beginneſt weislich und vollendeſt Emſig, und aus deiner Hand empfänget Jeglicher zufrieden das Gewandſtück; Einen Feſttag ſchaffſt du jedem Haushalt. So in Kleinen ewig wie im Großen Wirkt Natur, mirkt Menſchengeiſt, und beide Sind ein Abglanz jenes Urlichts broben, Das unſichtbar alle" Welt erleuchtet. Und ſo grüße jedes Land den Fürſten, Jede Stadt den Aelteſten, der Haushalt Grüße ſeinen Herrn und Vater jauchzend, Wenn ſie wiederkehren als die Meiſter, Zu erbauen oder herzuſtellen. Fromm erflehet Segen euch von oben, Aber Hilfe ſchafft euch thätig wirkend Selber und vertilget alle Spuren Meines Fußes, der geivaltig auftrat. Und der Weiſe, der Verſtänd'ge nehme Teil an meiner Macht und meinem Glück hin! 140 145 150 155 Friede. Majeſtät. Majeliät. Sci mir geſegnet, Holdeſte des Erdenſtamms! Friede. Empfange gnädig deine treue Dienerin! Majeſtät. Du wirſt als Herrin immer neben mir beſtehn. Friede. So nimm die treue Schweſter an die ſtarke Bruſt! Majeſtät: Gerechtigkeit und Friede küſſen ſich, o Glück ! Friede. O längſt erflehter Augenblick, o Wonnetag! Majeſtät. Ich ſehe, Schweſter, fich erheiterter als je. Vorſpiel zu Eröffnung des Weimariſchen Theaters. 211 160 165 170 175 Friede. Denn mehr als je umgaufelt mich die Heiterkeit. Dieſe Stadt, die ich ſo lange Mütterlich begünſtigte, Weil, ſie meine holden Gaben, Würdig ſchäßend, thätig wirkend, Dankbarlich erwiderte; Weil ſich Holder Friedenskünſte Alte, Junge, Hohe, Niedre Männiglich befleißigten. Aber nie iſt mir ein Regen, . Solch ein Treiben, ſolch Beſtreben Wie es heut ſich rührt, begegnet. Jeder ſtrebet mit dem andern, Feder eifert vor dem andern, Šiner iſt des andern Muſter : Aufgeweckter Thätigkeit. Kein Befehl iſt's, der ſie aufregt, Jeder froh gehorcht ſich ſelber; Und ſo reihn fie aneinander Ihren Fleiß und ihre Luſt. Majeſtät. Dieſes Thun, das einzig ſchätzenswerte, Das hervordringt aus dem eignen Buſen, Das ſich ſelbſt bewegt und ſeines Kreiſes Holden Spielraum wiederkehrend ausfüllt, Lob' ich höchſtens: denn, es zu belohnen, Bin ich ſelbſt nicht mächtig gnug; es lohnt ſich Jeder ſelbſt, der ſich im ſtillen Hausraum Wohl befleißigt übernommnen Tagwerks, Freudig das Begonnene vollendet. Gern und ehrenhaft mag er zu andern Deffentlich ſich fügen, nützlich werden, Nun Seni Allgemeinen weislich ratend, Wie er ſich beriet und ſeine Liebſten. Alſo wer dem Hauſe trefflich vorſteht, Bildet ſich und macht ſich wert, init andern Dem gemeinen Weſen vorzuſtehen. Er iſt Patriot, und ſeine Tugend Dringt hervor' und bildet ihresgleichen, Schließt ſich an die Reihen Gleichgeſinnter. . 130 150 185 190 195 212 Vorſpiel zu Eröffnung des Weimariſchen Theaters. 200 205 210 215 Jeder fühlt es, jeder hat's erfahren: Was dem einen frommt, das frommet allen. Friede. Was du ſageſt, ich verehres; Denn du haft mit wenig Worten Ausgeſprochen, was die Städte Bauet, was die Staaten gründet: Bürgerſinn, wozu Natur uns Eingepflanzt ſo luſt als Kräfte. Aber heute ſiehſt du dieſen Treuen Sinn ſich anders zeigen, Nicht ſo ernſt, wie du's verſtanden, Aber ſich zum ſchönſten Feſte Emfiglich bethätigend. Sieh! ein Waldgebüſch bewegt ſich Nach der Stadt hin; aller Gärten Froher, blumenhafter Aufputz Reißt fich los, um ſich ins grüne Prachtgehäng' hinein zu flechten, Das der Häufer, das der Hütten Anſicht ſchön verhüllt und zieret, Das von Giebel ſich zu Giebel Ziehend reicht und kranzbeladen, Schwankend, friſchbelaſtet ſchwebt. Bunter wird die tiefe Grüne, Muntrer immer; Band an Bändern Schlingt ſich um, geknüpft zu Schleifen Krümmt ſich's, und die loſen Enden Flattern windbewegt. Zum Laubgang Šiehſt du Straßen umgewandelt Und zum Feierſaal den Marktplat. Außenſeiten ſind nun Wände, Fenſter volkverzierte Niſchen; Unter ihnen ſchmückt die Brüſtung Sich mit bunten Teppichen. Hier mit holden Blumenzügen Špricht's dich an und dort mit goldnen, So, als ob dir offie Herzen Ueberall begegneten. Aber dieſer ſtummen Rede Soll ein lautes Wort vorangehn, 220 225 230 235 Vorſpiel zu Eröffnung des Weinariſchen Theaters. 213 2-10 245 250 255 Ein beſcheidnes, von dem Munde Lieblicher Unſchuldiger. Siehe! da bewegt ſich findlich. Schon, bekränzet und bekränzend, fu der Jugend Schmuck, den Lilien An Gewand gleich, eine Reihe Holder Lebenserſtlinge. Wer ſie ſiehet, dem bewegt ſich Wonnevoit das Herz. Der Vater Sucht mit Blicken ſeine Tochter, Und des Jünglings Auge gleitet Ueber alle wählend hin. Störe nicht den holden Zug, du, Roß und Reiter! Jeder freue Sich des Buntgewühls. Der fäger Grüße die bekannten Zweige, Und der Jüngling, volle Flaſchen Schwenkend, wähne, feine Lauben Habe hier geſchmückt der Weingott; Und vom zarteſten Geliſpel Bis zum wildeſten Tumulte Drücke jeder ſein Gefühl aus. Majeſtät. Des Ungeſtümes wilden Ausdruck lieb' ich nicht; Die Freude fehrt ſich unverſehns in herben Schmerz, Wenn ohne Ziel die Luft bahinſdwärmt, ohne Maß; Doch mag ich's loben, wenn dich, Göttliche, man heut Mit übermäßiger Freude wild empfängt und ehrt, 265 Voraus erblickend alles, was man wünſcht und hofft. Friede. Wenn ſich Herz und Blick entgegen Drängt an dieſem frohen Tag, Freilich bin ich's, die von allen Sehnſuchtsvoll Erwartete. Aber unſichtbar auf Erden Schwebend, konnt ich meiner hohen Glückverbreitenden Geſinnung Wählen kein vollkomminer Gleichnis, Nicht ein ausdrucksvollres Abbild, Als in dieſe Freudenfülle Albelebend ſich hereinſenkt. 260 270 275 214 Vorſpiel zu Eröffnung des Weimariſchen Theaters. 280 255 290 Tauſend Blumen aus den Kränzen, Abertauſend aus Gehängen Blickend, mögen ihrer Blüte Lieblichkeit nicht überſcheinen; Und wie um die friſche Roſé fede. Blume ſich beſcheidet, Šich im bunten Strauß zu fügen: Alſo dieſe Welt von Zweigen, Blumen, Bändern, Alten, Fungen, Dieſer Kreis von frohen Blicken, Alles iſt auf Sie gerichtet, Sie, die lieblich Würdige! Wie ſie an der Hand des Vatten, Jung wie er und Hoffnung gebend, Für ſich ſelber Freude hoffend, Segnend uns entgegentritt. Majeſtät. Ich wünſche dir und dieſem Lande wünſch' ich Glück, Daß beinen göttlich aufgeforderten Beruf Du mit ſo großer Gabe gleich bethätigeſt. Rückehr, die frohe, reicher Ernte gleichet ſie, Wo ſcheidend herzlich ſtille Thränen wir geſät. So grüße fegnenð alle die Rückkehrenden, Nach vielen Tagen froh Zuſammentreffenden, Und ſchüße fie und hüte ſie mit meiner Kraft! Doch aber bleibet immerfort auch eingedenk Der Abgeſchiednen, deren rühmliche Lebenszeit, (im Hintergrunde zeigt ſich in Chiffern das Andenken der verewigten Herzogin. Mutier, umgeben von Glorié und dein Franz ihrer Zurückgelaſjonen; Umwölkt zulebt, zur Glorie fich läuterte, Unſterblich glänzend, keinem Zufall ausgeſtellt; . 305 Um welche ſich verſammelt ihr geliebt Geſchlecht Und alle, deren Schickſal fie umwaltete. Sie wirkte noch wie vormals immer mütterlich. In Leið und Freuden bleibet ihrer eingedenk, Genuß, Entbehrung, Hoffnung, Schmerz und Scheidetag 310 Menſchlich zu übernehmen, aber männlich auch! 295 300 Was wir bringen. Vorſpiel bci Eröffnung des neuen Schauſpielhauſes zu Laudsſtedt. 1802. Perſonen. Vater Märten . . . . Hr. Malkolmi. Mutter Marthe ; . . Md. Beck. N 19 mphe . . . . . . Dem. Maas. Phone . . . . . . . Denn. Jagemann. Pathos . . . . . . . Dem. Malkolmi. Niciſender . . . . . . Hr. Becker. 3 wei Knaben. Bauernſtube. An der rechten Seite niedriger Herd, mit gelindem Feuer und einigen Töpfen; an der linken Seite hölzerner Tiſch und Štuhl. In der Höhe, gleich unter der Decke, ein Teppich aufgehängt. 1. Auftritt. Vater Märten. Mutter Marthe. (Beide in rechtlichen Bauernkleidern.) Vater (geht in Gedanken, einigermaßen bewegt, auf und ab). Mutter (hausmütterlich geſchäftig, hin und wieder. Sie breitet eine Ser: viette auf den Tiſdi, nimmt vom Herde cinen Napf, trägt ihn auf, legt einen Löffel dazu und ſpricht indeſſen). Setze dich doch, lieber Alter, ſeße dich ruhig hin, genieße dein Frühſtück mit Gelaſſenheit! Nun! was ſoll denn das ſchon wieder ? Sage nur, was haſt du? Alle dieſe Tage her biſt du nachdenklich, gehſt auf und ab, ſprichſt wenig, biſt zerſtreut. Haſt du was auf dem Herzen ? Heraus damit! wie kannſt du mir’s verſchweigen? Vater. Es gibt in der Welt ſo mancherlei zu bedenken. Mutter. Ja freilich, zu bedenken und zu bethun. Früh- ſtücke jeßt in Nuhe! dann hinaus aufs Feld! ſieh zu, wie ſich die Früchte erholt haben, und bringe mir gute Nachricht. 216 Was wir bringen. Für mich gibt's zu Hauſe genug zu ſchaffen, im Stalle, in der Scheune, auf dem Boden, im Keller, in der Küche. Und das Geſinde mag ſein, wie es will, wenn die Frau nicht hinten und vorne iſt, ſo kommt doch nichts zuſtande. Laß dir die Suppe ſchmecken, feße dich! (Sie nötigt ihn, zu figen.) Daß fie nicht falt wird! Hier iſt der Löffel, hier! (Sie nötigt ihni, Vater. Nun, nun, nur nicht zu haſtig. Ich will das Maul. ſchon finden. .Mutter (in Hinausgehen beiſeite). Ich begreife nicht, was er haben mag. Er ſcheint mir ſchon ſeit einigen Tagen ganz verändert. Seine Pfeife ſchmeckt ihm nicht mehr, und er lebt mir nicht mehr zu Willen. Was kann das heißen? Das muß heraus, und zwar je eher je lieber. zu eſſen.) 2. Auftritt. Vater Märten allein.. (Er ſteht auf und ficht ſids behutſam um, ob die Frau weg iſt.). Sie iſt fort, nun bin ich auf eine Weile ficher. Geſchwind ans Werk! noch einmal durdigemeſſen, ob wohl auch alles, wie wir's zugelegt haben, auf die Stelle paßt. (Er Holt einen etwa ſechsfüißigen Maßſtab und mißt, crſt aus der Tiefe des Theaters Hervor.) Sechs und hernach wieder vier, ſodann acht und wieder ſechs! ganz richtig! (Er iſt indeſſen ing Proſcenium gekommen.) Wie wird ſie ſich wundern, wenn ſie erfährt, daß ich das alte Haus wegreiße, daß ich ein neues baue, daß alles ſchon parat iſt. 3. Auftritt. Vater Märten. Mutter Martye. Mutter (tritt geſchäftig herein, wie jemand, der etivas verloren oder vers geffen yat; ſie ſtuit, indem ſie die Handlung ihres Mannes gorahr wird, und kommt langſam hervor). Vater (mißt indes von der linken Seite des Proſceniums gegen die rođste). Vier und dann ſechs und wieder ſechs! (Indem er den Maßſtab umſchlagen will, trifft er ſeine Frau, die eben dazwiſchen tritt.) Mutter (den Schlag parierend und den Maßſtab auffaſjend). Halt! nicht ſo eifrig. Vater (einigermaßen verlegen). Ei ſieh! biſt du auch ba? Mutter. Um noch in meinen alten Tagen Schläge zu kriegen. 3. Auftritt. 217 Vater (verdrießlid), humoriſtiſc). Warum gehſt du nicht aus dem Wege, wenn gemeſſen wird. Mutter. Was wird gemeſſen? Vater (der fich gefaßt hat). Siehſt du nicht? Dieſer Fuß- boden, dieſes Zimmer, dieſes Haus. · Mutter. Und wozu ſolche Umſtände ? Vater (nach einer Pauſe). Da es nun einmal nicht länger zu verheimlichen iſt, da du mich belauſcht haſt, fo mag's denn auch heraus. Rurz und gut! ich baue. Mutter. Doch wohl Schlöſſer in die Luft, wie ſchon öfters. Vater. Neiit, nein, in Ernſte. Dieſes unſer Haus baile ich ganz neil, von Grund auf, und ehe ein paar Tage ver- gehen, reiße ich das alte auf der Stelle nieder. Mutter. Das iſt eine Grille, die dir ſchon oft gekommen und oft vergangen iſt. Vater. Diesmal ſoll ſie ausgeführt werden. Mutter. In deinen alten Tagen. Vater. Eben, wenn man alt iſt, muß man zeigen, daß man noch Luft zu leben hat. Mache dich gefaßt, räume auf, räume aus! Nichte sich ein. Nächſtens wirſt du da proben die Schindeln krachen hören. Mutter. Ach! dii lieber Gott! was ſoll das heißen? Du biſt ja ganz verändert, Männchen. Sonſt nahmſt du doch vernünftige Vorſtellungen an, jetzt willſt du Seiner guten Frau das Haus überm Ropfe zuſammenreißen. Vater. Ueberm Kopf nicht; du darfſt nur hinausgehen. Mutter. Meine ſchönen Geſchirre werden mir zerſchlagen und verbeult. Vater. Die trägſt du zur Nachbarin. mutter. Und meine Kleider! Vater. Die gibſt du der Frau Pfarrin aufzuheben. Mutter. Meine Tiſche, Stühle und Betten. Vater. Die ſtellen wir in die Scheune, bis alles wieder fertig iſt. Mutter. Und mein Herd, an dem ich ſchon dreißig Fahre foche. Vatei. Der wird weggeriſſen; dafür baue ich dir eine eigene Küche, in der du wieder breißig Jahre kochen kannſt. Mutter. Das werde ich nie gewohnt werden. Vater. Zur Bequemlichkeit gewöhnt man ſich doch auch. Aber daß mir durch das alte morſche Dach Schnee und Regen auf der Naſe tanzen ſoll, daran kann ich mich nicht gewöhnen. 218 Was wir bringen. Mutter. Laß es ausflicken. Vater. Es muß ganz herunter. Hängt doch sa droben noch der Teppich, den wir neulich aufbinden mußten, als uns der Schnee iin Bett zu beſuchen kam. Mutter. Das geht vorüber. Vater. Der Staub auch und die Unluſt, die du vom Bauen haben wirſt. Mutter. Soll es denn wirklich wahr werden? Läßt dit dir denn gar nicht zureden? Vater. Laß dir nur auch einmal zureden, dann iſt alles gut. Unſer Haus liegt an der Straße, wo ſo viele Leute vorbeifahren, ivo ſo mancher einkehrt, und nun ſoll ich, bis an mein Ende, die Demütigung erðulden, daß die Reiſenden auswendig ſpotten und die Gäſte inwendig klagen. Mutter. Haben ſie doch das Eſſen gelobt. Vnter. Aber die Wohnung geſcholten. Mutter. Den Kaffee geprieſen. Vater. und auf die niedrigen Thüren geflucht. Mutter. Die Betten gut gefunden. Vater. Und einen bequemen Sik entbehrt. Nur Ge- buld! Was wir Gutes hatten, werden wir behalten, und was uns fehlte, muß ſich finden. Geſtehe ich dir's alſo uur: mit dem Gevatter Maurer, mit den Vetter Zimmermann iſt ſchon Abrede genommen. Mutter. Eine Verſchwörung unter den Männern! Fyr ſaubern Zeiſige ! Vater. Die Steine, die da draußen angefahren ſind und zugehauen werden – Mutter. Ich will nicht hoffen! Vater. Die Zulage, an Ser ſie eben arbeiten – Mutter. Iſt's möglich)! welche Treuloſigkeit! Vater. Gehören zu unſeriu Hauſe, ſind unſer Haus, ipie es nächſtens baſtehen wird. Mutter. Und ihr macht mir weis, das Amt laſſe neue Scheunen bauen. Vater. Das mußt du verzeihen. Mutter. Und ihr habt mich zum beſten! Vater. Freilich! zu deinem Beſten geſchieht's. Mutter. Nein, das iſt zu arg! Hinter meinem Rücken! Dhne mein Wiſſen und Willen! Vater. Beruhige dich! 4. Auftritt. 219 Mutter. Das ſchöne alte Gebälke, noch von meinem Irgroßvater her. Vater. Schön war’s zu ſeiner Zeit, jetzt iſt es überall wurmſtichig. - Mutter. Das ſoll ich alles vor meinen Augen nieder- reißen ſehen. Vater. Thue die Augen zu, bis es herunter iſt! Sieh nicht hin, bis das neue droben ſteht! dann ſollſt du ſchon deine Freude haben. Eine ſchlechte Wohnung macht brave Leute verächtlich. Gut geſeſſen iſt halb gegeſſen, und wenn du fünftig deinen Gäſten in beſſern Zimmern, auf bequemern Sitzen deine guten Speiſen aufſeķeſt, ſo werden ſie ihnen geiviſ beſſer ſchmecken als bisher. Zutter. Ich glaube es kauin! Sie werden in beſſern Haus auch beſſere Tafel erwarten. Patei. Nun, das iſt auch kein Unglück. Da raffiniert man, man lernt was, man geht mit der Zeit. Mutter. Die Zeit läuft gar zu geſchwind für ineine alten Beine. Vater. Wir ſpannen vor. Wutter. Nein, ich kenne dich ganz und gar nicht. Ein böſer Geiſt hat dich verblendet. Mit rechten Dingen geht's nicht zu. (Sidh fellend.) Mir iſt's in alle Glieder geſchlagen, ich kann nicht von der Stelle. . . Vater (der indeſſen durch Fenſter geſchen). Da ſieh nur einmal die ſchwer bepackte Kutidhe, mit ſechs Pferden! Wahrſcheinlich was Vornehmes. Ich ſchäme mich zu Tode, wenn ſie bei uns einkehren. Mutter (aufſpringend). Laß fie nur kommen! Iſt das Haus ſchlecht, ſo iſt es doch reinlich, und über die Bedienung ſollen ſie ſich nicht beklagen. Ich habe noch allerlei Vorrat! Ge- ſchwinde, geſchwinde foll ein Eſſen parat ſtehen. Vater. Sieh nur! ein paar artige kleine Knaben fikzen auf dem Bode, der eine ſpringt herunter, die Kutſche führt langſam, er kommt aufs Haus zu. Das iſt ein Springinsfeld ! Da iſt er ſchon. . 4. Auftritt. Die Vorigen. Erſter Knabe. . Erſter Kunbe. Kann man hier unterkommen? Mutter. O ja, mein Sohn.. 220 Was wir bringen. Erſter Knabé. Meine Herrſchaften möchten ſich hier ein Stündchen aufhalten. Wuiter. Sie ſollen uns nur die Ehre erzeigen, herein zit treten. Es wird ſich ſchon was zu ihrer Bewirtung finden. Erlier Knabe. D! Safür ſeid unbeſorgt, ſie führen alles mit ſich, was ſie brauchen. (ab.) Vater. Nicht die beſte Nachricht für den Wirt. Mutter. Gleich bringe ich alles in Ordnung. (Sie räumt auf.) Geh ihnen indeſſen entgegen. Vater. Da iſt ſchon eine. 5. Auftritt. Die Vorigen. Nymphe, dann ein zweiter enabe, welcher eine Schatulle nachträgt. Nymphe. Seid mir gegrüßt, gute Leute! Wutter. Gegrüßt, ſchönes Frauenzimmer! Vater. Von Herzen willfommen! Wijnplje (ſicht ſid, überall um). Pater (leiſe zur Mutter). Gib nur acht! Wie die den Mund aufthut, wird's wieder über das arme Haus hergehen. Wahr- ſcheinlich iſt's das Kammermädchen, die ſich nach der Gelegen- heit umſehen ſoll. Mutter. Laß das nur gut ſein; es geſchieht heute nicht zum erſtenmal. Vater (vor ſich). Aber gewiß zum letztenmal. Morgen ſoll mir das Dach herunter. Nymphe (die lebhaft zwiſchen beide tritt). D! wie wohl es mir bei euch wird, ihr lieben, guten Leute! dieſe gering ſcheinende Hütte wird inir ein Himmel. Mutter. Hörſt du, Alter? Vater (vor fich). ' Nun, das iſt kurios. Das erſte Mal, baß ich dieſe Redensarten höre! Nymphe. Hier fühle ich mich ganz zunächſt an der Natur. Hier wird mein Äuge durch keinen falſchen Schimmer geblendet, hier genießt mein Herz die volle Freiheit, ſich dem einfachen, beglückenden Gefühl zu überlaſſen. Ach, könnten meine Schweſtern, meine Freundinnen empfinden wie ich, wir würden zuſammen unſere Tage bei euch zubringen. Mutter. Haſt du es gehört, Alter? Vater (vor fich). Ich begreife kein Wort davon. Sie ſpricht von Schweſtern, von Freundinnen, alſo nicht von Herr: 5., 6. u. 7. Auftritt. 221 ſchaft. Wer mag ſie ſein, das ſchöne Kind, das in ſo einem verwünſchten Nefte ſein Leben zubringen möchte? Nymphe (die indoſjen hinter den Serd getreten iſt). An dieſem Herde wollt ich ſtehen, hier wollte ich unſchuldige Speiſen focheni, euch mit Herzlidier Liebe dienen, euer Alter erleichtern und mich ſo glücklich fühlen! (Sie nimmt einige Gefäße aus der Schatule und fängt an, ein Frühſtück zu bereiten ) 6. Auftritt. c. Die Vorigen. Erſter Knabe. Erſter Knabe. Wie finden Sie's denn? Iſt es er- träglich? Nymphe. So ſchön, allerliebſt, einzig! Sie ſollen herein, geſchwind herein. (Erſter Knabe und Vater ab.) Nymphe. Ich weiß mir gar nichts Beſſeres, als unter dieſem ehrwürdigen Dache, an dieſem niedrigen Herde, in völliger Einſtimmung mit meinen eignen Gefühlen, einen heitern Tag nach dem andern zu durchleben. Mutter. Úch, Sie allerliebſtes Kind, wären Sie nur um weniges früher gekommen. Mein Mann will das Haus einreißen; vielleicht hätten Sie es noch gerettet. Nymphe. Einreißen? dieſes Denkmal früherer goldener Zeiten, dieſe Wohnung des Friedens! D, der Grauſame! (Sie fährt in ihrer Beſchäftigung fort.) 7. Uuftritt. Die Vorigen. Vater Märten. Phone. Erſter Anabe. Vater. Belieben Sie, herein zu treten und ſich ſelbſt zu überzeugen, daß es noch allenfalls leidlich bei uns iſt. Freilich, wenn Sie in einiger Zeit wieder kommen, ſollen Sie es ſchon beſſer finden. Phone. Laſſen Sie das nur gut ſein, lieber Herr Wirt. Auf etwas mehr oder weniger kommt's uns nicht an. Wir haben einen ſo guten Humor, daß wir uns alle Zuſtände leidlich, ja vergnüglich zu machen wiſſen. Ýater. Da ſind Sie und das Fräulein dort ja wohl Zwillingsgeſchwiſter. Sie erzeigte uns auch die Ehre, dieſe Herberge ganz allerliebſt zu finden. 222 Was wir bringen. ( Phone. Das könnte ich nun eben nicht ſagen. Mir iſt der Drt ganz gleichgültig. Das einzige, was ich nicht vers tragen kann, iſt die lange Weile. . Vater. Die iſt freilich mitunter hier zu Hauſe. Phone. Mir iſt aber dafür gar nicht bange; denn ich weiß ſie mir und andern zu vertreiben. Vater. Nun möchte ich doch ſehen, wie Sie das hier anfangen wollen. Phone. Das ſollt ihr gleich erfahren. (Sie ſingt cin Beliebtes Lied.) Vater (der bisher mit Verwunderung zugehört). Schön, allerliebſt! Ja, ſo laſt? ich mir’s gefallen. Mutter (die gleichfalls von Zeit zu Zeit auf den Gejang gemerkt). Wie meinſt du, Alter! Ich dächte, das ließe ſich hören. Wymphe. Liebe Schweſter, habe Dank für den holden Geſang, Surch den du mein kleines Geſchäft erheitert haſt. (Indem Nymphe und Mutter den Tijd zum Frühſtück zurechte madhen." Sie ſtellen eine Art kleiner Terrine und ſilberne Becher auf.) Genießt jeßt aber auch der einfachen Koſt, am ländlichen Herde zubereitet. (zum Knaben.) Gehe hinaus, bringe mir einige Feldblumen, daß ich dieſe Tafel Samit dimücke. Phone. Das machſt du ſehr ſchön, liebe Schweſter. Nymphe. Aber wo bleibt unſere Sritte? Erſter Knabe. Sie fißt noch im Wagen, ſie will nicht herein; ich habe ſie zum ſchönſten gebeten. Sie ſchwur, eine folche Höhle' nicht zu betreten.' Phone. Wir müſſen ſelbſt gehen, ſie zu holen. Komm! 7 8. Auftritt. Bater und Mutter. Vater. Hörſt du?- eine Höhle! das ſoll man mir nicht zum zweitenniale ſagen, morgen muß das Dach herunter! ich will die Höhle ſchon luftig machen. Mutter. So höre doch, was die artige Kleine da ſagt; es ſei ein Paradies, verſichert ſie, unſer Haus. Vater. Wer weiß, was ſie unter Paradies verſteht! Was aber eine Höhle heißen ſoll, weiß ich recht gut. - 9. Auftritt. 223 9. Auftritt. Die Vorigen. Pathol. Nymphe. Phone. Die beiden Senavent, . welche ſich bald entfernen. Phone. So form soch herein, gute Schweſter. Wo wir ſind, kannſt du wohl auch ſein. Nymphe. Genieße, was wir dir bereitet haben, und verſchmähe nicht dieſeit einfachen, unſchuldigen Aufenthalt. Pathos. Verſchone midi init deiner Koft. Was ich ge- nießen kann, habe ich genoſſen. Laßt euch mohl werden auf eure Weiſe und bleibt unbeſorgt um mich. Nun aber vor allen Dingen verſchließt Thor und Thüre, daß niemand weiter ſich in unfern Kreis eindränge. Vater (geht auf kurze Zeit ab). Phone und Nijmple (ſetzen ſich an den Tiſ( und ſdylürfen aus ſilbernen Bediern das Aufgetragene). Pathos. Wo ich hintrete, verwandelt ſich alles! Und wenn inein Geiſt das Wirkliche umſchaffen fönnte, ſo müßte Dieſer Naum zum Tempel werden. Mutter (zum Bater). Es muß doch ſo ſchlimm in unſerm Hauſe nicht ausſehen! Die eine findet ein Paradies darin, die andere will es gar zum Tempel machen. Vater. Hätte ich das vorausſehen können, ſo wären freilich die Baukoſten zu erſparen geweſen. Indeſjen ſcheint es, dieſe guten Kinder verwandeln nur für ſich und nicht für andere Leute. Pathos (zwiſden beide hineintretend). Ihr ſcheint mir ein Paar ehrwürdige Leute. Mutter. Ob wir ehrwürdig find, das wiſſen wir nicht; aber daß wir ehrlich ſind, können wir beteuern. Pathos. Sur lebt lange zuſammen? Mutter. Seit unſerer Jugend. Pathos. In dieſem baufälligen Hauſe? Vater. Ganz recht! das Haus war baufällig, da wir 110ch růſtig waren. Pathos (beide mit einigen Erſtaunen anblickend). Sollte ich wohl irren? Mutter. Was ſeht Ihr uns ſo an, mein Fräulein? Pathos. Sollteit die fabelhaften Zeiten wiederkehren? Vater. Wie meint Ihr das? Pathos. Sollte wohl hinter euch was anders vers borgen ſein? 224 Was wir bringen. Putter. Ich begreife Euch nicht. Ihr macht mir bange. Pathos. Habt ihr nichts von Philemon und Baucis gehört? Vater. Sein Sterbenswort. Mutter. Wer war. Denn das? Pathos. Ihr ſeid es ſelbſt, ohne es zu wiſſen. Ich ſehe Philemon und Baucis vor mir. Vater (vor fid)). Nein, das wird zu arg! Erſt verwandeln ſie mir mein Haus in ein Paradies, eine Höhle, einen Tein- pel, und nun ſoll's gar an uns ſelbſt kommen! Wenn wir ſie doch nur ſchon wieder los mären! Pathos. Ich ſehe ſie vor mir, die würdigen Gatten, verbunden in ihrer erſten Jugend, in treuer Geſellſchaft ihr Leben hinbringen. Ein Chor von muntern Geſchöpfen um fie her! Nach und nach löſen ſie ſich los, die Töchter werden ausgeſtattet, die Söhne verſorgt, und ein frohes, thätiges Alter beglückt die beiden. Vater. Bis jeßt redt fie wahr. Mutter. Das trifft vollkommen. Pathos. Gaſtfreundlich und geſchäftig haben ſie immer Fremde bei ſich aufgenommen. Je beſchränkter ihre Wohnung war, deſto lebhafter zeigte ſich ihre Bemühung. Durch Neigung · und Aufmerkſamkeit erſetzten ſie, was zu erſeßen war. Mutter. Hörſt du, das klingt anders, als du erwarteteſt. Vater. Auf eine ſolche Lobrede hatte ich mich freilich nicht vorgeſehen. Pathos. In dem Gefühl ihrer Beſcheidenheit hielten ſie ihren Zuſtand nicht gering, das alte Haus nicht zu enge, nicht zu ſchlecht. Vater (beiſeite). Das paßt nun nicht, denn das alte Haus habe ich ſchon lange ſehr ſchlecht gefunden. Pathos. Und eben dieſe Beſcheidenheit verhinderte fie, zi1 erkennen, daß fie Götter aufgenommen hatten. Vater (beijeite). Nun fängt mir's an unheinlich zu werden. Denn entweder das ſind die Götter ſelbſt, oder es iſt nicht richtig im Oberſtübchen. Pathos (zu den übrigen, die indeſjen aufgeſtanden ſind). D! meine Schweſtern, dieſe guten würdigen Leute verdienen, daß ihnen ein neues Haus erbauet, daß ſie verjüngt, daß fie zi Prieſtern eingeweiht werden des Tempels der ſchönſten Gaft- freundſchaft. Phone. Wir ſind es zufrieden, meine Schweſter. Du 10. Auftritt. 225 permagſt viel über die Gemüter; aber was wirſt du über dieſe Balken und Steine vermögen? Pater. Was das betrifft, deshalb ſein Sie unbeſorgt, eben bin ich im Begriff, zu bauen. Steine, Holz und alles Nötige iſt angeſchafft. Nur mit meiner Frau bin ich noch nicht ganz einig. Mutter. Nun, nun! die Frauenzimmer haben auch vom Verjüngen geſprochen. Wenn ſich das ſo thun ließe! Zum neuen Gaſthof eine neue Wirtin, ein neuer Wirt! das ließe ſich hören. Vater. Laß das gut ſein! daran, fürcht ich, möchyt és hapern. Pathos. Sprecht nicht mehr vom Gaſthof, es iſt von ganz andern Dingen die Rede. 10. Uuftritt. Die Vorigen. Heiſender. Reilender (draußen). He! Wirtshaus! Wirtshaus! Warunt iſt das Thor zu? Warum iſt die Thüre verſchloſſen? Laßt inich ein! Ich muß hinein. Pathos. Wer iſt der Unverſchämte, der unſere heiligen Zirkel zu ſtören droht? Vater (gegen das Fenſter). Es iſt ein Fußreiſender. Phone (gegen das Fenſter). Ein hübſcher, junger Menſch. Mimple (gegen das Fenſter). Ach, gewiß einer von den Liebenswürdigen, die ſich's ſo fauer werden laſſen, überall die holden Naturſzenen aufzuſuchen. Der Himmel hat ſich auf einmal überzogen, ich fürchte ein Gewitter. Laßt mir den Guten nicht weiter gehen, laßt ihn herein! Pathos. Habt ihr ein ander Zimmer, gute Leute, daß ich allein ſein kann? Vater. Was Ihr ſeht, iſt das ganze Haus. Pathos. So muß er draußen bleiben, ich kann ihm nicht helfen. (Das Fenſter geht auf, Neiſender ſpringt herein, im Koſtüm der beſjern deutſchen Fußreiſenden.) - Reiſender. Was ſehe ich? Einen leeren, verlaßven Naunt glaubte ich zu betreten und finde die vortrefflichſte Geſellſchaft. Sein Sie mir gegrüßt, meine Damen, gegrüßt, Herr und Frau Wirtin! Manchen Wald habe ich durch Goethe, Werfe. VIII. 15 226. Was wir bringeit. wandelt, manch Gebirg Durchſtiegen, inanche Ausſicht be- wundert, manche Ruine durchkrochen, in inandher Mühle durchnachtet; aber ſolch ein glüdliches Abenteuer iſt mir nirgends aufgeſtoßen. Phone (reiſe zu den andern). Er gefällt mir gar nicht über. Nijmphe. Er hat was ſehr Intereſſantes. Pathos. Gute Sitten und Lebensart läßt er hoffen. Reiſender. Wo ſoll ich anfangen? mo ſoll ich auf- hören? Soll ich geiſtreider Anmut, ſoll ich edler Natürlich- keit, ſoll ich der Diajeſtät, dem Biederſinn, Ser Treuherzigkeit opfern? Phone. Das ſcheint ein Phyſiognomiſt zu ſein; er macht uns Komplimente, die wir gern annehmen. Wenn er mir nur nicht, um ſichrer zu gehen, nach der neuen Methode den Kopf befühlen will. Vatrr. Womit kann nian dienen? Mutter. Was ſteht zu Befehl ? Nymphe. Vielleicht verſchmähen Sie unſer Frühſtück nicht? Kann ich aufwarten? (Sie reicht ihm einen Becher.) Reiſender. Aus ſo ſchönen Händen einen Labefrunf, wer könnte den verſchmähen! Aber beſchämen Sie mich nicht! An mir iſt, zu fragen: womit ich aufmarten, womit ich dienen kann? Phone. Was haben Sie uns denn anzubieten? Reiſender. Dhre Prahlerei, die funſtreichſte linterhaltung. Phone. Uns! Eine kunſtreiche Unterhaltung! Schweſter, wir wollen doch ſehen, wie er das anfängt. · Nymphe. Nun iſt meine ganze Freude hin! Ich hielt ihn für einen zurten, feinfühlenden Sohit der Natur und wollte mich eben mit ihnı über Berg und Hügel, über Aus- ſichten, Thäler und verfallene Schlöſſer unterhalten, und am Ende iſt der gute Menſch ein Taſchenſpieler! Pathos. Und wenn es wäre, ſo hätte es nichts zit ſagen. Ich kann dergleichen wohl mit anſehen, wenn ich nur weiter nichts damit zu ſchaffen haben ſoll. Phone (zum Reiſenden). Nun! und ſo wären Sie alſo denn doch, was man einen Taſchenſpieler Heißt? Reiſender. Keinesweges, meine Damen! Für eine jede Kunſt, für ein jedes Handwerk hat die Welt einen Spitz- namen, ja für das Edelſte und Beſte einen Ekelnameit ge- funden. Doch wenn ich mich ſelbſt ankündigen ſoll, ſo bin ich ein 10. Auftritt. .227 Phyſikus, der wunderliche Dinge hervorzubringen und darzu- ſtellen weiß. Ein Phyſikus iſt verwandt mit dein höchſten Ernſt, da mag er ein Philoſoph heißen, und mit dem ge- meinſten Spaß, da kann er für einen Taſchenſpieler gelten. Nymphe. Mit allem ſolchem Zeuge mag ich eben gar nichts zu thun haben. Plone. Und warum nicht? Jdh werde immer heiter, wenn man mich auf eine unſchuldige Weiſe zum beſten hat. Pathos. So laßt ihn benn doch nur gewähren und ſeht ſeinen Scherzen mit Vergnügen zu. Inimer iſt es beſſer, daß er eure Augen, eure Sinne betrügt, als wenn er euer Herz oder euren Geſchmad verführen wollte. Reiſender. Sie ſcheinen, meine Damen, dieſe geringen Verdienſte, die ich Ihnen anzubieten habe, wenn ich aufrichtig fein ſoll, auch etwas gar zu gering zil ſchätzen. Es möchten wohl Späße ſein, was ich im Sinn habe; aber ſo ganz pur ſpaßhaft ſind ſie nicht; benn ich ſpaße zum Beiſpiel nicht allein. Wollen Sie nicht teil daran nehmen, und zwar per: ſönlichen Teil, ſo läßt fich gar nichts ausrichten. Fangen wir zum Beiſpiel gleich davon an, daß Sie ſich hier nicht zum beſten befinden. Nymphe. Und warum nicht? Phone. So ganz übel fönnt ich doch auch nicht ſagen. Pathos. Wir wollen geſtehen, daß es wohl beſſer fein könnte. Reiſender. Viel zu umſtändlich wäre es, hier am Orte eine Veränderung abzuwarten. Vater. Nun freilich! und ich müßte noch dazu Sie erſuchen, das Haus zu räumen, ehe ich das neue aufſtellen könnte. Reiſender. Deshalb hielte ich es für das Sicherſte, wir veränderten ſelbſt den Ort, welches mit feinen gar zu großeit Schwierigkeiten verbunden ſein möchte. Phone. Freilich, wenn wir uns in den Wagen ſetzen und, in ſchlechten oder gutem Wetter, noch ſo viele Meilen weiter fahren wollten. Nymphe. ja wohl! und mir gefällt es hier für dies- mal; laß uns eben bleiben. . Die Art, wie er es vorbringt, läßt mich hoffen, daß er dabei was Signes denken mag. Reiſender. Gewiß und ungezweifelt, meine Damen! 228 Was wir bringen. . denn wie würde ich mich nur irgend mit Recht einen Phy- fikus nennen können, wenn ich nicht die wunderbaren Mittel, Durch die man das ünmögliche möglich macht, ſo bequem wie ein anderes Hokuspokus in Händen hätte. Beliebt nun, zum Beiſpiel, Ihnen ſämtlich, wie wir hier beiſammen ſind, den Ort zu verändern, in die Luft zu ſteigen, an einem andern Orte, an einen würdigern Plaße ſich niederzulaſſen? Pathos. Das ſollte mir ganz angenehm fein. Phone. Ich gehe gleich auch mit. Nymphe. Ich entſchließe mich), obgleich ungern. Hier von dieſem Bezirk der Unſchuld reiße ich mich nur mit Schmerzen los. Reiſender. Nun, Alter, mie fieht's mit Euch aus? Seid Ihr auch dabei ? Vater. Es iſt ein wunderlicher Vorſchlag! Faft habe ich Luft! Doch ſagt mir nur erft, wie es werden ſoll? Reiſender. Und Sie, gute Frau? Mutter. Nein, ich will nichts damit zu ſchaffen haben. Das iſt bare Hererei! und bin ich doch ſchon oft bloß darum, weil ich eine tüchtige, gute Hausmutter bin, in den Verdacht gekommen, als flöge der Drache bei mir ein und aus. Fort, junger Herr, bleibt mir vom Leibe ! Reiſender. Niemand iſt gezwungen. Die meiſten Stimmen, hoffe ich, find für die Fahrt, wenn wir ein künſtliches Fuhr- werk herbeiſchaffen. Wer mitgehen will, hebe die Hand auf! (Alle Heben die Hand auf außer der Mutter.) Vorher aber muß ich Sie auch durchaus beruhigen. Von Luftballonen haben Sie neuerer Zeit viel gehört. Herren und Frauen ſind damit aufgeſtiegen. Ferner aus ältern Zeiten iſt die wahrhafte Geſchichte von Fauſts Mantel jedem befannt. Aus dieſen beiden Verſuchen werden wir einen dritten bilden, der vortrefflich gelingen muß. Hier oben ſehe ich einen Teppich hängen; was iſt bas für eiit Teppich? Vater. Sonſt hielten wir ihn ſehr in Ehren. Es iſt ein alter, geerbter Teppich; doch jetzt haben wir ihn dahinauf gebunden, weil der letzte Schnee uns eben auf die unver- ſchäinteſte Weiſe im Bette beſuchen wollte. Reiſender. Könnten wir den Teppich nicht geſchwind herunter nehmen? Vater. Geſchwind nicht mohl! Ich müßte die große Leiter holen. Wir haben ein paar Stunden gebraucht, un ihn hinauf zu knüpfen. 10. Auftritt. 229 Reiſender. Das thäte ſo viel nicht. Wenn Sie mit- wirken wollen, meine Schönen, ſo getraue ich mir, ihn in kurzer Zeit herab zu bringen. Nehmen Sie hier dieſe Blättchen und ſingen Sie die wenigen Noten. Sie haben ſonſt von Liedern gehört, mit denen man den Mond herunterzieht; hier gilt es nur einen Teppic); aber es gilt für alles Hohe, das wir zu uns herunterziehen, um uns deſto lebhafter von ihm hinaufheben zu laſſen. (Die Damen ſingen. Reiſender entfernt fidi indeſſen und benutzt die Zeit, die zul ſeiner Umkleidung nötig iſt. Der Teppich ſteigt langſam nieder und breitet ſich auf dein Boden aus.) * Warum doch erſchallen Himmelwärts die Lieder? - Žögen gerne nieder Sterne, die broben Blinken und wallen, Zögen ſich Lunas Lieblich Umarmen, Zögen die warmen, Wonnigen Tage Seliger Götter Gern uns herab! Reiſender (der in einem weiten Talar zurückkommt). Sie verzeihen, wenn ich in einer fremden Tracht erſcheine! doch man be- wirkt das Wunderbare nicht auf alltägliche Weiſe. Sie ſehen, der Teppich hat ſich herabgelaſſen und iſt ebenſo bereit, um mit uns alen wieder aufzuſteigen. Das Leichte hebt er leicht und mit Grazie; aber auch ſelbſt das Schwerſte ſchleppt er wenigſtens in die Höhe. Wer hat Mut, ihn zu betreteni? Pathos (auf den Teppich tretend). Ich werde ihn in die Höhe heben, er nicht mich. Phone. Ich merke ſchon, wohin das geht; ich bin dabei. (Sie tritt auf der Teppich.) · Nymphe. Ich fühle eine gewiſſe Furcht. Ganz wohl iſt mir's nicht zu Mute; indes, ihr Schweſtern zieht mich, und ich bleibe nicht zurück. (Tritt gleichfalls auf den Teppich.) Reiſender. Nun, Alter! wie ſieht's denn mit Euch aus? Getraut Shr Euch nicht auch heran? Pater. Ich möchte mohli ja, ich kann mich kaum ent- halten. So etwas Neues und Sonderbares hätte ich gerne längſt verſucht 230 Was wir bringen. Mutter. Biſt du denn ganz von allem guten Rat ver- laſſen? Wo willfi du hin? Gelingt es, fo biſt du auf ewig verloren; mißlingt es, ſo brichſt du wenigſtens ein Bein. Vater. Abhalten Taffe ich mich nicht. Wo findet ſich eine Gelegenheit zum zweitenmale? Soll ich nicht ſoviel Mut haben wie dieſe ſchönen Kinder? Plone. So recht, Vater! Kommt, haltet Euch an mir, wenn's Euch ſchwindelt. Vater. Charmant! Das will ich mir nicht zum zweiten: male ſagen laſſen. (Tritt auf den Teppich.) Reiſender (der fie ordnet und revidiert). Bald iſt's gut! Noch aber fehlt das Gleichgewicht; denn, ſehen Sie, ich werde mich als Ballaſt quer in die Mitte legen. Sie, gute Frau, muß notwendig noch heran. Ich bitte gar ſehr, konm Sie doch zu uns! Mutter. Nein! da behüte mich Gott vor! Ich will mein Gewiſſen nicht beflecken! ich bleibe hier ſtehen und halten, und ich will mich gewiß nicht verführen laſſen. Lieber Mann, gehe mir von dem verwünſchten Teppiche herunter! ich bitte dich inſtändig, aufs inſtändigſte! Vater. Ich habe einmal Poſto gefaßt, und ich denke mir, daß daraus was werden ſoll. Šage dem Gevatter Maurer, ſage dem Vetter Zimmermann: ſie follen nur alles beſorgen und thun, wie wir es abgeredet haben. Ich fahre indeſſen hin; ich komme, will's Gott, wieder. Ein neues Haus, ein neuer Menſch. So dächte ich, du kämſt auch mit, da wäre doch alles gemeinſchaftlich. (Die vordere Seite des Teppicha fängt an, ſich in die Höhe zu heben und die darauf Steyeniden zu bedecten.) Mutter. Oweh! o weh! ich habe es für Spaß ge- halten, ich habe es für unmöglich gehalten, und nun macht der Herenmeiſter Ernſt. Der Teppich geht in die Höhe. Sie fliegen auf und davon. Ich fürchte, auch die Frauen find durchaus Heren und Zaubervolk.. Reiſender (der hinter dem Teppich Hervorkommt). Liebe Frau , ich bitte Sie, mitzukommen. Es iſt keine Gefahr dabei, es geht To ſanft, wie ein Schiffchen auf dem Teich, und Sie iſt in der beſten Geſellſchaft. Mutter. . Nein, nein, ich will von euch allen nichts ipiſſen. Das mag mir eine ſaubere Geſellſchaft ſein, die ſich, mir nichts, dir nichts, entſchließt, zum Teufel zu fahren. Ja, 10. Auftritt. 231 in, Herr! Mache Er nur große Augen, ſchneide Er nur Ge- ſichter, mich erſchreckt Er nicht. Denft Er denn, daß ich den Schwarzen nicht auch im bunten Kittel erkennen werde?' Ein Schwarzfiinſtler iſt Ér, oder der Gottſeibeiuns ſelbſt. Reiſender. Will Sie, oder will Sie nicht? Mutter. Laß Er doch erſt einmal ſeine Hände ſehen! Warum hat Er denn ſo lange Aermel, wenn Er nicht die Silauen verbergen will? Warum iſt denn der Talar ſo lang? als daß man den Pferdefuß nicht ſehen ſoll. Nun, ſo ſchlag Er ihni dod) zurück, wenn Er ein gut Gewiſſen hat." Reilender. Sic hat mich ja vorhin ganz ſchmuck geſehen. Mutter. Was? was? Handſchuhe hatte Er an und Ele- fantenſtrümpfe! darunter läßt ſich gar viel verbergen. Reiſender. Nun, ſo bleibe Sie und erwarte Sie, wie es fhr geht. Wie ivir hinaufgeflogen find, ſtürzt das Haus zuſammen. Mache Sie menigſtens, daß Sie hinauskommt. Wutter. Nein! nein! Hier bin ich geboren, hier will ich leben und ſterben. Laß doch ſehen, ob die böſen Geiſter das Haus einwerfen fönnen, das die guten ſo lange erhalten haben. Reiſender. Nun abieu denn! Wenn Sie durchaus ſo halsſtarrig iſt, ſo folge Sie wenigſtens ineinem letzten Nat: halte Sie die Augen feſt zu, bis alles vorbei iſt, und ſo Gott befohlen! (Ocht Hinter den Teppid; ) Mutter. Gott befohlen! Nun, das klingt doch nicht ſo ganz teufliſch. In dies Edchen will ich mich ſtecken, die Augen will ich zuthun, mein Gebetlein verrichten und abwarten, was über inid, ergehen ſoll. Vatér (hinter den Teppich). Lebe. wohl, Frau ! Nun geht es for inter can be redissa, numele zichzen. Den Mutter (an der rechten Seite knieend und mit beiden Händen die Augen zuhaltend, ganz außer fid)). Ja, nun geht's fort, und ich höre ſchon ſauſen, rauſchen, quieken, ſchreien, ächzen. Der böſe Geiſt hat fie in ſeinen Klauen. D weh! o weh! mein armer Mann! ich unglückſeliges Weib! Ich höre knittern und krachen, das Gebälfe bricht, der Schornſtein fällt, die Mauern berſten. Ach! ach! Wär' ich doch hinaus! Nun iſt's vorbei, und das iſt mein Lektes. 2321 Was wir bringen. 11. Uuftritt. (Der Schauplatz verwandelt ſich in einen prädstigen Saal. 31 gleicher Zeit hebt fidh der Teppidh empor und Oleibt in einer gewviſjen Höhe, als Baldachin, dweben. Darunter ſteheil Patýos in tragiſcher, Phone in opernhaft-phantaſtiſder Kleidung, Nymphe weiß, mit Roſenguirlanden. Vater Märten in Franzöſiſdem, nid)t zu alts fränkiſdem Staatskleide, mit Allongcperiicfc, Stock, den But unterm Urin. Der ziveite Knabe, mit zwei großen Masken, einer tragiſden und komiſdhen, in Händen; der erſte Snabe, halb ſchwarz und halb roſenfarb gekleidet, mit zivei Fnđelit; Neiſender als Merkur.) Mutter. Nun iſt's vorbei! Alles iſt ſo ſtill geworden. Nun darf ich wohl wieder aufblinzen. (Sie ficht erſt durđdie Finger, dann ſtarrt ſie die Gruppe ſowie das Haus an.) Wo bin ich hingekommen? Bin ich auch entführt? Hat ſich um mich alles verändert? , wie feh' ich aus? In dieſen meinen Alltagskleidern, in der Kirche! unter ſo vornehmen Leuten! Wo verkrieche ich mich hin! (Sie tritt in die Couliſſe, die ihr zunädjſt ſteht.) 12. Auftritt. Die Vorigen außer Marthe. Pathos. Dank den Göttern, wir ſind in unſere Heimat gebracht. Der Wunderbau iſt vollendet; wie gut läßt fich's hier weilen und wohnen. Kommt, Schweſtecit, durchforſcht mit inir die Hallen unſeres neuen Tempels! (Sie geht mit gemeſſenen Schritten nach dem Hintergrunde.) 13. Auftritt. Die Vorigen außer Pathos. Phone (zu Nymphe). Mir gefällt es hier außerordentlich. Nymphe. Ich wollte, wir wären, wo wir hergekommen ſind. Dort war mir's doch behaglicher.. Pljone. Sieh nur! welche artige Kinder zu unſern Seiten ſtehen. Der meine iſt beſonders liebenswürdig. Du mendeſt dici meg, artiger Knabe! Du fliehſt mich! D, ſo bleibe doch! konım in meine Arme! Erſter Knabe (macht eine Bewegung nach der linken Seite). Phone (folgt ihm). Erſier Knabe (wendet ſid, gegen die Mechte und zeigt ſeine ſchwarze Hälfte). Phone. Was feh' ich? Welch ein wandelbarer Chamäleon biſt du? Erſt ziehſt du mich mit allen Reizen an, nun er- 13., 14. u. 15. Auftritt. 233 ſcheinſt du mir fürchterlich. An dieſer Verwandlung erkenne ich dich wohl. Erſter Kunbe (der ſid, wieder nach der linken Seite wendet uno ſeine Helle Hälſte zeigt). Phone. Nun ſehe ich dich wieder heiter und ſchön. So abwechſelnd gefällſt du mir eben. Id inuß dich haſchen, dich feſthalten, und vermag ich es nicht, ſo will ich dich ewig verfolgen. (Beide ab, an der linken Seite des Grundes.) 14. Uuftritt. Die Vorigen außer Phone und dem erſten Anaben. Nymphe (zu dem Knaben). Laß mich in dieſen glänzenden Prachtſälen, in denen ich nur ein unendlich Leeres empfinde, dich, liebes Kind, an mein Herz brücken und in deiner Kinder- itatur mich wieder herſtellen., Zweiter Knabe (hebt die komiſche Maske empor und hält ſie vors Geſicht). Nymphe. O pfui! welch ein Abſcheu! welch ein Schreck- bild! welch Entſetzen! Sntferne dich! (Sie madt einige Schritte gegen die linte Seite, der Knabe tritt ihr nadj.) Laß mich! bleib zurück! Welch ein böſer Genius verfolgt mich. Áhrete mein Herz doch hier nichts Gutes. Wie entkomme ich ? mo fliehe ich hin? (Sie entflieht, vom Knaben verfolgt, nad der rechten Seite des Grundes.) 15. Uuftritt. Die Vorigen außer Nymphe und zweiter Knabe. Vater (welcher die ganze Zeit mit Verwunderung dageſtanden, an der linken Seite ein wenig Hervortretend). Wunderbar genug geht's hier zu. Ich erhole mich noch nicht von meinem Erſtaunen.“ Möchte ich doch wohl wiſſen, wie das zugegangen iſt? wo wir ſind ? welcher König dieſen Palaſt bewohnt? Beſonders artig aber find ich es von den Geiſtern, daß fie auch gleich für unſere Garderobe geſorgt haben. Pok Fiſchchen! ich dächte, fo fönnten wir uns bei Hofe wohl ſehen laſſen. (Er geht mit Behaglichkeit nach dem Grunde.) 234 Was wir bringen. 15 16. Auftritt. · Merkur (allein, gegen die Zuſchauer vortretend). Wenn ihr, verehrte Viele, die ſich dieſen Tag zu unſres Feſtes Weihe inächtig zuigedrängt, Des erſten Spiels leichtfertigé Dermorrenheit Mit günſtgeri Augen angeſehn, mit günſtgem Dhr Die rätſelhaften Reden willig aufgefaßt: So find auch mit der Pflichten dankbar eingedenk, Und ohne Säumen treť ich abgeſendet her, Den Schleier eilig wegzuheben, der vielleicht Noch über unſern raſchbewegteii Scherzen fdwebt. Wenn das Gefühl ſich herzlich oft in Dämmrung freut, 10 So gnüget heitre Sonnenklarheit nur dem Geiſt. Und eurem Geiſte zuzuſprechen, haben wir Beſondrer Formen bunte Mannigfaltigkeit, Verwegen und vertraulich, euch vorbeigeführt. Zuvörderſt alſo wird euch nicht entgangen ſein, Da jener Bauernſtube nicorige Gelegenheit Das alte Schauſpielhaus bedeutet, das euch ſonſt, Mit ungefälliger Uingebung, oft bedrängt, So gut als uns, und das wir ſämtlich ſtets verwünſcht. Geſprengt iſt jene Raupenhülle, neu belebt Erſcheinen wir in dieſes weiten Tempels Raum. Bedeutend iſt's zit gleicher Zeit und wirklich auch; Denn ihr habt alle beſſern Plaß, ſo gut als wir. Drum Cob' den Architekten, deren Sinn und Kraft, Auch den Gewerken, deren Hand es ausgeführt! - Und wenn wir aus den alten in den neuen Raum Zu Fuße nicht gegangen, ſondern unverhofft Sin höhres Wirfen ſcheinbar uns hinweggeführt: So zeigen dieſe Scherze, daß wir mehr und mehr, zu höhren Regioneit innſrer edlen Kunſt Uns aufzuſchwingen, alle vorbereitet ſind. Weil aber uns im Sinne ſchwebt der alte Spruch, Daß von den Göttern alles zu beginnen iſt, So denket jener Oberhäupter, deren Gunſt Des neuen Zuſtands heitre Freundlichkeit gewährt, Der beiden Fürſten, die, von einem alten Stamm Entſproſſen und gerüſtet mit des Wirkens Kraft, 20 25 30 35 16. Auftritt. 235 40 45 55 In ihrer hohen Thaten unbedingten Kreis Auch uns mit Vaterarinen gütig aufgefaßt. So banket jenem, dieſes Landes höchſtem Herrn, Der in dem horden Thale, bas den grünen Schmuck Belebter Zierde ſeiner Vaterhand verbanft, Auch uns den Plak bezeidjnen wollen, uns zugleich Mit all den Seinen friedliche Geſetzlichkeit Und reifer Fülle ſichern Dauerſtand gewährt. Sodann dem Nahverwandten danfet, der ins her Geſendet, einen Muſterteil des lauten Chors, Der ihn umgibt, verbreitend Kunſt und Wiſſenſchaft. So haben beide väterliche Fürſten denn Der neuen Anſtalt ſolche Gunſt erzeigt, . 50 Auf daß an unſern Stellen beide, mir und ihr, Gedenken mögen im Vergnügen unſrer Pflicht: Uns wechſelsweis zu bilden. Denn der Künſte Chor Tritt nie Behaglich auf, wofern er nicht bequem Gebahnte Wege findet. Durch ein wild Geſträuch, Durch rohen Dorngeflechtes llnzugänglichkeit Kann er die leichten Tänze nicht gefällig ziehn. Was ſie zu leiſten immer auch fich vorgeſetzt, Gelingt nur dann und wächſt nur dann erſt weiter fort, Wennt, ſchon gebildet, ihnen, Heiter, Herz und Sinn 60 Mit lebenskräftger Fülle reich entgegen ſtrebt. So denken jene, die uns dieſen Plak vertraut; Und alſo denkt der große König ebenfalls, , Der nachbarlich an dieſe reichen Fluren grenzt. Auch er erwartet, auf geſunden, berben Stamm 65 Gepfropfter, guter, edler Früchte ſich zu freun, Und hoffet reiner Sitten innerlich Geſetz, Im Buſen ſeines Volfs lebendig aufgeſtellt, Und, auf dem Weg durch die Gefilde ſchöner Kunſt, Nach lebensthät'gen Zwecken unverwandten Blick 70 So füllet weihend nun das Haus, ihr Erdengötter, Mit würdig ernſter Gegenwart, mit edlem Sinn, Daß, ſchauend oder wirfend, alle wir zugleich Der höhern Bildung unverrüft entgegengehn. Und bietet aller Bildung nicht die Schauſpielkunſt, 75 Mit hundert Armen, ein phantaſt'ſdher Kieſengott, Unendlich mannigfalt'ge, reiche Mittel dar? 236 Was wir bringen. Davon an unſern kleinen Kreis heran zu ziehn, So viel als möglich, iſt ein unverruckt Geſetz In unſernit Haushalt, und möir haben heute gleich 80 Von denen geh ich ſchuldige Rechenſdhaft zum Schluß, Damit ihr deutlich ſchauet unſern ganzen Sini. 17. Auftritt. Merkur. Mutter Marthe. Mutter (eilig von der rechten Seite her eintretend). Sft denn nie- mand, gar niemand hier? Ich laufe mich in den weitläufigen Freuzgängen faſt außer Aten. Es wird mir bange in dieſer Einſamkeit. Merkur. So ſchneidet mir die gute Frau den Vortrag ab. Mutter (ihn erblickend). Gott ſei Dank, wieder eine lebendige Seele! Wer Shr auch ſeid, habt Barinherzigkeit mit mir, ſagt mir, wo ich bin, wo mein Mann iſt, und weil Ihr gewiß mit dieſen Herenmeiſtern zuſammenhängt, ſo ſchafft mir doch meine Sonntagskleider. Zu Hauſe in Kaſten liegen ſie ganz ordent- lich aufeinander. Für einen von Euren Geiſtern iſt es ein kleines Pafet, und mir iſt alles daran gelegen, mich als eine wohlanſtändige Perſon zu rekommandieren. Merkur (gegen das Publikum gewendet). Doch daß ich ihre Gegenwart ſogleich benute, So ſprech' ich's aus: Hier dieſe gute Frau, So wenig es ihr Anſehn geben mag, Jſt ſelbſt ein allegoriſch Wieſen. Mutter. Wie? was? ich ein Weſen? ich allegoriſch? Das ſagt mir ein anderer nach! Ich bin nicht allegoriſc), bin nicht à la modiſch. Doch wenn ich ſaubere Kleider haben will, um mich anſtändig in vornehmer Geſellſchaft ſehen zu laſſen, ſo iſt es eine Schuldigkeit. Man geht nicht mit Alltagskleidern in die Kirche. Merkur (immer gegen das Publikum gekehrt). Man könnte ſie auch wohl fymboliſch nennen. Mutter. Das iſt zu arg, mein Herr, ich bin nicht ſimpel. Ein gutes, einfaches Weib bin ich, das will ich bleiben und dafür gelten. (Sie weint.) 85 17. 11. 18. Auftritt. 237 90 Merkur (wie oben). Sie weine nur, bis ich mich deutlicher erklärt. Sie zeigt ſymboliſch jenes aufgeweckte Spiel, Das euch, grotesk, die Menſdien darzuſtellen wagt. Beſchränkter Eigenwillen, heftige Begier und Abſcheu, Zornes Naſerei und faulen Schlaf, Leichtfertige Verwegenheit, gemeinen Stolz. : 95 Ji ſolchem Spiele fritt ſie auf als Meiſterin, Und außerdem, in inandem Sinn, erfreut ſie euch. So feſt in Siopf geſetzt. (Auf ſie losgehend.) Madame! Mutter. Ei was Madame! Frau Marthe bin ich. - Merkur. Wer dieſe Säle nur betritt, der iſt Madame; } 100 Drum fügen Sie ſich nur! Mutter (ihm ſdart ins Geſicht ſehend). Jrrich mich nicht, ſo ſeid Fhr gar der Schelm, der mir den Manit entführt. Wo iſt mein Mann? 18. Uuftritt. Die Borigel. Vatei Märten (im Staatskleide) Merkur. Dies zu erfahren, fragen Sie die Exzellenz, Die dort fich, gravitätiſch langſam, herbewegt. Der Herr muß alles wiſſen; denn er iſt ſchon längſt Der Königin Faktotum, die uns all vereint. 105 Mutter (geht, mit zunehmenden Neverenzen, auf den Hereintretenden 103). Merkur. Ich rede wahr; denn mannigfaltig find des Manns Bemühungen, ihr mißt es wohl, in manchem Fach; Doch heute ſtellt er euch bas biedre Schauſpiel dar, Das euch des bürgerlichen Lebens innern Gang Mit wahrer Form und Farbe vor die Augen bringt. 110 Ihr wiſst, wem dies die deutſche Bühne gern verðanft. Nicht ungerüſtet kommen wir zu dieſem Fach. (Wie die beiden andern vortreten, ziert er ſich ein wenig zurück.) Vater (der gravitätiſd), ohne auf die Frau zu merken, gegen das Projcenium Hervor gekommen). Was will Sie, gute Frau ? Mutter. Ad), gnäd’ger Herr! wo iſt mein Mann? Sie 238 Was wir bringen. haben mir meinen Mann entführt. Ich bitte, um aller Welt willen, ſchaffen Sie mir ihn wieder. Unter. Haben ihn die Werber weggenommen? So einc junge, hübſche Frau mag wohl einen hübſchen, rüſtigen Mann haben. Ich bedaure Ihren Verluſt! Es geht jeßt etwas heftig mit der Rekrutierung. Mutter. Adı mein Gott! was ſprechen Euer Erzellenz! mas ſprechen Sie von rüſtig, von Rekruten! Einen armen, alten, ſchwachen Ehekrüppel muß ich ſchon mehrere Jahre nur ſo hegen und pflegen. Vnter (halb vor fich). Si du vermaledeites Weib ! . Mutter. Was meinen Suer Exzellenz? Vater (mit verhaltenem Zorn). Ich meine, daß eine Frau beſſer von ihrem Mann ſprechen ſollte. Mutter. Verzeihen Euer Exzellenz, ich habe viel zu viel Reſpekt, um Ihnen eine Unwahrheit zu ſagen. Die Haus- haltung liegt ganz allein auf mir, mit dem Feldbau geht es nur fo fo. Nun hat er ſich aus lauter Müßiggang beim Pfeifchen Tabak einen neuen Hausbau ausgedacht. Ueber- haupt weiß ich gar nicht, mas ich denken ſoll. Shemals tappte er, nun, man ſollte es nicht ſagen, aber wahr iſt's, auf allen Vieren nur ſo durch die Welt hin und ſah weder rechts, noch links und gehorchte mir blindlings; nun aber hat er ſich auf einmal auf die Hinterbeine geſeßt. Vater. Ordentlich wie ein Menſch? Da thut er wohl dran. Mutter. Kleineswegs, denn gleich hauen die Männer über die Schnur, wenn man ihnen ein bißchen Luft läßt. Er hat ſich mit Herenmeiſtern eingelaſſen, die haben ihn auf und davon geführt und mich ſelbſt behert, daß ich nicht weiß, wo ich zu Hauſe bin. Der thörichte Graufopf iſt an allem ſchuld. Pater. Sie ſollte vom Alter nicht verächtlich reben! weiß Sie das? Ich bin auch alt und bin kein Krüppel, kein Tagedieb. "Mutter. Ach, ich bitte tauſendmal um Vergebung! mit Surer Exz ellenz iſt es ganz was anders. Euer Erzellenz ſtehen ſo berb auf den Füßen, anſtatt daß mein Alter immer mit gekni cten Knieen herumſchlurft. Wie ſchön grad halten Sie ſich nicht, indes mein Alter krumm und gebückt einher- geht. In Guer Exzellenz glattem Gefidt iſt keine Nunzel zu bemerken! und nun gar der Anſtand, die majeſtätiſche Perücke. Wie glüdlich iſt Ihre Frau Gemahlin, einen ſolchen Herrn zu beſitzen. 18. Auftritt. 239 . Vater. Wer weiß, wie ſie hinter ſeinem Nüden ſpridit. Mutter. Was fönnte ſie anders als Gutes. Vater. Das denkt jeder gute Ehemann und läßt ſich bei der Naſe herumführen; aber das wird uns gar zu ſchlecht gelohnt. Marthe! Marthe! das hätte ich nicht von dir gedadit. Mutter. Was höre ich! was ſeh' ich! die Erzellenz und mein Mann, iſt es einer? ſind es zwei ? Merkur (der zwiſđen ſic hineintritt, ein Gewand auf dem Arm). Er iſt es freilich! Wundern müſſen Sie ſich nicht In dieſem Wunderlande. Faſſen Sie ſich, gute Frau. Vor allen Dingen aber ziehen Sie nur das Gewand 115 Gefällig art; auch dieſes wird ein Wunder thun; Es friſchet Ihnen das Gedächtnis lebhaft an, Vergangner Lagen werden Sie gedenken gleich. Mutter. Nun laſſen Sie ſehen! (Sic ninmt das Gewand über.) · Merkur. Und haben Sie von Seelenmandrung nicht gehört? Mutter. Ach, ich weiß nicht, ob meine Seele oder mein Körper auf der Wanderſchaft iſt. Merkur. Wir eben alle ſind dergleichen wandernde, Bemeglich muntre Seelen, die gelegentlich Aus einem Körper in den andern übergehr.. Zum Beiſpiel: haben Sie Frau Wunſchel nicht gekannt? Mutter. Ja, Frau von Wunſchel mollen Sie ſagen. Ich erinnere mich derſelben noch gar ivohr. Eine liebe, liebe Frau! (Hier wird eine jahidliche Stelle aus der Rolle der Madame Wunſchel eingeſchaltet.) Merkur. Die Frau von Brumbach iſt wohl Ihnen auch nicht fremd? Mutter. Ach ja, es iſt eine Dame in ihren beſten Jahren. Sie hatte ſo ein Gänscheit von Nichte.- (Hier wird eine ſditliche Stelle aus der Rolle der Frau von Brumbad) eingeſchaltet.) Merkur. Das alles waren Sie und find es immer noch, Sobald Sie wollen, meine liebe gnädige Frau! Mutter. Nun ſpridit der Herr ganz vernünftig. Das laſf' ich mir gefallen. Perkur. Nun, edler Herr! die Hand an dieſe Dame hier! 120 125 : 240 Was wir bringen. Verſöhnung! Was man Märten Uebels zugefügt, Das Sarf die Exzellenz nicht ahnden. (Mann und Frau geben einander die Hände.) So iſt's recht! llnd nun, als Baucis und Philemon unſers Tempelbaus, 130 Genießet lange, lange 110ch des guten Glücks, Die Herrn und Frauen zii ergößen. Tretet bald, Als Oberförſter, Dberförſterin, im Glanz Der Kunſtnatur, willkommen und bewundert auf. Nun aber, dächt' id), Zeit iſt's, wir empfehlen uns. 135 Mutter. Si freilich! das verſteht ſich von ſelbſt. Wir werden nicht weggehen wie die Kaße von Taubenſchlag. Und ſomit wollen wir uns heſtens einpfohlen haben. Es ſoll uns jederzeit angenehm ſein, wenn Sie einkehren und mit uns vorlieb nehmen wollen. Vater. Ich konfirmiere mich mit meiner geſprächigen Hälfte und wünſche allerſeits wohl zu leben. (Er gibt ihr den Arm, und ſie gehen zuſammen ab.) lichen mich wertlicher Fünden, um den Super sie mit der g 19. Auftritt. Nymphe. 3 weiter senape, der ſie verfolgt. Merkur. Nymphe (flicht vor dem Knaben, der ſie mit der Maske ſcheucht; ſie eilt auf Merfur los und wirft ſidh ihm um den Hars). Nette mich, geliebter, fchöner, göttlicher Jüngling, von den ungeheuern Geſpenſt, das mich verfolgt. Du erſchienſt mir vor kurzem in menſch- licher Bildung, und gleich neigte ſich mein Herz dir zu. Ich erquicte dich mit irdiſchem Trank; nun laß mir auch deine himmliſche Gewalt zu gute kommen. Merkur. Du ſüße kleine Leidenſchaft, erhole dich! Nymphe. Ihr habt mich weggeriſſen aus der ſtillen ländlichen Wohnung, wo ich die unſchuldigſten Freuden genoß; ihr habt mich in dieſe Säle geführt, wo für mich nichts Keizendes zu finden iſt, wo mich Larven verfolgen; vor denen ich keine Rettung finde als an deinem Buſen. Merkur (indem Nymphe an ihm gelehnt bleibt, zu den Zuſchauern). Judem ſich, meine Herrn, das ſchöne Kind . Un meinen Buſen drängt, verwirr' ich mich; Vergeſſe faſt, der ich als Gott mich dargeſtellt, 19. Auftritt. 241 1.10 115 Und daß ich überdies, als Prologus, Als Kommentator dieſes erſten Spiels Vor ench in Pflichten ſtehe; doch verzeiht! Ich ſelber finde meine Lage ſehr bedenklich. Ilnd wenn das ſchöne, liebevolle Kind Nidit eilig fich erholt, daſ ich mich ſchnell Von ihr entfernen kann, ſo fürd)t' ich ſehr, Die Flügelchen an Hut und Schuh und Stab Verpfänd ich gegen einen einzigen Kuß. Indeſſen will ich mich um eurchwillen So gut als möglich faſſen, euch ſo viel Nur ſagen: daß mein gutes, holdes Kind Das Liebliche, Natürliche bedeutet, Das ſich ſo redlich ausſpricht, wie es iſt, Das ohne Rückhalt fein gedrängt Gefühl Auf Bäume, Blüten, Wälder, Bäche, Felſen, Auf alte Mauern wie auf Menſchen überträgt. 150 155 Biſt du beruhigt, liebe kleine Seele? Shr ſprecht von allen gegen dieſe Herren; Nur mich vergeßt Shr; ſagt auch, wer ich bin! . Werkur. Wohl billig komint die Reihe nun an dich; 160 105 Ich habe hier genug zu thun. Friſch und beherzt Hervor und ſprich: Der jüngſte bin ich dieſes Chors, Das maskenhafte Spicl, das ein gewandter Freund Aus Roms verfallnem Schutte, ja, was mehr, Aus altem Schulſtaub neubelebt herangeführt. Laß deine Maskc ſchen! Sieſe da! (Das Rind Hebt die komiſche Maske auf.) Dies berbe, wunderliche Kunſtgebild Zeigt, mit gewaltiger Form, das Fraßenhaftc; (Das Kind hebt die tragiſche Maste auf.) Doch dieſes läßt vom Höheren und Schönen Den allgemeinen, ernſten Abglanz ahnen. Perſönlichkeit der wohlbekannten Künſtler Iſt aufgehoben; ſchnell erſcheinet eine Schar Von fremden Männern, wie dem Dichter nur beliebt, Zu mannigfaltigem Ergößen, eurem Blick. Goethe, Werke. VIII. 170 175 10 242 Was wir bringen. 185 Daran gewöhnt euch, bitten wir, nur erſt im Scherz; Denn bald wird ſelbſt das hohe Heldenſpiel, Der alten Kunſt und Würde völlig eingedenk, Von uns Rothurn und Maske willig leihen. Sie kennen dich! Nun, Liebchen, ſei es dir genug! 180 Ein andres bleibt uns übrig, dieſes holde Kind, Das dich ſo ſchüchtern floh, dir zu verföhnen. Drum heb' ich meinen Stab, den Seelenführer, Berühre dich und ſie. Nun werdet ihr, Natürliches und Künſtliches, nicht mehr Finander widerſtreben, ſondern ſtets vereint Der Bühne Freuden mannigfaltig ſteigern. Nymphe. Wie iſt mir! welchen Schleier nahmſt du mir Von meinen Augen weg, indes mein Herz So marm als ſonſt, ja freier glüht und ſchlägt!: 190 Merkur tritt zurück.) Herbei, du Kleiner! Keinen Gegner ſeh' ich, Nur einen Freund erblick ich neben mir. Erheitre mir die sonſt beladne Bruſt, In meinen Ernſt verflechte deinen Sdjerz Und laß mich lächeln, mo die bittre Thräne floß. 195 Im Sinne ſchwebt mir eines Dichters alter Spruc), Den man mich lehrte, ohne daß ich ihn begriff, und den ich nun verſtehe, weil er mid; beglüct. Natur und Kunſt, fie ſcheinen ſich zu fliehen Und haben ſich, eh man es denkt, gefunden; 200 Der Widerrville iſt auch mir verſchwunden, . Und beide ſcheinen gleich mich anzuziehen. Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen! Und wenn wir erſt, in abgemeßnen Stunden, Mit Geiſt und Fleiß uns an die Kunſt gebunden, 205 Mag frei Natur im Herzen wieder glühen. So ift's mit aller Bildung auch beſchaffen. Vergebens werden ungebundiie Geiſter Nach der Vollendung reiner Höhe ſtreben. Wer Großes will, muſs ſich zuſammenraffen. In der Beſchränkung zeigt ſich erſt der Meiſter, Und das Gefeß nur fann uns Freiheit geben. (Nymphe mit dem Anaben ab.) 210 20. Auftritt. 243 : 2 225 20. Yuftritt. Merkur. Erfter fen abe. Erſter Knabe (eilig heranlaufend). Beſchübe mich! Dort hinten folgt mir jene! Sie will mich haſchen, und ich leid' es nicht. Merkur. Gelegen wirfſt dui, allerliebſtes Wunderkind, Mir in die Hände deine Wechſelfarbigkeit. Den Augenblick benuß ich, euch zu ſagen: Daß wir, die Phantaſie euch darzuſtellen, Ein ſchedig Knäblein mit Bedacht gewählt. Dies Zwerglein, wenn es ingebunden ſchwärmt, 220 Macht Glück und Unglück, mie. Dem Augenblick beliebt. . Bald wird's euch düſter' das Vergangne malen, Mit trübem Firnis gegenwärt'ge Freuden Und mit der Sorge grauem Spinnenflor Der Hoffnung reizendes Gebild umnebeln. Bald wieder, wenn ihr, in die tiefſte Not Verſunken, ſchon verzweifelt, euch behend Der ſchönſten Morgenröte Purpurſaum Um das gebeugte Haupt, erquicend, winden. Doch iſt er auch zu bänd'gen. Ja, er bändigt Sogar ſich ſelbſt, ſobald ich ihm den Stab Vertrauend überliefre, der die Seelen führt. Sogleich iſt er geregelt, und ein roher Stoff, Zu neuer Schöpfung, bildet ſich zuſammen. Wie von Apollos Leier aufgefordert, Bewegt, z11 Mauern, das Geſtein ſich her, Und wie zu Drpheus' Zaubertönen eilt Ein Wald heran und bildet ſich zum Tempel. Uns alle führt er an, wir folgen ihm, Und unſre Keihen ſchlingt er mannigfach. 240 Beſonders aber ſtrebt ihm jene Schöne dort Auf des Geſanges raſchem Fittich nach. Wär" er zu halten, dieſe hielt ihn feſt; Doch wollt' er bleiben, ſie entließ ihn gleich. 230 235 235 244 Was wir bringen. 21: Auftritt, Die Vorigen. Phone. Phone. Ich ſeh', du haſt ihn! alſo liefre inir ihn aus. 245 Merkur. Zuerſt erlaube, daß ich dich erkläre! Phone. Ein Mädchen zu erklären, wäre Kunſt. Merkur (zu den Zuſchauern). Der Oper Zauberfreuden ſtellt ſie vor. Phone. Was ſtell' ich vor? Merkur. Die Dper, den Geſang! Phone. Vorſtellen läßt ſich der Geſang nicht, aber leiſten. 250 Merkur. Nur friſch, zur allgeineinen Freude, immer zu! Phone. . (Sie ſingt eine große Arie, nach deren Schluß ſie ſich gegen den Grund wendet.) Merkur. Zum Schluſſe, merk ich, neigt ſich unſer buntes Spiel. (Zuin erſten Sinaben, der ſich indeſien, als Phone ſingt, im Hintergrunde auf- gehalten hat und, wie ſie nach dem Hintergrunde geht, ſogleich wieder zu Merkur hervoreilt.) Hier haſt du meinen Stab, nun geh, mein Kind, Únd führe mir die Seelen alle her. (Das Rind geht ab.) 230 255 255 22. Auftritt. Merkur. Pathos. Merkur. Sie kommt in ſtillem Ernſte, die uns heut Das Tragiſche bedeutet; hört ſie an! Was fie zu ſagen hat, verkünde ſie allein. (Er entfernt fids.) Pathos Sie ſind gethan, die ungeheuren Thaten, Kein heißer Winſch ruft ſie zurück, - Kein Wählen gilt, es frommt kein Raten, Zerſtoben iſt auf ewig alles Glück. 260 260 22. U. leßter Auftritt 245 265 Von Königen ergießt auf ihre Staaten Sich weit und breit ein tödliches Geſchick. Welch eine Horde muß ich vor mir ſehen? Das Schreckliche geſchieht und wird geſchehen! 265 Der Nächſte ſtößt den Nächſten tückiſch nieder, Und füdiſch wird zuletzt auch er beſiegt; Denn, wie ein Schmied im Feuer Glied an Glieder Zur ehrnien, ungeheuren Kette fügt, Šo ſchlingt in Greuel ſich ein Greuel wieder, 270 Durch Laſter wird die Laſterthat gerügt: In Todesnebel, Höllenqualm und Grauſen Scheint die Verzweiflung nur allein zu Hauſen. Doch fenft ſich ſpät ein heiliges Verſchonert In der Beflcrinung allzudichte Nacht, Ám holden Blick in höhre Regionen Fühlt nun ſich jedes edle Herz erwacht, Dort drängt's euch hin, dort hoffet ihr zu wohnen, Auf einmal wird cin Himmel end gebracht; Voin Neinen läßt das Schidſal ſich verſöhnen, 280 Und alles löſt ſich auf in Guten und in Schönen. 275 Lekter Auftritt. UII c. Sie reihen ſich in folgender Ordnung: Marthe. Nymphe. 3 weiter Anabe. Bathos. Erfter St 11abe. P1011c. Märten. Merkur (der vorwärts an die linke Seite tritt). Und wenn ſie nun zuſainien ſich geſellert, Nach der Verwandtſchaft endlich angereiht, So merkt ſie wohl, damit in fünftigen Fällen Ihr fie erkennet, wenn von Zeit zu Zeit 285 Sie einzeln ſich euch vor die Augen ſtellen, Wenn jedes einzeln' ſeine Gabe beut. Zu unſrer Pflicht könnt ihr uns liebreich zwingen, Wenn ihr genehmigt, was wir bringen. Prolog Dei Wiederholung des Borſpiele in Weimar. Den 25. September 1902. (Siehe Band IV, S. 254.) 246 Was wir bringen. Was wir bringen. Fortſckung. den 17. Juni 1814, von Goethe und Riemer. Wald. Tempel. Porn zwei alte Baumſtämme. 1. Uuftritt. Merkur. Das, was vor Jahren ipir in Lauchſtedt brachten, 290 Das iſt von euch noch manchem wohlbekannt, Und damals galt's, ein eng veraltet Haus Mit einem neuen freiern zu vertauſchen. Da ward es jedem wohr, wenn aus der Klemme Er in die breite, beßre Wohnung trat Und mit Bequemlichkeit und heiterm Sinn Die Bilder ſchaute, wie ſie gaukelten. Heut aber ſehen wir kein neues Haus; 295 300 300 305 305 Uns öfter ſchon zu eurer Luſt empfing; Doch find' ich es verändert, weiß nicht, wie ? Es kommt mir vor, als ob die ſämtlichen Die Ellenbogen freier zu bewegen Im Falle wären, ohne grad' einander Unfreundlich anzuſtoßen. Alle ſcheinen mir Bequemlicher zu fißen, ob die Bänke gleich Nicht friſch gepolſtert ſind. Was iſt denn das? – Ich frage, wie ihr ſeht, und weiß genau Schon, was ich frage; brum antwortet nicht! Denn wir verſtehn uns ſchon und wollen uns Wie ſonſt vergnüglich unterhalten; iſt ja doch Gerechte Zeit für diesmal uns gegeben. Nun, auf beſagtes Damals noch einmal Zurück zu kommen, ſind euch wohl die beiden Geſtalten noch zumeiſt erinnerlich, Die ihrer Zeit als komiſch treues Pärchen 310 315 1. Auftritt. 247 320 325 330 335 Euch in ſo mancher Formenwandelung Durch ihrer Laune guten Fluß ergökten. Sie ſind der Welt bekannt, und ihre Namen Nennt ſchon der alten Dichter frommer Mund; Doch darf, ja muß ich ſie wohl auch euch nennen, Wie ich fie Damals eúdi ſchon vorgeſtellt. Philemon heißt der Mann und Baucis ſie. So weit iſt alles gut! Doch nun vernehmt, Was mit den guten Alten ſich begeben. Es hat der Götter Schluß und gnäd’ger Wille Das treuverdiente Paar im Fach der Alten, So zur Belohnung ihrer würdigen Thaten Als auch der Welt zum Muſter und Erempel, In zwei Standbildern rühmlichſt aufgeſtellt ůnd, weil beſonders ſie als Dherförſter Und Oberförſterin wohlgefällig ſich gezeigt, Ganz in der Draperie von ſchönen Bäumen, Zur Zier des Tempels, dem ſie würdig dienten. - Da ſtehn ſie nun in grünen Uniformen, Aufs munterſte mit Epheu Dekoriert, Und ruhn gemächlich ſo in ihren Fächern Noch als die treuen, immergrünen Alten. - Heut aber iſt es Zeit, die rechte Zeit, Ins Leben ſie, zuin Leben zu erwecken, Damit ſie Anteil auch zum zweitenmale An allein nehmen, was der Tag uns bringt, Und bei des Friedens allgemeiner Feier · Die Alten jugendlich ſich wieder freun. Sie geben ſich vor ſo viel werten Gäſten Wohl ganz wie ſonſt aufs heiterſte zum beſten. Wir wollen fehn, ob ihr Humor erhalten: – Ich gehe jeßt und wecke erſt den Alten. Doch wie? - was iſt inir? mie befangen Xuf einmal ſind mir Hand und Herz ! 350 Es ſtodt in meinem Buſen das Verlangen, Und mich verläßt gewohnter Scherz. (Ernſte Mujit, mehr feierlich ale traurig, tann Nadjſtehendes melodramatiſch begleiten.) Denn Geiſterſtimmen, wie aus tiefen Klüften, Vernehm' ich nah und näher in den Lüften, 340 345 248 - Was wir bringen. 355 Verhängnisvolle Wundertöne,' Die mir der Parzen nahe Ankunft deuten. -- Ihr miißt auf eine andre Szene, Auf Ernſt und Feier cuch bereiten: Nicht günſtig iſt die Zeit den Scherzen ; Der Himmel ſelbſt ſcheint ſich zu ſchwärzen. – Doch fürchtet nicht! Die Seelen ſanft berühren Iſt mir die viel willkoinmenere Pflicht, Áls ſie den Schatten zuzuführen; Drum ſchaut getroſt: es bleibe Licht! 360 365 2. Uuftritt. Merkur. - Der Parzen jüngſte ſeht ihr kommen, Die aller Lebensfaden ſpinnt; Ernſt iſt ſie zwar, in ſich genommen, Doch allen Menſchen hord geſinnt; Und wie ich mag aus ihren Blicken leſen, Sift heitrer diesmal ihr gefällig Weſent; Gewiß, ein großes Werf iſt ihr gelungen, Worin der Welt ein Heil und euch entſprungen. (Klotho läßt ſich auf dem Feljen ſehen.) 370 375 3. Auftritt. Klotho (langfam Yeruntergekommen). Ein würdig Daſein ward von mir geſponnen, Das, vollgedrängt, die goldne Spindel trägt; Von guter Miſchung hab' ich, 'wohlbeſonnent, Gehalt und Kraft des Fadens angelegt; Zuin Heil der Menſchen warb das Werk begonnen, (zu Merfur) Zu ihrem Heil in deine Hand gelegt; Du wirſt es dann der Schweſter übergeben: · Sie weif' es aus zum wirkungsreichen Leben. Merkur. Sin treffliches Geſpinſt, muß ich bekennen: Der Faden tüchtig und durchaus ſich gleich, Voll echten Werts, an Wundergaben reich, 380 3. Auftritt. 355 390 395 Wie ihren Lieblingen die Götter gönnen; Des Sängers Mund: bis. Sehers hohe Kraft, Des Arztes Kunſt uv tiefe Wiſſenſchaft. .- Klotho (ges die Zuſchauer gewendet). Únd dieſes Leben ist ihr billig kennen, Das Land wohl keinen, dem es angehört, ,,Das immerdar in ſeiner Fluren Mitte, Den deutſchen Biederſinn, die eigne Sitte, Der edlen Freiheit längſten Sproß genährt," Das meerentrungne Land, voll Gärten, Wieſen, Den reichen Wohnſik jener tapfern Frieſen. (Klotho ab. Ladjejia kommt, ein Kind trägt die Weife.) Herkur (reidht ihr nur den Faden hin und behält die Spindel). So übergeb ich denn mit günſtiger Zunge Dies teure Pfand den treuen Pflegehänden; Du legſt es an, daß in der Zeiten Schwunge So edle Kräfte ſich zum Zweck vollenden. Latheſis (fängt an zu weifen; etwas ſchnell, ſo daß der Faden einigemal herumgeht). Merkur. Gemach! gemach! Nicht mit ſo raſchem Sprunge Geziemt ſolch Lebens hohen Wert vergeuden; Bedenke, daſ in jedem Nadesidiwunge 400 Dem Sterblichen ſich Jahre vorbedeuten! Ladjeſis. Raſch ſchlägt der Puls des jugendlichen Lebens, Raſch ſchießt der Pflanze Trieb zum ſchlanken Kiel; Die Jugend freut ſich nur des Vorwärtsſtrebens, Verſucht ſich weit umher, verſucht ſich viel. Der Kräfte' Spielen iſt drum nicht vergebens, So kennt ſie bald fich Umfang, Maß und Ziel: : Der Moſt, der gärend ſich von Schaum geläutert, Er wird zum Tranf, der Geiſt und Sinn erheitert. So vorgeübt an Geiſt- und Willenskräften, 410 Zum Wiſſen wie zur Thätigkeit gereift, Führt ihn Beruf zu ſtetigen Geſchäften, Die er mit Luſt zu ſicherm Zweck ergreift, Weil That und Wiſſen ſich zuſammenheften, Sich eins am andern nährend ſtüßt und ſteift; Und ſo pon inn- und außen gleich berufen, Erſteigt er hier des Lehramts hohe Stufen. 405 415 250 Was wir bringen. 425 430 435 Nun öffnet ihm Natur ben reichen Tempel, Er darf vertraut, ihr Priter, barin walten; Nun offenbart er ſie durch e, durch Exempel, 420 Ihr Wollen ſelbſt muß fich That geſtalten;. Entziffernd leicht den vielverſa ungnen Stempel, Muß fich für ihn ein einfach Wort entfalten, Da Erdentiefen und des Himmels Sphären Nur ein Geſek der Menſchenbruſt bewähren. Den alten Ruhm, den vorverdiente Geiſter Für dieſe Stadt durch Werk und Wort begründet Šr ſeht ihn fort, als weit geprieſner Meiſter, Der Tauſende von Lernenden entzündet; Ein folch Verdienſt als Lehrer und als Reiſter, Es bleibt dem Thron nicht länger unverkündet; Der ruft das heilſam immer neue Wirferi zu höhrem Glanz nach weiteren Bezirken. (Atropoa erſdjeint in der Thür des Tempels, nähert ſich langſam bei folgenden Derſon.) Und ſeinem Herzen wird der reine Segen, Von jenen Banden, jener Spannung frei, Die fremde Macht und Sakung um ihn Legen Mit ſchwerem Dämonsdruck der Tyrannei, Sich wieder ſelbſt, nach deutſcher Art, zu regen, Nur ſeinem Gott, Geſek und König treu: „Im Schuß, den ihn des Adlers flügel ſpenden, 440 Wo er begonnen, will er treulich enden.“ Atropos (bei vorſtehenden Worten ganz herangetreten, verſuđit den Faden abzuſchneiden) Merkur und Ladjeſis (die erſten Worte zugleid), dann Ladjeſie). Halt ein! Halt, unerbittlich Strenge, Wenn je Erbarmen Deine Bruſt belebt: Dies Leben iſt kein Leben aus der Menge, Das kein Verdienſt und kein Talent erhebt - Berkur. Wie es in ewig wechſelndem Gedränge Ein Tag gebiert, ein anderer begräbt; Gewohnt, wie die Natur, zu ſchaffen,' heilen, Sollt er auch nie das los der Menge teilen. Indeſis. Und eben jetzt, da faum der Fried' entblühte, Der ihm des Wirkens wohlverdiente Frucht 450 3. Auftritt. . .251 455 465 Nach Tages Glut am milden Abend biete, Da ich des Lenzes ſchnell verrauſchte Flucht Ihm durch des Herbſtes Dauer reich vergüte Durch edle Früchte ſeiner eignen Zucht – Atropos (einfallend). Unividerruflich ſteht des Schickſals Schluß, Unfrei vollführ' ich nur ein ſtrenges Muß. Merkur. Rührt sich zum Zaubern, zum Verſchieben Nicht dieſer Zeiten drängender Moment? Ladeſis. Nicht Schmerzen ſeiner Teuren, ſeiner Lieben, Und wer ihn Vater, Freund und Retter nennt ? . Atropos. Inthätig bin ich ſchon zu lang geblieben, zu viel ſchon hab ich leider ihm vergönnt; Verwegner greift er nur in meine Rechte Und trutzt ſogar des Schickſals ew'ge Mächte. Merkur. Wär triftig dieſer Grund, ihn hätt' ich auch); Denn iſt nicht meines Amts verjährter Braud), . Daß ich die Schatten, die du ſchaffſt, geleite ? Der Raub an dir iſt's auch an meiner Seite. Doch konnte dies mich nie zum Neide rühren, 470 Nie widerſtand id, ſeinem Kunſtbemühn: Und ſelbſt die Gabe, die nur mir verliehn, Die Seelen ſanft und ſchmeichelnd zu berühren, Ich ſeh' ihn gern ſie Flüglich ſo verwalten, üm Seel und Leib im Einklang zu erhalten. Atropos. Genug! Sie grauſe Zeit fennt kein Verſchonen, Und Štrenge herrſcht in Hütten wie auf Thronen. Und dann, wo mir gerechte Ernten reifen,' In offner Feldſchlacht, in bedrängten . Feſteit, Wenn Heereszüge durch die Länder ſtreifen 480 Und von der wohlempfangnen rauhen Gäſten Die Seuchen ſtill 'durch Stadt und Dörfer ſchleichen, .. Ihr wirtlich Dach mit gift'gem Hauch verpeſten: Da tritt er ein, zu helfen und zu wehren Die Opfer, die mit Recht mir angehören. 485 475 252 Was mir bringen. Ladjeſis. Schon ſind der Opfer dir zu viel gefallen; Das Teuerſte, ſie haben’s hingegeben. Laß es genug ſein und vor allen Den Lebenswürdigſten, o laß ihn leben! (Plötzlich Nad)t.) Atropos (den Faden im Moment abſ(neidend; im Tempcl erſcheint des Verewigten Naments - zug in einem Sternenkranze). Er lebt! lebt ewig in der Welt Gedächtnis, Das von Geſchlecht ſich zu Geſchlechtern reiht; Sein Name wirkt, ein heiliges Vermächtnis, .. In ſeinen Füngern fort und fort erneut: ũnd ſo in edler Nachfolg und Gedächtnis Gelangt die Tugend zur Unſterblichkeit. Zit gleichen Preiſe fieht ſich aufgefodert, Wem gleicher Trieb im edlen Buſen lodert! (Ein Waldvorhang fällt vor den Tempel nieder. És wird Tag.) 490 495 500 505 4. Auftritt. Merkur. Hat dieſer Auftritt euch im Innerften Gerührt, bewegt, noch mehr, erſchüttert, So wendet von dem lichten Trofteszeichen Zurück ins Leben euren feuchten Blick, Zu jenes Mannes freundlicher Umgebung, Die er, ihm ſelbſt geſchaffen, euch verläßt, Um ſo, durch ſeiner Nähe ſtillverborgnes Fortwirken, Durch des Lebens Unblick felbſt, Žum Leben immer kräftiger euch zu ſtärfen. Denn grünet nicht mit jedes Lenzes Prangen Sein Schaffen fort und inimer höher, reicher ? Die Bäume, die er pflanzte, bieten ſtets Mit immer wachſenden und breitern Reſten 510 Dem Freund, dein Fremdling gern ihr wirtlich Dad) - Ich höre ſchon von fern die Schmeicheltöne, Die euch in ihre grüne Wölbung laden: . Es iſt die wohlbekannte der Najaden; Erwartet euch nun eine heitre Szene! 515 Sie kommt! fie kommt! Doch ich muß fort mich ſchleichen; Denn merkt ſie mich, ſo möchte ſie entweichen. 5. Auftritt. 253 ; 520 520 525 530 5. Auftritt. Neils Garten. (Die Melodie: In meinein Sdlößen iſt's gar fein, von Blasinſtrumenten hinter dein Tycater.) Numphe der Hanle. Ich ſteh wohl auf gar inorgens fruh, Wenn ihr noch liegt in guter Nuh, 11nd ſchau' im erſten Sonnenſcheint Gleich in den ſchönen Garten hinein. Da glänzt das Haus in muntrer Tracht, Die einen friſch ins Auge lacht, . und ſpridit gar freundlich jedermann, Doch bei ihm zu verweilen, an. 525 Ein braver Mann das, der's gebaut: Dem's auch vor feiner Mühe graut: Den ſteilen Fels hat er bepflanzt, Daß ihr im Grünen ſchmauſt und tanzt. Das alles hat der Mann gethan, Und mehr noch, als ich ſagen fann; Nun ruht er fort, ſo fruh als fpat, - Schad' um den Mann, ja emig ſchad?! Wo die Cypreſſe ſchwank fich regt, Ins Kühle hat er ſich gelegt; Ein' Inſchrift hat er ihn geſtellt, Sie lautet To — wenn's euch gefällt — : „Verlaſſen muß ich dieſe Hallen, Das treue Weib, die Kinderſchar; Mir folgt von dieſen Bäumen aſen Nur einzig die Cypreſſ' im Haar.“ Da beſuch' ich ihn öfter dann zu Haus lind bring' ihm manchen friſchen Strauß Und ſchwäbi ihn auch von nah und fern, Wie's draußen zugeht - er hört es gern. Vor allem erzähl ich mit fertiger Zungen, Wie meine Deutſchen den Sieg errungen, Und daß ſich alles ſo (chickt und macht, Wie er’s gervünſcht, und wie er's gedacht. Da gewinnt er auf einmal einen rechten Glanz - 550 Wißt ihr, wie er mir vorkommt? - Ganz Wie Merlin, der alte, in leuchtender Gruft, Und es umwallt ihn ein himmliſcher Duft. - 535 540 545 254 Was wir bringen. 555 560 In ſeinem Gröttchen iſt's gar fein, Es flimmt und flammt wie Sternenſchein; Soll idy's euch recht beſchreiben, faſt Wie der Sternfönigin Palaſt. Wie er denn da von euch auch ſpricht! Und von dem Bade, das er eingericht't, Und wie er's ferner denft zu halten. Und was in dem Salze für Kräfte walten - fönnt' ich nur alles ſo recht behalten! - Mit dein Salz hab ich inich nicht viel abgegeben, Das ſüße Waſſer, das iſt inein Leben! Meine Schweſtern, die Duellen, die könnten es ſagen, 565 Aber ſie mögen ſich nicht mit mir behagen. Weil ich ſo gewohnt, zu wandern, Heute hier und inorgen fort, Meiner fie, ich wär" von Flandern, Schicken gleich mich wieder fort. 570 Da bin ich denn auch bald hier, bald dort, Bald auf dieſer, bald auf jener Seite, Bald neck' ich hier, bald da die Leute, Und mit Hihi, Haha, Hoho Verführ ich ein beſtändiges Hallo. Nur eins, das fällt mir grade bei; Er hat mir's vielmals aufgetragen, Ich möcht's gelegentlich euch ſagen Und ſeinen beſten Gruß dabei: „Beim Baden ſei die erſte Pflicht, 580 Daß man ſich nicht den Kopf zerbricht Und daß man höchſtens nur ſtudiere, Wie man das luſtigſte Leben führe." Da bin ich gleich auch von der Partie, Und das vergeßt ihr mir denn auch nie! nie! nie! 585 Wie iſt mir denn? Seh' ich recht oder wie ? Hihi, Haha, hahaha, hihihi. Da gibt's was zu ſehn, zu lachen; Etwas, das euch Spaß wird machen; Seht, da foinmt was angefahren : 590, Auf einem Wagen oder Karren; Die fann nach dem ganzen Schein Nur vom Schweſternchore ſein. 575 6. Auftritt. . 255 595 600 Bei meiner Treu! bei meiner Sechſe! Die iſt juſt fo von meinem Gewächſe, Eine Nice wie ich – wohl gar eine Here! - Hexenniye? Nixenheye? — Nichts von Nire! Sie zeigt ſich auf großem Schaugerüſte; Das thut keine Nige, daß ich wüßte. In Gras und Rohr zu lauſchen, Ins Waſſer hinzurauſchen Bis über Kopf und Bruſt, Dann auf und nieder gaukeln, Sich mit den Wellen ſchaukeln -- Das iſt die Nigenluft. Ja, eine Here iſt es fürwahr! Sie hat gar einen weiten Talar Und hinter ihr eine große Dienerſchar. Nein, por ſo piel chönen Herren und Frauen. Laff ich mich nicht im Negligé beſchauen; Ich will mich fachtchen in mein Bettd; en ſtehlen, Únd bis auf Wieberſehn - mich euch empfehlen! Ade! - Ade! - Ade! - 605 bullt. 610 6. Auftritt. Ein beliebiger ländlider Vorhang fällt vor Neils Garten nieder. Die Schau- ſpielkunſt auf Saraſtros Wagen, mit zwei Kindern, das eine als Kunſt, das andere als Natur koſtüniert, d. 1. jenes prächtig und anſchnlid), dieſes ganz einfad). Sklaven gchen dein Wagen vorher, Mohren folgen, vielleicht einige von den weißgekleideten mer, und was inait ſonſt für ichidlich und artig findet. Meni der Wagen auf der Mitte der Bühne vorüberzichend ſteht, ſo ſpricht die Schauſpielkunft. Hier haltet an! Ich ſehe nah und näher 615 Die Turmgebäude vielgeliebter Stadt. (Sie ſteigt aus; die Kinder bleiben, Hübſch gruppiert, im Wagen.) Ich grüße fie, bevor ich ſie betrete, Ünd huldige der herrſchenden Gewalt, Dem alten Recht an ſeinem deutſchen Plak. Wir danken denen, die auch uns zuſamt 620 Mit Kennerblick, mit Freundeshult begegnet Und unſrer Kunſt ſo gleichen Wert als Würde Mit andern Muſenſchweſtern zugeſtehn. . Ich ſpreches aus, ich ſpreches ungeheuchelt: Zufrieden fühl ich – fühle mich geſchmeichelt. leben kuling, aus, eftern zudent and thens *625 256 Was wir bringen. 635 640 Wie war es ſonſt für mich entehrend, Wenn jedermann die Duldung pries Und mid als thörig urid bethörend Hinaus, ach! vor die Sdwelle wies. Und freilich zogen die Kamönen So ſtattlich damals nidt einher; Doch war zu Zeiten der Hellenen Des Theſpis Karren auch nicht inehr. Nun aber andre Zeiten, andre Sitten! Wir ſehen uns nicht nur gelitten, Sogar wir ſehn uns hodigeehrt: Das iſt es, was den Eifer nelet. Wir haben unſer Mögliches gethan Und kommen feſtlicher einhergeſchritten, Üns der Verſammlung würdiger zu nahn. Zuvörderſt hat Saraſtro höchſt großmütig Den Löwenzug, den er nur felbft regiert, lind obendrein, wie er gewohnt, großgütig Den goldnen Wagen beſtens offeriert Und von der Dienerſchaft, der großen, reichen, 645 Sein ganzes Mohrenvolk und ihresgleichen. Doch möchte ſich der Prunk zu viel vermeſſen, Wofern er nicht Gehalt im Sdilde führt. Drum hab' ich zwei Begleiter nicht vergeſſen, Sie ſind antik als Genién koſtümiert; Denn, was man ſo Genie kurzweg genannt, Nicht immer iſt's, wenn man es braucht, zur Hand, . Auch wohl, wie das ſo geht, nicht grad im Gange; Die beiden aber, froh und klug gewandt, In ihrer Mitte wird mir gar nicht bange. (Indeſſen ſind die Kinder aus dein Wagen geſtiegen und ſtehen ihr zur Seite, dic Sunſt redits und die Natur linfa; ſie legt der erſten die Sand auf die Sdjulter.) Denn ſtockt einmal der ernſten Kunſt Getriebe, (ſie legt der andern die Hand auf die Sdjulter) Dann winkt Natur mit ihrem eignen Triebe. Nun hoffen wir, da ſich vor allen Dingen Der Himmel frei und wolfenlos erheitert, Sich Geiſt und Bruft und Sinn und Herz erweitert, 660 Nur um ſo beſſer werd' es uns gelingen, Euch durch den Reichtum unſrer Kunſtgeſtalten Noch manchen Abend froh zu unterhalten. (Nacht.) 645 650 655 7. u. 8. Auftritt. 257 .. 605 7. Auftritt. Merkur (der indeſſen einigemal hercingeſchen, ob ſie noch nicht fort find). Nicht zum Entſetzen, nur zur Luft Soll diesmal fich der Tag verdunfeln; Nun möge jedes Auge funfeln: Und froh ſich fühlen jede Bruſt! Entfeſſelt die gebundnen Triebe! Bekannte Töne hör id fern; Ihr wißt, id) biit der Gott der Diebe, Doch heut entſag' ich euch zuliebe Dem ſchlauen Weſen herzlich gern. Ich will mich nicht vom Schauplatz ſtehlen; Sur lobt mich wohl! -- Ich führe lauten Klanges Die Oper Her; mit Fülle des Geſanges- Hofft ſich auch die euch zu empfehlen. 670 675 8. Auftritt. (Der hintere Borhang crhebt ſich. Das bekannte illuminierte Schiff des Baſſa Selim ſteht djon. Der Chor, anſtatt jidi gcgen das Schiff zu werdeii, tritt vor ins Projcenium.) Singt dem großen Tage Lieder! Töne feuriger, Geſarig ! Saale, bring der Elbe wieder Frei entbundnen Jubelflang! OSO Laßt ſie ſich regen, friſche Geſänge, Segnen die fühle, die friedliche Flut; Nie ſo in Einigkeit tönte der Menge Sräftiger Sang und ſo herzliche Glut. (Judeſſen iſt der Baſja und çîonſtanze ausgeſticgen, ajjiſtiert von Blonden und Pedrillo. Belmonte und Demin ſind auch zugegen. Der Chor yat fid) geteilt; obige Berjonen treten vor.) Belmonte. So half der Himmel uns, den Kühnen, Aus einer ſchnöden Sklaverei; Nun aber ſind wir froh und frei; Nun wollen wir es auch verdienen. Chor. : Wen ſolches Glück ſich aufgethan, Der fängt ein neues Leben an. Konfianze. Genuß der Liebe, Glück der Treue, Die freie Gabe ſind ſie nun; Goethe, Werte. VIII. 685 690 258 Was wir bringen. 095 700 705 Das iſt das Walten, iſt das Thun, Daß nun ſich auch ein jeder freue ! Chor. Wem ſolches Glück fich aufgethan, Der fängt ein neues Leben an. Bun. Der Baſſa ſelbſt gewinnet Stimine, Eröffnet hoch die tiefe Bruſt: Er ruft euch an zu Glück und Luft, Und nie ergrimmt er mehr im Grimnie. Chor. Wem ſolches Glück ſich aufgethan, Der fängt ein neues Leben an. · Pedrillo. * Der Jugend aber iſt vor allen Willkommen dieſer frohe Tag; Deswegen ich auch lieber mag Den hübſchen Mädchen heut gefallen. Chor. Wem ſolches Glück ſich aufgethan, Der fängt ein neues Leben an. Blonde. So darf auch Blonde wohl ſich freuen, Das Mädchen frei in friſcher Welt; Und wenn ſie manchem wohlgefällt, So wird Pedrillo bas verzeihen. Osmin. Nicht weiß Osinin, wie ihm geſchiehet: Er fühlt ſich fröhlich, fühlt ſich gut, Gefühlet iſt das wilde Blut, Da ihm wie euch das Leben blühet. Er ſieht ſich ganz verwandelt an: Erſt gejauchzt, dann geſungen, Dann getanzt und dann geſprungen, Dann geſchmauſt, dann getrunken, Immer mehr, zuletzt geſunken! Silluſzdor. Lebe, frommer König, Tebe! Selbſtgefühl bei allem Ruhm Sei dein ewig Eigentum, Himmelslohn und Erdenruhm! 710 715 720 725 Ginzelne Szenen zu fefflichen Gelegenheiten. ori Bei Rückkehr Shro K. Hoheit des Großherzogs von Wien. (Den 13. Juni 1815.) Jinaſe zu Johann von Paris. Iſabella. Warum vor mir die Kniee beugen? Und wenn ich ſelbſt Navarras Fürſtin wäre, Nur iht, nur ihm gebühret Preis und Ehre, Erhebt euch, ſie ihm zu bezeigen! Johann (aufſtehend). Wie gern entäußr' ich mich des Fürſtenſtandes, 5 Worin ich mir zium, Scherze wohlgefiel. Die ernſte Nührung folgt dem Spiel: Begrüßt den Vater dieſes Landes ! Ijabella und Johann. . Iſabella. - Ja, wir flehten, wenn Gefahren Du dich kräftig ausgeſekt: Wirk' er unter ſeinen Scharen Hochverehrt und unverletzt! Johann. Wenn das Meer dich trug und trennte, Dringend auch die Andacht war; Denn der Stampf der Elemente Bringt den Edelſten Gefahr. Iſabella und Johani. Mitten in dem Weltgewirre Blieben wir in deinein Rat; Klugheit ſelbſt wird ſchwankend irre, Zeigt die Liebe nicht den Pfad. 10 15 20 260 Einzelne Szenen zu feſtlichen Gelegenheiten. 35 Wirſt du uns den Wahn erlauben, Wenn die Menge dich umſteht? Laß uns, Bater, dieſen Glauben, Ja, wir haben das erfleht. Chor. und ſo mögen Millionen Ilus beneiden: Wir umwohnen Dei Gelobteit, Den Erprobten!! Teil' er fröhlich dieſe Feſte Seiner Kinder, ſeiner Gäſte ! Beneſchall. Zum Gaſtmahl des Herrn Johanı da Wir ungern uns geſchickt; Nun aber iſt der rechte Mann da, Der ſchützt und nährt und beglückt. Der Seneſchall vor allen Stellt ſich dem Fürſten bar; Und hinter den Masfen allen Verehrung treuer Schar. Chor. Ilnd aus den Herzen allen Verehrung treuer Schar. Pedrigo. Und da, wo die Herzen weit ſind, Da iſt das Haus nicht zu eng. Lorezza. lind da, wo die Wege breit ſind, . Geht jeder die Quer und die Läng'. Beide. Und ſo nach dieſem Feſte Der Weg, der iſt munter und weit; Und wir, für alle Gäſte, Sind thätig und bereit. Chor. Frei kommen alle Gäſte, Wir thätig und bereit. Olivier. Ihm zu Ehren, ihn zu dienen, Laßt den Pagen auch herein. 50 Einzelne Szenen zu feſtlichen Gelegenheiten. 261 Lorezza und Pedrigo. Seht mir nur den tollen, fühnen, Er will wieder der erſte ſein. Olivier. Laßt mich nur, ben muntern, fühnen, Sollt ich auch der letzte ſeint. Als ich mich in Singen übte, Fand.ich hier und fand ich Sort Gott und König und Gelichte Ueberall das Loſungswort. It lor. Gott und König und Geliebte Sei aud) unſer Loſungswort! Prinzeſſin. - Doch wer hat für Gott geſtritten, Für der Secle höchſtes Heil, Äls mit allen, die gelitten, linſer Herr an ſeinem Teil ? Clor. Herrlich kommt er angeſchritten, Ünfrer Seele ſclig Heil. Johan. 11110 wo war denn je bent Thronen Solch ein großer Kampf geweiht, Wo die Sdar Scr Millionen Kaiſern förderte den Streit? Chor. Nah und ferne, wic ſie wohnen, Alle ſtürzten zii dem Streit. Seneſilall. Nun bemerk' ich unterthänig – Denn zu ſehr betrifft es mich: Ehmals ſtritt man für den König; Nun, fie ſtritten ſelbſt für ſich. Chur. Streite jeder für den König, Und ſo ſtreitet er für ſich. Olivier. Und vergebt mir, liebe Frauert, Gerne ſteht ihr nicht zurück; Sie, die herrlichſte, zii ſchauen – Freiheit! – Sie macht unſer Glück. SO . 85 262 Sinzelne Szenen zu feſtlichen Gelegenheiten. Clor. Sie, die göttliciſte, zu ſchauen, -- Freiheit! – Sie macht unſer Glück. Pedrigo und Lorezza. llud ſo iſt denn unſerm Leben lind Deni unterſten im Land Gott und König wiedergeben, Als der Freiheit ſchönſtes Pfand. Chor. Gotte, der uns gnädig erhört, Preis in Ewigkeit! Dem Fürſten, der ſich und uns erhöht, Heil zur längſten Lebenszeit! Beide verehrt in allen Länden! Freiheit iſt auf ewig erſtanden. 95 1 Soluß von Palaeophrou und Neoterpe. Aufgeführt zum Geburtstag der Prinzeſſin Marie. (Den 3. Februar 1819.) : Palneophrou. Begrüßet ſie, die holde Zierde, Für die ſich dieſes Feſt verklärt! Neoterpe. Und überlaßt euch der Begierde, Sie zu verehren, mie's gehört ! Sie kommt, die neue Zeit zu fchinücken. Palneophron. Zur Luft der alten fonunt ſie ani. . Beide. lind beide rufen init Entzücken Das ſchönſte Glück auf ihre Bahn! Neoterpe. Umſchlinget euch init frohen Kränzen, Palaeophrou. Doch eure Freude ſchränket ein! Neoterpe. zu würd’gen Feſt, lebend'gen Tänzen Palneophroit. Sind Sieſe Räume viel zu klein. (Wiederholt von Grile 5 bis 6.) . . 10 LLL Einzelne Szenen zu feſtlichen Gelegenheiten. 263 - 10 Zu Wallenſteins Lager. uis die Weimariſchen Freiwilligen ausmarſchierten. Erſter Hotkiider jäger. 3 weiter Holkiſcher Jäger. Fremder Sänger. Erfier Jäger. Da kommt 110ch einer überquer; . Der iſt gewiß aus Stalien her. Zwriter Jäger. Was willſt du denn mit deiner Zither? Du ſiehſt. aus wie ein Hochzeitbitter. Erffer Jüger. Der Narre, der iſt ſo bänderreich); Sein (uſtges Land erkennt man gleich). Sünger. Euer Tumult, was will benn das? Seid höflich, denn ich fing' euch was. Zwciter Jäger. Da merden wir was Neues hören! Doch hütet euch, ihn nicht zu ſtören! Erſter Jäger. Nichts Neues! alten Leierton! Er iſt verliebt, ich fel' es ſchon. Jürger (recitativijc). Wo ſo viel Völker fich verſammeln, Da mag ein jeder ſingen und ſtammeln. (Fntonierend.) Da dah! ta dah! Erſter Jäger. Ein närriſcher Wicht! Der Kerl, er ſingt ſchon, wenn er ſpricht. . Färger. Ich muß ins Feld, ich will dich meiden, . Wenit auch inein Herz mir widerſpricht; Von deiner Nähe werd ich ſcheiden, Von meiner Liebe kann ich nicht. Ins Feld hinaus! Das heißt nicht meiden; Denn meine Seele ſcheidet nicht. Ja, mich erwarten hohe Freuden, Und ich erfülle meine Pflicht.. 15 20 264 • Einzelne Szenen zu feſtlichen Gelegenheiten. 25 30 33 Ich will ins Feld! Warum nicht ſcheiden? Dir ſei die Thräne, mir die Pflicht. Nun lebewohl!. Es iſt kein Leiden: Ich bleibe dein! Vergiß mein nicht! Erſter Jäger. Vergiß mein nicht: das iſt ein ſchlechtes Freſſen! Wer will denn lebent, kann er nicht vergeſſen? Vergeſſen! ja, ſich ſelbſt vergeſſen, Daſ iſt die Kunſt, ſo ſoll es fein! Mit Feinden habich mich gemeſſen, Mit Mädchen und mit Flaſchen Wein. Zweiter Jäger. Es iſt nicht recht, den Gaſt zu ſtören; Wir möchten das noch einmal hören. Den Feind zu ſchlagen, das iſt Scherz, Und wer noch lebt, wird immer naſchen, Da gibt es Mädchen, gibt es Flaſden; Doch haben wir auch eine Art von Herz, Der Kleine ſoll uns fingend rühren. Erſter Jäger. Ich ſchlafe ſchon; laſst euch verführen! Sänger (wiederholt ſein Lied). . Zweiter Jäger. Ganz recht: der Abſchied iſt ein Spiel! Nun wird es ernſt und immer beſſer ! Es ſei dein Lied ein ſcharfes Meſſer; Dem Feind die Spike, mir den Stiel! Schluchor. Und ſo hat denn der Dichter das Wahre geſagt, Wie wir es denn alle nun wiſſen. Ihr Jünglinge feid, ſowie es nun fagt, Žum Marſch und zum Streite befliſjen. - 50 Gedenket an uns in der blutigen Schlacht, Und habt ihr das Werk mit, das große, vollbracht, So bringt uns, was ihr uns genommen. Singer (Solo, quasi parlaudo). Eure Gegenwart So lieb und wert! Chor. So ſeid ihr uns herzlich willkommen. 15 50 UNIVERSITY OF MICHIGAN ------- 3 9015 03019 1285 !! . . - . -- - - . . . . * *. * , . 行事 ​. , * . * 第一​, 基本上​, 本 ​「 士 ​: 中华 ​Shi 《 我的 ​14 ::: : * * 這是 ​“在中国 ​www 4 * ** 学 ​, ,, 重量​... 董事 ​, 上 ​- 量 ​, .. - - - - - 。 ” 是 ​「 , * 1 , 。 事 ​其中​, ”, 生 ​h | - 生产基 ​, 4 - - - 六​.. 事中生 ​, 事 ​事事 ​青春 ​. 青 ​了​, . , , . 4、 年十 ​, , 一對着鲁 ​. 「 " trs, 重量 ​| , 青 ​.. , , * 十一 ​. - - - - . 青华 ​. # -- 本書​, --- 。 : 事​” 事業 ​-. 可在 ​. .