! THE LIBRARY OF THE UNIVERSITY OF CALIFORNIA RIVERSIDE OSTEKEEICHISCHE REICHSGESCHICHTE GESCHICHTE DER STA1TSBILDUNG USD DES OFFENTLICHEN RECIITS. VON D R ALFONS HUBER, PROFESSOR AN DER K. K. UNIVERSITAT IN WIEX. PEAG. AMEN. LEIPZIG. P. TEMPSKY. F TEMP SKY G> FREYTAG - BUCHHANDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEX IN WIEX. 1895. Drnck Ton Adolf Holzhansen, k. and k. Hof- and Universitfits-Buchdracker in Wien. VORREDE. Das Gesetz voin 20. April 1893, durch welches eine neue Studien- ordnung fiir die juridischen Facultaten eingefuhrt wurde, hat n osterrei- chische Keichsgeschichte (Geschichte der Staatsbildung und des offentlichen Rechtes)" fiir ein obligates Fach erklart. Da es an jedem Lehrbuche hiefiir fehlte. habe ich auf "Wunsch der Verlagsbuchhandlung die Abfassung eines solchen unternommen, obwohl ich rair der Schwierigkeit der Auf- gabe bei der Ktirze der Zeit und beim Mangel genugender Vorarbeiten fur viele Partien vollkommen bewusst war. Ich kann es nicht unter- lassen. mich hier tiber die wichtigsteu Gesichtspunkte, von denen ich mich bei der Ausarbeitung leiten liefi, kurz zu aufiern. Was zunachst die Frage uber den Beginn der ,,osterreichischen Keichsgeschichte" betrifft, so kann ich mich der Ansicht, dass man sich auf die Zeit seit der Vereinigung Bohmens und Ungarns mit den deutsch- osterreichischen Landern oder etwa seit dem Kegierungsantritte des Kaisers Maximilian I. beschranken solle, unmoglich anschliefien. Nieht blofi die Bildung der deutsch-osterreichischen Landergruppe, sondern auch die Entstehung und Entwicklung der wichtigsten Factoren des offentlichen Kechtes wtirden dadurch unberiicksichtigt bleiben. Die versc'hiedenen Stande, Adel, Burgerthum und Bauern, stehen sich schon vor . dem 15. Jahrhundert in fester Gliederung und mit bestimmten Rechten gegeniiber. Die standischen Verfassuugen, die Formen der Verwaltung in den einzelnen Landern sind schon fruher ausgebildet worden. Die Ausbildung dieser Institutioneu darf ohne Nachtheil fur das geschicht- liche Verstandnis nicht unberiicksichtigt bleiben, wenn auch die neuere Zeit eingehender behandelt werden muss als das Mittelalter. Beziiglich des territorialen Umfanges der osterreichischen Reichs- geschichte muss ich an der schon in meiner r Geschichte Osterreichs" vertretenen Ansicht festhalten, dass zwar nicht die Geschichte der erst spat erworbenen Lander, z. B. Galiziens, wohl aber die BShmens und Ungarns auch vor ihrer Erwerbung durch das Haus Habsburg beruck- sichtigt werden musse. Die friiheren Einrichtungen haben sich in Bohmen bis in die zweite Halfte des 18. Jahrhunderts. in Ungarn IV bis auf die neueste Zeit erhalten imd durfen daher in einer Geschichte des Sffentlichen Kechtes in Osterreich nicht ignoriert werden. Auch die von ungarischen Historikern vertretene Ansicht, dass die Geschichte Ungarns gar nicht in eine Geschichte Osterreichs gehore, kann ich nicht theilen. Meine Darstellung wird ergeben, wie zahlreich die Beruhrungs- punkte zwischen den ungarischen und nichtungarischen Landern auf dem Gebiete des offentlichen Kechtes seit ihrer Vereinigung gewesen sind. Erst seit dein Ausgleiche des Jahres 1867 kommt die Geschichte Ungarns nicht mehr in Betracht. Von den beiden Gebieten, welche das neue Lehrfach seinem Titel nach enthalt, glaubte ich das ,,6'ffentliche Kecht" weitlaufiger behandeln zu sollen als die ,,Staatsbildung". Aber gar zu sehr durfte doch auch diese nicht in den Hintergrund treten, wenn iiberhaupt gezeigt werden sollte, wie das heutige Osterreich oder nach der gegenwartigen staatsrechtlichen Bezeichnung ,,Osterreich-Ungarn" entstanden ist. Auch die territoriale Bildung der einzelnen Konigreiche und Lander wollte ich nicht mit Still- schweigen ubergehen. Es steht ja jedem Lehrer frei, Einzelnes zu iiber- gehen, yon dem er glaubt, dass es fur seine Horer gar kein locales In- teresse habe. Die Kiirze der Darstellung ist durch den Zweck des Buches bedingt. Es wird Aufgabe des Lehrers sein, das Einzelne, das oft nur angedeutet werden konnte, weiter auszufiihren. Da dieses Buch in erster Linie fur Studierende bestimmt ist, so musste jeder uberfliissige gelehrte Apparat wegfallen. In den alteren Partien habe ich mich daher begniigt, auf meine Geschichte Oster- reichs" zu verweisen, wo jeder, der sich fur eine einzelne Frage interessiert, die weiteren Belege angegeben findet. Auch fur die Zeit seit 1609, iiber welche sich mein genanntes Werk noch nicht erstreckt, habe ich die Haufung von Citaten verraieden und nur die wichtigsten Hilfsmittel an- gefiihrt. Um das Studium zu erleichtern, habe ich gewisse Schlagworte gesperrt, obwohl infolge dessen der Druck nicht schon aussieht. Dass dieses Lehrbuch manche Lticken und Mangel aufweist, bin ich rair vollkommen bewusst. Die Geschichte des offentlichen Kechtes in Osterreich ist naraentlich von den Rechtshistorikern bisher viel zu sehr vernachlassigt worden. Vielleicht wird vorliegendes Buch, welches zeigt, wie viel auf diesem Gebiete noch zu thun ist, zu weiteren For- schungen Anlass geben. Wien, am 18. September 1894. A. Huber. Inlialtsverzeiclmis. Seite p]inleitung. Die Bildung der territorialen und ethnographischen. Grundlagen 1 Brste Periode. Die Zeit der getrennten Entwicklung der deutsch-osterreichischen Lander und der Reiche Bohmen und Ungarn (907 1528) .... 5 A) Die deutsch-osterreichischen Lander 5 I. Geschichte der territorialen Verhaltnisse 5 a) Die Bildung der einzelnen Territorien 5 1. Osterreich . 5 2. Karnten und seine Marken (Steiermark, Krain, Istrieu) 8 3. Tirol . . .11 b) Die Vereinigung der deutsch-osterreichischen Lander 14 1. Die Vereinigung der Steiermark mit Osterreich und die ersten Er- werhungen in Friaul und Krain 14 2. Die Zwischenregierung Ottokars II. von Bohmen und deren Folgen fur die territoriale Entwicklung 15 3. Die Erwerhung Osterreichs durch das Haus Hahsburg. Die Vor- lande in Schwaben 17 4. Die Vereinigung Karntens und Tirols mit Osterreich 19 5. Kleinere Gebietsveranderungen von 1308 1526 24 II. Geschichte des ofientlichen Eechtes in den deutsch-osterreichischen Landern 27 a) Das Verhaltnis des Fiirsten zum deutscheu Reiche uud seine Befuguisse im Innern 27 1. Die Periode der Babeuberger (9761246) 27 2. Die Zwischenregierung Ottokars ^1. von Bohmen und die Herrschaft der Habsburger bis zum Ende des Mittelalters 31 b) Die fiirstliche Erbfolge 34 c) Die Stellung des Adels .* 42 d) Entstehung und Ausbildung des Stadteweseus 46 e) Die Bauern 49 f) Geschichte der Gerichtsverfassung bis zum Ausgauge des 15. Jahrhunderts 50 1. Die obersten Gerichte (Land- uud Hoftaidiiig, landmarschalliscb.es Gericht) . . 50 2. Die unteren Landgerichte 52 3. Die Vogtei-, Hofmark- und Patrimouialgerichtsbarkeit 53 g) Das Verhaltnis des Staates zur Kirche 54 h) Die Entstehung und Ausbildung des Standewesens 55 i) Die administrativen Reformen K. Maximilians 1 63 B) Geschichte Bohmens und seiner Nebenlander 66 I. Geschichte der territorialen Verhaitnisse 66 a) Die Bildung einer einheitlichen Herrschaft in Bohmen und die Eroberung Mahrens .... ., . 66 VI Seite b) Die Erwerbung des Egerlandes, der Lausitz und Schlesieus 67 II. Geschichte des offentlichen Kechtes 69 a) Bohmens Verhaltnis zum deutschen Eeiche 69 b) Die Stellung des Landesfiirsten 75 1. Die Thronfolgeordnung 75 2. Die Befugnisse und Einkunfte des Landesfiirsten 78 c) Der Adel uud die bauerliche Bevb'lkerung 79 d) Die Stadte 82 e) Die Landtage 85 f) Verwaltung und Gerichtsverfassung 87 g) Verhaltnis des Staates zur Kirche 91 C. Geschichte des ungarischen Reiches 92 I. Geschichte der territorialen Verhaltnisse 92 1. Die Zeit der Arpaden (bis 1301) 92 2. Die Zeit der Anjous und ihrer Nachfolger (13011526) 94 II. Geschichte des offentlichen Eechtes 97 a) Die Thronfolgeordnung 97 b) Geschichte der Verfassung und Verwaltung 102 1. Die Gesetzgebung Stephans des Heiligen und des Konigs Coloman . 102 2. Die r goldene Bulle" Andreas II. und die Gesetzgebuug uuter den letzten Arpaden 105 3. Die deutsche Colonisation und die Eutstehung des Stadtewesens . . 107 4. Die Verfassung und Verwaltung von 13011526 109 c) Die Stellung der Kirche zum Staate 112 Zweite Periocle. Die Bildung der osterreich- ungarischen Monarchic und deren Geschichte bis zum Erloschen des Mannsstammes der Habsburger (1526 1740) 115 I. Geschichte der Staatsbildung 115 1. Die Erwerbung Bohmens und Ungarns durch das Haus Habsburg . . 115 2. Die Kampfe um Ungarn und Siebenbiirgen (1528 1739) 120 3. Die Gebietserwerbungen K. Ferdinands I. in Deutsehland. Der Heim- fall der schlesischeu Fiirstenthuiner. Die territorialen Folgen des dreifiigjahrigen Krieges 123 4. Der spauische Erbfolgekrieg (1701 1714) und der Kampf um die Nach- folge in Poleu (17331735) 126 II. Geschichte des offentlichen Eechtes 15261740 128 a) Die Erbfolge 128 1. Die Thronfolge in Ungarn 128 2. Die Erbfolge im Konigreiche B5hmen 130 3. Die Erbfolge in den deutsch-osterreichischen Laudern 132 4. Die pragmatische Sanction 134 b) Geschichte der Verwaltung 137 1. Die Verwaltungs- und Justizbehorden der deutsch-osterreichischen Lander 137 2. Die Verwaltuug der bohmischen Kronlander 140 3. Die Verwaltung der ungarischen Kroiilander 146 4. Die gemeinsamen Eegierungsbehorden 150 5. Das Steuerwesen 157 6. Das Heerwesen .... 161 VII Seite c) Gescbichte des Standewesens 163 1. Die deutscheu Erblander 163 2. Die bohmischen Lander 166 3. Ungarn 170 4. Allgeraeine Delegiertenversammlungen 173 d) Das Stadtewesen in den deutschen und bb'hmischen Lh'ndern 174 e) Das Verhaltnis des Staates zur Kirche 175 Dritte Periode. Das Zeitalter der inneren Reformen unter Maria. Theresia und ihren Sohnen (17401792) 180 I. Geschichte der territorialen Verhaltnisse 180 1. Der osterreichische Erbfolgekrieg 180 2. Die erste Theilung Polens nnd der bairische Erbfolgekrieg 183 3. Der Krieg K. Josepbs II. rait den Turken (17881791) ...... 186 H. Geschichte des offentlichen Eechtes (17401792) . 188 a) Die Zeit der Regierung Maria Theresias (17401780) 188 1. Die Organisation der Verwaltung 188 2. Das Heer- und Steuerweseu 196 3. Die Aufange der Codification des Rechtes 199 4. Das Standewesen unter Maria Theresia 200 5. Die Beschrankting der Autonomie der Gemeinden 201 6. Die Eegelung der Unterthanigkeitsverhaltuisse 202 7. Die kirchlichen Verhaltnisse 203 b) Die Eegieruug K. Josephs II. (17801790) 205 1. Die Anderungen auf dem Gebiete der Verwaltung 205 2. Die Reformen auf dem Gebiete des Justizwesens 208 3. Die Fortschritte der Codification des Rechtes 210 4. Die Reformen des Steuersy stems 211 5. Die Reformen Josephs II. auf dem socialeu Gebiete 211 6. Die kirchlichen Verhaltnisse uuter Joseph II 213 c) Die Restauratiou uuter Kaiser Leopold II 215 1. Ungarn 215 2. Die deutschen und bohmischen Lander 217 3. Die kirehlichen Verhaltnisse 219 Vierte Periode. Das Zeitalter der Coalitionskriege gegen Frankreich und des politischen Stillstandes (1792-1848) 219 I. Geschichte der territorialen Verhaltuisse 219 1. Der erste Coalitionskrieg und die zweite und dritte Theiluug Polens . 919 2. Der zweite Coalitionskrieg (1799 1801) und der Reichsdeputations- Hauptschluss 224 3. Die Annahme des osterreichischen Kaisertitels. Der dritte Coalitions- krieg und die Ausscheidung Osterreichs aus Deutschland 226 4. Der Krieg Osterreichs mit Frankreich im Jahre 1809 228 5. Osterreichs Theiluahrne an den Befreiungskriegen uud der Wiener Con- gress ...... 229 VIII Seitc II. Geschichte des offeutlichen Kechtes imter den Kaisera Franz I. (II.) und Ferdinand I. (1792-1848) 231 a) Anderungeu in der Organisation der Verwaltuug 231 1. Die Centralbehorden 231 2. Die Provinzialverwaltuug 235 3. Die Organisation der Gerichte 237 b) Das Steuenvesen 237 c) Das Militarweseu 238 d) Die legislatorische Thatigkeit 239 e) Das Standewesen 240 f) Das Stadteweseu 243 g) Die Unterthansverhaltnisse 243 h) Das Verhaltuis des Staates zur Kirche 244 Funfte Periode. Die Bildung der gegenwartigen territorialen und staatsrechtlichen Zustande (18481870) 245 I. Geschichte der territorialeu Verhaltnisse 245 1. Der Verlust der italic uischen Besitzungen 245 2. Die Ausscheidung Osterreichs aus Deutschland 246 3. Die Occupation Bosniens und der Hercegowina 247 II. Geschichte des offentlichen Eechtes 248 a) Die ersten Versuche der Griindung eiuer osterreichischen Verfassuug (1848 his 1849) 248 1. Die deutschen und slavischen Lander 248 2. Ungarn 252 b) Die Periode. des Absolutismus 254 1. Die Aufhebung der octroyierten Verfassung 254 2. Die Organisierung der Verwaltuugsbehorden 254 3. Die Organisierung der Gerichtsbehorden 256 4. Die Organisation der Finanzbehorden . . 257 5. Die Geineindeverfassungen 257 6. Das Steuerwesen 258 7. Das Militarwesen 258 8. Die Aufhebung des Unterthanenverbandes uud die Durchfuhrung der Grundeutlastung 259 9. Die kirchlichen Verhaltnisse 260 c) Die Begriindung der besteheuden osterreichischen Verfassung und der Aus- gleich mit Ungarn 263 1. Der verstarkte Eeichsrath und das Octoberdiplom - 263 2. Das Februarpatent und der erste Eeichsrath 268 3. Die Sistierung der Verfassung und der Ausgleich mit Ungarn .... 273 4. Die Verfassung vom 21. December 1867 und die Einfuhrung der directen Eeichsrathswahlen ... .276 Druckfehler in Uberschriften neuer Abscnnitte: S. 79 lies: bauerliche statt: biirgerliche; S. 170 lies: Ungarn statt: Die Ungarn. Einleitung, Die Bildung der territorialen und etlmographischen Grundlagen. Von den Landern, welche die heutige osterreichisch-ungarische Mon- archie bilden, wnrde die siidliche Halfte am Beginne der christlichen Zeit- rechnung mit dem ro'mischen Keiche vereinigt. Nachdern Oberitalien und die sudlichen Alpenthaler, Dalinatien und die Abhange des Karst bereits friiher unterworfen worden waren, wurden im Jahre 15 v. Chr. auch die Eater und die keltischen Vindelicier, vier Jahre darauf die illyrischen Pannonier bezwungen und das n K6nigreich" Noricum zuerst tributpflichtig gemacht, spater dem Keiche einverleibt und so die Donau zur Grenzlinie gemacht. 107 n. Chr. wurde vom Kaiser Trajan auch Dacien erobert und in eine romische Provinz verwandelt. Uberall wurden die einheimischen Dialecte durch die lateinische Sprache verdrangt. Aber trotz der grofien Machtmittel war Kom nicht ini Stande, seine Grenzen gegen die von Norden und Osten audringenden Germaneu auf die Dauer zu schiitzen. Nach der Mitte des 3. Jahrhunderts gieng Dacien an die Goten verloren. Am Ende des 4. Jahrhunderts drangen die verschiedensten Volkerschaften in das innerlich geschwachte Keich ein und eroberten eine Proyinz nach der andern. Doch vermochte in den Sturmeii der n V61kerwanderung" auf dem Boden des heutigen Osterreich Jahr- hunderte lang kein Volk eine dauernde Herrschaft zu grunden. Alle zogen entweder in siidlichere Gegenden oder wurden unterworfen, wobei auch die Schopfungen der romischen Cultur fast spuiios verschwanden, die romanisierten Bewohner, soweit sie nicht ausgewandert waren, ihre Freiheit und grofitentheils auch ihre Nationalitat einbiifiten. Erst in der zweiten Halfte des 6. Jahrhunderts traten standigere Yerhaltnisse ein. Im Jahre 568 liefien sich die mit den Hunneu verwandten Avar en im heutigen Ungarn nieder und grtindeten ein machtiges Keich, welches sich von der Enns und den Ostabhangen der Alpen bis nach Siebeu- btirgen und von der Adria bis zu den Karpaten erstreckte. Huber. Osterreichische Eeichsgeschichte. 1 Unter ihrer Oberhoheit siedelten sich im alten Pannonien und Noricum bis zu deii Quellen der Drau imd Mur und an den nordlichen und ostlichen Abhangen . der Ostalpen Slovenen oder Winden an, welche seit dem 7. Jahrhundert ein selbstandiges Herzogthum Karan- tanien bildeten. Die sudlich anstofienden Gebiete von der Kulpa und dem stidlichen Istrien bis zur Cettina und dem Verbas nahmen in den ersten Decennien des 7. Jahrhunderts die Croaten in Besitz, vor denen sich die Komanen in die Kiistenstadte und auf die Inseln zuriickziehen mussten. Das siid- liche Dalmatien bis Durazzo, wie das Binnenland bis gegen Belgrad und Novibazar gerieth in die Gewalt der Serb en. Noch fruher, spatestens nach der Mitte des 6. Jahrhunderts, hatten uordslavische Stamine Bohmen und Mahren bis zur Donau und das nordwestliche Ungarn besetzt, nachdem diese Gebiete von den friiheren deutschen Bewohnern geraumt worden waren. Westlich vom spateren Avarenreiche, zwischen der Enns und dem Lech, hatte sich schon bald nach dem Beginne des 6. Jahrhunderts ein oberdeutscher Stamm, die Bajoarier oder Baiern, wahrscheinlich die Nachkommen der alten Markomannen, augesiedelt, deren Herzoge ihre Herrschaft vom Bohmerwalde nach und nach auch iiber das alte Ratien ausdehnten und das Inn-, Eisack-, Rieuz- und obere Etschthal in Besitz nahmen, wahrend das Land unterhalb Bozen, am rechten Etschufer bis Meran hinauf, in den Handen der Langobarden war. Herzog Otilo von Baiern (737 748) machte auch den Herzog der Winden in Karantanien, welches Land durch den Anraserbach zwischen Lienz und Innichen von seinein Reiche geschieden war, von sich abhangig. Aber sein Sohn uiid Nachfolger Thassilo suchte sich vergeblich der Oberhoheit des Frankenkonigs, die er wie mehrere seiner Vorganger hatte anerkennen miissen, wieder zu entziehen. Als er gegen Karl den Grofien, der schon im Jahre 774 das Reich der Langobarden erobert hatte uud so Baiern auch von Siiden bedrohte, die Avaren zuhilfe rief, wurde er 788 seines Herzogthums beraubt und Baiern dem frau- kischen Reiche einverleibt, wodurch auch Karantanien von diesem in Abhangigkeit gerieth. Der Krieg, der nun zwischen Karl und den Avaren ausbrach, endete mit der vollstandigen Unterwerfung derselben im Jahre 796. Ihr Gebiet bis zur Donau und Drau, das alte Pannonien imd Ufernoricum, wurde mit dem frankischen Reiche vereinigt. Dagegen war das Land zwischen der Donau und Theifi von Pippin so vollstandig verwustet worden, dass es ein Jahrhundert lang eine fast uubewohnte Eiuode blieb. Bald darauf wurden auch die Croaten und die panno- uischen Slovenen zwischen der Drau und Sau der frankischen Ober- hoheit unterworfen, wahrend Istrien schon fruher dem ostromischen Kaiser entrissen worden war. Da auch die Slav en in Bo'hmen und Mahren dem frankischen Konige Tribut zahlen mussten, so war ein grofier Theil des heutigen Osterreieh unter der Oberherrschaft desselben vereinigt. Das frankische Eeich war zuiii Zwecke der Verwaltung in Graf- schaften eingetheilt, deren Vorsteher vom Konige in der Kegel auf Lebenszeit ernannt wurden und im Gerichte wie in der Verwaltung seine Stelle vertraten. Es gab aber auch, besonders an den Grenzen des Eeiches, Gebiete, welche wegen der gefahrdeten Lage oder der grofien Verschiedenheit der bisherigen politischen Zustande nicht in kleine Grafschaften getheilt, sondern unter die Verwaltung eines einzigen Beamten gestellt und nach vorherrschend militarischen Gesichtspunkten organisiert wurden. Es waren dies die ,,Marken", d. h. Grenzgebiete, deren Bewohner in erster Linie fur die Vertheidigung derselben zu sorgen hatten, aber dafur vom Kriegs- dienste auflerhalb der Mark und den meisten anderen Leistungen frei waren. Um die Vertheidigung zu erleichtern, hat der Grenzgraf (comes niarcae, marchio) oder Markgraf gewohnlich auch noch eine benach- barte Grafschaft unter seiner Verwaltung. Der Siidosten des karolingischen Eeiches zerfiel in zwei solche Markgrafschaften. *) Dem Grafen von Friaul als ^Prafecten der Mark Friaul" war auch die Oberaufsicht iiber die 6'stlich davon gelegenen, meist slavischen Stamme, welche zunachst ihre eigenen Fiirsten behielten, iibertragen, uber die Karantanen, die pannonischen Slovenen, die Croaten und tiber Istrien, wo das Volk anfangs selbst seinen n Eector" wahlte. Doch wurde diese Mark schon 828 aufgelost und theilweise in Graf- schaften getheilt, wahrend die Oberaufsicht uber die anderen Gebiete dem Vorsteher der benachbarten Mark ubertragen worden sein diirfte. Fur diese ist ein eigener Name nicht tiberliefert, doch kann man sie immer- hin nach ihrer Lage als ,,0stmark" bezeichnen. Sie umfasste das ganze den Avaren entrissene Gebiet, also das Land am rechten Donauufer von der Enns bis zum Wienerwalde mit einigen Strichen des meist mit Wald bedeckten Landes nordlich von der Donau bis zum Karnp und das alte Pannonien bis zur Drau. Auch die Verwaltung des Traungaues war diesem Markgrafen anvertraut, uni ihm einen festeren Eiickhalt zu ver- schaifen. Die schwacheren Nachfolger Karls des Grofien vermochten aber die Herrschaft uber diese Lander nicht im vollen Umfange zu behaupten. Die pannonischen Slovenen machten sich mehr oder weniger unab- J ) Siehe meine n Geschiclite Osterreichs", 1, 84 if., auf welche ich auch fiir das Vorausgehende verweise. 1* hangig. Die Croateii erkannten die Oberhoheit des ostromischen Kaisers an, Auch die B ohm en begannen 846 die Feindseligkeiten gegen das frankische Keich. Noeh groflere Erfolge errangen die Mahrer, l ) welche einer i-hrer Fiirsten, Moimir, politisch geeinigt hatte. Zwar wurde dieser 846 yon Ludwig dem Deutschen entsetzt, aber sein Neffe und Nach- folger Eastislaw riss sich vom ostfrankischen Keiche ganz los, und nicht die Angriffe der Deutscheu, sondern der Verrath seines Neffen Swatopluk fiihrte 870 seinen Sturz herbei. Dieser aber griindete ein grofies Slave n- reich, indem er seine Oberherrschaft nordwestiich tiber Bohmen und wahrscheinlich auch iiber die Sorben jenseits des Erzgebirges, im Nord- osten fiber eiuen Theil Schlesiens und das westliche Galizien, im Sfid- osten am linken Donaimfer fiber die meist slavischen Bewohner der Theiflebene bis in den Siiden des heutigen Ungarn ausdehute. Die ost- frankischen Konige mussten sich mit einer formellen Anerkennung ihrer Oberhoheit begniigen. Nach Swatopluks Tode 894 loste sich aber das Keich auf. Zwischen seinen Sohnen brach ein Krieg aus. Die Bohmen und Sorben schlossen sich wieder an Deutschland an. Es war dies um so wichtiger, als urn diese Zeit ein neues Volk an der Grenze des mahrischen Keiches erschien, die wilden Magyar en oder Ungarn, em Zweig der finnisch-ugrischen Volkerfamilie. 2 ) Nachdem diese langere Zeit im siidlichen Kussland bis zur imteren Donau ge- wohnt hatten, zogen sie nach einer durch die verbiindeten Petschenegen und Bulgaren erlittenen Niederlage (wahrscheinlich 895) in die wenig bevolkerteu Tiefebenen zu beiden Seiten der Theifl und nahmen diese in Besitz. Bald machten sie sich dem ostfraukischen Eeiche ebenso furcht- bar wie dem mahrischen. Dieses wurde nach mehrjahrigen Kampfen 905 oder spatestens 906 vernichtet, die Herrschaft der Magyaren fiber das Land von der March bis zur Mfindung der Theifi und zur Grenze Sieben- burgens gesichert und dadurch auch die Nord- und Sudslaven vollstandig getrennt und die Grfindung ernes grofien Slavenreiches in den Donau- landern ffir immer uumoglich gemacht. Im Somrner 907 wurde der bairische Heerbann unter dem Markgrafen Liutpold ,,im Ostlande" voll- standig besiegt und grofitentheils aufgerieben. Damit war auch 'die deutsche Herrschaft fiber Pannonien verloreu, ja die ganze Mark ostrich J ) D. h. Marchauwoliiier, Moravi uaeh der slavischen, Marahenses oder Marharii nach der deutschen Form dieses Flusses. Uber die Geschichte derselbeii in dieser Zeit siehe meiue n Geschichte Osterreichs", 1, 95 ff. 2 ) Uber diese und ihre Niederlassung in Ungarn siehe meine ^Geschichte Oster- reichs", 1, 114 ff. von der Enns den Ungarn preisgegeben, wenn diese auch westlich vom Wienerwalde nur einzelne Punkte besetzten. Ain Begiune des 10. Jahrhunderts waren die Volkerbewegungen, welche mehr als ein halbes Jahrtausend die Donaulander durchflutet hatten, endlich zu einer gewissen Ruhe gekommen, die ethnographischen Verhaltnisse des heutigen osterreichisch-ungarischen Kaiserstaates im ganzen festgestellt imd auch fur die kunftige territoriale Entwicklung die Grundlagen gelegt. Erste Periode. Die Zeit der getreimteii Entvvickluug der deutsch-oster- reichisclien Lander imd der Reiche Bohmen mid Ungarn (9071526). A, Die deutsch-osterreichischen Lander, I. Greschickte der territorialen VerMltnisse. a. Die Bildung der einzelnen Territorien. I. Osterreich. Der Verfall der ostfraukischen Monarchic hatte nicht blofi den Ver- lust aller Gebiete 6'stlich von der Enns, sondern auch die Gefahr der vollstandigen Auflosung des Eeiches zur Folge gehabt. Bei der Schwache der Centralgewalt konnte sich der Selbstandigkeitstrieb der deutschen Stanime wieder geltend machen, welche eigene Herzoge an die Spitze stellten und dem Konige auf ihre Angelegenheiten nur geringen Einfluss gestatteten. Auch in Baiern benahm sich Liutpolds Sohn, der ,,Herzog" Arnulf, wie ein selbstandiger Fiirst. Konrad I. (911 918). der nach dem Tode Ludwigs ^des Kindes" von den Grofien der rechtsrheinischen Stauime zum Kouige gewahlt wurde, erschopfte seine Krafte in frucht- losen Kampfen mit den Herzogen. Sein Nachfolger, der Sachse Heinrich I. (919 936), vermochte sich in Deutschland nur dadurch allgemeine An- erkennung zu verschaffen. dass er sich in die inneren Verhaltnisse der eiuzelnen Lander fast gar nicht einmischte. Erst seinem Sohne Otto I. (936 973) gelaug es, die Gewalt der Herzoge zu beschranken und sich namentlich das Recht der Ernennung derselben zu sichern. 6 Infolge der Kraftigung des Reiches waren die Konige aber auch iin Stande, Deutschland gegen die auswartigen Feinde zu schutzen. Die Ungarn, welche von 907 an langere Zeit das Reich fast jahrlich ver- heerend heimgesucht hatten, warden 933 bei einein Einfalle nach Thiiringen imd Sachseu von Heinrich I. entscheidend geschlagen, ein noch grofleres Heer, das 955 bis Augsburg vordrang, von Otto I. fast vollstandig ver- uichtet. . Dadurch wurde nicht blo6 den Einfallen der Ungarn nach Deutsch- land fur immer ein Ende gemacht, sondern auch die Grimdung einer neuen bairischen Ostmark im Lande unter der Enns ermoglicht, wel- che unter dem ersten bekannten Markgrafeu Burchard 1 ) von der Enns und der groflen Rodel (nordwestlich von Linz) ostwarts bis St. Polten an der Traisen und am linken Donauufer in der Wachau bis unterhalb Spitz reichte. Am 21. Juli 976 wird Liutpold als Markgraf genannt, 2 ) welcher dem besonders in Ostfranken reich begiiterten Geschlechte der ,,Baben- berger" angehorte. 3 ) Schon unter der Regierung Leopolds I. (976 994) wurde die Mark, fur welche sich 996 zurn erstenmale der Name Ostarrichi (Ostreich) oder Osterreich findet, 4 ) im Osten bis zum Wienerwalde ausgedehnt und zu- gleich gegen die Streifziige der Ungarn gesichert, sodass die Eigenthums- verhaltnisse geordnet werden konnten. Dabei wurden den Hochstiftern Salz- burg, Passau und Freising nicht blofi die schon in der karolingischen Zeit erworbenen Besitzungen bestatigt, sondern auch neue geschenkt, welche dann freilich skater theilweise den Markgrafen zu Lehen gegeben wurden. Unter Leopolds I. Sohnen Heinrich I. (9941018) und Adalbert (1018 1055) wurde das osterreichische Gebiet durch die Colonisierung der von den Ungarn vollstandig verwiisteten und fast unbewohnten Ge- genden auch fiber die Ostabhange des Wienerwaldes und die Hohen und Ebenen ostlich vorn Kampflusse vorgeschoben. Schon 1025 bildete am linken Donauufer die March, am rechten die Leitha die Ostgrenze Osterreichs. Zwar hatte ein unglucklicher Krieg Kaiser Konrads II. mit Stephan dem Heiligen 1031 den Verlust des Landes zwischen der Leitha und Fischa und des Gebietes westlich von der March bis zu einer von J ) Er wird als Markgraf in der Zeit des Bischofs Adalbert von Passau (t 971) und noch 18. October 972 genannt. Siehe meine B Geschichte Osterreichs", 1, 138 ff. und dort S. 175 auch die Belege fur die damalige Ausdehnung der Mark nach Osten. 2 ) Als Intervenient in Urkunde K. Ottos II., Mon. Germ. Dipl. 2, 149. 8 ) tiber seine Abstammung und die Ausdehnuug der Ostmark unter ihm und seinen nachsten Nachfolgern siehe meine r Geschichte Osterreichs", 1, 174 ff. 4 ) in regione vulgari voccibulo Ostarrichi . . . dicto. Meiller, Eegesten der Babenberger, S. 2, Nr. 2. der Fischamundung nach Tracht an der Thaya gezogenen Linie *) zur Folge. Als aber nach dem Tode Stephans I. (1038) in Ungarn innere Unruhen ausbrachen und der Gegenkonig Aba Feindseligkeiten gegen Deutschland begann, wurde dieser 1043 von Heinrich III. gezwungen, die 1031 ge- wonnenen Gebiete wieder an Deutschland zuruckzugeben. Es wurde daraus anfangs eine neue Mark geschaffen, diese aber schon bald (jedenfalls vor 1063) mit der alten Ostmark vereinigt. Von dieser Zeit an erfolgte die Erweiterung der Ostmark nur noch auf friedlichem Wege, besonders durch die Ausrodung des unge- heuren r Nordwaldes", der einst fast das ganze Gebiet jiordlich von der Donau bedeckt hatte, aber durch deutsche Eiuwanderer nach und nach urbar gemacht wurde. West lie h von der Enns hatten die osterreichischen Markgrafen von den Herzogen von Baiern drei Grafschaften (wahrscheinlich ungefahr mit dem Gebiete zwischen der Traun und dem Passauerwalde zusammeu- fallend) zu Lehen, welche bei der Erhebung der Mark Osterreich zu einem Herzogthume (1156) vollstandig mit diesein vereinigt wurden. 2 ) Ebenfalls im Westen des eigentlichen Osterreich lagen die Erwerbungen, welche Herzog Leopold V. (1177 1194) rnachte. Im Norden der Donau seheint er, wahrscheinlich nach dem Sturze Heinrichs des Lowen 1180, das Ge- biet vom Haselgraben und der Kodel bis zur grofien Miihl an sich ge- bracht zu haben. Im Siiden wurde er von den Grafen von Beugen oder Kebgau (bei Vocklabruck) zum Erben eingesetzt. 3 ) Dessen Sohn Leopold VI. (1198 1230) kaufte aufler anderen Herrschafteu die Stadt Linz und aus- gedehnte Giiter an der Donau bis oberhalb Engelhardszell, welche ein Lehen des Bisthums Passau wareu, vom Bischofe von Wurzburg die Be- sitzungen seines Hochstiftes um Lambach mit der Stadt Wels und vom a ) Der Umfang dieses Gebietes ist in der Urkunde K. Heinrichs III. vom 25. October 1051 Mon. Boica XXIX, 1, 103 angegeben. Vgl. Thausing, Die Neumark Osterreich in n Forschuugen zur deutscheu Geschichte", 4, 355 ff. 2 ) Otto von Freising, der Unterhandler des Vertrages, meldet dariiber in n Gesta Frid. imper.", 2, 31: ille (Heinrich der Lowe) . . . marchiam Orientalem cum comitatibus ad earn ex antique pertinentibus reddidit, Exinde (imperator) ex eadem marchia cum praedictis comitatibus, quos tres dicunt, iudicio principum ducatum fecit, Auch in der hieriiber am 17. September 1156 ausgefertigten Urkunde K. Friedrichs I. ( s Archiv fur osterreichische Geschichtsquellen", 8, 110) sagt dieser: Dux autem Baicarie resi- gnavit nobis marchiam Austrie cum omni iure suo et cum omnibus beneficiis, que quondam marchio Liupoldus habebat a ducatu Baicarie. Ueber die Lage der drei Graf- schaften siehe meine n Geschichte Osterreichs", 1, 250, N. 2 und gegen die abweichende Ansicht von Strnadt, Die Geburt des Landes ob der Enns, S. 66 if., die Recension vonBachmann (mit Replik und Duplik) in r Zeitschrift fur die osterreichischen Gym- nasien" 1888. 8 ) Strnadt a. a. 0., S. 91 ff. 8 Kloster Lambach dessen Rechte auf die Gerichtsbarkeit und die Zolle iu Wels. J ) Die noch iibrigen Theile des heutigen Landes ob der Enns, nament- lich ein grofier Theil des Traungaues, gehorten damals noch den Herzogen von Steierrnark und warden erst im Jahre 1254 mit Osterreich vereinigt. 2. Karnten und seine Marken (Steiermark, Krain, Istrien). 2 ) Karantanien oder Karnten, zu dem in altester Zeit aufier dem heutigen Karnten auch noch das 6'stliche Pusterthal und Steiermark mit dem Ennsthale bis unterhalb Steyr, im weiteren Sinne auch Krain, ge- horten, war schou unter den Karolingern wiederholt ein eigenes Ver- waltungsgebiet gewesen. Nach der Vernichtung der deutschen Herr- schaft iiber Pannonien und die Ostmark stand es unter dem Herzoge von Baiern, welcher die dortigen Grafen einsetzte. Als der Herzog Heinrich II. wegen seines Aufstandes gegen K. Otto II. 977 Baiern verlor, wurde dieses, urn es zu schwachen, ver- kleinert und Karnteu einem eigenen Herzoge iibertrageu, dem auch die Grafschaft Istrien und die Mark Verona bis zum Mincio und Po ver- liehen wurdeu. Doch vermochte in diesem mehr slavischen als deutschen Lande, wo es an jedem Stammesbewusstsein fehlte, kein Fiirstenhaus auf die Dauer festen FuB zu fassen. Das Herzogthum behielt hier viel langer als anderswo den Charakter des Keichsamtes, und es wurde bald dieser, bald jener damit belehnt. Erst gegen Ende des 11. Jahrhunderts gelang den Eppensteinern, welche 1077 von Heinrich IV. mit Karnten belohnt wurden, die Griindung einer Dyuastie. Doch erlosch ihr Ge- schlecht schon 1122, worauf K. Heinrich V. Karnten, aber ohne die Mark Verona, dem Grafeii Heinrich von Lavant aus der rheinfrankischen Familie der Grafen von Sponheim verlieh, dessen Nachkoinmen das Herzogthum bis zu ihrem Aussterben 1269 behaupteteu. Die Gewalt der Herzoge von Karnten wurde aber friih beschrankt, theils durch die Verleihuug ausgedehnter Gebiete, welche auch von der Gewalt der Grafen und Herzoge befreit wurden, an deutscheKirchen- fursten, 3 ) theils durch die Umwandlung der Grenzgebiete in eigene Marken. *) Die Belege in meiner B Geschichte Osterreichs", 1, 402. Vgl. Strnadt, S. 49, N. 115. 2 ) Naheres in meiuer n Gescluchte Osterreichs", 1, 207 if., wo auch die Special- literatur angegebeii ist. 8 ) So erhielt das Erzbisthum Salzburg theils schon unter den Karolingern, theils unter den spatereu sachsischen Kaisern Friesach, Gurk, St. Andra uud andere Guter im Lavaut- und Gortschitzthale, Sachsenburg an der Drau, Pettau mit Um- gebung, die Gegend von Leibnitz mit dem westlich davon sich hinziehenden Gebiete 9 Die ,,Karntner Mark", die im Osten Karantaniens an der mitt- leren Mur und oberen Kaab lag und, am Kothelstein sudlich von Bruck beginnend, im Siiden bis zuni Posruckgebirge, den Windischen Buheln und Kadkersburg reichte, *) wird zum ersteiimale 970 erwahnt, wo ihr Markward, der Stainmvater der Eppensteiner, yorstand. Sie wurde also wie die bairische Ostmark wahrscheinlich bald nach dem Siege auf dem Lechfelde eingerichtet. Markwards Sohn und Nachfolger Adalbero er- scheint (1006) auch als Graf im Ennsthalgau nordlich vom Kottenmanner Tauern und im sudostlich daran stoflenden Undrimathalgau zu beiden Seiten der Mur. Im Jahre 1035 wurde die Karntner Mark an Arnold, den Sprossen eines altbairischen. besonders um Wels und Lambach reich begiiterten Geschlechtes, verliehen. Neben ihm wird seit 1042 auch sein Sohii Gottfried als Markgraf genannt, welcher wahrscheinlich den Ungarn Ptitten jenseits des Semmering abnahm, in dessen Besitz er nach spateren Nachrichten gewesen ist. Da Gottfried 1050 ermordet wurde und sein Vater Arnold, der ihn n ur wenige Jahre iiberlebte, nur noch einen Sohn, Adalbero, Bischof von Wiirzbiirg, hatte, so verwendete er sein Stammschloss und einen Theil seiner Giiter zur Grunduug des Klosters Lambach. Wels und anderes kam an das Bisthuni Wiirzburg. Einen Theil der Allodialbesitzungen, namlich Piitten mit deni dazugehorigen Gebiete, erbten Gottfrieds Tochter Mathilde und deren Gemahl, der Graf Ekbert von Formbach und Neu- burg (am unteren Inn). Anderes kam an Arnolds Verwandten Ottokar, ebenfalls aus einem altbairischen Geschlechte, den der Kaiser auch mit der Karntner Mark belehnte, und zwar einschliefllich der Grafschaften an der Mur und Enns und der Grafeugewalt im Gebiete von Piitten zu beiden Seiten der Schwarza bis zur Piesting. 2 ) zwischen den Bachen Sulni und Lassuitz, endlich Admont imd andere Giiter im oberen Murthale. Das Bisthum Freisiug bekani (auCer Inniehen ini heutigeu Tirol) die ausgedehnte Herrschaft (Bischofs-) Laak in Krain, die Gegend um Polland sudlich von Gottschee und das Gebiet von NassenfuB bis an die uutere Gurk und die Sau, an der obereu Mur Katsch und in den benachbarten Seiteuthaleru Oberwolz und Lind. Das Bisthum Brixen wurde mit der ausgedehnten Herrschaft Veldes in Krain be- schenkt. Das von Heinrich II. gestiftete Bisthum Bam berg wurde mit Feldkirchen und dem ganzen Gebiete von Villach bis Pontebba, mit den Hochthalern westlich von Gurk, mit Wolfsberg und dem oberen Lavautthale, mit Bleiburg bis an die Grenze von Kraiii, mit Rottenmann uud anderen Giitern ausgestattet. *) Vgl. fur das Folgeade auch die Untersuchungen von Felicetti v. Lieben- fels, Steiermark vom 8. bis 12. Jahrhundert, im 9. und 10. Bande der B Beitrage zur Kunde steiermarkischer Geschichtsquellen" (mit Karten). 2 ) Wann die Verwaltung der Grafschaften Leoben uud Miirzthal dem Mark- grafeu ubertrageu wurde, ist unbekannt, da uach 1025 sich kein Graf rnehr nach- weiseu lasst, aber auch die Zugehorigkeit zur Mark nirgends erwahnt wird. 10 Die Nachkommen Ottokars I., welche spater neben ausgedehnten Besitzungen auch die Grafenrechte in einein grofien Theile des Traun- gaues innehatten, aber die Karntner Mark nicht lange behauptet und erst nach dem Aussterben der Eppensteiner (1122) wieder erlangt zu haben scheinen, *) nannten sich nach der Stirabnrg oder der Burg Steier am Zusammenflusse der Steier und Enns, wo sie langere Zeit residierteu, Markgrafen von Steier, bis endlich in der zweiten Halfte des 12. Jahr- hunderts dieser Name auch auf das von ihneu verwaltete Land tibertragen und dieses die Mark von Steier oder die Steiermark genannt wurde. Kamen diese Markgrafen wahrscheinlich infolge der Lehen, welche sie von den Herzogen von Baiern innehatten, in eine gewisse Abhangig- keit von diesen, so dass sie die Landtage derselben besuchen mussten, so erweiterten sie andererseits ihr Gebiet nach alien Kichtungen. 2 ) Der letzte Eppensteiner Heinrich von Karnten vermachte bei seinem Tode (1122) seinem Schwager Ottokar II. seine ausgedehnten Allodial- giiter, welche einen grofien Theil Obersteiermarks von Murau bis zum Semmering umfassten. Ottokars II. Enkel Ottokar III. erhielt 1148 nach dern Tode seines Oheims, eines Sponheimers. die Grafschaft oder ,,Mark an der Drati" (auch ,,Pettauer Mark") mit Marburg als Mittelpunkt und 1158 nach dem Ableben des Grafen Ekbert von Formbach-Putten, seines Verwandteu, die sogenannte Grafschaft Piitten zu beiden Seiten des Semmering. Nach dem Sturze Heinrichs des Lowen 1180 horte auch die Ab- hangigkeit der Steiermark von Baiern auf, indem K. Friedrich I. die alten Stammherzogthiirner Baiern und Sachsen in kleinere Territorial- herzogthiimer zersplitterte uud daher auch Steiermark zu einem reichs- unmittelbaren Herzogthume erhob. Langer blieben mit dem Herzogthume Karnten Krain und Istrien verbimden, in welch letzterem Lande einige Zeit der Herzog unmittelbar die Verwaltung fiihrte. Erst 1040 erhielt Krain einen eigenen Mark- grafen, 3 ) dessen Inhaber seit 1061 auch als Markgraf von Istrien er- scheiut. 1077, nach der Demiithigung Heinrichs IV. zu Canossa und der Wahl Eudolfs von Schwaben zum Gegenkonige, verlieh jener, um sich *) Dies hat J. v. Zahn, Styriaca, S. 7 if., wahrscheinlich gemacht. 2 ) Siehe meine w Geschichte Osterreichs", 1, 267 ff. 3 ) Meine in w Mittheilungen des Instituts", 6, 388 ff. hegriindete Aunahme, dass Krain damals wie friiher ein einheitliches Verwaltuugsgebiet gehildet habe, uicht in eine M Markgrafschaft tf (Unter- und Mittelkraiu) und eine r Grafschaft" Krain (Oberkrain) getheilt gewesen sei, muss ich trotz der Gegeubemerkungen Schumis im r Archiv fiir Heimatskunde", 2, 219 ff. aufrechthalten. Vgl. auch Mell, Die historische uud territoriale Entwicklung Krains vom 10. bis ins 13. Jahrhundert" (Graz, 1888), S. 7 ff., und ineiue Anzeige in n Mittheilungen des Instituts", 10, 145 ff. 11 die Unterstiitzung des Patriarchen von Aquileja zu verschaffen, der Kirche desselben die Grafschaften Friaul und Istrien uad die Mark Krain. Doch haben die Patriarchen nur Friaul und nach einer kurzen Unter- brechung (seit 1093) auch Krain dauernd zu behaupten vermocht. Istrien erhielt wieder eigene Markgrafen. und zwar kamen am Anfange des 12. Jahrhunderts die Sponheimer, 1173 durch Erbschaft das bairische Ge- schlecht der Andechser in den Besitz desselben. Erst 1208, als Heinrich von Andechs wegen angeblicher Theilnahme an der Ermordung Konig Philipps geachtet wurde, ward Istrien wieder dem Patriarchen von Aquileja zugesprochen. Doch mussten sich die Kiistenstadte Istriens nach einiger Zeit der Schutzhoheit Venedigs unterwerfen. Einen groflen Theil des Binnen- landes besafien spater, wohl als Lehen von Aquileja, die Schutzvogte dieser Kirche, die Grafen von Gorz, welche auch im Besitze ausge- dehnter Gebiete in Krain und Karnten (namentlich des Lessach- und Mollthales und der Stadt Lienz und des Virgenthales) erscheinen. Auch andere Ges*chlechter hatten in Krain uinfangreiche Besitzungen inne, so die Sponheimer Laibach, Krainburg und Landstrafl, die Andechser Stein und anderes. x ) Durch die Lostrennung der Marken und Grafschaften im Osten und Siiden wurde die Gewalt des Herzogs auf das heutige Karnten rait dem augrenzenden Theile Tirols beschrankt. Nur die Grafschaft oder, wie sie seit dem Beginne des 12. Jahrhunderts auch heifit, die Mark an der Sann (auch von Cilli), wie die Bezirke von Windischgratz und Murau gehorten damals noch zu Karnten, nicht zu Steiermark. 2 ) 3. Tirol. 3 ) Das ,,Land im Gebirge" war in der karolingischen Zeit und unter den Ottonen in rnehrere Grafschaften getheilt, von welchen die nordlichen zum Herzogthume Baiern gehorten, wahrend die ehemals langobardische Grafschaft Trient. die sich bis Bozen und am rechten Etschufer bis Meran erstreckte, zur Mark Verona gerechnet wurde. K. Konrad II. suchte die Alpenpasse in verlassliche Haude zu bringen, und da die Konige damals in den von ihnen ernannten Bischofen *) Vgl. mit meiner n Geschichte Osterreichs", 1, 547 auch Mell, S. 58 ff. und 134 ff. Zahlreiche zerstreute Notizen bei K rones, Die deutsche Besiedelung der ostlichen Alpenlander (Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, III, 5). 2 ) Felicetti a. a. 0., 9, 57 ff.; 10, 90 ff. 107 ff. s ) Naheres in meiner n Geschichte Osterreichs", 1, 500 ff. Vgl. J. Egger, Die Entstehung der Gerichtsbezirke Deutschtirols, r Mittheihmgen des Instituts", Ergauzungs- band 4, 373 ff. 12 eine Hauptstutze erblickten, so verlieh er 1027 dem Hochstifte Trient die Grafschaft Trient, die Grafschaft Bozen, die langs des Eisack bis Clausen und am linkeu Etschufer bis unterhalb Meran reichte. imd die Grafschaft Vintschgau, welche das obere Etschthal bis Pontalt im Engadein umfasste. Gleichzeitig belehiite der Kaiser den Bischof von Brixen init einer Grafschaft, die sich von Clausen durch das Eisackthal uber den Brenner ins Unterinnthal, abwarts bis zum Zillerflusse ausdehnte. 1091 verlieh Heinrich IV. dem Bischofe Altwin von Brixen, der im Kampfe mit den Papsten einer seiner treuesteu Anhanger war, die Grafschaft Pusterthal. So entstauden im heutigen Tirol zwei geistliche Fursten- th timer, das des Bischofs von Trient im Suden und Westen, das des Bischofs von Brixen in der Mitte gegen Norden und Osteu zu. Doch hatte dies keinen Bestand, weil die Bischofe diese Grafschaften nicht dauernd unter ihrer eigenen Verwaltung behielteu, soudern weltliche Grofle darnit belehnten. Die Bischofe von Trient liefien nur den grofleren (italienischen) Theil der Grafschaft Trieiit durch ihre Beamten verwalten. In der Grafschaft Bozen finden wir seit 1074 Grafen, die gemeinsam mit dem Bischofe auch die sogenannte Grafschaft Eppau, den deutschen Autheil der Grafschaft Trient, besafien. Die Grafschaft Vintschgau mit der Vogtei uber das Hochstift Trient erhielt vor 1130 ein Edelmanu Nameus Adalbert, dem der Bischof von Brixen schoii friiher eine Grafschaft, wahrscheinlich die im Eisackthale, verliehen hatte. Seine Sohne nannteii sich seit ungefahr 1140 nach einer ihrer Burgeu bei Meraii Grafen von Tirol. Sein Enkel Heiurich erhielt urn 1170, vielleicht uach dem Absterbeu eines Zweiges der Grafen von Eppan, voin Bischofe auch den Mitbesitz der Grafschaft Bozen. Die Bischofe von Brixen behaupteteu ein noch beschrankteres Ge- biet als jene von Trient, weil sie alle ihre Grafschaften weiter verliehen, und zwar den grofieren Theil, jene im Unterinnthale und Pusterthale, um 1165 an die ohuehin schoii sehr machtigen Grafen von Andechs, die in Sudbaiern und Franken mehrere Grafschafteu besafien, 1158 auch Scharding und Neuburg am unteren Inn erbten uud 1173 vom Kaiser noch mit Istrieu und der Mark Krain belehnt wurden. Nach der Ab- setzung Heinrichs des Lowen 1180 wurdeu sie auch von der Abhangig- keit vom Herzoge von Baiern befreit, worauf ihr altestes Glied den Titel ,,Herzog von Dalmatieu" oder ,,von Meranieu". d. h. dem Laude am Meere, annahm, dem freilich keiue wirkliche Herrschaft entsprach, da ihn uur K. Friedrich I. geschaffen hatte, wahrscheinlich um die An- sprtiche auf die Kustengebiete sudlich von Istrien zu erneuern, die einst zum fra'nkischen Eeiche gehort hatten. Die Gewalt des Bischofs von Brixen blieb auf seine Residenzstadt und deren Urngebung, das Thai Fassa und Theile von Enneberg und Pusterthal (mit Bruneck), beschrankt. 13 So waren am Ende des 12. Jahrhunderts die meisten Grafschaften der Hochstifter Trient tmd Brixen an die Geschlechter der Tiroler und Andechser gekommen. Dass auch dieser Dualismus beseitigt und der groflte Theil des ,,Landes im Gebirge" zu einem Ganzen vereinigt wurde, ist vorzuglich das Werk des Grafen Albert von Tirol, des Urenkels Adalberts, von dessen Stammburg das Land daher mit Recht den Namen erhalten hat. Da er keine Sohne, sondern nur zwei TSchter hatte, von denen eine mit dem Grafen Meinhard von Gorz, die andere mit dem Herzoge Otto II. von Meranien vermahlt war, so suchte er seinen Tochtern und Schwieger- sohnen nicht blofi den Besitz seiner Eigenguter, sondern auch seine weit umfangreicheren Lehen zu sichern. In der That verlieh ihm der Bischof von Trient 1240 die Lehen seiner Kirche nicht blofi fur seine mann- lichen, sondern auch fur seine weiblichen Erben. Der Bischof von Brixen wurde 1241 mit Waffengewalt gezwungen, den Grafen Albert und seinen Schwiegersohn Otto II. von Meranien mit den Stiftsgutern, die jeder einzelne besafi, gemeinsam zu belehnen, so dass die Vereinigung der meisten Brixner Lehen in einer Hand nur noch eine Frage der Zeit war. Sie erfolgte schon 1248, als mit Otto II. das Geschlecht der Andechs- Meraner in mannlicher Linie erlosch. Albert von Tirol besafi jetzt die Grafschaft Vintschgau und sehr viele Giiter und gemeinschaftlich mit dem Bischofe die Grafschaft Bozen als Lehen vom Hochstifte Trient, die Grafschaften im Eisack-, Puster- und Unterinnthale mit der Stiftsvogtei als Lehen des Bisthums Brixen. Als er 1253 starb, fielen seine sammtlichen Besitzungen an seine Schwieger- sohne, die Grafen Meinhard von Gorz und Gebhard von Hirschberg, der die Witwe Ottos von. Meranien geheiratet hatte. Sie theilten die- selben 1254 in der Weise, dass die Herrschaften in Nordtirol. und im Eisackthale oberhalb der heutigen Franzensfeste an Gebhard von Hirsch- berg, -die ubrigen an Meinhard von Gorz kamen, der dann den Bischof von Trient zwang, ihm auch die Lehen der um diese Zeit ausgestorbenen Grafen von Eppan zu verleihen, so dass er den grofiten Theil der Be- sitzungen der fast gleichzeitig erloschenden Grafen von Tirol, Andechs und Eppan, in seinen Handen vereinigte. Seine Sohne Meinhard und Albert, die bei seinem Tode 1258 seine Herrschaften erbten, erhielten auch noch die ubrigen. Denn, da die Gemahlin Gebhards von Hirschberg 1256 kinder- los gestorben war, so erhoben sie als Sohne der einzigen noch lebenden Tochter Alberts von Tirol auf das Erbe derselben Anspruch. Gebhard trat ihnen dasselbe 1263 ab bis auf einige Herrschaften im Innthale, die Meinhard 1284 durch Kauf an sich brachte. Meinhard II. und Albert theilten aber 1271 ihre Besitzungen in der Weise, dass. ersterer alles erhielt. was westlich von der Miihlbacher Clause 14 (zwischen Bruneck und der Franzensfeste) lag, wahrend die gorzischen Besitzungen mit den tirolischen Herrschaften im Pusterthale seinem Bruder zufielen. Meinhards II. Bemtihungen giengen dahin, einerseits den Bischof von Trient, seinen Lehensherrn, von sich abhangig zu machen, anderer- seits seine tirolischen Besitzungen zn arrondieren und zu einem ge- schlossenen Territormm zu machen, indem er die Herrschaften der in Tirol begiiterten Grafen und Herren durch Kauf erwarb oder es durch- setzte, dass erledigte Keichs- und Kirchenlehen ihm verliehen wurden. Mit seiner Gemahlin Elisabeth, der Witwe Konrads IV., erhielt er von ihrem Sohne Konradin im Tauschwege auch einen grofien Theil des Ober- innthales, wo er anderes kauflich an sich brachte. Durch die Beiimhungen der Grafen Albert von Tirol und Meinhards II. von Gorz war die Macht der Bischofe von Trient und Brixen gebrochen, die Theilung des n Landes im Gebirge" in zwei geistliche Furstenthiimer beseitigt und daselbst ein weltliches Gebiet, die w Herrschaft Tirol", gebildet. *) b) Die Vereinigung der deutsch-osterreichischen Lander. I. Die Vereinigung der Steiermark mit Osterreich und die ersten Erwerbungen in Friaul und Krain. Die selbstandige Stellung Steiermarks horte schon mit dem Tode des ersten Herzogs, Ottokars IV., wieder auf. Da dieser ohne Kinder war und, weil er am Aussatze litt, auch keine Aussicht hatte, solche zu erhalten, so beschloss er, Steiermark dem Herzoge Leopold V. von Osterreich (1177 1194) zu verschaffen, und zwar, wie er in der Ver- machtnisurkunde von 1186 sagt, weil Osterreich und Steiermark, als benachbart, besser von einem Fiirsten regiert wurden. Allerdings konnte Ottokar tiber sein Land und die herzogliche Wurde nicht beliebig ver- fiigen, weil diese Keichslehen waren und nach seinem kinderlosen Tode an das Reich zuruckfielen. 2 ) Aber wenn er dem Herzoge Leopold seine ausgedehnten Allodialgiiter tmd seine zahlreichen Dienstmannen wie die *) Comitatus et dominium Tyrolense" kommt in diesem allgemeinen Sinne zu- erst in der Theilungsurkunde von 1271 (F. E. Austr., Dipl. 1, 119) vor. Doch hat dieser Ausdruck noch nicht allgemeinere Anerkennung gefunden. Noch im 14. Jahrhunderte wird das Land gewohnlich als n Grafschaft Tirol, das Land an der Etsch und im Inn- thai" bezeichnet. 2 ) Ganz richtig unterscheidet dies die Contin. Zwetl. II. in Mon. Germ. SS. 9, 543 ad 1186, wenn sie sagt: Dux Styrensis omnem Jiereditatem testatus est Liupoldo dud Austrie; imperator etiam terram et ducatum sibi ipsius contra- didit. Uber das Ganze siehe meine n Geschichte Osterreichs", 1, 270 ff. 15 unter seiner Vogtei stehenden Kloster vermachte, so hatte derselbe eine so feste Stellung im Lande, dass ein aiiderer sich schwer als Herzog neben ihin hatte behaupten konnen. Doch scheinen seit 1184 auch Unter- haudlungen mit dem Kaiser stattgefunden zu haben, und nachdein dieser wahrscheinlich seine Zustimmung gegeben hatte, setzte Ottokar am 17. August 1186 den Herzog Leopold und dessen alteren Sohn Friedrich zu Erben ein, indem er verfiigte, dass jener von Leopolds Nachkommen, der Osterreich innehatte, auch Steiermark besitzen, also beide Lander nie mehr getrennt werden sollten. Ottokar starb schon im Mai 1192, und noch im namlichen Monate warden Leopold V. und sein Sohn Friedrich vom Kaiser Heinrich VI. mit Steiermark belehnt. Schon die Ottokare hatten auch Outer in Friaul, namentlich Cordenous, und das Schenkenamt des Patriarchates Aquileja erworben. Leopold VI. brachte durch Kauf Portenau oder Pordenone an sich. Leopold VI. war auch der erste Herzog von Osterreich, der in Krai n festen Fufi fasste, indem er vom Bischofe von Freising ausgedehnte Giiter im siidostlicheii Krain (zwischen Nassenfufi, St. Canzian und Neu- stadtl oder Rudolfswerth) kaufte. Sein Sohn Friedrich II. (12301246) nahm 1232 sogar den Titel r Herr von Krain" (dominus Carniole) an, was vielleicht dadurch veranlasst wurde, dass seine Gemahlin Agnes, Tochter des Herzogs Otto I. von Meranien und Nichte des Markgrafen Heinrich von Istrien, in diesem Lande ausgedehnte Besitzungen als Mit- gift erhielt. 1 ) 2. Die Zwischenregierung Ottokars II. von Bbhmen 2 ) und deren Folgen fur die territoriale Entwicklung. Mit dem Herzoge Friedrich II., der in einer Schlacht gegen die Ungarn am 15. Juni 1246 sein Leben verlor, erlosch der Mannsstamm der Babenberger, und die Herzogthiimer Osterreich und Steiermark fielen als erledigte Reichslehen an den Kaiser zuruck. Denn nach den Grundsatzen des damaligen Reichslehenrechtes giengen die Lehen nur vom Vater auf den Sohu, in Osterreich nach einem 1156 erhaltenen und noch 1245 bestatigten kaiserlicheii Privileg auch auf Tochter uber. Friedrich II. hinterliefi jedoch nur Seitenverwandte, welche nur die Allode erben konnten, namlich eine Schwester Margareta, Witwe des 1242 verstorbenen romischen Konigs Heinrich (VII.), eine Nichte Gertrud, Tochter seines 1228 verstorbenen Bruders Heinrich, und zwei Neffen, *) Siehe meine n Geschichte Osterreichs", 1, 268. 402. 404. 2 ) Siehe meine B Geschichte Osterreichs", 1, 514 if. und die dort aiigefuhrte Literatur. 16 Sohne seiner Schwester Constanze, welche mil dem Markgrafen yon Meifien vermahlt gewesen war. Aber K. Friedrich II. war damals in einen Kampf auf Leben und Tod mit den italienischen Stadten und mit dem Papste Innocenz IV. verwickelt und konnte daher den siidostdeutscheu Herzogthiimern nur geringe Aufmerksamkeit zuwenden. Zwischen der kaiserlichen und papst- Jichen Partei brach bald ein wilder Kampf aus, in welchem diese Lander furchtbar verwiistet warden. Der Markgraf Hermann von Baden, der im Jahre 1248 die Babenbergerin Gertrud heiratete, errang zwar end- lich in Osterreich einige Erfolge, vermochte aber die kaiserlich gesinnten Adeligen nicht zu unterwerfen. Als er 4. October 1250 starb, zwei Mo- nate spater auch Kaiser Friedrich II. aus dem Leben schied und im Herbste 1251 der Konig Konrad IV., Deutschland aufgebend, nach Ita- lien zog, waren Osterreich und Steiermark ganz sich selbst (iberlassen und wurden nicht blofi durch innere Kampfe zerfleischt, sondern auch durch die Ungarn von Osten, die Baiern von Westeii angegriifen. Da luden einige osterreichische Adelige den Markgrafen Ottokar von Mahren, Sohn Wenzels I. von Bohmen, zur Besitznahme des Landes ein. 1 ) Da er auch der Unterstutzung der Bischofe sicher war, so nahm er den Titel eines Herzogs von Osterreich an, drang in der ersten Halfte des November 1251 mit einem Heere in Osterreich ein und nahm das Land bis zum Semmering ohne Widerstand in Besitz. Dagegen fiel Steiermark groflentheils in die Hande Belas IV. von Ungarn, der in den nachsten Jahren auch Osterreich angriff. Der Krieg wurde eudlich unter papstlicher Vermittlung durch den Ofner Frieden vom 3. April 1254 beendet, nach welchem Ottokar, der im September 1253 seinem Vater auch in Bohmen gefolgt war, Osterreich, Bela aber Steiermark behielt. Doch wurde der Theil, der nordlich vom Semmering und dem von da westwarts sich hinziehenden Gebirge liegt, also Wiener-Neustadt und Putten im Osten, der Traungau im Westen, an Ottokar abgetreten und zu Osterreich geschlagen, welches damals zu- erst gegen Su'den seine heutige Grenze erhielt. Die steirischen Adeligen erregten aber schon im Jahre 1258 gegen die Ungarn einen Auf stand, den Ottokar unterstiitzte, und nach der Niederlage bei Kroissenbrunn (12. Juli 1260) musste Bela IV, im Press burger Frieden auf ganz Steiermark verzichten. Wenige Jahre darauf brachte Ottokar auch das dritte der sudost- deutschen Herzogthumer, Karnten, in seine Gewalt, indeni er es durch- a ) 2)er ndbiles ducatus earundem comites et barones . . . invitati sagt Ottokar selbst in einer Urkunde vom 29. April 1253, womit auch der gleichzeitige Herm. Altah., Mou. Germ. SS. 17, 393 iibereinstimmt. 17 setzte, class der kinderlose Herzog Ulrich, sein Vetter, ihn zu seinem Erben einsetzte. Dieser war zwar nicht befugt, fiber seine Lehen, beson- ders das Herzogthum, zu verfiigen, und der ro'mische Ko"nig Wilhelm hatte schon 1249 gerneinsam mit Ulrich auch dessen Bruder Philipp belehnt und diesem eventuell die Nachfolge zugesichert. Aber Ottokar kiimmerte sich weder um die Kechte Philipps, noch um die Reichsgewalt. welche damals in Eichard von Cornwallis nur einen schwachen Vertreter hatte. Als Ulrich am 27. October 1269 starb, nahm er Karnten und die dazu gehorigen Theile von Krain mit Waffengewalt in Besitz. Damit hatte das Gebiet Ottokars die groflte Ausdehnung erreicht. Sein Keich erstreckte sich iiber den ganzen Osten Deutschlands vom Erz- und Eiesengebirge bis zum adriatischen Meere und umfasste den gro'fiten Theil des heutigen Osterreich diesseits der Leitha. 3. Die Erwerbung Osterreichs durch das Haus Habsburg. Die Vorlande in Schwaben. Nachdem Deutschland mehrere Jahrzehnte eines allgemein aner- kannten Oberhauptes entbehrt hatte, ja seit 1257 zwei Konige, Richard von Cornwallis und Alfons von Castilien. sich gegenfibergestanden, wurde von den Kurfursten, welche jetzt das ausschlieflliche Wahlrecht besafien, am 1. October 1273 der Graf Rudolf von Habsburg auf den Thron erhoben. Dieser sah es fur eine seiner wichtigsten Aufgaben an, die Rechte des Reiches nach alien Seiten zur Geltung zu bringen, den bohmischen Konig, der ihm seine Anerkennung verweigerte, zum Gehorsam zu zwin- gen und ihm die Lander wieder abzunehmen, deren sich dieser wahrend des Zwischenreiches bemachtigt hatte. l ) Ein Reichstag in Nfirnberg entschied am 19. November 1274, dass der Konig das Recht habe, alle Besitzungen, die Kaiser Friedrich II. vor seiner Absetzung (1245) unbestritten iunegehabt habe, und alle seit dieser Zeit dem Reiche heimgefallenen Gebiete an sich zu ziehen, und dass der Konig von Bohmen, weil er vom romischen Konige fiber Jahr und Tag seine Lehen nicht empfangen, alle Rechte darauf verwirkt habe. Durch die erste Entscheidung waren dem bohmischen Konige die wahrend des Zwischenreiches occupierten Reichslander, namentlich die drei sfidost- deutschen Herzogthumer abgesprochen. Irn Februar 1275 wurde dann von *) Vgl. mit meiner n Geschichte Osterreichs", 1, 592 ff. die eingehenden Unter- suchungen von Pliischke, Das Eechtsverfahren Rudolfs von Habsburg gegen Ottokar von Bohmen (Bonn 1885), ZeiBberg, Uber das Eecb.tsverfab.ren Eudolfs von Habs- burg gegen Ottokar von Bohmen iua w Archiv fiir osterreichische Geschichte", 69, 1 ff., der maiiche Behauptuugen des ersteren widerlegt, und Eedlich, Die Anfange K. Eudolfs I. in n Mittheilungen des Instituts fiir osterreichische Geschichtsforschung", 10, 381 ff. Hnber. Osterreichische Beichsgeschichte. 2 18 Rudolf der Bruder des letzten Herzogs von Karnten, Philipp, erwahlter Patriarch von Aquileja, mit alien ihm zustehenden Landern und Eechten belehnt. Spater ward Ottokar, da er auf wiederholte Vorladung nicht erschien, geachtet uud auch seiner Erblande verlustig erklart. Wegen der Lauheit der meisten deutschen Fursten konnte der Reichskrieg gegen Ottokar erst im Sommer 1276 eroffnet werden. Wah- rend Rudolfs Freimd Meinhard von Tirol und dessen Bruder Albert von Gorz Karnten, Krain und Steiermark einuahmen, griff der Konig selbst Osterreich an und drang bis Wien vor, wo am 21. November Friede geschlossen wurde. Ottokar verzichtete auf Osterreich, Steiermark, Karnten und Krain und auf das wahrend des Zwischenreiches besetzte Eger, wogegen ihn Rudolf mit Bohmen und Mahren belehnte. Als jener 1278 den Krieg erneuerte, verlor er gegen Rudolf und die mit diesem verbiindeten Ungarn am 26. August bei Diirnkrut an der March Schlacht und Leben. Da im Jahre darauf auch Philipp von Karnten ohne Erben aus dem Leben schied, so waren alle drei sudostdeutschen Herzogthumer dem Reich e ledig. Konig Rudolf suchte diase seinen Sohnen zu ver- schaffen, weil er sie nach den damaligen Grundsatzen des deutschen Staatsrechtes nicht dauernd in seinen Handen behalten durfte und die Griindung einer Hausmacht den besten Ersatz bieten konnte fiir den Verlust der Reichsgiiter, welche seit der Doppelwahl des Jahres 1198 und dem damit beginnenden Verfalle der koniglichen Gewalt rneist von den Fursten in Besitz genommen worden waren. Er bewog die benach- barten Bischofe, seinen Sohnen die ausgedehnten Besitzungen zu uber- tragen, welche die Babenberger von ihren Kirchen zu Lehen gehabt hatten. Er blieb auch nach dem Falle Ottokars noch fast drei Jahre in Osterreich, um die Bewohner an die habsburgische Herrschaft zu ge- wohnen, und tibertrug dann seinem altesten Sohne Albrecht als Reichs- verweser die Verwaltung Osterreichs und Steiermarks, nachdem er in Karnten schon friiher den Grafen Meinhard von Tirol als Statthalter eingesetzt hatte. Als er sich dann die nothwendige Zustimmung der Kurfiirsten verschafft hatte, belehnte er kurz vor Weihnachten 1282 auf einem Reichstage in Augsburg seine Sohne Albrecht und Rudolf mit Osterreich, Steiermark, Karnten und den dazu gehorigen Theilen von Krain. J x ) Bester Abdruck der Urkunden nach dem Origiuale bei H. v. ZeiBberg, Eudolf von Habsburg und der osterreichische Staatsgedanke. n Festschrift zur sechshundert- jahrigeii Gedenkfeier der Belehuung des Hauses Habsburg", S. 36 ff. Sie tragt das Datum 27. December. Aber wie a. a. 0. gezeigt ist, muss die Belehuuug schon zwischen dem 17. und 23. December erfolgt sein Uber die vorausgehenden Verhaudlungen wie iiber die Karntner Frage vgl. Eedlich, Zur Geschichte der osterreichischen Frage unter K. Eudolf I. B Mittb.eilungen des Instituts". Erganzungsband 4, 133 ff. 19 Doch verlieh K. Rudolf Karnten am 1. Februar 1286 dem Grafen Meinhard von Tirol, nachdem er ihm Krain mit der sogenannten windischen Mark schon friiher als Pfand fibertragen hatte. Neben den Herzogthiimern Osterreich und Steiermark besafien die Habsburger auch in Schwaben zu beiden Seiten des Oberrheins aus- gedehnte Gebiete, welche theils Reichs- oder Kirchenlehen, theils Eigen- giiter waren. Die Landgrafschaft Oberelsass, die Grafenrechte im Aar- gau, Ziirichgau und Thurgau, also von der Aar bis zum Boden- und Wallenstadtersee, vom Rheine bis an die Sudgrenze von Unterwalden und Schwyz, die Vogtei fiber das Kloster Seckingen, namentlich das diesem gehorige Thai Glarus und fiber die zahlreichen Herrschaften des elsassischen KJosters Murbach in der heutigen Schweiz, dann am rechten Rheinufer Gfiter im Breisgau und im Schwarzwald hatte Rudolf schon bei seiner Thronbesteigung in seinem Besitz. Spater kauften theils er, theils seine Sohne von der jungeren, habsburg-laufenburgisehen Linie Freiburg im Ochtland (1277), vom Kloster Murbach die Stadt Luzern (1291), dann mehrere Stadte und Herrschafteu irn sfidlichen Schwaben, besonders an der oberen Douau, wo 1301 auch die Markgrafschaft Burgau erworben wurde. *) Die Verbindung der 6'stlichen und westlichen Landergruppe wurde durch die Erwerbung Karntens und Tirols erleichtert. 4. Die Yereinigung Karntens und Tirols mit Osterreich. Der Mannsstamm des Hauses Gorz-Tirol, das 1286 mit dem Herzogthum Karnten belehnt worden war, erlosch schon nach einein halben Jahrhundert, da Meinhards Sohn Heinrich keine Sohne, sondern nur zwei Tochter hinterliefl, von denen wegeu der Kranklichkeit der alteren nur die jtingere. Margareta, welche 1330 den bohniischen, Prinzen Johann Heinrich heiratete, als Erbin der Eigenguter und Weiberlehen in Betracht kam. 2 ) 'Zwar verlieh Ludwig der Baler 1327 beim Antritte seines Zuges nach Italien, wohin er am leichtesten durch Tirol gelangen konnte, dem Herzoge Heinrich das Privileg, dass ihm in Ermangluug von Sohnen seine Tochter oder Bruderstochter oder ein Gemahl derselben auch in den Reichslehen, also namentlich im Herzogthume Karnten, sollten nachfolgen dfirfen, und dieses Privileg erneuerte er ihm bei seiner Ruck- *) Em freilich nicht ganz liickenloses Verzeichnis aller Besitzungen iu Schwaben und ihrer Ertraguisse gibt das 1303 begoimene n Habsburg.-6sterreichische Urbar- buch", herausgegeben von Pfeiffer, Stuttgart 1850 (Literarischer Verein). Vgl. meine n Geschichte Osterreichs", 1, 584 ff.; Stalin, Wiirteinbergische Geschicbte, 3, 41 ff. 108 ff. 2 ) tiber das Folgende siehe meine n Geschichte der Vereiniguug Tirols mit Osterreich und der vorbereitenden Ereiguisse", S. 7 ff., und B Geschichte Osterreichs", 2, 152 ff. 163 ff. 2* 20 kehr nach Deutschland 6. Februar 1330. Aber Ludwig brach sein feier- liches Versprechen, als er der Unterstiitzung Heinrichs nicht mehr zu bedurfen glaubte. Am 26. November 1330 schloss er mit den Herzogen von Osterreich einen geheimen Vertrag, wonach er dieselben nach dem Tode Heinrichs mit Karnten belehneu, sie aber ihm zur Eroberung Tirols Beistand leisten sollten. Als nun der Herzog Heinrich am 2. April 1335 aus dem Leben schied, wurden seine Tochter Margareta (Maultasch) und deren Ge- mahl Johann Heinrich zwar von den Tirolern und Karntnern als Herren anerkaunt. Kaiser Ludwig aber belehnte die Herzoge Otto und Albrecht II. von Osterreich am 2. Mai in Linz nicht blofl mit Karnten, sondern ver- lieh ihnen auch Siidtirol, wahrend das Innthal und obere Eisackthal an die Sohne des Kaisers fallen sollten. Da Johann Heinrich ein Knabe von erst dreizehn Jahren war, sein Vater Konig Johann von Bohmen aber in Paris an den bei einem Tur- niere erhaltenen Wunden darniederlag, also zur Vertheidigung der ge- fahrdeten Lander fast nichts geschah, so leisteten die Karntner den Herzogen von Osterreich schon anfangs Juni ohne Widerstand die Hul- digung. Krain, das den Herzogen von Karnten nur verpfandet gewesen war, hatte noch friiher die 6'sterreichische Herrschaft anerkannt. Erst Ende Juli kam Konig Johanu nach Bohmen zuriick. Nachdem er zunachst eiuen Waifenstillstand bis zum 24. Juni des folgenden Jahres zustande gebracht hatte, machte er umfassende Rustungen, schloss Biindnisse mit den Konigen von Polen und Ungarn, wie mit dem Herzoge Heinrich von Niederbaiern, seinem Schwiegersohne, und griif dann im folgenden Marz. noch vor Ablauf des Waffenstillstandes, Osterreich an. Aber weder hier noch in Baiern, wohin er sich spater wendete, ver- mochte er entscheidende Erfolge zu erringen. Andererseits schlugen die Tiroler imter dem Markgrafen Karl von Mahren, dem alteren Sohne des Bohmenkonigs, alle. Angriife auf ihr Land zuruck. Da so die Hoffnung des Kaisers, seinem Hause Nordtirol zu er- werben, vereitelt ward, verlangte er von den Herzogen von Osterreich zum Ersatz der Kriegskosten vier oberosterreichische Stadte, und als diese eine solche Forderung abschlugen, zog er sich ganz vom Kriege zuriick. Ohne die Unterstiitzung des Kaisers hatten aber die Herzoge von Osterreich ebensowenig Hoffnung, das ihnen zugesicherte Sudtirol zu erobern. als die Luxemburger, den Osterreichern Karnten wieder zu entreiflen. Konig Johann von Bohmen und die Herzoge von Osterreich schlossen daher am 9. October 1336 den Frieden von Enns, der den augenblicklichen Besitzstand anerkannte. Die Herzoge von Osterreich ver- zichteten auf Tirol und die Gebiete an der Drau vom salzburgischen Sachsenburg aufwarts (namentlich Greifenburg), der Konig Johann fur 21 sich und seineii gleichnamigen Sohn und dessen Gemahlin auf Karnten und Krain, welche so dem Hause Habsburg bleibend gesichert waren. Wenige Jahre spater verloren die Luxemburger auch Tirol. Margareta Maultasch war mit ihrera Geraahle, einera rohen Jiinglinge, von dem sie keine Nachkommenschaft zu erhalten furchtete, ebenso imzufrieden wie die tirolischenAdeligen mit der Regentschaft Karls von Mahren, der eine strenge Aufsicht fiber die Finanzverwaltung einfiihrte, Unterschleife bestrafte und einigen Bohmen grofien Einfluss einraumte. Margareta und ihre Vertrauten setzten sich nun mit dem Kaiser ins Einvernehmen und vertrieben anfangs November 1341 den Herzog Johann aus deni Lande. Am 10. Februar 1342 feierte Marga- reta mit des Kaisers altestein Sohne, dem verwitweten Markgrafen Lud- wig von Brandenburg, auf deni Schlosse Tirol Hochzeit, indem man ihre Ehe mit Johann von Bohmen als ungiltig betrachtete, weil sie nie vollzogeu worden sei. Der Kaiser verlieh ihm zugleich mit seiner Ge- mahlin ihre Reichslehen. Aber auch die wittelsbachische Herrschaft in Tirol dauerte nicht lange. *) Die Kinder, welche Margareta Maultasch ihrem zweiten Gemahl gebar, wurden alle von eiuem friihen Tode hinweggerafft bis auf einen einzigen Sohn, Meinhard III., dessen Gesundheit ebenfalls keine feste gewesen zu sein scheint. Starb auch dieser ohne Nachkommen, so musste Tirol wieder an Margareta, die eigentliche Erbin des Landes, zuriickfallen, wenn sie, wie dies dann wirklich geschah, ihren Sohn wie ihren Gatten tiberlebte. Schwieriger war die Beantwortung der Frage, wer dann als Erbe Margaretas zu betrachten sei. Auf ihre Eigengiiter konnten vor alien die Herzoge von Oster- reich Anspruche erheben, da Albrechts II. Mutter und Margaretas Vater Geschwister waren. Aber wie die Habsburger auf ihre nahe Verwandt- schaft, so konnten sich die Grafen von Gorz auf einen Familienvertrag berufen, da 1271, als Meinhard II. und ^sein Bruder Albert ihre Be- sitzungen theilten, bestimmt worden war, dass, wenn der eine von ihnen ohne Erben mit Tod abgienge, alle seine Besitzungen, Leheu wie Alode, an den anderen oder dessen Erben fallen sollten. Nicht weniger unklar war die Rechtsfrage bezuglich der Nachfolge in den Lehen. Da nach dem damaligen deutschen Lehenrechte nur die Nachkommen des letzten Besitzers, nicht aber Seitenverwandte Anspruche hatten, so mussten dieselben nach Margaretas Tode an die Lehensherren zuriickfallen. Aber man hatte vergessen, dass die meisten Gebiete des a ) Eiugehend habe ich uber das Folgende in meiner n Geschichte der Vereinigung Tirols mit Osterreicb", S. 53 ff., kiirzer in ^Geschicbte Osterreichs", S. 268 ff. gehandelt. 22 damaligen Tirol Lehen der Bischofe von Trient und Brixen waren, man hatte in letzter Zeit Tirol als Reichslehen angesehen, und es war zu er- warten, dass Karl IV. diese Auffassung benutzen wurde, um Tirol wieder seinem Hause zuzuwenden. Endlich konnte man leicht voraussehen, dass die Bruder Ludwigs des Brandenburgers als nachste Verwandte des- selben und seines Sohnes auch auf Tirol Anspriiche erheben und schon den Riickfall desselben an Margareta bekampfen wurden. Bei dieser Unklarheit der Rechtsverhaltnisse war vorauszusehen, dass unter den zahlreichen Pratendenten derjenige den Sieg davontragen wurde, der sich am schnellsten in den Besitz des Landes zu selzen und zur Be- hauptung desselben auch die nothwendige Macht zu entfalten ver- mochte. Dies erkannte am klarsten Albrecht II. von Osterreich, der nicht bloIJ einzelne einflussreiche Personen des Landes in sein Interesse zu ziehen, sondern auch das regierende Haus auf das engste an sich zu ketten wusste. Er vermittelte zwischen dem Markgrafeu Ludwig und dem Kaiser Frieden, vermahlte seine Tochter Margareta mit dem Prinzen Meinhard und ver- wendete sich beim Papste mit Erfolg fur die Lossprechung Ludwigs und seiner Gemahlin vorn Banne. in den sie wegen ihrer scandalosen Heirat gefallen waren. Als Albrecht 1358 starb, fuhrte sein Sohn Rudolf IV. die Unterhandlungen hieriiber zuende. Am 2. September 1359 wurden Ludwig und seine Gemahlin in Miinchen durch die papstlichen Bevoll- rnachtigten absolviert, ihre Ehe kirchlich anerkannt und eingesegnet, ihre Kinder legitimiert. Am namlichen Tage vermachte Margareta dem Her- zoge Rudolf und seinen Briidern als ihreu nachsten Verwandten und Erben das Land Tirol fur den Fall, dass sie, ihr Gemahl und ihr Sohn ohiie leibliche Erben mit Tod abgiengen. Zwei Jahre darauf, im September 1361, starb Ludwig, und schon am 13. Janner 1363 folgte ihm sein Sohn Meinhard III. in einem Alter von etwa achtzehn Jahren im Tode nach. Wahrend nun Oberbaiern, das Ludwig 1351 bei den Theilungen mit seinen Briidern gegen Brandenburg erhalten hatte, an die Wittels- bacher, Meinhards Oheime, zuriickfiel, wurde in Tirol Margareta als Herrin anerkannt. Die Wittelsbacher erhoben zwar Anspriiche auf dieses Land, konnten aber langere Zeit nichts thun, um sie durchzusetzen, weil wegen des Besitzes Oberbaierns unter ihnen selbst Streitigkeiten aus- brachen. Um so thatiger war Rudolf IV. von Osterreich, um seine Rechte zur Geltung zu bringen. Er diirfte von seiner Schwester Margareta von dem bedenklichen Zustande ihres Gemahls Nachricht erhalten haben und entschloss sich Anfangs Janner 1363 zu einer Reise nach Tirol, wo 23 er wenige Tage nach Meinhards III. Tode ankam 1 ) und rait der Mark- grafin Margareta in Bozen zusammentraf. Er setzte es durch, dass diese am 26. Janner ihm und seinen Briidern als ihren Erben durch eine r ewige unwiderrufliche Gabe, die man nennet unter den Lebenden" alle ihre Be- sitzungen abtrat und ihnen schon jetzt die Huldigung leisten liefi, in- dem sie sich nur den lebenslanglichen Besitz vorbehielt. Als aber die Wittelsbacher Tirol ernstlich bedrohten und zur Be- hauptung dieses Landes eine kraftigere Personlichkeit nothwendig schien, liefl sich Margareta von Kudolf, der neuerdings nach Tirol gekommen war, bewegen, am 2. September 1363 gegen Anweisung mehrerer Schlosser und reichlicher Einkfinfte auch die Eegierung niederzulegen und zu Gunsten der Herzoge abzudanken. 2 ) Der BischofvonBrixen hatte schon am 5. Februar den Herzogen von Osterreich die Lehen verliehen, welche die letzten Landesherren seit Meinhard II. besessen hatten. Noch viel weiter gieng der Bischof von Trient, welcher der Ver- wendung des Herzogs Albrecht II. seine Wurde verdankte. Einem seiner Vorganger war wegen der Unterstiitzung K. Karls IV. bei einem Angriff auf Tirol (1347) das ganze Gebiet weggenomrnen worden, und Rudolf IV. versprach jetzt dessen Zuriickgabe nur unter solchen Bedingungen, welche beinahe einer Secularisierung des Hochstiftes gleichkamen. Der Bischof und das Domcapitel versprachen fur sich und ihre Nachkommen, den Herzogen von Osterreich als Herren zu dienen und Hilfe zu leisten und ohne deren Zustimmung keine Beamten zu ernennen. Ja es wurde be- stimmt, dass bei Streitigkeiten zwischen dem Bischofe und Herzoge die Beamten, Vasallen und Unterthanen nicht jenem, sondern diesem Hilfe leisten sollten. Von dieser Zeit an konnte Trient kaum noch als selb- standiges Bisthun^ sondern nur als Theil Tirols betrachtet werden, und auch die spateren Bischofe haben sich der Abhangigkeit von diesem nicht niehr ganz zu entziehen vermocht. Erst im Herbste 1363, als die osterreichische Herrschaft in Tirol fest begriindet war, begannen die Herzoge von Baiern den Krieg. Aber weder in diesem noch im folgenden Jahre vermochten sie nennenswerte Erfolge zu erringen. Im September 1364 wurde dann ein Waffenstillstand ge- schlossen, der wegen vollstandiger Erschopfung beider Theile wiederholt verlangert wurde. Erst im Sommer 1368 machten die Baierii wieder einen unerwarteten Einfall in Tirol, eroberten das Innthal bis auf die Stadte Innsbruck und Hall und drangen fiber den Brenner bis unter Sterzing vor. *) Am 16. Januar 1363 ist er in Lienz (Mittheilungen des Instituts, 9, 460), woraus sich ergibt, dass die Sage, er sei Tiber den Krimmler Tauern gezogen, eine irrige ist, am 18. in Rodeneck ostlich von Brixen. 2 ) Sie nahm bald darauf ihren Wohnsitz in Wien, wo sie 3. October 1369 starb. 24 Aber in den Engpasseu des Eisackthales wurden sie so lange aufgehalten, bis aus Osterreich Truppeu herankarnen , die ihnen dann die eroberten Pliitze bis auf einige Schlosser wieder entrissen. Am 29. September 1369 wurde endlich der Friede von Scharding geschlossen. Die Herzoge von Baiern verzichteten auf Tirol, dagegen zahlten ihnen die Herzoge von Osterreich 116.000 Ducaten und gaben ihnen Scharding und einige Gebiete in Schwaben zuriick, welche ihnen von Baiern verpfandet gewesen waren. Der Kaiser hatte schon am 8. Februar 1364 die Schenkung Tirols an die Herzoge von Osterreich bestatigt und ihuen die dortigen Keichslehen verliehen. 5. Kleiners Gebietsveranderungen von 13081526. Mit der Erwerbung Tirols war die Bildung der deutsch-osterreichi- schen Landergruppe in den Hauptumrissen vollendet. Aber im einzelnen traten besonders im Westen und Siiden noch zahlreiche nicht unwichtige Veranderungen ein. Die Gebiete in der heutigen Schweiz, darimter die Stammlande des Hauses Habsburg, giengen im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts vollstandig v e r 1 o r e n. l ) Die Bewohner von Schwyz und Unterwalden, welche wie die be- nachbarten Urner schon langst nach voller Selbstandigkeit im Innern strebten, setzten es durch, dass K. Heinrich VII. sie 1309 fur reichsunmittel- bar erklarte. Die Niederlage, die Herzog Leopold 15. November 1315 am Morgarten erlitt, und der gleichzeitige Kiieg init Ludwig von Baiern, dem Gegenkonige Friedrichs des Scho'nen, nothigte die Herzoge, in einem 1318 geschlossenen Waffenstillstan.de auf die oberhoheitlichen Rechte in den ge- nannten Gebieteu zu verzichten. Im Jahre 1332 schloss sich auch die Stadt Luzern der Eidgenossenschaft der drei Waldstatten an, und weun sie auch die osterreichische Herrschaft wieder anerkennen musste, so stand sie doch den Herzogen fortan viel imabhangiger gegentiber als friiher. Durch den Beitritt der Reichsstadte Zurich (1351) und Bern (1353) verstarkt, begannen die Eidgenossen Ende 1385 ohne Kriegserklarung den Kampf gegen Osterreich und eroberten nach den Siegen bei Sempach (1386) und Nafels (1387) ausgedehnte Gebiete. Die Waffenruhe, welche Osterreich 1388 auf sieben Jahre schliefien musste und die dann 1394 aiif weitere zwanzig, 1412 auf fiinfzig Jahre verlangert wurde, erkannte den augenblicklichen Besitzstand an. Wie Luzern wurden jetzt auch Zug und Glarus, welche Glieder der Eidgenossenschaft wurden, von Osterreich unabhangig, und aufierdem blieb den Luzernern der grofite Theil des heute nach ihnen beiiannten Cantons, den Ziirichern und Bernern andere Gebiete. x ) Naheres in meiner ,,Gescliichte Osterreichs", 2, 117 if. 189 if. 309 ff. 317 if. 507 if. ; 3, 186 if. 25 Die Acht, welche Konig Sigmund 1415 fiber den Herzog Friedrich von Osterreich, den Besitzer Tirols und der Vorlande, verhangte, well er wahrend des Constanzer Concils dem Papste Johann XXIII. zur Flueht behilflich gewesen war, fuhrte ueue Verluste herbei. Der ganze Aargau mit der Habsburg und die Herrschaften Kyburg und Lenzburg fielen in die Hande der Eidgenossen. In den Jahren 1452 1467 kamen diese theils durch Geld, theils durch Waffengewalt in den Besitz der letzten Gebiete, welche Osterreich links vom Eheine und siidlich vom Bodensee noch be- hauptet hatte. Andererseits waren die osterreichischenVorlande auf dein rechten Eheinufer im Laufe der Zeit bedeutend erweitert worden. *) Als die Herzoge von Osterreich nach dem Tode Friedrichs des Schonen im Frieden von Hagenau (6. August 1330) Ludwig von Baiern als Kaiser auerkannten, iiberliefi ihnen dieser als Pfand die Keichsstadte Schaffhausen, Kheinfelden, (Alt-)Breisach und Neuenburg am Khein, von welchen aber die erste nach der Achtung des Herzogs Friedrich ihre Unabhaugigkeit erlangte. Im Jahre 1368 unterwarf sich die Stadt Freiburg im Breisgau, welche sich von ihrem Grafen losgekauft hatte, den Herzogen von Oster- reich, welche ihnen die Halfte des dazu nothigen Geldes zahlten. Da nach einer Verfugung K. Karls IV. mit dem Besitze dieser Stadt auch die Land- grafschaft im Breisgau verbunden war, so setzten sie es durch, dass sie auch mit dieser belehnt wurden, obwohl der Graf dieselben beim Ver- kaufe der Stadt ausdriicklich ausgenommen hatte. 1381 kaufte Leopold III. vom Grafen von Hohenberg dessen Besitzungen, die sich zu beiden Seiten des oberen Neckar von Kottenburg aufwarts bis gegen den Schwarz- wald und siidwarts bis zur Donau erstreckten. Derselbe Herzog kaufte 1375 vom kinderlosen Grafen Kudolf von Montfort-Feldkirch jenseits des Arlberges die Grafschaft Feldkirch, welche sich von der 111 bis gegen Hohenems ausdehnte, mit dem dazu gehorigen inneren Bregenzerwalde.. Der Graf behielt sich nur den Nutzgenuss bis zu seinem Tode vor, der 1390 eintrat. Ein Angehoriger desselben Hauses, Graf Albrecht von Werden- berg, verkaufte 1394 fiir den Fall, dass er keine Sohne hinterliefie, den Herzogen die Stadt Bludenz und das Thai Montafon, die 1418 an Osterreich kamen. Elisabeth, Markgrafin von Hochberg, durch ihre Mutter von den Grafen von Montfort abstamrneud, trat gegen eine Summe Geldes die ihr gehorige Halfte der Stadt und Herrschaft Bregenz mit der Herrschaft Hoheneck 1451 an den Herzog Sigmund von Osterreich ab, wahrend die andere Halfte Erzherzog Ferdinand 1523 erwarb. Yon einigen J ) Stalin, Wirtembergische Geschiehte, 3, 294 ff. 495. 563 und meine ,,Ge- schichte Osterreichs", 2, 146. 294. 307 f.; 3, 177; 4, 203. 26 kleineren Herrschaften abgeseheu war damit das heutige Vorarlberg ganz mit Osterreich vereinigt. Die nordlich vom Bodensee gelegene schwa- bische Landvogtei, welche 1486 bleibend erworben wurde, schlug eine Briicke zu den westlicher gelegenen Besitzungen Osterreichs in Schwaben, welche 1465 noch durch den Ankauf der Grafschaft Nellenburg und der Landgrafschaft im Hegau erweitert worden waren. An der Adria fasste Osterreich 1382 festen Fufi, indem sich die Stadt Tries t, welche sich yon der driickenden Herrschaft Venedigs los- riss, dem Herzoge Leopold III. unterwarf. 1456 nach dem Erloschen der Grafen von Cilli brachte K. Friedrich III. auf Grund eines 1443 ge- schlossenen Vertrages die Besitzungen derselben an sich. l ) Die wichtigste Erwerbung aber, welche Osterreich im Siiden machte, war die der gorzischen Gebiete. Die Grafen von Go'rz hatten 1342 ihre Besitznngen in der Weise getheilt, dass Albrecht die Giiter in Istrien und der sogenannten Windischen Mark in Krain, Meinhard (mit seinem bald verstorbenen Bruder Heinrich) Go'rz nnd die Besitzungen auf dem Karst. in Friaul, Karnten und im Pusterthale erhielt. 2 ) Meinhard ver- machte schon 1361. wenn er keine Sohne hinterliefie, alle seine Be- sitzungen den Herzogen von Osterreich, Albrecht traf dieselbe Verfiigung 1364. Da letzterer in der That 1374 kinderlos starb, so nahmen die Herzoge dessen Gebiete in Istrien, um Pisino (Mitterburg) und an der Westseite des Meerbusens von Fiume, wie in der Windischen Mark, be- sonders Mottling, Tschernembl und Weichselburg, in Besitz. Die ubrigen Gebiete, die Grafschaft Go'rz mit Gradisca und Idria, die Besitzungen in Karnten, die Stadt Lienz und der go'rzische Theil des Pusterthales bis zur Muhlbacher Klause fielen nach dem Tode des Grafen Leonhard, des Enkels des erwahnten Meinhard (f 12. April 1500), friiheren Erbvertragen gemafi an den Kaiser Maximilian I. Eine weitere Vergro'fierung erhielt Osterreich infolge der Theilnahme K. Maximilians am bairischen Erbfolgekriege, 3 ) wo er seinen Schwa- ger, den Herzog Albrecht IV. von Baiern-Miinchen, welcher nach den wittelsbachischen Hausvertra'gen die begriindetsten Anspriiche auf die Gebiete des 1503 verstorbenen Herzogs Georg von Baiern-Landshut hatte, gegen den Gemahl der Tochter des letzteren, den Sohn des Kurfiirsten von der Pfalz, unterstiitzte. In dem am 30. Juli 1505 geschlossenen Frieden bekam Maximilian aufler einisren kleineren Gebieten von der *) ,,Geschichte Osterreichs 8 , 3, 48 f. 113. 2 ) Die Urkunde, welche wegen der detaillirten Aufzahlung der Besitzungen inter- essant 1st, in meiuer n Geschichte der Vereinigung Tirols mit Osterreich", S. 157 if., Nr. 90. Uber den Anfall der gorzischen Gebiete an Osterreich siehe meine n Geschichte Osterreichs", 2, 280 f. 298; 3,. 364. 3 ) n Geschichte Osterreichs", 3, 360 if. 27 Pfalz die Landvogtei Hagenau und die Ortenau, von Baiern einige schwabische Herrschaften, Neuburg am Inn und die Stadte und Gerichte Kufstein, Kitzbiihel und Kattenberg mit dem bairischen Theile des Zillerthales. Da die letztgenannten Gebiete ebenso wie aus der gorzi- schen Erbschaft Lienz und das Pusterthal mit Tirol vereinigt wurden, so erhielt dieses gegen Osten seine jetzige Grenze, wenn man von den salzburgischen Besitzungen im Brixenthal, Zillerthal und Windisch-Matrei absieht. Eine Erweiterung Tirols im Siiden, wo ein Theil der Trient- nerischen Besitzungen im 15. Jahrhunderte in die Gewalt Venedigs ge- fallen war, war die Folge der Theilnahme K. Maximilians an der Liga von Cambray (10. December 1508) und am Coalitionskriege gegen die genannte Kepublik, fiber welche derselbe deswegen erbittert war, weil sie ihm 1508 bei dem beabsichtigten Eomerzuge den Durchzug durch ihr Gebiet verweigert hatte. Nach dem Frieden von Noyon (13. August 1516) musste er zwar das eroberte Verona gegen 200.000 Ducaten an Venedig zuriickgeben, aber er behielt alles, was er innerhalb der Alpen eingenommen hatte, Ampezzo mit dem Schlosse Peutelstein, die Feste Covelo, die Stadte Eoveredo und Eiva, welch letztere aber dem Bischofe von Trient zuriickgegeben wurcle, und die sogenannten vier Vicariate Ala, Avio, Mori und Brentonico, welche Gebiete alle zu Tirol ge- schlagen wurden. *) II. Geschichte des offentlichen Rechtes in den deutsck-oster- reichischen Landern. a) Das Verhaltnis des Fiirsten zum deutschen Reiche und seine Befugnisse im. Innern. I. Die Periode der Babenberger (9761246). In der ersten Zeit des deutschen Reiches wie fruher unter den Karolingern ist der Graf und in einem erweiterten Gebiete der Mark- graf trotz der Form des Lehenwesens eigentlich nur Beamter, welcher als Vertreter des Konigs in dem seiner Verwaltung anvertrauten Bezirke bestimmte ihm iibertragene Rechte ausubt. 2 ) Er hat fur die Aufrecht- haltung des Friedens und der Ordnung zu sorgen, den Heerbann aufzu- bieten und anzufuhren, einen Theil der koniglichen Einkunfte einzuheben. das offentliche Gericht ( r echte Ding") zu halten und in diesem, wo die J ) n Geschichte Osterreichs", 3, 369 if. 2 ) Eingehende Darstellung bei Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7, 1 ff. und iiber die grafliche Gerichtsbarkeit 8, 47 ff. 28 freien Grundbesitzer der Grafschaft sieh einfinden 'mussteu, den Vorsitz zti fuhren. Mit der Grafeuwurde waren ausgedehnte Besitzungen und ander- weitige Eiukiinfte verbunden, nainentlich Gerichtsbufien, Ertragnisse der Markte. Zolle und Miinzen, welche urspriinglich allerdings als n Ke- galien" den Konigen zustanden, aber von diesen in immer grofierem Umfange an die Fursten zu Lehen gegeben oder geistlichen Stiftern ge- schenkt wurden. Fur die niedere Gerichtsbarkeit vertraten den Grafeu die wahrscheinlich yon ihm ernannten Vorsteher der einzelnen Hundert- schaften, die Centenare, auch Schultheiflen genannt. So ausgedehnt die Befugnisse des Markgrafen von Osterreich aber auch waren, so stand dieses doch fast zwei Jahrhunderte lang in einer gewissen Unterordnung unter den Herzog von Baiern, wie sich schon darin zeigt, dass der Konig bis ins 12. Jahrhundert wiederholt Giitervergebungen daselbst auf den ,,Rath", die ^Fflrbitte" oder auch mit jjZustmmmng" des Herzogs vornimint. Dieser scheint geradezu als Le- hensherr von Osterreich angesehen worden zu sein. l ) Erst die Erhebung Osterreichs zum Herzogthurae machte diesem Verhaltnis ein Ende. Konig Koiirad III. belehnte 1139 niit Baiern, welches er dem mit ihm verfeindeten Herzoge Heinrich ,,deni Stolzen" eutzog, seinen Stief- bruder Leopold IV. von Osterreich und nach dessen baldigein Tode dessen Bruder, den Markgrafen Heiurich II. K. Friedrich I. suchte endlich den Streit um Baiern in der Weise beizulegen, dass er dieses Heiurich dem Lowen, dem Sohne des Erstgenannteu, zuriickgab, aber seinen Oheim Heinrich von Osterreich in anderer Weise entschadigte. Dieser stellte im September 1156 auf eiuein Eeichstage in Kegensburg das Herzogthum Baiern in die Hande des Kaisers zuru'ck, welcher dann Heinrich den Loweu damit belehnte. Heiurich gab die Mark Osterreich mit den Lehen, welche einst Markgraf Leopold von Baiern gehabt, dem Kaiser zuruck. der nun Osterreich uud die dazu gehorigen Gebiete zu einem Herzog- thume erhob und es seinem Oheime und dessen Gemahlin Theodora zu Leheu gab. 2 ) Zugleich verlieh der Kaiser dem Herzoge und seiner Ge- mahlin noch einige besondere Vorrechte. Es sollte namlich 1. nach ihrem Tode Osterreich nicht blofi wie die anderen Keichslehen auf die Sohne, sondern auch auf die Tochter derselben vererbt werden; 2. sollten sie in Ermatiglung von Kindern das Recht haben, dem Kaiser eineu a ) Siehe iiber diese iibrigens nicht unbestrittene Frage ineine r Geschichte Oster- reichs", 1, 176 und die dort angegebeue Literatur. 2 ) Die betreffenden Stellen aus Otto von Freising und dem sogenaunten privi- legium mimes siehe oben S. 7 Anm. 2. Die angefiihrten Vorrechte im erwahuten Pri- vilegium n Archiv fiir osterreichische Geschichte", 8, 110. 29 beliebigen Nachfolger vorzuschlagen; 3. sollte ohne Zustimmung des Her- zogs innerhalb des Gerichtssprengels desselben niemand eine Gerichtsbarkeit ausiiben diirfen, wodurch die Gewalt desselben verstarkt und vor weiteren Exemptionen namentlich geistlicher Gebiete von Seite des Konigs ge- schutzt ward; 1 ) 4. sollte der Herzog dem Keiche keine weiteren Dienste zu leisten verpflichtet sein, als dass er zu den vom Kaiser in Baiern gehaltenen Hoftagen, wenn er berufen wiirde, erscheinen und zu jenen Heerfahrten, welche nach den Osterreich benachbarten Landern unter- nommen wiirden, sein Contingent stellen musste. Durch diese Lostrennung Osterreichs von Baiern und die Erhebuug zum Herzogthume war dasselbe von jeder Gewalt als der des Konigs be- freit und hatte selbst dem Keiche gegeniiber eine unabhangigere Stellung als andere Fiirstenthumer. War das Streben der Territorialherren in Deutschland iiberhaupt dahin gerichtet, den Einfluss des Konigs bei Seite zu s'chieben und sich als die eigentlichen Trager aller staatlichen Gewalt im ganzen Umfange jenes Gebietes hinzustellen. in welchem sie Reichs- rechte besaflen, so Avurde in Osterreich die Erreichung dieses Zieles da- durch erleichtert, dass dasselbe als Mark von Anfang an einheitlicher organisiert war, dass es innerhalb desselben keine Grafen mit selbstan- diger Gerichtsbarkeit, keine geistlichen Fiirsten mit einem ausgedehnten Gebiete und keine Reichsstadte gab, und dass bei seiner entfernten Lage nur selten ein Konig daselbst erschien. Hier und in Steiermark, wo ahn- liche Verhaltnisse waren, tritt denn atich der Begriff eines geschlossenen landesfiirstlichen Territoriums friiher und bestiminter hervor als in den meisten tibrigen deutschen Landern. 2 ) Die haufigen Kriege der deutschen Konige in Italien, die langen Thronkampfe, die nach dem Tode K. Heinrichs VI. Deutschland er- schiitterten, und endlich die Politik Friedrichs II. , der, seine Haupt- aufmerksamkeit den Verhaltnissen Siciliens und Italiens zuwendend, die Regierung Deutschlands seinen unmiindigen Sohnen uberliefi und den Fiirsten wichtige Reichsrechte preisgab, forderten noch diese Entwicklung, welche die Auflosung Deutschlands zur Folge habeu musste. Der Herzog Friedrich II. von Osterreich (1230 1246) zogerte fast zwei Jahre, bis er vom Kaiser die Belehuung einholte, und es geschah dies erst, als *) Uber die Auslegung dieses Absatzes vgl. auch Luschiu v. Ebengreuth, Geschichte des alteren Gerichtswesens in Osterreich, S. 14 ff. 2 ) Hier gebraucht schon 1192 Leopold V. von sich den Ausdruck B Landesherr" und nennt Osterreich n unser Land". Leopold VI. betrachtet sich (1210) als den gesetz- lichen Erben des ohne Nachkommen verstorbeneu Grafen von Hohenburg bloB des- wegen, weil dessen Giiter n innerhalb der Grenzen unseres Herzogthums" gelegen seien (quia in termino ducatus nostri sita erant.). Siehe die Belege in meiner ^Geschichte Osterreichs 1 ', 1, 479 f. 30 sich derselbe nach dem osterreichischen Pordenone begab. Welche Be- deutung Osterreich und das dainit vereinigte Steiermark damals batten, sieht man auch daraus, dass der Herzog Friedrich 1245 wegen der Er- hebung derselben zu einem Konigreiche, wenn auch mit Festhaltung ihrer Unterordnung unter das Reich, mit dem Kaiser in Unterhandlungen steht und dieser dem Projecte nicht abgeneigt ist. *) Uber die Befugnisse des Fursteu wie uber die Rechtsverhaltnisse in Osterreich in der letzten Zeit der Babenberger iiberhaupt gibt uns im einzelnen genaueren Aufschluss das sogenannte Qsterreichische Landesrecht, wahrscheinlich eine Aufzeichnung des dortigen Gewohn- heitsrechtes, 2 ) welche die Adeligen 1237 anfertigen liefien, um sie vom Kaiser Friedrich II., der damals nach der Achtung des unbotmafligen Herzogs den grofiten Theil des Landes erobert hatte, bestatigen zu lassen. 3 ) Darnach steht der Herzog an der Spitze des Landes, er ist der oberste Eichter, er besitzt das Miinz- und Zollregal, er gebietet die Heerfahrt in des Landes Noth, und jeder Herr ist verpflichtet, mit seinen Mannen ihn und das Land gegen uugerechten Angriff zu schirmen. Greift aber der Herzog einen anderen Fiirsten ohue Recht an, so haben weder die Grafen und Herreu, noch die Dienstmannen die Pflicht, ihm zu helfen, sondern nur seine eigenen Leute (d. h. seine unfreien Ritter) und jene, die er erbitten oder erkaufen kann. Ohne Erlaubnis des Herzogs darf auch niemand eine Maut erheben oder eine befestigte Burg bauen. Der Herzog ist auch der oberste Wahrer des Rechtes, und wenn es sich um Leben, Ehre oder Eigen der Grafen, Freien oder Dienstmannen handelt, so muss er selbst irn Landtaiding das Gericht halten, d. h. den Vorsitz fiihren. Doch steht den Landherren die Appellation an das Reich zu. Nur auf frischer That ergriffene Dieustmannen darf der Herzog mit dem Tode bestrafen. Den Entronnenen soil er in die Acht thun und dann vor Kaiser und Reich verklagen, die in letzter Instanz urtheilen. Aber *) Heiiie n Geschichte Osterreichs", 1, 476 f. 2 J r,I)as sind die recht nach gewonhait des lanndes bei herczog Lewpolten von Osterreich" begiunt dasselbe. 3 ) Abdruck bei A. v. Meiller, Osterreichische Stadtrecbte und Satzungen. s Arehiv fiir osterreichische Geschichtsquelleu", 10, 148 ff., besser bei V. v. Hasenohrl, Oster- reichisches Landesrecht, S. 236 ff., m it einer wertvollen Darstellung des nach dem Landrechte geltenden offeutlichen und Privatrechtes, wobei aber die Bestinamungen der urspriinglichen uiid der erweiterten Fassuug, welche nach den iiberzeugenden Aus- fiihrungen von Dopsch, Eutstehung uud Charakter des osterreichischen Landrechtes (,,Archiv" 79, 1 ff.) im Jahre 1266 von Ottokar von Bohmen als Gesetz in Osterreich eingefiihrt wurde (LR II), nicht unterschieden wurden. Uber die Zeit der Entste- hung der kiirzeren Fassung siehe Siegel, Die beiden Denkmaler des osterreichi- schen Laudrechtes und ihre Entstehuug. n Sitzuugsberichte der kaiserl. Akademie" 35, 109 ff. 31 auch die unteren Volksclassen werden durch das Landesrecht geschutzt, indem es dem Herzoge nicht erlaubt ist, ohne Kath der Landherren erne ,,Frag zu haben auf schadliche Leute", d. i. gegen Strafienrauber, Morder und Diebe ein aufierordentlich.es Gerichtsverfahren einzufuhren, bei dem eine Bestrafung ohne vorhergehende Klage blofi nach Veniehmung der Ortsbewohner moglich war. 1 ) 2. Die Zwischenregierung Ottokars II. von Bohmen und die Herrschaft der Habsburger bis zum Ende des Mittelalters. Aufierte sich die Oberherrschaft des deutschen Konigs fiber Oster- reich auch noch in der letzten Zeit der Babenberger nicht blofl darin. dass er den Herzog mit seinem Fiirstenthume belehnte, sondern auch darin, dass er fur dessen Unterthanen als oberste Appellationsinstanz gait, so anderte sich dies, als 1251 der machtige Ottokar II. von Boh- men die Herrschaft an sich brachte, wahrend gleichzeitig die Reichsgewalt immer mehr verfiel. Schon in dem gleich nach seinem Regierungsantritte erlassenen Landfrieden triift Ottokar die Verfiigung, dass dem Land- richter der r Fiirbann" oder die losliche Acht, ihm aber die (Ober-) ,.Acht" zustehen soil, mit welcher eine Appellation an das Reich aus- geschlossen war. 2 ) Uud in der That verhangte Ottokar uber osterreichische und steirische Adelige die strengsten Strafen, ohne sich um den deut- schen Konig zu kummern. Selbst die Belehnung mit Osterreich und Steiermark liefi er sich vom Kouige Richard erst 1262, mit Karnten gar nicht ertheilen. Als dann Ottokar besiegt und die osterreichischen Herzogthuiuer dem Hause Habsburg verliehen wurden, stellte K. Rudolf I. auch die Rechte des Reiches in dern Umfange, den sie unter den letzten Baben- bergern gehabt hatten, wieder her. Die Herzoge mussten beim- Kouige die Belehnung einholen, und auch die oberste Gerichtsbarkeit ubte Rudolf I. aus. 3 ) Aber das Yerhaltnis Osterreichs zum Reiche anderte sich dadurch, dass der Herzog Albrecht I. (12981308) selbst die Krone trug, Friedrich (1314 1330) als Gegeukonig Ludwigs des Baiern wenigstens keinen anderen Konig als Oberherrn anerkannte, uud auch nach Friedrichs Tode Ludwig der Baier und Karl IV. in seiner ersten x ) Hasenohrl, S. 208 f. Ofters wurde diese s Frage" (inqnisitio terrae generalis, auch gerewn) ZAvischen 1390 uud 1403 zur Austilguug der Rauber augeweudet. 2 ) n Forma pads, quam instituit Otacharo dux in Austria" ed. Chmel im ^Archiv fur osterreichische Geschichte" 1, 59. Vgl. Luschin, S. 19. Dass im Laud- recht von 1266 . 2 doch n das letzte Urtheil" dem Kaiser gewahrt wird, hat keiue groBe Bedeutuug, da dieser Paragraph eiufach aus LE. I. heriibergenoininen ist. 3 ) Luschin, S. 20. 32 Regierungszeit wegen ihrer zahlreichen Feinde genothigt waren, ein gutes Verhaltnis zu den osterreichischen Herzogen aufrecht zu halten. Karl IV. verlieh diesen schon bald nach seiner Thronbesteigung ein Privilegium de non evocando, wonach keiner ihrer Landherren, Ritter, Mannen, Diener oder Burger yor ein fremdes Gericht, auch nicht vor sein Hof- gericht oder irgend ein kaiserliches Gericht geladen werden sollte, aufler im Falle, dass derselbe in den herzoglichen Gerichten rechtlos gelassen wiirde. 1 ) Schloss sich Osterreich seit der Mitte des 13., besonders aber im Lanfe des 14. Jahrhunderts immer mehr nach aufien ab, so verier es dagegen seinen Einfluss auf die Reichsregierung, seitdem das Recht, den Konig zu wahlen imd mit diesem die wichtigsten Regierungsangelegen- heiten zu entscheiden, nach der Mitte des 13. Jahrhunderts in die Hande von uur sieben Fiirsten gekommen war, zu denen der Herzog von Oster- reich nicht gehorte, weil dieses Land gerade in der entscheidenden Zeit keinen eigenen Fiirsten gehabt hatte. Da die Vorrechte der Kurfursten durch die goldene Bulle von 1356 nicht blofl gesetzlich anerkannt, sondern noch erweitert wurden, so mussten die iibrigen Fiirsten noch mehr dahin streben, sich der Abhangigkeit von dem durch die Kur- fiirsten geleiteteu Konige zu entziehen und den Einfluss der Reichsgewalt aus ihren Landern auszuschliefien. Schon Albrecht II. (1330 1358) hatte sich in den letzten Jahren seiner Regierung von den Reichsangelegenheiten moglichst ferngehalten. Sein Sohn Rudolf IV. (1358 1365), Jung und ehrgeizig, suchte diesem thatsachlichen Zustande auch gesetzliche Geltung zu verschafFen, wollte die voile Unumschranktheit seiner Gewalt nach oben und unten vom Kaiser selbst anerkannt sehen. Die Erreichung dieses Zieles war der Zweck der sogenannten osterreichischen Hausprivilegien, welche wahrscheinlich im Winter von 1358 auf 1359 in der herzoglichen Kanzlei angefertigt wurden, deren Vorstand Johann Ribi aus Lenzburg, bald Bischof von Gurk (seit 1363 von Brixen), war. Es sind fiinf Freiheits- briefe, die den osterreichischen Fiirsten und Landern von verschiedenen Konigen und Kaisern verliehen worden sein sollten: 1. von Heinrich IV. (1058), worin schon angebliche Privilegien der Kaiser Julius Casar uud Nero bestatigt werden, 2. von Friedrich I. (1156) (statt des echten ein erweitertes, daher privilegium majus), 3. von Heinrich VII. (1228), 4. von Friedrich II. (1245) eine Bestatigung und Erweiterung des J ) In Erneuerung vom 3. August 1361 bei Bohmer-Huber, RegestenK. KarlsIV., Nr. 3724 mit der Bemerkung, dass Karl ihuen das Privileg noch als romischer Konig (1346 1355 April) gegeben habe. Erhalten ist uns ein solches speciell fiir die Vor- lande vom 31. Juli 1348 ibid. Nr. 6010. 33 statt der Bestatigting des echten minus u , und 5. von Rudolf I. (1283), der alle yorhergehenden bestatigt. 1 ) Durch diese Privilegien ware Osterreich fast ganz unabhangig ge- worden. Wahrend das Reich dem Herzoge gegen alle, die ihm Unrecht thaten, Hilfe leisten sollte, ist dieser demselben zu keiner Steuer oder Dienstleistung verpflichtet; nur in einem Reichskriege gegen Ungarn muss er einen Monat lang auf eigene Kosten zwolf Mann stellen. Er braucht keinen vom Kaiser beruferien Reichstag zu besuchen; thut er es aber freiwillig, so soil er als einer der ,,Pfalzerzherzoge" (unus de palatinis archiducibus) betrachtet werden und den ersten Rang nach den Kurfiirsten einnehmen. Auch zur Belehnung muss sich nicht der Herzog zum Kaiser, sondern dieser nach Osterreich begeben. Verweigert er es, so ist die Belehnung nach dreimaligem schriftlichen Ansuchen von Seite des Herzogs als vollzogen zu betrachten. Der Herzog ist auch nicht verpflichtet, fur seine Person die Gerichtsbarkeit des Reiches an- zuerkennen und sich vor dem Kaiser gegen Anklagen zu verantworten, sondern er kann einen seiner Vasallen oder Dienstmannen als Richter iiber sich aufstelleu. Ebenso ist der Herzog in der Erwerbung neuer Gebiete nicht be- schrankt; es kann ihm jeder selbst ganze Lander, auch wenn sie Lehen vom Reiche oder einem geistlichen Fiirsten waren, vermachen, schenken, verpfanclen oder verkaufen, ohne dass der Kaiser oder ein anderer Lehns- herr es hindern darf. Wie nach aufien sollte Osterreich auch im Innern vollig nnab- hangig sein. Nach diesen Freiheitsbriefen ist der Herzog der oberste Lehnsherr iiber alle innerhalb der Grenzen Osterreichs liegenden Guter oder weltlichen Gerichte. Das Reich sollte daselbst gar keine lichen haben, Fiirsten und andere, die solche besafien, dieselben niemandem iibertragen durfen, ehe sie selbst diese vom Herzoge zu Lehen genommen hatten. 2 ) Keiner seiner Vasallen oder der in seinen Landern Wohnenden oder Begiiterten sollte einer anderen richterlichen Gewalt unterstehen als der des Herzogs oder seines Stellvertreters, sodass selbst im Falle J ) Bester Abdruck nach den Originalen beiWattenbach, Die osterreichischen Freibeitsbriefe (Archiv 8, 108 ff.), der die Unechtheit nachgewiesen und im allgemeinen auch die Zeit der Entstehung festgestellt hat. Eingehender und genauer habe ich dies in meiner Abhandlung: n Uber die Entstehungszeit der osterreichischen Freiheitsbriefe" (aus den Sitzungsberichten der kaiserl. Akademie", 34. Bd.) gethan. Vgl. auch Berch- told, Die Landeshoheit in Osterreich nach den echten und uuechten Freiheitsbriefen (Miinchen, 1862). 2 ) Dieser Satz wurde 1361 von Eudolf IV. den Herren von Aufenstein in Karnten und den Grafen von Schaunberg im Laude ob der Enns gegeniiber mit Erfolg geltend gemacht. Siehe meine ^Geschichte H. Kudolfs IV.", S. 56 ff. Huber. Osterreichische Reichsgeschichte. 3 34 der Eechtloslassung Appellationen an den Kaiser ausgeschlossen waren. 1 ) Ja, es wird bestimmt, dass die Verfiigungen des Herzogs weder vom Kaiser, noch von jemand anderen abgeandert werden durfen, und dass man denselben unbedingt gehorchen miisse. Endlich wird ausgesprochen, dass alle diese Vorrechte auch anf die kiinftig erworbeneu Lander ubergehen und, wenn ein anderes Keichsfurstenthum weitere Freiheiten erhielte. diese auch der Herzog von Osterreich besitzen sollte. Der Kaiser Karl IV. weigerte sich zwar, diese Privilegien anzu- erkennen, und zwang auch den Herzog Eudolf IV., den Titel eines ,,Pfalz- erzherzogs", den dieser auf Grund derselben am 18. Juni 1359 angenoinmen hatte, (5. September 1360) wieder abzulegen. Doch nannte sich Eudolf schon seit Weihnachten 1361 wieder ^Erzherzog", welcher Titel aller- dings mit seinem Tode wieder verschwand und erst im Jahre 1414 von Ernst von Steiermark wieder angenoinmen wurde. 2 ) Am 6. Janner 1453 hat dann K. Friedrich III. sammtliche funf Freiheitsbriefe, an deren Echtheit damals sicher niemand mehr zweifelte, mit Zustimmung der Kurfiirsten bestatigt, 3 ) und dadurch haben dieselben reichsgesetzliche Giltigkeit erlangt. Selbst die Hochstifter, welche in den oster- reichischen Laudern Besitzungen hatten, mussten nun nach und nach die oberhoheitliche Gewalt des Erzherzogs fiber dieselben an- erkennen, 4 ) wozu nicht wenig der Umstand beitrug, dass seit der Er- hebung Albrechts V. (II.) auf den deutschen Thron (1438) bis zum Er- lo'schen des Mannsstammes der Habsburger (1740) die Kaiserkrone ununterbrochen bei diesein Hause blieb. Damit horte auch die Unter- ordnung der osterreichischen Lander unter die ohnehin immer schwacher werdende Eeichsgewalt auf. b) Die fiirstliche Erbfolge. Gait auch der Inhaber einer Mark oder Grafschaft in der ersten Zeit des deutschen Eeiches als koniglicher Beamter, so inachte sich n der alte Trieb germanischen Lebens nach Ausbildung erblichen Eechtes" 5 ) doch auch hier geltend. Schon fruh wurde es Eegel, dass diese Wiirden vom Vater auf den Sohn ubergiengen, und auch in Oster- *) Diesen Fall hatte die n goldene Bulle" bei der Verleihung des ^privilegium de non appellando* an die Kurfiirsten ausdriicklich ausgenommen. 2 ) Zuerst in Urkunde vom 26. Marz beini Empfaug der Huldigung in Karnten, uachdem er noch am 11. den Titel n Herzog" gefiihrt hatte. Lichnowsky, Geschichte des Hauses Habsburg V, Verzeichnis der Urkunden Nr. 1450 1452. Vgl. 1446. Doch finden sich auch spater noch Urkunden mit dem Herzogstitel. 3 ) Schrotter, Abhaudlungen 1, 202. Chmel, Materialien 2, 36. Spater noch mehrmals bestatigt. 4 ) Luschin, S. 29 f. 38 ff. 6 ) Waitz, 7, 9. 35 reich haben sich die Babenberger bis zu ihrem Erloschen im Jahre 1246 im Besitze des Landes behauptet. Durch das Privileg, welches 1156 von K. Friedrich I. dem Herzoge Heinrich von Osterreich verliehen und 1245 von K. Friedrich II. bestatigt wurde, ward das Erbrecht in diesem Lanfle bei Erinanglung von Sohnen auch auf die T6chter ausgedehnt, wahrend Seitenverwandte noch immer ausgeschlossen blieben. Zeigte sich der Amtscharakter des Herzogthums unter den Baben- bergern iminer noch darin, dass nur ein Glied des Hauses vom Kaiser belehnt wurde, die anderen aber keine Anspruche auf dasselbe er- heben und auch den Herzogstitel nicht fuhren konnten, so anderte sich dies nach dem Zwischenreiche vollstandig. In dieser Zeit machten sich in Deutschland die privatrechtlichen Anschauungen auch auf diesem Gebiete des Staatsrechtes schon so sehr geltend, dass von 1255 bis zur Wahl Eudolfs von Habsburg sechs deutsche Furstenthumer yon Brudern getheilt wurden. In Osterreich gieng man auch unter den Habsburgern anfangs nicht so weit. Aber deni Grundsatze, dass alle Glieder des Hauses auf die Lander und deren Nutzungen Aiispruch hatten, wurde durch die Gesammtbelehnung und den Gesamuitbesitz Kechnung getragen. Schon bei der ersten Ubertragung Osterreichs und Steiermarks an diese Dynastie (December 1282) belehnte K. Kudolf seine beiden noch lebenden Sohne Albrecht und Eudolf mit den genannten Landern. Nur weil die Landherren von der ungewohnten Regierung zweier Herzoge nachtheilige Folgen befiirchteten, verfiigte Konig Rudolf, ihren Bitten nachgebend, dass Albrecht und seine maunlichen Nachkommen die genannten Lander allein besitzen, sein jungerer Sohn aber durch ein anderes Land oder eine Geldsumme entschadigt werden sollte. 1 ) Nachdem aber Albrecht I. selbst (1298) auf den deutschen Throu erhoben worden war, ertheilte er seinen sammtlichen Sohnen die Be- lehnung mit diesen Herzogthumern, und dasselbe war auch bei den weiteren Belehnungen in den Jahren 1309, 1330, 1335, 1348 und 1360 der Fall. Auch thatsachlich war die Regierung der ersten Habsburger eine gemeinschaftliche. Bundnisse uud wichtige Vertrage wurden immer im Namen aller Herzoge geschlossen. 2 ) Noch 1355 verorduet Albrecht II. *) Die Belege in meiner n Geschichte Osterreichs", 2, 7 f. 2 ) Zahlreiche Belege finden sich in den von Birk bearbeiteten ,,Regesten u im Anbange zu Fiirst Licbnowskys Gescbicbte des Hauses Habsburg, fur die Jabre 1339 1343, wo Albrecht II. die Vormundschaft Tiber seine Bruderssohne Friedrich und Leopold fiihrte, in nieiner Abhandlung n Uber die Entstehungszeit der osterreichischen Freiheitsbriefe", S. 21 f. 36 in seinem sogenannten Hausgesetze, 1 ) dass seine Sohne in briiderlicher Liebe vereint bleiben und dass der alteste unter ihnen wie der jungste und der jungste wie der alteste in Liebe mit einander leben sollten. Thatsachlich freilich war seit 1304, wo Albrechts I. zweiter Sohn Friedrich herangewachsen war, das Verhaltnis so, dass der Alteste auf die Regie- rung der osterreichischen Herzogthiimer den grofiten Einfluss ubte und weniger wichtige Angelegenheiten allein entschied, das zweitalteste Familienglied aber in der Kegel mit sehr ausgedehnten Befuguissen die Verwaltung der Vorlande fiihrte, welche ein getrenntes Admini- strationsgebiet bildeten. Rudolf IV. trug sich anfangs mit dem Plane, clem Altesten die ausschlieflliche Entscheidung der Regierungsangelegenheiten zu sichern und zugleich die directe Linearerbfolge eiuzufiihren. Es wurde in die gefalschten Privilegien die Bestimmung aufgenommen, dass unter den Herzogen von Osterreich der alteste die Herrschaft haben und diese sich auf den altesten Sohn, in Ermanglung eines solchen aber auf die alteste Tochter vererben sollte. Ja, das Privilegium majus" erkannte dem Herzoge, wenn er kerne Kinder hinterliefie, das Recht zu, seine Lander zu schenken oder zu vermachen, wem er wollte, ohne dass er auf etwaige Bruder Riicksicht zu nehmen brauchte. Rudolf benahm sich auch als alleiniger Regent, erwahnte in den Urkunden seine allerdings minder- jahrigen Bruder oft gar nicht oder fiihrte sie nicht als Mitaussteller, sondern nur als Zeugen auf. 2 ) Als aber sein zweiter Bruder Albrecht III. das damals fur die Voll- jahrigkeit erforderliche Alter Ton 14 Jahren erreichte, schloss er mit diesem und dein jiingsten Bruder Leopold III. am 18. November 1364 einen Familienvertrag, der auf das Hausgesetz ihres Vaters und das friihere Herkornmen zuriickgieng, aber dem Altesten doch einen iiber- wiegenden Einfluss sichern sollte. Alle Herzoge sollten ihre Lander und Giiter, auch wenn solche einem einzelnen zufielen, gemeinsarn besitzen, alle die gleichen Titel fiihren und keiner ohne Zustimmung der anderen etwas veraufiern oder sich oder seine Kinder verheiraten diirfen. Aber von diesen Bestimmungen abgesehen. erhielt de"r Alteste doch wesent- liche Yorrechte. Er sollte ,,die oberste Herrschaft und grofite Ge- walt" haben, das Haus nach aufien vertreten, im Namen aller die Lehen empfangen und verleihen, die Steuern auflegen und einheben, die Schatz- kammer und das Archiv verwahren. Er sollte auch ,,die obriste Kost und den grofiten Hof" haben. Auch bei eigentlichen Regierungshand- lungen, bei Ernennung von Rathen und Beamten, bei Verleihung von ') Steyerer, Commentar. pro hist. Albertill. Addit. p. 185. 2 ) Belege in meiner n Geschiehte H. Rudolfs IV u , S. 136 f. 37 Rechten imd Privilegien, sollte der Alteste nur dann an die Zustimmung der anderen gebunden sein, wenn diese bei ihm waren, wahrend einer der jungeren Herzoge, wenn er etwa als Statthalter in ein Land geschickt wiirde, nur soviel Gewalt haben sollte, als ihm die auderen ubertragen wurden, und nameutlich keiner ohne Zustimmung des Altesten ein Bund- nis schliefien oder einen Krieg anfangen sollte. Diesem Vertrage entsprechend ubte nach dem Tode Rudolfs IV. (27. Juli 1365) Albrecht III. die oberste Regierungsgewalt aus, nahm allein die Belehnungen vor imd traf manche Entscheidungen ohne Zu- sdehuug seines jungeren Bruders. 1 ) Der Ehrgeiz und Thatigkeitsdrang Leopolds III. wurden dadurch befriedigt, dass, wenn in Tirol oder in den Vorlanden die Anwesenheit eines Herzogs nothwendig war, fast immer dieser mit ziemlich ausgedehnten Befugnissen abgesendet wurde. Aber auf die Dauer begniigte sich Leopold mit dieser Stellung nicht. Er verlangte eine Theilung der osterreichischen Lander oder wenigstens vollige Gleichstellung mit seinem Bruder in Beziehung auf Rechte und Einktinfte, wahrend Albrecht solchen Forderungen mit Hiu- weisung auf das Herkomnien entgegentrat. Da aber Leopold auch vor offener Gewalt nicht zurfickzuschrecken schien, so gab Albrecht seinem Verlangen Schritt fur Schritt nach. Am 25. Juli 1373 schloss Albrecht mit seinem Bruder auf die Dauer von zwei Jahren einen Vertrag, durch den er wenigstens eine Theilung der Verwaltung und der Ein- kiinfte zugestand. Es sollte Albrecht wahrend dieser Zeit alle Beamten in Osterreich und Steiermark, Leopold in Tirol, den Vorlanden und Krain ernennen, die Einkiinfte aber zwischen beiden Herzogen gleich getheilt werden. Letzteres gait auch von Karnten, wo damals die oberste Verwaltung dem Grafen Meinhard von Gorz ubertragen war. Verkaufe, Verpfandungen oder Belastungen von Giitern wie Verleihungen grofierer Lehen sollte keiner der Herzoge ohne Zustimmung des anderen vor- nehmen, aber auch keiner auf Erwerbungen oder Ersparnisse des anderen Anspruch haben. In den nachsten Jahren machte Albrecht noch weitere Zugestand- nisse, bis endlich am 25. September 1379 im Vertrage von Neuberg die osterreichischen Lander vollstandig und nicht mehr auf eine be- stimmte Zeit getheilt wurden. Albrecht erhielt nur noch Osterreich unter und ob der Enns mit den Gebieten von Steyr, Hallstadt und Ischl, aber ohne Wiener-Neustadt, Leopold alle iibrigen Lander, also Steiermark, Karnten, Krain, (osterreichisch) Istrien, Feltre und Bel- J ) Die Belege fur das Folgende bis zur Theilung von 1379 in meiner B Geschichte Osterreichs", 2, 298 ff. Die angefuhrten Vertrage sind bei Kurz, Osterreich unter Albrecht III, 1, 238. 262. 271 und bei Kauch, SS. Ker. Austr. 3, 395 gedruckt. 38 hmo, 1 ) Tirol und die Vorlande und dazu noch 100.000 Ducaten. Falls der eine Zweig in mannlicher Linie abstiirbe, sollten seine Besitzungen an den anderen fallen. Wenn einer von ihnen minderjahrige Kinder hinterliefie, sollte der andere die Vormundschaft und die Verwaltung ihrer Lander fuhren, bis ein Sohn das Alter von 16 Jahren erreicht hatte. Keiner sollte zum Nachtheil des anderen ein Bundnis schliefien, jeder dem anderen gegen feindliche Angriffe Beistand leisten. Wenn einer sich genothigt sahe, eine Herrschaft zu verkaufen, sollte der andere vor Fremden das Vorkaufsrecht haben. Yon diesen Beschrankungen ab- gesehen, konnte jeder nach innen und auflen seine eigene Politik ver- folgen, und nur dadurch, dass jeder Herzog Titel und Wappen von alien Landern fiihrte, wurde die ehemaligeEinheit der habsburgischen Besitzungen angedeutet. Doch dauerte diese erste Landertheilung nur sieben Jahre und inachte wieder einer gemeinsamen Regierung Platz, als Leopold III. im Kampfe gegen die Schweizer am 9. Juli 1386 bei Senipach den Tod fand. Yon seinen vier Sohnen Wilhelm, Leopo-ld IY., Ernst und Friedrich hatte der alteste das nach dem Vertrage von 1379 fur die Volljahrigkeit vorgeschriebene Alter von 16 Jahren, und er ware daher berechtigt ge- wesen, die Vormundschaft iiber seine Briider und die Kegierung ihrer Lander zu fiihren. Da aber bei der damaligen Gefahrdung der Yorlande durch die Eidgenossen die Yereinigung der Hilfsmittel aller oster- reichischen Gebiete nothwendig schien, so tibernahm auf Bitten Wilhelms selbst sein Oheini Albrecht III. fur die Dauer seines Lebens auch die Kegierung der Lander der leopoldinischen Linie. Nach seinem Tode sollte Wilhelm iiber die anderen Glieder des Hauses Habsburg bis zu ihrer Yolljahrigkeit die Regierung fuhren und auch daim eine Landertheilung moglichst vermieden werden. Wenn aber Albrechts gleichnamiger Sohn oder Wilhelm und seine Briider eine solche durchaus verlangten, so sollte jeder Theil die Lander seines Yaters nach dem Yertrage von 1379 erhalten. Xach diesem Abkoinmen (vom 10. October 1386) wurde also eine neue Theilung vom Belieben einer Partei abhangig gemacht, und es war vorauszusehen, dass die gemeinsame Regierung nicht von langer Dauer sein wiirde. 2 ) In der That fand diese nach Albrechts III. Tode (29. August 1395) ein Ende. Obwohl er in seinem Testamente seinen gleichnamigen Sohn und seinen Neffen gebeten hatte, ihre Besitzungen nicht zu theilen. J ) Diese Stadte batten die Herzoge 1373 als Verbiindete des Franz von Carrara, Herru yon Padua, in einem Kriege mit Venedig erworben, doch verpfandete sie Leopold III. 1386 an Carrara. 2 ) Meine B Gescbichte Osterreicbs* 2, 316 f. Dort S. 321 ff. und 404 ff. auch eine eingebendere Darstellung der Geschicbte der spateren Landertheilungen. 39 sondern mit gleichen Rechten bei einander zu bleiben, brachen doch zwischen beiden gleich Streitigkeiten aus, welche endlich durch den Vertrag von Hollenburg (22. November 1395) beigelegt warden. Darnach sollten beide Herzoge wahrend ihrer Lebenszeit ihre Lander ungetheilt lassen und gemeinschaftlich regieren, die Beamten und Vasallen beiden den Eid der Treue und des Gehorsams leisten und beide einen gemein- sainen Hofrath haben, aber die Einkiinfte von alien Landern gleich getheilt werden. Wichtigere Unternehmungen, namentlich einen Krieg, sollte keiner ohne Zustimmung des anderen beginnen. Thatsachlich ent- wickelten sich dann freilich die Verhaltnisse so, dass Wilhelm Mitregent in Osterreich wurde, nicht aber auch Albrecht IV., der iiberhaupt Freund eines zuriickgezogenen Lebens war, auf die Verwaltung der anderen Lander Einfluss fibte. Wilhelms altester Bruder Leopold IV. hatte schon seit mehreren Jahren die Verwaltung der Vorlande gefiihrt, setzte es aber am 30. Marz 1396 durch, dass ihm sein Bruder fur die nachsten zwei Jahre auch Tirol uberliefl und die gleiche Theilung der Einkiinfte zugestand. Fur den Unterhalt des Herzogs Ernst, der ubrigens schon volljahrig und verheiratet war, sollte Wilhelm, fur den Friedrichs im nachsten Jahre Leopold sorgen. Die Idee der Zusammengehorigkeit aller Lander der leopoldinischen Linie fand dadurch Ausdruck, dass die Vasallen uiid Beamten beiden Herzogen schworen und ohne Zustimmung beider nichts verauflert oder verpfandet werden sollte. Dieser Vertrag wurde wiederholt verlangert, aber im Marz 1404 dahin abgeandert, dass Leopold IV. auch Steiermark erhielt, wogegen er seinen Bruder Friedrich zu seinem Stellvertreter in der Verwaltuug der Vorlande ernannte. Albrecht IV. wurde am 14. September 1404, erst 27 Jahre alt, von der Ruhr hinweggerafft, worauf fur dessen siebenjahrigen Sohn Albrecht V. Herzog Wilhelm die Vormundschaft ubernahm. Aber auch Wilhelm schied schon am 15. Juli 1406 ohne Hinterlassung von Kindern aus dem Leben. Dadurch wurde nicht blofi die Herrschaft uber Karnten und Krain, sondern auch die Stelle eines Vormundes und Regenten in Osterreich erledigt. Nach dem Herkommen hatte diese wohl dem Herzoge Leopold IV. als dem Altesten des Hauses gebiirt, doch wurde sie ihm von seinem Bruder Ernst streitig gemacht. Beide erkannten ubrigens die 6ster- reichischen Stande, welche die Entscheidung fiir sich beanspruchten, als Schiedsrichter an und unterwarfen sich ihrem Ausspruche auch beziiglich der Theilung der Lander der leopoldinischeu Linie. Die Stande gaben die Erklarung ab, dass Osterreich nach den fruheren Familienvertragen dem Herzoge Albrecht V. allein gehore, 40 und dass die Vormundschaft arn 23. April 1411 ein Ende haben sollte. Die Lander der leopoldinischen Linie theilten sie in drei Gruppen: 1. Steiermark, 2. Karnten imd Krain mit den benachbarteu kleineren Gebieten, 3. Tirol. Die Einkfinfte aus diesen Landern sollten aber unter die drei Bruder gleich getheilt werden, die Gebiete jenseits des Arlberg alien gemeinsam gehoren. Die Wahl zwischen dieseu Gruppen sollte den Herzogeu nach ihrem Alter ztistehen. Leopold und Ernst einigten sich nun dahin, dass ersterer die vormimdschaftliche Regierung in Oster- reich und die Verwaltung in Karnten und Krain, letzterer Steiermark erhalten sollte. Friedrich ware also Tirol zugefallen, doch bekam er zuuachst nur die Verwaltung der Vorlande, und erst im folgenden Jahre wurde ihm auch Tirol iiberlassen. So zerfielen die osterreichischen Lander in vier getrennte Verwaltungsgebiete. Doch schon aui 3. Juni 1411 starb Leopold IV., dem die Vormund- schaft liber Albrecht V. von seinem Bruder Ernst streitig gemacht worden war, an einem Blutsturze und gleichzeitig erkannten die Stande Osterreichs ihren Herzog als selbstandigen Herrn an. Steiermark wurde jetzt durch einen Vertrag zwischen den Herzogen Ernst und Friedrich dem ersteren fiberlassen, sodass derselbe gauz Inneroster- reich in seinen Handen vereinigte, wahrend Friedrich im Besitze Tirols und der Vorlande blieb. Herzog Ernst hinterliefl bei seinem Tode (1424) zwei noch minder- jahrige Sohne, Friedrich und Albrecht VI., fiber welche bis 1435 ihr Oheim Friedrich die Vormundschaft fuhrte. Dieser starb 1439 ebenfalls mit Hinterlassung eines minderjahrigen Sohnes Sigmund, als dessen Vor- mund Friedrich von Steiermark anerkannt wurde. Albrecht V., welcher die einzige Tochter Kaiser Sigmunds zur Frau hatte, ward nach dem am 9. December 1437 erfolgteu Tode seines Schwiegervaters auch als Ko'nig von Ungarn und Bohmen anerkannt und am 18. Marz 1438 von den Kurftirsten auf den deutschen Thron erhoben. Doch schied er schon am 27. October 1439 aus dem Leben. Sein nach seinem Tode geborener Sohn Ladislaus, fiber den Friedrich von Steiermark, der auch zum deutschen Konige gewahlt ward, die Vor- mundschaft fuhrte, wurde zunachst nur in Osterreich, in Ungarn und Bohmen aber erst 1452, als er aus der Vormundschaft entlassen word-en war, als Herrscher anerkannt. Aber auch er fand am 23. November 1457 ein frtihes Ende, worauf die Ungarn den Matthias Hunyady (Corvinus), die Bohmen Georg von Podiebrad zum Konige wahlten, sodass die Ver- bindung dieser Reiche mit Osterreich sich wieder lo'ste. Osterreich selbst musste nach dem Erloschen der albertinischen Linie mit Ladislaus dem Nachgeborenen an die leopoldinische Linie fallen. Aber unter den Gliedern derselben entstand Streit daruber, ob, 41 wie K. Friedrich III. ineinte, der Alteste allein ein Recht darauf hatte, oder ob, wie dessen Bruder Albrecht VI. imd Sigismund von Tirol be- haupteten, alle gleiche Anspruche hatten. Nach den fruheren Familien- vertragen uud dem Verlauf der Geschichte seit 1379 war unzweifelhaft letzteres die richtige Auffassung. Albrecht VI. setzte denn auch durch, dass ihm das Land ob der Enns iiberlassen wurde, wahrend Friedrich nur Niederosterreich erhielt. Sigismund hatte auf seine Anspruche zu Gunsten Albrechts verzichtet, der ihm dafiir die westlichen Vorlande zuriickgab, welche Friedrich als Vormund Sigmunds 1446 seiuem Bruder iiberlassen hatte. Bald verier der Kaiser auch das Land unter der Enns, da die mit seiner Herrschaft unzufriedenen Adeligen und endlich auch die Wiener sich gegen inn erhoben und sein ehrgeiziger Bruder sich mit ihnen ver- baud. Im Frieden von Korneuburg (2. December 1462) musste der Kaiser fiir die nachsten acht Jahre gegen eine Rente von 4000 Ducaten Nieder- osterreich seiuem Bruder iiberlassen. Doch begann der Kaiser bald wieder die Feindseligkeiten, deneii erst Albrechts VI. plotzlicher Tod (2. December 1463) ein Elide machte. Fiel nun ganz Osterreich an den Kaiser, so horte dreifiig Jahre spater die Zersplitterung der osterreichischen Lander vollstandig auf. Denn der kinderlose Erzherzog Sigmund von Tirol, ein wohl- wollender, aber verschwenderischer uud schwacher Fiirst, liefi sich be- wegen, im Marz 1490 gegen eine jahrliche Rente von 52.000 Gulden der Regierung Tirols und der Vorlande zu Gunsten seines Vetters Maximilian, des Sohnes des Kaisers, zu entsagen. Als am 19. August 1493 K. Fried- rich III. starb, wurden (zurn erstenmale wieder seit 1395) alle oster- reichischen Lander in den Handen seines einzigen Sohnes Maximilian vereinigt. Da dieser durch seine Vermahlung mit Maria von Burgund, der Tochter und Erbin Karls des Kiihnen (19. August 1477), auch die burgundisch-niederlandischen Gebiete zwischen der Nordsee und dem Jura erworben hatte, so war Osterreich eine der ersten Machte Europas geworden. Die habsburgischen Besitzungen wurden aber noch erweitert, da Maximilians und Marias einziger Sohn Philipp 1496 die Infantin Johanna, Tochter Ferdinands von Aragonien und Isabellas von Castilien, heiratete und in kurzer Zeit alle starben, welche den- selben bezuglich des Erbrechtes vorangiengen. Doch kam die Vereinigung dieser Reiche mit Osterreich theils wegen ihrer raumlichen Entfernung, theils wegen der Verschiedenheit des Nachfolgerechtes nicht zustande. Denn in Spanien und den Nieder- landen bestand die Primogeniturerbfolge, sodass von den zwei Sohnen des schon 1506 verstorbenen Erzherzogs Philipp, Karl und Ferdinand, nur der altere in diesen Landern folgte. In Osterreich aber gait noch 42 immer das Princip des Gesammtbesitzes, sodass K. Maximilian, der am 12. Janner 1519 starb, in seinem Testamente seine beiden Enkel zu Erben eiusetzte. Es schien nun zunachst zu einer neuen Theilung der osterreichischen Lander zu kommen. Karl, der 1519 auch zum deutschen Kaiser ge- wahlt wurde, uberliefi im Wormser Vertrage vom 21. April 1521 seinem Bruder Ferdinand vorlaufig nur die fiinf Herzogthumer Osterreich unter und Osterreich ob der Enns, Steiermark, Karnten und Krain in ihrem alien Umfange, wahrend er alles ubrige fiir sich behielt. Da aber die Stande von Karnten und Krain daruber Beschwerde erhoben, dass dadurch Gebiete, welche bisher mit ihren Landern in enger Verbinduug gestanden oder gar innerhalb ihrer Grenzen gelegen waren, einem fremden Staate zugewiesen wurden, so verzichtete Karl am 30. Janner 1522 auch auf Triest, Istrien, Pordenone und die ehemals gorzischen Besitzungen. Im defiuitiven Yertrage von Brussel (7. Februar 1522) trat er diesern auch Tirol mit Vorarlberg und den Besitzungen in Schwaben ab. Weiter iiberliefi er ihm fiir einige Einkunfte, welche Ferdinand von Aragonien seinem zweiten Enkel vermacht hatte, das Herzogthum Wfirtemberg, welches er vom schwabischen Bunde. der es dem Herzoge Ulrich wegen Landfriedensbruches entrissen, gekauft hatte, und endlich auf Lebenszeit auch das Elsass mit der Landvogtei Hagenau und dem Breisgau, auf welche er am 7. Mai 1540 definitiv verzichtete. 1 ) So waren die altosterreichischen Lander in den Handen Ferdinands I.. aber die spanischen, italienischen und niederlandischen Gebiete wieder von jenen getrennt und der spanisch-burgundischeu Linie des Hauses Habsburg zugewiesen. c) Die Stellung des Adels. Xebeu dem steten Anwachsen der fiirstlichen Gewalt gegenuber der kouiglichen macht sich im Mittelalter noch eine zweite Stromuug be- nierkiich. die Zunahme des Einflusses des Adels auf die Entschliefiungen des Landesherrn. In der alteren Zeit, wo sich die Staatsgewalt noch nicht so positive Zwecke setzte als heutzutage uud sie es namentlich noch nicht fur ihre Pflicht hielt, auch das materielle Wohl der Unterthanen direct zu fordern, gait als die wichtigste Aufgabe des Landesfiirsten neben der Vertheidiguug des Landes nach aufien die Erhaltung des Friedens und die Wahrung des Kechtes im Innern, also die Ausubung der Gerichtsbarkeit. Zu J ) Die Vertrage zwischen Karl V. und Ferdinand I. in Ausziigen bei J. J. Moser, Teutsches Staats-Recht, 12, 391 ff. und Buchholtz, Geschichte der Eegierung Fer- dinands I., 1, 154 ff. 43 diesein Zwecke musste der Markgraf oder Herzog an jeder ,,Ding-" oder Gerichtsstatte gewohnlich dreimal im Jahre das o'ffentliche Gericht ( n Ding", spater Landtaiding) halten, 1 ) wo unter seinera Vorsitze die freien Grundbesitzer der Mark, besonders die beguterteren, sich ver- samtnelten, uber schwere Verbrechen, auf die der Tod gesetzt war (Mord imd Todschlag, Kaub, Diebstahl, Brandstiftung, Nothzucht), urtheilten, Streitigkeiten uber Grundeigenthum entschieden und als Zeugen fur Giiterveraufierungen und Scheukungen fungierten. Aber auch uber all- geraeine Landesangelegenheiten wurden raanchmal bei diesen Ver- sammlungen Berathungen gepflogen, wenn auch bei diesen der Furst in der Regel nicht an ihre Zustimmung gebunden war. Nur Gesetze und neue Rechte sollte nach einem Reichsgesetze vom 1. Mai 1231 weder ein Furst noch ein anderer machen dtirfen, ,,aufter mit Zustimmung der Besseren und Grofieren des Landes". 2 ) Neben den ,,Freien" (liberi) oder ,,Edeln" (nobiles), zu denen in Osterreich auch die wenigen Herren gerechuet wurden, welche den Grafen- titel fiihrten, gelangte unter den spateren Babenbergern noch ein anderer Stand zu Ansehen und Bedeutung, die Ministerial en oder Dienst- mannen. 3 ) Der Ausdruck Ministerialen bezeichnete urspriinglich Beamte oder Diener eines Herrn, sei es des Konigs oder eines Groflen oder geist- lichen Stiftes. Dieselben, anfangs meist dem Stande der Unfreien oder wenigstens Zinsleute angehorig, waren Verwalter oder Aufseher auf den Giltern des Herrn oder* verrichteten Dienste am Hofe desselben. Oft waren sie aber auch zur Vertheidigung seiner Besitzungen verpflichtet und bildeten im Kriege zu Pferde seine bewaffnete Begleitung. Dafur erhielten sie vom Herrn den Unterhalt und oft noch liegende Guter. Die Aussicht auf ein Gut (beneficium) bewog wohl auch Freie, in dieses Verhaltnis einzutreten, das die Dienstmannen wegen der damit ver- bundenen Vortheile erblich zu machen suchten. Doch wurden diese Guter nicht als ihr Eigenthum angesehen und durften daher z. B. von ihnen nicht ohne Zustimmung des Herrn veraufiert werden, wenigstens dann nicht, wenn das Gut dadurch aufier die Gewalt desselben gekommen ware. Auch der Charakte-r der personlichen Unfreiheit dieses Standes x ) Es hieB lateinisch: ^placitum (provinciate ) u , die Gerichtsstatte: n mallus publicus." 2 ) Ut neque principes neque alii quilibet constitutiones vel nova iura facere possint, nisi maiorum et meliorum terre consensw primitus habeattir. Mon. Germ. LL. 2, 283. 3 ) Siehe im allgemeinen Waitz, 5, 288 ff. und 428 ff. und fur Osterreich Siegel, Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in Osterreich im 12. und 13. Jahrhundert. n Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie", 102, 235 ff. Weitere Literaturnachweise fur das Folgende in meiner ^Gesehichte Osterreichs" 1, 481 ff. 44 tritt noch lange zutage. Der letzte Herzog von Steiermark vermacht seine Ministerialen 1186 testamentarisch dem Herzoge von Osterreich. In Osterreich selbst warden Ministerialen bis znm Aussterben der Baben- berger verkauft oder verschenkt, Kinder aus Eheii von Dienstleuten ver- schiedener Herren unter diese getheilt. Die Ehe einer Freien mit eineni Ministerialen gait auch noch spater als Mesalliance, und die Kinder einer solchen verloren ihr Erbrecht an den Giitern der freien Mutter. 1 ) Weil aber die Ministerialen sehr oft um den Herrn waren, er- langteu sie nach uud nach auch einen gewissen Einfluss auf denselben. Auch ihre sociale Stellung wurde besonders durch die zunehmende Be- deutung des Kriegsdienstes gehoben. Sie konnteu ebenso wie die freien Vasalleu Lehen besitzen und wie diese imfreie Lehensleute mit der Yer- pflichtung zum Waffeudienste halteu. Besonders jene Dienstmannen. welche ein sogeuauntes Hofamt, das eines (obersten) Marschalls, Kani- merers, Schenken oder Truchsessen bekleideten, hatten einen hervor- rageuden Rang. Mehrere der machtigsten Adelsgeschlechter Osterreichs und Steiermarks 2 ) gehorten deni Stande der Ministerialen an. Wir fmden denn auch schou in der ersten Halfte des 12. Jahrhunderts, wenn nicht friiher. Ministerialen bei Landtaidingen anwesend oder unter den Zeugen angefiihrt, uud seit der zweiten Halfte wird ihr Bath (consilium), ja ihre Zustimmung (conniventia) zu den Regierungshandlungen des Herzogs ebenso erwahnt wie der der Freien oder Edleu. Beide Stande werden wohl uuter der einen Bezeichuung Vasallen (fideles) oder Grofie (magni) zusammengefasst. 3 ) Auch die Ministerialen der Steiermark nehmen eine ahnliche Stellung eiu. Als sie Herzog Ottokar (1186) dem Herzoge von Osterreich vermachte, suchte er ihnen gewisse Befugnisse zu sichern. Sie sollten das Recht habeu, gegen tyrannische Behandlung des Landes- fiirsten an das Reich zu appellieren, ihre Leheu in Ermanglung von *) Nach Urkunde von 1267 (F. R. Austr., Dipl. 31, 289) beauspruchte die Tochter eiiier Grafin von Neuburg-Falkenstein und Heinrichs von Kuenring, eines der her- vorrageudsten osterreichischen Ministerialen, aus dem Erbe ihrer Mutter die Burg Herrantstein, wogegen der Bischof von Freising fur seine Kirche geltend machte: ^commune ius Austrie ab antiquis temporibus observatum et quod adhuc, ut meliores Austrie concordant et affirmant, ibidem observatur, quod . . . ius tale est, quod, cum. filii seu filie progeniti de stirpe nobilium et liberorum copulati fuerint aliquibus non parts condicionis sed inferioris, ut puta ministerialium ecclesiarum vel domini terre videlicet duds, filii seu filie progeniti de talibus copulatis, ut puta existentes deterioris condicionis, etiam (non) habent nee debent habere ius vel accionem in prediis seu proprietatibus, que ab antiquo respiciebant solummodo homines libere condicionis, hoc est quod vulgo vocatur ,,vreyzaygen u . 2 ) Die Emerberg, Haslau, Kapellen, Kuenring, Liechtenstein, Meissau, Starhem- berg, Stubenberg, Trauu, T) auttnianusdorff, Wildon u. s. w. 8 ) Ersteres 1155 bei Meiller, S. 36, Nr 29. letzteres 1222 ibid. 131, 180. 45 Sohnen auch auf Tochter, andere Gfiter auch auf Seitenverwandte zu vererben, wenn keine testamentarische Verffigung getroffen ware, oder auch an andere Steierer zu verkaufen oder zu verschenken. Auch Ehen zwischen steierischen und o'sterreichischen Dienstmanuen wurden gestattet. Streitigkeiten sollten nicht durch Zweikampf, sondern durch Zeugen- beweis entschieden werden, 1 ) wahrend in Osterreich nach dem dortigen Landrechte noch in der Zeit Ottokars II. 2 ) unter rittermafligen Mannern von 24 bis 60 Jahren der Zweikampf in Gegenwart des Landesherrn als gerichtliches Beweismittel erscheint. Unmittelbar nach dem Antritte der Regierung in der Steiermark hielt Leopold V. bei Graz r eine grofie Versammlung seiner Ministerialen, urn dort nach weisem Rathe fiber seine Angelegeuheiten und das Wohl des Landes zu verhandeln", wie er sich ausdriickt. Irn osterreichischen Landesrecht sind die Dienstmannen fiber- all mit den Grafen und Freien in eine Linie gestellt, und ganz dasselbe ist im Landfrieden K. Rudolfs von 1276 der Fall. 3 ) In der zweiten Halfte des 13. Jahrh under ts werden die Falle, wo Ministerialen als nobiles bezeichnet werden, i turner haufiger, und im Laufe des 14. Jahrhunderts verschmelzen sie vollstandig mit den alten, aber nicht mehr sehr zahl- reichen ,,Edeln" und bilden mit diesen den Stand der ,,Herren". 4 ) Einen niedrigeren Rang als die Dienstmannen nahmen die Ritter (milites)' ) ein, obwohl ursprunglich beide Classen den Charakter der Un- freiheit gemeinsam hatten. Es waren dies Unfreie, welche von Fursten, Grafen und freien Herren oder von Dienstmannen gegen die Yerpflichtung zum Waffendienste kleinere Gtiter zu Lehen hatten, ohne sich wie die Ministerialen durch den Hofdienst zu einer hoheren Stellung aufschwingen und Einfluss auf die Laudesangelegenheiten erlangen zu konnen. Im 13. Jahrhundert, wo der Unterschied scharfer hervortritt und die Ritter als eigener Stand erscheinen, konnten diese mit Dienstmannen keine ebenbtirtige Ehe eingehen, und sie konnten nicht wie diese Vasallen haben. Auch ihr Gerichtsstand war nicht derselbe, ja sie mussten ihrem Herrn einen Zins geben. Aber sie nahmen doch eine hohere Stellung *) Zahn, UB. von Steiermark, 1, 651. 2 ) Die betreffenden Bestimmungen finden sieh nicht bloB in der urspriinglichen Fassung Art. 9 14, sondern auch in der spater (1266) vorgenommeneu Umarbeitung desselben 9 12. 3 ) Mon. Germ. LL., 2, 410. 4 ) Hasenohrl, S. 74 ff. 5 ) Sie werden als n milites et dientes", ^Bitter und Kuappen", spater B Eitter und Knechte" bezeichnet, wobei unter dem letzteren Ausdrucke immer jene Kitter- burtigen zu verstehen sind, welche noch nicht wirklich den Ritterschlag erhalten haben. tiber die Stellung der Bitter s. 0. v. Zallinger, Ministerial und Milites (Inns- bruck, 1878). 46 ein als die immer mehr zusammenschwindenden freien Landbauern oder Gemeinfreien, denen wegen des geringen Umfanges ihres Gutes die Mittel gefehlt batten, als Schwerbewaffnete zu Pferde, oft fern von der Heimat, Kriegsdienste zu leisten. Sie warden immerhin uoch zuni Adel gerechnet, wenn sie auch dessen unterste Stufe bildeten, und erlangteu im spatereu Mittelalter das Kecht, an den Landtagen theilzunehmen. d) Entstehung und Ausbildung des Stadtewesens. Neben dem Adel gelangte in den osterreichischen Landern auch das Biirgerthum zu socialer wie politischer Bedeutung. 1 ) Die Stadte, welche in der Zeit der Komerherrschaft daselbst ent- standen waren. batten in den Stiirmen der Volkerwanderung ihren Unter- gang gefunden. Erst nachdem durch das wieder erstarkte deutsche Keich die Grenzlander gegen die Einfalle der Ungarn gesichert worden waren, entstanden wieder Ortschaften mit stadtischem Chafakter. Einmal lieflen sich am Fufie einer Burg (urbs), die man zum Schutze gegen die Feinde erbaut hatte, oft Bewohner in grofierer Zahl nieder, deren Hauser dann wohl auch mit Mauer imd Graben umgeben wurden; um die urbs entstand ein su~burbium, eine civitas. Dann siedelten sich viele Menscheu an solchen Orten an. welche fiir Handel und Verkehr besonders giinstig gelegen waren, namentlich an schiffbaren Fliissen und belebten Strafien. Wurden einem solchen Orte vom Konige oder Landes- fiirsten ein oder mehrere Markte verliehen, so wurde er auch als n Markt" (forum) bezeichnet und erwuchs manchmal zu einer Stadt. deren Be- wohner oder Burger" (cives, lurgenses), welche sich meist schon durch die Art ihres Erwerbes von den Bauern unterschieden, trotz ihrer Horig- keit fiir ihren Besitz ein geschiitzteres Eigenthumsrecht erhielten. Das Charakteristische einer Stadt nach der Auffassung des Mittel- alters liegt aber hauptsachlich darin, dass die Einwohner von der Gewalt des Eichters uber die Umgegend befreit und fiir sie ein eigener Kichter ernannt wurde. Dadurch ward es auch rnoglich, besondere, ihren eigen- thiinilichen Verhaltnissen und Interessen entsprechende Kechtsnormen auszubilden. In diesem Sinne sind die Stadte in den osterreichischen Landern ziemlich spaten Ursprungs. Erst die letzten Babenberger l ) Nahere Ausfiihrungen in meiuer ^Gescliiclite Osterreichs", 1, 485 ff. Die altesten osterreiehischen Stadtrechte sind gesammelt von A. v. Meiller, Osterreichische Stadtrechte und Satzungen aus der Zeit der Babeuberger. s Archiv fiir osterreichische Geschichtsquellen", 10, 87 ff. Winter, Urkundliche Beitrage zur Eechtsgeschichte ober- und niederosterreicbischer Stadte (Innsbruck, 1877), gibt dazu Nachtrage auch fiir die spiitere Zeit. Die besonders in der letzten Zeit sehr angewachsene Literatur iiber die Entstehung und den Charakter des Stadtewesens in Deutschland im einzelnen auzufuhreu ist unmoglich. 47 verliehen mehreren Ortschaften. gewisse Privilegien, durch welche Be- stimmungen iiber den Markt- und sonstigen Verkehr getroffen und die Einwohner mit verschiedenen Vorrechten begabt wurden. Das alteste Stadtrecht in diesem Sinne scheint Wien in der ersten Zeit Leopolds VI. (1198?) erhalten zu haben, nachdein dieses schon seit der Zeit H. Heinrichs II. (seit 1155) regelmafiig als Stadt (civitas) bezeichuet worden war. Dieses Recht ist in seiner ursprung- lichen Gestalt verloren, wiirde aber einerseits bei der Abfassung des Stadtrechtes fur Enns vom Jahre 1212 benutzt, andererseits 1221 einem erweiterten Stadtrechte von Wien 1 ) zugrunde gelegt, welche daher grofitentheils wortlich ubereinstimmen. Beide enthalten besonders strafrechtliche und civilrechtliche Bestimraungen: fiber die Bestrafung verschiedener Verbrechen, Vergehen oder Polizeiiibertretungen, fiber Be- weismittel, Erbrecht u. dgl. In beiden Stadten erscheint ein eigener Richter, der im Namen des Herzogs, welcher ihn jedenfalls auch er- nennt, die Gerichtsbarkeit ausubt. Neben ihm gibt es in Enns 6, in Wien 24 aus den Bfirgern genommene Geschworeue (auch consules genannt), die unabhaiigig vom Richter fiber den Marktverkehr und fiber alles, was zur Ehre und zum Nutzen der Stadt gereicht, nach bestem Wissen und Gewissen Beschlfisse fassen. Aus diesen hat sich der spatere Stadtrath entwickelt. Nach dem Wiener Stadtrechte sollen 100 der verlasslichsten und weisesten Btirger ausgewahlt und verzeichnet und wenigsteus zwei von diesen r Genannten" als Zeugen bei Veraufle- rungen von Gfitern im Werte von mehr als 3 Pfund und bei schwierigeren Rechtssachen beigezogen werden. Jeder Burger, der innerhalb des Stadt- grabens Gfiter im Werte von 30, in Wien von 50 Pfund hat oder einen Bfirgen findet, ist selbst im Falle eines Hordes oder Todschlages vor Verhaftung geschfitzt und wird auf freiem Fufie gerichtet. Als Ent- lastungsmittel kommen neben dem Eide mit Eideshelfern auch noch die Gottesurtheile mit Wasser und gluhendem Eisen vor. Strenge wird das Hausrecht geschfitzt. Gewaltsames Eindringen in ein Haus wird mit hohen Geldbuflen oder dem Abhauen der Hand bestraft. Jeder Bfirger darf zum Schutze des Landes Pferd und Waffen haben. Auch hat jeder das Recht, in Ermanglung von Weib und Kindern fiber seine Gfiter frei zu verffigen. Der Ehezwang ist ebenfalls aufgehoben; der Herzog soil die Witwe oder die Tochter eines Bfirgers nicht zu einer bestimmten Heirat nothigen. Endlich wurde bestimmt. dass fremde Kaufleute mit ihren Waren sich nicht langer als zwei Monate in Wien aufhalten und sie nur an Bfirger sollten verkaufen, Kaufleute aus Schwaben, Regens- *) Dieses wie die folgenden Priyilegien fur Wien bei Tomaschek, Eechte uiid Freiheiten der Stadt "Wien, 1, 9 ff., mit wertvoller Einleitung iiber die geschicbtliche Entwicklung des Stadtrechtes. 48 burg und Passau dieselben auch nicht nach Ungarn sollten fuhren durfen, sodass Wien der Stapelplatz fur den ganzen Donauhandel wurde. Ein Privileg, das K. Friedrich II. nach der Absetzung des Herzogs Friedrich im April 1237 der Stadt Wien gab, welche er zugleich zur Keichsstadt machte, hat dieser nach seiner Wiedergewinnung des Landes nicht anerkannt. Dagegen bestatigte er den Wienern 1244 das Stadt- recht von 1221 rait einigen Erweiterungen und Abanderungen, wobei namentlich die Gottesurtheile beseitigt und durch den Bid oder Zeugen- beweis ersetzt wurden. Fast wortlich dasselbe Privileg erhielt gleichzeitig die Stadt Hain- burg. Auch die (Wiener-) Neustadt, die Leopold V. kurz vor seinem Tode (1194) w nach Berathung mit seinen Dienstmannen" gegriindet hatte, indem er zugleich den Markt von Neunkirchen dorthin ubertrug, erhielt 1239 vom H. Friedrich II. verschiedene Vorrechte, z. B. Abschaffung des Ehezwanges, Zollfreiheit der Burger in alien Gebieten des Herzogs und einen Jahrmarkt, der drei Wochen dauern sollte. Ottokar II., der die Stadte Marchegg und Bruck an der Mur neu griindete. verlieh mehreren Ortschaften Stadtrechtsprivilegien, und in der Zeit der Habsburger hauften sich diese immer mehr. Besonders wurde Wien begunstigt. J ) Eudolf I. erneuerte am 24. Juni 1278 die Privilegien K. Friedrichs II. von 1237 und H. Friedrichs II. von 1244 und fugte neue hinzu, wodureh er namentlich dem Stadtrathe, dessen Mitgliederzahl zunachst auf 20 festgesetzt wurde, eine aus- gedehnte Wirksamkeit in Beziehung auf Verwaltung und Gerichtsbarkeit sicherte. Kein Burger sollte in irgend einer Angelegenheit statt an den Rath an jemand anderen appellieren durfen und nur den Eathen selbst freistehen, sich in einer unklaren oder schwierigen Sache an den Herzog zu wenden. Deu Biirgern wurden auch bezuglich der Ablegung von Zeug- nissen, der Erhebung von Anklagen und des Empfanges und der Ver- leihung von Lehen dieselben Eechte wie den Eittern zuerkannt und aus- gesprochen, dass alle Burger wie jene, die sich uber Jahr und Tag unan- gefochten in der Stadt aufgehalten und als Burger gegolten hatten, als Freie betrachtet werden sollten. H. Albrecht I. hat zwar die Eeichsunmittel- barkeit Wiens ebensowenig anerkannt wie K. Ottokar, aber sonst die wichtigsten Bestimmungen der Privilegien seines Yaters 1296 erneuert und namentlich auch ausdrflcklich verfiigt, dass iiber Wiener Burger, handle es sich um Leib, Gut oder Eigen, nur der Stadtrichter richten sollte. Doch war der Eichter nur der Vorsitzende des Criminalgerichtes, und er musste Burger zu Beisitzern wahlen. J ) Vgl. mit Tomaschek a. a. 0. I, XXIX if. K. WeiB, Geschichte der Stadt Wien (2. Aufl.), 1, 332 ff. 49 Wien erfreute sich fortan einer grofien Autonornie, wenn sich auch Albrecht die Ernennung des Stadtrichters vorbehielt. Den Vorsitz im Kathe fuhrte nicht mehr der Kichter, sondern der Blirgermeister, den wir zum erstenmale 1287 erwahnt finden. Dieser wie die Mitglieder des Kathes wurden alber mehr als ein Jahrhundert lang aus den so- genannten Erbbiirgern, d. h. jenen, welche vom Ertriignisse ihrer liegenden Guter lebten, und aus den reichen Kaufleuten genomraen, und erst 1396 wurde TOII den Herzogen Wilhelm, Leopold IV. und Albrecht IV. ver- ordnet, dass dazu von der ganzen Gemeinde auch Handwerker gewahlt werden sollten. Seit 1408 erhielt das demokratische Element der Zunfte auch insofern eine grofiere Bedeutung, als die bisher nur als Zeugen und Gerichtsbeisitzer verwendeten ,,Genannten", deren Zahl spatestens 1340 auf 200 erhoht worden war, oft auch zur Berathung stadtischer Angelegenheiten beigezogen wurden. Wien kann als Typus fur die Entwicklung des stadtischen Lebens in den osterreichischen Landern uberhaupt x ) gelten. Hier friiher, dort spater, bildeten sich zwar nicht gleiche, aber doch ahnliche Verhaltnisse aus. Bis zum Beginne des 15. Jahrhunderts hatte sich die Bedeutung der landesfiirstlichen Stadte und Markte so gehoben, dass sie sich dem hohen Clerus und dem Adel als gleichberechtigter Factor an die Seite stellen konnten. e) Die Bauern. 2 ) Die unterste Classe der Bevolkerung bildeten die Bauern. Unter diesen hat es wohl nur in Tirol eine grofiere Zahl von solchen gegeben, welche die voile Freiheit ihrer Person und ihres Gutes behauptet hatten. 3 ) In den anderen osterreichischen Landern waren sie entweder zu Vogt- leuten (homines advocaticii) oder zu Zinsleuten (censuales) herab- gesunken, von denen erstere wahrscheinlich fur den ihnen von-ihrem Herrn gewahrten Schutz, letztere ffir ihr Gut jahrlich einen bestimmten Zins (am haufigsten 5 Denare) zu zahlen hatten. wenn sie auch als per- sonlich frei galten. Tiefer standen die Grundholden (coloni), welche bestimmte Naturalabgaben entrichteten, aber mit ihrem Gute yerkauft, vertauscht oder versehenkt wurden. Dies gait noch mehr bei den eigent- lichen Unfreien oder Leibeigenen (homines proprii, servi), welche streng genommen als Sache betrachtet wurden, deren Stellung sich aber im Laufe des Mittelalters besonders auf den Gutern der Kirche sehr verbesserte, so dass sich, da die Grundherren oft auch yon den Grund- holden und Zinsleuteu hohere Leistungen verlangten , die strengen Eangunterschiede unter den Bauern immer mehr verloren. J ) Vgl. iiber dieses Luschin, Geriehtswesen, S. 199 if. 2 ) Hasenohrl, S. 88 ff. 8 ) A. Jager, Geschichte der landstandischen Verfassung Tirols, 1, 537 ff. Huber. Osterreichische fieichsgeschicbto. 4 50 f) Geschichte der Gerichtsverfassung bis zum Ausgange des 15. Jahrhunderts. Die verschiedene Stellung der Bevolkerungsclassen machte sich auch auf dein Gebiete des Gerichtswesens geltend. 1 ) I. Die obersten Gerichte (Land- unc! Hoftaiding, landmarschallisches Gericht). Das oberste Gericht bildete noch in der letzten Zeit der Baben- berger das Landtaiding, welches nach dera r Landesrecht" alle sechs "Wochen zu (Kor-) Neuburg. Tulln oder Mautern gehalten werden sollte. 2 ) Urtheiler waren urspriinglich die Grafen und Freien, zur Zeit der Auf- zeichnung dieses Rechtes aber auch die Dienstmannen. Diese drei Classen, die sogenannten Landherreu, erkennen nur das Landtaidiug als competenten Gerichtshof an, und wenn fiber Leib, Ehre oder (un- bewegliches) Eigen derselben geurtheilt wird, rauss der Herzog selbst den Vorsitz fuhren, wahrend in leichteren Fallen seine Stelle der von ihni ernannte (oberste) Landrichter (index provinciates Austrie) vertritt. K. Ottokar II., der sich haufig aufierhalb Osterreichs aufhalten musste, schrankte bei der Einfuhrung seines Landfriedens (1251/52) 3 ) seinen Vorsitz ausdrucklich auf die zuerst erwahnten Falle und die Lehensachen ein, wozu spater auch Processe gegen Personen oder Cor- poratiouen (Kloster) kamen, welchen er dieses Vorrecht verlieh. Auch setzte er Tier Landrichter, zwei diesseits und zwei jenseits der Donau, ein, von denen in der Regel zwei gemeinschaftlich den Vorsitz fuhren sollten. Vor ihneii wurden entschieden: 1. Klagen gegen die fahrende Habe der Landherren oder leichtere Criminalfalle, welche diese betrafen; 2. Processe gegen (unfreie) Bitter, wenn es sich um Leib und liegende Guter handelte; 3. Klagen gegen Geistliche, soweit sie vor das welt- liche Gericht gehorten. Ihnen sollte auch die ,,Frage schadlicher Leute" (inquisitio terrae generalis) in den niederen Landgerichten und die Ab- urtheilung der dabei Uberfuhrteu zustehen. Nach der Erwerbung der ehemals steirischen Gebiete im Lande ob der Enns (1254) bildete x ) L us chin, S. 47 ff. und fur die letzte Zeit der Babenberger und die der ersten Habsburger auch Hasenohrl, S. 165 ff. 2 ) Der Ansicht von Brunner, Exemtionsrecht S. 7 und Luschin, S. 52 uud 61, dass jede der drei Dingstatten ihren eigenen, einer Grafschaft eutsprechenden Gerichts- sprengel gehabt habe, also Osterreich in drei Bezirke getheilt gewesen sei, kann ich mich ebensowenig als Hasenohrl, S. 179 anschliefien. Weder das B Landesrecht s (Art. 1. 4. 49., 70), noch urkundliche Angaben machen das Vorhaudenseiu mehrerer (oberster) Landrichter wahrscheinlich. Obige Orte wtoren offenbar Dingstatten ftir ein und dasselbe Gericht. 3 ) Herausgegeben von Chmel im r Archiv fur osterreichische Geschichtsquellen", l a , 55 ff. 51 ubrigens nicht mehr die Donau, soudern die Enns die Grenze der hOheren Landgerichtssprengel, und wir findeu (seit 1264) zwei indices provinciates superioris Austrie neben zwei Landrichtern in Osterreich. Unter den ersten Habsburgern trat keine wesentliche Anderung ein. Doch erscheint im Lande ob der Enns statt der zwei nur noch ein ,,Landrichter u , der, weil er auch an der Spitze der Regierung stand, seit 1330 gewohnlich ,,Landeshauptmann" (capitancus) heifit. Auch in Steiermark und in den spater erworbenen Landern Karnten, Krain und Tirol fiihrt der Stellvertreter des Herzogs diesen Titel. Auch finden wir schon am Beginne der habsburgischen Herrschaft unter den Urtheilern im herzoglichen Gerichte auch die Hitter, wenn es sich um Angelegen- heiten ihrer Staudesgenossen oder der Geistlichen init privilegiertem Ge- richtsstande handelte. Doch wurden die Landtaidinge immer mehr verdrangt durch die Hoftaidinge, bis sie sich nach und nach ganz verlieren. 1 ) Die Hof- taidinge, deren Anfange noch in die letzteii Jahre der Babenberger zuriickreichen, 2 ) unterscheiden sich YOU den Landtaidingen hauptsachlich dadurch, dass der Vorsitzende, entweder der Herzog personlich oder der von ihm ernannte Hofrichter, 3 ) die Beisitzer, deren eine bestimmte Zahl (6?) gewesen zu sein scheinen, selbst ernennt. Doch mussten diese aus den Landherren genommen werden, und erst 1408 setzten die Ritter nach harten Kampfen es durch, dass H. Wilhelm die Besetzung der r Hof- schranne und des Hoftaidings" aus beiden Standen verfugte. Der Sitz des Gerichtes folgte dem Aufenthaltsorte des Herzogs und war daher in der Regel Wien. Aber auch das Hoftaiding rnacht bald anderen Gerichten Platz, einerseits dem landmarschallischen, andererseits einem veranderten Hofgerichte. Der Marschall, urspriiuglich Aufseher der Stalluugeu 'seines Herrn, dann Anfiihrer der Eeiterei, hatte als solcher auch die Gerichts- barkeit auf alien Heerfahrten und dann iiber die Ritter iiberhaupt. Da aber dieses Amt seit dem letzten Babenberger ein erbliches Lehen ge- worden war, bekleidete der ,,oberste Marschall" oder ,,Erblandrnarschall" in der Zeit der Habsburger fast nur noch einen Ehrenposten, und es entstanden zwei neue, vom Herzoge beliebig besetzte Marschallsamter, das des Hofmarschalls und das des Landmarschalls. Jener ubte am Ende des Mittelalters die Gerichtsbarkeit uber das ganze Hof- *) Luschiu, S. 49 f., fiadet die letzte Envahnung 1312 oder spatestens 1338. Aber noch 1359 erscheint ein (oberster) ^Landrichter in Osterreich". 2 ) In zwei Urkunden H. Priedrichs II. von 1244 ist uuter den Zeugen Cliun- radus de Zekkinge, iudex curie nostre. Meiller, S. 178. 179, Nr. 133. 136. s ) KegelinaBig kommt der Titel sett 1314 vor. Aber langere Zeit (bis 1359) erscheiut dieselbe Person bald als Hofrichter, bald als Landrichter. 52 gesinde. Der Landmarschall 1 ) hat schon im 14. Jahrhundert fiir die Aufrechthaltung des Landfriedens und fur die Ausfiihrung der gerichtlichen Urtheile zu sorgen und gait, weil er die Reiterei anzufiihren hatte. auch als der natiirliche Stellvertreter des Herzogs im Lehen- gerichte, wie er auch sonst ofter fur denselben den Vorsitz fuhrte. Nach 1412 scheint das landmarschallische Gericht oder das Land- re cht" forrnlich orgauisiert worden zu sein. Dasselbe bildet den ordent- lichen Gerichtshof bei Klagen gegen Herreii, Ritter und alle Besitzer von Herrengiilten, auch wenn sie Geistliche oder Burger waren, wie bei Landfriedensbriichen. Doch wtirden ihm oft auch andere Falle vom Herzoge zugewieseu. Der Landmarschall wurde vom Herzoge auf eine bestimmte Zeit, etwa em Jahr, eruannt, aber den Standen, als deren Haupt er gait, ein gewis.ses Vorschlagsrecht eingeraumt. Auch fur die Beisitzer, welche ursprunglich vom Landmarschall aus den anwesenden Herren und Rittern von Fall zu Fall ausgewahlt wurden, prasentierten seit 1444 die Stande eiue Anzahl von Candidaten, von welchen der Landesfiirst drei aus dem Herren- und drei aus dem Ritterstande er- nannte. Aber gerade der Einfluss der Staude auf das landmarschallische Gericht war die Ursache, dass seit H. Albrecht V. viele Processe, be- sonders wenn der Herzog selbst Partei war, oder wenn sie das herzogliche Kammergut (auch landesfiirstliche Stadte und Markte) betrafen, dem- selben entzogen und einem neuen Hofgerichte zugewiesen wurden, wo anfangs in der Regel der Herzog selbst, spater aber immer haufiger ein von ihm ernaunter Stellvertreter den Vorsitz fuhrte und besoldete herzogliche Rathe, also oft auch Unadelige, Geistliche oder studierte Juristeu, selbst Nichtosterreicher, iiber die osterreichischen Adeligen das Urtheil sprachen, sodass das fruhere Princip der Geuossenschaft der Richter mit der Partei nicht rnehr beachtet wurde. Den Sieg erhielt diese Richtung unter K. Maximilian I. 2. Die unteren Landgerichte. Ursprunglich hatten alle Landgerichte dieselbe Conipetenz, mochte der Herzog oder Graf oder ein anderer der Inhaber sein, mochte dieser selbst oder ein Stellvertreter den Vorsitz fuhren. Aber nachdem sich der Grundsatz ausgebildet hatte, dass nur das vom Herzoge geleitete Landtaiding uber die Landherren in den wichtigeren Angelegenheiten ein Urtheil fallen konne, sanken die ubrigen von selbst zu unteren Landgerichten", wie sie das r Landesrecht" nennt, herab, welche nur fiber die Ritter, Burger (soweit diese nicht durch die stadtischen Privi- 1 ) In den anderen habsburgischen Landern Landeshauptmann genannt. 53 legien eximiert waren) und Bauern die voile Gerichtsbarkeit ubten, Klagen gegea die Landherren aber nur dann entscheiden durften, wenn es sich um fahrende Habe, Besitzstorungen u. dgl. handelte. Durch den Land- frieden K. Ottokars I. (1251) wurden ihnen die Processe gegen die Land- herren ganz, gegen Bitter dann entzogen, wenn es sich um Leib oder unbewegliches Eigen derselben handelte. Auch durch die zahlreichen Exemtionen der kirchlichen Besitzungen und durch die immer raehr sich erweiternden richterlichen Befugnisse der Grundherren wurde die Gewalt der Bichter eingeengt. Nur das Becht, fiber Leben und Tod der unteren Volksclassen zu erkennen, blieb denselben ausschliefllich vorbehalten. Aber auch bezuglich der raumlichen Ausdehnung der unteren Land- gerichte traten wesentliche Anderungen ein. Der Markgraf oder Herzog war nicht der einzige Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit, sondern in ver- schiedenen Landern, naraentlich im Lande ob der Enns, gab es alte Grafen- oder Herrengeschlechter, welche dieselben unmittelbar oder mittelbar vom Beiche zu Lehen hatten. Auch viele Kirchen hatten fur ihre Besitzungen von den Kaisern die Befreiung von der graflichen Gewalt erlangt, entweder unbedingt, indera ihnen auch der Blutbann fur ihre Leute verliehen wurde, oder in beschrankterem Umfange, indem die causae majores, die Aburtheilung der Verbrechen, auf welche der Tod gesetzt war, oder wenigstens die Vollziehung des Urtheils, dem Land- richter vorbehalten blieben. Trat dadurch eine immer weitergehende Zersplitterung ein, so war dies noch mehr bei den Landgerichten der weltlichen Herren der Fall. Seitdem man die Ertragnisse als den wichtigsten Theil des Amtes ansah, begann man diese Gerichte zu theilen uud stuckweise zu ver- auflern, und es konnte einerseits ein Landgericht aus Stucken mehrerer alter Grafschaften bestehen, andererseits eine Grafschaft in mehrere Land- gerichte getheilt werden. Letzteres war das Gewohnliche, und es nahm dies, besonders seit dem 13. Jahrhunderte, ja selbst in der neueren Zeit so sehr zu, dass es in den ersten Decennien unseres Jahrhunderts im Lande unter der Enns 216, in Oberosterreich 106 Landgerichte gab, von denen die kleinsten 33 und 11 Einwohner zahlten. 1 ) Die landesherrliche Gewalt fand nur dadurch Anerkennung, dass die Gerichtsherren den Blut- bann vom Landesfursten (seit der Mitte des 16. Jahrhunderts von der Begierung) fur sich oder eventuell fur die von ihnen ernannten Land- richter einholen mussten. 3. Die Vogtei-, Hofmark- und Patrimonialgerichtsbarkeit. Die Aburtheilung leichterer Criminalfalle und die Entscheidung der Civilprocesse aller Horigen gehorte zur Competenz der Grundherren. ') Luschin, S. 114 if. 54 Die urspriiuglich wohl unbeschraukte Gewalt derselben fiber ihre un- freieii Bauern war in der hier in Betracht kornmenden Zeit schon inso- fern eingeengt, als die^burtheilung der Yerbrechen, welche eine Strafe an Leib oder Leben nach sich zogen, dem Landrichter vorbehalten war. Dagegen waren die freien Hintersassen in alien Civilstreitigkeiten ebenfalls dem Gerichte des Gruudherrn unterworfen, der aber selbst nur den Vorsitz fuhrte, wenn er dafur nicht einen Stellvertreter ernannte, zu Urtheilern aber Genosseu des Angeklagten, also andere Gutsunter- thanen, nehmen musste. Das Recht, leichtere Crirninalfalle zu ent- scheiden, besaflen nicht alle Grundherren, sondern nur die Kloster auf Grund ihrer Immunitaten, welche diese Vogteigerichtsbarkeit durch ihren Eichter oder Amtmann ausubten, und der hohere Adel, welcher fur seine Herrschaften in der Regel auch die offentliche Gerichtsgewalt erwarb. Aufierhalb der Imniunitaten und Gutsgebiete (Hofmarken) fibten diese Befugnisse die Dorfgerichte, deren Versammlungen (Banntaidinge, Ehe- hafttaidinge u. s. w.) noch vielfach an die echten Dinge der Karolinger- zeit erinnern. g) Das Verhaltnis des Staates zur Kirehe. Das Verhaltnis des Staates zur Kirehe war in Osterreich wahrend des Mittelalters kein anderes als in den ubrigen Landern. 1 ) Nicht blofi die Mitglieder des Clerus standen unter den geistlichen Gerichten, sonderu auch die Laien, wenn es sich urn Glaubens- oder Ehesachen, Wucher, Zehnten und Patronate, fromme Stiftungen u. dgl. handelte. Klagen von Laien gegeu Cleriker und umgekehrt gehorten vor das welt- liche Gericht, wenn sie unbewegliche Guter betrafen, wahrend um fahrende Habe und Schulden Geistliche in erster Instanz nur vor ihrem Oberen geklagt werdeu konnteu. Doch suchte die Staatsgewalt schon seit dem 14. Jahrhundert die kirchliche Gerichtsbarkeit immer mehr einzuengen. Das zweite wichtige Privilegium des Clerus bestand in der Steuer- freiheit der kirchlichen Besitzungen. 2 ) H. Albrecht III. fiel 1390 in den Bann, weil er eigenmachtig vom Clerus eine Steuer erhoben hatte. 3 ) Da infolge dessen jeder Zuwachs an Kirchengutern die Zahl der steuer- baren Objecte vermin derte, suchte man endlich dem Anwachsen der Guter der todten Hand Einhalt zu thun. Schon unter den ersten Habsburgern J ) Luschin, S. 258 ff. Vgl. E. Friedberg, Die Grenzen zwischen Staat und Kirehe, 1, 110 ff. 2 ) Abgaben, welche weltliche Herren als Vogte bezogen, fallen nicht unter diesen Gesichtspunkt. 3 ) Breve des P. Bonifax IX. bei Kurz, Osterreich unter Albrecht III., 2, 282. H. Ernst wurde 1423 von P. Martin V. wegen Besteuerung des Clerus mit dem Inter- dict bedroht, Lichnowsky, 5, Eegg. Nr. 2130. 1 oo wurden fur Wien und andere Stiidte Verordnungen erlasseu, dass Ver- gabungen yon Giitern an ein Kloster uur dann giltig sein sollten, wenn sie vor dem Stadtrathe oder den w Genannten" vorgenommen und das Gut binnen Jahresfrist an einen Burger verkauft wiirde. H. Rudolf IV. hob sogar in mehreren Stadten die Steuerfreiheit der Kirchen und Kloster fur ihre Hauser und Giiter innerhalb des Stadtbezirkes mit Ausnahme des eigentlichen Gebaudes ganz auf, ohne dass dies freilich einen durch- greifenden Erfolg gehabt hatte. 1 ) K. Friedrich III. suchte dann namentlich auf die Besetzung der Bischofsstiihle, zu deren Spreugeln seine Lander gehorten, einen mafi- gebenden Einfluss zu erlangen. Daftir, dass er das Easier Concil und den yon cliesem erhobenen Gegenpapst fallen liefi, verlieh ihm P. Eugen IV. 1446 auf Lebenszeit das Recht, fur die Bisthiimer Trient, Brixen, Chur, Gurk, Triest und Pibeu (Pedena in Istrien) dem roinischen Stuhle ge- eignete Personlichkeiten vorzuschlagen. P. Paul II. bestatigte 1469 dieses Recht und dehnte es auch auf die vom Kaiser neu gegrundeten Bis- thiimer Wien und Wiener -Neustadt aus, nachdem Friedrich III. diese Be- fugnis fur das Bisthum Laibach schon 1463 vom P. Pius II. erhalten hatte. Da dieses Recht auch von spateren Papsten bestatigt wurde, so ist es bis auf unsere Zeit aufrecht geblieben. Von Eugen IV. hatte K. Friedrich III. fur sich und seine Nachfolger weiter auch die Befugnis erhalten, zur Visi- tation der Kloster in seinen Erblanden geeignete Personen vorzuschlagen und an Kathedral- und Collegiatstiftern 100 Beneficien vergeben zu durfen, welche Zahl P. Sixtus IV. 1473 auf 300 erhohte. 2 ) Der Einfluss des Kaisers auf den Clerus seiner Erblande musste dadurch auflerordentlich gesteigert werden. h) Die Entstehung und Ausbildung des Standewesens. 3 ) Es ist friiher bemerkt worden, dass der Herzog von Qsterreich in der Zeit der Babenberger bei seinen Regierungshandlungen zwar oft den Rath einer grofleren oder geringeren Zahl von Landherren einholte, aber nur in einzelnen Fallen, bei Abanderung bestehender Ge- setze oder bei Suspendierung des ordentlichen Gerichtsverfahrens gegen gemeinschadliche Verbrecher an ihre Zustimmung gebunden war. Das- selbe gilt auch noch von der Zeit der ersten Habsburger, wo auch oft der Rath, aber sehr selten die Zustimmung der Landherreu erwahnt wird, so namentlich als Albrecht II. 1338 den Karntnern auf Bitten des ) Vgl. meine n Geschichte H. Kudolfs IV.", S. 124 ff. und Bruder, Stadien iiber die Finanzpolitik H. Rudolfs IV., S. 47 ff. 61 ff. 112 f. 2 ) Chmel, Materialien, l b , 192 ff. Chmel, Regg. Friderici HI. Nr. 4008, 5592. Fr. M. Mayer, Uber die Abdankung des Erzbischofs Bernhard von Salzburg. n Archiv fiir osterreichische Geschichte", 55, 173 f. 3 ) Die Belege hiefiir in meiner B Gescbicbte Osterreichs", 2, 400 ff. 5G dortigen Adels ein neues Laudrecht verlieh und die Zweikampfe ab- schaft'te, und als Rudolf IV. 1359 statt der jahrlichen Miinzerneuerung eine Getranksteuer (Ungelt) einfiihrte. Das constitutionelle System hat sich fast iiberall nur infolge finan- zieller Verlegenheiten der Regierung entwickelt. Aber die Stellung des Herzogs von Osterreich in finanzieller Beziehung war eine recht gunstige. Als Reichsfurst war er im Besitze der Regalien, d. h. der Gerichte, Zolle und Mauten, der Bergwerke, des Mtinzrechtes, ausge- dehnter Walder u. dgl. Er besafl zngleich theils als Allode, theils als Lehen sehr ausgedehnte Grundherrschaften und bezog von den auf denselben ansassigen Bauern bestimmte Abgaben an Naturalien oder Geld. Da die Stiidte ebenfalls auf landesfiirstlichem Grunde erbaut waren, so mussten ihm auch die Burger gewisse Zinsen, manchmal auch aufler- ordentliche Steuern entrichten. 1 ) Ebenso beanspruchte der Herzog als oberster Schutzherr der meisten Kloster und als Patron sehr vieler Kirch en das Recht, im Falle der Noth von diesen eine auflerordentliche Steuer zu erheben. Vermoge des Lehenrechtes war der Herzog auch be- rechtigt, von seinen Vasallen und Dienstmannen auf eine gewisse Zeit und innerhalb bestimmter Grenzen Kriegsdienste zu fordern. Da die Herzoge fiber geniigende Mittel verfugten, scheinen die Habsburger nur ihren adeligeu oder geistlichen Rathen oder Beamten einigen Einfluss auf die Regierung eingeraumt zu haben. Aber die zahlreichen Kriege, welche in der zweiten Halfte des 14. Jahrhunderts gegen Baiern, die Schweizer, Venedig u. s. w. gefuhrt wurden und urn so grofiere Ausgaben erforderten, als die Herzoge oft auch ihren Vasallen eine Entschadigung zahlen oder Soldner anwerben mussten, erschopften nach und nach die finanziellen Mittel derselben. Auch bestanden iufolge der Landertheilungen mehrere Hofbaltungen, die natfirlich auch mehr Geld verschlangeu als eiue einzige. Einige Zeit half man sich durch Verschlechterung der Mtinzen, Anleihen, Verkauf, besonders aber Verpfandung von Hoheitsrechten oder einzelnen Stadten und Herrschaften. Aber (lurch diese Auskunftsmittel wurden die Ein- nahmeu noch mehr vermin dert. Willkurliche Erhebungen von Ab- gaben von den landesfiirst'licheu Stadten oder den Kirchen, 2 ) fiber welche x ) Eine Zusammenstellung der Einkiiufte nach den in der Zeit Ottokars IE. ab- gefassten Rationarien fiir Osterreich und Steiermark (Liber Jntbarum per totam Austrian*, herausgegeben von Chmel im B Xotizenblatt der kaiserl. Akademie" 1855, S. 333 bis 428 und Bationarium Styriae ap. Ranch, SS. R. Austr. 2, 114204) bei Lorenz, Deutsche Geschic-hte, 1, 365 ff. Xoch im 16. Jahrhundert flossen die regelmafiigen Einnahmen aus deuselben Quellen. 2 ) Auf diese beiden Stande beziehen sich die meisten der in meiner n Geschichte Osterreichs", 2, 401 Anm. 1, gesammelten Stelleu. 57 der Herzog ausgedehntere Rechte beanspruchte, konnten wegen der da- durch hervorgerufenen Unzufriedenheit nur ausnahmsweise gewagt werden. Auf die Dauer blieb nichts fibrig, als sich um die Unterstutzung jener Personen oder Korperschaften zu bewerben, welche neben dem Herzoge im Besitze einzelner Theile der o'ffentlichen Gewalt waren, des hohen Clems, der Adeligen und Stadte. Zum erstenmale scheint dies geschehen zu sein, als am Ende des 14. und Aufang des 15. Jahrhunderts, durch die politischen Verhaltnisse begiinstigt, bohmische, mahrische und osterreichische Adelige und in ihrem Dienste zahlreiche Verbrecher einen groflen Theil Osterreichs aus- pliinderten und sich sogar mehrerer fester Platze bemachtigten. Da bei der Abstellung dieser Landplage alle Stande gleich interessiert waren, wendeten sich die Herzoge Wilhelm und Albrecht IV. 1402 an die ,,Pra- laten, Landherren, Ritter, Knechte und Stadte" und einigten sich mit ihnen fiber die Einfiihrung eines Landfriedens und die Anstellung der r Frage" oder des ^Gereuns" (S. 31) wie iilber die Aufstellung von Trup- pen, um das Rauberwesen unterdriicken zu konnen. Dabei verpflichteten sich die Landherren, Ritter und Knechte, zwei Monate lang 300 Spiefle und 300 Schiitzen zu halten, wahrend die Mittel, die dann noch bis Ende des Jahres zur Besoldung derselben erforderlich waren, durch eine auf die Pralaten, Geistlichen, Stadte, das Land und die Juden zu legende Steuer aufgebracht werden sollte. 1 ) Schon bei dieser Gelegenheit, wo wir zuin erstenmale ein gemeinsames Tagen der Stande nachweisen konnen, finden wir die drei Curien, in die sie spater gegliedert sind: 1. die Pralaten, d. h. die Abte und Propste und die im Lande beguter- ten Bischofe, 2. die Herren und Ritter oder den Adel und 3. die landesfiirstlichen Stadte (und Markte). Die weitere Ausbildung der Macht der Stande wurde beson- ders durch die Streitigkeiten unter den Herzogen gefordert. Schon Al- brecht II. hatte in seinem Hausgesetze Ton 1355 seine vornehmsten Landherrn gebeten, ja eidlich verpflichtet, ,,mitsammt den Landen und Stadten" gegen jenen seiner Sohne, der mit den anderen nicht in Ein- tracht leben wollte, diesen beizustehen. Auch im Hausgesetze von 1364 wurde bestimmt, dass die Landherren und Stadte jenem Herzoge, der gegen die anderen feindselig auftrate, zu nichts verpflichtet seiu sollten. 2 ) J ) ,,Archiv fiir osterreichische Geschichtsquellen", 31, 288. Vgl. meine r Ge- schiclite Osterreichs", 2, 396 f. 2 ) Wie hier die Stadte auf gleiche Lime mit dem Adel gestellt werden, so liefi sich auch Eudolf IV. beini Abschlusse des Erbvertrages mit den Luxenburgern (1364) nicht bloB von den Adeligen, sondern auch' von den Stadten seiner Lander das urkund- liche Versprechen geben, dass sie ihn halten -wurdeu. Lichnowsky, 4, Eegg. Nr. 556 bis 589. 58 Die Theilung tier Landerverwaltung sahen zwar die Herzoge im all- gemeineii fur eine Familienangelegenheit an, die aufier ihnen niemandem etwas angehe. Aber wenn sie sich untereinander nicht einigen konnten, ruusste doch jeder die maflgebenden Factoren der einzelnen Lander auf seine Seite zu zieheu und die Stande fur die Anerkennung und Unterstiitzung seiner Anspriiche zu gewiunen suchen. Schon bei den im Marz 1404 geschlosse- nen Vertriigen, durch welche den Herzogen Wilhelm und Albrecht IV. in Osterreich gleiche Rechte zugesprochen wurden, ward erklart, dass, wenn einer von beideii den Vertrag verletzte, die drei ubrigen Herzoge, die Rathe und alle Pralaten, Landherren, Ritter, Knechte und Stadte dera Beein- trachtigten beistehen und ihm eine von ihnen fiir billig erkannte Ent- schadigung verschaffen sollten. Auch in dem gleichzeitigen Vertrage fiber die Landertheilung zwischen Wilhelm und Leopold IV. wurde den Standen jenes Landes, in dem eine Verletzung der getroffeneu Vereinbarungeu erfolgte, ein gleiches Recht eingeraumt.' Von dieser den Standen zugesprochenen Befugnis, bei Streitig- keiten der Herzoge als Schiedsrichter aufzutreten, machten jene Osterreichs auch vollen Gebrauch, als nach dern Tode H. Wilhelms (15. Juli 1406) die Frage zur Entscheidung kommen musste, wer nun die Vormundschaft fiber H. Albrecht V. und die Regentschaft in Oster- reich erhalten sollte. Die osterreichischen Stiinde 1 ) fallten zwar keine Entscheidung fiber die Person des zu bestellenden Vormundes, aber sie setzten die Dauer der Vormundschaft, und zwar abweichend von fruheren Familienvertrageu, fest und trafen genaue Verfugungen fiber die Rechte des Regenten, der nur n nach dem Rathe von Land und Leuten", d. h. der Stande, im Inneren und mit den Nachbarn den Frieden her- stellen. nach altem Herkommeu Gericht halteu,' alle bei ihren Rechten und Freiheiten schutzen, ohne Einwilligung der Stande seinen Mfindel nicht verheirateu, das Land in keinen Krieg verwickeln und heimgefallene Lehen nicht weiter verleihen sollte. Auch die Ernennung und Absetzung von Beamten sollte er nur mit Zustimmung eines von den Standen zu ernennenden Rathes vornehmen dfirfeu. Als dann die Herzoge Leopold und Ernst die Vormundschaft nach dem Ablaufe des bestimmten Termines nicht niederlegen wollten, waren es wieder die Stande, welche derselben 1411 ein Ende machteu, die selbstandige Regierung Albrechts V. sicher- stellten und Rathe desselben ernannten. Durch alle diese Vorgange war die Macht der osterreichischen Stande so befestigt worden, dass sie dem Landesfursten als gleichberechtigter Factor gegenfiberstanden. J ) Es werden der Erzbischof von Salzburg, die Bischofe von Freising und Passau, 24 Pralaten, 81 Herren und Ritter und die Vertreter von 22 Stiidten genannt. Rauch, SS. 3, 448 sqq. 59 Die Kechte, welche die Stande Osterreichs erlangt hatten, konnten natiirlich denen der durch das gleiche Herrscherhaus mit ihnen ver- einigten Lander nicht lange vorbehalten bleiben. Schon im Jahre 1412 berief denn auch H. Ernst, als der Steiermark von Ungarn her Gefahr drohte, die w Pralaten, Herreu, Ritter, Knechte, Stadte und Markte" dieses Landes zur Berathung von Vertheidigungsmafiregeln nach Graz. 1 ) In Tirol hatte sich die staiidische Verfassung unabhangig von den Vorgangen in Osterreich entwickelt. 2 ) Schon unter dem letzten Go'rzer, Heinrich von Karnten und Tirol (1310 1335), hatte der Adel auf die Regierung grofien Einfluss erlaugt, und es waren die wichtigsten Verord- nungen n nach dem Rathe der edeln Leute und Dienstmannen des Lan- des" erlassen worden. Als dann nach der Vertreibung des ersten Ge- mahls seiner Tochter Margareta von ihr und ihren Vertrauten des Kaisers Sohn Ludwig von Brandenburg zum Herrn ausersehen ward, musste dieser am 28. Janner 1342 versprechen, ohne der Landleute (Adeligen) Rath keine ungewohnliche Steuer zu erheben, Tirol nach dem Rathe der Besten, d. h. Vornehmsten, die dort ansassig waren, zu regieren und die Rechte des Landes nur nach ihrem Rathe zu bessern. 3 ) Ludwig hat dann freilich dieses Versprechen nicht gehalten, aber nach seinem Tode traten nicht blofl die Adeligeu, sondern auch die Burger als politischer Factor hervor. Im Jahre 1362 versammelten sich in Bozen die ,,Dienstleute, Ritter und Knechte, Stadte und Markte und alle Gemeinschaft, reich und arm in Tirol" und bateii in eiriem von sieben Adeligen und vier Stadten im Namen der tibrigen besiegelten Schreiben den jungen H. Meinhard, sich aus Baiern, wo er in schlechte Gesellschaft gerathen war, nach Tirol zu begeben. Bei der Huldigung, welche die Tiroler nach dem Vermacht- nis ihres Landes an die Herzoge von Osterreich diesen leisteten, thaten dies die Stadte im Februar 1363 einzeln. Als aber Margareta am 2. September in Bozen die Regierung niederlegte, geschah dies nach dem Rathe der Landherren und n der Laudschaft gemeinlich, edel und unedel, arm und reich", was auf die Abhaltung eines Landtages und die An- wesenheit von Vertretern der Stadte, ja vielleicht auch einzelner Land- gemeinden hindeutet. *) Krones, Landtagswesen der Steiermark in n Beitrage zur Kunde steiermar- kischer Geschichtsquelleu" 3, 96 f, Nr. 22 f. Friiher kann man von Landtagen eigentlich nicht reden. Fur Karnten und Krain, wo die Quellen liickenhaft und theilweise wohl auch noch nicht geniigend durchforscht sind, lasst sich die Abhaltung eigentlicher Land- tage erst unter K. Friedrich III. nachweisen. Aelschker, Geschichte Karntens, S. 681f. Dimitz, Geschichte Krains, 1, 324. 2 ) Siehe das umfangreiche Werk von A. Jager, Geschichte der landstandischen Verfassung Tirols, 2. Bd., 1. Theil. 3 ) Vollstandig in meiner n Geschichte der Vereinigung Tirols mit Osterreich", S. 155. Hier auch S. 75, 87 und 94 die Belege fur das iiber die Zeit bis 1363 Gesagte. Unter der kriiftigen Eegierung des H. Rudolfs IV. mid seiner niichsten Xachfolgor fanden auch die tirolischen Stande keine Gelegen- heit, sich zu bethatigen. Als aber im Jahre 1404 von Leopold IV. uber das Verhiiltnis der Bauern zu den Grnndherren eingehende Verfugungen getroffen wurden, geschah dies auf Bitten der ,,Pralaten, Abte, Dienst- leute, Ritter, Knechte, Stadte und gemeiniglich aller Landlente" Tirols, 1 ) die often bar dartiber friiher Berathungen gepflogen hatten. "Wird hier der Priilatenstand zura erstenmale als Theilnehmer an solchen genannt, so geschieht seiner wahrend der ganzen Zeit der Regierung Friedrichs IV. (1407 1439) keiner Erwahnung raehr, und erst unter seinem Sohne Sieg- muud erscheinen die Praia ten wieder als Mitglieder des Landtages. 2 ) Der Ausdruck ^gemeiniglich aller Landleute" hinter den Stadten liisst wohl schlieflen, dass auch Vertreter der Bauern zu den 1404 ge- haltenen Berathungen beigezogen worden waren. Dasselbe war ohne Zweifel auch 1415 der Fall, wo Erzherzog Ernst, der nach der Achtung und Gefangensetzung seines Bruders Friedrich durch den K. Siegmund die Regierung Tirols ubernahni, auf Bitten Caller Landherren. Dienstleute, Herreu. Ritter, Knechte, Stadte und gemeiniglich aller Landesleute" den Tirolera ihre Freiheiten bestatigte. 3 ) Friedrich suchte dann nach der Wiedergewinnung des Landes, wo er bald mit den Yornehinsten Adeligen in heftige Streitigkeiten, ja offeneu Krieg verwickelt wurde, eine Stutze an den Biirgern und Bauern, bot diese zum Kampfe auf und berief zu den Landtagen. welche die Herstellung des inneren Friedens bewirken sollten, immer auch Vertreter der 7 ,Gerichte und Thaler". So bildete sich gewohuheitsmafiig das Recht des tirolischen Bauernstandes aus. an den Landtagen theilzunehmen. welche in der letzten Zeit H. Friedrichs das Gesetzgebtings- und Steuerbewilligungsrecht unbestritten ausiibten. 4 ) Waren die standischen Versammlungen in den osterreichischen Landern theils durch die finanziellen Bedurfnisse des Landesfiirsten, theils durch die Streitigkeiten unter den verschiedeuen Gliedern des Herrscher- hauses ins Leben gerufen worden, so wurde durch dieselben Griinde auch ihre Macht befestigt und erweitert. Als nach dem Tode Friedrichs IV. von Tirol (1439) dessen Vetteru Friedrich von Steiermark, der spatere Kaiser, und Albrecht VI. die Vormundschaft uber seinen Sohn Siegmund in Anspruch nahmen, waren es die tirolischen Stande, welche die Ent- scheidung trafen, dem von ihuen anerkannten Friedrich die Bediugungen vorschrieben und ihm, als er nach der bestimmten Zeit seiuen Miindel J ) Archiv fur Siiddeutschlaud, 1, 146. 2 ) Seit 1455, bestimmt seit 1458. Siehe Jager, 2 b , 120. 187 ff. 3 ) Cl. Graf Brandis, Tirol imter Friedrich. S. 399. 4 ) Siehe uber die Zeit der Eegieruug Friedrichs IV. Jager, 2 R , 253 411 und meine ^Geschichte Osterreichs u 2, 485 ff. 61 nicht aus der Vormundschaft entliefi, den Gehorsara verweigerten und eine eigene Regierung einsetzten. 1 ) Ebenso erhoben sich die Stande von Osterreich 1451 gegen den Vormund des Ladislaus Posthuraus, K. Fried- rich III., mit dessen Regierung sie unzufrieden waren, und erzwangen 1452 die Auslieferung ihres Landesherrn. Als Ladislaus 1457 starb und nun Friedrich III. und Albrecht VI. wie Siegmund von Tirol auf Osterreich Anspruche erhoben, beschlossen die Stande, bis dieselben sich geeinigt hatten, keinem zu gehorchen und die Regierung selbst in die Hiiude zu nehmen. Die Verschwendung Siegmunds von Tirol und das Treiben der Giinstlinge des schwachen Fiirsten hatte die Folge, dass die Stande die heftigsten Beschwerden dagegen erhoben und der Erzherzog diesen 1487 unter der Bedingung der Ordnung seiner zerriitteten Finanzen auf drei Jahre die gauze Verwaltung ubertrug und sich die Beiordnung eines stan- dischen Rathes gefallen liefi, ohne dessen Zustiinmung er nicht die ge- ringste Verfiigung treffen durfte. Obwohl endlich nach dem Tode K. Friedrichs III. (1493) in Maxi- milian I. ein energischer Fiirst den Alleinbesitz der osterreichischen Lan- der erhielt, behaupteten die Stande doch ihre fruhere Bedeutung. Nur war ihr Wirkeii nicht mehr ein revolutionares, sondern gieng mit dem Landesfursten Hand in Hand. Die zahlreichen, fast ununterbrochenen Xriege, welche Maximilian zu fiihren hatte, die Umgestaltung des Kriegs- wesens, die Ersetzung der Vasallenheere durch Soldner, die theuere Aus- riistung der Truppen mit Geschiitzen und anderen Feuerwaffen wie mit dem sonstigen erforderlichen Kriegsmaterial hatten die Folge, dass die regelmafiigen Einktinfte des Kaisers von den Domanen und Regalien bei weitem nicht mehr ausreichten. Er musste sich um Unterstutzuug an die Stande seiner Lander wenden, die entweder aufierordentliche Steuern bewilligten oder fur eine bestimmte Zeit, gewohnlich einige Monate, ein eigenes standisches Truppencorps stellten, wofflr sie das Geld aufbrachten. Daftir verlangten sie aber nicht blofi Abhilfe ver- schiedener Beschwerden oder die Erfullung sonstiger Wiinsche, sondern erwarben auch ausgedehute administrative Befugnisse, besouders auf dem Gebiete der Finanzverwaltung. Den wenigeu landesfiirstlichen Beamten stellten sich nun vielfach standische zur Seite. In den spateren Jahren der Regierung K. Maximilians I. fanden auch wiederholt gemeinsame Ausschusslandtage der fiinf r nieder- o'sterreichischen" Herzogthiimer Osterreich unter und Osterreich ob der Enus, Steiermark, Karnten und Krain statt, wo Delegierte der Stande dieser Lander gemeinsame Berathungen hielten, und zwar sowohl tiber *) Mheres in meiner ,,Geschichte Osterreichs", 3, 44 ff., und wo die Special- literatur angegeben ist, und fur die Vorgange in Osterreich S. 77 ff. 119 ff. 151 ff 309 ff. 62 Vertheidigungsmafiregeln gegen auswartige Feinde wie fiber organisato- rische Fragen. 1 ) Ja im Janner 1518 traten sogar auf den Kuf des Kaisers ill Innsbruck 70 Delegierte der Stande aller os'terreichischen Lan- der zusammeu, welche nicht blofi fiber die Bewilligung von Geldmittelu zur Einlosung der verpfandeten Kammergtiter und landesfurstlichen Ein- kfinfte imd zur Erhaltung des Hofstaates imd der Regierungsbehorden, iiber den Abschluss eines Friedens mit Venedig oder, wenn dieser nicht zustande karae, iiber die Mittel zur Kriegfiihrung und fiber einen Feld- zngsplan gegen die Tfirken wie fiber die gegenseitige Unterstfitzung der Lander, wenn eines angegriffen wfirde, sondern auch fiber die Einsetzuug eines Hofrathes als oberster Beho'rde imd guter Landesregierungen be- rathen und auch das Eecht haben sollten, "Wtinsche und Beschwerden vorzubringen. Doch fanden nur wenige gemeinsame Sitzungen statt. In der Regel verhandelten die Ausschfisse der einzelnen Lander oder Lander- gruppen fur sich allein und verkehrten rnit den fibrigen wie mit den Comrnissaren nur schriftlich. Die Stande bewilligten dem Kaiser 400.000 (Gold-) Gulden, verlangten aber auch, dass derselbe ohne Zustimnmng seiner Erblande keinen Angriffskrieg beginne. Ffir den Fall eines An- griffes auf ein 6'sterreichisches Gebiet wurde nur auf die Dauer von ffinf Jahren Vorsorge getroffen, und zwar sicherten sich die r nieder- u und die ,,ober6sterreichischen" Lande gegenseitig 1000 gerfistete Pferde oder 500 Pferde imd monatlich 5000 rheinische Gulden zu. Auch fiber die Ver- waltung wurden Gesetze vereinbart. 2 ) Infolge der Bedeutung, welche die Stande seit dem Tode Al- brechts V. (II.) in Osterreich erlangt hatten, steigerte sich das Bewusst- sein derselben so, dass sie sich als die rechtliche Quelle der Regierungs- gewalt ansahen, welche dem Landesffirsten erst durch den Act der ge- meinsamen Huldigung tibertragen wfirde. Da beim Tode Maximilians I. (12. Janner 1519) seine beideii Enkel in fernen Gegenden, Karl in Spanien, Ferdinand in den Niederlanden weilten, verweigerte die Mehrheit der Herren und Ritter des Landes unter der Enns den bisherigen Mitgliedern der Regierung den Gehorsam. Sie behaupteten, dass bis zum Empfang der Huldigung durch die neuen Landesffirsten die Regierung den Standen gebfire, der Huldigung aber die Bestatigung der Landesfreiheiten durch den Ffirsten vorausgehen mfisse. Sie gewannen ffir diese Anschauung auch Wien und dann die anderen Stadte und Markte. Der Landtag setzte ein standisches Regi- J ) Ein Verzeichnis bei Bidermann, Geschichte der osterreichisclien Gesammt- Staats-Idee, 2. 93 f. 2 ) Die Voiiagen wie die Verhandlungen nach den Aufzeiehnungen eines Delegierten, des Pralaten von Klosterneuburg, berausgegeben von Zeibig im n Arcbiv fur oster- reicbische Geschichtsquellen" 13, 203316. Vgl. meine n Gescbicbte Osterreichs" 3, 459 if. 63 ment ein, besteheud aus 64 Mitgliedern, je 16 aus den Pralaten, Herren, Bittern und Stadten, von denen der vierte Theil als ,,Landrathe" mit dem Landmarschall, Unterraarschall und Landschreiber die Kegierung fiihren sollte. Diese Landrathe rissen nun die ganze Gewalt an sich, hoben die landesfurstlichen Einkiinfte ein und lieflen sogar Miinzen pragen. Auch die Landtage in den anderen niederosterreichischen Landern uber- trugen die Kegierung einem stiindischen Ausschusse. Nur in Tirol gieng der von den Standen eiugesetzte Ausschuss mit dem bisherigen Regimente Hand in Hand. Doch leisteten die Stiinde der niederosterreichischen Lander mit Ausnahme jener des Landes unter der Enns den vom K. Karl V. er- nannteu Commissaren in den ersten Monaten des Jahres 1520 ohne Schwierigkeiten die Huldigung, und auch die Stande des Landes unter der Enns wagten keinen Widerstand, als im Juni 1521 Erzherzog Fer- dinand, dem Karl V. die 6'sterreichischen Lander abgetreten hatte, per- so'nlich erschien. Im folgeuden Jahre wurde den Hauptern der Stande- partei der Process gemacht und acht derselben wegen AnmaBung der Kegalien als Kebelleii enthauptet 1 ) i) Die administrativen Beformen K. Maximilians I. Mit dem Beginne der neueren Zeit anderten sich die Anschau- ungen iiber die Aufgaben der Staatsgewalt. Dieselbe sollte nicht mehr blofi fiir die Wanning des Eechtes und die Erhaltung des Friedens sorgen, sondern auch das materielle und geistige Wohl der Unterthanen fordern. Wurden dadurch die Geschafte vermehrt, so hatte auch das Eindringeu des romischen Rechtes, welches das altdeutsche miindliche Verfahren nach uud nach verdrangte und zugleich den Grundsatz der Berufung von den niederen Gerichten an ein hoheres, ja an den Landes- herrn oder dessen Stellvertreter zur Geltung brachte, eine Vermehrung der Kanzleiarbeiten und Beamten zur Folge. Hatte es fruher lan- desfurstliche Beamte fast nur fur die Verwaltung der Domanen und die Einhebung der Ertragnisse der Regalien gegeben 2 ) und eine uber alien Landern stehende Regierung ganz gefehlt, waren diese nur durch die Person des gemeinsamen Monarchen und dessen Kanzlei zusammengehalten, so musste sich dies andern, als sich die Staatsgewalt positive Ziele setzte. Auch konnte der Landesfiirst nicht mehr alle an ihn gebrachten An- x ) V. v. Kraus, Zur Geschichte Osterreichs unter Ferdinand I. 15191522. Vgl. meine Geschichte Osterreichs" 3, 485 if. 2 ) Die Vorstande hiefien in den niederosterreichischen Landern Vicedom oder Vitzthuni, in Tirol unter H. Sigmund oberster Amtmann. Uiiter ihnen standen die Maut- und Zollbeamten, Amtleute, Pfleger, Forstmeister u. s. w. 04 gelegenheiten selbst erledigen, besouders da Maximilian als romisch-deut- scher Koiiig oft von seinen Erblandeu abwesend sein musste. Maximilian hatte nun als Kegent in den Niederlanden ein ausge- bildetes Verwaltungssystem keunen gelernt, und theils die dortigen Ein- richtungen, theils jene Tirols. welche auch mehr entwickelt waren als die in den anderen 6'sterreichischeii Landern, dienten ihm als Muster bei seinen Eeformen auf dem Gebiete der Verwaltung, 1 ) als deren Grund- gedanken man die Ersetzung des Feudalstaates durch den Beamtenstaat, Errichtung standiger Eegierungscollegien, die auch in Abwesen- heit des Landesfursten die Geschafte leiteten, und Kraftigung der Staats- gewalt bezeichnen kann. Bei seiner organisatorischeu Thatigkeit hielt sich tibrigeus Maxi- milian an die bisherige Entwicklung der Erblande, welche infolge der fruheren Landertheilungen in zwei Gruppeii zerfielen, die nieder- osterreichische (Osterreich unter und Osterreich ob der Enns, Steier- mark, Karnten und Krain mit den benachbarten kleineren Gebieten) und die oberosterreichische (Tirol und die Vorlande in Schwaben und Elsass). Als er infolge der Abdankung des Erzherzogs Siegmund 1490 die Kegierung Tirols und der Vorlande erhielt, ubertrug er diese einem Collegium von zwolf ,,Statthaltern und Rathen", die zunachst wahrend seiner Abwesenheit die politische Verwaltung und die Justizpflege uber- iiehmen sollten. Fiir die Finanzverwaltung und das Kechnungswesen bestellte er anfangs 1491 vier eigene Rathe als Anwalte mit den noth- wendigen Hilfsbeamten, fur die sich 1495 zuerst der Name ,,Rait- kammer" findet. Ebenso setzte er nach dein Tode seines Vaters (1493), als er sich nach dem Reiche begeben musste, fur die Dauer seiner Ab- wesenheit fiber die fiinf niederosterreichischen Herzogthiimer ein Regi- ment", bestehend aus einem Hatiptmann und sechs Statthaltern und Rathen oder Regenten, ein, um die ihm als Landesfursten zustehenden Geschafte zu erledigen, und iibertrug ihnen die politische und Finanz- verwaltung, die oberste Justizpflege und die Sorge fur den Laiid- friedeu, selbst das Recht, Lehen zu verleihen. 1494 ist auch fur die niederosterreichischeu Lander eine n Schatz-" oder Rechnungskammer er- wahnt, so dass also eine Trennung -der Finanzverwaltung von der politischen Administration und der Justiz stattgefundeu hat. Die Uberzeugung, dass es dem Konige nicht moglich sei, neben der Lei- tung der auswartigen Politik und der Geschafte des deutschen Reiches sich auch noch um die Details der Verwaltung in den Erblanden zu kiimmern, 1 ) Siehe das umfangreiche Werk von S. Adler, Die Organisation der Central- verwaltung uiiter K. Maximilian I. (1886) uud die kiirzere Skizze von Fellner, Zur Gesehichte der osterreichischen Centralverwaltung (14931848) in r Mittheilungen des Instituts-', 8, 258 ff., wie raeine Gesehichte Osterreichs", 3, 451 if. 65 hatte die Folge, dass die anfangs nur fur die Dauer der Abwesenheit Maximilians eingesetzten Regimenter in Innsbruck und Wien einen stan- digen Charakter erhielten, und zwar jenes Ende 1499, dieses' 1501 und 1502. Dem Regimente in Innsbruck, das aus einem Landhofrneister, einem Marschall, einem Kanzler und fu'nf n Statthaltern und Regenten" zusammengesetzt war, stand in Tirol und den Vorlanden 1 ) die Ausubung der landesfiirstlichen Rechte, die Verwaltung, oberste Justizpflege, Mili- tiir- und Polizeigewalt und die Verleihung der Erblehen zu. Die Rait- kammer bildete im allgemeinen eine selbstandige Behorde. Doch war in gewissen Fallen eine Berufung von derselben an das Regiment ge- stattet. Auch die Kanzlei war beiden gemeinsam. Das Regiment fur die niederosterreichischen Lander (zuerst in Linz, seit 1510 in Wien) bestand aus einem obersten Hauptmann und rnehreren Statthaltern und Rathen. und auch ihm war eine Raitkammer zur Seite gestellt. Auch wurde jetzt eine eigene osterreichische Kanzlei errichtet. Doch wurde in den niederosterreichischen Landern die Ausubung der obersten Justiz- hoheit nicht dem Regimente iibertragen, sondern als Appellations- und Lehengericht ein eigenes Hof- (seit 1502 Kammer-) Gericht in Wiener- Neustadt eingesetzt. Infolge der Opposition der Stande, die mit Verweigerung der Sub- sidien zum Kriege gegen Venedig drohten, hob aber der Kaiser 1510 das Eammergericht wieder auf und ubertrug dem Regiment, in das auch stiindische Vertreter aufgenommen wurden, auch richterliche Befugnisse. Zugleich wurde das niederosterreichische Regiment jetzt in derselben Weise wie das oberosterreichische aus einem Landhofmeister, einem Mar- schall, einem Kanzler und einer Auzahl von Statthaltern und Rathen zu- sammengesetzt. Maximilian hatte anfangs auch die Errichtung von obersten Cen- tralbehorden beabsichtigt, die alien semen Erblanden und dem Reiche gemeinsam sein sollten, und hatte 1498 als oberste Regierungsbehorde und obersten Gerichtshof einen Hof rath, der dem Hoflager des Konigs folgen sollte, und als oberste Finanzbehorde eine Hof ka mm er eingesetzt. Doch konnten infolge der Opposition der Reichsstande und des Schwan- kens des Konigs selbst beide Behorden zu keiner Bedeutung gelangen. Erst nach der Beendigung des Krieges mit Venedig (1518) wurde die organisatorische Thatigkeit wieder aufgenommen. Auf dem Ausschusslandtage in Innsbruck wurde die Einsetzung eines aus 18 Mitgliedern, theils Adeligen, theils studierten Juristen (Doc- ^ Fiir das Elsass und das westliche Schwaben bestand zwar ein eigenes Regi- ment in Eusisheim. Aber es hatte doch nur beschriinktere Befugnisse und war jenem in Innsbruck untergeorduet. Huber. Osterreichische Reichsgeschichte. 5 66 toren) bestohenden Hofrathes beschlossen, der, verstarkt durch einen Hofinoister, Marschall, Kanzler und Schatzmeister, die oberste Behorde fiir die politischen, Justiz- und finanziellen Angelegenheiten der Erblander und des Keiches bilden sollte. ,,Geheime und grofle Sachen", also diplo- inatische Fragen, sollte aber der Kaiser selbst oder mit Beiziehung blofi einiger Hofrathe erledigen konnen, worin sich dieKeime des spateren geheimen Bathes zeigen. Die Einsetzung einer eigenen Hofkammer fur die Verwaltung des Kammergutes lehnte der Kaiser ab, und es wurden die betreffenden Geschafte dem Schatzmeister zugewiesen. Der baldige Tod Maximilians war iibrigens Ursache, dass dieser Hofrath nicht mehr ins Leben trat und erst 1526 unter Ferdinand I. eingesetzt wurde. B, GescMclite Bohmens und seiner Nebenlander. I. (reschichte der territorialen VerMltnisse. a) Die Bildung einer einheitlichen Herrschaft in Bohmen und die Eroberung Mahrens. Das rings von Gebirgen umgebene Bohmen ist schon durch die Natur zu einem einheitlichen Staate bestimmt. Aber es dauerte lange. bis ein solcher hier gebildet wurde. Die Slaven, welche nach dem Ab- zuge der Marcomannen in der ersten Halfte des 6. Jahrhunderts sich hier niederliefien , zerfielen wie ihre Volksgonossen uberall in einzelne ge- trennte Stain me rait eigenen Hauptlingen (duces) an der Spitze. welche keinen gemeinsameu Oberherrn anerkannten. - Vora Ende des 8. Jahrhunderts, von wo an wir durch frankische Schriftsteller ofter Nach- richten fiber Bohmen erhalten, bis zum Schlusse des 9. werden in Boh- men immer eine groflere Zahl von Fursten (duces) nebeneinander, 1 ) aber nie ein Herr des gauzen Landes erwahnt. J ) Ihre groBe Zahl ergibt sich aus Euodolf. Fuld. ad a. 845 (M. G. SS. 1, 364): Hludovicus (rex) 14 ex ducibus Boemanorum cum hominibus suis christianam re- liyionem desiderantes baptizari iussit. Weitere Belege bei E. Diimmler, De Bohe- miae condieione Carolis imperantibus (788928) und H. Jirecek, Das Eecht in Bqh- raen und Mahren, 1, 75 f. Wenn dieser ebenso wie Palaeky, Geschichte Bohmens, 1. Bd., trotzdem schon in dieser Zeit die politische Einheit Bohmens behauptet, so stiitzt er sich theils auf die Griinberger und Koniginhofer Handschrift, von denen jetzt auch un- befangene cechische Forscher nachgewiesen haben, dass sie erst in dieseni Jahrhundert gefiilscht worden sind (vgl. Truhlaf, Zur Bedeutung des Handschriftenstreites in Boh- men, ^Mittheilungen des Instituts", 9, 369 if.), theils auf willkiirlich gedeutete Stellen des erst im 12. Jahrhundert schreibenden Cosmas von Prag. Vgl. meine n Geschichte Osterreichs", 1, 156 ff. und J. Lippert, Die Aufauge der Staatenbildung in Bohmen. ,.Mitthoilungen des Vereins fiir Geschichte der Deutscheu", 29, 105 ff. 67 Erst seit dem Ende des 9. Jahrhunderts gelang es den Fiirsten des um Prag wohnenden Stammes der Cechen, Bofiwoy, Spitihnew (c. 895), dessen Sohne Wratislaw und des letzteren Sohne Wen/el, die ubrigen Stammfursten theils zu unterwerfen, theils wenigstens zur Anerkennung ihrer Oberhoheit zu bewegen und so ein grofleres Reich zu griinden. Wiihrend fruher immer alle Fiirsten ohne Unterschied als ,,Herzoge" (duccs) bezeichnet worden waren, nennt ein sachsischer Geschichtschreiber Wen- zels Bruder und Nachfolger Boleslaw I. n K6nig" (rex), einen der anderen Stain mfiirsten aber n Unterkonig" (subregulus). 1 ) Das letzte Fiirstenthum (principatus) , welches den ganzen Osten und Siiden des Landes umfasste, 2 ) verschwand erst unter Boleslaw II., indem die Sohne des n Herzogs" Slav- nik, des Vaters des heiligen Adalbert, 995 besiegt und dem Tode uber- liefert wurden. Von dieser Zeit an umfasste das Reich des in Prag residierenden Herzogs, der seinen Ursprung auf den sagenhaften Pfemysl zuriickfiihrte, das ganze heutige Bohmen bis zur Grenze des Egerlandes rait Einschluss des Gebietes von Glatz. Die Herrschaft des Bohmenherzogs fiber Miihren, einen grofien Theil Schlesiens und den Westen des heutigen Galizien, welche Gebiete Boles- law I. ebenfalls unterworfen hatte, war nur von kurzer Dauer, indem dieselbeu nach dem Begierungsantritte seines Enkels Boleslaw III. (999) sammtlich an Polen verloren giengen. Doch wurde Miihren, zu welchem auch Troppau mit Jagerndorf gehorte, c. 1029 durch Bfetislaw, den Sohn des Herzogs Ulrich von Bohmen, den Polen wieder entrissen und blieb von da an ein Bestandtheil des bohmischen Reiches, wenn es auch oft unter der Verwaltung von Nebenlinieu des Pfemyslidenhauses stand. b) Die Erwerbung des Egerlandes, der Lausitz und Schlesiens. Die siidostdeutschen Herzogthtimer, welche Ottokar II. von Bohmen nach dem Aussterben der Babenberger und des letzten Herzogs von Karnte*- aus dem Geschlechte der Sponheimer in seine Gewalt brachte, musste derselbe im Wiener Frieden vom 21. November 1276 wieder an den deutschen Konig Rudolf abtreten. Dasselbe war mit Eger der Fall, welches er 1266 in Besitz genommen hatte, wahrend es fruher deutsche Reichsstadt geworden und dann, was es auch fruher gewesen, als Besitz der Staufer betrachtet worden war. 3 ) Als sich aber Ludwig der Baier 1 ) Widuk. II, 3 und III, 8. 2 ) Die Grenzeu bei Cosmas, I, 27 ad 981. Dieselben werden contra Boenriam durch den Berg Ossek beim spateren Konigsaal, contra Teutoniam durch den Bohmer- wald bei Netolitz, contra Moraviae regnum durch Leitomischl und die Zwittawa, contra Polonium durch die Burg Glatz bezeichnet. Vgl. mitLippert a. a. 0. auch Loserth, Der Sturz des Hauses Slavuik, n Archiv fiir osterreichische Geschichte", 65, 21 ff. 3 ) Kiirschner, Eger uud Bohmen. Die staatsreehtlichen Verhaltnisse. S. 8 ff. 5* 08 1314 um die deutsche Krone bewarb, versprach er dem Konige Johann von Bohmen fur seine Unterstiitzung Stadt und Land Eger um 20.000 Mark Silber zu verpfanden. Dies trat im October 1322 in Kraft. Doch wurde Eger nicht mit Bohmen vereinigt, sondern unmittelbar unter den Konig und den von ihm ernannten Hauptmann gestellt und der Stadt die Zu- sicherung gegeben, dass von ihr keine Landsteuer erhoben und der Kam- merer von Bohmen mit ihr nichts zu schaffen haben sollte. Das Bauzner Land oder Budissin und Gorlitz war schon 1076 vom Konige Heinrich IV. dem Herzoge Wladislaw von Bohmen verliehen und mit einigen Unterbrechungen auch behanptet worden, bis es als Mitgift einer Schwester Ottokars II. an Brandenburg kam. Konig Johann brachte Bauzen nach dem Tode des Markgrafen Waldemar (1319) an Bohmen zuriick und kaufte 1329 auch Gorlitz vom Herzoge Heinrich von Jauer, der sich desselben nach Waldemars Ableben als Sohn einer brandenbnrgischen Prinzessin bemachtigt hatte. 1 ) Die Mavkgrafschaft (Nieder-) Lausitz, welch e bei Brandenburg geblieben war. erwarb Kaiser Karl IV. zuerst 1364 als Pfand, 1367 dauernd durch Kauf. 2 ) Schlesien, von dem ein Theil schon im 10. Jahrhundert zu Bohmen gehort hatte, blieb nach der Eroberung durch den Herzog Boleslaw Chabry (Chrobry) von Polen (999) mit diesem Reiche vereint, bis dieses nach dem Tode Boleslaws III. (1138) unter dessen Sohne getheilt wurde. Schlesien zerfiel seit 1163 in zwei Herzogthiimer nnd loste sich im Laufe des 13. Jahrhimderts in immer zahlreichere Fiirstenthiimer auf. Als nun Wenzel II. von Bohmen sich anschickte, seine Anspriiche auf das er- ledigte Herzogthnm Krakau geltend zu machen, versprachen ihm die Herzoge von Teschen und Oppeln im Jauner 1291 Heeresfolge in alien seinen Kriegen, nachdem ihr Bruder Herzog Kasimir von Beuthen schon 1289 die Lehenshoheit Bohmens anerkannt hatte. Nach dem Aussterben der Pfemysliden (1306) gieng wie die Herr- schaft des Bohmenkonigs iiber Polen auch die Lehenshoheit fiber diese Theile Oberschlesiens wieder verloren. Als aber Konig Johann anfaugs 1327 einen Feldzug gegen Polen unternahm, um die Anspriiche seiner Vor- giinger auf dieses Reich wieder zu realisieren, leisteten ihm auch die Herzoge von Teschen, Falkenberg, Kosel- Beuthen, Ratibor, Auschwitz und Oppeln die Huldigung, sodass die Oberhoheit des bohmischen Konigs iiber ganz Oberschlesien fest begriindet war. Der kinder- lose Herzog Heinrich VI. von Breslau trat am 6. April 1327 sein Herzog- *) Scheltz, Gesammt-Geschichte der Ober- und Niederlausitz, 1, 73 ff., 95 if., 200 .ff. Vgl. Jirecek, l a , 8f. ") Keg. Karls IV. Nr. 3058. 3943. K. 8. 389. 404. 405. 69 thum dem Konige Johanri ab, der ihin die Verwaltung auf Lebenszeit und eine jahrliche Rente zusicherte. Als Heinrich 1335 starb, nahm der Konig dasselbe in Besitz, nachdem er sich schon 1331 nach dem kinder- losen Tode des Herzogs von Glogau dieses Landes 1 ) bemachtigt hatte. Anch die Herzoge von Liegnitz-Brieg, Steinau, Sagan, Oels und Mfinsterberg wnrden (13291335) genothigt, ihre Gebiete vom Konige zu Lehen zu nehmen. Die letzten selbstSndigen schlesischen Fursten- thiimer erwarb Karl TV., indem er 1353 Anna, die Nichte und Erbin des kinderlosen Herzogs Bolko von Schweidnitz und Janer heiratete, nach dessen Tode (1368) diese Lander an Bohmen kamen. Die Fflrstenthfimer, die spater bis zum Beginne der Eegierung Ferdinands I. infolge des Aussterbens der regierenden Linie an die Krone zuriickfielen, wurden alle wieder weiter verliehen. Einzelne wurden auch ganz dem Lande entfremdet, indem das sogenannte Ffirstenthum Seve- rien (Siewierz) 1442 dem Bischofe von Krakau. das Herzogthum Ausch- witz 1457 an Polen verkatift wnrde, wahrend bei der 1472 erfolgten Veraufierung des Herzogthnms Sagan an Sachsen wertigstens die Lehens- hoheit der bohmischen Krone vorbehalten blieb. 2 ) IT. Greschiehte des Sffentliclien Rechtes. a) Bohmens Verhaltnis zum deutschen Beiche. 3 ) Die bohmischen Fursten, sei es alle, sei es ein Theil derselben, wurden schon unter Karl dem Grofien genothigt, dem frankischen Keiche Tribut zu entrichten. Um die Mitte des 9. Jahrhunderts fielen sie aber vom Keiche ab und kamen spater (urn 871) in Abhangigkeit vom mah- rischen Keiche. 895, nach dem Tode Swatopluks, rissen sie sich auch von diesem wieder los, wogegen ,.alle Herzoge der Bohmen" in Regens- burg dem Konige Arnulf die Huldigung leisteten. Doch horte mit dem baldigen^ Verfalle des ostfrankischen Reiches auch das Abhangigkeits- verhaltnis der Bohmen auf. Der Begriinder eines neuen deutschen Reiches. Heinrich I., drang urn 929 mit einem Heere bis Prag vor und zwang den Herzog Wenzel zur J ) Doch wurde die Halfte desselben 1342 an den Bruder des Verstorbenen zu- riickgegeben, der Rest von Wenzel IV. dem Herzoge von Teschen iiberlassen. Erst 1488 kam Glogau durch Matthias von Ungarn als Herrn Schlesiens wieder an die Krone zuriick. 2 ) Griinhagen, Geschichte Schlesiens, 1, 363; die Belege in n Anmerkungen u S. 101, N. 18. 3 ) Vgl. mit den betreffenden Partien in Palacky's n Geschichte von Bohmen" auch Jirecek a. a. 0. l a , 95 if. und l b , 191 fF., H. Pernice, Die Verfassungsrechte der im Reichsrathe vertretenen Konigreiche und Lander, 1. Heft: Das Konigreich Bohmen (Halle 1872) und meine ,,Geschichte Osterreichs", 1, 156 ff. 231 ff. 282 if. 70 Huldigung und zur Zahlung eines Tributes. Wenzels Bruder Boleslaw L, der ihn 935 erniordete, machte sich von Deutschland unabhangig und behauptete 14 Jahre seine Selbstandigkeit, bis ihn endlich Otto I. 950 unterwarf. Fortan blieb er des Konigs treuer Vasall und entrichtete nicht blofl den verlangten Tribut, 1 ) sondern musste auch die koniglichen Hoftage besuchen und Heeresfolge leisten; narnentlich musste der Bohmenherzog spater zu den Romerziigen 300 schwer bewaffnete Reiter stellen. Auch war es nicht der Herzog, sondern der Kaiser, der (um 973) fur Bohmen das Bisthum Prag griindete und dem Erzbischofe von Mainz unterordnete. Sonst aber war Bohmen im Inneren vom deut- schen Konige vollstandig unabhangig. Als Boleslaw III. wegen seiner Grausamkeit 1003 gesturzt ward und Bohmen sich dem Herzoge Boleslaw von Polen unterwarf, weigerte sich dieser, das Land vom deutschen Konige zu Lehen zu nehmen. Aber schon 1004* wurde er vom Konige Heinrich II. aus Bohmen vertriebeu und Boleslaws III. Bruder Jaromir mit diesem belehnt. 2 ) Jaromirs Bruders- sohn und zweiter Nachfolger Bfetislaw I. (1034 1055) suchte sich nach dem Tode Kaiser Konrads II. (1039) in politischer und kirchlicher Beziehung von Deutschland unabhangig zu machen, wurde aber 1041 von Heinrich III. gezwungen. neuerdings den Lehenseid zu leisten. 3 ) Von dieser Zcit an -hat Bohmen nie mehr versucht, die Ober- herrschaft Deutschlands abzuschiitteln. Bfetislaw selbst hat Hein- rich III. in den Kriegen mit Ungarn und dessen Sohn und zweiter Nach- folger Wratislaw II. (1061 1092) Heinrich IV. in seinen Kampfen gegen die aufstandischen Sachsen und die mit dem P. Gregor VII. verbundenen deutschen Fiirsten treu untersttitzt. Zur Belohnung verlieh diesem Kaiser Heinrich 1086 auf einem Reichstage in Mainz, allerdings nur fur seine Person, den Titel eines Konigs von Bohmen und Polen, liefi ihn durch den Erzbischof von Trier in Prag kronen und salben und scheint ihn auch von der Zahlung des Tributs befreit zu haben. sodass der Besuch der Hoftage und die Heeresfolge fortan die einzige Verpflich- tung des bohmischen Konigs gegenuber dem deutschen Reiche war. Die haufigen Thronstreitigkeiten, welche nach dem Tode Wratislaws II. (14. .Tanner 1092) unter den Pfemysliden ausbrachen, waren die Ursache, dass in den nachsten Jahr/ehnten die deutschen Konige wiederholt die Besetzung des bohmischen Thrones selbst in ihre Hande nahmen. ') Wahrscheinlich 120 auserlesene Ochsen und 500 Mark Silber, was die Bohmen spater schon in der Zeit Karls des Grofien festgestellt sein lassen. 2 ) Die Belehnung erfolgte, wie zum erstenmale 1099 bemerkt wird, mittels einer Fahne; von 1173 an werden inehrere (fiinf) Fahnen erwiihnt. Jire(Sek, l b , 49. 8 ) Ann. Altah. ad 1041: iusiurandum regi fecit, ut tarn fidelis illi maneret, quam miles seniori esse deberet, omnibus amicis eius fore se amicum, inimicis inimicum. 71 Lothar 111. behauptete sogar 1 125, dass ohne Initiative und Bestatigung des Kaisers nie die Wahl oder Erhebung eines Herzogs habe stattfinden diirfen. Dagegen erklarte freilich der Herzog Sobeslaw, dass die Wahl inmier vom Gutdiinken der bflhrnischen GroBen, nie von deni des Kaisers abgehangen habe, und dass niir die Bestatigung derselben diesem zustehe. 1 ) Doch handelte Sobeslaw selbst gegen die von ihm vertretenen Grund- satze, indem er seinem Sohn Wladislaw 1138 zuerst vom Konige Konrad III. die Belehnung ertheilen und erst dann durch die bohmischen Grofien als seinem Nachfolger huldigen liefi. Die enge Verbindung, welche urn diese Zeit zwischen den Herxogen von Bohmen und den deutschen Konigen stattfand, hatte neuerdings eine Rangserhohung der ersteren zur Folge. Wladislaw II. versprach dem Kaiser Friedrich I. personlich ein grofies Heer gegen die lombardischen Stadte, besonders Mailand, zuhilfe zu fiihren. Dafiir setzte ihm dieser (11. Janner 1158) auf einem Reichstage in Regensburg ein konigliches Diadem auf und verlieh ihm und seinen Nachfolgern durch ein eigenes Privileg das Recht, an den Hauptfesttagen einen goldenen Reif zu tragen und sich denselben von den Bischofen von Prag und Olmutz aufsetzen zu lassen. 2 ) Als aber Wladislaw gegen das sogenannte Senioratsgesetz mit Um- gehung der alteren Pfemysliden seiuem Sohne Friedrich die Nachfolge zu verschaffen suchte und. urn diesen auf dem Throne zu befestigen, 1173 noch bei Lebzeiten zu Gunsten desselben der Regierung entsagte, lud der Kaiser beide vor sich, entsetzte Friedrich der Regierung, weil er sie nicht auf gesetzliche Weise mit Zustimmung der Bohmen und nach er- folgter Belehnung durch den Kaiser, sondern nur durch Verfugung seines Vaters erhalten habe, und belehnte mit Bohmen einen Sohn Sobeslaws L, Sobeslaw II. Doch erkannte er diesen nicht als Konig, sondern nur als Herzog an. Der Einfluss des deutschen Konigs auf die Verhaltnisse Bohmens wnrde in den nachsten Jahren durch die unaufhorlichen Thronstreitig- keiten unter den Pfemysliden und den Wankelmuth der GroBen noch gesteigert. Mehrmals wurden durch eine Verfugung der Kaiser Friedrich I. und Heinrich VI. Herzoge von Bohmen ab- und eingesetzt. 1182 suchte Kaiser Friedrich I. den Streit zweier Rival en, des 1173 abgesetzten Fried- rich und seines Vetters Konrad Otto von Briinn. dadurch beizulegen, dass er jenem Bohmen, diesem Miihren zusprach. Doch sollte dieses Land nicht mehr unter der Oberhoheit des Herzogs von Bohmen stehen, son- *) Monachi Sazav. cont. Cosmae (M. G. SS. 9, 155 sq.) ad 1126. 2 ) Erben, Reg. Bohemiae 1, 131. Cod. dipl. Moraviae 1, 267. Jiregek, Cod. jur. Bohem. 1, 29. 72 dern eine reichsunmittelbare, nur vom deutschen Konige zu Leheu ge- hende Markgrafschaft bilden. Erst der Umschwung der Verbaltnisse in Deutschland, der friih- zeitige Tod Kaiser Heinrichs VI. (28. September 1197) und die dann er- folgende Wahl zweier Gegenkouige, des Staufers Philipp von Schwaben und des Welfen Otto IV., fiihrten auch eine Wendnng in den Verhalt- nissen Bohmens zum Eeiche herbei. 1 ) Im Sommer 1197 batten die bohmischen Grofien ohne Einholung des in Sicilien weilenden Kaisers Wladislaw III. einen Sohn Wladislaws II. zum Herzoge gewahlt. Aber sein alterer Bruder Pfemysl Ottokar unternahm ini December 1197 mit seinen Anhangern einen Angtiff auf Bohmen. Urn einen Biirgerkrieg zu vermeiden, schloss WJadislaw mit seinem Bruder eineu Vergleich. wornach dieser in Bohmen, er aber in Mahren unter dessen Oberhoheit regieren sollte, sodass also die Reichsimmittelbarkeit dieser Markgrafschaft wieder ein Ende fand. Die dann in Deiitschland erfolgende Doppelwahl hatte die Folge, dass dieser wie andere Eingriffe in die Rechte des Konigs ungestraft blieben, ja Bohmen noch mehr begiinstigt wurde. Um den machtigen Pfemysl Ottokar I. fiir sich zu gewinnen. machte ihn Konig Philipp neuerdings zum Konige und ubertrug ihm und seinen Nachfolgern das Reich Bohmen. doch mit der Bestimmung. dass der von den Bohmen Gewahlte die Belehnung vom deutschen Konige einholen sollte. Als Ottokar 1203 auf die Seite des Gegenkonigs Otto IV. iibertrat. wurde er auch von diesem und vom P. Innocenz III. als Konig anerkannt. Als aber Otto IV. wegen seines Angri fifes auf TJnteritalien 1210 vom Papste gebannt und auf dessen Bemiihimgen der Staufer Friedrich II. zum Gegenkonige gewahlt wurde. erhielt Ottokar I., welcher sich diesem als einer der ersten deutschen Fursten anschloss, neue Vorrechte.. Am 26. September 1212 bestatigte Friedrich II. durch eine Urkunde mit Goldbulle die Verfiigung Konig Philipps tiber die Erhebnng Bohmens zum Konigreiche und bestimmte weiter, dass der Konig zum Besuche der kaiser- lichen Hoftage nur in Bamberg. Nurnberg und Merseburg verpflichtet sein und beim Romerznge des deutschen Konigs die Wahl haben sollte, 300 Bewaifnete zu senden oder 300 Mark Silber zu zahlen. 2 ) Auch diese x ) Vgl. fiir die folgende Darstellung meine n Geschiclite Osterreichs", 1, 381 ff. und die dort angefiihrten Belege. 2 ) Das Privileg Konig Friedricbs II. (mit anderen einschlagigen Urkunden) bei Jirecek, Cod. jur. Bohem. 1, 39. Doch sind die ersten fiinf Punkte offenbar Erneuerung des Privilegs Konig Philipps. Dass die Heerespflicht des bohmisehen Konigs dem Reiche gegeniiber damals nieht aufborte, ergibt sich aus dem Versprechen Herzog Albrechts I. von Osterreich fiir Wenzel II. vom 12. Februar 1298, wenn er zum romischen Konige gewahlt wiirde, diese nicht mehr verlangen zu wollen. Liinig, Cod. Germ. 1, 977. 73 Leistung setzte Kaiser Friedrich III. am 21. December 1462 noch auf die Halfte herab, als ihm Konig Georg gegen die aufstandischen Wiener und seinen Bruder Erzherzog Albrecht zuhilfe gekommen war, und verfiigte zugleich, dass der Konig nur zu den Hoftagen in Bamberg und Nurnberg auf den Ruf des Kaisers kommen rniisse, und dass demselben auch die Belehnung innerhalb der Grenzen seines Reiches oder hochstens 15 deut- sche Meilen von demselben entfernt ertheilt werden solle. 1 ) Wahrend die Verpflichtungen des bohmischen Konigs dem deut- schen Reiche gegenuber immer mehr vermindert wurden, stiegen seine Rechte und sein Einfluss. Wahrend sich vor dem Ende des 12. Jahr- hunderts die personliche Theilnahme eines bShmischen Herrschers an einer deutschen Konigswahl nicht mit Bestimmtheit nachweisen lasst, 2 ) hat Ottokar I. zur Wahl Philipps spater seinen Beitritt erklart und 1211 die Berufung Friedrichs IT. vorzuglich betrieben. Bei der Wahl Konrads IV. ira Pebruar 1237 erscheint Konig Wenzel I. unter den weltlichen Fursten in zweiter Reihe unmittelbar hinter dem Rheinpfalzgrafen. Von besonderer Wiehtigkeit war es, dass sich der Bohmenkonig urn die Mitte des 13. Jahrhnnderts, als infolge des Zusammentreifens verschiedener Umstande das Recht, den deufschen Konig zu wahlen, auf die drei rheinischen Erzbischofe und die Inhaber der sogenannten Erzamter beschrankt ward, schon seit langerer Zeit im Besitze des Schenkenamtes befand. 3 ) Zwar spricht der Verfasser des um 1230 entstandenen ,,Sachsenspiegels". Eike von Repgow, der zuerst die Be- hauptung aufstellt. dass die drei rheinischen Erzbischofe und die Be- sitzer der Erzamter ,,die efsten in des Reiches Kure" seien und den. fiber welchen die Fiirsten sich geeinigt. zu verkunden haben. dem Konige von Bohmen das Wahlrecht iiberhaupt ab, n weil er nicht deutsch ist". 4 ) Albrecht scheint die Urkunde als Konig nicht erneuert zu haben; wohl aber gab Konig Ludwig der Baier (4. December 1314) dem Konige Johann ein ahnliches Versprechen. iLChmel, Eeg. Friderici HI, p. 398, Nr. 3958. 2 ) Dass Herzog Ulrich 1024 an der Wahl Konrads II. theilgenommen babe, scheint mir wahrsoheinlich, aber nicht ganz sicher (siehe meine ,, Geschichte Osterreichs", 1, 167, N. 4). Viel zweifelhafter diirfte die Theilnahme Konig Wladislaws an der Designation Heinrichs VI. 1169 sein, die Weiland, Uber die deutschen Konigswahlen im 12. und 13. Jahrhundert (Forschungen zur deutschen Geschichte, 20, 320) und andere ange- nommen haben. 3 ) Vielleicht schon seit Heinrich IV., sicher seit Heinrich V., da bei dessen Hoch- zeit 1114 dux Boemiae summns pincerna fuit (Ekkeh. Chron. M. G. SS. 6, 248), wahr- scheinlich auch auf dem Eeichstage in Mainz 1184. S. Ficker, Entstehungszeit des Sachsenspiegels, S. 125 ff. Weiland a. a. 0., S. 315 ff. 4 ) Sachsen spiegel, Landrecht III, 57, 2: Die schenke des rikes, die koning con Behemen, die ne hevet nenen kore, unnne dat he nicht diidesch n'is. Ob Eike zu dieser Behauptung durch sein Nationalbewusstsein veranlasst wurde (so Schuster in Mit- theilungen des Instituts", 3, 397 ff.), oder weil er selbst nach einer dem wenig friihereu 74 Aber da die Theorie in dieser Form uberhaupt den geschichtlichen That- sachen nicht entsprach, andero von vorneherein sieben nannten und die Haltung des Konigs von Bohmen infolge seiner Macht bei den spateren Konigswahlen von ansschlaggebender Bedeutung sein rnusste, so be- hauptete dieser auch, als die Anschanungen Eikes in der That staats- rechtliche Giltigkeit erlangten, seine Stelle im Kurfiirstencollegium 1 ) und damit auch das Kecht, auf die Regierung des Reiches in erster Linie Einfluss zu iiben und zu alien Verfiigungen des deutschen Konigs iiber wichtigere Angelegenheiten, namentlich iiber die Vergabung der Reichsgiiter. seine Zustimmung zu geben. Durch die gold en e Bulle von 1356 wurde Bohmen wie den an- deren Kurfiirstenthumern nicht blofl das Berg- und Miinzregal, die her- gebrachten Zolle und die Freiheit aller Einwohner von den Reichsgerichten garantiert, sondern auch in der Rangordnung der Kurfiirsten zu seinen Gunsten eine Abandoning getroffen, indem der Konig unter den weltlichen Fiirsten den ersten Rang erhielt. Durch drei Menschenalter (1346 1437) hatten die Konige von Bohmen aus dem Hause Luxemburg selbst den deutschen Thron inne. An den spateren Konigswahlen nahmen sie aber lange Zeit gar nicht mehr theil. Bei der Erhebung Albrechts II. 1438 war dieser als Konig von Bohmen noch nicht anerkannt, bei jener Friedrichs III. 1440 des ersteren Sohn Ladislaus noch gar nicht geboren. Zu der Maximilians I. 1486 wurde Konig Wladislaw von Bohmen angeblich wegen Mangels an Zeit nicht geladeu, indem man sich darauf stiitzte, dass die goldene Bulle fiir den Fall einer Wahl bei , Lebzeiten des Kaisers nicht giltig sei. 2 ) Erst als Kaiser Maximilian I. sich 1518 bemiihte, seinem Enkel Karl die deutsche Krone zu verschaffen, und bei der Avirklichen Wahl Karls V. r Auctor vetus de beneficiis" entnoinmenen Stelle im Lehenrecht IV, 2 nur sechs Fiirsten als n die ersten in des Reiches Kure" bezeichnet, also fiir den Bohmenkonig kein Platz mehr war (so Maurenbrecher, Geschichte der deutschen Konigswahlen, S. 227 ff.), mag dahingestellt bleiben. *) Wegen der Haltung Ottokars II. bei der Erhebung Rudolfs von Habsburg wurde /war 1273 durch die Kurfiirsten und dann auf dem Reich stage zu Augsburg 1275 auch durch Konig Rudolf die siebente Kurstimme dem Herzogthum Baiern zugesprochen, aber am 4. Marz 1289 und auf dem Reichstage in Erfurt am 26. September 1290 wurden das Schenkenamt und die Kurwiirde wieder dem Konige von Bohmen zuerkaunt. Siehe namentlich Barwald, Uber die Echtheit und Bedeutung der Urkunde Konig Rudolfs I., betreffend die baierische Kur, 1856 (aus den n Sitzimgsberichten der kaiserl. Akademie" 21, 3 ff.). 2 ) H. Ulmaun, Die Wahl Maximilians I. ,,Forschungen zur deutschen Geschichte", 22, 149 ff. Bachmann, Zur deutschen Konigswahl Maximilians I. fl Archiv fiir oster- reichische Geschichte , 76, 603 f., glaubt, dass die Riicksicht auf Matthias von Ungarn mafigebend gewesen sei, der auch nach dem Frieden mit Wladislaw (1479) den Titel eines Konigs von Bohmeu fiihrte. . 75 wurde der Konig von Bohrnen wieder als vollberechtigter KurfQrst an- erkannt, obwohl derselbe damals minderjahrig war und der bohmische Kanzler Ladislaus von Sternberg als Bevollmachtigter des Keiches fur ihn die Stimme abgab. b) Die Stellung des Landesfiirsten. I. Die Thronfolgeordnung. 1 ) Obwohl Bdhmen unter der Oberhoheit des deutschen Konigs und seit der ersten Halfte des 11. Jahrhunderts ein Lehen desselben war, wurde der Herzog doch, manchmal auf die Empfehhing seines Vor- gangers, von den Groflen gewahlt 2 ) und dann erst vom Kaiser belehnt. Doch war das Wahlrecht insofern ein beschranktes, als man vom Hause der Premysliden nicht abwich und friiher wohl ohne besonderen Grund auch den nachsten Erben nicht iibergieng. Den jungeren Prinzen wurden zu ihrer Versorgung wiederholt eigene Gebietstheile angewiesen. Bfetislaw I. berief aber auf dem Todbette (1055) die bei ihm an- wesenden Grofien zu sich, erkliirte eine Theilung des n Reiches Bohmen" fiir schadlich und sprach den Wunsch aus, n dass unter seinen Sohnen oder Enkeln iminer der alteste das hochste Recht und den Thron inne- haben. die tibrigen Mitglieder des Mannsstammes seiner Herrschaft unter- than sein sollten". 3 ) Es gait auch in der That in Bohmen spater die Senioratserbfolge als die dem Rechte entsprechende. 4 ) Aber sie liefi sich. nachdem sich die Familie der Premysliden einmal mehr verzweigt hatte, nicht immer durchfuhren und veranlasste haufige Thronstreitig- keiten. Wiederholt suchte der regierende Herzog seinem Sohne oder Bruder mit Umgehung eines alteren Seitenverwandten die Nachfolge zu verschaffen, und da dies nur durch die Unterstufczung der Grofien oder einen Machtspruch des deutschen Konigs moglich war, so wurde Bohmen *) Jirecek, Das Kecht in Bohmen und Mahren, l a , 65 ff. und l b , 41 flf. Koutny, Der Premysliden Thronkampfe und die Genesis der Markgrafschaft Mahren (Wien, 1877). Loserth, Das angebliche Senioratsgesetz des Herzogs Bfetislaw I. und die bohmische Succession. ^Archiv fur osterreichische Geschichte", 64, 1 ff. 2 ) Schon von Wratislaw, dem Vater des heiligen Wenzol, heiBt es: se publico assensu elifjente, und von diesem selbst; fnvorabiU poindornm assensu . . . delectus. Gumpoldi Vita Wencezlavi ducis, cap. 3 und 4. M. G. SS , 4, 214. 3 ) Cosmas, Chron. Boein. II, 13. M. G. SS., 9, 75. Es scheint, dass das regnum Boemiae, gegen dessen Theilung sich Bfetislaw aussprach, nur das eigentliche Bohmen war, da nach Cosmas cap. 15 vadit noms dux novum disponere Moraviae regnuin. 4 ) lusticia enim erat Boemorum, ut semper inter principes eorum maior natu solio potiretur in principatu, sagt Cosmas ad a. 1100 1. c. p. 108. Loserth hat fiir seine Behauptung, S. 29, dass n die Succession uach Altersvorzug" schon nahezu 200 Jahre vor Bfetislaw bestanden habe, S. 61 ff., keine Beweise beigebracht. Dass unter mehreren Sohiien der alteste vor den jungeren folgte, ist selbstverstaudlich. 76 im Laufe des 12. Jahrhunderts iramer mehr zu einem Wahlreiche und zugleich der Einfluss des Kaisers auf die Besetzung des bohmischen Thrones immer grofler. Dabei horte auch die territoriale Zersplitterung des Keiches nicht auf. Bfetislaw I. altester Sohn und nachster Naehfolger Spitihnew (1055 1061) beraubte zwar gleich nach seiner Thronbesteigung seine Bruder der ihnen von ihrem Vater verliehenen mahrischen Gebiete. Aber sein Bruder Wratislaw II. (1061 1092) theilte dieses Land wieder unter seine Bruder Konrad (von Briinn) und Otto (von Olmiitz), und ihre Nach- kommen haben sich bis zu ihrem Erloschen (1200) in ihren Gebieten behauptet. Auch vom eigentlichen Bohmen wurden wiederholt grofiere oder kleinere Theile zur Abfindung rivalisierender Glieder des Herrscher- hauses oder jiingerer Spro'sslinge verwendet. Erst im 13. Jahrhundert trat eine wesentliche Anderung ein. 1 ) Die mahrische Linie der Pfemysliden starb um 1200 aus. Ottokars I. Bruder Wladislaw, der 1197 unter seiner Oberhoheit Mahren erhielt, schied 1222 ohne Hinterlassung von Kindern aus dem Leben. Ottokar verlieh dieses Land 1224 seinem zweiten Sohne Wladislaw und na"ch dessen Tode (1227) seinem dritten Pfemysl. Aber beide hatten fast nur den Titel. wahrend die Kegierung der Konig selbst ftihrte. Da auch Pfemysl 1239 ohne Nachkommen starb, fiel Mahren unmittelbar an den Konig Wenzel I. zuruck, der die Regierung dieses Landes 1246 seinem alteren Sohne Wladislaw, und als dieser gleich darauf starb, seinem zweiten Pfemysl Ottokar, dem spateren Konige, ubertrug. Ottokar I. setzte es auch durch, dass die bohmischen Grofien seinen Sohn Wenzel I. 1216 noch bei seinen Lebzeiten zum Konige wahlten und Konig Priedrich II. ihm die Belehnung ertheilte. Da er wie seine Nachfolger Wenzel I. (12301253), Pfemysl Ottokar II. (12531278) und Wenzel II. (1278 1305) alle nur einen Sohn hinterliefien, so gerieth die Seniorats- theorie vollstandig in Vergessenheit, und es wurde auf dem Wege des Gewohnheitsrechtes die Primogeniturerbfolge eingefuhrt. Mit Wenzel III., der am 4. August 1306 ermordet wurde, erlosch der Mannsstamm der Pfemysliden. Seinen vier Schwestern wurde von keiner Seite ein Anspruch auf die Thronfolge zuerkannt. Die boh- mischen Stande nahmen jetzt fiir sich das Wahlrecht in Anspruch. Aber der deutsche Konig Albrecht I. erklarte Bohmen mit Mahren fiir ein erledigtes Reichslehen, belehnte damit seinen altesten Sohn Rudolf und setzte es durch, dass die Barone und Adeligen Bohmens und Mahrens nicht blofi diesem die Huldigung leisteteu, sondern auch eidlich und ur- l ) Die Literatur in meiner n Geschiclite Osterreichs", 1, 392 f. und fiir die Throh- streitigkeiten nach dem Aussterben der Pfemysliden 2, 93 ff. 77 kundlich gelobten, wenn Rudolf ohne mannliche Erben mit Tod abgienge, den iiltesten von dessen Brudern und Erben als Nachfolger anzuerkennen. Als aber Rudolf am 4. Juli 1307 starb, wahlten die bShmischen Stande den Herzog Heinrich von Karnten und Grafen von Tirol, Geinahl der iiltesten Schwester Wenzels III., Anna, der sich auch im Kampfe gegen Albrecht I. behauptete. Indessen sah auch Albrechts Nachfolger Hein- rich VII. Bohmen fiir ein erledigtes Reichslehen an, das er seiner eigenen Familie verschaffen wollte. Da Heinrich von Karnten sich die Zuneigung sehr vieler Bohmen verscherzt hatte und diese die Krone der zweiten Tochter Wenzels II., Elisabeth, zu verschaffen suchten, so wendeten sie sich an Heinrich VII., und auf ihre Bitten belehnte dieser am 31. August 1310 seinen Sohn Johann von Luxemburg mit Bohmen, indem er ihn zugleich mit der Prinzessin Elisabeth vermahlte. Noch im namlichen Jahre wurde Heinrich von Karnten aus Bohmen vertrieben und dem Konige Johann die Huldigung geleistet. ' Dieser vermachte in seiuein Testamente vorn 9. September 1340 seinem altesten Sohne Karl nur Bohmen mit den schlesischen und lau- sitzischen Gebieten, seinem zweiten Johann Heinrich Mahren, seinem dritten Wenzel das Stammland Luxemburg. Dieser Verfugung ent- sprechend verlieh Karl IV. am 26. December 1349 seinem Bruder Johann Mahren als bohmisches Mannslehen, iiahrn aber das Bisthum Olmutz und das Herzogthum Troppau aus, die vom Konige unmittelbar zu Lehen gehen sollten. Erst als Johann s (f 1375) Sohn Jodok am 18. Janner 1411 kinderlos starb, fiel Mahren wieder an den Konig zuruck. Karl IV. beschrankte 1348 das Wahlrecht der Stande Bohmens und seiner Nebenlander auf den Fall, dass vom koniglichen Stamrae weder ein maunlicher noch ein weiblicher legitimer Sprossling vorhanden ware, 1 ) was die goldene Bulle von 1356 bestatigte. Darnach ware nach dem Tode Kaiser Siegmunds (9. December 1437) das Erbrecht seiner einzigen Tochter Elisabeth, der Gemahlin Albrechts V. von Osterreich, aufier Zweifel gewesen. Aber nachdem die Husiten dem Konige Siegmund aus religiosen Griinden die bohmische Krone viele Jahre hiudurch streitig gemacht, hatte das Rechtsbewusstsein einen gewaltigeu StoB erlitten, und es wurde Albrecht V. (II.) im Juni 1438 nur von den Katholiken und den gemafligteren Utraquisten als Konig anerkannt, wahrend die radicale Partei den polnischen Prinzen Kasimir wahlte. Nach Albrechts II. Tode (1439) wurden seine Witwe Elisabeth und ihr *) Electionem regis Bohemiae in casu dumtaxat et eventu, quibus de genealogia, progenie vel semine aut prosapia regali Bohemiae masculus vel femetta superstes Jegi- timus . . . nullus fuerit oriundus . . . ad praelatos, duces, principes, barones, nobiles et communitatem regni praefati et pertinentiarun eiusdem . . . pertinere. Cod. dipl. Mo- raviae, 7, 555 sqq. 78 Sohn Ladislaus nur von den Schlesiern, Lausitzern und einem Theile der M;ilm>r anerkannt. Der bohmische Landtag dagegen wahlte 1440 fast ein- stimmig den Herzog Albrecht von Baiern zum Konige, und nur weil dieser den Antrag ablehnte und die Bohmen sich fiber einen neuen Candidaten nicht einigen konnten, schritt man nicht fiber die Rechte des Jegitimen Konigs hinweg und ffihrte cine Art autonomer Verwaltung ein, bis 1448 Georg von Podiebrad als Reichsverweser die Regierung an sich brachte. Erst im October 1452 wurde Ladislaus vom bohmischen Landtage als gewahlter Konig proclamiert, aber ihm das Erbrecht abgesprochen, weil man semen Vater nicht als rechtmafligen Konig ansah. Als Ladislaus 1457 noch unverheiratet starb, erhoben die bohinischen Stiinde, ohne auf das Erbrecht der Schwestern desselben Rucksicht zu nehmen, durch freie Wahl Georg von Podiebrad auf den Thron. Das- selbe geschah 1471 nach Georgs Tode, indem man den Prinzen Wladi- slaw von Polen wahlte. Erst dessen Sohn Ludwig folgte seinem Vater 1516 auf dern Throne, ohne dass sein Erbrecht bestritten worden ware. 2. Die Befugnisse und Einklinfte des Landesfiirsten. Auch in Bohmen war der Landesffirst der oberste Richter und Heerftihrer, er vertrat das Land uach aufien und ernannte die Hof- und Landesbeamten. 1 ) Die Heerespflicht beschrankte sich aber imr auf die Vertheidigung der bohmischen Kronlander und erstreckte sich nicht auf Kriegszfige ins Ausland, an welchen die Grofien und Adeligen nur freiwillig oder gegen Sold theilzunehmen brauchten. 2 ) Die Einkunfte des Landesffirsten 3 ) flossen im frfiheren Mittel- alter aus den Domanen (Burgen, Landguter, Walder u. s. w.) und Re- gal Len, d. h. den Zollen und Mautgefallen, den Marktgeldern oder Ab- gaben von den auf den Markten verkauften Waren und Lebensmitteln (Ungelt), den Goldwaschereien und Bergwerken, die lange Zeit sehr er- giebig waren, dem Mfinzregal, den Stadtesteuern und den Abgaben der Juden (fur den ihnen vom Ffirsten gewahrten Schutz), den Heimfallen von Lehen und anderen Gtitern (Sterbefalle), deu Gerichtsbufien und 1 ) Jirecek, l b , 65 ff. Dudik, Mahrens allgemeine Geschichte, 9, 39 if. uud fur die spatere Zeit J. A. Tomaschek, Recht und Verfassung der Markgrafschaft Mahren im 15. Jabrhundert, S. 26 if. 2 ) Priv. Konig Johanns fur Bohmen und Mahren vom December 1310 und 18. Juui loll bei Erben-Emler, Reg. Bohemiae, 2, 973 und Cod. Moraviae, 6, 37. Dass das- selbe schon im 12. Jahrhundert der Fall war, ergibt sich aus der Erzahlung des Vin- cenz von Prag, wornach die GroBen dem Konige Wladislaw 1158 auf einer generalis curia Vorwiirfe gemacht, weil er eigenmachtig dem Kaiser Hilfe gegen Mailand versprochen hatte, und derselbe ihnen daun die Theilnahme freigestellt habe. Vinceutii Prag. Ann . M. G. SS., 17, 668. 3 J Palacky, 2 a , 42 ff. Jirecek, l b , 80 ff. 79 Giiterconfiscationen. Weiter gab es eine theils in Geld, theils in Vieh erhobene jahrliche Grundsteuer, die sogenannte Friedenssteuer (tribu- tum pads, mir), von der aber ungewiss ist, ob sie von alien Grundbesitzern oder, was wahrscheinlicher ist, nur von den landesfiirstlichen Zinsbauern und Dienstleuten bezahlt werden musste. Eine allgemeine Landessteuer (berna), eine Grundsteuer in bestimmter Hohe (aber nicht von den Herren- giitern) durfte nach dem Privileg Konig Johanns von 1310 der Konig nur in zwei Fallen, bei seiner Kronung und bei der Vermahlung jeder seiner Tdchter, erheben, wiihrend dies sonst nur mit Bewilligung des Landtages geschehen konnte. Dazu kamen noch die Staatsfrohnden, d. h. die Arbeiten fur den Ban und die Einhaltuug der Burgen, Brucken und Wege, fur die Bewachung der Grenzpasse, die Ausrodung der Walder, dann die Beherbergung und Verpflegung des fiirstlichen Hof- und Jagdgesindes, Lieferung von Vorspann u. s. w. Aber die meisten dieser Quellen versiegten im Laufe des spateren Mittelalters immer mehr oder verschwanden nach den Husitenkriegen und der Kegierung der schwachen Jagellonen ganz. 1 ) Die landesfurst- lichen Giiter, selbst ganze Stadte und Markte, waren an Kirchen und Kloster oder auch an Laien vergabt oder an Grofie zu Lehen gegeben oder verkauft oder verpfandet oder von machtigeren Adeligen eigenmach- tig in Besitz genommen worden, sodass, wie Konig Ferdinand 1527 klagt, 2 ) davon flWeuig und kleinscheinig frei, sondern alles in fremder Hand und gewaltsam befunden". Auch die Eegalien, die Bergwerke, Fischteiche, das Ungelt, die Mauten, Zolle uud Weingarten, von denen auch viele verauflert waren, trugen, wie er sagt, infolge ihrer Veruachlassigung wenig oder gar nichts ein. In den bohmischen Nebenlandern waren die Verhaltnisse nicht wesentlich verschieden. c) Der Adel und die burgerliche Bevolkerung. Schou im 11. Jahrhundert treten uns zwei Classen von Adeligen, solche ersten und zweiten Ranges (primi et secundi ordinis milites). entgegen. 3 ) *) Vgl. fur Mahren, wo die Verhaltnisse dieselbeu waren wie in Bohmen, Dudik, 9, 286 ff'., und Tomaschek, S. 34 ff. 2 ) B Archiy fur osterreichische Geschichte", 69, 281 IF. l)iese Angaben werden durch die Forschuugen Gindelys, Geschichte der bohmischen Finauzen 15261618, r Denkschriften der kaiserl. Akademie", 18, 106 ff. 114 f. 128 ff. vollkommen bestatigt, nach denen die Bergwerke, die Grenzzolle, das Ungelt in den ummauerten Stadten, die Kammerzinse mit den Gerichtstaxeu, uberhaupt die ordeiitlichen Einnahmen ganz geringfiigige Summen abwarfen. 8 ) Jire6ek, l b , 31 f. Vgl. auch Sedlacek, Gedaukeii uber den Ursprung des bohmisch-malirischeu Adels, r Sitzungsberichte der konigl. bohniischeu Gesellschaft der Wisseuschaften", 1890, S. 229 ff. 80 Erstere, spiiter als Herren (pdni) bezeichnet, mochten ursprunglich mit den Purstengeschlechtern der mediatisiertenStamrngebiete einen verwandtschaft- lichen Zusammonhang gehabt haben, bestanden aber spater wohl vorzug- licli aus Familien, welche durch den Hofdienst, Bekleidung hoher Amter und Erwerbung ansgedehnter Besitzungen emporgekommen waren. Zu letzteren, Wladyken oder spater Bitter (milites, rytif) genannt, diirften sowohl kleinere freie Grundbesitzer, welche sich am Kriegsdienste be- theiligten, als auch, wie die deutschen Dienstmanneu, ursprunglich Un- freie, welche im Dienste eiues Herrn standen, gehort haben. Doch waren die Grenzen zwischen diesen beiden Classen noch in der Zeit Karls IV. nicht scharf gezogen, wurden beide als w Adelige" (nobiles) oder ,,Herren" (domini) bezeichnet, wahrend der spater den Herren beigelegte Titel ,,Barone" damals vorziiglich fur die hoheren Beamten gebraucht wurde. 1 ) Erst im 15. Jahrhuudert schlossen sich die ,,Herren" von den w Bittern" in schroffer Weise ab. Auch in Bohmen schwand die Zahl der Gemeinfreien, welche kleineren Grnndbesitz hatten, immer mehr zusammen, indem sie sich genothigt sahen, in ein Abhangigkeitsverhaltniss zu einer Kirche oder einem weltlichen Herrn zu treten und dafur gewisse Lasten zu iiber- nehmen, wie dies jene thun mussten, welche ihr Gut von einem Herrn gegen eine jahrliche Abgabe an Geld oder Naturalien und gegen Leistung von Roboten erhalten hatten. Auch in Bohmen gab es schon am Be- ginn des 13. Jahrhunderts zwischen den adeligen Grundherren und den eigentlichen Leibeigeneu, welche gar keine selbstandigen Rechte hatten, verschiedene Abstufungen von Halbfreien oder Horigen, von denen auch viele der Willkiir ihres Herrn preisgegeben waren. 2 ) Seit dem Beginne des 13. Jahrhunderts bildeten sich infolge der deutschen Colonisation 3 ) vielfach neue rechtliche Verhaltnisse. Zu- erst verschiedene Kloster in Mahren und spater in Bohmen, dann der Bischof Bruno von Olmiitz (12451281) und Konig Ottokar II., endlich auch mehrere Adelige (die Bosenberg in der Gegend von Krumau, die Lam- berg im Glatzischen, die Draholetz um Landskron, Wildenschwert und Beichenau, die Biberstein um Beichenberg und Friedland) beriefen auf ihre Besitzungen deutsche Bauern, iiberliefien ihnen vielfach noch un- ^ Werunsky, Geschichte Kaiser Karls IV., 3, 1 if. Schon Palaeky, 2 a , 29 und 2 b , 6, hat dies anerkannt. Vgl. Dudik, 4, 275 if. 2 ) Uber die verschiedeneu Classen der bauerlichen Bevolkerung siehe Jirecek, l b , 33 if.; Dudik, 4, 209 ff.; Tomaschek, S. 49 ff. Vgl. Werunsky, 3, 12 ff. 3 ) Naheres beziiglich Mahrens bei Eossler, Deutsche Kechtsdenkmaler aus Bohraen und Mahren, 2, XVIII if. und Dudik, 8, 70 if., Ill ff. und 130 ff., beziiglich Bohraens eine summarische Darstellung bei Schlesinger, Geschichte Bohmens (2.Aufl.), S. 1G1 ff. Vgl. ineine Geschichte Osterreichs", 1, 576 ff. 81 bebaute oder mit Wald bedeckte Landstrecken gegen mafiigen, genau bestimmten Zins an Gold oder Naturalien und gewahrten ihnen Befreiung von Roboten uud von den Staatsfrohnden und manche andere Vorrechte, namentlich Befreiung von der Gewalt der Kreisbeamten und eigene Schul- zen fur die niedere Gerichtsbarkeit, wahrend sie bezuglich der hohen Gerichtsbarkeit an die niichste deutsche Stadt gewiesen wurden. Eben wegen der groBen Vortheile und der Sicherheit des Besitzes, welche das fldeutsche Eeeht" gewahrte, 1 ) strebten auch die Bauern der slavischen Dorfer die Erlangung desselben an, und zwar langere Zeit mit Erfolg. indem, wie ein bo'hmischer Geschichtsschreiber etwas ubertrieben bemerkt, ,,binnen einem Jahrhunderte- alle bohmischen DCrfer mit seltenen Aus- nahmen schon nach deutschem Rechte ausgesetzt erscheinen". 2 ) Vom Ende des 14. Jahrhunderts an trat aber wieder eine Ver- schlimmerung der Lage des Bauernstandes ein. 3 ) Indem die Be- sitzer der grofieren Herrschaften auch Bestandtheile der offentlichen Ge- walt, besonders der Gerichtsbarkeit erwarben, geriethen die Bauern in immer grofiere Abhangigkeit von denselben. Als dann die Husitenkriege auch die Bedeutung des Clerus uud der Stadte vernichteten und die Ge- walt des Konigs beschrankten und der Verfall dieser durch die unsichere Thronfolge der folgendeu Zeit, die wiederholten inneren Kriege und die Schwache der Nachfolger Georgs von Podiebrad vollendet wurde, da fehlte jedes Gegengewicht gegen den Adel, die Baueru wareii der Willkur ihrer Herren vollstandig preisgegebeii. Diese suchteu auch die personlich freien und rechtlich besser gestellten Bauern in den Zustand der Horigkeit herabzudriicken, sie zu erhohten Abgaben zu zwingen und der Robotpflicht zti unterwerfen, das Erbrecht der Verwandten zu beseitigen, ja sogar die Freiziigigkeit derselben zu beschranken, bis diese durch einen Be- schluss des Landtages im Jahre 1487 derselben vollstandig beraubt wurden. 4 ) x ) Vocati iure Theutonicorum (heretKtatiblu) quiete et sine vexatione utantur. Exactiones in tributo terre et omnes alias ad usus nostros spectantes indulgemus, sed habeant in omnibus, sicuthabent Theutonici, securam libertatem, ius stabile et fir mum, heiBt es in Urkunde des Markgrafen Wladislaw von ifahren von 1204 fur die Johanniter (Cod. Moraviae, 2, 22), dem ersten Beispielc fur das Vorkommen des deutschen oder, wie es auch heiBt, emphyteutischeii Rechtes. 2 ) Palacky, 2% 158. Vgl. Dudik, 8, 70. Doch waren die mit deutschem Eechte bewidmeten slavischen Bauern meist auch von Eoboten nicht ganz frei. We- runsky, 3, 17 f. 8 ) Tomaschek, S. 69 ff. *) Palacky, 5 s , 292 f. mit historisch ganz falschen Bemerkungen. Vgl. K. Grun- berg, Die Bauernbefreiung in Bohmen, Mahren und Schlesien, 1, 95 ff. Hnber. Osterreichische Kcichsgescbichte. 6 d) Die Stadte. Zwischen Bo'hinen und Mahren, die reich an Naturproducten waren, und den industriellen deutschen, besonders niederrheinischen und nieder- landischeii Stadten musste sich friih ein lebhafter Handelsverkehr ent- wickeln. Im Interesse der Sicherheit und Ausbreitung der Handelsver- bindungen liefien sich aber deutsche Kaufleute an den Hauptpunkten des Verkehres, unterhalb der Burgen (urbs) der Kreise, im Burgfleckeu (suburbium) auch standig nieder, besonders natiirlich in der Hauptstadt des Laudes, wo schon am Ende des 11. Jahrhuuderts uuterhalb der Burg uud im Flecken Wissegrad ,,die reichsten Kaufleute aus alien Vo'lker- schaften" und n die wohlhabendsten Miinzer" erwahnt werden. 1 ) In ihrem Gefolge wareu wohl auch oft deutsche Handwerker, welche ver- schiedene, in Bohmen noch unbekannte Industriezweige betrieben. Nach den damals bei den Deutschen herrschenden Kechtsgrund- satzen schlichteteu diese ihre Angelegenheiten selbst. lebten nach eigenen Gesetzen uud schlosseu sich zu einer w Gilde u , einer Genossenschaft zu- sammen, die als solche dem Landesfursten Abgaben zahlte und dafflr Schutz und manche Vorrechte erhielt, namentlich die Befugnis, nach deutschem Kechte unter einem eigenen Eichter zu leben. Schon uuter dem Ko'nig Wratislaw (1061 1092) gab es im n Burgflecken" (suburbio) Prag am Pofitsch eine deutsche Gemeinde mit deutschein Kechte und eiuem eigeuen, von ihr selbst gewahlten Eichter, der fiber sie richtete mit Ausnahme der schwersten Criminalfalle, die dem Landesfursten oder dessen Stellvertreter, dem Kammerer. vorbehalten waren. Die Angehori- gen dieser Geuossenschaft wurden ausdrucklich als Freie anerkannt und waren daher auch spater zum Kampfe fur das Vaterland und bei einem Feldzuge des Fiirsten auflerhalb des Landes zur Bewachung der Thore Prags verpflichtet. Derselben Eechte sollte jeder ,,Gast" theilhaftig seiu, der bei den Deutscheu in der Stadt bleiben wollte. Indem Wenzel I. 1253 mit dieser deutschen Gemeinde andere vereinigte, dieselben mit einer Mauer umgab uud dieser neuen Griindung das Kecht der Stadt Niirnberg yerlieh, 2 ) entstand die Altstadt Prag. Doch behielt sich der l ) Cosmas Prag. II, 45 ad a. 1091: in suburbio Pragensi et vico Wissegradensi . . ex omni genie negociatores ditissimi . . . monetarii opulentissimi. Siehe im allge- meineii iiber die Eutstehung des Stadtewesens in Bohmen meine n Gescliiehte Oster- reichs", 1, 571 ff. mit weiteren Literaturangaben und fiir das 14. Jahrhuudert We- runsky, 3, 7 fF. 2 J Aufschluss gibt hierliber die vou K. Kopl in ^Mittheilungen des Instituts", 8, 309 mitgetheilte Urkuude. Die iibrigen Privilegien bei J. Celakovsky, Cod. jur. municip. regni Bohemiae. T.I: Privilegia civitatum Pragensium. 83 Konig die Wahl des Richters vor, iiberliefi aber diesem rait den von den Burgern gewahlten Schoffen auch die hohe Gerichtsbarkeit. Schon 1257 griindete Ottokar II. am linken Moldauufer die n kleinere Stadt" Prag (Kleinseite) und verlieh den aus Norddeutschland ge- kornmenen Ansiedleru das Recht der Stadt Magdeburg, wahrend die Neustadt, eine Schopfung Karls IV. VOID Jahre 1348, mit dem Rechte der Altstadt bewidmet wurde. Noch vor der Verleihung eines Stadtrechtes an die Prager, unter Ottokar I., waren die Stadte Kladrau und (Konig-) Gratz gegrundet worden. Unter Wenzel I. kamen Kommotau, Leitmeritz und Saaz dazu. Unter Ottokar II. gab es in Bohmen schon mehr als 20 konigliche, d. h. solche Stadte, die auf koniglichem Boden gegrundet, unmittelbar unter den Landesfiirsten oder seinen Unterkammerer gestellt, von der Gerichtsbarkeit des Kreisrichters befreit waren und ein eigenes Stadt- recht und einen eigenen, in der Regel vom Konige oder seinem Kammerer eruannten Richter und Schoffen oder Geschworene fur die Rechtspflege und Verwaltung hatten. Die Stadte im nordlichen Bohmen hatten Mag- deburger Recht; ihren Mittelpunkt bildete Leitmeritz, an dessen Schoppenstuhl von den anderen appelliert wurde. 1 ) Die Stadte im Westen mit dem Mittelpunkte Eger waren mit Niirnberger Recht, die in den iibrigeu Theilen des Landes mit dem aus diesem abgeleiteten Rechte der Stadt Prag begabt. An diese gieugen auch die Appellationen. Doch wendete man sich in zweifelhaften Fallen auch an Magdeburg oder Niirnberg selbst, bis Wenzel IV. 1387 alle Appellationen ins Ausland untersagte und Leitmeritz und Prag als Berufungsinstanzen fur die Stadte mit verwandtem Rechte bezeichnete. Noch alter als in Bohmen sind die Stadtrechte in Mahren. 2 ) Schon 1213 bestatigte Ottokar I. die durch seinen Bruder Wladislaw er- folgte Grundung der Stadt Freudenthal ,,uach deutschem Rechte, das bisher in den bohmischen und mahrischen Landeru etwas Ungewohntes und Ungebrauchlich.es war". Von dieser Zeit an sind theils durch den Markgrafen Wladislaw, theils durch die Konige viele Stadte theils neu *) 1325 bestatigt Konig Johaim dieser Stadt ibre friiheren Privilegieu volentes, ut ipsi dves iuribus, libertatibus et consuetudinibus Magdeburgensibus, quibus ab antiquo freti sunt, frui in antea perpetuo debeant et gaudere, et ad eos per omnes et singulas civitates regni nostri Boemie, que eisdem utuntur iuribus, super dubiis sententiis defi- niendis debeat haberi recursus, sicut hactenus fieri consuetum. Pelzel, Karl IV., I, Urkundeubuch S. 63. Vgl. iin allgemeiuen J. Gruuzel, Uber die deutscheu Stadtrechte Bohinens und Mahrens. ,,Mittheiluugeii des Vereins fur Gescbichte der Deutschen", 30, 128 ff. s ) Siebe die Zusammenstellung bei Bossier, Deutsche Kechtsdeukinaler aus Boh- men und Mahren, 2. Bd.: Die Stadtrechte von Briinn, Einleitung uud Dudik, 8, 141 ff. und 9, 95 ff. 6* 84 angelegt, theils (wie Olmtttz, Brunn, Znaim u. s. w.) alte Burgflecken in Stadte mit deutschem Kechte umgewandelt worden. Die meisten Stiidte Mahrens, besonders im Norden, haben -Magdeburger Kecht er- halten. Ihr Oberhof warOlraiitz. Dagegen ist das von Wen/el I. 1243 der Stadt Bruun verliehene Kecht dem von Wien nachgebildet, theil- weise wortlich aus diesem heriibergenominen worden. Mit dem Kechte von Brunn wurden dann wieder viele andere Stadte und Markte ausge- stattet, sodass auch Briinn der Oberhof von mehr als 60 mahrischen Stadten wurde. 1 ) Ein anderer Mittelpunkt wurde die deutsche Bergstadt Iglau. deren ihr urn 1250 verliehenes Stadtrecht auf zahlreiche bohmische und mahrische Stadte ubertragen wurde, besonders solche, welche von Iglau er Bergleuten im erzreichen Gebirge des ostlichen Bohmens gegriindet wurden, wie Deutschbrod und Kuttenberg. 2 ) Auch im 14. Jahrhundert uahm die Griindung von Stadten noch ihreu Fortgang, sodass 1371 in Mahren allein nahe an 30 landesfurst- liche Stadte genannt werden. 3 ) Aber im 15. Jahrhundert, besonders zur Zeit und infolge der Hu- sitenkriege trat in Bohmen und Mahren eine vollstiindige Anderung der Verhaltnisse ein. Theils die Geldnoth, theils die Schwiiche der Konige waren die Ursache, dass zahlreiche Stadte anAdelige verkauft oder verpfiindet oder auch von diesen eigenmachtig in Besitz genommeu wurden. In der zweiten Halfte des 15. Jahrhunderts gab es in Mahren nur noch sechs laudesfiirstliche Stadte (Olmutz, Briinn, Znairn. Iglau, Neu- stadt, Hradisch), wahrend in Bohmen (ca. 1500) die Zahl derselben 32 betrug. 4 ) Die anderen waren alle in den Handen der Landherren, welche nun die Burger in den Zustand der horigen Landbevo'lkerung herabzu- driicken suchten. Aber auch die landesfurstlichen Stadte wurden vom Adel nicht blofl in ihren materiellen Interessen beeintrachtigt, sondern auch in die richter- licheu Befugnisse derselben wurden vom Landrechte Eingriffe gemacht. Erst nach langen Streitigkeiten kam 1517 ein Vertrag zustaude, der die stadtische Gerichtsgewalt innerhalb gewisser Grenzen auerkannte. a ) Dudik, 8, 165. 2 j Naheres bei Tomaschek, Deutsches Eecht in Osterreich im 13. Jahrhunderfc auf Grundlage des Stadtrechtes von Iglau (Wien, 1859). a ) Tomaschek, Eecht und Verfassung, S. 65, auf den ich auch fur das Fol- gende verweise. Vgl. fur die Zeit der Jagellonen auch die eingehende Darstellung bei Palacky, 5 a , 268 if., 5 b , Off. 144 ff. 370 ff. ") Aufgezjihlt bei Palacky, 5 b , 10 f. 85 e) Die Landtage. Der Einfluss des Adels auf die allgemeineu Verhaltnisse des Reiches 1st in BShmen viel alter als in den deutschen Landern und lasst sich soweit zuriickverfolgen, als einigermafien verlassliche Nachrichten reichen. bis zur Thronbesteigung Bfetislaws I. im Jahre 1035. 1 ) Die Wahl oder Inthronisation des Landesffirsten, der Beschluss eines Feldzuges in eiu frerades Land, die Annahine neuer Gesetze, die Wahl des Bischofs von Prag gehorten zur Competenz des Landtages (curia generalis, conventus, commune colloquium), auf dein auch wichtigere Rechtsfalle, besonders Streitigkeiten fiber Guterbesitz entschieden und manchmal Guterschenkungen gemacht wurden. An diesen Verhandlungen nahmen die Mitglieder des hohen und niederen Adels, soweit sie Grundbesitz batten, theil, die hohere Geistlichkeit (der Bischof, Abte und Propste, auch Domherren und Archidiakone) aber in den ersten Jahrhunderten nur dann, wenn es sich um kirchliche Fragen, z. B. die Wahl des Bischofs oder eine Anklage gegen denselben haiidelte. Ira Jahre 1280, zur Zeit der vormundschaftlichen Regierung fiber Wenzel II., lasst sich zum erstenmale die Zuziehung von Vertretern der Stadte zura Landtage uachweisen. 2 ) Wie es scheint, anfangs nicht ohue Widerstand von Seite des Adels, behaupteten die Stadte dieses Recht auch bei den folgenden Herrscherwechseln. 3 ) Die husitis.che Bewegung wirkte auch auf die Zusainmensetzung der bohmischen Stande ein. Der Clerus, gegen dessen Besitz und Ein- fluss dieselbe theilweise gerichtet war, verier nicht blofi einen grofien Theil seiner Gfiter, sondern auch Sitz und Stimme auf den Laud- tag en. Die Burger behaupteten zwar noch ihre Stelluug. Aber ihre fruhere rnaterielle Bluthe war vernichtet und damit auch ihre politische Bedeutung dem Adel gegenuber in den Hintergrund gedrangt. Unter dem schwachen Jagelloneu Wladislaw wagte eine Anzahl von Herren schon die Forderung aufzustelleu, ,,dass Burger an den allgemeiiien Land- tagen, wo Barone und Ritter zusamnienkoinmen, um fiber das allgemeine Wohl des Laudes zu berathen, keinen Theil habeu sollten". Sogar der Konig selbst sprach sich, beeiuflusst von seinen adeligen Rathen, 1484 a ) Belege von da bis 1197 bei Jirecek, l b , 73 ff. 2 ) Canon. Prag. Cont. Cosniae ad 1281 (M. G. SS., 9, 202): Otto marchio Sram- buriensis, .tutor Wenceslai duels Bohemorum, . . . celebravit colloquium cum Tobia episcopo Pragensi et nobilibus terrae, militibus, baronibus nee non civibus muni- tarum civitatum. a ) Die 1310 an K. Heiurich VII. abgeordnete Gesandtschaft, welche denselben um die Erneimuug seines Sohues Johann zuui Koiiige bitten sollte, bestand aus drei Abteii, drei Adeligeu und sechs Biirgern von Prag und Kutteuberg. 86 gegen die Behauptung der Stadte aus, dass sie nicht verpflichtet seien, wo sie nicht mitgeratheu batten. In der auf dem Landtage von 1500 von den Herren imd Eittern beschlossenen sogenannten Wladislaw- schen Landesordnung 1 ) wurde das Eecht zu Anderungen derselben ausschliefilich dem Adel mit Zustimmung des Konigs zugesprochen imd erklart, dass die Stadte nur dann mitzuwirken batten, wenn es sich urn ihre eigenen Angelegenheiten handelte. Die Adeligen behaupteten sogar. dass die Stadte, weil der koniglichen Kammer zinspflichtig, kein freier Stand seien; sowie die Herren zu ihren Beschliissen die Zustimmung ihrer Unter- thanen nicht brauchten, so noch weniger der Konig die seiner Stadte, welche ihm in allem zum Gehorsam verpflichtet seien und dem nach- kommen miissten, was die Herren und Kitter mit dem Ko'nige fiir Kecht erklarten. Auch Wladislaw bestatigte diese Landesordnung und sprach den Stadten nur bei der Wahl des Konigs, bei Steuerbewilligungen und der Aussendung eines Heeres ein Stimmrecht zu. Erst 1508, als die Stadte unter sich ein Biindnis geschlossen batten, liefl sich der Adel zur Erklarung herbei, dass die Stadte als dritter Stand zu alien Be- rathungen auf den Landtagen beigezogen werden sollten. 2 ) Neben den Landtagen gab es in Bohmen auch Krei stage, die auch aus Herren, Kittern und Vertretern der Stadte zusammengesetzt waren und besonders die Erhaltung des Landfriedens sich zur Aufgabe setzten. In Mahren, wo die Verhaltnisse denen in Bohmen am ahnlichsten waren, lasst sich ein Landtag zum erstenmale im Jahre 1174 nach- weisen. 3 ) Die Theilnahme des Biirgerstandes an den Landtagen, die zu- gleich das oberste Landesgericht waren, kann man bis zum Jahre 1288 hinauf verfolgen. 4 ) In Mahren haben die landesfurstlichen Stadte Sitz und Stimrne auf dern Landtage auch in der Folgezeit behauptet. Aber sie batten im 15. Jahrhundert nur mit dem geistlichen Stande (dem Bischofe von Olmiitz und den Pralaten und Abten der Stifter und Kloster) J ) Sie ist vom Kitter Eendl von Auschowa verfasst und gibt eine Darstellung des offentlicheu Rechtes wie der wichtigsten Grundsatze des Straf- uud Civilrechtes der privilegierten Stande und bildete die Grundlage fiir die spateren Eecensionen von 1530, 1549 und 1564. *) Palacky, 5', 216. 268 if. 465 ff.; 5 b , 9 if . 30. 38 f. 46. 50 if. 146 if. 3 ) in colloquio yenerali congregati heiCt es von den Zeugen in der betreifen- den Urkunde. Cod. Moraviae 1, 297. Vgl. Dudik, 4, 299 und 9, 54 if. 4 ) Cum . . . ciiriam nostrum terre nostre generalis placiti generaliter edictam in castro nostro Gretz (bei Troppau) haberemus, nostrum ibidem multis nostris nobilibus, militibus et chnapponibm atque civibus nostris assidentibus presentiam sagt Herzog Nikolaus von Troppau (das bekanntlich zu Mahren gehorte) in Urkunde im Cod. Mo- raviae 4, 348 f. 87 erne gemeinsame Curialstiimne x ) und hatten auch durch das Zusainuien- schwinden an Zahl sehr an Bedeutung verloren. Da auch die Kitter nur gemeinsam eine Stimme hatten, so waren die Herren, welche (mit den obersten Landesbearnten an der Spitze) einzeln ihre Stimraen abgaben, auch auf dem mahrischen Landtage ausschlaggebend. In Schlesien gab es vor der Zeit der Habsburger noch keine regel- mafiigen standischen Versammlungen fiir das ganze Land, obwohl die Einfalle der Husiten und die Einhaltung des Landfriedens, welche ge- meinsame Mafiregeln nothwendig machten, eine gewisse Einigung der verschiedenen Territorien herbeifiihrten. 2 ) f) Verwaltung und Gerichtsverfassung. Die Verwaltung des Landes hieng in alterer Zeit auf das engste mit der des Hofes zusammen. Es gab keine Landes-, sondern nur Hof- beamte: den obersten Kammerer, unter dem alles stand, was zur Kam- mer des Landesfiirsten gehorte (also auch die Kloster, Stadte und Juden) den Marschall, Truchsess, Schenk, Stallmeister, Jagermeister und Hof- richter. 3 ) Ein bohmischer Kanzler erscheint erst kurz vor der Mitte des 12. Jahrhunderts. Doch wurde zwischen 1226 und 1237 die Kanzler- wiirde mit der Propstei Wyssehrad vereinigt, wahrend die thatsachliche Fuhrung der Geschafte in der Kegel ein Notar (spater Protonotar) erhielt. 4 ) In den Kreisen (jprovinriae, civitates), in welche Bohmen schon im 11. Jahrhundert zerfiel und die wohl aus den alten Stammgebieten ent- standen siud, 5 ) bildete den Mittelpunkt der Verwaltung und Rechtspflege die konigliche Burg. Der Kreisvorsteher (praefectus, comes, castellanus, seit dem 13. Jahrhundert meist burggravius), der vorn Herzoge gewohn- lich aus dem Adel der betreffenden Provinz ernannt wurde, befehligte die Burgmannen und das Aufgebot des Kreises und hatte fiir Euhe und Frieden und die Ausfiihrung der gerichtlichen Urtheile zu sorgen. Der Kammerer (camerarins) verwaltete, unterstiitzt vom Meier (villicus), die landesfiirstlichen Giiter und erhob die Einkunfte. Der Kreisrichter (judex provlnclalis, cudaf) prasidierte bei wichtigeren Angelegenheiten J ) Tomaschek, S. 80. 2 ) Griinhagen, Geschichte Schlesiens, 1, 259 f. 366. 8 ) Palacky, 2 a , 17 f.; Jirefiek, l b , 62 ff. 4 ) Emler, Die Kanzlei der bohmischen Konige Pfemysl Ottokars II. und Wen- zels II. (Abhandluugen der konigl. bohmischen Gesellschaft der Wissenschaften, VI. Folge, 9. Bd.) 5 ) Jirecek, l b , 98 ff. weist aus den Quellen in Bohmen 35 nach. Vgl. mit diesem iiber die Kreise und deren Beamte auch Palacky, 2 a , 18 ff.; Dudik, 4, 282 ff. und 9, 83 ff. 169 ff. 88 niit dem Kreisvorsteher, bei weniger wichtigen mit dem Meier, deui Ge- richte (cuda), dessen Urtheiler in ersterem Falle Mitglieder des hohen Adels, in letzterem Wladyken bildeten. Infolge der ausgedehnten deutschen Colonisation, der Grundung von- Stadten niit autonomer Verwaltung nnd Rechtspflege, der Bewidmung zahlreicher bohmischer Ortschaften mit deutschem Rechte, der immer haufiger werdenden kirchlichen Immunitaten, der Uberlassung der Patri- monialgerichtsbarkeit an zahlreiche Adelige und der Ausbreitung des Lehenwesens, das zwischeri dem Konige nnd den Adeligen neue, person- liche Beziehungen schuf, wurden die friiheren Kreise nach imd nach vollstandig aufgelost, ihre Zahl vermindert nnd die Gewalt ihrer Vor- steher auf die Bnrgen und die dazu gehorige Mannschaft beschrankt, weswegen auch Burggraf ihr gewohnlicher Titel war, und sie zugleich vom Burggrafen von Prag als Stellvertreter des Konigs abhangig geinacht, der dadurch zum obersten Burggrafen Bohmens wurde. Die Auflosung der Kreisverfassung wurde noch dadurch begiinstigt, dass Ottokar II. die Prager Cuda zum obersten Landgerichte machte, an das von den Urtheilen der Kreisgerichte appelliert werden konnte. Spater gehorten alle schwereren Criminalfalle und die Klagen um freien Grundbesitz und grofiere Geldsummen, soweit nicht die Gerichtsbarkeit den privilegierten Stadten zustand, zur unmittelbaren Competenz des ,,Land- rechts". Urtheiler oder ,,Kmeten" bei demselben waren Adelige aus den verschiedenen Theilen des Eeiches. Aus den Registern dieses Gerichtes, in die vom ,,Landschreiber" bald nicht nur Processe, welche fur das ganze Land von Interesse waren, sondern auch andere gerichtliche Acte, Veraufierungen und Ubertragungen von Giitern, Testamente, endlich auch Landtagsbeschliisse eingetragen wurden, hat sich die bohmische all- gemeine Landtafel entwickelt. 1 ) Auch in Mahren verschwanden die Kreisrichter mit Ausnahme jener in Briiun und Olmiitz, welche als ,,(0berst-) Landrichter" dem an jedem dieser Orte zweimal im Jahre sich versammelnden ,,Landrechte u oder Herrengerichte prasidierten, dessen Beisitzer nur dem Herrenstande entuommen werden durften, bis 1492 auch Ritter zugelassen wurden. 2 ) x ) Dieselbe gieng leider 1541 durch Brand zu Grunde. Die B Eeliquiae tabularum terrae regui Bohemiae" haben Einler und Dvorsky herausgegebeu. Dudik, 9, 79 f., glaubt, dass in Mahreii die Landtafel sehou 1229 n in voller Thatigkeit sich befand". Aber er vermag sie doeh erst fur das Jabr 1303 als bestehend nacbzuweisen. Uber die Umanderung der Verwaltung miter Ottokar II. siebe Palacky, 2 a , 146 ff. 202 f. Uber die Zustande unter Karl IV. Weruusky, 3, 1 if. 2 ) Dudik, 9, 72 ff. 183 f. Cbr. d' Blvert, Zur osterreichischen Verwaltungs- gescbichte, S. 20 if. (Schrifteii der bistorisch - statistischen Section der mahrisch-scble- sischen Gesellschaft, 24. Bd.) 89 Die Beseitigung der fruheren Eiurichtungeu in den Kreiseu hatte auch die Folge, dass in jedem fur die Erhaltung der offentlichen Sicher- heit, die Erhebung der Anklage, die Aburtheilung der schweren Ver- brecheu uud die Ausfiihruiig der richterlichen Urtheilsspruche eigene Rechtspfleger (poprawce) eingesetzt wurden, welche in der Regel theils aus dem hohen Adel, theils aus den Rittern genommen wurden. 1 ) Wahrend in den unteren Kreisen verschiedene autonome Behorden eutstanden, andererseits die geistlichen und weltlichen Grundherren Theile der offentlichen Gewalt an sich brachten, wurde auch die Competenz der obersten Amter in Bohmen weiter entwickelt und genauer ab- gegrenzt. Zugleich trat eine Scheidung in Hof- uud Landes- amter ein. Die Amter des (obersten) Marschalls, Schenken, Truchsess mit den ihnen untergeordneten Personen standen zunachst mit dem Hofe in Be- ziehuug. Die Bedeutung und die Geschafte des Kammerers nahmen sehr bedeutend zu, seitdem die Zahl der ihm untergeordneten Stadte und Bergwerke und der Umfang der kirchlichen Besitzungen, die auch zur koniglichen Kammer gerechnet wurden, immer mehr stiegen. Daher wurde fiir die Verwaltung der koniglichen Einkunfte und die dem Kammerer zu- steheude Gerichtsbarkeit tiber die Burger und Juden, die als Kammer- knechte bezeichnet wurden, schon seit dem Ende des 12. Jahrhunderts wiederholt ein Unterkammerer ernannt, dessen Amt im Laufe des 13. Jahrhunderts standig ward. Dadurch wurde der Kammerer zum ,,obersten Kammerer", zuerst des Hofes, dann des Reiches. 2 ) Auch der ,,Hofrichter" erhielt in der Zeit Ottokars II. den Titel n (oberster) Landesrichter", seitdem das Prager Gericht zum Landes- gericht geworden war und er den Vorsitz dabei erhielt. 3 ) Spater wurde dieser wegen der finanziellen Wichtigkeit des Amtes dem Oberstkammerer iibertragen, bis ein Gesetz von 1487 bestimmte, dass das Presidium dem Oberstburggrafen von Prag zustehen solle, der bisher nur Anfuhrer der bewaffneten Macht des Reiches geweseii war. Aufier dem Oberst- burggrafen, dem Oberstlandkammerer und dem Oberstlandrichter sollte der oberste Gerichtshof oder das n Landrecht" nach Vereiubarungen von J ) Weruiisky, 3, 6 und 83 f. Vgl. Palacky, 2% 152. 2 ) lu der ersten Halfte der Eegierung Ottokars II. bis 1268 heitit er uoch bald (summits) camerarius regalis aule, oder aule nostre oder camerarius noster oder regis (Erben-Einler, Reg. Boheiniae, 2, Nr. 56. 95. 342. 345. 631), bald regni Boemie oder regni nostri (Nr. 92. 230. 276 etc.), spater immer (summus) camerarius regni Boemie. a ) Derselbe Cec heifit 1256 uud 1260 judex curie regalis, 1259 judex terre, YOU 1260 au immer judex provincialis oder judex terre. 1277 erscheiut der Titel judex regni Bohemie, 1284 summus judex provincialis regni Boemie. Ibid. 2, Nr. 95. 230. 249. 272 u. s. w. 1073. 1315. 90 1485 und 1487 aus 12 Mitgliedern des Herren- und 8 des Ritterstandes, die der Konig ernaunte, zusammengesetzt sein. 1 ) Seit der Zeit Konig Johanns (1337) erscheint auch wieder ein eigener Hofrichter (judcx curie). Aber er hatte nur in Lehensachen zu ur- theilen, die Lehenregister in Ordnung zu halten, die heimgefallenen Lehen einzuziehen. 2 ) Ara Beginue der Neuzeit waren die obersten Landesbeamten (= Officiere) Bo'hmens: der Oberstburggraf, Oberstlandhofmeister, Oberst- landmarschall, Oberstlandkammerer, Obersthof- und Landrichter, Oberst- kanzler nnd Obersthoflehenrichter, deren Amter nur den Mitgliedern des Herrenstandes zuganglich waren, wahreud die Stellen des Oberstland- schreibers und des Landesunterkammerers den Bittern vorbehalten waren, und von den Burggrafen von Karlstein (dem Aufbewahrungsorte der Reichsinsignien und Landesfreiheiten) der eine aus dem Herren-, der andere aus dem Eitterstande sein sollte. 3 ) Der Oberstburggraf erhielt eine besondere Bedeutung unter den Jagellonen, welche meistens in Ungarn sich aufhielten, was die Folge hatte, dass ein Gesetz von 1508 dem Oberstburggrafen mit den Land- rechtsbeisitzern in Abwesenheit des Ko'nigs formlich die Ausiibung der Regierung iibertrug. 4 ) In Mahren, wenn es keinen eigenen Markgrafen hatte, und den schlesischen Gebieten vertrat die Stelle des Eonigs ein (Landes-) Hauptmaun (capitaneus terrae)^) in der Lausitz ein Hauptmann oder Vogt. Auch in Mahren gab es einen (vor 1493 zwei) Oberstland- richter, einen Oberstlandschreiber und einen Unterkam merer mit ahn- lichen Competenzen wie in Bohmen, wahrend die beiden obersten Landes- Kammerer zu Olmtitz und Briinn, deren Stelien 1493 vereinigt wurden, die Landtafel in Ordnung zu halten hatten und auch richterliche Befug- nisse besafien. 6 ) Die Geschafte der bohmischen Kanzlei erstreckten sich am Ende des Mittelalters auch auf die bohmischen Nebenlander. >) Palacky, 5 a , 275. 291. 2 ) Palacky, 2 b , 202 f. Vgl. aber Werunsky, 3, 24, wornach der Hofrichter anfangs auch Appellationsinstanz fiir Kircheuleute gegen ihre Herren im Falle der Rechtsverweigerung war. 3 ) Landtagsbeschluss vou 1497 bei Palacky, 5", 441 f. 4 ) Palacky, 5 b , 156 ff. B ) Zum Landeshauptmaun in Schlesien durfte nach einem Privileg Konig Wladislaws von 1498 nur einer der dortigen Fiirsteu ernaiint werdeii. Palacky, 5% 460. 6 ) Tomaschek, S. 43 ff.; d'Elvert, S. 23 ff. Vgl. Dudik, 9, 187 f. 91 g) Verhaltnis des Staates zur Kirche. Die Bischofe von Prag wurden bis zum Ende des 12. Jahrhunderts auf Vorschlag des Herzogs vom w Clerus und Volke", d. h. von der hohen Geistlichkeit und dem Adel gewahlt, jene von Olmutz einfach vom Her- zoge ernannt tmd dieser Act dann vom Kaiser bestatigt, indem er den Gewiihlten oder Denominierten, und /war bis zum "VVormser Concordate (1122) mit King und Stab, mit den Regalien investierte, worauf endlich die Ordination durch den Erzbischof von Mainz erfolgte. 1 ) Die Abte sind wohl von Anfang an vom Herzoge investiert, in einzelnen Fallen auch von diesem ernannt worden, wie auch die Grundung eines Klosters nur mit dessen Zustimmung erfolgen durfte. 2 ) Galten wegen der Investitur durch den Kaiser die Bischofe als deutsche Reichsfiirsten, so anderte sich dies nach dem Tode Kaiser Heinrichs VI. Herzog Wladislaw III. setzte 1 197 auf den gerade erledigten Stuhl von Prag seinen Caplan Daniel und zwang diesen, von ihm die Regalien zu empfaugen und ihm den Lehenseid zu leisten, wodurch dessen Reichsunmittelbarkeit verloren gieng und das Bisthum ganz in Abhangigkeit vom Landesfursten kam. Konig Philipp verlieh dann dem mit der Konigswiirde geschmiickten Pfemysl Ottokar I. 1198 fonn- lich das Recht, die Bischofe seines Reiches zu investieren, was Friedrich II. in der goldenen Bulle von 1212 bestatigte. 3 ) Andererseits sprach aber der Papst Innocenz III. 1198 dem Prager Domcapitel das Recht zu, den Bischof frei zu wahlen, was Ottokar I. 1207 auch den Domherren von Olmutz verlieh. 4 ) Freilich behaupteteu auch die Domcapitel ihr Wahlrecht nicht ungeschmalert, indem die Papste nicht selten die Besetzung der Bisthumer sich selbst vorbehielten. 1344 wurde Bohmen in kirchlicher Beziehung von Deutschland un- abhangig, indem Prag zum Erzbisthum erhoben und das Bisthum Ol- mutz wie das neu gegrundete Bisthum Leitomischl ihm untergeordnet wurden. Doch wurde das Erzbisthum seit dem Tode des Erzbischofs Konrad 1431 bis zum Jahre 1561 nicht mehr besetzt und durch Ad- ministratoren versehen. Auch das Bisthum Leitomischl gieng aus Mangel an Mitteln ein. ') Die Belege fur Prag bei Jirecek, l b , 181 f., fur Olniiitz bei Dudik, 2, 459 und 4, Beil. I. Vgl. aber gegen dessen Behauptungen iiber die Reiheufolge von lu- vestitur und Ordination uieiue Ausfuhrungen in 8 Mittheilungen des Instituts", 2, 386 ff. *) Dudik, 4, 422 ff. 3 ) Jirefiek, Cod. iur. Bob.., 1, 39. Vgl. meine ,,Gescbichte Osterreichs", 1,381. 383 N. 1. 4 ) Erben, Eeg. Bob., 1, 198 Nr. 440. Cod. Moraviae, 2, 38. 92 Denn auch fiir die Kirchenguter wurden die Husitenstiirine ver- liangiiisvoll. Viele wurden von den Grofien in Besitz genornmen oder von den Konigeu verpfandet. Hatte schon friiher in Bohmen die An- schauung geherrscht, dass die Kirchenguter trotz der ihnen sonst ver- lieheneu Privilegien zur Karamer des Konigs gehorten, 1 ) und dass dieser daher ohue Bewilligung des Landtages von denselben Steuern erheben diirfe, so verbot die Wladislaw'sche Landesordnung von 1500 deu Klostern und Geistlichen, ohne Bewilligung des Konigs etwas von ihren Giiteru zu verpfanden oder zu vertauschen, und bestimmte, dass sie die Ver- schreibungen zu achten hatten, welche die Ko'nige jemandem auf die- selben ertheilt hatten oder ertheilen wurden. 2 ) Die Lage der Kirchen- guter war daher arn Ende des Mittelalters in Bohmen eine viel ungiinstigere als in anderen Landern. C. Greschichte des ungarischen Reiches, I. Greschichte der territorialen VerMltnisse. I. Die Zeit der Arpaden (bis 1301). Die Ungarn oder Magyaren waren bei ihrer Niederlassung in Un- garn in sieben oder mit den Kabaren, einem Zweige der (wahrscheinlich tur- kischen) Chazaren, achtHorden oder Stamme getheilt, welche wahrend ihres Aufenthaltes im siidlichen Eussland den Arpad, Sohn des Almus, zum gemeinsamen Oberhaupte gewahlt hatteu. 3 ) Doch behaupteten auch fortan die Stain meshaupter eine ausgedehnte Gewalt, und auch die obersten Beamten, der Gylas und Karchau, welche neben dem Grofi- herrn die Stelle eines Kichters bekleidet haben sollen, besaflen spater eigene Gebiete. Erst Geisa I. (f 997). ein Nachkomme Arpads, scheint einen Theil dieser Stammhaupter unterworfen zu haben, und desseu Sohn Stephan I. (f 1038), der 1001 mit einer vorn Papste Sylvester II. ge- schickteii Krone zum Ko'nige gekront wurde, eroberte die letzten noch bestehenden Fiirstenthumer, das des Gylas Procui in den westlichen Theilen des ,,Landes jenseits des Waldes" (Transsilvania, Ultrasilvania) oder des spateren Siebenbiirgen und das des Achtum zwischen diesem Lande und der imteren Theifi, der Koros und der unteren Donau bis unterhalb Severin. 1 ) Dass der Konig Obereigenthiimer des Kircheugutes sei, wird iii der n Majestas- Carolina" K. Karls IV. ausdriicklich ausgesprochen. Weruusky, 3, 82. Vgl. S. 7. 2 ) Giudely, Geschichte des dreifiigjahrigen Krieges, 1, 64. 3 ) Die Belege fiir dies und das Folgende iu meiner Geschichte Osterreichs", 1, 114 ff. 140 ff. 183 If. 317 ff. u. s. w. Eiiizelnes habe ich jetzt nach Pauler, A ma- gyar nemzet torteiiete az Arpadhazi kiralyok alatt (Geschichte des ungarischen Volkes uuter den Konigen des Arpadeuhauses), 2 Bde., Budapest 1893, verbessert. 93 Ladislaus I. (1077 1095) erwarb auch Croatien, das .sich ur- spriinglich von Istrien und der oberen Kulpa lungs dcs Meeres bis zur iiiiteren Cettina und landeinwarts bis in die Nahe des Verbas erstreckt, dessen Herzog aber seit dem Beginne des 10. Jahrhnnderts seine Herr- schaft wahrscheinlich auch fiber das Land von der Kulpa bis zur mitt- leren Drau ausgedehnt hatte. 1 ) Als dort bald nach dem Tode Swinimirs (Zwonimirs), der vom Papste Gregor VII. 1076 den Konigstitel erhalten hatte, innere Unruhen ausbrachen. eroberte Ladislaus von Ungarn, der eutweder (lurch seine Schwester Helena, die Witwe Swinimirs, oder durch einen croatischen Grofien zur Einmischung bewogen ward, 1091 das binnenlandische Croatien, dessen Verwaltung er seinem Neffen Almus ubertrug, wurde aber durch einen Einfall der Petschenegen oder Cumanen in Ungarn gehindert, bis zum Meere vorzudriiigen. Sein Bruder und Nachfolger Colomau (1095 1116). nach dessen Thronbesteigung die Croaten einen einheimischen Grofien zum Ko'nige wahlten, unterwarf das Land neuerdings und vereinigte es mit Ungarn. Im Jahre 1105 brachte Coloman auch Zara, Trau, Spalato und die benachbarten Inselu, welche bisher die Oberhoheit Venedigs anerkannt hatten, in seine Gewalt und n ah in den Titel eines Konigs von Croatieu und Dalmatien an. Mit Ausnahme von Zara wurden diese Gebiete auch in spatereii Kriegen gegen die Venetianer behauptet. Bela II. (1131 1141) dehiite seine Oberherrschaft auch fiber das vou Serbeii bewohnte Rama (den Nord- westen der Hercegowiua) aus, wovon er seit 1138 den Konigstitel fiihrte. Auch das zwischen Ungarn uud Rama liegende Bosnieu erscheint schou 1137 als ungarisches ,,Herzogthum u , 2 ) wozu Andreas, der Bruder des Konigs Emerich (1196 1204), dem dieser Croatien, Dalmatien und Rama hatte tiberlassen mfissen, 1198 auch noch den Titel eines r Herzogs von Chul in" (oder Chluin sudlich von der Narenta) annahm. Emerich selbst legte sich 1202 den Titel eines Konigs von Serbien bei, nachdem er, bei einem dortigen Thronstreite intervenierend, den Grofiffirsten Stephan II. vertrieben und dessen Bruder Vlk als ungarischen Vasallen eingesetzt hatte. Auch das unmittelbare Reichsgebiet wurde in dieser Richtung vor- geschoben, indem die Ungarn die Auflosung des ostromischen Reiches benutzten, um Belgrad und andere Stadte sudlich von der Save zu er- *) Siehe Klaic"-Bojnicic, Slavonian vom 10. bis zum 13. Jahrhuudert (Agram, 1882), der dies beziiglich des westlichen Theiles des Landes zwischen der Drau und Sau, wo Ladislaus I. dann das Bisthum Agram griindete, sehr wahrscheinlich gemacht hat. Von uugarischen Historikern wie Pesty, Die Entstehung Croatiens (1882) und J. v. Pauler in B Szazadok", 22, 198 sqq. wird dies freilich bestritten. 2 ) Doch waren die dortigen Bane bis 1254 thatsachlich so gut wie unabhangig. Vgl. Klaic-Bojnicic, Geschichte Bosuiens, S. 112 ff. 137 ff. 94 obern, die spater als Macho ver Banat ein besonderes Verwaltungs- gebiet bildeten. Emerichs Bruder Andreas IT. (1205 1235) unterstutzte die Witwe des russischen Fursten Roman von Halitsch undWladimir gegen ihre Feinde, betrachtete sich aber dafur als Oberherrn dieser Lander und iiannte sich 1206 r K6nig von Galizien und Lodomerien", obwohl dies nur eiu leerer Titel blieb. Als die Cum a n en. welche von der Aluta und unteren Donau bis ins sudliche Russland wohnten, nach der durch die Mongolen 1223 an der Kalka erlittenen Niederlage Schutz bei den Uiigaru suchten, legte sich Bela IV. (1235 1270) gleich nach seiner Thronbesteiguug zum Zeichen seiner Oberhoheit den Titel eines rex Cumanie bei. Bela uuterwarf auch (vor 1247) mehrere Woywoden oder Knasen der Walachen, nachdem dereii bisherige Beherrscher, die Cumanen, durch die Mongolen theilweise zerspreugt oder veruichtet worden waren, seiner Oberhoheit, wahrend in den spateren Jahren seiner Regierung den Bulgaren in mehreren Feldzugen Widdin entrissen wurde, was seinen Sohu Stephan V. (1270 1272) bewog, sich ,,K6uig von Bulgarien" zu nennen. Nach dem volleu Titel der letzten Arpadeu: dei gratia Hun- garie, Dalmacie, Croacie, Rame, Servie, Gallicie, Lodomerie, Cumanie Bulgarieque rex erscheinen alle sudlicheu, ostlichen und sudostlicheu Nachbarlander als Bestaudtheile des ungarischen Reiches. Doch war die Herrschaft uber diese vielfach eiue nominelle. Nur Croatieu, Dalmatieu, das Severiner und das Machover Bauat standen wirklich unter der Gewalt des Konigs, wahrend die Bane von Bosnien wenigstens im Inneren so gut wie selbstandig und die ubrigeu genannten Lander vollig uuabhaugig waren. 2. Die Zeit der Anjous und ihrer Nachfolger (1301 1526). Die langen Thronstreitigkeiten, welche nach dem Anssterben der Arpadeu ausbrachen, uud die Unbotinafligkeit der machtigen Maguaten machten es dem ersteii Konige aus dem Hause Anjou, Karl I. (1301 bis 1342) uiimoglich, die Auspruche seiner Vorgauger auf. die Vasallen- lander geltend zu machen. Der Ban von Bosnien, der auch Chulni uuterwarf, machte sich ganz uuabhangig. Die Kusteustadte Dalmatiens giengen verloren, iudem sie sich unter den Schutz Venedigs stellten. Nur die Herrschaft uber das Severiner und Machover Banat wurde gegeu die Angriffe des walachischen Woywoden Bazarad und des serbischen Konigs Stephan Urosch II. behauptet. 1 ) Naheres in meiner ^Geschichte Osterreichs", 2, 203 ff. 95 Erst Karls Sohn Ludwigl. r derGrofie" (1342 1382) vermochte den von ihm gefuhrten Titeln auch eine wirkliche Unterlage zu ver- schaffen. 1 ) Schon 1343 wurde der Woywode der Walachei zur Anerkennung der ungarischen Oberhoheit gezwungen. Einige Jahre darauf wurde die Moldau, ein Theil des fruheren Cumanien, von den Ungarn in Besitz genommen, nachdem die bisher dort herrschenden Mongolen oder Tataren infolge wiederholter Einfalle der Sz6kler das Land geraiunt batten. Doch gelang es (noch vor 1359) dem Hauptling der Walachen in der Mar- maros, Bogdan, welcher mit seinen Staminesgenossen iiber die Karpaten zog uud durch andere Walachen verstarkt wurde, in diesem dunn be- volkerten Lande eine Herrschaft zu griinden uud sich auch gegen die Angrift'e der Uiigarn zu behaupten, sodass sich der Konig mit der An- erkennuug seiner Oberhoheit uud der Zahlung eiues Tributs durch den Woywoden begnugen musste. Die Grofien Dalmatiens und Croatieiis wurden schon 1345 unterworfen und 1358 nach mehrjahrigen Kriegeu auch Venedig zum Abschlusse eines Friedens gezwungen, nach welchem es alle Inseln und Kustenplatze zwischen dem Quarnero und dem Gebiete von Durazzo an Ungarn abtrat. 1351 und 1352 zog Ludwig seinem Oheim, dem Konige Kasimir von Polen, zuhilfe, der mit den Litauern urn den Besitz Eothrusslands oder der ehemaligen Furstenthimier Halitsch und Wladimir kampfte, und trat ihm bei dieser Gelegenheit gegen 100.000 Goldgulden die von seinen Vorgaugern ererbten Anspruche auf diese Lander ab, mit der Bestim- ruung, dass, wenn Kasimir ohne mannliche Nachkommen mit Tod ab- gienge, mit Polen, welches der Konig seinem Neffen fur diesen Fall schon 1339 versprochen hatte, auch die geuannten Gebiete an Ungarn fallen sollten. Nachdem Ludwig uach Kasimirs Tode 1370 Konig von Polen geworden war, vereinigte er Ende 1380 oder anfangs 1381 Roth- russland unmittelbar mit Ungarn. Im Jahre 1356 wurde auch der Ban Twartko von Bosnien ge- uothigt, die Oberherrschaft des ungarischen Ko'nigs wieder anzuerkenuen und diesem das Land Chulin abzutreteu. Als das von Stephan Duschan gegrundete groflserbische Eeich nach desseu Tode (1355) sich aufloste und die Grofieu sich gegenseitig bekriegten, erkanute einer von diesen, der seine Besitzungen an der Donau hatte, die Oberhoheit Ungarns an, *) Detaillierte Nachweise iu meiner Abhandlung: n Ludwig I. von Ungam und die ungarischen Vasallenlander". (Aus dem ^Arcliiv fur osterreichische Geschichte", 66 Bd.). Einige Erganzuugen gibt Steinherz, Die Beziehungen Ludwigs I. von Ungarn zu Karl IV. ^Mittheilungen des Instituts", 8, 237 ff. und 9, 555. 572 ff. und fiir Bosnien Klaic-Bojni6ic, S. 177 ff. Vgl. auch ineine n Geschichte Osterreichs", 2, 208 ff. 96 welche (lurch einen Feldzug Kouig Ludwigs nach Serbien (1359) be- festigt wurde. Ebenso gaben Thronstreitigkeiten in Bulgarien den An- lass, dass Ludwig 1365 Widdin eroberte, den dort residierenden Fursten Sracimir gefangen nahni und dessen Gebiet in ein ungarisches Banat verwandelte. Um diese Zeit hatten die erwiihnteii Titel des Konigs von Ungarn wirklich eine reale Grundlage. Aber die Herrschaft fiber die Vasallenlander war immer eine unsichere. Die Woywoden der Walachei suchten sich wiederholt der- selben zu entziehen, und das Land erscheint 1377 in der That als un- abhangig. Spiitestens an fangs 1370 gab Ludwig auch Widdin gegen Anerkennung seiner Oberhoheit an Sracimir zuruck. 1376 liefi sich Twartko von Bosnien, nachdem er seine Herrschaft fiber Chulm, Trebinje und das Kiistenland ausgedehnt hatte, zum ,,Konige vou Serbien, Bosnien und dem Kiistenlande" kronen und documentierte sich dadurch als un- abhaugigen Herrscher. War schon in der letzteii Zeit Ludwigs I. der Einfluss Ungarns auf die Balkanlander im Zuriickweichen begriffen, so trat nach seinera Tode (1382) ein allgemeiner Verfall des Keiches ein. 1 ) Die Polen erkannten nicht seine iiltere Tochter Maria, sondern seine jiingere, Hedwig, als Konigiu an, die sie mit dem Groflfiirsten Jagiello von Litauen vermahlten. Auch in Ungaru und Croatien erhob sich gegen Maria eine machtige Partei, welche 1385 den einer Seitenlinie der Anjous angehorigen Konig Karl von Neapel zum Koiiige kronte, auch nach dessen baldiger Er- mordung den Kampf fortsetzte und Maria selbst gefangen nahm. Ihrem Gemahle Sigismund von Brandenburg, den die Ungarn jetzt als Konig anerkannten, gelang es zwar endlich, derselben die Freiheit zu ver- schaffen. Aber wahrend er gegen die Eebellen kampfte, nahm Hedwig von Polen im Februar 1387 Kothrussland weg, worauf der Woywode der Moldau die Oberhoheit Polens anerkannte und jener der Walachei mit diesem ein Buudnis schloss. Auch der Fiirst Stephan von Serbien fiel trotz der Angriffe der Turken von Ungarn ab. Die Niederlage Sigismunds durch die Turken bei Nikopolis (1397), seine wiederholte Entfernung aus dem Keiche, indem er statt seines Bruders Wenzel die Regierung in Bohmen an sich zu bringen suchte, und die Begiinstigung einiger Auslander hatten die Folge, dass die Un- zufriedenen 1403 deii Konig Ladislaus von Neapel, den Sohn des 1386 ermordeten Karl, auf den Thron beriefen, der auch in Dalmatien. Croatien und eineni grofien Theile von Ungarn als Konig anerkannt wurde. Sigis- mund wurde auch diesmal (bis 1409) der Aufstandischen Herr. Da aber a ) Naheres in meiner n Geschichte Osterreichs", 2, 324 ff. 521 ff. 97 Ladislaus die von ihm behauptete Stadt Zara mit einigen benachbarten Gebieten und seine Anspruche auf den iibrigen Theil Dalmatiens 1409 um 100.000 Ducaten an Venedig verkaufte, so brach zwischen diesem und Sigismund 1411 ein Krieg aus, der 1420 mit der Eroberung yon ganz Dalmatien durch die Venetianer endete. Um sich zn diesem Kriege das nothwendige Geld zu verschaffen, verpfandete Sigismund am 9. November 1412 um 37.000 Schock 1 ) Groschen an Polen die Herrschaften Lublau, Pudlein und Kniesen und 13 von den deutschen Gemeinden der Zips. Die vieljahrigen Kriege mit den Turken endeten mit dem voll- standigen Verluste der sudlichen Vasallenlander. Noch wahrend der Regieruiig Sigismunds mussten diese die Oberhoheit der Turken an- erkennen und dem Sultan Tribut zahlen. 1439 wurde Serbien, 1463 Bos- uien, 1466 und 1483 die Hercegovina von den Turken erobert. Die vom Konige Mathias 1464 den Turken entrissenen nordwestlichen und nord- ostlichen Gebiete Bosniens giengen unter seinen Nachfolgern wieder ver- loren. 1521 wurden auch die noch in den Handen der Ungarn befind- lichen Festungen am rechten Ufer der unteren Save, Sabacz und Belgrad, von den Turken eingenommen, worauf 1526 der Angriff auf Ungarn selbst, die Niederlage bei Mohdcs, der Tod des Konigs Ludwig II. und die Besetzung der Hauptstadt Ofen folgten. Zwar zog der Sultan bei der Annaherung des Winters wieder nach Hause, aber in Peterwardein und anderen Platzen Syrmiens blieben ttirkische Besatzungen zuruck. II. Greschichte des offentlichen Kechtes. a) Die Thronfolgeordnung. In Ungarn bestand lange Zeit keine feste Thronfolgeordnung. Das erste gemeinsame Oberhaupt Arpad wurde von den sieben Stammen gewahlt. Der erste Konig, Stephan der Heilige (f 1038), bestimmte, da sein Sohn Emerich noch vor ihm den Tod fand, zu seinem Nachfolger eigenmachtig seinen Schwestersohn Peter, wahrend er seinen Bruders- sohn Wazul blenden liefi und dessen Kinder in die Verbanuung schickte. Doch wurde Peter 1041 wegen seiner Willkiirherrschaft von den Ungarn gesturzt und ein GroBer, Aba, auf den Thron erhoben. Der deutsche Konig Heinrich III., dessen Hilfe Peter anflehte, beraubte Aba der Krone und setzte Peter wieder ein. Aber schon 1046 wurde dieser von den Ungarn neuerdings entthront und Wazuls altester Sohn Andreas I. als Konig an- erkannt. Auch fortan wurde Ungarn haufig durch Thronkampfe heim- gesucht, indem verschiedene Glieder des Hauses der Arpaden sich die Regierung streitig machten, wobei der Grundsatz, dass die Briider dem x ) Ein Schock hat 60 Stiicke. Huber. Osterreichische Keichsgeschicbte. 98 Sohne des Konigs an Rechteri vorgiengen, 1 ) nicht ohne Einfluss war. Erst als Andreas II. 1205 den minderjahrigen Solm seines alteren Bruders Emerich der Krone beraubt hatte, faiiden die Thronstreitigkeiten ein Ende, well Andreas selbst (1205 1235), Bela IV. (1235 1270) und Stephan V. (12701272) alle nur einen Sohn hinterliefien. Stephans V. Sohu Ladislaus IV., der 1290 erinordet wurde, war kinderlos und vom Stamme der Arpdden nur noch ein raannliches Glied vorhanden, Andreas, der Sohn Stephans, den Andreas' II. Witwe Beatrix von Este nach dem Tode ihres Gemahls in Italieu geboreu hatte. An- dreas III. wurde nun von den Ungarn zum Konige gewahlt. Abcr La- dislaus' IV. Schwester Maria, Gemahlin Karls II. von Neapel, erhob An- spruch auf das Keich, weil dieses auf sie als die nachste Verwandte des letzten Konigs gefallen sei. Ihre Anspruche, die sie auf ihren Sohn Karl Martell und uach dessen Tode (1295) auf ihren Enkel Karl Robert iibertrug, wurden nicht blofi von den Papsten, sondern auch von den machtigsten Grofieu Croatiens, spater auch von mehreren Bischofen und Magnaten Ungarns anerkannt. Jedoch behauptete sich Andreas III. bis zu seinem Tode 14. Janner 1301. 2 ) Jetzt gab es nur iioch Verwandte von weiblicher Seite, namlich Andreas' III. Tochter Elisabeth, Karl Robert, den Enkel einer Tochter, Wen- zel II. von Bohmen, durch seine Mutter Kuniguude Enkel eiuer Schwester, und Herzog Otto von Baiern, den Sohn einer Schwester Stephans V. Die Anhanger des Ha uses Anjou hielten auch jetzt am Erbrechte der Konigin Maria und ihres Enkels fest. Auch der Papst Bonifaz VIII., der Ungarn fur das Eigenthum des romischen Stuhles ansah, dem es Stephau der Heilige geschenkt habe. erklarte in feierlicher Weise, dass Ungarn kein Wahlreich, sondern ein Erbreich und Maria nach dem Tode ihres Bruders die nachste Erbin ihres Vaters Stephan V. gewesen sei. 3 ) Die natiouale Partei beauspruchte zwar jetzt ein Wahlrecht. Aber auch sie nahm auf die Abstammung von den friiheren Konigen Rucksicht und wahlte zuerst Wenzel, den Sohn Weuzels II. von Bohmen. 4 ) *) Biidinger, Ein Buch ungarischer Geschichte (10581100), S. 96 ff. Iin all- gemeinen vgl. fur die Zeit von 1038 1205 meine n Geschichte Osterreichs", 1, 183 bis 206 und 317 379. 2 ) Geschichte Osterreichs, 2, 24 f. 70 ff., wo auch die weiteren Throukampfe dar- gestellt sind. 3 ) Regnum ipsum Ungarie successionis iure provenit, electionis arbitrio non perfertur, (und vorher:) regina Sicilie (Maria) sicut primogeniture ius obtinens dare memorie Stephani regis Ungarie patris sui in eodem regno propinquior est successor et heres quondam Ladislao regi Ungarie fratri suo sagt Papst Boni- faz VIII. in der Bulle B Spectator omnium" ap. Theiner, Mon. Hung. 1, 398. 4 ) Dieser zahlt auch seine Kegierungsjahre nicht von seiner Kronung am 27. Au- gust 1301, oder von seiner kurz vorher erfolgten Wahl, sonderu offenbar vorn Tode 99 und nach dessen Riicktritt 1305 Otto von Baiern zum Konige. Doch vermochte sich dieser ebenfalls gegen Karl Robert nicht zu behaupten, und auch init der Rechtsanschauung drang der Papst endlich durch. Eine Reichsversammlnng auf dein Felde Rdkos bei Pest nahm (1307) ,, Karl und seine Nachkommenschaft, wie es die gesetzliche Nachfolge verlangt, als Ko'nig und natiirlichen Herrn" an. 1 ) Auch der Reichs- tag sprach sich zwar 1308 dem piipstlichen Legaten gegenuber dahin aus, dass die Kirche nur jene zu Konigen kronen diirfe, die aus dem konigliehen Geschlechte staminten und von den Standen eintrachtig ge- wiihlt worden waren. Aber sie beruhigten sich bei der Erklarung des Legaten, dass er nur auf Bitten und mit ausdriicklicher Zustimmung der Pralaten, Barone und Edeln Karl, dem vermoge seiner Abstammung vom alten Konigsgeschlechte Ungarn rechtmafiig gehore, 2 ) als Konig be-* statigt habe, womit doch das Erbrecht der weiblichen Glieder der Dynastie, auch der Seitenverwandten, anerkannt war. Karls Enkelin Maria, Ludwigs I. (13421382) altere Tochter, wurde denn auch schon am Tage nach der Beerdigung ihres Vaters zum ,,K6nige" gekront und in den Urkunden ihr Erbrecht auf das scharfste betont. 3 ) Es konnte aber auf die Anschauungen der Ungarn nicht ohne Ein- fluss bleibeii, dass, als Maria am 25. Juli 1386 in die Gefangenschaft der Rebellen gerieth, ihr Gemahl Markgraf Sigismund von Branden- burg von den Standen nicht blofi zum ,,Hauptmann" oder Reichsverweser, sondern im Marz 1387 auch zum Kouige gewahlt wurde, dass dann Maria 1395 vor ihm starb, sodass nun em Wahlkonig herrschte, und dass dieser langere Zeit keine Kinder erhielt. Wenn er nun tiber die Nach- folge im Reiche eine Verfiiguiig treffen wollte, so konnte dies nicht ohne Beistimmung der Stande geschehen. Aber es charakterisiert die damalige Auifassung, dass Sigismund im September 1402, wenn er ohne mann- liche Erben mit Tod abgieuge, Ungarn ,,mit Wissen, Zustimmung, Rath Andreas III. an, da eine Urkunde vom 1 . Marz und eine vom 19. Mai 1302 schon das Datum regni anno secundo trageu. Fejer, Cod. dipl. Hung. 6 b , 329 = 8 b , 89 und Cod. d. patrius 5, 92. *) Dominum nostrum Karolum ac posteritatem eius, prout legalis successio exigit, in regem Hungariae ac natural em dominum perpetuum recepimus. Fejer, 8, 221. 2 ) De iure deberi regnum. Fejer, 8 a , 264. Theiner, Mon. Hung. 1, 423. 3 ) Ludovico - . . genitore nostro carissimo . . . dbsque prole masculina de tnedio sublato nobisque iure successorio ordine geniture solium et coronam . . . regni Hun- garie et sceptra regiminis ipsius genitoris nostris feliciter adeptis heifit es in Urkunde Marias von 1383 ap. Fejer, 10 a , 58 und fast gleich p. 46. 60. 65. 72. Selbst Marias jiingere Schwester Hedwig wird in der Huldigungsurkunde der Stadt Zara vom 2. Fe- bruar 1383 als domina nostra naturalis bezeichnet. Schwandtuer, SS. Rer. Hung. 3, 405. 7* 100 und Willeii aller Pralaten, Barone. Edeln und Stadte" dem Herzoge Al- brecht IV. von Osterreich w schenkte", und dass die Stande, indem sie zu dieser ^Schenkung" mit Brief und Siegeln ihre Zustimmung gaben, er- klarten, iin erwahnteu Falle den Herzog als ihren Konig ,,anzunehmen uud zu kronen". 1 ) Als Siegmund endlich 1409 eine Tochter Elisabeth erhielt, vermahlte er diese 1421 mit Albrechts IV. Sohn Albrecht V. von Osterreich und setzte sie und ihren Gatten zu Erben von Bohmen und Ungarn ein, wahrend, wenn er noch eine Tochter erhielte. Elisabeth zwischen beiden Konigreichen sollte wahlen durfen. 2 ) Nach Sigismunds Tode (9. December 1437) erkannten auch die ungarischen Stande an, dass seine Tochter Elisabeth ihre ,,naturliche Herrin u sei, r der in erster Linie dieses Reich verrnoge des Rechtes der Geburt" gehore, nahmen aber auch ihren Gemahl Albrecht als Konig an. Zugleich gaben die Grofien ihre Zustimmung, dass Albrecht seiner Gemahlin eine Urkunde ausstellte, dass, wenn er vor ihr mit Tod abgienge, sie und ihre Erben von den Ungarn als Herren anerkannt werden sollten. 3 ) Als aber Albrecht am 27. October 1439 starb, erkannte die Mehr- heit der Ungarii weder die schon gekronte Konigin Elisabeth, noch deren nachgeborenen Sohn Ladislaus als Herren an, sondern wahlten wegen der von den Tiirken drohenden Gefahren Wladislaw von Polen zuin Konige. Erst als dieser ini November 1444 in der Schlacht bei Varna den Tod fand. erkaunten die Stande Ladislaus den Nachgeborenen als Konig an, wahlten aber zugleich 1446 den Johann Hunyady zum Guber- nator des Reiehes. der nun bis Ende 1452, wo Ladislaus fur volljahrig erklart ward, die Regentschaft fuhrte. Auch als Ladislaus am 23. November 1457, noch unvermahlt, aus dem Leben schied, nahmen die Ungarn auf die wiederholten Zusagen, die Nachkommen der Konigin Elisabeth als Erben anzuerkennen, keine Rucksicht. Die Anspniche der beiden Schwestern Ladislaus', von deneu Anna mit dem Herzoge Wilhelm von Sachsen, Elisabeth mit dem Konige Kasimir von Polen vermahlt war, wurden ignoriert und am 24. Janner 1458 Matthias, Sohn Johann Hunyadys, zum Konige gewahlt. Da auch dieser am 6. April 1490 ohne legitime Nachkommen starb, mussten die Ungarn in der Uberzeugung, dass ihnen ein Wahlrecht zustehe, nur noch befestigt werden. Doch hatten unterdessen die Habsburger auf Ungarn begrundete Anspruche erworben. Viele hervorragende Grofie, die mit Matthias J ) Die Urkunde Siegmunds vom 14., die der Stande vom 21. September 1402 bei Kurz, Osterreich unter Herzog Albrecht IV., 1, 220 und 226. 2 ) Katona, Hist. crit.. Hung. 12, 382. 3 ) Die Belege in meiner B Geschichte Osterreichs", 3, 4 f. und fur das Folgende 3, 18 ff. 66 if. 130 if. 101 sich verfeiiideten, wahlten am 17. Februar 1459 den Kaiser Friedrich III. ,,als Verwandteu des K6nigs Ladislaus" und well er (seit der Vormund- schaft fiber diesen) die Krone in Besitz habe, zum GegenkOnige. Dieser wusste zwar den Sieg, den seine Truppen am 7. April bei Kflrmend er- fochten, nicht zu benutzen. Aber um die Auslieferung der von den Un- garn so hochgehaltenen Reichskrone zu erwirken und um bei seinen Karnpfen mit den Turken nicht i'm Eiicken angegriffen zu werden, war Matthias zu grofien Opfern bereit. Am 3. April 1462 wurden zu Graz Friedenspraliminarien geschlossen. welchen nach ihrer Genehmigung durch den ungarischen Reichstag am 19. Juli 1463 der definitive Friede von Odenburg (und Wr.-Neustadt) folgte. Der Kaiser gab gegen 80.000 Du- caten die ungarische Krone und die ihm einst von der Konigin Elisabeth verpfandete Stadt Odenburg heraus. Dagegen sollte er den Titel eines Konigs von Ungarn lebenslanglich behalten durfen, und es wurde bestimmt, dass, wenn Matthias ohne Sohne mit Tod abgienge, Friedrich oder ein von ihm zu bestimmender Sohn, oder wenn er nicht mehr lebte, eiu von den Ungarn zu wahlender Sohu ihm auf dem ungarischen Throne folgen sollte. 1 ) Aber nach Matthias' Tode nahmen die Ungarn fur sich das Recht der freien Wahl in Anspruch und wollten von Maximilian, des Kaisers Sohne, gerade deswegen nichts wissen, weil er die Krone r aus Gerechtig- keit" fordere. Am 15. Juli 1490 wahlte die Mehrheit der ungarischen Stande den Konig Wladislaw von Bohinen zum Konige, wahrend von einer Minderheit schon fruher dessen Bruder Prinz Albert von Polen proclamiert worden war, andere sich spater an Maximilian anschlossen. Dieser wurde zwar, nachdem er am 17. November bereits StuhlweiBen- burg erobert hatte, durch die Meuterei seiner nicht bezahlten Lands- knechte zum Riickzuge genothigt. Aber da Wladislaw von Norden her durch seinen Bruder Albert, von Siiden durch die Tiirken bedroht wurde, so suchte er mit Maximilian einen Fried en zustande zu bringen, der am 7. November 1491 in Presburg imterzeichnet wurde. Durch den- selben wurden die Bestimmungen des Odenburger Friedens von 1463 er- neuert. Es sollten WJadislaw und seine legitimen mannlichen Erben im Besitze Ungarns bleiben, aber auch Maximilian den Konigstitel fuhren. Wladislaw und das Reich wurden verpflichtet, die fruheren Verschrei- bungen (von 1463) wegen der Nachfolge zu bestatigen und zu erneuern, sodass, wenn Wladislaw ohne Sohue oder diese ohne mannliche Nach- kommen mit Tod abgiengen, Ungarn n ipso facto" auf Max und dessen directe Leibeserben iibergehen sollte. Die moglichst bald zu berufenden Stande sollten den Vertrag bestatigen. 2 ) Dies geschah auch, allerdings J ) Die Belege in meiner n Geschichte Osterreichs", 3, 138 ff. 2 ) Sese pro se, heredibus et successoribus suis litteris patentibus inscribent in hanc sentenciam, si d. Bladislaum regem liberis masculis ex lumbis suis legittime pro- 102 nur nach heftiger Opposition, anfangs Marz 1492 auf dem Keichstage in Ofen, wo die Bischofe und Pralaten, 70 Magnaten im Namen der ubrigen Barone, Grofien und Adeligen Ungarns und Siebenburgens, 63 Magnaten im Namen der ubrigen Barone und Edeln Croatiens und Slavoniens und mehrere konigliche Stadte urkundlich erklarten, dass sie den Artikel wegen der eventuellen Erbfolge Maximilians und seiner Erben n offentlich uud feierlich angenoinmen" und beschworen haben. 1 ) Dies hinderte freilich nicht, dass der Eeichstag, unzufrieden mit der Regierung des schwachen Wladislaw und aufgestachelt von den Freun- den des ehrgeizigen Johann Zapolya, im October 1505 einstimmig den Beschluss fasste, dass sie, falls Wladislaw oder ein spaterer Konig ohne mannliche Erben mit Tod abgienge, nie einen Auslander, sondern nur einen Ungarn zum Konige wahlen wiirden. K. Maximilian begann des- wegen Krieg gegen Ungarn, und auch Wladislaw billigte obigen Be- schluss nicht. Am 19. Juli 1506 wurde in Wien Friede geschlossen, wozu auch der ungarische Reichstag dem Konige unbedingte Vollmacht ge- geben hatte. Der Kaiser behielt dabei sich und seinen Erben seine Rechte auf Ungarn vor, wahrend Ton Seite der ungarischen Bevollmach- tigten diese Frage mit Stillschweigen ubergaugen wurde. Doch hatte dieselbe ihre actuelle Bedeutung verloren, well am 2. Juli dem Konige ein Prinz, Ludwig, geboren ward. Dieser wurde dann im Juli 1515 mit Maria, der Enkelin des Kaisers, vermahlt und zugleich die Verheiratung seiner einzigen Schwester Anna mit einem der beiden Enkel Maximilians in Aussicht genomrnen. Im Jahre 1521 wurde sie dem Erzherzoge Fer- dinand angetraut. Die Aussicht der Habsburger auf Ungarn und Boh- men ward dadurch noch verstarkt. b) Geschichte der Verfassung und Verwaltung. I. Die Gesetzgebung Stephans des Heiligen und des Kb'nigs Coloman. Ungarn yerdankt seine politische Organisation Stephan dem Hei- ligen, dessen Gesetze uns noch erhalten sind. 2 ) creatis non relictis aut eisdem relictis et sine heredibus descendentibus mortuis dece- dere contingat, quod in tali casu ipsum Maximilianum, Romanorum regem, aut eo non existente aliquem ex filiis suis, aut his non existentibus eorum heredibus masculis per lineam rectum ex lumbis eorum descendentibus, quern eligendum duxerint, pro suo legittimo et indubitato rege acceptabunt etc. *) Die Friedensvertrage mitgetheilt von Firnhaber im n Archiv fur osterreichische Geschichtsquellen" 1849, 2, 469 if., die Zustimmungsurkunden der ungarischen und croa- tischen Standemitglieder ebendaselbst S. 511 ff. Vgl. iiber die Frage ihrer staatsrecht- lichen Giltigkeit meine ^Geschichte Osterreichs", 3, 307 N. 1 und fur das Folgende S. 430 ff. 2 ) Herausgegeben und cominentiert von Endlicher, Die Gesetze des heiligen Stephan, Wien 1849. Vgl. Krajner, Die urspriingliche Staatsverfassung Ungarns seit 103 Nachdein er die letzten noch bestehenden Furstenthiimer unter- worfen hatte, theilte er das Reich, das bisher in die Gebiete der Stamme und Geschlechter zerfallen war, nach dem Muster der im deutschen Reiche bestehenden Verwaltung in Grafschaften (comitatus), deren Mittelpunkt eine konigliche Burg ist, wobei man offenbar an administrative Einrich- tungen der fruheren slavischen Bewohner angeknupft hat. Der Graf (comes), im Ungarischen nach der slavischen Bezeichnung Zupan span, spater ispdny genannt (woraus die Deutschen Gespan und Gespanschaft gemacht haben), wird vom Konige auf unbestimmte Zeit ernannt, hat als dessen Stellvertreter nach spateren Urkunden (wie in Deutschland) militarische, finanzielle, administrative und die oberste richterliche Ge- walt und erhalt von den Einkunften des Comitats ein Drittel, der Konig zwei Drittel. Unter ihm steht als sein Stellvertreter der Vice-Comes (auch curialis comes oder vicarius comitis). Wahrscheinlich hat Stephan I. auch schon, und zwar zunachst wahrscheinlich als seinen Stellvertreter bei der Ausubung der obersten Gerichtsbarkeit einen Pfalzgrafen (pa- latinus comes) eingesetzt, obwohl er sich in Urkunden erst von 1055 an nachweisen lasst. Die Gesetze wurden vom Konige Stephan und seinen Nachfolgern wenigstens bis in das 12. Jahrhundert ,,nach einem Beschlusse" (decretum), w nach dem Rathe" (consultu) oder w auf Bitten" (petitio) des n Senates", d. h. der Bischofe, Abte und Grofien (optimates, principes) oder der Grafen (und wohl auch anderer hervorragender Wurdentrager) gegeben. Von einer allgemeinen Reichsversammlung findet sich in dieser Zeit keine Spur. 1 ) Die Gewalt des Konigs war, wenn dieser eine kraftige Person- lichkeit war, offenbar eine sehr ausgedehnte. In socialer Beziehung 2 ) unterscheiden die Gesetze Stephans zu- nachst Freie (liberi) uud Unfreie (servi, ancittae), die ganz von der Willkur ihres Herrn abhangen. Sie sind theils Horige, welche fur das von ihnen bebaute Gut zu bestimmten Leistungen verpflichtet sind, theils eigentliche Leibeigene oder Sclaven. Die Freilassung derselben wird unter dem Einflusse des Christenthnms begunstigt. Politisch kamen nur die Freien in Betracht. der Gruudung des Konigthums bis zum Jahre 1382 (Wien 1872), S. 108148, der be- sonders die Ubereinstimmung mit deutschen Volksrechten, Capitularien uud Concilien- beschliissen nachgewieseu hat. Sie zerfallen in zwei Theile, von deuen der erste nach Vita Stephaui maior, cap. 9, cum episcopis et primatibus Hungarie bald nach der An- nahme der Konigswiirde, der zweite, wo die konigliche Gewalt noch ausgebildeter er- scheint, wahrscheinlich gegen Ende der Regierung Stephans gegeben ist. Weitere Nach- weise fur das Folgende in meiner n Geschichte Osterreichs", 1. Bd. *) Nahere Nachweise habe ich in ,,Mittheilungen des Instituts", 6, 385 flf., gegeben. s ) Siehe Endlicher, S. 64 ff.; Krajner, S. 162-223, 259 317, 404 444. Vgl. n Geschichte Osterreichs", 1, 150 ff. 104 Doch bilden sich bald Zwischenstufen aus. Wie em Theil der Freien, der durch grofien Besitz oder Bekleidung hSherer Amter hervor- ragte, von den Armeren als Ad el sich ausschied, viele Gemeinfreie da- gegen von den Machtigeren in den Zustand der Horigkeit herabgedruckt wurden oder sich freiwillig in deren Schutz begaben, so hob sich die sociale Stellung vieler Unfreier. Schon in den Gesetzen Stephans findet sich eine Classe, die zwischen den Vollfreien und den Unfreien oder Halb- freien in der Mitte steht, namlich die milites, welche wahrscheinlich den deutschen Dienstmannen entsprechen. Den hochsten Rang unter ihnen nahmen die milites des Konigs oder koniglichen Dienstleute (servientes regales) ein, die unmittelbar unter diesem Kriegsdienste leisteten und dafiir Landereien zu Lehen hatten. Sie erhoben sich bald auch fiber die Gemeinfreien als Adel, und schon in den Gesetzen Ladislaus I. werden nobiles und milites als gleichstehend oder gar als gleichbedetitend ge- braucht. Spater finden wir als wichtige Mittelclasse die Burgmannen (milites castri, jobbagyones castri), die personlich frei, aber fur ihre Lan- dereien zunachst zur Vertheidigung der Burgen und zum Ausrucken ins Feld, theilweise aber auch zu anderen Leistungen verpflichtet waren. Die Gesetze des Konigs Ladislaus I. (1077 1095) 1 ) haben fur das offentliche Recht keine besondere Bedeutung. Mehr gilt dies von den Gesetzen, welche Konig Coloman (1095 1116) ,,nach dem Rathe des ganzen Senates" auf einer Versammlung der Grofien gegeben hat 2 ) und die sich auf das Steuer-, Kriegs- und Gerichtswesen wie auf die Besitz- verhaltnisse bezogen. Der Konig hatte damals aufier den Domanen und Bergwerken nicht blofi das Mfinz- und Zollregal, sondern erhob auch eine Abgabe von den auf den Markten verkauften Gegenstanden, eiue Erwerb- steuer von den Kaufleuten, eine Kopfsteuer von Freien und w Gasten" (Freraden), die sich als Arbeiter bei Gutsbesitzern verdingten, von Burg- horigen aufierdem eine Arbeitssteuer. 3 ) Auf das Kriegswesen wirkten bereits die im Abendlande herr- schenden Grundsatze der Vasallitat ein. Der Konig bietet nicht mehr alle Freien und nicht direct zum Kriege auf, sondern die Grafen, welche freie Bauern besitzen, miissen je nach der Gro'fie ihrer Gtiter gepanzerte oder ungepanzerte Ritter stellen. Auch auf die Besitzverhaltnisse war das Lehenwesen von Einfluss. Nur durch Kauf erworbene Guter und solche, welche auf eine Schenkung Konig Stephans zuruckgiengen, sollten J ) Ap. Endlicher, Mon. Arpad., p. 326 sqq. 2 ) Eegni principibus congregatis tocius senatus consultu. Decretum Coloraanni regis ap. Endlicher, p. 358 sqq. Vgl. iiber seine Gesetze meine n Geschichte Oster- reichs", 1, 333 ff. und Biidinger, Ein Buch ungarischer Geschichte, S. 144 ff. 3 ) Vgl. iiber die Steuern unter Bela III. und deren angebliches Ertragnis auch meine n Geschichte Osterreichs", 1, 370 und im allgemeinen Krajner, S. 628 ff. 105 als voiles, frei vererbliches Eigenthum gelten, Vergabungen spaterer Ko- nige aber nur auf Sohne oder Bruder ubergehen, in Ermanglung yon solchen aber an den Konig zuriickfallen. 2. Die ,.goldene Bulle" Andreas II. und die Gesetzgebung unter den letzten Arpaden. Unter den Nachfolgern Colomans bis zum Anfange des 13. Jahr- hunderts scheint die Gesetzgebung vollstandig geruht zu haben. Auch die konigliche Gewalt wurde infolge der haufigen Thronstreitigkeiten geschwacht, wahrend sich die Macht und der Einfluss der geistlichen und weltlichen Grofien oder Barone 1 ) immer mehr hob und diese nicht blofl ausgedehnte Besitzungen, sondern auch manche Hoheitsrechte an sich brachten. Noch mehr war dies unter dem schwachen Konige An- dreas II. (1205 1235) der Fall, unter dem zugleich infolge eines Kreuz- zuges und anderer Kriege, wie der Schenkung von Burgen, Giitern, Ein- kunften, ja ganzen Comitaten an Barone und Hitter die Finanzen voll- standig zerriittet wurden. Durch die Begiinstigung der Grofien, nament- lich die Vergabung der Burgen und ihrer Giiter waren der niedere Adel und die Burgmannen erbittert, weil sie Gefahr liefen, von jenen unter- driickt und ihrer Giiter beraubt zu werden. Da auch der Kronprinz Bela gegen seinen Vater eine feindselige Haltung einnahm, so drohte ein ge- fahrlicher iunerer Krieg auszubrechen. Endlich vermittelten die Bischofe einen Ausgleich, dessen Ergebnis die besonders dem niederen Adel gunstige ,,goldene Bulle" von 1222 war. 2 ) Der Konig musste versprechen, den Bitten des Adels, ,,wie er schuldig sei", in allem nachzukommen, und verordnete daher, dass er selbst oder im Falle seiner Verhinderung der Palatin jahrlich am Tage des heil. Stephan (20. August) in Stuhlweifienburg eine Keichsversamm- lung halten und alle Adeligen das Recht haben sollten, daselbst zu er- scheinen und ihre Klagen vorzubringen. Er soil niemanden ganze Comi- tate oder Amter als erbliches Besitzthum verleihen, ,,Gasten" (Fremden) ohne Befragung seines Rathes keine Wurden ubertragen, Leuten, die nicht in Ungarn wohnten, keine Besitzungen schenken oder verkaufen. !) Dazu gehorteii der Eeichskanzler, der seit 1183 an der Spitze der Kanz- lei stand, wahrend es fruher nur einzelne Notare gegeben hatte, die Hofrichter (conies curialis, spater judex curiae) des Konigs und der Konigin, der Ban von Croatien und Dalmatien (wenn diese Lander nicht einem Mitgliede der koniglichen Familie iiber- lassen waren), der magister tavernicorum (qui et camerarius dicitur nach Eogerii Carmen ap. Eudlicher, Mon. Arpad., p. 262), der die Einkiinfte des Konigs zu verwalten hatte uud unter dem daher nicht bloB die Leute auf den koniglichen Giitern (wLvor- nici), sondern spater auch die koniglichen Stiidte standen, die anderen hoheren Hof- beamten, dann die Graf en oder Obergespane. 2 ) Gedruckt bei Endlicher, Mon. Arpad., p. 412 sqq. undMou. Strigon., l,232sqq. 106 Der Konig darf keinen Adeligen ohne Vorladung und gerichtliche Verurtheilung gefangen nehmen oder an seinem Vermogen schadigen, von den Giitern der Adeligen und von den Unterthanen der Kirchen keine Steuern erheben. Die Adeligen sind auch zum Kriegsdienste nur bei einern feindlichen Angriffe verpflichtet, nicht aber bei einem Feldznge auflerhalb des Reiches, aufler gegen Sold. Besitzungen, die jemand fiir gerechten Dienst erhalten hat, sollen ihra nie entzogen werden. Wenn ein Adeliger ohne Hinterlassung eines Sohnes stirbt, so vererbt er von seinem Lehengut ein Viertel anf seine Tochter, das Ubrige, wenn er nicht testamentarisch dariiber verfiigt hat, auf seine Geschlechtsgenossen, und nur in Erraanglung von solchen soil es an den Konig zuriickfallen. Uber Giiter und Hintersassen der Adeligen darf der Graf blofi wegen Munz- und Zehntangelegenheiten richten. Nur der Palatin und der Hofrichter, wenn er am Hofe ist, konnen uber alle Leute des Reiches richten, doch darf ersterer in Processen gegen Adelige, welche die Todesstrafe oder den Verlust der Gtiter zur Folge haben, nicht ohne Zustimmung des Konigs ein Urtheil fallen. Die Grafen sollen sich init den ihnen gesetzlich zustehenden Ein- kiinften begniigen und, wenn sie die zu ihrer Burg gehorigen Leute be- driicken oder sonst ihr Amt schlecht verwalten, ihrer Stelle beraubt werden und Ersatz leisten. Der Palatin soil weder den Konig, noch den Adel, noch andere von diesem Privileg abweichen lassen. Wenn aber der Konig oder einer seiner Nachfolger demselben entgegenhandelt, so haben die Bischofe und andere Wiirdentrager und die Adeligen in ihrer Gesammtheit wie einzeln das Recht, ihm Widerstand zu leisten. Im Jahre 1231 mtisste der Konig die goldene Bulle mit einigen Zusatzen und Auslassungen neuerdings bestatigen. 1 ) Namentlich wurde bestimmt, dass bei der jahrlichen Reichsversammlung in Stuhlweifienburg auch die Pralaten, die Erzbischofe und Bischofe erscheinen sollten, urn die Klagen der Armen zu horen und die etwa verletzte Freiheit zu be- statigen, und dass, wenn der Palatin sein Amt schlecht verwaltet hatte, der Reichstag das Recht haben sollte, den Konig um die Ersetzung durch einen anderen zu bitten. Dagegen war die Einraumung des Widerstands- rechtes an den Adel bei Verletzung der Freiheiten durch den Konig weg- gelassen und dafiir verfiigt. dass in diesem Falle der Erzbischof von Gran das Recht haben sollte, uber den Konig den Bann zu verhangen. Doch haben spater die Ungarn die urspriinglichen Bestimmungen vom Jahre 1222, nicht diese Abandoning als das Grundgesetz ihres Reiches angesehen. ') Endlicher, p. 428 sqq. 107 Unter Andreas' II. Nachfolger Bel a. IV. (12351270) wurde die Macht des Adels besonders durch die wiederholten Kriege desselben mit seinem Sohne Stephan, dem er den ganzen Osten des Keiches mit Sieben- biirgen abgetreten hatte, neuerdings vergrofiert. Bela und sein Sohn mussten 1267 ,,mit Rath und Zustimmung der Barone" die sogenannten Freiheiten des heiligen Stephan bestatigen und ihnen verschiedene Rechte gewahren, welche uber die goldene Bulle noch hinausgiengen. 1 ) Nicht blofl von den Giitern der Adeligen, sondern auch von ihren Hintersassen sollte der Konig nie eine Stener oder Leistung fordern und uber Outer von Adeligen, die ohne Erben mit Tod abgiengen, nur nach Anhorung ihrer Verwandten und im Beisein der Reichsbarone verfugen durfen. Es verstarkte den Einfluss des niederen Adels gegeniiber den doch mehr vom Konige abhangigen Magnaten, dass bestiinmt wurde, es sollten bei den jahrlichen Reichsversammlungen in StuhlweiBenburg nicht blofi die Barone und Bischofe, sondern auch zwei oder drei Adelige aus jedem Comitate erscheinen. Andreas III. musste nach seiner Erhebung auf den ungarischen Thron auf einem um den 1. September 1290 ge- haltenen Reichstage neue Concessionen machen. 2 ) Nicht blofi musste er neuerdings die jahrliche Abhaltung einer Reichsversammlung zur Er- orterung der Zustande des Reiches, besonders zur Prufung der Verwal- tung der Obergespane geloben, wo auch die Adeligen erscheinen sollten. Er versprach auch, die wichtigsten Reichsamter, das des Palatins, des Vicekanzlers, des Magister Tavernicorum und des Judex Curiae nur nach dem Rathe des Adels zu besetzen, kein Comitat erblich zu verleihen kein Amt und keine Burg einem Auslander, Heiden oder Unadeligen zu iibertragen, keinen solchen in seinen Rath aufzunehmen und die Kirchen und Adeligen wie deren Hintersassen weder mit Abgaben, noch mit Ein- quartierungen zu belasten. 3. Die deutsche Colonisation und die Entstehung des Stadtewesens. Schon fruh kamen Fremde aus den benachbarten Landern, besonders aus Deutschland des Handels wegen nach Ungarn. Geisa II. (1141 bis 1162) berief in den ersten Jahren seiner Regierung auch deutsche Bauern aus den Gegenden am Niederrhein (,,Flandrer") nach dem Suden des heutigen Siebenburgen, wo sie die Walder urbar machten. Nachdem durch weitere Einwanderungen aus dem nordwestlichen Deutschland die *) Endlicher, p. 512 sqq. Vgl. meine w Geschichte Osterreichs", 1, 550 ff. s ) Andreae regis III. Decretum ap. Endlicher, p. 615 sqq. Uber die Zeit dieses Reichstages siehe Szabo in Szazadok (1884), 18, 473 S. 8 ) Vgl. mit meiner B Geschichte Osterreichs", 1, 463 ff. Schwicker, Die Deut- schen in Ungarn und Siebenbiirgen (Volker Osterreich-Ungarns, III.), S. 86 if., wo sich detailliertere Angaben ohne Quellennachweise finden. 108 Zahl der Deutschen, die seit .dem 13. Jahrhundert gewohnlich Sachsen genannt werden, immer mehr angewachsen war, verlieh ihneii Andreas II. 1224 den grofien Freiheitsbrief, 1 ) der angeblich auf den Bedingungen beruhte, unter denen Geisa II. sie ins Land gerufen hatte, und fur Jahr- hunderte die Grundlage ihrer staatsrechtlichen Verhaltnisse gebildet hat. Darnach sind alle Deutschen von Broos bis Bar6t im Sfiden des Szekler- landes ein Volk, stehen unter einem von ihnen selbst aus den Ansassigen gewahlten Kichter und durfen nur dann vor das Gericht des Konigs oder des von ihm ernannten Grafen von Hermannstadt geladen werden, wenn ein Streit von ihrem Richter nicht entschieden werden kann. Sie zahlen dem Konige jahrlich 500 Mark Silber und stellen zu Kriegen im Lande 500, aufierhalb desselben 100 Mann, wenn der Konig selbst, 50, wenn ein anderer das Heer anfuhrt. Dafiir sind sie von alien andereu Ab- gaben und ihre Kaufleute von alien Mauten frei und konnen sie fiber die koniglichen Walder und Wasser frei verfugen. Keinem koniglicheu Be- amten darf in ihrem Lande ein Gut geschenkt werden. In der Zips haben sich vielleicht ebenfalls schon unter Geisa II. deutsche Bauern niedergelassen, obwohl sie einen umfangreichen Frei- heitsbrief erst 1271 von Stephan V. erhielten. 2 ) der ihnen ahnliche Vor- rechte zusicherte, wie sie die Sachsen Siebenbfirgens erhalten hatten. Auch in anderen Gegenden Ungarns und Siebenburgens wie Croa- tiens, vorzuglich an den Sudabhangen der Karpaten, gab es deutsche Ansiedler, und besonders nach der Verwiistung des Reiches durch die Mongolen (1241) wurde von den Kouigen die Einwanderung der Deut- schen begunstigt. Auch wo sie kein so zusammenhangendes Gebiet be- wohnten wie die Sachsen Siebeubiirgens, ist ihnen in der Regel das Recht gewahrt, dass sie von den gewohnlichen Steuern frei sind, nur eine fixe Abgabe an Geld oder Naturalien entrichten und ihre Kriegspflicht genau geregelt ist, dass sie nach eigenen Rechten leben und ihren Richter selbst wahlen, dass die ho'here Instanz fiber diesen nicht der Comitatsgraf, son- dern der Konig oder dessen Stellvertreter ist, und dass sie fiber ihr Ver- mogen testameutarisch frei verfugen durfeii. Als Beisitzer des Richters oder Schultheifien werden niehrfach Geschworene erwahnt. Aus solchen Ansiedlungen, wo die Deutschen naher bei einauder wohuten und sich nicht vorherrschend mit Ackerbau beschaftigten. mussten von selbst Stadte erwachsen, da die Grundbedingungen, Befreiung vom Comitatsgerichte und eigene Gerichtsbarkeit nach eigenen Gesetzen und durch einen eigeiien Richter, bereits vorhanden waren. Daher beruht J ) Teutsch und Firnhaber, Urkuudenbuch von Siebenbtirgen (Font. rer. Austr. Dipl. XV), p. 28. Zimmermann und Werner, Urkundenbuch zur Ge- schichte der Deutschen in Siebenbiirgen, S. 32. 2 j Ap. Endlicher, Mon. Arpad., p. 522 sqq. 109 das Stadtewesen in Ungarn durchaus auf deutschen Grundlagen. Die Stadtrechte erweisen sich schon ihrer Form nach als Privilegien fur die ,,Gaste". Ihnen, nicht alien Einwohnern des Ortes werden zunachst be- stimmte Rechte verliehen, aus denen sich das Stadtrecht entwickelt, wo- fur manchraal ein deutsches als Muster gedient hat. So bildete sich seit Bela IV., der besonders nach dem Mongolensturme das Stadtewesen syste- matisch begunstigte, 1 ) der Stand der Burger aus, der vorherrschend aus Deutschen bestand. 4. Die Verfassung und Verwaltung von 1301 1526. Hatten die langen Thronkampfe nach dem Aussterben der Arpaden zunachst eine weitere Schwachung der Gewalt des Konigs und eine Stei- gerung der Macht der Grofien zur Folge, so anderte sich dies, als Karl I. Robert auf dem Throne befestigt und die letzten nach Selbstandigkeit strebenden Magnaten unterworfen waren. Die GroBen wurden durch glanzende Feste und verschiedene Auszeichnungen an den Hof gefesselt und auch ihr Eigennutz dadurch befriedigt, dass Karl trotz der entgegen- stehenden Gesetze den angesehensten Magnaten zwei, drei, ja noch mehr Comitate verlieh, was freilich die Folge hatte, dass die Verwaltung derselben nicht mehr vom Obergespane selbst besorgt werden konnte, sondern uach und nach fast ausschliefilich auf den Vicegespan ubergieng. Da die Burg- landereien, auf deren Besitz friiher der Kriegsdienst hauptsachlich beruht hatte, grofientheils in die Hande des hoheren Adels gekommen, die Burg- mannen theilweise in die Reihen der Horigen herabgedruckt, theilweise aber auch in den Adelsstand erhoben worden waren, so suchte Karl die Heerespflicht an den adeligen Grundbesitz zu kniipfen und die fruheren Aufgebote durch Vasallenheere zu ersetzen, indem die geistlichen und weltlichen Grofien und Adeligen im Verhaltnis zur Zahl ihrer Hofe Sol- daten stellen mussten, wobei jenen, die eine gewisse Zahl von Kriegern unterhielten, gestattet ward, sich des eigenen Banners (daher banderium auch fur die gauze Abtheilung) zu bedienen. Andererseits wurde der Biirgerstand durch Pflege seiner Interessen und Grundung neuer Stadte gekraftigt. Durch die Hebung des Handels und das dadurch gesteigerte Ertragnis der Zolle und Mauten, wie durch neue Steuern, namentlich die ^Thorsteuer" 2 ) wurden die Einkunfte der Krone vermehrt und diese J ) Eine Keihe von Stadteprivilegien seit 1242 ap. Endlicher, p. 451 sqq. 2 ) Sie betrug 18 Denare oder l [ 6 Ducaten von jedem Hofe, durch dessen Thor ein beladener Heu- oder Getreidewageu fahren konnte, oder einem Gute von ent- sprechender GroBe. Doch waren die Hintersassen des Konigs und der Konigin, der Kirchen und Herren, wie die Stadte, die eine bestimmte Steuer zahlten, davon frei. Die Belege fur die inneren Verhaltnisse unter Karl I. und Ludwig I. in meiner B Ge- schichte Osterreichs", 2, 200 ff. 243 ff. 110 von deii Standen unabhangiger gemacht. Der Keichstag wurde daher spater gar nicht mehr berufen, sondern durch einen Rath von Pralaten und hohen Beainten (^Baronen") ersetzt, der dem Konige keine ernst- liche Opposition machte. Noch unbeschrankter war die konigliche Gewalt unter Karls Sohn Ludwig I. (1342 1382), unter dem 1351 noch eine neue Steuer eingefiihrt wurde, der ,,Neunte" des Weines und Getreides, der von den Kronbauern nach Entrichtung des kirchlichen Zehnten erhoben wurde. In den letzten drei Jahrzehnten seiner Regierung scheint Ludwig nie einen Reichstag einberufen, sondern alle Verfugungen, selbst bezuglich der Steuern, nur nach Berathung mit Pralaten und Baronen getroffen zu haben. Das offentliche Leben zog sich in die Comitate. die Versaminlung der Siebenbiirger Sachsen und die Stadte zuruck. Erst unter dem Konige Sigisinund trat wieder ein Umschwung ein. Die Aufstande der neapolitanischen Partei und die Angriffe der Turken nothigten wieder zur haufigeren Berufung der Stande. Ein Reichstag in Temesv&r im Jahre 1397, zu dem der Konig nicht blofl die Pralaten und Barone, sondern auch aus jedem Comitate vier Adelige als Abgeordnete ihrer Standesgenossen berufen hatte, be- schloss die Erneuerung der Bestimmung, dass der Konig oder im Falle seiner Verhinderung der Palatiu jahrlich eine Reichsversammlung halten und alle Vasallen das Recht haben sollten, dabei zu erscheinen. Auch die Verleihung kirchlicher oder weltlicher Amter an Auslander wurde wieder untersagt. 1 ) Um aber gegen die iibermachtig gewordenen Ma- gnaten, von denen auch die Adeligen vielfach abhangig waren, ein Gegen- gewicht zu erhalten, berief Sigismund auch Vertreter der koniglichen Stadte zu den Reichstagen. Zum erstenmale finden wir 1402 auf einem Reichstage in Presburg neben den n Pralateu, Baronen, Edeln und Grofien" auch die r Stadte" als Mitglieder erwahnt. 2 ) Dadurch wurde die spatere Scheidung des Reichstages in zwei Kammern (Tafeln) angebahnt, in die der Magnaten, bestehend aus den Pralaten uud Reichsbaronen, und in die der Stande (status et ordines), bestehend aus den Abgeordneten des niederen Adels und der Stadte. Schon auf dem Reichstage von 1405 zeigt sich ein Ansatz hiezu, indem der Konig in der Einleitung zu den dort beschlossenen Gesetzen sagt, er habe aus alien Comitaten und aus den Stadten, Flecken und freien Ortschaften, die der koniglichen Gerichts- barkeit unterworfen sind, Abgeordnete berufen und nach Auhorung ihrer Bitten, Forderungen, Aufklarungen, Meinungsaufierungen und Klageu wie *) ,,Geschichte Osterreichs", 2, 359 f. und fur das Folgende 2, 535 ff. ) Die betreffeude Urkunde ap. Fejer, Cod. Hung. X. 4, 136 ist von 12 Pra- laten (10 Bischofen, dem Johanniter-Prior von Vrana und dein Abte von St. Martins- berg), 98 Barouen und Adeligen und den Stadten Presburg und Odenburg besiegelt. Ill nach dem Rathe der Pralaten, Barone und Grofien und nach reiflicher Uberlegung die Gesetze gegeben, durch welche namentlich den Stadten ihre eigene Criminal- und Civilgerichtsbarkeit garantiert und als zweite Instanz dafur der Magister Tavernicorum. als dritte das Gericht des Ko- nigs bestimmt wird. 1 ) Cber dieses Gesetz holte im niimlichen Jahre der Palatin als Ober- gespan des Pester Comitats die Meinung der Versamralung desselben ein, welche es, nachdem Paragraph fur Paragraph durchberathen worden war, als nutzlich fur das Reich einstimmig genehmigte, 2 ) der erste nach- weisbare Fall, wo ein Comitat fiber die vom Reichstage gegebenen Ge- setze sich geaufiert hat. In der Zeit Sigismunds wurde auch die wichtige Stellung des Palatius begriindet, wozu der Umstand beigetragen haben mag, dass Nikolaus von Gara diese Wurde uber drei Jahrzehnte ununterbrochen innegehabt und wahrend der haufigen und oft lange dauernden Abwesen- heit des Konigs neben dem Erzbischofe von Gran die Stelle eines Reichs- verwesers bekleidet hat. Schon ein 1439 unter Sigismunds Schwieger- sohn und Nachfolger Albrecht vom Reichstage gegebenes Gesetz 3 ) be- zeichnet den Palatin als w Richter zwischen dem Volke und dem Konige", verfugt aber zugleich, dass dieser denselben nur nach dem Rathe der Pralaten, Barone und Adeligen sollte ernennen durfen. Dieser Reichstag, zu dem die Stiidte uicht berufeu worden zu sein scheinen, suchte uberhaupt die Rechte des Konigs einzuschraiiken und beschloss, dass dieser sich nicht blofi bei der Vertheidigung des Reiches und bei der Anderung des Geldes, sondern auch bei der Verheiratuug seiner Tochter nach dem Rathe der Unterthanen richteu und keinem Auslander oder Burger ein kirchliches, staatliches oder militarisches Amt oder eine Besitzung uber- tragen sollte. Die folgehde Zeit, wo zuerst dem nachgeborenen Sohne Albrechts, Ladislaus V., ein GegenkSnig in Wladislaw von Polen gegenuberstaud, dann fur den minderjahrigen Ladislaus der vom Reichstage ernannte Johann Hunyady als Gubernator regierte. musste die Bedeutung der Stande noch steigern. Erst als 1458 Hunyadys Sohn Matthias Cor- vinus zum Kouige gewahlt ward, safi wieder ein kraftiger Monarch auf dem Throne. Es wurden zwar auch unter ihm an der Verfassung keiue wesentlichen Anderungen getroffen. Aber er vermochte mit Beobachtung der constitutionellen Formen seinen Willen durchzusetzen. Die Stande selbst legten ubrigens in den spateren Jahren seiner Regieruug auf die ') Sigismundi Decretuin II. im Corpus Jur. Hungar. 2 ) Fejer X. 4, 459. s ) Albert! regis Decretuin .2 im Corpus Jur. Hungar. wie ap. Katona, Hist, crit. Hung., 12, 882 sqq. und Fejer, 11, 243 sqq. 112 wichtigsten Bestimmimgen der Verfassung keinen sehr grofien Wert. Es wurde zwar 1471 neuerdings festgestellt, dass der Reichstag in jedem Jahre einberufen werden sollte. Aber wenige Monate spater richteten die Stande an den Konig die Bitte, in den nachsten zwei Jahren keinen Reichstag abzuhalten. Ja, 1478 bewilligten sie ihm die Steuern fur sechs Jahre, wodurch der wichtigste Grund fur die Berufung wegfiel. Die Formen der Verfassung blieben auch unter den Konigen aus dem Hause der Jagellonen ira wesentlichen dieselben. Aber der Geist war wieder ein anderer, indem unter dem schwachen Wladislaw II. (1490 bis 1516) und dessen jungem Sohne Ludwig II. (1516 1526) die Ma- gnaten, wenn auch vom niederen Adel haufig bekampft, der mafi- gebende Factor wurden. 1 ) Einem ihrer Standesgenossen zuliebe wurde auch im Frfihjahre 1526 das Gesetz gegeben, dass die Wurde des Pa- latins fortan lebenslanglich sein sollte. Einig waren ubrigens die Magnaten und der Adel in dem Streben, ein kraftiges Kouigthuin nicht mehr aufkommen zu lassen. Alle frfiheren Gesetze, welche die Rechte desselben beschrankten, wurden nach dem Tode des Matthias Corvinus erneuert, alle Reformen, besonders auf dem Gebiete des Steuerwesens abgeschafft. Dagegen wurde nach der Unterdruckung des Aufstandes der Bauern im Jahre 1514 der ganze Stand der Freizugigkeit be- raubt, unbedingt den Grundherren unterworfen und zu harten Frohn- diensten (einen Tag in jeder Woche) und zu hohen Abgaben verurtheilt. Da diese Bestimmungen auch in das um diese Zeit vom Protonotar Stephan Verboczy vollendete Gesetzbuch, das Tripartitum opus ju- ris consuetudinarii incliti regni Hungariae", Aufnahrne fanden, das vom Konige bestatigt ward und, ohne formlich als Gesetz publiciert zu werden, fiber drei Jahrhunderte die Kraft eines solchen besafi, so erhielt die Adelsherrschaft eine noch festere rechtliche Grundlage. c) Die Stellung der Kirche zum Staate. Die Kirche wurde schon von Stephan dem Heiligen sehr begfinstigt, und der Clerus erscheint in seinen Gesetzen als ein bevorzugter Stand. Doch ist es der Konig, der die Bisthfimer und Kloster grfindete und die Bischofe ernannte. Auch Ladislaus der Heilige ffihrt 1092 den Vorsitz auf einer Synode, auf der die Bischofe, Abte und weltlichen Grofien des Reiches eine Reihe von Beschlussen fiber Kirchenzucht fassten. Unter Coloman halt der Erzbischof von Gran zwei Synoden ab, welche dem Geiste P. Gregors VII. entsprechend die Gewalt der Bischofe den Laien wie den Geistlichen gegenfiber zu kraftigen und eine strengere Zucht unter dem Clerus wie dem Volke herzustellen suchten und die Naheres in meiner B Geschichte Osterreichs", 3, 416 ff. 514 ff. 113 Forderung aufstellten, dass Streitigkeiten, welche geistliche Personen oder kirchliche Personen betrafen, nur nach canonischem Rechte vom Gerichte des Bischofs entscliieden werden sollten. Aber die Synode stellte ihre Beschlusse nicht als giltige Gesetze hin, sondern bat den Konig, ent- sprechende Verordnungen zu erlassen. Die von Coloman berufene Reichs- versammlung verleiht aber nur einigen unwichtigeren Sy nodal beschlussen Gesetzeskraft. 1 ) Auch verzichtete der Konig 1106 nur auf das Recht, die Bischofe zu investieren, wahrte sich aber die Befugnis, die kirchlichen Wiirdentriiger zu ernennen. Noeh um die Mitte des 13. Jahrhunderts gait es als feststehendes, auch vom Papste anerkanntes Recht, dass bei der Wahl eines Bischofs durch das Capitel die Zustimmung des Konigs eingeholt werden musste. Doch gab Geisa II. dein Papste Alexander III. das Versprechen, dass kein Bischof ohne Genehmigung des romischen Stuhles entsetzt werden sollte, was Stephan III. 1169 auch auf die Abte und Propste der Reichskloster ausdehnte. Unter Bela III. und seinern Sohne Emerich wurden dieEinmischun- gen der Papste in die inneren Verhaltnisse Ungarns immer haufiger, und auch die Besitzungen und Einkiinfte der Bischofe nahmen infolge der Vergabungen der Ko'nige und anderer immer mehr zu. Der Erzbischof von Gran erhielt neben sonstigen groflen Eiuktinften den Zehnten von alien koniglichen Einkiinften, selbst vom Miinzregal. Auch sonst wurde unter den schwacheren Konigen der Clerus mit immer grofieren Vor- rechten begabt. Andreas II. verlieh 1222 gleichzeitig mit der Ertheilung der goldenen Bulle der Geistlichkeit ein eigenes Privileg, durch das er alien Mitgliedern dieses Standes Freiheit von alien Abgaben an den Staat garantierte und den Laien untersagte, einen Priester vor einem welt- lichen Gerichte zu verklagen, wogegen andererseits auch verfugt wurde, dass Geistliche ihr Recht gegen Laien vor dem weltlichen Richter suchen sollten. 2 ) Die Steuerfreiheit der Kirchen und ihrer Hintersassen wurde auch durch das Reichsgesetz von 1290 wie durch spatere Gesetze an- erkannt. Hatten in der zweiten Halfte des 13. Jahrhunderts die Papste in einzelnen Fallen Bischofe ernannt, so geschah dies seit Bonifaz VIII. immer haufiger. Entweder ernannten die Papste dieselben direct, oder sie nahmen wenigstens das Recht der Bestiitigung in Anspruch. 3 ) Selbst Karl Robert und Ludwig I. nmssten sich mit ihren Bitten an den Papst ') Die Synodalbeschliisse unter Ladislaus ap. Endlicher, p. 326 sqq., die unter Coloman p. 349 sqq. 373 sq, Vgl. meine ^Geschichte Osterreichs", 1, 320 f. und 334 ff. Uber die spatere Zeit p. 422 ff. und fur das 14. Jahrhundert Praknoi's Eiuleitung in n Mon. Vatieana Hung.", Ser. I. 3, XXV sqq. 2 ) Endlicher, p. 417. Vgl. meiue B Geschichte Osterreichs", 1, 434 ff. 3 ) Vgl. meine BGeschichte Osterreichs", 2, 200 f. Huber. Osterreichische Bcichsgeschiclite. 8 114 wenden, wenn sie die Erhelmng eines Candidaten auf einen Bischofssitz erwirkon wollten. Auch auf die Abteien, Propsteien und Pfarreien dehnten die Papste ihre Keservationen aus. Als aber der Papst Bonifaz IX. den von den aufstiindischen Ungarn 1403 znm Gegenkonige gewahlten Ladislaus von Neapel oifen begflnstigte, gab Konig Sigismund nach der Unterdriickung der Emporung am 6. April 1404 auf Bitten seiner Unterthanen das Gesetz, dass bei Strafe des Todes und der Giiterconfiscation niemand von den Papsten. Legaten, Cardinalen, Auditoren und anderen Kichtern oder Beamten der romischen Curie ein aintliches Schreiben annehmen, namentlich niemand auf Grund eines solchen ohne aiisdriickliche Erlaubnis des Konigs ein kirchliches Amt annehmen oder verleihen sollte, indem die Besetzung dieser Stellen der Krone vorbehalten wurde. 1 ) Dieses Kecht wurde fortan sowohl von den Standen wie von den Konigen kraftig gewahrt. Als der Papst in der konigslosen Zeit nach Wladislaws I. Tode eine erledigte Stelle be- setzte, erhob der Keichstag 1450 dagegen Protest und schrieb dem Papste, dass er die Kirche eher einem Feinde als einem solchen ^Gaste" offnen wiirde. Ebenso trat Matthias Corvinus alien Versuchen der Papste, mit Berufnng auf Bestimmungen des Kirchenrechtes die Verleihung erledigter Pfriinden vorzunehmen, energisch entgegen. ja er drohte sogar mit dem Abfalle Ungarns von der katholischen Kirche, wenn das konigliche Er- nennungs- und Bestatigungsrecht angefochten wiirde. Die Papste fiigten sich immer dem miichtigen und in anderen Dingen ergebenen Ko'nige, obwohl dieser 1485 einen Knaben von sieben Jahren zum Primas von Ungarn ernannte. 2 ) J ) Katona, 11, 614. Fejer, X. 4, 303. 2 ) Praknoi, Matthias Corviiius, S. 281 ff. 115 Zweite Periode. Die Bildung der osterreicli-ungarischen Monarcliie und deren Geschiclite bis zum Eiioschen dcs Mannsstamnies der Habsburger (15261740). I. Greschichte der Staatsbildunir. I. Die Erwerbung Bbhmens und Ungarns durch das Haus Habsburg. Als Konig Ludwig II. von Bohmen und Ungarn in der Schlacht bei Mohacs am 29. August 1526 den Tod gefunden hatte, erhob sein Schwager Ferdinand von Osterreich theils im eigenen, theils in seiner Gemahlin Namen gleich Anspruche auf dessen Keiche. Beziiglich Bohmens 1 ) stutzte er sein Kecht auf die Erbvertrage, welche die Habsburger seit 1364 wiederholt mit den Konigen von Boh- raen geschlossen hatten. Aber dieselben waren nur mit den Luxemburgern, nicht aber mehr mit den Jagellonen eingegangen worden, konnten also auch nicht mehr fiir die Thronfolge nach dem Erloschen dieses Hauses mafigebend sein. Mit um so grofierem Kechte hielt dagegen Erzher/og Ferdinand an den Anspriichen seiner Gemahlin Anna, der Schwester des letzten Konigs, fest, weil durch ein von Karl IV. 1348 mit Zustimmung der bohmischen Grofien gegebenes Gesetz den bohmischen Standen und den Vertretern der Nebenlander nur fur den Fall, wenn vom koniglichen Stamme weder ein mannlicher noch ein weiblicher Sprosse vorhanden ware, ein Wahlrecht zugesprochen (vgl. S. 77) und dieses Gesetz, wenn auch 6'fter verletzt, doch nie aufgehoben worden war. Auch Konig Wladi- slaw hatte 1510 seine Tochter Anna als legitime Erbin von Bohmen er- klart, wenn sein Sohn Ludwig ohne Erben mit Tod abgienge. 2 ) Aus dem Erbrechte seiner Gemahlin leitete der Erzherzog aber auch ein Erbrecht fur sich selbst ab, weil auch Johann von Luxemburg und Albrecht V. von Osterreich infolge ihrer Heirat mit bohmischen Prin- zessinnen die Krone erlangt hatten. Er glaubte daher ohne weiteres fur sich und seine Gemahlin die Regierung von Bohmen beanspruchen zu *) Siehe 0. Gluth, Die Wahl Ferdinands I. zum KSnige von Bohmen 1526, in n Mitt,heilungen des Vereins fiir Geschichte der Deutscheii in Bohmen", 15, 198 ff. und 271 ff.; A. Eezek, Geschichte der Regierung Ferdinands I. in Bohmen, I. Ferdinands I. Wahl und Eegierungsantritt (Prag, 1878) und meine ^Geschichte Osterreichs", 3, 537 ff. Vgl. n Die hohmischen Landtagsverhaiidlungeu und Landtagsbeschliisse vom Jahre 1526 bis auf die Gegenwart". Herausgeg. von Gindely, 1. Bd. 2 ) Palacky, 5 b , 194 f. 8* 116 koimen und instruierte auch in diesem Sinne die Gesandten, welche er nach Prag schickte. Die bohmischen Stande aber, welche von den obersten Laudes- beamten auf den 5. October nach Prag berufen warden, beanspruchten fur sich das Kecht, den Thron durch Wahl zu besetzeu, weil Ludwig weder mannliche noch weibliche Nachkoinmen hinterlassen habe und das Erbrecht nur auf diese, nicht aber auch auf Seitenverwandte ubergehe. Ferdinands Gemahlin sei auch dadurch ihres Erbrechtes verlustig ge- worden, dass sie noch bei Lebzeiten ihres Vaters ausgestattet und daim verheiratet worden sei. In diesem Sinne legten die Stande auch die Urkunde von 1348 aus. Als Bewerber um den Thron traten neben dem Erzherzoge Fer- dinand mehrere Fursten, darunter auch die Herzoge Wilhelni und Ludwig von Baiem auf, deren Agenten die Zahlung der Landesschulden und be- deutende Summen fur verschiedene Adelige, besonders den einflussreichen Oberstbnrggrafen Zdenko Lew von Rozmital oder Kosenthal in Aussicht stellten. Die 6'sterreichischen Gesandten betonten dem Landtage gegen- uber in erster Linie die Rechte des Erzherzogs und seiner Gemahlin, wiesen aber aufierdem auch auf die Nachbarschaft der Lander, die konig- liche Abstammung Ferdinands und die im Falle der Noth von seinem Bruder, dem Kaiser, zu erwartende Hilfe hin und schlossen mit der Bitte, dass die Stande sich den Erzherzog und seine Gemahlin zu rechten Herren gefallen lassen und annehmen mochten. Auch sonstige Versprechuugen wurden nicht gespart und durch verschiedene Zusicherungen besonders finanzieller Natur zuletzt auch Rozmital gewonnen. Ein Ausschuss von 24 Personen, 8 aus jedem Stande, welchem der Landtag unbedingte Vollmacht ertheilt hatte, wahlte am 23. October einstimmig den Erzherzog Ferdinand, der am folgenden Tage als Konig proclamiert wurde. Doch hatte der Landtag schon fruher eine Reihe von Artikeln be- schlossen, welche der neue Konig vor seiner Kronung bestatigen sollte, und die theilweise den Zweck hatten, die Herrschaft der Stande oder eigentlich der Aristokratie gesetzlich festzustellen. Bei Lebzeiteu des Konigs sollte nieinand, auch nicht sein Sohn, zum Konige gewahlt werden durfen, sodass die Stande bei jeder Thronerledigung Gelegenheit erhielten, dem Nachfolger neue Bedingungen vorznschreiben. Der Konig sollte seinen Hof gewohnlich in Bohinen habeu, im Falle der Entfernuug aus dem Lande aber die Regierung nur Eiugeboreneu, und zwar nach dem Rathe der Stande tibertragen werden. Auch sollte derselbe die Amter in Bohmen und seinen Nebenlandern nur mit Bohmen besetzen und zur Entscheidung bohmischer Augelegenheiten nur bohmische Rathe oder solche aus den Nebenlandern zuziehen. Kein Landesbeamter sollte 117 ohne reclitliches Erkenntnis der ubrigen Beamten, Landrechtsbeisitzer und koniglichen Rathe seiner Stelle entsetzt werden durfen. Endlich sollte der Konig bestatigen, dass die Stande ihn nicht iufolge eiiier Verpflich- tung, sondern aus freiem Willen gewahlt hatten, und sollte auch die Urkunde von 1348 dahin interpretieren, dass nur mannliche Nachkommen oder eine unverheiratete, noch nicht ausgestattete Tochter des letzteu K8nigs ein Erbrecht hatten. Um nicht bei der Fortdauer der Machinationen der Herzoge yon Baiern und ihrer Auhanger noch im letzten Augenblick den Besitz der Krone zu gefahrden, liefi sich Ferdinand zur Erklarung herbei, dass die Stande ihn freiwillig zum Konige gewahlt hatten. und versprach, die bohmischen Stande bei ihren Rechten und Freiheiten zu schutzen und Auslander weder zu Landes- oder Hofamtern uud zu geistlichen oder stiidtischen Wurden zuzulassen, noch mit solchen bohmische Schlosser oder Stadte zu besetzen. Andere Punkte aber, wie die Erlauterung der Urkuude von 1348 im Sinne der Stande, lehnte er ab. Tiber einige Fragen wollte er bei Gelegenheit der Kronung, die am 24. Februar 1527 erfolgte, mit dem Landtage noch weiter verhandeln. Da es auch in Boh- men eine Partei gab, welche gegen eine weitere Schwachung der konig- lichen Gewalt war, so setzte Ferdinand in mehreren wichtigen Punkten eine Abanderung der friiheren Landtagsbeschlusse durch. Die Stande gaben zu, dass, wenn der Konig einen volljahrigen Sohn hatte, dieser noch bei Lebzeiten des Vaters gekront werden durfe. Bei Er- setzung untauglicher Landesbearnten sollte der Konig nicht an die Zu- stiuimung der iibrigen Beamten, koniglichen Rathe und Landreehtsbei- sitzer gebunden sein, sondern nur ihren Rath einholen. Auch die Bei- ziehuug frenider Rathe bei der Verwaltung der bohmischen Finanzen liefien sich die Stande gefallen. Hatte Erzherzog Ferdinand trotz der Anspriiche seiner Gemahliu thatsachlich nur durch Wahl die Krone von Bohmeu erlangt, so erkannten die Stande der Nebenlander, Mahrens, Schlesiens und der Lausitz, Anna als Erbin und infolge dessen auch ihren Gatten als Herrn an. Auch in Ungarn gelaugte das Hans Habsburg nur durch Wahl auf den Thron. 1 ) Erzherzog Ferdinand glaubte anfaugs als Gemahl der Tochter Wladislaws II. Ungarn ohne weiteres in Besitz nehmen zu komien. Aber wenu auch die Tochter Ludwigs I. und Sigismuuds wie deren Gatteii als Herrscher anerkannt worden waren, so hatte doch nach dem Tode des ') Vgl. init den von W. Frakuoi herausgegebenen B Monumeuta comitialia regui Hungariae", T. I., und dessen (ungarischen) Einleitungen St. Smolka, Ferdinands I. Be- mlihungen um die Krone voii Ungarn (Archiv fur osterreichische Geschichte, 57. Bd.) wie meiiie Geschichte Osterreichs", 3, 549 ff. und die dort angefiihrteu Belege. 118 Ladislaus Postuinus der ungarische Reichstag ein Erbrecht der Schwestern desselben nicht mehr auerkannt und einen Konig gewahlt. *) In Ungarn gab es auch kein Gesetz, auf das sich Ferdinand zu Gunsteu seiner Ge- mahliii hatte berufen konnen. Ja, die Friedensvertrage von 1463 und 1491 zwischen Osterreich und Ungarn schlossen die weiblichen Glieder geradezu von der Thronfolge aus, indem sie den Habsburgern schon beim Mangel von mannlichen Nachkommen des Konigs die Nachfolge zusicherteu. Diese Vertrage waren fur die Anspruche Ferdinands entscheidend ge- wesen. Aber die Ungarn erklarten, die betreffende Bestimniung des Presburger Friedens sei ohne Rechtskraft. weil der Reichstag dazu seine Zustimmuug nicht gegeben habe. Man konnte leider diese Behauptung nicht widerlegen, weil die Urkunde, durch welche die ungarischen Stande obigen Artikel genehraigt hatten, VOID Kaiser Max dem Rathe von Augsburg zur Aufbewahrung ubergeben worden und in Vergessenheit ge- rathen war. In Ungarn standen sich seit langem zweiParteien feindlich gegen- iiber, die der Magnaten, welche dem Hofe nahe stand, aber durch die Niederlage bei Mohacs sehr zusamraengeschwunden war, und die des niederen Adels unter Fuhrung des Johanii Zapolya, Wojwoden von Sieben- biirgen, welche eiue entschieden oppositionelle Stellung einuahm. Letztere hielt schon Mitte October eine Versammlung in Tokaj, wo man auf den 5. November zur Vornahme der Konigswahl einen Reichstag nach Stuhlweifienburg auszuschreiben beschloss, indem man zugleich alle Nichterscheinenden mit der Strafe des Landesverrathes bedrohte. Unter- dessen wurde fur Zapolya, der schon langst nach der Krone gestrebt, eifrig Propaganda gemacht. Der Reichstag, auf dem sich eine heftige Abneigung gegen die Deutschen gelteud machte, legte besonderes Gewicht auf den Reichstagsbeschluss von 1505, dass nie mehr eiu Auslaiider, sondern nur ein geborener Ungar zum Konig gewahlt werden sollte. Da der Reichstag fast nur von Anhaugern Zapolya's besucht war, wurde dieser am 10. November 1526 als Konig ausgerufen und am folgenden Tage vom Bischofe von Neutra gekront. Ganz Ungarn bis auf einen kleinen Streifen im Westen und Siebenburgen war in seinen Handen. Fur Ferdinand von Osterreich war es von grofiem Vortheile, dass nicht blofi seine Schwester Maria, die Witwe Ludwigs II., nach Kraften fur ihn wirkte, sondern dass sich auch der Palatin Stephan BtUhory auf seine Seite stellte, weil nach der ungarischen Verfassung nur dieser als Stellvertreter des Konigs das Recht hatte, in gesetzlicher Weise einen Reichstag eiuzuberufen. Dieser wurde von der Konigin-Witwe und dem J ) Vgl. S. 100 und iiber die Vertrage von 1463 und 1491 S. 101, iiber den Reichs- tagsbeschluss von 1505 S. 102. 119 Palatin auf den 25. November nach Komorn ausgeschrieben, trat aber, da unterdessen diese Stadt in die Gewalt Zapolyas fiel, in Presburg, und zwar erst im December zusammen. Uin die Zahl seiner Anhiinger zu verrnehren, hatte Ferdinand ver- sprochen, die Ungarn bei ihren Freiheiten und Gesetzen zu lassen, die goldene Bulle Andreas' II. zu beobachten, Auslander nicht in den uu- garischen Rath aufzunehmen und ihnen keine Amter und kirchlichen Wiirden zu verleihen. Trotzdem wurde der Reichstag wenig besucht, weil der grofite Theil des Reiches in der Gewalt Zapolyas war und man sich durch offenes Auftreten zu Gunsten Ferdinands den grofiten Gefahren ausgesetzt hatte. Von hervorragenden Magnaten waren nur zwei Bischofe, der Palatin und der Ban von Croatien anwesend. Zu Gunsten Ferdinands wurde geltend gemacht, dass friiher 6'fter ein Kouig durch Vermahlung init einer uugarischeu Prinzessin oder durch Verwandtschaft von weib- licher Seite auf den Thron gekommen sei, dass er vermoge der Vertrage von 1463 und 1491 Anspruch auf Ungarn erheben konnte, dass nur er die Macht habe, das Reich gegen die Tiirken zu schutzen und die ver- lorenen Grenzfestungen zuriickzuerobern. Nachdem hierauf der Reichstag in Stuhlweifienburg, weil er nicht vom Palatin einberufen worden, mit alien seinen Beschlussen fiir uugesetzlich erklart worden war, wurde Ferdinand am 17. December einstimmig zum Konige gewahlt. Diesem Beschlusse trat am 1. Januer 1527 auch der Landtag von Croatien bei, der aber auch auf die fruheren Vertrage mit Oster- reich Gewicht legte. Dagegen wahlte der Landtag von Slavonieu, worunter man damals die Comitate Agram, Kreuz und Warasdin ver- stand, am 8. Janner Zapolya zum Konige, indem er sich namentlich auf den Reichstagsbeschluss von 1505 berief. Ferdinand I. besafi aufangs von Ungarn nur die Stadte Presburg, Altenburg und Odenburg, wahrend Zapolya Herr des Reiches war. Aber dieser begieng den Fehler, am 14. April einen zweimonatlichen Waff en- still stand zu schliefien, der dem Konige Ferdinand Zeit liefi, mit Sub- sidien Bohmeus und der Erblande und mit 100.000 Ducaten, die ihin sein Bruder K. Karl V. sendete, ein kleines, aber tiichtiges Heer zu sam- rneln, mit welchem er am 31. Juli die ungarische Grenze iiberschritt. Da Zapolya zur Abwehr seines Gegners gar nichts gethan hatte, so drang Ferdinand fast ohue Widerstand bis Of en vor, wo er am 23. August seinen Einzug hielt. Nachdem Zapolya am 27. September vom Grafen Niklas Salm bei Tokaj geschlageu und zur Flucht nach Sieben- burgen gezwungen wordeii war, faudeu sich auf dem von Ferdinand nach Ofen ausgeschriebenen Reichstage auch die hervorragendsten Anhanger Zapolyas ein. Am 7. October wurde Ferdinand von demselben als Konig anerkannt und am 3. November in Stuhlweifienburg gekront. 120 Auch die Stiinde Slavouiens imd eine Versammlung der drei Nationen Siebenbiirgens (Ungarn, Szekler imd Sachsen) erkannten jetzt Ferdinand als Konig an. Zapolya wurde nach einer neuen Niederlage bei Szina uuweit Kaschau (20. Miirz 1528) znr Flncht nach Polen gezwuugen. 2. Die Kampfe urn Ungarn und Siebenbiirgen (1528 1739). War durch die Vereinigung Bohrnens imd Ungarns mit den deutsch- osterreichischen Landern die heutige Monarchie in ihrer aufieren Gestalt geschaffen, so hatte das Hans Habsburg um den Besitz des ungarischen Reiches einen mehr als anderthalbhundertjahrigen Kampf zu bestehen. Zapolya schickte schon Eude 1527 einen Gesandten an den Sultan Suleiman II. nach Coustantinopel, welcher ihm die Kechte auf Ungarn abtrat. die er durch die vorubergehende Besetzung eines Theiles dieses Reiches ini Jahre 1526 erlangt zu haben glaubte, und ihm seinen Bei- stand versprach. Im Jahre 1529 unternahm der Sultan mit einem ge- waltigen Heere einen Feldzug gegen Osterreich zur Unterstutzuug seines Schiitzlings, welcher irn Herbste 1528 selbst mit ehemaligen Anhaiigern und polnischen Soldnern wieder in Ungarn eingebrochen war und einen Theil dieses Landes und Siebenburgens in seine Gewalt gebracht hatte. Die Hauptstadt Ofen wurde von den Tiirken erobert, Johann Zapolya von ihnen als Konig eingesetzt. Zwar misslang die Belagerung Wiens, aber der groflte Theil Ungarns wie Siebenburgens blieb in Zapolyas Hiinden. Nach rnehrjahrigen Kampfen wurde am 24. Februar 1538 zwischen Ferdinand I. und Zapolya der Friede von Grofiwardein ge- schlossen, wornach dieser Siebenburgen und den von ihm behaupteteu grofieren Theil Ungarns mit dern Konigstitel behalten, nach seinem Tode aber das ganze Eeich an den Konig Ferdinand fallen sollte. Als aber Zapolya am 21. Juli 1540 starb, setzten seine Witwe Isabella von Polen und seine Rathe, wie er selbst gewuuscht, es durch, dass sein zwei Wochen alter Sohn Johann Sigismund von den meisten seiner Anhanger zum Konige ausgerufen wurde, und dass auch der Sultan diesem seine Unterstiitzung zusagte. Als im Jahre 1541 ein osterreichi- sches Heer Ofen belagerte, entsetzten die Tiirken diese Stadt. Aber Suleiman II. nahm dann diese wie die gauze Mitte des Reiches selbst in Besitz und uberliefi der Konigin Isabella und ihrem Sohne uur noch Siebenburgen und das Land jenseits der Theifi, und zwar nur als tiirkisches Sandschakat mit der Verpflichtung, einen jahrlichen Tribut von 10.000 Ducaten zu zahlen. Die folgenden Kriege brachten dem Konige Ferdinand neue Ver- luste. Als am 19. Juni 1547 ein Waffenstillstand abgeschlossen wurde, waren das ostliche Slavonien und ein grofier Theil Ungarns zu beiden Seiten der Donau bis uber Hatvan und Totis hiuaus, von der unteren 121 Theifl bis fiber Fiinfkirchen, bis zum nordOstlichen Ende des Plattensees uud zum Vertes-Gebirge in den Handen der Turken, Siebenburgen, das ostliche Ungarn bis oberhalb Debrec/in und das Coniitat Abauj niit der Stadt Kaschau irn Besitze Isabellas und ihres Sohnes. Nur den nord- westlichen Theil Croatiens, den Westen des alien Slavonien (ungefahr bis zur Illova) und den Westen und Norden Ungarns hatte Ferdinand I. zu behaupten vermocht, wofur er aber dem Sultan ein jahrliches r Ge- schenk" von 30.000 Ducaten schicken musste. 1 ) Am 19. Juli 1551 musste zwar die Konigin Isabella Siebenburgen und das ostliche Ungarn gegen das schlesische Furstenthum Oppeln an deii Ko'nig Ferdinand abtreten. Aber dies hatte einen neuen Krieg mit den T (irk en zur Folge, welche Temesvdr init dem ganzen Gebiete am linken Ufer der Maros, die Stadt Veszprim, Szolnok und das Thai der Ipoly eroberten. 1556 gieng auch Siebenburgen wieder an Isabella und ihren Sohn verloren; nur Gyula, Szegedin, Debreczin und Szathmar wurden jenseits der Theifi von den Kaiserlichen behauptet. Am 1. Juni 1562 wurde mit der Pforte wieder ein Friede aufacht Jahre geschlossen, nach welchem auch das bisherige ,,Ehrengeschenk" an den Sultan fort- gezahlt werden musste. Nach Ferdinands I. Tode (1564) begann der Furst Johann Sigis- mund von Siebenburgen die Feindseligkeiten gegen K. Maximilian II. Als er diesem nicht gewachseii war, nahm sich Suleiman II. seiner an und zog 1566 selbst gegen Ungarn. Vor dem von Niklas Zriny helden- iniithig vertheidigten Sziget starb derselbe. Aber diese Festung wurde doch erstiirmt und auch die letzten Platze jenseits der mittleren Theifi und der Uuna giengen fur den Kaiser verloren, wfthrend dessen Truppen nur Totis und Veszprim eingenommen hatten. Szathmar, Tokaj, Erlau, Leveuz, Neuhausel, Komorn, Totis, Palota, Veszprim und Kanizsa bildeten seit dem achtjahrigen Frieden von 1568, der dann ofter erneuert wurde, die Endpunkte des osterreichischen Gebietes in Ungarn. Der Krieg brach 1593 wieder aus, als auf einem der Kaubzuge, welche die Turken auch wahrend des Friedens sehr oft unternahmen, der Pascha von Bosnien bei Sissek eine vollstandige Niederlage erlitt. Drei- zehn Jahre dauerte dieser Krieg mit wechselndem Gliicke fort. Anfangs waren die Osterreicher im ganzen im Vortheil, welche voriibergehend sogar Siebenburgeu wieder gewannen. Erst der Aufstand Bocskays 1604 verschaffte den Tflrken das Ubergewicht. Der Friede von Zsitva Torok (11. November 1606) entsprach dem augenblicklichen Besitzstande. J ) Uber den ersten Tiirkenkrieg unter Ferdinand I. siehe meine B Geschichte Osterreichs", 4, 3 93, iiber den zweiten S. 159195, tiber den unter Maiimilian II. S. 249 264, unter Eudolfll. S. 374 471. 122 Die Tiirkeu hatten die Festungen Erlau, Totis, Veszprira, Kanizsa und Bihatsch, der Kaiser Waitzen, Neograd und andere Platze iin Thale der Eipel gewonnen. Auch erkanute der Sultan dem Kaiser jetzt gleichen Rang zu und verzichtete auf das von diesem bisher bezahlte ,,Ehren- gescheuk". Dagegen musste der Kaiser an Bocskay, den die Siebeu- bilrger zu ihrem Fiirsten gewahlt hatten, im Wiener Frieden (23. Juui 1606) uicht blofi jene ungarischen Coraitate, welche schon seine Vorganger behauptet hatten (Zarand, Bihar, Mittel-Szolnok und Marmaros), sondern noch drei weitere (Szathmar, Beregh und Ugocsa). also fast alle Gebiete jenseits der TheiB, und die Stadt Tokaj abtreten. Zwar sollteu diese nach Bocskays kinderlosera Tode (er starb am 29. December 1606) an Ungarn zuruckfallen und auch Siebenburgen unter der Oberhoheit des Konigs bleiben. Aber diese bestand hochstens in der Theorie fort, und die schon vor 1606 mit Siebenburgen vereinigten Comitate vermochte der Kaiser nicht in seine Gewalt zu bringen. Ja, als der Fiirst Beth- len Gabor den Aufstand der Bohmeu und die Unzufriedenheit in Un- garii benutzte, um sich 1619 eines grofien Theiles dieses Reiches zu be- machtigen, musste ihm K. Ferdinand II. im Frieden von Nikolsburg (6. Janner 1622) sieben weitere Comitate (Szathmar, Szabolcs, Ugocsa, Beregh, Zemplin, Borsod und Abauj) iiberlassen, sodass dessen Herrschaft im Westen bis fiber Kaschau hinaus reichte. Nach Bethlens Tode (15. No- vember 1629) kamen diese sieben Comitate wieder an Ungarn zurfick. Aber Georg Rdkoczy, der im Bunde mit den Schweden den Kaiser be- kriegte, erzwang im Wiener Frieden (1645) deren Wiederabtretung. Szathmar und Szabolcs blieben auch nach seinem Tode (1648) bei Sieben- burgen. Um dieses Land vor der Unterwerfung durch die Tiirken zu schutzen, schickte K. Leopold I. dem Ffirsten Johann Kemeny im Jahre 1661 ein Heer unter Montecuccoli zuhilfe. Dies hatte einen neuen Krieg mit den Turk en zur Folge, welche 1663 die Festungen Neuhausel und Neograd eroberten, aber 1664 durch Montecuccoli eine Niederlage bei St. Gotthard erlitten. Da aber die kaiserliche Regierung dies nur zur Herstellung eines Friedens (in Vasvar 10. August 1664) auf Grund- lage des augenblicklichen Besitzstandes benutzte, so blieben jene Festungen wie Grofiwardein, welches den Siebeuburgern entrissen worden war, in den Handen der Turken. Wiederholte Aufstande unzufriedener Ungarn. an deren Spitze sich 1678 Emerich Tokoly stellte, veranlassten 1683 neuerdings eiuen Au- griff der Turken, welche zum zweitenmale Wien belagerten, aber hier am 12. September durch die vereinigten Kaiserlichen, Reichstruppeu und Polen eine vollstandige Niederlage erlitten. Der nun folgende Krieg fiihrte einen vollstandigen Urnschwung der Verhaltuisse herbei. Die 123 Fiihrer der Kaiserlichen, zuerst der Herzog Karl von Lothringen, dann der Markgraf Ludwig von Baden, zuletzt Prinz Eugen von Savoyeu, er- fochteu, anfangs anch von Reichstruppeu unterstutzt, eine Reihe glan- zender Siege, 1685 bei Gran, 1687 am Berge Harkdny sudlich von Mohacs, 1691 bei Szalankemen, 1697 bei Zenta, und entrissen den Tfir- ken eine Festung nach der anderen. Auch Siebenburgen wurde von den Osterreichern besetzt und der junge Furst Michael II. Apafy 1696 bewogen, gegen eine jahrliche Kente und den Titel eines Reichsfursten sein Land dem Kaiser abzutreten. Im Frieden von Carlowitz (26.Jan- ner 1699) verzichtete die Pforte auf Ungarn mit Ausnahme des Gebietes zwischen der TheiB und Maros, auf Siebenburgen, auf Croatien bis zur Unna und auf Slavonien mit Ausnahme eines kleinen Theiles im Osten. Als die Tiirken 1715 den Venetianern die ihnen im Frieden von Carlowitz abgetretene Halbinsel Morea wieder entrissen, nahm sich der Kaiser seiner fruheren Verbundeten an. Prinz Eugen brachte jenen 1716 eine vollstandige Niederlage bei Peterwardein, 1717 bei Belgrad bei und zwang diese Festung zur Capitulation. Im Frieden von Passarowitz (21. Juli 1718) trat die Turkei Temesvdr mit seinem ganzen Gebiete sudlich von der Maros, welches nun als ,,Banat" organisiert wurde, den Rest von Slavonien, die kleine Walachei westlich von der Aluta, das uordliche Serbien bis zimi Timok und zum westlichen Arme der Morawa und einen schmalen Landstrich von Bosnien am rechten Ufer der Save an Osterreich ab. Doch giengen in dem unglucklichen Kriege, den K. Karl VI. 1736 als Verbiindeter Eusslands begann, die bosnischen und serbischen Gebiete wie die kleine Walachei wieder verloren. Seit dem Frieden von Belgrad (18. September 1739) bildete der Lauf der un- teren Unua, Save und Donau bis Orsowa die Grenze zwischeu Osterreich und der Turkei. 3. Die Gebietserwerbungen K. Ferdinands I. in Deutschland. -- Der Heimfall der schlesischen Fiirstenthiimer. Die territorialen Folgen des dreifiigjahrigen Krieges. Die Gebietserwerbungen, welche Osterreich vom Regierungsantritte Ferdinands I. bis zuin Erlo'schen des Hauses Habsburg in Deutschland machte, waren nicht bedeutend. Nur die Reichsstadt Constanz ward gewonnen, welche wegen ihrer Theilnahme am schmalkaldischeu Kriege vom K. Karl V. geachtet wurde und sich danu, um grofiere Nachtheile zu verhiiten, am 15. October 1548 dem Konige Ferdinand unterwarf. Da- gegeu gieng Wiirtemberg, welches diesem von Karl V. im Brusseler Vertrage uberlassen worden war, 1534 wieder an den Herzog Ulrich ver- loren, und im Friedeu von Kaaden (29. Juni) verzichtete Ferdinand I. auf dieses Land unter der Bediiigung, dass es osterreichisches Afterlehen 124 bliebe. K. Kudolf II. verzichtete am 24. Janner 1599 gegen 400.000 Gul- den auch auf die Lehenshoheit, und es wnrde nur fur den Fall des Aus- sterbens des Mannsstammes dem Hause Habsburg die Nachfolge vor- behalteu. Unter Ferdinand I. kam auch der groflere Theil Schlesiens in den unmittelbaren Besitz der Krone. 1548 erwarb dieser das 1472 an Sachsen verkaufte Herzogthum Sagan vom Kurfiirsten Moriz gegen eine aiider- weitige Entschadigung. Die Furstenthumer Oppeln und Eatibor, welche 1532 durch den Tod des letzten Herzogs erledigt wurden, fielen an den Konig. Der Markgraf Georg von Brandenburg- Ansbach, welch er auf Grund friiherer Vertrage darauf Anspruehe erheben konnte, erhielt die- selben nur als Pfand, und dessen Sohn wurde 1552 mit einer Geldsumme abgefunden. 1 ) Auch das Herzogthum Jagerndorf, welches der Mark- graf Georg 1523 durch Kauf erworben hatte, hatte nach dem kinderlosen Tode seines Sohnes Georg Friedrich (1603) an die Krone zuruckfallen sollen. Doch war K. Kudolf II. zu schwach, um dasselbe dem Kur- fiirsten Joachim Friedrich, dem es jener vermacht hatte, und dessen zAveitem Sohne Johann Georg streitig zu macheu. 2 ) Erst als dieser wegen seiner Theilnahme am Aufstande der Bohmen in die Acht erklart wurde, zog K. Ferdinand II. 1622 Jagerndorf ein, belehnte aber damit den Fursten Karl von Liechtenstein, welchem er schon 1614 das Herzogthum Troppau als Mannslehen verliehen hatte. Doch erhielt dieser nicht mehr alle landesfurstlichen Kechte, und unter seinen Nachkommen wurden diese immer mehr beschrankt. 3 ) Im Jahre 1653 fiel das Herzogthum Tescheu, 1675 auch die letzten schlesischen Vasallenfurstenthumer Liegnitz, Brieg uud Wohlau nach dem kinderlosen Tode des Herzogs Georg Wilhelni an die Krone zuriick. Auf diese machte zwar der Kurf first von Brandenburg Kechte geltend, weil einer der Vorfahren des Herzogs 1537 mit dem damaligeu Kur- fursten einen Vertrag geschlossen hatte, wornach im Falle des Aus- sterbens des Mannsstammes der Herzoge diese Gebiete an die branden- burgische Kurlinie kommen sollten. Aber die bohmischen Stande, welchen Konig Wladislaw 1510 in einem Majestatsbriefe das Versprechen gegeben hatte, dass kein zur bohmischen Krone gehoriges Land, namentlich kein schlesisches Furstenthum mehr weiter verlieheu werden sollte, hatten ihre Zustimmung zu obigem Vertrage verweigert und Ferdinand I. deuselbeu *) liber diese schlesischen Furstenthiiiner und die dabei in Betracht koinniendeu llechtsfragen siehe meine B Geschichte Osterreichs", 4, 204 ff. 2 ) Biermann, Geschichte der Herzogthiimer Troppau und Jagerndorf, S. 317 f. 343 ff. 3 ) Biermann S. 579 ff. 125 auf ihre Klage fur ungiltig erklart. 1 ) K. Leopold I. wies daher die An- spriiche des Kurfiirsten von Brandenburg auf die erwahnten drei Fursten- thiimer ebenso zuriick wie die Forderungen desselben auf Jagerndorf, indem er sich, wie schon Ferdinand III., nur zu einer Geldentschadigung bereit erklarte. Erst am 22. Miirz 1686, wo durch die tlbergriffe Lud- wigs XIV. von Frankreich beide Theile einander naher gebracht wurden, kam es zu einera Vertrage, wornach der Kurfurst Friedrich Wilholm gegeu die Abtretung des Schwiebuser Kreises und einer Li echten- stein'scheu Schuldforderung auf Ostfriesland 2 ) seinen Anspriichen auf die schlesischen Furstenthumer entsagte. Doch hatte Leopold I. wegen seiner Verpflichtung, von Bohmen nichts zu veraufiern, auch diese Gebietsab- tretung verweigert, wenn sich nicht der Kurprinz Friedrich, der um jeden Preis ein Buudnis mit dem Kaiser zustande zu bringen suchte, yom kaiser- lichen Gesandten Fridag zur Ausstellung eines geheimen Reverses hatte bewegen lassen, worin er sich verpflichtete, nach dem Tode seines Vaters Schwiebus gegen einige kleinere Giiter oder eine Summe von 100.000 Reichsthalern sofort an den Kaiser zuruckzustellen. Doch hat er dann nach seiuem Regierungsantritte (1688) noch sieben Jahre, bis anfangs 1695, mit der Herausgabe dieses Gebietes gezogert und nur gegen andere Vortheile, namentlich die Anwartschaft auf Ostfriesland, in dieselbe ge- willigt. 3 ) Fuhrten der bohmische Aufstand und der daraus hervorgehende drei- fiigjahrige Krieg zur Erwerbung des Herzogthums Jagerndorf, so hatten sie andererseits viel bedeutendere Verluste zur Folge. Um die Unter- stiitzung des Kurfiirsten Johann Georg von Sachsen gegen die Aufstan- dischen zu erlangeu, musste K. Ferdinand II. demselben 1620 das Ver- sprechen geben, dass er ihm bis zum Ersatz der Kriegskosteu die beide n Lausitzen verpfanden werde. Der Kurfurst berechnete die Kosten auf 5,153.982 Gulden, 4 ) woffir ihm 1623 dieses Land uberlassen ward. Im westfiilischen Frieden (24. October 1648) musste Osterreich an Frankreich gegen 3,000.000 Livres die Landgrafschaft Ober- und Niederelsass, die Landvogtei fiber die zehn elsassischen Reichsstadte, *) Siehe hieriiber Griinhagen, Geschichte Scblcsiens, 2, 60 ff. und fiber die Recbtsfrage meine Gegenbenierkungen in n Geschicbte Osterreicbs", 4, 205 f. 2 ) Statt der Ubertragung dieser zahlte der Kaiser 1688 240.000 Reichsthaler. 3 ) Gegen die Ausicht preufiiscber Historiker wie Ranke, Zwolf Bficber preuBi- scher Gescbichte, S. 360 ff. und 421 ff., uud Droysen, Gescbichte der preuBischeu Poli- tik, III. 3, 817 ff. (vgl. aucb Grfinhagen, Geschichte des ersten schlesischen Krieges, 1, 127 ff.), wornach der Kurprinz durch falsche Vorspiegeliuigen zur Ausstellung des Reverses bcwogen wordeu sei, siehe die acteninaBige Darstellung bei Pfibram, Oster- reich und Brandenburg 1685 1686, S. 33 ff. und in dessen n Osterreich und Branden- burg 1688 1700", S. 6 ff. 35 ff. 59. 69 ff. 102 ff. 4 ) Nach Hurter, Ferdinand II., 8, 552. 126 den Sundgau und die Festung (Alt-) Breisach abtreten. Doch wurde diese Stadt, wie das im Frieden von Nymwegen (5. Februar 1679) an Frankreich iiberlassene Freiburg im Breisgau im Frieden von Rys- wick (30. October 1697) wieder an Osterreich zuriickgegeben. 4. Der spanische Erbfolgekrieg (1701 1714) und der Kampf urn die Nachfolge in Polen (17331735). Als der Mannsstamm der spanischen Linie des Hauses Habsburg mit Karl II. am 1. November 1700 eiiosch, waren nach den spanischen Gesetzen die weiblichen Glieder oder deren Nachkommen zur Nach- folge berufen. Aber von den Schwestern Karls II. hatte die altere, Maria Theresia, Gemahlin Ludwigs XIV. von Frankreich, bei ihrer Vermahlung ausdrucklich auf ihr Erbrecht verzichten miissen, die jiingere, Margareta Theresia, die Gemahlin K. Leopolds L, nur eine Tochter, Maria Antonia, hinterlassen, welche von ihrem Gatten, dem Kurfiirsten Max Emanuel von Baiern, einen Sohn Josef Ferdinand gehabt hatte. aber wie dieser selbst (1699) noch vor dem spanischen Konige gestorben war. Das Erb- recht gieng daher auf die Nachkommen der Schwestern Philipps IV., des Vaters Karls II., zuruck, von welchen die altere, Anna Maria, mit dem Konige Ludwig XIII. von Frankreich, die jiingere Maria Anna mit dem Kaiser Ferdinand III. vermahlt gewesen war. Auch von diesen hatte die altere auf ihre Thronrechte verzichtet, wahrend sie der jiingeren, der Mutter K. Leopolds L, ausdrucklich vorbehalten worden waren. Dieser ware also der berechtigte Erbe des spanischen Keiches gewesen, und er hatte zum Herrn desselben seinen zweiten Sohn Karl bestimmt. Aber Ludwig XIV. erklarte die Verzichtleistung seiner Gemahlin aus verschiedenen Griinden fur ungiltig und setzte es dnrch, dass der todkranke Karl II. am 3. October 1700 ein Testament unterzeichnete, worm der zweite Sohn des franzosischeii Dauphins Herzog Philipp von Anjou als erster Erbe eingesetzt war. Der Kaiser bestritt die Giltigkeit dieses Testamentes, weil dadurch spanische Grundgesetze und die Eechte Dritter verletzt wiirden, und be- gann 1701 den Krieg, um wenigstens die Rechte des Reiches auf die Reichsleheu in Italien, besonders das Herzogthum Mailand zur Geltung zu bringen. Da ihm das zum Konigreiche erhobene Preufien schon friiher seine Unterstutzung zugesichert hatte, bald (7. September 1701) die See- machte England und Holland mit ihm ein Biindnis schlossen und end- lich auch das deutsche Reich an Frankreich den Krieg erklarte, so er- litten die Franzosen nach einigen anfanglichen Vortheilen durch die Verbundeten unter dem Prinzen Eugen von Savoyen und dem Herzoge von Marlborough eine Reihe schwerer Niederlagen, 1704 bei Hochstadt, 1706 bei Ramillies und Turin, 1708 bei Audenarde, 1709 bei Malplaquet. 127 Die spanischen Besitzungen in Italien und in den Niederlanden und ein Theil Spaniens, wohin sich Erzherzog Karl 1704 auf einer hollandisch- englischen Flotte begeben hatte, wurden von den Verbiindeten erobert. Als sich aber England infolge eines Ministerwechsels zu einem Separat- frieden und gegen grofie Vortheile zur Anerkennung Philipps von Anjou als Konig von Spanien entschloss und sich dem von ihm 1713 in Utrecht geschlossenen Fried en auch Holland, Preufien und die spater der Coa- lition beigetretenen kleineren Staaten, Portugal und Savoyen, anschlossen, so liefien sich die Anspriiche Karls, der nach dem Tode seines Bruders Josef I. (17. April 1711) Herr der osterreichischen Lander und deutscher Kaiser geworden war, nicht mehr im vollen Umfange aufrechthalten. Doch erhielt Karl VI. im Frieden von Rastatt (7. Marz 1714) die spanischen Niederlande, Mailand, Neapel, Sardinien, die spanischen Pliitze an der Kiiste von Toscana und Mantua, dessen Herzog wegen seiner Ver- bindung mit Frankreich vom Kaiser geachtet worden, und 1708 ge- storben war. Als Philipp V. von Spanien, der mit dem Kaiser uninittelbar noch gar nicht Frieden geschlossen hatte, 1717 einen Versuch machte, einen Theil der italienischen Besitzungen wieder zuriickzuerobern, und der Her- zog Victor Amadeus von Savoyen diese Bestrebungen im geheimen unter- stiitzte, trat der Kaiser am 2. August 1718 der von England, Frankreich und Holland geschlossenen Allianz, die nun den Namen Quadrupel- allianz erhielt, bei, und der Herzog von Savoyen wurde gezwungen, dem Kaiser Sicilien zu uberlassen, wofur er mit Sardinien und dem Konigs- titel abgefunden wurde. Auch Philipp V. wurde (1720) zur Verzicht- leistung auf die Nebenlande genothigt, wogegen die verbundeten Machte die Anwartschaft seines Sohnes Don Carlos aus seiner zweiteu Ehe mit Elisabeth von Parma auf Parma uud Toscana anerkaiinten, wo die regie- renden Linien dem Aussterben nahe waren. Doch gieng der grofiere Theil der Besitzungen des Kaisers in Italien bald wieder verloren. K. Karl VI. unterstfltzte nach dem Tode des polnischen Konigs August II. (1. Februar 1733) im Einvernehmen mit Russland und Eng- land die Wahl seines gleichnamigen Sohnes, wahrend die Mehrzahl der Polen fur Stanislaus Lesczinski, den Schwiegervater Ludwigs XV. von Frankreich, war. Als dieser wirklich gewahlt, aber durch ein russisches Heer vertrieben und August III. von Sachsen auf den Thron gesetzt wurde, benutzte dies Frankreich, urn im Bunde rnit Savoyen und Spanien die italienischen Besitzuugen des Kaisers anzugreifen. Von den ver- btindeten Seemachten im Stich gelassen, von Russland erst spat unter- stiitzt, war Osterreich den Feinden nicht gewachsen. Nach den am 3. October 1735 zwischen dem Kaiser und dem Konige von Frankreich 128 geschlossenen Friedenspraliminarien, dem Wiener ,,Tractat", welchem der Wiener ,,Friede" erst am 18. November 1738 folgte, 1 ) trat der Kaiser an Savoyen die mailandischen Gebiete von Novara und Tortona, an Don Carlos die Ko'nigreiche Neapel imd Sicilien mit den Platzen an der Kiiste yon Toscana ab, erhielt aber dafiir die Herzogthiimer Parma und Piacenza, Toscana wurde (1737) dem Herzoge Franz von Lothringen (seit 12. Februar 1736 Gemahl der Erzherzogin Maria Theresia, der Erbin Osterreichs) zur Entschadigung fiir sein Stammherzogthum uberlassen, welches vorlaufig an Stanislaus Lesczinski gegeben ward, nach dessen Tode aber an Frankreich fallen sollte. II. (xeschichte des iiffentlichen Rechtes 1526 1740. a) Die Erbfolge. I. Die Thronfolge in Ungarn. Obwohl Ferdinand I. nur durch Wahl auf den ungarischen Thron gelangt war, so dachten die Ungarn nicht daran, ein unbedingtes Wahl- recht in Anspruch zu nehmen. Im Jahre 1547 erklarte der Keichstag ausdriicklich, dass die Stande sich nicht blofi Seiner Majestat, sondern auch der Herrschaft seiner Erben fiir alle Zeiten unterwo'rfen hiitten. 2 ) Die Frage war nur die, ob der alteste Sohn des regierenden Ko'nigs als solcher ein Recht auf den Thron habe, oder ob er ein solches erst durch die Anerkennung der Stande erlange, ja diese vielleicht unter mehreren Sohnen eine Wahl treffen ko'nnten. 3 ) Die ungarischen Rathe Ferdinands I. vertraten, als dieser 1561 die Stande zur Kronung seines altesten Sohnes Maximilian einberufen wollte, die Ansicht, dass der Erstgeborene zwar dem Ko'nige in der Re- gierung zu folgen pflege, dass er diese aber erst dann ubernehmen ko'nne, wenn er auf einem eigens zu diesem Zwecke einberufenen Reichstage durch alle Insassen gewahlt worden ware. Der Konig selbst aber gieng J ) Beide (mit zahlreichen einschlagigen Actenstiicken) bei We nek, Cod. jur. gentium, 1, 1 und 88. 2 ) Cum sese Or dines et Status regni non solum Majestati suae sed etiam suorum haeredum imperio et potestati in omne tempus subdiderint. Mou. comitialia Hungariae, 3, 135 art. 5. 3 ) Die Belege fur das Folgende bei A. Gindely, Uber die Erbrechte des Hauses Habsburg auf die Krone von Ungarn 1526 1687. r Archiv fiir osterreichische Ge- schichte", 51, 197 if. und meine ^Gescbichte Osterreichs", 4, 221 ff. 278. Gegen die Behaiiptung Lustkandl's, Das ungarisch-osterreichische Staatsrecht, S. 9ff., dass von 1527 an wie auch friiker in Ungarn immer die Primogeniturerbfolge, und zwar in miinn- licber und weiblicber Linie bestanden habe, hat sich mit Recht Fr. v. Deak. Eiu Bei- trag zum ungarischen Staatsrecht, S. 29 if. erklart, der aber wieder das Wahlrecht der Ungarn zu sehr betout hat. 129 von der Uberzeugung aus, dass nach ungarischen Gesetzartikeln wie nach dem Zeugnisse der Geschichte der erstgeborene Sohu des legitimen KSnigs immer dem Vater gefolgt sei und eine Wahl rechtmafiig nur beim Erloschen des Herrscherhauses stattgefunden habe. Als er den Reichstag auf den 20. August 1563 nach Presburg berief, vermied er im Einberufungsschreiben wie in der bei der ErSffnung desselben ?or- gelegten Proposition das Wort ,,Wahl" und erklarte, er habe beschlossen, w seinen erstgeborenen Sohn Maximilian als legitiraen Konig von Ungaru annehmen, ausrufen, anerkennen und mit Zustimmung, Wissen und Ge- nehmigung aller Reiehsstande nach der alten Sitte kronen zu lassen". 1 ) Auf dem Reichstage ruachte sich auch dagegen keine Opposition geltend, und nicht einmal das Unterhaus forderte eine Wahl. Ohne dass eine solche stattgefunden hatte, wurde Maximilian am 8. September gekront. Auch eine eigentliche Wahl des altestens Sohnes Maximilians II., Rudolfs, fand nicht statt. Der Reichstag richtete 1572 selbst an den Kaiser die Bitte, er moge seinen Erstgeborenen rechtzeitig zum Nach- folger wahlen lassen, und als derselbe seine Zustimmung gegeben, pro- clamierten die Stande Rudolf am 2. April ohne weitere Formlichkeiten als Konig. 2 ) Zur Kronung wurde dann ein eigener Reichstag einberufen. Uberwog bei der Nachfolge des altesten Sohnes und Enkels Fer- dinands I. die Idee des Erbrechtes, so trat spater ein Umschlag ein. Rudolf II. war unvermahlt, und sein altester Bruder Matthias gelangte uberhaupt auf gewaltsainem Wege zur Regierung, indem wegen der Weigerung des Kaisers, den 1606 mit Bocskay und den Tiirken ge- schlossenen Frieden zu genehmigen, die Stande von Ungarn, Osterreich und Mahren sich 1608 gegen ihn erhoben, Erzherzog Matthias sich an die Spitze der Aufstandischen stellte und Rudolf im Vertrage von Lieben (24. Juni) gezwungen wurde, zu Gunsten seines Bruders auf die drei er- wahnten Lander zu verzichten. Matthias wurde dann am 16. November vom ungarischen Reichstage zum Konige gewahlt. Auch Matthias hinterlieB keine Kinder, und da seine ebenfalls kinder- losen Bruder, Max der Deutschmeister und Albrecht, Regent der spanischen Niederlande, auf ihre Anspriiche verzichteten, so wurde sein Vetter Erz- herzog Ferdinand von der steirischen Linie zu seinem Nachfolger bestimmt. Wie es in Bohmen gelang, so suchte man im Marz 1618 auch in Ungarn seine Anerkennung auf Grund des Erbrechtes durch- J ) Maximilianum . . . filium nostrum in legitimum post nos Hungariae regem recipiendum, pronunciandum, dedarandum, recognoscendum, et accedente omnium con- sensu, scitu et approbatione Ordinum et Statuum Reyni iuxta veterem morem et con- Kuetudinem . . . coronandum decrevimus. Mou. comit. Hung. 4, 504. 2 ) Es fiuden sich hiebei die Ausdriicke eligere, declarare, postulare. Huber. Ostorreichiseho Eeicbsgeschiclite. 9 130 zusetzen. 1 ) Auch diesmal sprach der Kaiser in der Proposition an den Eeichstag den Wunsch aus, dass Ferdinand, den er an Sohnes statt an- genommen, als Konig ,,ausgerufen, anerkaunt und gekront werden moge". Aber nur die Bischofe und ein Theil der weltlichen Magnaten waren dazu bereit. Der niedere Adel aber war, wie jetzt die meisten Ungarn, vom Wahlrechte der Stande fiberzeugt. Das Unterhaus verlangte sogar vom Kaiser vor der Wahl die Ausstellung eines Diploms, welches den Standen ein ,,uubeschranktes und freies Wahlrecht" zusichern 2 ) und nach der Erhebung Ferdinands in die Reichstagsartikel aufgenommen werden sollte. Auch die Mitglieder des Oberhauses erhoben gegen diese Forde- ruug keine wesentlichen Einwendungen. Nicht einmal auf den Vorschlag liefl sich das Unterhaus ein, dass der Kaiser das n von Alters hergebrachte" Wahlrecht der Stande anerkennen, diese aber die Erklarung abgeben sollteu, dass sie nicht beabsichtigten, vom Hause Osterreich abzugehen. Man einigte sich endlich fiber eine Fonnel, dass Ferdinand von den Stauden n nach ihrer alten Gewohnheit und immer beobachteten Freiheit" einstimuiig zuni Kouige gewahlt worden sei, wobei die Ungarn das Haupt- gewicht auf das Wort ,,wahlen", die kaiserlichen Coramissare aber darauf legten, dass die Wahl nach der r alten Gewohnheit" vorgenommen worden sei, welche fur ein Erbrecht des regierenden Hauses spreche. Darauf wurde Ferdinand II. am 16. Mai als Konig proclamiert. Ferdinand III., sein altester Sohn Ferdinand IV. und nach dessen Tode sein zweiter Leopold I. wurden, wie sie selbst in ihren Gesetzen aussprachen, von den Ungarn ,,frei", aber ohiie jeden Widerspruch, ge- wahlt. Erst auf dem Reichstage von 1687 unter der Einwirkuug der Siege fiber die Tfirken wurde ffir den Mannsstamm die Erbfolge nach dem Rechte der Erstgeburt eingeffihrt, 3 ) ja diese ffir den Fall des Erloschens der deutschen Linie auch auf die spanische Linie des Hauses Habsburg ausgedehnt. Wenn aber der Mannsstamm ganz ausstfirbe, sollte die alte Gewohnheit und das Recht der Stande in Beziehung auf die Wahl wieder in Kraft treten. 2. Die Erbfolge im Konigreiche Bbhmen. Auch die bohmische Krone hatte Ferdinand I. 1526 nur durch Wahl erlangt und dies in einem eigenen Reverse anerkannt. Als aber *) Vgl. mit der erwahnten Abhandluug Gindelys S. 233 ff. auch dessen s Ge- schicbte des dreifiigjahrigen Krieges", 1, 203 if. und Prankl, Pazmany P. es kora (Peter Pazmany und seine Zeit), 1, 299 ff. uiid 623 ff., wie die Acten bei Katona, Hist, crit. Hung., 29, 671 939. 2 ) Regis electionem ex mera et lib era statuum et ordinum electione pro- ficisci. Katona, 29, 697. 8 ) G. A. 1687 art. 2: Quod amodo imposterum neminem alium quam altetitulatae suae Caesareae et Kegiae Majestatis propriis ex lumbis suis descendentium ma sou- 131 1545 die (1541) verbrannte bohmische Landtafel erneuert und die Landes- privilegien wieder zusammengestellt werden sollten, liefi Ferdinand nur noch die Erklarung einschalten, dass Bohmen vermoge der Urkunden Karls IV. von 1348 und Wladislaws von 1510 an seine Geraahlin Anna als die Schwester des Konigs Ludwigs gefallen nnd diese von den Standen r als wahre Erbin und Konigin" anerkannt worden sei. Die feindselige Haltung, welche die bohniischen Stande wahrend des schmalkaldischen Krieges gegen den Konig einnahmen, gaben diesem 1547 Anlass, nach Unterdriickung der Bewegung die Anerkennung dieser Erklarung wie der erwilhnten zwei Urkunden durch den Landtag durchzusetzen, worauf 1549 sein altester Sohn Maximilian von den Standen als Konig w angenom- men" wurde. Auch Maximilians II. Erstgeborener Kudolf II. wurde 1575 vom Landtage als Konig w angenommen und ausgerufen". *) Auch der Bruderzwist irn Hause Habsburg anderte an den Gesetzen uber die Erbfolge nichts. Nach der erzwungeuen Abdankung Kudolfs II. wurde sein Bruder Matthias als Konig ,,angenommen". 2 ) Als dieser die Stande 1617 berief, um den Erzherzog Ferdinand von Steiermark zum Konige r anzunehmen, auszurufen und zu kronen", suchte zwar die Opposition es durchzusetzen, dass derselbe nicht ,,angenommen", sondern r gewahlt" wiirde. Aber schiefilich stimmten nur zwei Herren gegen die Annahme. 3 ) Die Absetzung Ferdinands II. durch die bohniischen Stande und die Wahl Friedrichs von der Pfalz (26. August 1619) waren revolutionare Acte und fiihrten nach der Niederwerfung des bohniischen Aufstandes zu einer vollstandigen Eeaction. In der n vernewerten Landesord- nung" von 1627 erklarte K. Ferdinand II., dass nach der richtig ver- staudenen goldenen Bulle von 1348 und dem Majestatsbriefe von 1510 den Standen nur dann ein Wahlrecht gebure, wenn vom koniglicheu Geschlechte eine w Manns- oder Weibsperson" nicht mehr vorhanden ware, und dass alle, von welchen seine Erbgerechtigkeit angefochten wurde, ,,ipso facto in das Laster und die Strafe der beleidigten Majestat und offentlichen Kebelliou gefallen und Leib und Gut verloren haben sollten". 4 ) Der Huldigtmgseid war fortan dem n Erbherrn" zu leisten. Ferdinand II. berief dann die Stande nicht mehr zur Wahl oder Annahme, sondern nur noch zur Kronung seines gleichnamigen Sohnes. lorum heredum primogenitum in perpetuum . . .pro legitimo suo rege et do- mino sint habituri. Katona, 35, 490 sq. J ) Die Belege fiir das Gesagte in meiner n Geschichte Osterreichs", 4, 126. 133. 247. 2 ) Gindely, Rudolf II., 2, 295. 8 ) Gindely, Geschichte des dreifiigjahrigen Krieges, 1, 159 ff. 4 ) B Vernewerte Landesordnung" A. I, (Sechisch und deutsch herausgegeben von H. Jirefiek in ^Codex juris Bohemici", V. 2, 9. 9* 132 3. Die Erbfolge in den deutsch-bsterreichischen Landern. In den deutsch-osterreichischen Landern gait das Erbrecht des Hauses Habsburg unbestritten. Aber trotz der Bestimmung der Privi- Icgium majus war das Erstgeburtsrecht weder gesetzlich eingefiihrt, noch entsprach es dern Herkommen. Wie Ferdinand I. in den Besitz der- selben nur infolge des Grundsatzes gelangt war, dass alle mannlichen Glieder des Hauses Habsburg auf die Kegierung und die Ertragnisse sammtlicher Lander Anspruch hatten, so bestimmte er auch in seinem Testamente vom 1. Juni 1543 seinen altesten Sohn Maximilian nur zu seinem Nachfolger in Ungarn und Bohmen, wahrend er beziiglich der deutsch-osterreichischen Lander den Wunsch aussprach, dass seine drei Sohne diese ungetheilt regieren mochten. 1 ) In einer w Auszeigung" vom 25. Februar 1554 aber nahm er eine Theilung derErblande vor, von welchen Maximilian II. das Erzherzogthum Osterreich mit der Stadt Steyr, Hallstatt und Ischl, Ferdinand Tirol und die Vorlande, Karl Steiermark mit der Grafschaft Cilli, Karnten, Krain, Gorz, Triest und das o'ster- reichische Istrien erhalten, von den Einkiinften alle moglichst gleichviel beziehen, von den Schulden aber Maximilian die Halfte, die beiden an- deren je ein Viertel ubernehmen sollten. Wenn eine Linie im Manns- stamme aussttirbe, sollten ihre Besitzungen an die anderen fallen. Die jtingeren Briider sollten ohne Zustimmung des altesten keinen Krieg an- fangen uud keine Biindnisse schliefien und ihm gegen die Turken Hilfe leisten. So bildeten sich nach dem Tode Ferdinands I. 1564 in Osterreich drei regierende Linien. Doch fielen Tirol und die Vorlande schon nach dem Tode des Erzherzogs Ferdinand 1595 an die beiden an- deren Linien zuruck, weil seine Sohne von Philippine Welser von der furstlichen Erbfolge ausgeschlossen und der zweiten Ehe des Erzherzogs mit einer Prinzessin von Mantua nur zwei Tochter entsprossen waren. Die Anschauungen der ftbrigen Glieder des Hauses beziiglich der Ver- erbung der erledigten Gebiete giengen auseinander, indem K. EudolfIL behauptete, dass sie ihm als dem Altesten allein gehorten, wahrend seine Briider und die Witwe Karls von Steiermark, Maria von Baiern, als Vor- miinderin ihres Sohnes Ferdinand den gleichen Anspruch aller Erzherzoge verfochten. Die Vertreter der steirischen Linie verlangten eine Theilung dieser Lander, wahrend Kudolf II. und seine Briider fiir die Einsetzung einer gemeinschaftlichen Kegierung waren. Erst am 5. Februar 1602 kam ein Vergleich zustande, wornach Erzherzog Maximilian der Deutsch- *) Das Testament und dessen Codicille bei Schrotter, Abhandlungen aus dem osterreichisehen Staatsrechte, 5, 364 if. Das Codicill vom Jabre 1547 (S. 415 if.) traf in dieser Beziehung keine Anderungen. 133 meister, Rudolfs II. Bruder, im Namen des ganzen Hauses als Guber- nator die Begierung Tirols und der Vorlande fuhrte, bis er nach Budolfs II. Tode 1612 als Landesfurst eingesetzt wurde. 1 ) In der 6'sterreichischen Linie wurde eine weitere Theilung verhutet, indem die vier jungeren Bruder Rudolfs II. rait einer jahrlichen Rente von je 25.000 Gulden abgefunden wurden. Da keiuer von ihnen Kinder hinterliefl, so wurden nach dem Tode des Kaisers Matthias (20. Miirz 1619) alle 6'sterreichischen Konigreiche und Lander in den Handen seines Vetters Ferdinand II. von der steirischen Linie vereinigt. Dieser verfasste nun am 10. Mai 1621 ein Testament, 2 ) worin er vermo'ge seiner kaiserlichen, koniglichen und landesfurstlichen Gewalt befiehlt, dass fortan alle seine Erbkonigreiche und Lander nie mehr ge- theilt werden, sondern alle auf den altesten Descendenten nach dern Rechte der Erstgeburt iibergehen und im Falle des Aussterbens des Manns- stammes auf seinen altesten Bruder und dessen eheliche mannliche Linie fallen, die jungeren Sohne aber eine jahrliche Rente von 45.000 Gulden und eine Herrschaft zu ihrer Residenz erhalten sollten. Aber sein zweiter Bruder Leopold, Bischof von Passau und Straflburg, der nach dem Tode des Erzherzogs Maximilian (2. November 1618) vom Kaiser Matthias zum Gubernator Tirols und der Vorlande ernannt worden war und sich zu verheiraten wimschte, verlangte zugleich im Namen seines jungeren Bruders Karl, Bischofs von Breslau und Brixen, unter Berufung auf die testamentarischen Verfugungen Ferdinands I. 1623 eine formliche Lander- theiluug und setzte es auch durch, dass der Kaiser sich am 15. November 1623 bereit erklarte, ihm zwei Drittel Tirols und der Vorlande als Eigenthum, das andere Drittel aber auf Lebenszeit zur Verwaltung zu uberlassen. Am 24. October 1630, nachdem Erzherzog Karl 1624 ge- storben war, trat er ihrn auch dieses Drittel als Eigenthum ab^ 3 ) Doch erlosch auch der Mannsstamm dieser neuen tirolischen Nebenlinie mit Leopolds zweitem Sohne Sigismund Franz am 25. Juni 1665, worauf endlich alle osterreichischen Lander wieder vereinigt wurden. Aber auch K. Leopold I. hielt noch nicht principiell an der Un- theilbarkeit der osterreichischen Lander fest. Zunachst schien dieselbe zwar dadurch gesichert, dass fur seinen zweiteu Sohn Karl die spauische Monarchic bestimmt wurde, auf welche deren nachste Erben, der Kaiser und sein Erstgeborener Joseph am 12. September 1703 verzichteten, J ) Hurter, Geschichte K. Ferdinands II., 3, 277 ff. A. Jager, Beitrage zur Geschichte der Verhandlungen iiber Tirol 1595 1597, n Archiv fiir osterreichische Ge- schichte u , 50, 103 ff. Egger, Geschichte Tirols, 2, 265 S. 2 ) Vollstandig bei Schr otter, 5, 504 ff. 8 ) Vgl. auch Kenuer, Die Erbtheilung K. Ferdinands II. mit seinen Brudern, r Zeitschrift des Ferdinandeum", III. Folge 18, 197 ff. 134 wiihrend diesen die osterreichischen Lander vorbehalten wurdeu. Aber iiu Testamente vom 26. April 1705 traf Leopold I. mit Zustimmung seines iilteren Sohues die Verfugung, dass Karl, wenn ihm beim Frieden keines der spanischen Konigreiche bliebe, zu seiner n Abfertignng" die Grafschaft Tirol mit den zugewandten schwabischen und vorderoster- reichischen Landern erhalten, allerdings aber das ,,jus belli, pacis et foe- derum" und die Verhandlung der gemeinen Eeichssachen der Entschei- dung des Ko'nigs Joseph als des Hanptes des Erzhauses und seiner raann- liclien Naohkommen (jedoch nach Einholung der Meinung des Besitzers Tirols) vorbehalten bleiben sollten. Beziiglich der Nachfolge wurde in dein vom Kaiser und seinen beiden Sohnen ebenfalls am 12. September 1703 geschlosseuen Pactum mutuac successionis" 1 ) die Vereinbarung getroffen, dass das Kecht der Erstgeburt gelten, in Spanien gleichwie in den osterreichischen Landern die legitimen mannlichen Nachkommen den weiblichen Gliedern immer vorgehen, beim Erloschen des Mannsstammes der einen Linie deren Lander an das nachstberechtigte manuliche Glied der anderen fallen und die Weiber und deren Nachkommen immer hinter dem Mannsstamme zuruckstehen und uur eine dem Herkommen ent- sprechende Versorgung erhalten sollten. Den Tochtern Karls blieb ihr Kecht auf die Lander des Gesammthauses fiir den Fall gewahrt, dass alle mannlichen Glieder und die weiblichen Nachkommen Josephs, die jenen iiberall und immer vorgehen sollten, ausstiirben. Da ubrigens Joseph I. am 17. April 1711 ohne Hinterlassung mannlicher Nachkommen starb und nun Karl Erbe aller habsburgischen Besit/ungen wurde, so verloren die Bestiminungen des Pactum von 1703 ihre Bedeutung. 4. Die pragmatische Sanction. Alle diese Verfiiguugen litten an dem Fehler, dass sie nur einseitige Willeusaufierungen des Herrschers waren, imd dass sie daher wohl die Mitglieder des regierenden Hauses bauden, nicht aber auch die Lander, namentlich nicht Ungarn, dessen Stande auch noch 1687 fiir den Fall des Erloschens des ganzen Mannsstammes der Habsburger sich ihr Wahl- recht gewahrt hatten. Die Stande von Croatien und Slavonien, welche infolge der gemeinsamen Vertheidigungsmafiregeln gegen die Tiirken mit den inner- osterreichischen Provinzen in engere Beziehungen getreten waren, er- klarten zwar iin Marz 1712 ihre Bereitwilligkeit, auch die weibliche x ) Dieses wie das Testament K. Leopolds I. von 1705 vollstandig mitgetheilt von Fournier, Zur Entstehungsgesehichte der pragmatisehen Sanction, n Historische Zeit- schrift", 38, 38 ff. liber die Auslegung siehe Bachmann, Die pragmatische Sanction und die Erbfolgeverfiigungen K. Leopolds I. (Sep.-Abdruck aus der Juristischen Viertel- jahresschrift'S 26. Bd. (1894). 135 Descendenz als thronberechtigt auzuerkennen. und zwar jene, welche nicht nur Osterreich. sondern auch Steiermark, Karuten und Krain be- sitzen uud in Osterreich residieren wfirde. 1 ) Aber die ungarischen Ver- trauensmaniier, mit welchen die Regierung nun fiber dieseFrage verhanddti-, hielten zur Gewinnung der Stande verschiedene Concessionen 8 ) fttr noth- wciidig, deren Gewahrung jene fur schwer oder doch fur nicht opportun hielt, und die Sache wurde wieder fallen gelassen. Andererseits hielt Karl VI., der freilich die spanische Monarchic nicht zu behaupten vermocht hatte, an der Idee der Einheitlichkeit aller habsburgischen Besitzungen fest, und er traf aus eigener Machtvollkommen- heit Anordnungen fiber die Erbfolge. Am 19. April 1713 verktin- dete er seinen versammelten geheimen Rathen und den vornehmsten Wfirdentragern seiner Konigreiche und Lander als seinen Willen, dass diese alle zunachst bei seinen mannlichen Leibeserben nach dem Rechte der Erstgeburt unzertheilt verbleiben, nach Abgang des mannlichen Stammes auf seine Tochter nach dem Rechte der Erstgeburt unzertheilt kommen, in Ermanglung aller ehelichen Descendenten des Kaisers auf Josephs I. Tochter uud deren eheliche Descendenten und nach diesen auf seine Schwestern und alle ubrigen Linien des Erzhauses uach dem Rechte der Erstgeburt fibergeheu sollten. 3 ) Vorlaufig wurde aber diese Willenserklarung des Kaisers nicht publiciert. Karl VI. fuhlte selbst, dass er fiber die Nachfolge der Mitglieder seines Hauses bis zu dessen Erloschen durch eine blofie Verordnung wohl vielleicht fur die bohmischen und deutsch-osterreichischen Lander, nicht aber auch fur Ungarn Verfugungen treffen konne. Noch im Jahre 1715 sanctionierte er eiiien vom ungarischen Reichstage beschlossenen Gesetz- artikel, der das hergebrachte Wahlrecht desselben im Falle des Aus- sterbens der mannlichen Nachkommeu Leopolds I. bestinimt aussprach. 4 ) Da nun sein ihm am 13. April 1716 geborener Sohn Leopold schon am 1 ) Kukuljevics, Jura Kegni Croatiae, Dalmatiae et Slavouiae, 2, 101 sqq. Vgl. I.H.Bidermanu, Entstehung und Bedeutuug der pragmatischen Sanction, in Griinhuts n Zeitschrift fur das Privat- und offentliche Recht", 2, 127 fF. (siehe auch 21, 347 ff. 362 ff.) und dessen r Geschichte der osterreichischen Gesammtstaatsidee", 2, 41 ff. (init den Anmerkungen S. 196198; 243286) auch fur das Folgende. 2 ) Diese sollten Ungarn die Selbstandigkeit im Inuern und die militarische Unter- stiitzung der ubrigen habsburgischeu Lander sichern; auch sollte die Uutheilbarkeit derselben durch die Verzichtleistuug aller Pratendenten fur immer festgestellt werden. 8 ) Cod. Austr. Suppl., p. 683 sqq. Lustkandl, Abhandlungen aus dem oster- reichischen Staatsrecht, S. 364 ff. 4 ) G. A. 1715:3: deficiente . . . masculino sexu a Divo condam Leopoldo Rege descendente avitam et veteran approbatamque consuetudinem prae- rogativamque Statuum et Ordinum in electione et coronatione Eegum locum suum habituram esse. Katona, 38, 97. 136 4. November starb und ihm dann nur noch To'chter (Maria Theresia 13. Mai 1717, Maria Anna 14. September 1718) geboren wurden, so suchte er seiner Erstgeborenen die Nachfolge zu sichern, und zwar auch durch die Garantien des Staats- imd Volkerrechtes. Am 19. Jiinner 1720 wendete er sich an die Stande aller seiner Konigreiche und Lander mit dem Ansuchen und Befehle, seine 1713 getroffene Anordnung, durch welche eine ewige und untrennbare Union derselben hergestellt werden sollte, als eine ^Sanctio pragmatica, lex perpetuo valitura" anzu- nehmen und zu promulgieren. Die Stande der deutsch-osterreichi- schen und bohmischen Lander 1 ) nahmen diese Erbfolgeordnnng grofitentheils noch im Laufe des Jahres 1720, die letzten im Jahre 1721 an, und zwar die meisten ohne jede Schwierigkeit. Die Stande Bohmens erklarten sogar, dass der Kaiser ihnen diese ,,Disposition" ,,aus purem Uberfluss" habe eroffnen lassen. Doch betonten manche Landtage auch ihre Freiheiten. Die tirolischen Stande stiefien sich daran, dass diese Successionsordnung nicht mit ihnen berathen worden sei. Ja, die Pra- laten hielten sich dariiber auf, dass Tirol auf irnmer der Aussicht, eigene Landesfiirsten zu besitzen, beraubt werde. 2 ) Die Stande Ungarns und Siebenbiirgens wurden erst im Jahre 1722 einberufen. Letztere gaben nach kurzen Yerhandlungen ihre Zu- stimmung. Auch der ungarische Keichstag stimmte bei, dass die Krone des Konigreiches Ungarn und seiner Nebenlander nach derselben Thron- folgeordnung, wie sie in den tibrigen nicht zu theilenden Erblandern des Kaisers bereits festgestellt und publiciert war, vererbt, der Erbe dieser auch als Konig von Ungarn und der damit untrennbar verbundenen Theile gekront werden und erst nach dem ganzlichen Erloschen des Geschlechtes das Wahlrecht der Stande wieder in Kraft treten sollte. Doch wurden ausdriicklich nur die ,,r6misch-katholischen" Nachkommen Karls VI., Josephs I. und Leopolds I. als erbberechtigt bezeichnet. 3 ) 1724 wurde dieses Thronfolgegesetz auch mit den Standen der 6'sterreichischen *) Die Stande des Egerer Bezirkes traten am 23. Juli 1721 dem Accessions- und Submissionsiustrument der bohmischen Stande, n iu wie weit es sich auf den Pfand- schilliug Eger appliciren lasset", in einer eigenen Urkunde bei. Kiirschner, Eger uiid Bohmeu, Beil. S. XX if. 2 ) Vgl. mit Bidermanu, Pragniatische Sanction, S. 149 ff. uud ,,Gesamintstaats- idee" a. a. 0., beziiglich Tirols auch Egger, Geschichte Tirols, 2, 530 ff., beziiglich Bohmens Tonian, Das bohmische Staatsrecht 1527 1848, S. 90 ff. 3 ) G. A. 1722/3 art, 12, ap. Katona, 38, 458 sqq. Uber die Frage, ob die Ungarn nur die Nachkommen Karls VI , Josephs I. und Leopolds I. oder auch die entferuteren Ver- \vaudten des Hauses Habsburg als erbberechtigt anerkannt haben, siehe die Erorterun- gen von Deak, Bin Beitrag zuni ungarischen Staatsrecht, S. 75 f. und Lustkaudl, Abhandlungen, S. 251 if. 137 Niederlaiide 1 ) vereinbart und 1725 auch fur die Loinbardei publi- ciert. Die Tochter Josephs I. Maria Josepha und Maria Ainalia mussten bei ihrer Vermahlung mit den Kroiiprinzen August von Sachsen (1719) und Karl Albert von Baiern (1722) ausdrucklich auf die Qsterreichischen Lander verzichten, so lange Nachkoramen Karls VI. lebten, was auch ihre Gatten thaten. Auch sonst war Karl VI. beinuht, diesem Gesetze dievClkerrecht- liche Anerkennuug, ja die Garantie der europaischen Machte zu ver- schaffen. Seine ganze auswartige Politik ist in der nachsten Zeit durch dieses Streben bestimrat worden. Er setzte es auch durch, dass Spanieii 1725 (und noch einmal 1731), 1726 Russland, 1728 Preufien, 1731 Eng- land und Holland, 1732 das deutsche Reich und Danemark, 1738 Fraiik- reich und Sardinien die pragmatische Sanction anerkannten und garan- tierten. b) Geschichte der Verwaltung. I. Die Verwaltungs- und Justizbehorden der deutsch-osterreichischen Lander. Auf den Grundlagen, welche Maximilian I. geschaffen, baute sein Enkel Ferdinand I. weiter, 2 ) nachdem er 1522 den alleinigeu Besitz der osterreichischen Lander erhalten hatte. Die zwei Regierungen oder Regimenter, eine fur die r niederosterreichischen" Lander in Wien und eine fur die w oberosterreichischen" in Innsbruck (mit einer Ex- positur in Eusisheim fur die Gebiete im Elsass und im westlichen Schwa- ben), bestanden auch unter ihm fort. Jede dieser Regieruugen war eine collegiale Behorde, welche aus einem Statthalter, einem Kanzler, aus ungefahr zwolf 3 ) Rathen oder Regenten, die theils aus Adeligen, theils J ) Das Gesetz fiir die Niederlaiide bei Schr otter, Abhandlungen, 5, 539 ff. Lust- kandl, Abhandlungeii, S. 368 ff. 2 ) Eingeheiide Untersucbungen voii E. Eo sen thai, Die Behordenorganisatiou K. Ferdinands I., B Archiv fiir osterreichische Geschichte", 69, 51 316. Eine kurzere vvertvolle Skizze von Fe liner, Zur Geschichte der osterreichischen Centralverwaltung (1493 1848), I. Bis zur Errichtung der osterreichischen Hofkanzlei (bis 1619). n Mit- theilungeu des Instituts", 8, 258 ff. Eeiches, aber von eiuem etwas zu centralistischen Gesichtspunkte aus beuutztes Material fiir die ganze Periode bei H. I. Bidermanu, Geschichte der osterreichischen Gesainintstaatsidee, 2 Abth. (bis 1740), Innsbruck 1867 uud 1889. Nachtrage und Berichtiguugen hiezu von Fellner in seiner Recension in nMittheilungen des Instituts", 15, 517 ff. Fiir die Zeit Ferdinands I. vgl. auch ineine r Ge- schichte Osterreichs", 4, 207 ff, fiir Tirol in der 2. Halfte des 16. Jahrhunderts Him, Erzherzog Ferdinand II. von Tirol, 1, 461 ff. 3 ) Spater war die Zahl eine grofiere. Die niederosterreichische Regierung be- staud um 1692 uach einer haudschriftlich in inehreren Exemplaren vorhaudeueii (und von d'Elvert, Zur osterreichischen Finanzgeschichte, S. 231 N. erwahnten) Belehruug 138 aus studierten Juristen (Doctoren) genommen wurden, und der noth- wendigen Zahl von untergeordneten Beamten bestand. Jede Regierung zerfiel in zwei Senate, einen fur die eigentlichen Regierungsgeschafte mit Einschluss der inilitarischen Angelegenheiten und einen fur die Justiz, indem die Regierungen auch den obersten Gerichtshof fur die be- treffenden Lander bildeten. Doch durfte dieser Senat die Urtheile nur vorbereiten, wahrend die Entscheiduug selbst im Plenum gefallt wurde. Auch die Kammern in Wien und Innsbruck, welchen die Finanzver- waltung und die Rechtsprechung in Finanzsachen, die Aufsicht uber die Finauzbeamten l ) und die Controle der Rechimngen ubertragen waren, standen in enger Verbindung mit den Regierungen, indem wochentlich ein- oder zweimal eine gemeinsame Sitzung stattfinden und Regierungs- augelegenheiten, welche auch finanzielle Fragen beruhrten, unter Bei- ziehung von Kammerrathen entschieden werden sollten. Jeder Kammer war ein Kammerprocurator beigegeben, welcher die finauziellen Anspriiche des Landesherrn gerichtlich zu vertreten und auch im Falle des Ungehor- sams gegen dessen Befehle einzuschreiten hatte. Den schon von Maximilian I. gehegten Absichten entsprechend setzte Ferdinand I. anfangs 1527 einen Hofrath ein, welcher den obersten Ge- richtshof und die oberste Instanz bei Beschwerden in Verwaltungsange- legenheiten nicht blofl fiir die 6'sterreichischen Erblande, sondern auch fur das deutsche Reich bildete, in welchein Ferdinand seinen Bruder wahrend der haufigen Abwesenheit desselben vertrat. Doch behielt er sich selbst die Entscheidung vor, weuu eine Angelegenheit von besonderer Wichtigkeit ware odqr die Rathe sich nicht einigen konnten, d. h. Stim- mengleichheit oder nur eine geringe Majoritat vorhanden ware. Dieser Hofrath, der keinen standigen Sitz hatte, sondern dem Hofe folgte, be- stand zum grofleren Theile aus Adeligen, zum kleineren aus Doctoren der nieder- und oberosterreichischen Lander uud des deutschen Reiches. Im Gegensatze zu seiuem Groflvater raumte Ferdinand I. wohl den Re- gierungen ein Vorschlagsrecht, aber nicht den Standen der verschiedenen Lander ein Ernennungsrecht ein, weil er die Hofrathe nicht als Gesandte der Lande, sondern als seine Rathe und Diener" ansah. Den Vorsitz fuhrte seit 1528 der Hofmarschall. Als aber Ferdinand I. 1558 deutscher fiir Hofkammerrathe, n Teutsch-Oesterreichisch ausgelegter Adler", nebeu dem Statt- halter und dem Kanzler aus 14 Mitgliedern des Herren-, 14 des Kitterstandes, 7 voii der Gelehrteubank und 8 Secretaren u. s. w. l ) In Osterreich unter und Osterreich ob der Enns, Steiermark, Cilli, Karnteii und Krain bildeten die fortbestehenden Vicedomamter eine Mittelbeborde zwischen den Kammern und einem Theile der untereu Finanzbeamten. Von den Vitzthumamtern uuabhaugig waren die Salzamter und manche Maut- und Aufschlagamter. Siehe B Mit- theilungen des Instituts", Erganzungsband 4, 232 ff. 139 Kaiser uud aus seinem Hofrathe 1559 ein Reich shof rath 1 ) ward, wurde em eigener Priisidcnt desselben ernannt und auch der Reichsvicekauzler, den der Erzbischof von Mainz als Reichserzkanzler mit Zustimmung des Konigs ernannte, Mitglied desselben. Der Vertreter des Landesfiirsten in den einzelnen Landern war der Landeshauptraann, 2 ) der auch von ihm ernannt und besoldet wurde. Er hatte die Rechte des Landesfursten zu wahren, fur die Ausfiihrung der Befehle und Verordnungen desselben und fur die Ruhe und Sicher- heit des Landes zu sorgen und besafi auch ausgedehnte richterliche Be- ftignisse. 3 ) Indem er aber auch das Haupt der Stande und Vorsitzender derselben war, nahm er eine eigenthumliche Doppelstellung ein. Die untersten Verwaltungsbezirke bildeten wie im spateren Mittel- alter die r Herrschaften" und die landesfiirstlichen Stadte. Auf jenen tibte der Grundherr selbst oder durch einen seiner Beamten die Polizei- gewalt und in der Regel auch die Civilgerichtsbarkeit und hatte auch die directen Steuern zu repartieren und einzuheben. In den landesfurst- lichen Stadten und Markten ubte der Magistrat dieselben Rechte. Auch in der Gerichtsverfassuug der deutschen Erblande 4 ) fanden in dieser Periode keine wesentlichen Veranderungen statt. Wie im spateren Mittelalter gab es auch jetzt Dorf- und Patrimonialgerichte, Stadt- und Landgerichte, fur die adeligen Mitglieder der Stande das alle Vierteljahre einmal zusammentretende ,,Landrecht a (im Lande unter der Enns das Gericht des Landmarschalls, in den anderen Pro- viuzen das des Landeshauptmanns mit Beisitzern aus dem Herren- und Ritterstande, 5 ) fiir Streitigkeiten iiber landesfurstliche Lehen die Lehen- gerichte, fur die Bediensteten des Hofes und die Beamten der Hof- stellen das Gericht des Obersthofmarschalls, fur die Professoreu, Doctoren, Studenten und Diener der Universitaten Wien und Graz das Gericht der Universitatsbehorden, 6 ) fur kirchliche, Ehe- und Ver- *) Dieser blieb aber bis 1620 auch fiir die deutsch-osterreichischeu Lander in Processsachen die oberste Instanz. Bidermanu, 1, 79 N. 129. Felluer in n Mit- theiluiigeu des Instituts", 8, 286 f. 2 ) Im Lande unter der Enns der L an dm arse hall. 8 ) In Tirol war seine administrative und polizeiliche Gewalt auf das Laud an der Etsch mit Einschluss des Eisack- und Pusterthales bescbrankt. *) Vgl. liber diese vor 1740 A. v. Domin-Petrushevecz, Neuere osterreichi- sche Kechtsgeschichte, S. 2 ff. 5 ) Nur in Tirol war das adelige B Hofrecht", das unter dem Vorsitze des Landeshauptmanns in Bozen tagte, nicht blofi aus (6 8) Landherren, sonderu auch aus 4 Vertretern der Stadte Bozen und Meraii zusammengesetzt. Him, Erzherzog Fer- dinand, 1, 500. 6 ) In Graz gab es seit 1594 ein auBerhalb der Universitat stehendes r akadenii- sches Gericht", das aber nur im Delegationswege auf Wunsch des Rectors eiue Klage entscheideu komite. Kroues, Geschichte der Universitat in Graz, S. 316 ff. 140 lobnissachen der Christen die bischoflichen, fiir Militarpersonen die Militargerichte. Die zweite I us tan z fur die den genannten Civilgerichten uiiter- worfenen Personen, die erste fiir den Fiscus, die nichtstandischen Adeligen, die Geistlichen in weltlichen Sachen, die kaiserlichen Beamten, die Grofl- haudler und Fabrikanten bildeten die nieder-, die inner- und die ober- 6'sterreichische Kegierung. Die 6'sterreichische Hofkanzlei war all- gemeine Kevisionsinstanz fiir die iibrigen Gerichte. Doch musste urn die Bewilligung zur Kevision und Appellation imrner erst ausdriick- lich angesncht werden. Auch gab es zwischen den verschiedenen Ge- richten zahllose Coinpetenzconflicte, sodass man langer Zeit bedurfte, urn zu seinem Kechte zu gelangen. Zugleich fehlte es an einheitlichen Ge- setzen, wenn auch die Halsgerichtsordnimg Karls V. die Grundlage fiir alle spiiteren Landesgerichtsordnnugen (des Erzherzogs Karl fiir Steiermark von 1574, K. Ferdinands III. fiir Osterreich unter der Enns von 1656, Leopolds I. fiir das Land ob der Enns von 1675 und Josephs I. fiir Bohmen, Mahren und Schlesien von 1707) bildete. Karl VI. errichtete 1717 fiir Niederosterreich, 1722 fiir Inneroster- reich eigene Wechselgerichte (mit einein Eichter und sechs Beisitzern aus dein Handelsstande, die von der Kaufmannschaft gewahlt und vom Kaiser bestatigt wurden) und als zweite Instanz ein Appellations- wechselgericht. 2. Die Verwaltung der bohmischen Kronlander. In der Verwaltung Bohmens trat nach der Vereinigung mit den deutsch-osterreichischen Landern zunachst keine Anderung ein. Keine Realunion, nur eine Personakmion hatten die Stande mit der Wahl Fer- dinands I. herstellen wollen. Nach den von ihnen bei dieser Gelegenheit gestellteu Bedingungen sollte der Konig gewohnlich in Bohmen residieren und fiir den Fall seiner Abwesenheit die Regierung nur Eingeborenen iibertragen werden. In der That fiihrten unter Ferdinand I. und semen nachsten Nach- folgern, wenn dieselben, was meist der Fall war, sich uicht in Prag aiifhielten, die obersten Landesbeamten (,,Landesofficiere"), allerdings nach den ihnen vom Konige ertheilten Instructionen, die Regierung. Rudolf II. ernannte 1577 bestimmte Landesbeamte zu seineu ,,Statt- haltern, Regenten und Riithen" und schrieb ihnen ihre Pflichten vor. Aufrechthaltung der Ehre und des Dienstes Gottes, Handhabung der Autoritiit, Regalien, Freiheiten und Rechte der bohmischen Lander, Schutz der Landesgrenzen, Administriernng der gleichen Justiz fiir Arme und Reiche, ohne in den ordentlichen Rechtsgang einzugreifen, Beaufsichti- 141 gung der Stadte und ihrer Gerichte und Handhabung der obersten Polizei wurden als ihre Aufgaben bezeichnet. 1 ) Der Vorsitz stand dem Oberst- btirggrafeu zu. Bei der Besetzung einer erledigten Stelle musste der KOnig die Gutachten der ubrigen Landesbeamten einholen, war aber nicht an die Meinung der Mehrheit gebunden. Auch die Ernennung der Beisitzer des Landrechtes und des Karnmergerichtes erfolgte wahrscheinlich auf Gnuid eines Vorschlages der betreffenden Collegien, und nur die Mitglieder des Hoflehengerichtes und des 1,547 errichteten Appellationsgerichtes konnten vom Konige selbstandig ernannt werden. Die obersten Be- aniten mit Ausnahme des Miinzmeisters waren unabsetzbar. Alle diese Beamten raussteri beim Antritte ihres Dienstes nicht blofl dem Konige, sondern auch n dem Herren- und Ritterstande und der ganzen Gemeinde des Konigreiches Bohmen" schworen. 2 ) Wie eine eigene Regierung, so hatte Bohmen auch seine eigene Kammer, fur die sich aber Ferdinand I. in seiner am 25. Marz 1527 fur dieselbe erlassenen Instruction die Raitkammer seiner Erblande zum Muster nahm, 3 ) und seine eigene Hofkanzlei, deren Vorsteher, spater Oberstkanzler genannt, die Vorlagen fur die Landtage festzustellen, die Beschliisse derselben dem Konige vorzulegen, die Verordnungen desselben zu contrasignieren, die Erledigung der an den Konig gerichteten Ein- gaben, besonders in Gnadensachen und Privilegienverleihungen, vorzu- bereiten hatte, sodass die Hofkanzlei eine Art oberster Regierungs- behorde fur alle bohmischeu Kronlander bildete. Doch musste der Kanzler dem Hofe des Konigs folgen, bis 1620 sein Sitz bleibend nach Wien verlegt ward. 4 ) ) Fellner a. a. 0. S. 298 ff. Bidermann, 1, 78 N. 128. Vgl. Toman, Das bohmische Staatsrecht 15271848, S. 80 ff. 2 ) Gindely, Gescbichte der Gegenreformation in Bohmen, S. 481 ff. 8 ) Rosenthal, S. 177 ff. Die Instruction S. 281 ff. 4 ) Ubrigens wehrten sich die Nebenlauder theilweise gegen die Unterordnung uuter die bohmischen Centralstellen, besonders die Hofkanzlei, uiid gegen die Bevor- zugung der eingeborenen Bohmen bei der Besetzung der Amter. Besonders bei der Absetzung Rudolfs II. und der Erhebung seines Binders Matthias im Jahre 1611 machten sich diese Bestrebungen geltend. Die Mahrer setzten in der That durch, dass die Ein- mischung der bohmischen Kanzlei in die Verwaltung und Justizpflege ihres Landes verboteu und dem Kanzler auf ihren Vorschlag ein mit den mahrischen Verhaltnissen vertrauter Vicekanzler an die Seite gegeben ward. Fur Schlesien und die Lausitzen wurde auf das Drangen ihrer Vertreter zur Entscheidung ihrer Angelegenheiten eine von der bohmisehen unabhangige n deutsche Kanzlei" in Breslau mit einem Vicekanzler und den anderen nothwendigen Beamten errichtet. Doch verfiigte der Konig schon 1616 die Wiedervereinigung beider Kanzleien uiid die Unterorduung des Vicekanzlers unter den Hofkanzler. Gindely, Rudolf II., 2, 261 ff. und 345 ff. P. v. Chlumecky, Karl von Zierotin, 1, 762 ff. Grunhagen, Geschichte Schlesiens, 2. 147 ff. und 159 ff. 142 Auch in Beziehung auf die Gerichtsverfassung behielt Bohmen seine selbstandige Stellung. 1 ) Auch in dieser Periode war das Landrecht der privilegierte Ge- richtshof fur die Mitglieder des Herren- und Ritterstandes, wie fur die Geistlichen als Besitzer landtaflieher Guter. Das r grofiere Landrecht", dessen Beisitzer der Oberstburggraf, Oberstlandkammerer und Oberst- landrichter und 12 vom Konige ernannte Mitglieder des Herren-, 8 des Ritterstandes (seit Ferdinand II. 16 Herren und 10 Ritter) waren, ent- schied in Criminalfallen wie bei Streitigkeiten um Erbschaften, liegende Guter und in die Landtafel eingetragene Schuldverschreibungen. Wenn der Konig anwesend war, ffihrte er selbst den Yorsitz, sonst der Oberst- burggraf. Das ,,kleinere Landrecht", das aus einigen niederen Landes- beamten zusammengesetzt war. entschied fiber geringere Streitfragen und Forderungen bis zu einer Hone von 100 Schock Groschen. Mit dem Landrecht stand das Landtafelamt in Verbindung, welches die Processe zu instruieren und die Urtheile zu vollziehen und gewisse Klagen, z. B. fiber Theilung landtaflieher Guter, Herausgabe von Erbschafts- theilen, auch selbstandig zu entscheiden hatte. Das konigliche Kammerrecht, dessen Mitglieder (wenigstens 12, spater 14) vom Konige aus den Herren und Rittern ernannt wurden und dessen Vorsitz der Landhofmeister ffihrte, hatte eine allerdings viel- fach bestrittene Competenz in Civilstreitigkeiten, durfte aber jedenfalls nicht fiber unbewegliche Guter entscheiden. Vor das Oberstburggrafenrecht mit 6 adeligen Beisitzern (seit 1627 auch Prager Bfirgern) gehorten Streitigkeiten des Adels fiber Schuld- verschreibungen ohne Hypothek. Das Hoflehenrecht entschied unter dein Presidium des Hoflehenrichters in Lehensachen. Seit Ferdinand II. theilte es sich in einen bohmischen und einen deutschen Senat. Eigenthfimlich war alien diesen Gerichten, dass sie nur drei- oder viermal im Jahre durch eine gewisse Anzahl von Tagen gehalten wurden. Die Gerichtsbarkeit in den koniglichen Stadten stand den Magi- straten, in den unterthanigen Stadten und auf deni Lande den Grund- herren zu, welche sie entweder selbst oder durch ihre Beamten, in den unterthanigen Stadten aber gewohnlich durch die von den Burgern ge- wahlten Magistrate, deren Bestatigung sie sich vorbehielten, ausubten. Die Verbindung, in welche sich die protestantische Majoritat der Stande 1547 mit dem Kurfursten von Sachsen einliefi, fuhrte auch auf dem Gebiete der Verwaltung eine Starkung der koniglichen Gewalt herbei. Ferdinand I. setzte in den unmittelbaren Stadten konig- J ) Eine kurze Ubersicht mit Beriicksichtigung der alteren Literatur bei To man, S. 133 if. 143 liche Eichter (in den Prager Stadten Hauptleute) ein, welche alleiri das Recht zur Berufung der Gemeinde haben, an alien Kathsversammlungen theilnehmen, Eingriffe in die Rechte der Krone verhindern nud die Reeht- sprechung uberwachen sollten. Um den Berufungen von den Urtheils- spriichen der Stadte an auswartige Gerichte oder an die Stadtgerichte von Prag und Leitmeritz ein Ende zu machen, wurde fur die unadeligen, nieht dem Landrechte imterstehenden Volksklassen Bohmens und seiner Nebenlilnder 1548 in Prag ein Appellationsgericht eingesetzt, das aus einem Prasidenten und aus Herren, Rittern, Doctoren und Burgern der Alt- und Neustadt Prag zusammengesetzt ward. 1 ) Wurde das von der ersten Instanz gefallte Urtheil vom Appellationsgericht bestatigt, so war jede weitere Berufung uuzulassig. Ini entgegengesetzten Falle konnte die Revision durch den Konig nachgesucht werden, wofiir bei der Hof- kanzlei eine Revisionscomrnission eingesetzt ward. Auch in Crimi- nalsachen stand dem von dem grundherrlichen Gerichte Verurtheilten die Berufung an das Appellationsgericht frei, wenn jenes nicht friiher bei diesem selbst um Belehrung nachgesucht hatte, was vor Anwendung der scharfen Frage (Folter) vorgeschrieben war. Vom Landrecht war eine Appellation an den Konig bei Civilprocessen uicht gestattet. Da- gegen stand es bei Criminalprocessen dem Klager frei, die Sache an den Konig oder das Landrecht zu bringen. Die Niederwerfung des bohmischen Aufstandes durch Kaiser Fer- dinand II. hatte in Beziehung auf die Organisation der Behorden keine wesentliche Anderung zur Folge. Doch wurde, als die bohmische Hof- kauzlei 1620 nach Wien verlegt wurde, die bohmische Statthalterei, die aus den zwo'lf obersten Landesofficieren gebildet war, eine staudige Behorde. Die Beamten geriethen in eine grofiere Abhangigkeit vom Konige. Nach der ^vernewerten Landesordnung" von 1627 behielt sich der Konig das Recht vor, die Amter beliebig zu besetzen, wenn er auch versprach, in Bohmeu ansassige Personen zu ernennen. Auch sollten die Landesofficiere und Landrechtsbeisitzer ihr Amt nicht mehr wie bis- her in der Regel lebenslanglich behalten, sondern nach fuuf Jahren in die Hande des Konigs resignieren, von dessen Belieben ihre weitere Ver- wendung abhieng. 2 ) Ihren Eid leisteten sie nur noch dem Konige, nicht auch dem Lande. Daher sollten auch die hochsten Beamten nach einem Hofdecrete vom 3. September 1628 nicht mehr n oberste Landesofficiere ') J. C. Graf v. Auersperg, Geschichte des konigl. bohmischen Appellations- gerichtes, 1, 14 f. Dieser nennt 3 Herreu, 2 Eitter, 4 Doctoren vmd 5 Burger. Nach Bucholtz, Geschichte Ferdinands I., 6, 427 if., bestand das Gericht aus je 4 Mitgliedern der drei Staude und 4 Kechtsgelehrten ; nach Toman, S. 140 f., aus 5 Herren, 3 Rittern, 5 Biirgeru uud 5 Doctoren. Doch werden spater keiue Burger mehr erwahnt. 2 ) Cod. jur. Bohem. ed. H. Jirefiek, V. 2, 19 und 53 A. IX uud XXXIX. 144 des Konigreiches B6hmen", sondern r konigliche oberste Landes- officiere im Konigreiche Bohmen" heiflen, 1 ) wahrend fruher nur der Prasident, die Rathe und der Procurator der Kammer konigliche Beamte gewesen waren. Auch die Kreishauptleute, welche fiir die Aufrechthaltung des Friedens und der offentlichen Ordnung, wie der katholischen Religion zu sorgen, die Verordnungen zu publicieren, ursprunglich auch die auf- gebotene Mannschaft ihres Kreises anzufuhren, spater die Einquartierung und Verpflegung zu uberwachen, wie auch bei der Einhebung der Steuern mitzuwirken uiid (seit 1680) die Streitigkeiten zwischen den Unterthanen und ihren Herrschaften zu schlichten hatten, wurden in grofiere Ab- hiingigkeit vom Konige gebracht besonders dadurch, dass sie von diesem ernannt und nicht raehr aus den angesehensten und begtitertsten, sondern theilweise aus armeren, wenn auch angesessenen Adeligen 2 ) genommen und 1649 zum Gehorsam gegen die Landesbeamten als Statthalter des Konigs verpflichtet wurden. Indem man ihnen bald 3 ) auch einen Gehalt zahlte, wurden sie zu besoldeten Beam ten, auf welche 1685 auch die Verfugung fiber die funfjahrige Amtsdauer angewendet wurde. 4 ) Auch auf die Justiz sicherte sich der Konig grofieren Einfluss, indem die w vernewerte Landesordnung" bestimmte, dass alle Urtheile des Landrechtes, welche Leib und Leben oder die Ehre betrafen, vor der Ver- offentlichung ihm zur Genehmigung vorgelegt werden, und es auch ge- stattet sein sollte, gewisse Angelegenheiten von vornherein bei der bohmischen Hofkanzlei anhangig zu raachen, wo unter Beiziehung von Justiz- und obersten Landesbeamten das Urtheil gefallt werden sollte. 5 ) Ursprunglich wurden die Judicialia" wie die publica u im Plenum verhandelt. Erst Karl VI. verfugte 1719, dass fur die einen wie fur die anderen getrennte Senate gebildet werden sollten. 6 ) Durch die Landesordnung von 1627 wurde auch die Herrschaft der bohmischen Sprache gebrochen, welche bisher in der Verwaltung und bei Gerichten die alleinberechtigte gewesen war. Jetzt wurde bei Pro- J ) Toman, Das bohmische Staatsrecht, S. 51 f. 2 ) Einer sollte aus den im Kreise angesessenen Herren, einer aus den Rittern genommen werden. 3 ) In Mahren seit 1641. d'Elvert, Zur osterreichischen Verwaltungsgeschichte (Schriften der historisch - statistischen Section, 24. Bd.), S. 235 f. 4 ) Toman, 'S. 55 ff. und fur Mahren d'Elvert, S. 234 ff. 5 ) Landesordnung A. X und F. I IV. Beim Appellationsgerieht wurde die Zahl der Doctoreu auf 8 vermehrt, die der Herren und Ritter auf 8 vermindert, die alle (auch die adeligen Beisitzer) eine Priifung abgelegt haben mussten. 1729 bestand es aus einem Prasidenten, eiuem Viceprasidenten und 32 Rathen. Auersperg, 1, 23 ff. Toman, S. 140 ff. 6 ) Fellner in n Mittheilungen des Instituts", 15, 528. 145 cessen wie bei Eintragungen in die Laudtafel das Deutsche fiir gleich- berechtigt erklart und verfugt, dass die Verhandlungen in der Sprache des Angeklagten gefiihrt und, so lange nicht alle Landrechtsbeisitzer beider Sprachen kundig wSren, getrennte deutsche und bohmische Senate eingeriehtet werden sollteu. 1 ) 1G44 verordnete Kaiser Ferdinand III., dass jeder Rath des Appellationsgerichtes in Prag der deutschen und bohmi- schen Sprache machtig sein und in ersterer die Referate erstattet wer"den sollten. 2 ) In Milhren wurde 1636 unter dem Vorsit/e des Landeshauptrnannes ein Tribunal (in Briinn) eingeriehtet, welches nicht blofi die summari- schen Processe, die keine langere Vonmtersuchung erforderten, erledigen. sondern auch als Reprasentant des Kaisers die politische Verwaltung fiihren und fur Aufrechthaltung der katholischen Religion, Forderung des Handels und gute Polizei sorgen sollte, zu welchem Zwecke es 1739 in einen politischen und Justizsenat getrennt wurde. Auch hier wurde (1639 und 1712) bestimmt, dass die Acten in deutscher oder bohmischer Sprache gefiihrt und in der gleichen Sprache auch das Urtheil verkundet, aber im Rathe selbst nur deutsch referiert und abgestimmt werden sollte. Die Appellation gegen Erkenntnisse des Tribunals gieng unmittelbar an den Kaiser. 3 ) Fur die Erhebung und Verwaltung der dem Landesfursten zur Verfiigung stehenden Einnahmen (Kriegssteuern, Biergeld u. s. w.) wurde 1567 dem Landesunterkammerer Mahrens ein ,,Rentdiener" an die Seite gegeben, dessen Wirkungskreis aber erst nach der Niederwerfung der Rebellion, als die Einnahmsquellen vermehrt wurden, erweitert wurde. Jet r zt (1621) wurde statt eines Rentdieners ein r Rentmeister a mit einem Gegenschreiber ernannt, durch den der Landesunterkammerer nach und nach in den Hintergrund gedrangt ward. 4 ) In Schlesien war schon 1557 eine konigliche Kainmer errichtet worden, welcher aber nicht blofi die Verwaltung der koniglichen Ein- kunfte uud die Aufsicht fiber die Bergwerke, Miinze, Amter u. s. w., sondern auch die Uberwachung der Gerichte iibertragen wurde, sodass sie eine formliche Landesregierung darstellte. 5 ) *) Landesordmmg C. II. V., D. XLIII. XL VII., F. IV. XLVL, J. VI. und fiir Mahren Cod. iur. Bohem. V. 3, 122 sqq., . 117120 u. s. w. 2 ) Auersperg, 1,29. 49. Es gab auch einen deutschen und bohmischen Secre- tar und einen deutschen imd bohmischen Kegistrator, S. 43. 3 ) d'Elvert, a. a. 0. S. 198 ff. uud 251 ff. Die kaiserl. Instruction vom 13. De- cember 1636 in n Schriften der historisch-statistischen Section*, 16, 428 IF. 4 ) d'Elvert, a. a. 0. S. 122 if. und 286 ff. 5 ) Grunhagen, 2, 95 if. Vgl. d'Elvert, Zur osterreichischen Finanz-Geschichte, n Schriften der historisch-statistischen Section", 26, 151 ff. Huber. Osteireiclmehe Keichsgeschicbte. 10 146 3. Die Verwaltung tier ungarischen Kronlander. Noch entschiedener als die Bohmen hielten die Ungarn an der Selbstandigkeit ihres Keiches fest. Eine eigene Landesregierung, eine eigeue Kammer und eine eigene Hofkanzlei bestanden auch unter Ferdinand I. und seinen Nachfolgern fort. Aber auch hier traten doeh manche Veranderuugen des bisherigen Zustandes ein. Die Wtirde eines Palatius, der wahrend der Abwesenheit des Kouigs mit voller Gewalt dessen Stelle zu vertreten hatte, blieb seit 1531 trotz des Dran- gens des Reiehstages meist unbesetzt, weil die Konige es fur gefahrlich hielten, einern Manne. der, allerdings aus inehreren vom Konige vor- geschlagenen Candidaten, von den Standen gewahlt ward imd unabsetz- bar war, so ausgedehnte Befugnisse zu iiberlassen. Sie ernannten als Haupt der ungarischen Landesregierung einen Statthalter (locumtenens regius), gewohnlich einen Erzbischof oder Bischof mit einigen Ratheu. wahrend die richterlichen Befugnisse desselben einem Palatins-Stell- vertreter", die militarischen zweien Landescapitanen oder Haupt- leuten, dem einen fiir das Land diesseits, dem anderen fur das Gebiet jenseits der Donau iibertrageu wurden. .Erst der Aufstand Bocskay's erzwang 1608 die Wiederbesetzung der Wurde eines Palatins. Nach dem Tode Franz Wesselenys 1667 trat wieder eine Unterbrechung ein, was in Verbindung mit anderen Ursachen die Verschworung der Grafen Nd- dasdy, Zriny und Frangepani und den Aufstand Tokolys veranlasste. Urn Uugarn zu beruhigen, gestattete K. Leopold I. 1681 wieder die Wahl eines Palatins. 1 ) Den nachsten Rang nach diesem nahm der Hofrichter (judex curiae regiae) ein, welcher der oberste Landesrichter war. Doch bildete die Appellationsinstanz fur die koniglichen Stadte der oberste Schatz- meister (thesaurarius, tavernicorum regalium magister), zu dessen Competenz alle Angelegenheiten, welche mit den koniglichen Ein- kunften zusammenhiengen, und auch die Aufsicht uber die kouiglichen Stadte gehorten. Wie der Palatin in Ungarn, so stand in Croatien und Slavonieu der Ban an der Spitze der Landesregierung, welcher auch Prasident der dortigen Gerichtstafel und Anfiihrer der Streitkrafte des Landes war und iiberhaupt die militarischen Angelegenheiten zu entscheiden hatte, Ferdinand I. organisierte die ungarische Finanzverwaltuug 1528 auf neuer Grundlage und errichtete statt des Thesaurariates eine ungarische Kammer, deren Instruction mit der fiir die bohmische Kammer fast wortlich tibereinstimmte. Nach dem dieselbe 1529 mit dem Verluste Ofens *) A. v. Virozsil, Das Staats-Eecht des Konigreiches Ungarn, 1, 357 ff. 2, 325 ff., wo auch die Nachweise beziiglich der iibrigen hochsten Eeicnsbarone sich finden. 147 verschwunden war, wurde sie 1531 in Presburg, welches fortan Sitz der ungarischen Kegierung war, mit einem umfassendoron Wirkungskreise wieder hergestellt und erhielt 12. December 1548 eine neue Organisation, welche fur die Zukunft maBgebend wurde. Die Einhebung der Einnahmen aus den nordlichen und nordostlichen Comitaten wurde wegen ihrer weiten Entfernung dem Befehlshaber der Sdroser Burg iibertragen, 1567 aber wurde hiefiir die Zipser Kammer errichtet, welche zu der in Presburg in einer gewissen Unterordnung stand. 1 ) Auch auf Croatien erstreckte sich der Wirkungskreis der ungarischen Kammer nicht. Bin eigenes Verwaltungsgebiet auf dem Boden der ungarischen Krone bildete die Militargrenze. Ferdinand I. wendete sohon als Erzherzog, besonders aber nach seiner Wahl zum Konige von IJngarn, der Vertheidigung Croatiens, der Vor- mauer Steiermarks und Krains, groBe Aufmerksamkeit zu und befestigte uud besetzte, von den Stiinden der innerosterreichischen Lander mit Geld und Truppen unterstiitzt, die wichtigsten Platze dieses Landes, die er theilweise von Magnaten erworben hatte. Dasselbe geschah unter seinem Sohne Erzherzog Karl, dem Rudolf II. 1578 fo'rmlich die Vertheidigung der n windischen" und n croatischen Grenze" 2 ) ubertrug. Die Ver- waltung dieser Festungen, welche theils von koniglichen, theils von stan- dischen (inuero'sterreichischen) Truppen besetzt waren, wurde dem Ban von Croatien entzogen und unter die Truppeiibefehlshaber gestellt. Das- selbe geschah mit den n Walachen", d. h. Serben griechischer Eeligion aus den turkischen Provinzen, besonders aus Bosnien und Slavonien, welche sich am Ende des 16. Jahrhunderts in groBer Zahl in den Grenz- gebieten niederliefien uud gegen die Verpflichtung, auf Verlangen der Grenzcommandanten Kriegsdienste zu leisten, in der windischen Greiize bei Kopreinitz, Kreuz, Ivanich u. s. w. ode liegende Landereien erhielten. 3 ) Am 5. October 1630 wurden durch eine Verordnung K. Ferdinands II. nahere Anordnungen tiber die Verwaltung und Gerichtsbarkeit der win- dischen oder Warasdiner Grenze und die Rechte und Pflichten ihrer Be- wohner getroifen, welche dann auch auf das croatische oder Karlstadter Generalat ausgedehnt wurden. J ) Acsady, Magyarorszag penziigyei I. Ferdinand uralkodasa alatt (Ungarns Fi- nanzwesen unter der Regierung Ferdinands I.), p. 47 sqq. Bidermann, 1, 30 und 89 f. N. 34-36. 2 ) Unter der ersteren verstand man das Gebiet zwischen der Drau und Sau, unter der letzteren das zwischen der Sau und dein Meere. 3 ) Die Belege fiir die Entstehung der Militargrenze in ineiner ,,Geschichte Oster- reichs", 4, 367 S. 370 f. 394. tiber die spatere Zeit siehe das stoffreiche, aber schwer lesbareWerk vonVanicek, Specialgeschiehte der Militargreuze, l.Bd., wovon Schwicker, Geschicnte der osterreichischeu Militargrenze (1883) einen iibersichtlichen Auszug ge- macht hat. 10* 148 Durch die Kiickeroberung der sudlichen Grenzgebiete unter Leopold I. und Karl VI. wurde nicht blofi das Karlstadter Generalat bis zum Meere und zur Grenze Dalmatiens ausgedehnt, sondern auch die Bildung neuer Grenzdistricte veranlasst. Die Petrinier oder Banalgrenze, deren Anfange auch bis ins 16. Jahrhundert zuriickreichen, die aber unter dem Ban von Croatien stand, wurde durch den Karlowitzer Frieden bis zur Unna erweitert und unter Karl VI. neu organisiert. In den Jahren 1701 und 1702 wurde auch ein Generalat an der Save von Gradisca bis zur Mundung der Theifi (slavonische Grenze), ein anderes langs der Theifi und Maros bis an die siebenbiirgische Grenze errichtet; in ersterem er- hielten die Grenzer herrenlosen Grundbesitz, in letzterem, das kein be- sonderes Gebiet bildete. Sold in Geld und Naturalien. 1 ) Nach dem Frieden von Passarowitz (1718) wurde langs der Donau von der Theifimundung bis zur Grenze Siebenbiirgens die Temeser Grenze eingerichtet. Da- gegen wurde durch die Gewinnung des Banates die Theifi -Maroser Grenze iiberfliissig, und sie wurde denn auch in der ersten Zeit Maria Theresias (1743 1750) aufgelost und die dortigen Grenzer theilweise an die Donau ubersetzt, wo die Temeser oder Banater Grenze neu or- ganisiert wurde. Es gab nun fiinf verschiedene Grenzen, die Karlstadter, Warasdiner, Banal-, slavonische und Banater Grenze, welche aber anfangs kein abgeschlossenes Gebiet bildeten. indem die Ortschafteu. die unter der Militaradministration standen. mit solchen, welche der Civiladmini- stration untergeordnet blieben, vermischt waren. Erst nach und nach fanden gegenseitige Austauschungen und Umsiedlungen statt. Am wenig- sten war dies in der siebenbiirgischen Militargrenze der Fall, welche 1763 1765 errichtet wurde, aber bei der Bevo'lkerung am wenigsten Anklang fand. Auch die iibrigen unter Leopold I. und Karl VI. gewonnenen un- garischen Gebiete wurden nicht unmittelbar mit dem Hauptlande ver- einigt. Siebenbiirgcn, welches der Furst Michael II. Apafy 1696 gegen eine anderweitige Entschadigung dem Kaiser abtrat, erhielt ein eigenes konigliches Gubernium mit einem Thesaurariat und eine eigene Hofkanzlei in Wien. 2 ) Auch die am linken Ufer der Maros und Theifi gelegenen Comitate, welche die Tiirken im Passarowitzer Frieden abtraten, wurden als eigenes Verwaltungsgebiet, w Temesvrer Ban at," eingerichtet. Die Verwaltung des eigentlichen Ungarn wurde nach den Be- schliissen des Keichstages von 1722/23 auf neuen Grundlagen or- *) Seit 1705 stand die Militargrenze nieht mehr unter dem Hofkriegsrathe in Graz, sondern unter dem in Wien (s. u. S. 154 f.). 2 ) Schon 1691, nachdem der Kaiser fur den minderjahrigen Michael II. die vor- mundschaftliche Eegierung iiberhommen hatte. 149 gaiiisiert. 1 ) Es wurde in Presburg der r koniglich ungarische Statt- haltereirath" eingesetzt, der unter dem Vorsitze des Palatins oder in dessen Abwesenheit des Judex Curiae, aus 22 Kiithen bestehen sollte, die der Konig aus den Pralaten, Magnaten und Adeligen ernennt. Er ist keiner Hofstelle, sondern nur dem Konige untergeordnet und fuhrt in dessen Namen die innere Verwaltung mit Ausuahme der reinen Justiz-, Cameral- und militarischen Angelegenheiten. 2 ) Seine Antrage und Gut- achten unterbreitet er dem Konige durch die ungarische Hofkanzlei, durch welche ihr dieser auch seine Befehle ubermittelt. Auch den Ver- kehr zwischen dem Konige und den Standen vennittelt die Hofkanxlei. welcher auch die Gnadensachen, Verleihung von geistlichen und welt- lichen Amtern, Gutern, Titeln und Orden und die Ausubung der kirch- lichen Hoheitsrechte zustehen. Die Hofkanzlei, deren Vorstand bis 1731 immer ein Bischof war, hat ihren Sitz am Aufenthaltsorte des Konigs, soil aber von alien anderen Behorden unabhangig seiu. Die unteren Verwaltungsbehorden bildeten noch immer die (alle drei Jahre neugewahlten) Comitatsausschusse, welche unter dem Vorsitze des vom Konige ernannten oder erblichen Obergespans oder eines Vicegespans die Gesetze und Verordnungen kundmachten und ausfuhrten, oder auch dagegen Vorstellungen erhoben, die auf das Comi- tat gelegten Steuern unter die Unterthanen repartierten, die Localver- waltung fuhrten und die Reichstagsdeputierten wahlten, wie die Magi- strate der koniglicheu Stadte, die sich grofier Selbstandigkeit er- freuten. 3 ) Auch das Gerichtswesen wurde durch die Gesetze von 1723 theil- weise neu geordnet. 4 ) Den obersten Gerichtshof bildete die konigliche Curie, welche fortan standig fungieren sollte und in zwei Abtheilungen, die Sept em- viral tafel und die konigliche Tafel, zerfiel. Jene, so genannt, weil sie in alterer Zeit aus den sieben vomehmsten Reichsbeamten bestanden hatte, war die oberste Revisionsinstanz fur das ganze Reich. Sie bestand aus dem Palatin oder in dessen Abwesenheit dem Judex curiae als Pra- sidenten, aus dem Tavernicus oder Schatzmeister und dem Primas und x ) G. A. 1722/23 art. 97 102. Katoiia, XXXVIII, 551 sqq. Vgl. iiber den Statthaltereirath Virozsil, 3, 77 ff., iiber die Hofkanzlei S. 66 if. s ) Doch gehoren zu seiner Coinpetenz auch die Zolle und Mauten, die Forstcultur und der Bergbau, wie die Einhebung der Contribution fiir die Unterhaltung der Sol- daten uud die Einquartierung und die Sorge fur die Verpflegung derselbeu durch ihre Quartierherreii. 3 ) Virozsil, 3, 96 ff. 4 ) G. A. 1722/23 art. 24 42. ap. Katona, XXXVIII, 486 sqq. Vgl. Virozsil, 3, 128 ff. 150 aus einer Anzahl von Beisitzern, die vom Konige aus den Pralaten, Magnaten und Adeligen ernannt wurden. Die ^konigliche Gerichts- tafel", die aus dera kOniglichen Personal (Personalis praesentiae regiae in judiciis locumtenens) als Prasidenten und 16 Beisitzern (2 Pralaten, 2 Magnaten, je einem Stellvertreter des Palatins Vice-Palatinus und des Judex curiae u. s. w.) zusammengesetzt war, verhandelte einzelne Sachen als erste Instanz, war aber im allgemeineu die Appellationsinstanz fur alle unteren Gerichte. In Croatien und Slavonien nahm die Ba- il altaf el unter dera Vorsitze des Bans dieselbe Stellung ein. Hieran reihten sich die District ualgerichtstafeln (vier fiir Ungarn und eine fur Croatien) fur wichtigere Civilprocesse, die Comitatsgerichte (unter dem Vorsitze des Ober- oder Vicegespans), die Gerichte der konig- lichen Freistadte (unter Vorsitz des Stadtrichters), wie der privi- legierten Markte und Districte (Cumanen, Jazygen u. s. w.) und endlich als Einzelgerichte fiir die Adeligeu die Gerichte des Vicegespans und des Stuhlrichters (judex nobilium), fiir die Bauern die Herrenstuhle (sedes dominicales) unter dem Vorsitze des Grundherrn oder seines Stell- vertreters. Als Kechtsquellen dienten in Uugarn hauptsachlich das De- cretum tripartitum juris consuetudinarii regni Hungariae des Stephan Verboczy von 1514 und das Corpus juris Hungarici, eine Samrulung von einzelneu Gesetzen, obwohl beide nur Privatarbeiten waren. 4. Die gemeinsamen Regierungsbehorden. Trotz des Strebens der Bohmen und Ungarn, die Selbstandigkeit ihrer Keiche auch unter den Habsburgern aufrechtzuerhalten, fehlte es doch nicht an gemeinsamen Kegierungsbehorden, was besonders dadurch ermoglicht wurde, dass der Konig nach der Verfassung jener Keiche in wichtigen Fragen nicht an die Zustimmung der Stande gebnnden war. Unabhangig von diesen entschied er fiber Krieg und Frieden, 1 ) fiber die Art der Kriegfiihrung, uber die Einhebung und Verwendung der regel- mafiigen Einkiinfte aus den Krongiitern und Regalien und fiber mauche sonstige Verwaltungsfragen. So konnte der gemeinsame Herrscher seine verschiedenen Konigreiche und Lander nach geineinschaftlichen Grund- satzen regieren und in Beziehuug auf die auswartigen, militarischen und die finanziellen Verhaltnisse eine reale Einheit zwischen den- selben herstellen. x ) Seit dem Bruderkriege zwischen K. Eudolf II. und Matthias (1608) such ten die ungarischeu Stande allerdings die Gewalt des Konigs in dieser Beziehuug zu be- schranken, indem gesetzlich bestimmt wurde, dass dieser ohne Zustimmung des Eeichs- tages keinen Krieg anfangen und dass beim Abschlusse ernes Friedens oder Vertrages mit den Tiirken Ungaru zurathe gezogen und den Gesandtschaften an die Pforte Ungarn beigegeben werden sollten. (Belege bei Virozsil, 2, 81 if.) Aber die Konige haben sich auch fortan an diese Gesetze nicht strenge gehalten. 151 V Die Fragen der auswartigen Politik wie die allgemeinen Regierungs- und Verwaltungsangelegenheiten unterlagen der Berathung des geheimen Rathes, welcher schon in der ersten Zeit Ferdinands I., im Jahre 1527, vorhanden ist. Er bestand unter ihm und seinen nachsten Nachfolgern nnr aus drei bis funf der vornehrasten Wurdentrager, und zwar xuin groflten Theile Deutschen. In der letzten Zeit Ferdinands III. (vor 1654) war ihre Zahl auf funfzehn, 1 ) unter Leopold L, wo die Wurde endlich als blofier Titel verliehen wurde, nach und nach auf mehr als 60 ge- stiegen. 2 ) Dies machte aber eine Anderung der Geschaftsordnung nothwendig. Leopold I. berief seit circa 1659 nur noch einige der vornehmsten geheimen Rathe /AI einer Conferenz, welche eine Art von Ministerrath vorstellte. Noch 6'fter aber bildete er aus seinen geheimen Rathen Commissionen, gewohnlich yon vier oder ftinf, manchmal wechseluden Mitgliedern, welchen ein gewisses Gebiet der auswartigen Politik (die Beziehungen zum deut- schen Reiche, zu Spanien, zu Frankreich u. s. w.) zugewiesen wurde. Fur plotzlich auftauchende Fragen, z. B. den ungarischen Aufstand im Jahre 1670, warden wohl auch aufierordentliche Commissionen eingesetzt. Die einlaufenden Berichte auswartiger Gesandten oder Agenten kamen an den Prasidenten der betreffenden Commission. 3 ) Fur gewisse innere Angelegenheiten, z. B. Verhandluugen mit den Laudstanden, namentlich wegen Bewilligung der Contribution, fur Cameral- sachen und die finanzielle Seite der militarischen Angelegenheiten setzte Leopold I. eine standige Commission oder n Deputation" ein. 4 ) Auch unter Joseph I. wurde nur eine geringe Anzahl von geheimen Rathen in die Conferenz berufen und dauerten anfangs die Commissionen fort. Doch setzte er endlich (Marz 1709) statt dieser eine standige Conferenz von acht geheimen Rathen eiu, welche fiber die auswartige Politik und die Kriegssachen berathen sollte. Bei Verhandlungen fiber a ) Die geheimen Bathe unter Ferdinand I. siehe in meiner n Geschichte Oster- reichs", 4, 211 f., unter K. Maximilian II., K. Matthias und Ferdinand III. in den ,,Re- lationen der Botschafter Venedigs", herausgegebeu von Fiedler in n Font. rer. Austr. Dipl. u , 30, 337 und 26, 19. 187. 400 sqq. 2 ) 1670 gab es 26, 1684 schon 41 (Bidermann, 1, 114 N. 24), urn 1692 gar 53 wirkliche und 9 Titular - Geheimrathe (uach der S. 137, N. 3 erwahnten Hand- schrift). Die Angabe Mailaths, Geschichte Osterreiehs, 4,382, dass die Zahl beim Tode Leopolds I. gar 164 betragen habe, diirfte doch iibertrieben sein. 3 ) Grofimann, Die Gesehaftsordnuug in Sacheu der auBer en Politik am Wiener Hofe zu K. Leopolds und Lobkowitz' Zeiten, B Forschungen zur deutschen Geschichte", 12, 459 if. Vgl. Gaedeke, Die Politik Osterreiehs in der spanischen Erbfolgefrage, 2, 64 ff. 4 ) Sie bestand 1709 aus dein Oberstkammerer und den Prasidenteu der Hof- kanzleien, der Hofkauimer uud des Hofkriegsrathes und verhandelte unter dem Vor- sitze des Kaisers. Fellner in n Mittheilungen des Instituts", 15, 527. 152 Angelegenheiten des deutschen Reiches sollten auch der Prasident des Keichshofrathes und der Reichsvicekanzler beigezogeii werden. Wenn Justizsachen zu erledigen waren, sollte der geheime Kath im Plenum verhandeln. Auch unter Karl VI. bestand diese Conferenz fort. 1 ) Den Vorsitz bei den Berathungen des geheime nKathes fiihrte mauchmal der Kaiser selbst, sonst in der ersten Zeit Ferdinands I. sein oberster Kanzler, der Trientner Bischof Bernhard von Cles und nach dessen Rucktritt (1538) der Obersthofmeister, wie dies in der Regel auch unter den spateren Kaiseru der Fall war. Erst 1709 wurde verfiigt, dass in Abwesenheit des Kaisers der iilteste geheime Rath den Vorsitz fiihren sollte. Wie der geheime Rath, so bildete auch die allgemeine Hof- kanzlei, welche die gefassten Beschlusse desselben, wie des Hofrathes und die Befehle des Monarchen ausfertigte, eine Centralbehorde. Sie zerfiel aufaiigs theils nach sachlichen, theils nach territorialen Gesichts- punkten in mehrere Abtheilungen unter je einem Secretar. Ihr Vorstand war der n oberste" Kanzler, wie er offenbar im Gegensatze zu den Kanzlern von Bohmen und Ungarn und bei den Landesregieruugeu ge- nannt wurde. Aber nach dem Rucktritte Bernhards von Cles ernannte der Ko'nig nur noch einen Vicekanzler, der fortan regelmafiig aus dem Juristenstande genommen wurde. Als Ferdinand I. 1558 .deutscher Kaiser wurde, hiefi dieser Reichsvicekanzler, horte aber deswegen nicht auf, die Kanzleigeschafte der osterreichischeu Erblande zu besorgen, fur welche in der Reichskanzlei eine eigene Expedition bestand. 2 ) Erst aufangs 1620 wurde von Ferdinand II. neben der Reichskanzlei eine eigene 6'ster- reichische Kanzlei mit einem Vicekauzler und spater Hofkanzler an der Spitze errichtet. Diese wurde auch ,,zur Hauskanzlei der deutschen Habsburger gemacht und erhielt die Expedition aller der Gesehaftsstiicke, welche die osterreichischen Lander und die secreta des Erzhauses be- trafen". 3 ) Auch der Verkehr mit den auswartigen Machten kam immer mehr an die 6'sterreichische Hofkanzlei. 4 ) *) A. Arneth, Priuz Eugen, 1/200 if. 342 if.; 2, 95 if.; 3, 451. Vgl. Bider- maiiii, 2, 17 f. und Fellner, a. a. 0. S. 526 f. 2 ) Die allgemeine Hofkanzlei inischte sich aber auch in die Angelegenheiten Boh- mens und Ungarns ein. Auch uugarische Statthalter erhielten von ihr die Instruc- tionen. Biderniann, 1, 87 N. 27. a ) Fellner in n Mittheilungen des Insti tuts", 15, 521. Vgl. Biderinaiin, 1, 35 42 f. und die Noten 65, S. 99 und 2633, S. 116 ff. Unter dem Hofkanzler gab es eigene Expeditionen oder Departements fur die niederosterreichischen uud innerosterreichischen und nach der Wiedervereinigung Tirols mit den osterreichischen Landeru uuter K. Leo- pold I. auch fur die oberosterreichischen Lander. 4 ) Doch war der diplomatische Verkehr mit Eussland und der Tiirkei Sache des Hofkriegsrathes, mit Polen Sache der schlesischeu Abtheiluug der bohmischeu Kanzlei. Bidermann, 2, 18. 153 Eine dritte gemeinsame Behorde war der von Ferdinand T. 1556 errichtete Hofkriegsrath, der fur die Werbung, Ausrustung und Ver- proviantierung der Truppen und fur die Instandhaltung der Festungen und Zeughauser zu sorgen hatte. 1 ) Auch der anfangs 1527 errichteten Hofkammer, welche aus einem Schatzmeister (spater Priisident genannt), niehreren Riithen, einern Hof- zahlmeister ti. s. w. bestand, war von vorneherein ein allgemoinerer Wii- kungskreis zugedacht. Sie hatte die Aufgabe, alle den Staatshaushalt bcln'ffendeii Angelegenheiten zu berathen, die Landkammern zu iilM-r- wachen, die nicht durch die Landesverwaltung absorbierten Einkunfte derselben, die auBerordentlichen Steuern und etwaigen Suhsidien des deutschen Keiches, wie die aufgeliehenen Gelder in Empfang zu nehmcn und die Ausgaben fur den Hof, die Gesandten, die Centralbehorden und das Heer anzuweisen. Dadurch rausste sie nothwendig eine grofiere Be- deutung erlangen als die bohmische und ungarische Kammer. welche, wie der Konig ausdrucklich verfiigte, ,,auf die Hofkammer ihr Aufsehen (respectum) haben" sollten. Sie hatte auch regelmafiig iiber die Vorlagen an den bohmischen Landtag und den ungarischen Reichstag, besonders solche finanzieller Natur, ihr Gutachten abzugeben, wogegen auch die Stande Ungarns anfangs gar keine Einwendung machten, weil die un- garische Kammer uicht als eine Landesbehorde, sondern als eine konig- liche Behorde angesehen wurde, welche vor allem die Rechte und Inter- essen des Landesherrn zu wahren hatte. Ja selbst die Verwaltung der ungarischen Bergwerke, des Miinzwesens und einzelner Mautamter wurde der ungarischen Kammer entzogen und zuerst der niederosterreichischen Kammer, dann der Hofkammer iibertragen. Auf dem Reichstage von 1569 wurde auch gesetzlich anerkannt, dass ,,nach dem bisherigen Ge- brauche die Kammersachen in der (Hof-) Kammer, die Kriegssachen im (Hof-) Kriegsrathe", und nur jene Angelegenheiten, welche n die Justiz, Rechte und Freiheiten des Reiches" betrafen, im ungarischen Rathe ver- handelt werden und zur Verhandlung dieser Angelegenheiten immer wenigsteus zwei ungarische Rathe dem Hofe folgen sollten. 2 ) Im Inter- esse der Parteien sollte beim Hofkriegsrathe und der Hofkammer je ein (ungarischer) Dolmetsch angestellt, Schriftstiicke aber, welche nur die Rechte und Freiheiten Ungarns (und seiner Angehorigen) betrafen, nach einein Gesetze von 1567 nicht von der deutschen, sondern von der un- J ) Firnhaiber, Zur Gesehiohte des osterreichischen Militarwesens. Skizze der Entstehung des Hofkriegsrathes, ,,Archiv fur osterreichische Geschichte", 3Q, 91 ff. 2 ) Majestas sua benigne declaravit: qiune justitiam, jura, libertatesque regni con- cernunt, in Hungarico, quae cameralia, in camera, quae cero bellica negotia snnt, in bellico consilio more hactenus observato tractari etc. Mon. comit. Hung., 5, 270 art. 38. 154 garischen Kanzlei ausgefertigt werden. 1 ) Durch das Gesetz von 1569 war auch vom nngarischen Reichstag anerkannt worden, dass es gemein- same militarische imd finanzielle Angelegenheiten gebe. Die Theilung der osterreichischen Lander unter die drei Sohne Ferdinands I. (1564) hatte freilich auch Einfluss auf die Stellung der Centralbehorden. Denii wie K. Maximilian II. und dessen Nachfolger hatten auch die Erzherzoge Ferdinand von Tirol und Karl und Ferdinand von Steierrnark einen eigenen geheimen Rath, eineu Hofrath, eiiie Hofkammer und eine Hofkanzlei. Auch ein eigener Hofkriegsrath wurde 1578 in Graz eingesetzt. 2 ) Diese Behorden dauerten, .allerdings mit beschraukteren Befugiiissen. selbst dann noch fort, als 1619 Inner- 6'sterreich und 1665 Tirol und Vorderosterreich wieder mit dem Haupt- korper der habsburgischen Monarchic vereinigt wurden. Nur die nieder- osterreichische Rammer wurde unter Ferdinand II. mit der Hofkammer vereinigt, welche fortan auch die Geschafte jener besorgte. 3 ) Auch unter K. Leopold I. gab es in Graz und Innsbruck besondere Geheimraths- collegien mit eigenen ,,Hofvicekanzlern" fiir die Verwaltuug und die Justiz. Beziiglich dieser entschieden sie als oberste Revisionsinstanzen die Civilsacheu endgiltig, wahrend sie in Criminalsachen die Gnadeu- gesuche und die Recurse an die Gnade des Kaisers dern Hofe vorlegen mussten. Es gab daselbst auch eigene Hofkammern und dem Namen nach auch eigene Hofkanzleien, die freilich der osterreichischen Hof- kanzlei 4 ) einverleibt wurden, iudein der oberste Hofkanzler zugleich Pro- vinzialkanzler war. Dem entsprechend gab es auch in der osterreichi- schen Hofkanzlei drei getrenute Departements (Expeditionen) mit eigenen Referenten und Kanzleibeamten, eine nieder-, eine ober- und eine iuner- osterreichische Expedition. 5 ) Erst K. Joseph I., welcher am 5. Mai 1705 seinem Vater folgte, machte diesen foderalistischen Einrichtungen beziiglich der deutschen Erblande ein Ende. Schon wenige Wochen nach seinem Regierungs- antritte fasste er den Entschluss, den innerosterreichischen Hofkriegsrath und die inilitarischen Angelegenheiten in Tirol und den Vorlanden dem *) Mon. comit. 5, 159 art. 40. 2 ) Bidermann, 1, 24 und dessen Geschichte der laudesfiirstlichen Behorden in und fiir Tirol" im fl Archly fiir Geschichte Tirols", 3, 338 ff. Vgl. Him, Erzherzog Ferdinand II. von Tirol, 1, 461 ff., der jedoch (S. 476) glaubt, dass es unter Ferdinand noch nicht zur Bilduug eines fb'rmlichen Collegiuras geheimer Kathe gekommen sei, und Fellner in den B Mittheilungen u , 8, 289 f. 8 ) Fr. Freiherr v. Mensi, Die Finanzen Osterreichs, S. 4. 4 ) Durch diese verkehrten auch der Wiener Hofkriegsrath und die Hofkammer mit den obersten Behorden in Graz und Innsbruck. 5 ) Biderrnaun, Geschichte der landesfiirstlichen Behordeu in Tirol, S. 342 ff. und ^Gesammtstaatsidee", 1, 42 f. 46 ff. (mit den Noten 61 87 S. 134 ff.) und 2, 1 ff. 155 Hofkriegsrathe in Wien, die Hofkammern in Graz und Innsbruck der Hofkamnier in Wien unterzuordnen. Trotz des Widerstrebens der be- treff'enden Behorden wie der Stande Tirols und Steiermarks wurde diese Verordnung bis 1709 durchgefiihrt. Gleichzeitig (1705) wurde eine Um- gestaltung der osterreichischen Hofkanzlei angebahnt, indem im Interesse einer rascheren Geschilftsbehandlung zwei Hofkanzler ernannt warden. Sie leiteteu zwar die Kanzlei gemeinschaftlich und unterzeich- neten gemeinsam die Erlasse. Aber thatsachlich theilten sie sich doch so in die Geschafte, dass der eine die ,,Publica u , der andere die n Juridica u ubernahm. 1 ) 1720 wurde dies bleibend eingefuhrt. Der erste Hofkanzler sollte fortan mit zwei Kathen die .,Haus- und Staatsachen", also die das Herrscherhaus betreffenden Fragen, die Ceremonialien bei Kronungen und die auswartigen Angelegenheiten, 2 ) der zweite, der Vorstand der eigent- lichen osterreichischen Kanzlei, mit den ubrigen Rathen die ,,Provincialia und Judicialia", also die inneren Verhaltnisse, die oberste Justiz und die administrative!! Angelegenheiten uuter sich haben. 3 ) Die Liinderreferenten warden beseitigt. Mit rein militarischen und finanziellen Fragen hatte die Hofkanzlei nichts mehr zu than. Wurden so die Folgen der Landertheilung vou 1564 wieder beseitigt, so suchten die Ungarn den Einfluss der Centralbehorden auf ihre An- gelegeuheiten dauernd einzuschranken. Schon unter Maximilian II., be- sonders aber unter der schwachen Eegierung Kudolfs II. klagten die Stande, dass der Kaiser durch die deutsche Hofkanzlei auch iiber ungarische Angelegenheiten Weisungen ertheilen lasse und fremden Rathen Einfluss gestatte, dass die ungarischen Behorden, die ungarische Hofkanzlei, der Statthalter und die ungarischen Rathe durch die allgemeine Hofkammer und den Kriegsrath in den Hintergrund gedrangt, die Befehlshaberstelleu in den ungarischen Festungen an Auslander ubertragen wiirden. 4 ) Nach dem Aufstande Bocskays musste den Ungarn im Wiener Frieden 5 ) (23. Juni 1606) die Zusichernng gemacht werden, dass die Palatins wurde herge- stellt und alle Arnter und Befehlshaberstellen in Ungarn and dessen Nebenlandern mit Ausnahme yon zwei Grenzfestungen an der Donau nur Eingeborenen verliehen werden sollteu. In den Gesetzartikeln, welche Matthias noch vor der Kronung zuin Konige von Ungarn (Nov. 1608) *) Bidermann, 2, 8 ff . mit deu Anraerkungen S. 106 ff. 2 ) Nur der diplomatiscbe Verkehr mit der Pforte verblieb iiocli dem Hof- kriegsrathe. 8 ) Die betreffeiide Instruction vom 26. Marz 1720 bei G. Wolf, Geschichte der k. k. Arcbive in Wien, S. 16. Vgl. Fellner, a. a. 0. S. 528 f. *) Naberes auf Grund der n Mon. comitialia Hungariae" in meiner B Geschichte Osterreichs", 4, 264 und 439 ff. 5 ) Der Text bei Katona 28, 545 sqq. 156 bestatigen musste, 1 ) wurde verfiigt, dass der Einfluss der (Wiener) Hof- kammer und der niederosterreichischen Kainmer auf die ungarische Fi- nanzverwaltung und die Einkiinfte dieses Eeiches vollstandig aufhoren und der Konig fiber ungarische Angelegenheiten keine Auslander mehr um Kath frageu sollte. Vollstandig sind diese Bestimmungen freilich nicht ausgeffihrt worden. Auch fortan, besonders seit Leopold I., und zwar nicht blofi in Zeiten, wo die ungarische Verfassung ausser Kraft gesetzt war, iibten Mitglieder des geheimen Bathes Einfluss auf die Entscheidungen des Kaisers fiber ungarische Angelegenheiten und die Wiener Hofkammer auf finanzielle Fragen, wurden zahlreiche Auslander zu Kathen der nngarischen Kammer ernannt, ergiengen Weisungen des Kaisers an die ungarischen Behorden durch die allgemeine Hofkanzlei, ohne dass fibrigens die ungarischen Wfirdentrager dagegen ernstliche Opposition raachten. Der Wirkungskreis der ungarischen und noch mehr der siebenburgischen Hofkanzlei und Kammer ist auch unter Karl VI. ein sehr beschrankter; sie erscheinen in Abhangigkeit YOU den betreffenden Wiener Hofstellen. 2 ) Noch mehr war dies seit der Unterdrfickung des Aufstandes von 1618 bei den bohmischen Am tern der Fall. Eine ziemlich selbststandige Stellung nahmen der spanische und niederlandische Rath ein, welche nach der Erwerbung der spanischen Nebenlander, und zwar jener 1713 fur die italienischen Lander, mit drei Abtheilungen, dem Rath von Neapel, dem von Sardinien (spater Sicilien) und dem von Mailaud, dieser 1719 fur die osterreichischen Niederlande errichtet wurde. 3 ) Unter Joseph I. und Karl VI. wurden neue Einrichtungen ge- schaffen, welche ffir alle osterreichischen Lander Bedeutung hatten. 1706 wurde die ,,Wiener Stadtbank" errichtet, welche einen Theil der Staatsschuldeii verzinseu und nach und nach abzahlen sollte, wogegen ihr das Ertragnis ernes Theiles der indirecten Steuern wie deren Verwaltung fiberlassen wurde. Die Leitung dieser Bank hiefi w Mi- nisterial-Bancodeputation". 4 ) Eine noch umfassendere Aufgabe er- hielt die 1715 creierte ,,Universal-Bancalitat", 5 ) welche in Wien ihren Sitz und in mehreren Provinzial-Hauptstadten eigene n Bancalcollegien" 1 ) ap. Katona, 29, 72 sqq. 2 ) Belege aus der Zeit der drei letzten Habsburger bei Bidermann, 1, 43 ff. mit den Anraerkungen 2951 und 5467 S. 116 if. und 2, 21 if. (und 145, N. 74-80), 32 f. (S. 174, N. 17), 56 if. (288, N. 113128). 3 ) A. Arneth, Prinz Eugen, 2, 349369; 3, 107. 4 ) Fr. Freih. v. Mensi, Die Finanzen Osterreichs von 1701-1740, S. 205 ff. Den Namen hatte diese Bank davon erhalten, dass die Stadt Wien fur die Eiuhaltung der Verbindlichkeiten haftete und auch an der Verwaltung betheiligt war. 5 ) T. Mensi, S. 431572. 157 hatte. Sie sollte nach der nrsprunglichen Einrichtnng als Staatscentral- casse die meisten Eirinahmen des Staates empfangen und die angewiesenen Ausgaben auszahlen, als Staatscreditinstitut der Regierung Credit ver- sehaffen und zugleich als Depositenbank fungieren. Sie hatte also eine viel umfassendere Aufgabe als die neben ihr noch fortbestehende Wiener Stadtbank. Das n Bancalgubernium" drohte anfangs auch die Hof- kammer ganz in don Hintergrund zu drangen. indem alle Cameralamter ihm untergeordnet warden. Doch wurde es eben wegen der Rivalitat beider schon 1716 wieder aufgehoben und tiber die Hofkammer und Bancalitiit eine aus den vornehmsten Ministern zusammengesetzte flFinanzconferenz" gestellt, welcher die oberste Leitung und die Uberwachung der ganzen Verwaltuug iibertragen wurde, ohne dass sie selbst administrative Befug- nisse hatte. Die Hofkammer war 1713 im centralistischen Sinne umge- staltet worden, indem statt der bisherigen Referate nach Landern Com- missionen nach Materien eingesetzt wurden. Doch wurden schon 1732 diese bis auf drei wieder beseitigt und sechs ,,Departements" oder Com- missionen nach Landern eingerichtet, wobei jedes Departement einen standigen Referenten erhielt. 1 ) Zur Forderung des Handels, besonders des Seehandels mit dem Orient wurde 1716 ein Commercienrath fur Innerosterreich eingesetzt, an (lessen Stelle 1718 das r Haupt-Commercien-Collegium" in Wien trat. Auch in einzelnen Provinzen wurden Commerz-Deputationen oder -Collegien errichtet. 2 ) 5. Das Steuerwesen. 8 ) DieEinkiinfte des Landesfiirsten theilten sich in dieser Periode in ordentliche und auflerordentliche. Jene, welche nicht von der Be- willigung der Stande abhingen, bestanden in den Ertragnissen .der Do - manen oder Staatsguter, der Amter, Stadtsteuern, des Ungelts (Verzehrungssteuer von Getranken oder auch von anderen Gebrauchs- gegenstanden in den Stadten) und der Regalien, namlich der Berg- werke, Miinze, Walder, Zolle, 4 ) Man ten und der Judensteuer, wozu in J ) Bidermaun, 2, 27 ff. und 169, N. 39. Meiisi, S. 127 ff., 648 ff. s ) Bidermann, 2, 34 und 178 ff; d'Elvert, Zur osterreiehischen Verwaltuugs- Geschichte, S. 375. 3 ) Fiir die Eegierung Ferdinand I. Naheres in raeiuen n Studien iiber die finan- ziellen Verhaltnisse Osterreichs unter Ferdinand I. in n Mittheilungen des Instituts", Erganzungsband 4, 181 ff., fur die spatere Zeit Freiherr v. Men si, Die Finanzen Oster- reichs von 1701 1740. Eiuzelne Materialieu gibt auch d'Elvert, Zur osterreiehischen Finanz-Geschichte in B Schriften der historisch-statistischen Section", 25. Bd. 4 ) In Ungarn nach ihrer HShe tricesima, in Siebenbiirgen ricesinta (des Wertes) genannt. 158 Ungarn die Einkunfte von den erledigten geistlichen Pf run den und in der ersten Halfte dieser Periode der kirchliche Zehent kam, den der Konig gegen Entschadigung der Bischofe fur sich verwendete. Auch wurden im Laufe dieser Periode Stempel, Taxen und 1701 (bleibend 1723) das Tabakmonopol eingefuhrt. Diese Einnahmen, deren Verwaltung der Hofkammer zustand, konnten zur Deckling der regelmafiigen Ausgaben fur den Hofstaat, Gnaden- gaben, kirchliche Stiftungen, die Verwaltung und allenfalls auch fur die Verzinsung der vom Landesfursten gemachten Anlehen ausreichen. nicht aber auch fur die militarischen Bediirfiiisse, da zur Vertheidigung der 6'sterreichischen Lander gegen die Tiirken, spater auch gegen die Franzosen und andere Feinde ein Heer zu erhalteu, Festtingen anzulegen und andere militarische Bedurfnisse zu bestreiten waren. Um diese Aus- lagen zu decken, inusste sich der Landesfiirst an die Stande der ver- schiedenen Lander wenden, urn die Bewilliguug von Subsidien oder aufierordentlichen Steuern oder auch (was seit Maximilian II. ofter geschah) die Ubernahme von Schulden auf das Land durchzusetzen. Schon in der zweiten Halfte der Regieruug Ferdinands I. wurden fast Jahr fur Jahr aufierordentliche Subsidieu gezahlt. Anfangs hoben die Stande die von ihnen bewilligten Summen nicht blofi selbst ein, sondern sie ver- wendeten sie auch in der Eegel zur Ausrustung und Besoldung der von ihnen gestellten Truppen. Spater wurden sie wohl dem Landesfiirsten oder den von ihra bezeichneten Personen eingehaudigt. Aber mit Riick- sicht auf ihren Hauptzweck wurden sie iramer als n Militarbewilligung" von den w Cameraleinnahmen" unterschieden. Auch aus anderen An- lassen, z. B. bei der Erbhuldigung, der Reise des Kaisers zu seiner Kronung oder der Vermahlung desselbeu oder seiner Kinder wurden von den Standen aufierordentliehe Subsidien gefordert und bewilligt. Die Steuerobjecte waren nicht in alien Landern dieselben. Die Stande Ungarns bewilligten in der Regel aufler den Arbeiteu der Unterthanen fur die Befestigung der Grenzplatze (Idbores yratuiti) eine Grundsteuer, uud zwar von jedem Bauerngute (einer portd) eine be- stimmte Anzahl von Gulden. In Bohinen wurde 1541 eine Vermogenssteuer eingefuhrt, indem von 1000 Schock Groschen zuerst 10, dann 12 Schock gezahlt werden raussten, wozu 1547 eine Biersteuer kam, welche die an der damaligen Er- hebung betheiligten Stadte noch besonders zahlen mussten. 1 ) Im Jahre 1567 wurde statt der Vermogenssteuer eine Haussteuer eingefuhrt, die den J ) Anfaugs betrug diese nur 1 Groschen von jedem verkauften Fasse (a 4 Eimer) Bier, wurde aber dann niehrmals uud endlich durch die Landesordnung von 1627 (A. 34) zur Strafe fur den Aufstand auf 1 Gulden fur ein Fass erhoht. 159 Adel fast gar nicht traf, 1570 noch eine Verkaufssteuer *) hinzugefugt, 1593 die Steuerfreiheit der Adeligen wieder beseitigt und dieselben nach dor Zahl der Bauernansassigkeiten auf ihren Gutern besteuert. In Mahren wurden irn Laufe des 16. Jahrhunderts mit Bewilligung der Stande neben dem Biergroschen in den koniglichen Stadten auch noch eine (auch von den Herrschaften entrichtete) Realsteuer, eine Capitalien- steuer, ein Biergeld auf dem Lande, ein Aufschlag vom ein- und durch- gefiihrten Wein und von dem im Lande verkauften Schlachtvieh und Getreide eiugefiihrt. 2 ) Nach dem dreifiigjiihrigen Kriege setzten es die oberen Stande Bohmens und Mahrens durch, dafi sie von ihren herrschaftlichen Gutern gar keine Contribution mehr zahlten. Der bohmische Kataster von 1654 wie der mahrische von 1664 beruhte auf den von den Herr- schaften uberreichten Fassionen, aber die.Fassionspflicht beschrankte sich nur auf den Besitz der Unterthanen. der (wenig zahlreichen) Freisassen und der Burger fur die aufierhalb der Stadt gelegenen Guter. Doch ubernahmen die oberen Stande und die kouiglichen Stadte Mahrens 1671 auf Verlangen des Kaisers einen Theil der Contribution. Die Herrschaften in Bohruen zahlten seit 1706 das Extraordinarium, wenn ein solches nebeii der von den Unterthanen schon regelmafiig gezahlten Contribution be- willigt wurde. In den nieder- und innerosterreichischen Landern bildete die Grundlage ftir die Besteuerung des landschaftlichen Gnmdbesitzes die Gilt, d. h. 1% des dem Einkommen von demselben entsprechenden Ca- pitalswertes (ungefahr 1 / 6 des Ertrages), und es wurde je nach Bedurfnis die halbe, gauze, doppelte 11. s. w. Gilt bewilligt. Im Lande unter der Enns hatten Y 5 der bewilligten Summe die Stadte und Markte, die iibrigen 4 / 5 die Pralaten, Herren und Bitter zu zahlen, doch waren diese (seit 1545) berechtigt, ihre Unterthanen in entsprechender Weise zur Zahlung her- anzuziehen. Diesen gegenuber waren die Herrschaften insofern be- giinstigt, als bei ihnen Yioo? ^ e i ^ en Bauern schon Veo ^ es Wertes ihres Gnmdbesitzes die Steuereinheit bildete. Als die Besteuerung der Gilten zur Aufbringung der immer mehr steigenden Subsidien nicht mehr aus- reichte, fiihrte man (standig seit 1584) neben dieser noch eine zweite Eealsteuer (die Urbarsteuer oder den Hausgulden) ein, deren Einheit J ) Anfangs musste von jedern verkauften Gegenstande der dreiBigste Groschen gezahlt werden. Spater wurde die Steuer auf eiuige wichtigere Gegenstaude, Getrauke, Vieh, Fische eingesehrankt. Siehe iiber alle diese Fragen Gindely, Geschichte der bohmischen Finanzen von 1526 1618. n Denkschriften der kaiserlicheu Akademie", 18, 91 ff. 2 ) d'Elvert, a. a. 0. S. 153 ff. 160 das Haus bildete mid die anfangs ausschliefilich, spater gro'fitentheils von den Unterthanen getragen werden musste. In Tirol bildete die Grundlage der Besteuerung das zwischen den Standen und deni Kaiser vereinbarte Landlibell von 1511, welches die Zalil der im Falle eiues feindlichen Angriffes von den Hochstifteru Brixen nnd Trient, den Pralaten und dem Adel, den Stadten und Gerichten zu stellenden Kriegsknechte oder die dafur zu zahlenden Summen festsetzte. Nach der damals vereinbarten Vertheilung (den ,,Steuerknechten") wurden dann auch die directen Steuern umgelegt. Weun an die verschiedenen Lander aufierordentliche Anforderungen gestellt wurden, zu deren Befriedigung die gewohnlichen Grundsteuern nicht ausreichten, so wurden wohl auch andere Steuern votiert. die sich als eine Mischung von Vermo'gens-, Einkommen- oder Erwerbsteuer und Kopfsteuer darstellten, oder es wurden auch Getrank- und Verzehrungssteuern be- willigt. Schon friih hat sich ein bestimmtes Verhaltnis fur die Leistungen der verschiedenen deutschen und bohmischen Lander herausge- bildet, wenn man sich auch nicht immer an dasselbe gehalten hat. Als Ende 1541 Vertreter derselben dem Konige Ferdinand 1. eine Ver- mogenssteuer bewilligten, welche bei den Mitgliedern der Stande, den Geistlichen, Biirgern und Freibauern YIOOJ bei den gemeinen Leuten und den Unterthanen l / KO ihres Vermogens betrug, schatzte man das Ertragnis in Bohmen auf 375.000, in Mahren auf 150.000, in Schlesien auf 200.000, in der Lausitz auf 50.000, in den deutschen Erblanden auf 371.000 Gulden. 1 ) Spater wurde manchmal von den bohmischeu Landern nur so viel verlangt wie von den Erblanden. Dagegen sollten nach einem unter Maximilian II. zwischen den bohmischen Landern und den oster- reichischen Standen geschlossenen Ubereinkommen diese Y 3 , jene 2 / 3 zahlen. Auch 1670 gait als Grundsatz, dass bei einer Forderuug von 1,800.000 Gulden Niederosterreich 200.000, Oberosterreich 100.000, Inner- osterreich 300.000, zusammen also 600.000, die bohmischen Lander 1,200.000 (und zwar davon Bohmen 4 / 9 , Mahren 2 / 9 , Schlesien 3 / 9 ) bei- steuern sollten. 1m Jahre 1682 wurde das Verhaltnis der Steuer- summe der deutschosterreichischen und der bohmischen Lander wie 6% zu H 3 /4 (oder wie 150 zu 282) festgesetzt, wobei von der von diesen zu zahlenden Summe die Halfte auf Bohmen, ein Drittel auf Mahren, zwei Drittel auf Schlesien entfielen. 2 ) Die Contribution, die von dem ungarischen Keichstage 1715 auf zehn Jahre bewilligt wurde und fortan stiindig blieb, betrug ungefahr 2,500.000 Gulden. 3 ) J ) Bohmische Landtagsverhaudliingeii 1, 532 f. 2 ) d'Elvert, a. a. 0. S. 222 ff. Vergl. Toman, Das bohmische Siaatsrecht, S. 96 f. Bidermaun 2, 92. 3 ) d'Elvert, Zur osterreichischen Verwaltungs-Geschichte, S. 395 f. 161 6. Das Hecrwesen.'i Die Verfugung iiber die bewaffnete Macht stand dem Kaiser zu, der selbst alle wichtigeren Anordnungen traf. Die oberste Militarbeho'rde war der 1556 errichtete Hofkriegsrath mit einem Prasidenten (spater auch einem Viceprasidenten) und einer Anzahl von Rathen, welcher fur die Erganzung, Ausriistung und Verpflegting des Heeres, fur den Bau und die Instandhaltung der Festungen und Zeughauser zu sorgen, Operations- plane zu entwerfen, die Befehle zwischen dem Kaiser und den Truppen- commandanten zu vermitteln, die .Vorschlage zur Ernennung der Feld- herren, Festungscommandanten und Regimentsinhaber zu rnachen und die Justiz fiber die hoheren Officiere und die aufierhalb der Regimenter stehenden Militarpersonen auszuiiben hatte. Urn fur die Verpflegs- und Geldbediirfnisse der Armee zu sorgen und die Gebarung zu controliren, wurde 1650 eine eigene Behorde, das General-Kriegs-Commissariat-Amt eingesetzt, welches unter Leo- pold I. zur Hofstelle erhoben und dem Hofkriegsrathe coordiniert wurde. Fur die Verproviantierung der Truppen im Frieden und fur die Anlegung von Magazinen wurde das Obrist-Proviant-Amt geschaffen, welches aber zunachst von der Hofkammer und dem General-Kriegs-Commissariat- Amte abhieng. Fur die Ausubung der Gerichtsbarkeit, soweit sie dem Hofkriegs- rathe zustand, gab es ein eigenes General-Feld-Kriegs-Auditoriats- Amt, an dessen Spitze der General-Feld-Kriegs-Auditor stand, welcher meist zugleich Hofkriegsrath war. Viele Rechte, welche jetzt als Ausfluss der Souveranitat angesehen werden, standen in dieser Periode den Inhabern der Regimenter zu. Diese warben die Truppen, ernannten die Officiere ihres Regimentes, fuhrten die Verwaltung desselben und waren seine Gerichtsherren, in- dem sie die Disciplinargewalt ausubten und in wichtigeren Fallen das richterliche Verfahren anordneten und ihnen das Urtheil zur Bestatigung oder zur Milderung vorgelegt wurde (jus gladii et aggratiandi). Erst nach und nach suchten der Hofkriegsrath und einzelne Generale diese Rechte einigermafien einzuschranken. Ein stehendes Heer hat es aber im Beginne dieser Periode noch nicht gegeben. Auch war alles nur fiir die Vertheidigung eingerichtet. In den deutsch-osterreichischen wie in den bohmischen Landern bestand die Verpflichtung der Vasallen, im Falle eines feindlichen Angriffes dem Landesfursten auf eigene Kosten beizustehen, in Ungarn in ahnlicher Weise die adelige Insurrection, nach der jeder Edelmann personlich, J ) Vgl. im allgemeinen n Feldziige des Prinzen Eugen von Savoyen", 1, 187 ff. Huber. Osterreichische Reichsgeschichte. 162 die machtigeren Barone, Pralaten und Magnaten rnit ihren Vasallen imter eigenera Banner (Banderium) ins Feld riicken mussten. 1 ) Die Stellung weiterer Truppen hieng von dem guten Willen der Stande ab, "welche auf Ansuchen des Landesfiirsten diesem fur eine bestimmte Zeit, etwa drei oder sechs Monate, ein Landesaufgebot (den 30., 10. oder 5. Mann oder den ganzen Landsturm) bewilligten, das sie in der Eegel selbst be- soldeten und verpflegten. Es stand dem Ftirsten frei, Soldner zu halten. Aber da die Mittel, fiber welche er unabhangig von den Standen verfiigen konnte, nur geriug waren, so wurden solche erst im Falle der Noth an- geworben und so bald als nioglich wieder entlassen. Erst die langen, im 16. Jahrhundert nur durch mehrjahrige Waffen- stillstande unterbrochenen Kriege mit den Tiirken und die Nothwendig- keit, auch im Frieden fur den Schutz der Grenzen gegen ttirkische Streif- scharen zu sorgen, zwangen den Kaiser, in Ungarn und Croatien eine standige Streitmacht zu unterhalten, die aber beim Tode Ferdinands I. 1564 nur ungefahr 9000 Mann betrug. 2 ) Im 17. Jahrhundert stieg die Zahl immer mehr an. Wohl wurden nach jedem Kriege ganze Regi- menter aufgelost, aber manche wurden auch im Frieden unterhalten. Die Ungarn beschwerten sich aber fast auf jedem Reichstage fiber die Anwesenheit ,,fremder" Truppen in ihrem Gebiete, wie denn fiberhaupt das Bewusstsein der Zusammengehorigkeit der osterreichischen Lander noch nicht entwickelt war und nicht eiumal die deutschosterreichischen Provinzeri es als ihre Pflicht ansahen, im Falle der Bedrohung durch einen Feind einander Beistand zu leisten. 3 ) Nur ausnahmsweise wollten die ungarischen Stande in Friedeiiszeiten in einzelnen Grenzfestungen fremde Truppen dulden. Erst 1715 erkannte der ungarische Reichstag es an, dass das Reich durch die Insurrection all ein nicht genfigend ver- theidigt werden ko'nne, und dass ein regulares Heer, aus Eingeborenen und Fremden bestehend, erhalten werden rnfisse. Die Stande gestatteten daher die Aushebung einiger tausend Mann. Doch wurde ausdrucklich betont, dass fiber die dazu nothwendige Contribution auf dem Reichs- tage verhandelt werden mtisse. 4 ) Weniger straubten sich die Un- 1 ) Spater aber nur noch, wenn der Konig in eigener Person auszog. 2 ) Siehe meine n Studien iiber die finanziellen Verhaltnisse Osterreichs unter Ferdinand I.*, in n Mittheilungen des Instituts", Ergauzungsband, 4, 211 f. 3 ) Noch 1645 leugneten die Steirer die Verpflichtuug, den Osterreichern gegen die Schweden Hilfe zu leisten; 1704 behaupteten die Krainer diesen Standpunkt der Stadt Triest, 1707 die Karntner und Krainer den durch die ungarischen Insurgenten bedrohten Steirern gegeniiber. 1703 batten die Steirer selbst den Kartiiern, diese den Tirolern gegen die Pranzosen eine ausgiebige Unterstiitzung verweigert. Bidermann, 2, 6 und 25; 101 N. 22 und 165 N. 95 und 96. *) G. A. 1715 art. 8. 163 garn gegen die Errichtung von Befestigungen, wozu sie durch Geld, noch haufiger aber durch Koboten beitrugen, und zwar in der Weise, dass in- folge von Reichstagsbeschlussen mehrere Comitate zum Bane oder zur Einhaltung einer bestimmten Festung verpflichtet waren. Fur die Be- festigung der Platze in der Militargrenze leisteten die Stande der inner- osterreichischen Lander, fur jene Komorns und Kaabs jene des Erzherzog- thums Osterreichs und auch das deutsche Keich bedeutende BeitrSge. Die Macht der Stande in den bohmischen und deutschOster- reichischen Landern wurde infolge der Gegenreformation und der Unterdriickung des Aufstandes gebrochen, und dieselben machten von dieser Zeit an gegen die Bewilligung von Subsidien zur Aufbringung, Be- soldung und Verpflegung von Truppen keine grundsatzliche Opposition mehr, wenn sie auch von der verlangten Summe haufig etwas herabzu- handeln suchten. 1 ) Nur die tirolischen Stande, die noch die grosste Be- deutung behauptet hatten, wehrten sich noch unter K. Karl VI. gegen die Anschauung, dass alle Erblande zum Unterhalte des kaiserlichen Heeres beizutragen hatten, und erhoben gegen eine von ihnen zu diesem Zwecke geforderte Steuer die Einwendung, dass Tirol vertragsmaflig nur sich selbst zu vertheidigen habe und ohnehin zum Unterhalte der vier Land- miliz-Kegimenter 2 ) die Halfte beitrage; zu einer w weiteren Militarnoth- durft zu contribuieren und solche Postulate perpetuierlich werden zu Jassen, sei durchaus nicht der Stande Gesinnung". 3 ) Fur die Einquartieruug oder Kasernierung der Truppen mussten die Stande (in Ungarn in der Regel die Comitate) sorgen. Auch zum Unterhalte der einquartierten oder durchmarschierenden Soldaten wie fur die Aufbringung der erforderlichen Pferde mussten vielfach die Lander oder Comitate beitragen, und erst unter Karl VI. wurde das Contribution s- wesen genauer geordnet. 4 ) c) Geschichte des Standewesens. I. Die deutschen Erblander. 5 ) Die Landtage der deutschen Erblaiider bestanden in dieser wie am Ende der vorhergehenden Periode aus vier Stan den, Pralateu, Herren. *) Beispiele aus der Zeit von 16361699 fur Mahren bei d'Elvert, Beitrage zur Geschichte der Rebellion u. s. w. in ^Schriften der historisch-statistischen Section" 16, 770-828. 2 ) Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts war das Landesaufgebot militarisch orgauisiert. 3 ) Bidermaun, 2, 354 N. 261. 4 ) Bidermann, 2, 357 N. 269 uud 148 N. 77. 5 ) Siehe hieriiber Pribram, Die niederosterreichisehen Stande und die Kroue in der Zeit Leopold I., n Mittheilungen des Instituts", 14, 589 if. Pritz, Geschichte des Landes ob der Enns, 2, 612 ff. Hermann, Geschichte Karntens, 2 b , 24 ff. 11* 164 Rittern und Stadten und Markten. In Tirol, wo alle Adeligen in einer Curie vereinigt waren, bildeten die Vertreter der Bauern, der n Ge- richte", den vierten Stand. In Vorarlberg waren die Stadte und Gerichte allein im Landtage vertreten, und sie bildeten nur eine Curie. Die Mitglieder des Clerus und des Adels batten das Kecht, personlich zu erscheinen, die Stadte und Markte wie in Tirol und Vorarlberg die Landbezirke (Viertel) schickten einen oder zwei Vertreter (die Stadte meist den Biirgermeister oder Stadtrichter), welche an Instructionen ge- bunden waren. Von Tirol und theilweise von Krain abgesehen. standen aber die Delegierten des Burgerstandes an Rechten hinter den ubrigen Standen weit zuruck. Sie leisteten mit diesen die Huldigung und wohnten der Verlesung der Landtagspostulate bei. Aber sie waren von den gemein- sarnen Berathungen der Pralaten und Adeligen ausgeschlossen, zahlten meist nur als eine Virilstimme, und auch die Verwaltung, soweit sie zur Corapetenz der Stande gehorte, stand meist den oberen Standen allein zu. DieEinberufung desLandtages erfolgte durch den Landesfiirsten. Bestimmte Termine hierfur hat es nicht gegeben. Da der Hauptzweck immer die Bewilligung der verlangten Steuern war, so kam es darauf an, auf wie lange Zeit diese erfolgte. Ferdinand I. suchte dieselbe immer auf mehrere, wenigstens auf zwei Jahre, durchzusetzen. Aber wegen des Straubens der Stande wurde endlich die jahrliche Einberufung Regel. 1 ) Spater wurde sie in den meisten Landern wieder seltener. Den Vorsitz im Landtage fiihrte der Landeshauptmann (im Lande unter der Enns n Landmarschall"). 2 ) Auf dem ersten Landtage, der nach dem Regierungsantritte eines neuen Landesfursten berufen wurde, fand die Erbhuldigung der Stande statt, wogegen der Fiirst diesen und dem Lande die alteu Privilegien und hergebrachten Rechte und Freiheiten bestatigte. Das wichtigste Recht der Stande war das der Bewilligung von Steuern, hauptsachlich der Grundsteuer (Contribution), wogegen der Furst beziiglich der Regalien (der Einnahmen von den Bergwerken und Aelschker, Geschichte Karntens, S. 890 ff. Dimitz, Geschiehte Krains, 2, 299; 3, 215 ff.; 4, 69 ff. Egger, Die Entwickluug der tirolischen Landschaft. Programm des Gymnasiums zu Innsbruck, 1876. Egger, Die Tiroler und Vorarlberger (Die Volker Osterreich-Ungarns, IV), S. 141 ff. Him, Erzherzog Ferdinand von Tirol, 2, 59 ff. J ) Erst 1689 bewilligteu die Stande des Landes unter der Enns auf zwolf Jahre bestimmte Steuersummen, was sie freilich nieht gegen neue Forderungeu wahrend dieser Zeit sehiitzte. Pribram, S. 628 N. 1. 2 ) In Karnten wurde, weil die Stelle des Landeshauptmannes oft langere Zeit nicbt besetzt und durcb einen Landesverweser versehen wurde, spater von den Standen ein Burggraf als Vorsitzender ties Landtages uud der Verordneten gewablt, und zwar anfangs auf Lebenszeit, spater auf secbs Jahre. Hermann, 2 b , 32 f. 165 Miinzen, der Mautaufschlage u. dergl.) voii diesen unabhangig war und besonders seit dem 17. Jahrhundert auch von Wein und Bier, Vieh und Fleisch oft eigenmachtig Abgaben erhob. 1 ) Der Ffirst Hess beim Beginn des Landtages sein Postulat vorlegen, welches auf Grund eines Gutachtens derHofkammer, diewieder dasGeneral-Kriegs-Commissariatund die anderen Amter befragt hatte. gestellt wurde. Tiber dieses Postulat beriethen die Tier Stande gesondert, und in jedem entschied die Mehrheit der Stimmen. Dann erfolgte eine gemeinsame Berathung der drei oberen Stande, und nachdem man sich auch mit. den Vertretern der Stadte ins Einvernehmen gesetzt hatte, wurde die kaiserliche Proposition schriftlich beantwortet. In Tirol wurdeu die Vorlagen des Landesfiirsten zuerst in Ausschussen berathen, in denen alle Stande vertreten wareu. Wohl nie wurden die Forderungen der Regierung gleich anfangs im vollen Umfange bewilligt, weswegen diese auch inimer hoher gestellt wurdeu, als nothwendig war. Es folgte dann auf die Replik der Stande eine Duplik der Regierung, und oft kam es zu einer Triplik oder Quadruplik u. s. w., bis man sich, nach- dem beide Theile einige Concessionen gemacht hatten, fiber einen be- stimmten Steuerbetrag einigte. Dabei gab der Kaiser in der Regel die Erklarung ab, dass diese Bewilligung von Seite der Stande nur aus gutem Willen geschehe und ihren Rechten nicht prajudicieren solle. An die Steuerbewilligungen kniipften die Stande in der Regel auch ihrerseits Wfinsche und Beschwerden fiber Missstande, deren Be- seitigung sie verlangten. Ein Recht, davon die Steuerbewilligung abhaiigig zu niachen, wurde freilich principiell nie anerkannt. Aber die Regierung musste doch moglichste Rficksicht darauf nehmen, urn die Stande gfinstiger zu stimmen. Manche Gesetze sind mit Berficksichtigung der Wfinsche der Stande erlassen worden, freilich nicht in der Weise, dass sie mit diesen formlich vereinbart worden waren. Zu den perso'nlichen Vorrechten der Mitglieder der oberen Stande gehorten der privilegierte Gerichtsstand vor dem Landrechte, der ausschliefiliche Anspruch auf die Richterstellen und auf den Besitz standischer Besitzungen im betreifenden Kronlande, die Ausubung der Gerichtsbarkeit fiber ihre Unterthanen in erster Instanz u. s. w. Die Entscheidung mancher weniger wichtiger Angelegenheiten, die Vorbereitung der Verhandlungsgegenstande, wie die Erstattung von Gut- achten war Sache des standischen Ausschusses, der in manchen Landern nur aus gewahlten Mitgliedern der drei oberen Stande. im Lande ob der Enns und in Tirol aus Vertretern aller vier Stande zusammengesetzt war. Ffir die Ausffihrung der Landtagsbeschlfisse, die Verwaltung, soweit J ) Siehe das Verzeichuis der Patente von 15561754 in B Schriften der historisch- statistischen Section der rnahrisch-schlesischen Gesellschaft", 23, 415 ff. 166 sie in den Handen der Stande war, und fur die Einquartierung und Unterhaltung des im Lande befindlichen Militars war in mehreren Landern schon im 16. Jahrhimdert ein zweiter Ausschuss, die ,,Verordneten", ein- gesetzt worden, zu denen im Lande unter der Enns und in Karnten je zwei Mitglieder der drei oberen Stande, 1 ) in anderen Landern auch Ver- treter der Stadte gewahlt wurden. Die Wahl erfolgte anfangs nur bis zum nachsten Landtage, dann auf drei oder vier oder (in Niederoster- reich seit 1682) auf sechs Jahre. In manchen Landern, wie in Tirol, Karnten und (wenigstens zeitweise) auch in Krain gab es einen engeren oder kleinen und einen grofien Ausschuss. Letzterer 2 ) wurde bei wichtigeren Anlassen, die aber doch nicht die Einberufung des ganzen Landtages nothwendig erscheinen liefien, versamraelt. Unter dem Landtage oder zunachst den Verordneten stand gewohn- lich ein Einnehmeramt fur die Einhebung der stadtischen Einkiinfte, ein Kaitamt oder eine Kaitkammer zur Prufung der Eechnuugen, auch wohl ein Reutmeisteramt, das die im Executionswege hereinzubringen- den Abgaben einzutreiben hatte. Auch die Beisitzer des Landrechtes (auch Landschranne oder Schrannengericht) wurden voni Landtage gewahlt. und zwar nur aus dem Adel. 2. Die bbhmischen Lander. Der bohmische Landtag bestand auch in dieser Periode aus den Herren, Rittern 3 ) und Vertretern der kcniglichen Stadte, die eiue eigene Curie bildeten, aber vom Adel nicht als gleichberechtigt angesehen wurden. Durch die ^vernewerte Landesordnuug" von 1627 wurden auch dem Erz- bischofe von Prag und den infulierten Praia ten, welche in die Landtafel eingetragene Giiter besafien, wieder Sitz und Stimme auf den Landtagen eingeraumt, und zwar bildeteii sie den ersten Stand. 4 ) Die Stadte, welche mit Ausnahme von Pilsen und Budweis wegen ihrer Theilnahme am Aufstande ihre Staudschaft verloren hatten, erhielten diese durch 1 ) Im 16. Jahrhundert, wo die Protestanten unter den Mitgliederu der Stande iiberwogen, wurden keine Pralaten gewahlt. Doch setzte die Regierung dann die Wahl solcher wieder durch. In Karnteu und Kraiu wurde aber nur einer gewahlt. 2 ) Er bestand in Karuten aus 16 bis 24, in Tirol, wo er die volleu oder ,,offeiien u Landtage immer mehr verdrangte, aus je 10 bis 12, der kleine aus je 5 bis 6 Vertretern der vier Stande. 3 ) Die Herreu und Ritter hatten alle das Recht, auf dem Landtage zu erscheinen. Doch kam es im 16. Jahrhundert ofter vor, dass wpgen der grossen Kosten die Adeligen eiues Kreises Vertreter wahlten und diesen eine Entschadigung bewilligten. Palacky, V, 2, 400. Toman, S. 59 f. 4 ) L. 0. A. 24. 167 die Gnade K. Ferdinands II. wieder zuriick. Doch wurden sie uur durch Abgeordnete von Prag, Budweis, Pilsen und Kutteuberg, welche deswegen privilegierte Stadte hiefien, auf den Landtagen reprasentiert. Die Ver- treter der Prager Stadte durften auch innerhalb der Schranken des Land- tagssaales erscheinen. 1 ) Die Einberufung des Landtages gait als Recht des Ko'nigs und nur in revolutionaren Zeiten versammelten sich die Stande eigenmachtig. Nach der Erhebung zu Gunsten der Schmalkaldner wurde 1547 das Ge- setz gegeben. dass bei Strafe des Todes nieraand ohne konigliche Be- williguug einen Landtag oder eine Kreisversammlung 2 ) berufen durfe. 1627 wurde dieses Verbot bei Strafe des Verlustes von Leben, Ehre und Gut erneuert. 3 ) Die Stande batten eigentlich nur das Recht, fiber die ihnen vorge- legten koniglichen Propositionen zu verhandeln. Doch konnten sie dadurch, dass sie auf die an sie gestellten Forderungen besonders finan- zieller Natur nicht eingiengen, die Verhandlung ihrer Wunsche und Be- sehwerden durchsetzen. Die Landesordnung von 1627 sprach aber das Recht, Propositionen zu machen, ausdrticklich dem Konige allein zu und erklarte es fur ein Verbrechen und einen Eingriff in das konigliche Amt, wenn jemand miindlich oder schriftlich einen Antrag stellen wurde. Nur beim Konige durfte man eine Sache anregen. Auch wurde den. Standen verboten, an Steuerforderungen unbillige Bediugungen zu knupfeu. 4 ) Zur gesetzlichen Giltigkeit eines Landtagsbeschlusses war nicht blofi die Sanction des Konigs, sondern auch die Eintragung in die Land- tafel nothwendig, welche in Anwesenheit standischer Vertreter (Relatoren) und der dazu bestimmten obersten Beamten erfolgen musste. Die Befugnisse der Stande waren anfangs sehr ausgedehnte. Die Wahl oder Annahme des Ko'nigs, die Bewilligung aller aufierordent- lichen Steuern, 5 ) des Aufgebotes oder der Stellung anderer Truppen, die Veranlagung und Einhebung der bewilligten Steuern, die Ertheilung des Incolates an Auslauder, die Genehmigung der Veraufierung von Kammer- gutern und Theilen des bohmischeu Krongebietes und die Beschlussfassung iiber neue Gesetze gehorten zu ihrer Competenz. Die von ihnen bewilligten Steuern durften nur fiir den bestimmten Zweck verwendet werden. *) P. StransJky's Staat von Bohmen. Uebersetzt, berichtigt und erganzt von Cornova, 7, 222 ff. 2 j Diese waren bisher von den Kreishauptleuteu berufen worden. 3 ) Bohmische Landtagsverhandlungen, 2, 500, L. 0. A. IV. 4 ) L. 0. A. 5. 6. 3 ) Zu diesen gehorten nicht bloB die Ertragnisse der Domanen und Kegalien nicht, sondern auch nicht das nach der Kebellion den Stadten mit Ausnahme von Pilsen und Budweis als Strafe auferlegte Biergeld (1 Gulden von jedem Fass) L. 0. A. XXXIV. 168 Durch die Einfiihrung des Erbrechtes fur sammtliche Mitglieder des Hauses Habsburg wurde das Wahlrecht der Stande auf den Fall des Aus- sterbens aller Seitenverwandten besehrankt. Durch die Landesordnung yon 1627 wurde die Ertheilung der Eiiaubnis von Werbungen, zur Er- bauung von Festungen und Schlossern, zur Errichtung von Mauten und Zolleu, wie der Aufnahme von Auslandern in das Incolat dem Konige zugesprocheu. 1 ) Auch behielt sich Ferdinand II. ausdriicklich das Kecht vor, in Bohmen ,,Gesetze und Recht zu machen und alles dasjenige, was das Jus legis ferendae, so uns als dem Konige allein zusteht, mit 1 sich bringt". 2 ) Doch erklarte er, dass er Contributionen nur auf den Landtagen ,,uud anders nicht" begehren lassen wiirde, 3 ) und dieses Ver- sprechen erneuerte er in dem am 29. Mai 1629 gegebenen Majestatsbriefe, worin er fiir sich und seine Erben versprach, alle vier Stande und die ganze Gemeinde des Erbkonigreiches bei ihren Eechten zu lassen. Im Jahre 1640 raumte Ferdinand III. den Standen auf dem Gebiete des Privat- und Strafrechtes, der Polizeigesetzgebung u. dgl. auch das Recht der Initiative ein, indem er ihnen erlaubte, iiber geriugere Sachen, die nicht den n status publicus" und seine r Person, Hoheit, Autoritat und Regalien" betreffen, sich zu unterreden und Beschlusse zu fassen, deren Publicierung aber von seiner Bestatigung abhangen sollte. 4 ) Das Recht des Ko'nigs, auch aus eigener Machtvollkommenheit fiber solche Fragen Gesetze zu geben, wurde indessen dadurch nicht aufgehoben, und es wurde davon auch in wichtigen Fallen Gebrauch gemacht. Selbst so tief in die Rechte und die materiellen Interessen eingreifende Gesetze wie das bohmische Robotpatent von 1680 (uud dessen Erneuerungen und Ab- anderungen von 1717 und 1738) wurden n aus Kayserlich- uud Konig- licher Macht und Vollkommenheit" erlassen. 5 ) Das Steuer- und Recrutenbewilligungsrecht des Landtages wurde seit der Unterdriickung des Aufstandes von 1618 oft dadurch um- gangen, dass der Konig besonders in Kriegszeiten der rascheren Eiiedigung wegen statt desselben eine ,,Zusaminenkunft" der obersten Landes- beamten, Landrechtsbeisitzer und koniglichen Rathe, manchmal auch der Kreishauptleute oder einzelner Standemitglieder einberief. Die Forderungen 1 ) L. 0. A. 12. 14. 20. 2 ) L. 0. A. VIII. Auch im Kundinachungspatent vom 10. Mai 1627, worin dar- auf hiugewiesen ist, dass Bohmen n in forma uuiversitatis rebellieret" habe, behalt sich der Konig das Recht vor, n solche Unsere Landes-Ordnung zu mehren, zu bessern und was sonst das Jus legis ferendae mit sich bringt", wie auch die in der L. 0. nicht be- griffenen Falle n durch Constitutiones regias zu decidieren", Uber die Bedeutung dieses Artikels siehe Gindely, Gegenreformation in Bohmen, S. 471 ff. 8 ) A. 5. 4 ) Novella Aa. IX. r Histor. Aktenstiicke iiber das Standewesen in Osterreich", 2, 53. 5 ) Griinberg, Die Bauernbefreiuug in Bohmeu, Mahreu und Schlesien, 2, 5 ff . 169 des Kflnigs wurden von diesen auch regelmafiig bewilligt, allerdings unter Verwahrung und manchraal gegen nachtragliche Genehmigung der Stande. Seit der letzten Zeit Leopolds I. wurden manche Steuern auch ohne jede Bewilligung eingehoben. 1 ) Zur Vorberathung, rnanchmal auch zur Entscheidung gewisser An- gelegenheiten oder zur Ausfuhrung von Landtagsbeschlussen, wie zur Verwaltung des Landesvermogeus wurden von den Landtagen oft Com- mission en eingesetzt, zu deren Mitgliedern meist die obersten Landes- beamten, Landrechtsbeisitzer und Rathe des Konigs, wie Vertreter der verschiedenen Stande gewahlt wurden. Als die Landesbeamten nicht mehr als standische, sondern als konigliche Beamte angesehen wurden, wahlte der Landtag 1652 fur die Beaufsichtigung des stiindischen Steuer- amtes und die mit der Vertheilung einer bewilligten Steuer zusammen- hangeiiden Fragen eine aus 12 Personen (3 aus jedem der vier Stande) bestehende n Hauptcommission", deren Wirksamkeit immer wieder er- neuert wurde uud der namentlich die Ausfuhrung der Landtagsbeschlusse zustand. Infolge des Widerstandes der Regierung verschwindet diese seit 1674, und es wurde dafur 1714 die Errichtuug eines besoldeten ,,Landesausschusses" aus je zwei Vertretern der drei obereii Stande uud der vier Prager Stadte beschlossen, der, 1715 zum erstenmale gewahlt, die Landesokonomie zu besorgen, das standische Steuerwesen zu uber- wachen, die Entwurfe fur die Vertheilung des einquartierten Militars ab- zufassen hatte u. s. w. Alle drei Jahre sollten die Beisitzer der drei oberen Stande neu gewahlt werden, doch wurden sie thatsachlich vom Vorstande der betreffenden Standecurie ernannt. Bei wichtigeren An- gelegenheiten wurde der Landesausschuss durch zwei weitere Mitglieder aus jedem Stande verstarkt. 2 ) Die Grebiete von Glatz und Ellbogen und das an Bohmen ver- pfandete deutsche Reichsland Eger wareii auf dem bohmischen Land- tage gar nicht vertreten, und es musste wegen der Ubernahrne der von diesein bewilligten Steuern vom Konige erst rnit ihren Vertretern ver- handelt werden. Ellbogen wurde erst nach 1644, Glatz 1696 den ubrigen bohmischen Kreisen gleichgestellt. Dasselbe geschah 1723 auch mit dem Egerlande, das noch 1721 als selbstandiges Gebiet seinen Beitritt zur pragrnatischen Sanction erklart hatte. 3 ) ^ Toman, S. 69. Auch in Mahren schrieb der Kaiser vor 1693 ,,die verwichene Jahr hero die Bey- uud Kopfsteuer Jure regio" aus. ,,Schrifteu der historisch-stati- stischen Section" 16, 833. 2 ) Toman, S. 75 ff. 8 ) Toman, S. 93 ff. Kiirschner, Eger und Bohmen. Die staatsrechtlichen Verhaltnisse, S. 105157. Piir das 16. Jahrhundert gebeu die n bohmischeu Land- tags verhandluugen" Aufschluss. 170 In Mahren waren die Verhaltnisse denen Bohmens im wesent- lichen gleich. Auch die , r vernewerte Landes-Ordnung des Erb-Marggraff- thumbs Mahren" l ) vom 10. Mai 1628 stimmt mit der 1627 fiir Bohmen erlassenen in den Hauptpimkten meist wortlich iiberein. Wie in Bohmen spielten die Vertreter der Stadte in Mahren auf den Landtagen eine sehr untergeordnete Kolle. Sie hatten zusamraen nur eine Stimme und durften nur aufierhalb der Schranken des Landtagssaales stehen, bis ihnen K. Joseph I. 1711 daselbst wenigstens Sitze einraumte. Auch in Mahren wurde zuerst (wenigstens seit 1636) fiir einzelne Falle, seit 1686 standig, ein Landesausschuss (,,Landschafts-Deputirte"), in den je zwei Ver- treter der vier Stande gewahlt wurden, unter dem Vorsitze des Landes- hauptmannes eingesetzt. 2 ) In Schlesien scheint sich das Standewesen, wie es dann wahrend der gauzen Periode bestand, noch wahrend der Kegierung Ferdinands I. ausgebildet zu haben. Es gab hier drei Curien: 1. die regierenden Furs ten, zu denen noch die Standesherren mit einer Collectivstimme kamen, 2. vier Vertreter der Eitterschaften der unmittelbar unter der Krone stehenden Fiirstenthiimer Schweidnitz, Jauer, Glogau und Breslau und der Abgeordnete der Stadt Breslau, 3. yier Abgeordnete der iibrigen Stadte der genannten Furstenthiimer. Den Vorsitz fiihrte der Ober- landeshauptmann, an welchen zugleich alle Auftrage des Konigs giengen, als dessen Statthalter er daher in gewissem Sinne betrachtet werden konnte. Nach einem Privileg Konig Wladislaws von 1498 musste der- selbe aus den schlesischen Fursten genoramen werden. Doch wurde seit Ferdinand I. imrner der Bischof von Breslau fiir diese Wurde ernannt. 3 ) Generallandtage, bei denen auch Delegierte der Stande der bohmischen Nebenlander in Prag erschienen, fanden aufier in deu revo- lutionaren Zeiten von 1608 1620 nur sehr selten statt, nach der Unter- druckung des Aufstandes wohl nur bei der Kronung des Konigs und hie und da zur Vertheilung einer bewilligten Steuersumme unter die ver- schiedenen Lander. Von 1710 1723 tagte auch eine gemeinsame stan- dische Commission zum Zwecke einer neuen Redaction der Landesordnungeu fiir Bohmen und Mahren. 4 ) 3. Die Ungarn. Fiir die Zusammensetzung des ungarischen Keichstages wurden erst auf dern Reichstage von 1608 bei Gelegenheit der Kronung J ) Herausgegeben von H. Jirecek im n Codex juris Bohernici", V, 8. 2 ) d'Elvert, in B Schriften der historisch-statistischen Section" 16, 877 ft'. 23, CCCXVI f. und 24, 194 ff. ") Griinhagen, 2, 93 ff. Vergl. 417 ff. 4 ) Toniau, S. 96 ff. 171 des K6nigs Matthias bestimmte Normen festgestellt, 1 ) wobei theils das Herkommen bestatigt, theils neue Anordnungen getroffen wurden. Der Keichstag sollte in die Magnaten- und Standetafel zerfallen, jene aus den Pralaten und Magnaten, diese aus den Vertretern des Adels und der freien koniglichen Stadte bestehen. Zu diesen Pralaten gehSren die Bischofe, welche ein Capitel und einen Residenzort haben, 2 ) aber nicht die Titularbischofe, zu den Magnaten die Beichsbaroue oder obersten Reichs- und Hofbeamten, die Obergespane und die Angehorigen des hohen Erbadels. Mitglieder der Standetafel sind aufier den Vertretern des Adels, welche von diesem in den einzelnen Comitaten 3 ) gewahlt und mit Instruc- tioneu versehen wurden, und der koniglichen freien Stadte 4 ) auch die zu Mitgliedern des koniglichen Rathes gewahlten Adeligen, die Protonotare und die Beisitzer der koniglichen Gerichtstafel wie die Stellvertreter jener Magnaten, die nicht personlich auf dem Reichstage erschienen. Auch die Domcapitel mit ihren Propsteu und die Propste und Abte, die keinem Bischofe unterworfen sind, mit ihren Conventen hatten je eine Stimme in der Standetafel. Das Recht der Einberufung, das durch eigene Schreiben erfolgte, hatte nur der Konig und in gewissen Fallen der Palatin als dessen Stell- Yertreter. Beziiglich der Zeit gab es keine feststeheude Norm. Der Konig berief den Reichstag, wenn er die Mitwirkung der Stande fur ir- gend einen Zweck, namentlich zur Kronung oder zur Wahl eines Nach- folgers oder des Palatins oder zur Votierung einer aufierordeutlichen Steuer fiir nothwendig hielt. Da diese im 16. Jahrhundert von den Standen meist auf zwei Jahre bewilligt wurde, so wurde damals gewohnlich auch der Reichstag alle zwei Jahre einberufen. Doch gab es auch grofiere Zwischenraume, besonders im 17. und 18. Jahrhundert, nachdem der Reichstag eine standige Steuer bewilligt hatte. 1635 baten die Stande *) G. A. 1608, art. 1. Vergl. im allgemeinen iiber die Zusammensetzung, die Befugnisse u. s. w. des ungarischen Reichstages Virozsil, 2, 293 ff. und 3, 3 ff. 2 ) Spater erhielten auch der Erzabt vom St. Martinsberg, der Grofipropst von Agram als Prior Auranae (einst den Maltesern gehorig) und der Propst des heil. Martin de promontorio Varadinensi als Geueralvicar des Pramonstratenserordens Sitz und Stimme iu der Magnatentafel. 3 ) Die Zahl stand nicht fest und schwankte zwischeu 1 und 4. Doch hat sich nach und iiach als Gewohnheit herausgebildet, dass jedes Comitat durch zwei Adelige vertreten wurde. Virozsil, 3, 11 u. h. *) Nach dem Gesetze von 1608 sollteu zwar nur acht, welche in einem Gesetze Wladislaws II. von 1514 als Freistadte aufgefuhrt und von denen noch dazu Ofen und Pest in den Handen der Turkeii waren, die Eeichsstaudschaft besitzeu. Doch behaupteten doch auch andere ihr Eecht, oder es wird ihnen spater vom Reichstage formlich zu- gesprochen. Freilich hatte jede Stadt, die gewohnlich zwei Vertreter wahlte, nur eine Stimme. 172 den Konig, den Keichstag alle drei Jahre zu berufen, und diese Bitte wurde 1647, 1655, 1681, 1715 und 1723 erneuert. 1 ) Doch wurden wahrend der Regierung Karls VI. (17111740) nur vier Keichstage (1712, 1714/15, 1722/23 und 1728) abgehalten. Die Sitzungen waren in der Regel offentlich. Zur Competenz der Stande gehorte auch in Ungarn die Wahl, seit 1687 wenigstens die Krouung des Ko'nigs, die Wahl des Palatins, die Bewilligung von aufierordentlichen Steuern und Recruten, die Ab- fassung von Reichsgesetzen, die Erhebung einer Gemeinde zur koniglichen Freistadt und die Verleihung des Indigenats an Auslander. Bei der Kronung musste der Konig durch das ,,Inauguraldiplom" 2 ) feierlich geloben, die Freiheiteu, Privilegien, Rechte, Gesetze und Gewohnheiten des Reiches in alien Punkten zu beobachten. Doch wurde auf dem Reichstage von 1687 aus der goldenen Bulle Andreas' II. von 1222 der Paragraph 31 entfernt, der den Wiirdentragern und Adeligen das Recht einraumte. im Falle der Verletzung derselben durch den Konig diesein Widerstand xu leisten. Auch der ungarische Reichstag sollte vor allem die koniglichen Propositionen verhandeln und erledigen. Doch straubte sich namentlich die Standetafel manchmal, in die Berathung derselben einzugehen. ehe dieForderungen undBeschwerden (gravamina) des Landes erledigt waren. War es gelungen, eine Einigung der beiden Tafelu herbeizufiihren, was manchmal in einer gemischten Sitzung beider geschah, so wurden die vereinbarten Antrage an den Konig gebracht, der sie entweder an- nahm oder ablehnte oder eine Modification beantragte. War endlich (oft nach mehrmaligem Schriftenwechsel) der Gesetzentwurf, der meist die verschiedensten Gegenstande umfasste, zwischen dem Reichstage und dem Ko'nige vereinbart, so wurde derselbe als konigliches Decret publiciert. In der zweiten Halfte dieser Periode suchten iibrigens die Ko'nige hie und da ihren Zweck, besonders die Bewilligung einer Steuer, mit Umgehung des Reichstages dadurch zu erreichen, dass sie nur die ersten Wiirdentrager und einige Magnaten, Beamte und Vertreter einzelner Co- mitate und Stadte zu einer Versammlung (concursus regnicolarum) beriefen, was das Gesetz von 1715 im Falle eines plotzlichen feindlichen Angriffes ausdriicklich als zulassig erklarte. 3 ) Neben dem allgemeinen Reichstage gab es im 16. und 17. Jahr- hundert auch Versammlungen mehreref benachbarter Comitate, J ) G. A. 1635, art. 94; 1647, art. 154; 1655, art. 49; 1681, art. 58; 1715, art. 14; 1723, art. 7. 2 ) Siehe iiber dies Virozsil, 1, 306 ff. 3 ) G. A. 1715, art. 8. 173 auf denen besonders Mafiregeln zur Abwehr der Feinde, aber auch andere dieselben interessierende Angelegenheiten berathen wurden. 4. Allgemeine Delegiertenversammlungen. Unter Ferdinand I. fanden nicht blofi ofters Ausschusstage der fiinf niederosterreichischen Lander, manchmal auch unter Bei- ziehung Tirols, oder Generallandtage der bohinischen Kronliinder statt, sondern er berief auch mehrmals Delegierte der Erblander und der bohmischen und ungarischen Stande zu einer gemeinsamen Versamm- lung, besonders um uber Maflregeln zur Abwehr der Turken zu berathen. Aber die Ungarn scheinen nur einmal, 1542, sich eingefunden zu haben, ohne an den gemeinsamen Berathungen theilzunehmen. Die Bohmen weigerten sich, jede Berathung zu beschicken, die aufierhalb ihres Reiches tagte. 1 ) Dieser Versuch, eine engere Verbindung aller habsburgischen Laudergruppen herbeizufiihren, wurde daher aufgegeben. Infolge der Weigerung K. Rudolfs II, die 1606 mit Bocskay und den Turken vereinbarten Friedensvertrage zu bestatigen, und der dadurch hervorgerufenen Unzufriedenheit fanden sich auf Veranlassung des Erz- herzogs Matthias im Janner 1608 auf dem ungarischen Reichstage auch Abgeordnete der Stande des Landes unter und ob der Enns ein, welche am 1. Februar mit den Ungarn eine Confederation zur Aufrecht- erhaltung jener Friedensschlusse eingiengen, dein am 19. April auch die Stande Mahrens beitraten. Am 29. Juni schlossen die Vertreter der drei unierten Lander zur Erwirkung freier Religionsubung fur die Protestanten noch ein geheimes Biindnis in Sterbohol. 2 ) Im Jahre 1614 machte K. Matthias einen Versuch, auf einem Ge- neralconvent aller osterreichischen Lander, auch Innerosterreichs, Tirols und Vorderosterreichs, die nicht unter seiner unniittelbaren Herr- schaft standen, die Mittel zu einem Kriege gegen die Turken und Bethlen Gabor zu erlangen. Es schickten auch alle Landtage (auch der ungarische) mit Ausnahme des bohmischeu, fur den die obersten Beamten sieben Vertreter wahlten, ihre Delegierten, deren Zahl ungefahr 70 betrug. Die Abgeordneten der einzelnen Lander mussten getrennt und schriftlich ihre Antworten abgeben. 3 ) Da aber fast alle Lander sich fur die Aufrecht- erhaltung des Friedens aussprachen und so die Hoffnung der Regierung 2 ) Bidermann, 1, 3 ff.; 2, 94 ff.; Toman, S. 4 ff. 2 ) Geschichte Osterreichs, 4, 480 ff., 515. 3 ) Gindely, Der erste osterreichische Reichstag in Linz im Jahre 1614. Aus den n Sitzungsberichten der kaiserlichen Akademie", 40. Band und r Geschichte des dreiBig- jiihrigeu Krieges", 1, 94 ff. 174 auf diesen Delegiertentag nicht in Erfiillung gieng, so wurde dieser Ver- such aicht inehr wiederholt, und zwar uin so weniger, als nach dem bohmischen Aufstande von 1618 die Verbindung der Stande der ver- schiedeiien Lander, die sich (1619 und 1620) neuerdings tmter sich ver- banden, einen revolutionaren Charakter annahm. Erst als die standische Macht gebrochen war, berief die Kegierung in vereinzelten Fallen eine geringe Zahl von Delegierten der Stande der osterreichischen und bohmischen Lander nach Wien, so 1655, um den Schliissel fiir die Vertheilung der Steuern auf die verschiedenen Landergruppen feststellen, und 1714, urn sich eine bestimmte Steuer- summe auf zehn Jahre (Decennalrecess) bewilligen zu lassen. Doch ver- handelten die Vertreter jedes Landes fiir sich mit der Kegierung. 1 ) d) Das Stadtewesen in den deutschen und bohmischen Landern. Die Verwaltungsformen der landesfurstlichen Stadte blieben auch in dieser Periode im wesentlichen bestehen. Die Verwaltung durch einen Biirgermeister und Stadtrichter (oder diesen allein) und einen oder mehrere Rathe wurde nicht beseitigt. Aber die bevormundende Richtung des mo- dernen Staates machte sich doch gleich beim Beginne der Neuzeit geltend, wie das Beispiel von Wieii zeigt. K. Maximilian I. gab arn 20. November 1517 fiir dieses ein ueues Stadtrecht, worin er aus ,,furstlicher Machtvoll- kominenheit" mehrere Artikel der frtiheren Stadtrechte aufhebt, andere ,,erlautert". Namentlich behielt er sich das Kecht vor, zu priifen, ob die von den 200 r Genannten" jahrlich fur die Stelle des Biirgermeisters oder zu (18) Rathsherren Gewahlten tauglich und wiirdig seien, und die- selben eventuell durch tauglichere zu ersetzen. Ferdinand I. schaffte 1522 die ^Genarmten" ganz ab und gab der Stadt am 12. Marz 1526 ein neues Stadtrecht. Fortan sollte das Stadtregiment aus 100 Mitgliedern bestehen. die aus den tauglichsten, ein Hans in Wien oder den Vorstadten besitzenden Biirgern gewahlt werden sollten. 76 bilden den aufieren Bath, 24, von denen 12 aus den 100 gewahlt, 12 vom Landesfiirsten ernaimt wurden, den inneren Rath. Der aufiere Rath wird jahrlich durch den inneren, der innere (lurch den aufieren gewahlt, aber der Landesfiirst trifft aus den vorge- schlagenen Personen die Auswahl. Auch aus den jahrlich von den 100 fur die Stelle des Biirgermeisters Gewahlten nimrnt die Regierung den Tauglichsten. Die zwolf vom aufieren Rathe Gewahlten (der Stadtrath) fiihren die eigentliche Verwaltung mit Einschluss der Polizei, der Bewachung der Stadt, der Vormundschaften, haben aber in wichtigen Fragen auch den aufieren Rath beizuziehen. An den Verhandlungen des Stadtrathes nimmt J ) Toman, S. 97 f. Biderinann, 2, 36 if. Was dieser 2, 92 N. 14 gegen die Mitwirkung standischer Vertreter .im Jahre 1655 anfiihrt, ist nieht beweisend. 175 auch ein vom Landesfursten ernannter und besoldeter Anwalt theil, der fur die Ausfiihrung der landesfiirstlichen Verordnungen zu sorgen und auf die Abstellung der dem Interesse des Landesfursten nachtheiligen Be- schliisse zu dringen hat. Der Stadtrichter, welcher mit den vom Landes- fursten ernannten zwolf Rathen das Stadtgericht bildet, das in Schuld- und Criminalsachen zu urtheilen hat, wird vom Landesfursten uach Be- lieben ernannt. Dieses Stadtrecht ist bis auf K. Josef II. in Wirksamkeit geblieben und sind nur wenige Abanderungen getroffen worden, indem der Kaiser im Jahre 1554 genehmigte, dass das Stadtrichteramt mit einem Burger be- setzt werden, und 1561 verfiigt wurde, dass der Burgerineister und der Stadtrichter nicht langer als zwei Jahre ohne Unterbrechung ihr Amt be- kleiden sollten. 1 ) Auch in B ohm en wurde die fruhere Autonomie der koniglichen Stadte in dieser Periode sehr beschrankt durch die Einsetzung der konig- lichen Richter (1547), welche allein den Gemeiiide- und Stadtrath be- rufen durften und ihre Verhandlungen wie die Eechtsprechung uber- wachten, und durch die Einsetzung des Prager Appellationsgerichtes (1548), womit auch die Berufungen an andere Stadte untersagt wurden. Nach der Niederwerfung des bohmischen Aufstandes wurde 1621 in jeder Stadt ein Hauptmann ernannt, welcher fiir die Ausfiihrung der Ver- ordnungen der bohmischen Hofkanzlei imd Kanimer und fur die Auf- rechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu sorgen hatte, die Vermogens- gebarung der Stadt tiberwachte, die Gemeindebeamten uud Lehrer er- nannte und so alle Gewalten in den Hintergrund drangte. 1628 wurde den Stadten auch die Aufnahme von Darlehen ohne Genehmigung des Kaisers oder der Kammer untersagt und der Auftrag gegeben, dieser jahrlich die Rechnungen ftber die stadtischen Einnahmen und Ausgaben vorzulegen. 2 ) e) Das Verhaltnis des Staates zur Kirehe. Im Verhaltnis zwischen Staat und Kirehe trat in Folge der Reformation eine wesentliche Anderung ein. Da es den kirchlichen Behorden anfangs theils an Eifer, theils an Macht fehlte, um das Umsich- ') Tomaschek, Geschichts-Quelleu der Stadt Wien, 1, LXVIU ff. Weiss, Ge- schichte der Stadt Wien (2. Auflage), 2, 364 if. Fiir andere Stadte fehlt es noch an geniigenden Vorarbeiten. 2 ) Gindely, Geschichte der Gegen reformation, S. 268 ff. 279. Uber die Ver- haltnisse in Mahren, wo der Appellationszug au das Prager Appellationsgericht 1644 eingefiihrt wurde und das konigliche Tribunal und der Landesuuterkammerer immer grosseren Einfluss erhielten, siehe d'Elvert in B Schriften der historisch-statistischen Section", 23, CCCXVI f. 176 greifen des Protestantismus zu hindern und das kirchliche Leben zu kraftigen, ubernahm die Kegierung diese Aufgabe, was die Folge hatte, dass diese auch auf die kirchlichen Verhaltnisse Einfluss erhielt und die Kirche unter die Bevormundung des Staates gerieth. 1 ) Ferdinand I. liefi seit 1528 wiederholt die Kirchen und Kloster seiner Lander durch von ihm ernannte weltliche und geistliche Commissare visitieren. Er er- liefi Vorschriften, um der Universitat Wien ihren katholischen Charakter zu wahren. Er suchte durch seine Vertreter auch dem Concil von Trient gegenfiber seine Anschauungen fiber die einzufuhrenden kirchlichen Kefor- men zur Geltung zu bringen, namentlich die Bewilligung des Laienkelches und der Priesterehe durchzusetzen. Durch die Turkennoth gedrangt, zog er, anfangs allerdings mit Genehmigung des Papstes, auch die Geistlichen und Kloster zur Besteuerung herbei und verkaufte einen Theil der Kirchengiiter. Auch die spateren Kaiser mussten aus dem gleichen An- lasse von den Kirchen und Geistlichen Steuern erheben, wozu in der Kegel die Bewilligung des Papstes eingeholt wurde. Als ein Provinzial- concil in Salzburg im Jahre 1549 Beschlusse fasste, welche vor allem die Aufrechterhaltung der alten Privilegien des Clerus bezweckten, er- klarte Ferdinand L, nicht dulden zu wollen, dass die Bischofe ihm n m seine landesfurstliche Obrigkeit greifen". Sein Sohn Maximilian II. erliefi am 22. December 1567 eine w Generalordnung" fur die Kloster und Stifter des Erzherzogthums Osterreich und setzte am 5. Ja'nner 1568 einen aus ffinf Commissaren be- stehenden n Klosterrath" ein, welchem die Pralaten jahrlich fiber ihre weltliche Yerwaltung Kechnung legen sollten, wie er auch auf die Be- setzung der kirchlichen Pfrunden Einfluss ubte. Maximilians II. Nachfolger, welche vor allem die Austilgung des Protestantismus anstrebten, legteu auch der Erstarkung der kirchlichen Gewalt und der Geltendmachung der geistlichen Privilegien keine ernst- lichen Hindernisse in den Weg. Aber Kudolf II. setzte es doch in einem Vertrage mit dem Bischof von Passau (1592) durch, dass der Bischof im Falle der Absetzung eines Pralaten ihm rechtzeitig die Ursachen bekannt- geben sollte, damit er Commissare dazu absenden und die Temporalien in Empfang nehmen konnte, zu deren Verwaltung bis zur Wiederbesetzung der Pfrunde er Delegierte ernennen sollte. Auch sollte der Bischof ohne Wissen des Kaisers keinen Geistlichen wegen Crimiualvergehens citieren diirfen. Die Rechte des Klosterrathes blieben auch unter Ferdinand II. und Ferdinand III. noch aufrecht. *) Die Belege fiir das Folgende in meiuer ^Geschichte Osterreichs", 4, 93 ff. 143 if. 228 f. und bei Friedberg, Die Granzen zwischen Staat und Kirche, 1, 114 if. Vergl. fiir die Zeit Ferdinands III. und Leopolds I. auch d'Elvert, in fl Schrifteii der historisch-statistischen Section", .16, 720 ff. 177 Unter Ferdinand III. tritt das Streben, die Hoheit des Staates auch in kirchlichen Angelegenheiten zur Geltung zu bringen, wieder mehr hervor. Der Kaiser verbot (1641) die Publication papstlicher Bnllen ohne sein Wissen und Willen. Er untersagte (1654) dem General der Cister- cienser die Visitation der oberosterreichischen Kloster. Er verfugte, dass Streitigkeiten wegen Collaturen und Zehnten nicht von den Coiisistorien, sondern von den weltlichen Gerichten entsehieden werden sollten. Er suchte das kirchliche Asylrecht einzuschranken. Er wahrte strenge die Befugnisse, die ihm n kraft des obersten Patronats- und Vogteirechtes" uber die Kirche zustanden, und befahl daher, dass keine Wahl eines standesmafiigen infulierten Pralaten vorgenommen werde, ehe ihm Bericht erstattet und von ihm zur Wahrung seiner landesfiirstlichen Rechte quoad temporalia Commissare abgeordnet waren. Auch Leopold I. hielt an diesem Rechte fest, verlangte von dem zu Wahlenden gewisse Eigenschaften und verbot dem Gewahlten vor der Erlangung der kaiserlichen Bestatigung die Verwaltung der Temporalien. Auch den Verkauf weltlicher Gu'ter an Geistliche erklarte er fur ungiltig. Derselbe Ffirst verfugte,' dass vor der Ausfuhrung geistlicher Urtheile durch weltliche Behorden untersucht werden solle, ob dabei nichts vor- komme, was der Landesverfassung nachtheilig ware. Die Afh'gierung einer papstlichen Bulle ohne Bewilligung der Regierung erklarte auch er (1681) fiir unzulassig. Joseph I. verbot die Visitation der Kloster durch fremde Provinzialen. Karl VI. befahl, dass in weltlichen Sachen vom Consistorium nicht an den Papst oder Nuntius, sondern an die niederosterreichische Regierung appelliert werden solle. Doch behauptete der Katholicismus noch immer seine Stellung als Staatsreligion. Die Juden wurden nur an einzelnen Orteu und nur in beschrankter Zahl geduldet. Auch gegen das Eindringen des Protestantismus in die oster- reichischen Lander traf Ferdinand I. strenge Mafiregeln und verhangte 1527 gegen die Ketzer theils Landesverweisung, theils die Todesstrafe. Aber ausgefiihrt wurde diese Verordnung fast uur gegen die Wiedertaufer, da die Lutheraner von den meisten Adeligen und manchen Beamten ge- schiitzt wurden. Nachdem die Zahl derselben immer mehr zugenommen hatte, gewahrte Maximilian II. 1568 durch die Religions-Concession" den Herren und Rittern des Erzherzogthums Osterreich das Recht der freien Religi.onsubung in ihren Schlossern, Hausern und Gebieten und in den unter ihrem Patronate stehenden Kirchen, was er in der r Assecuration" von 1571 fur das Land unter der Enns auch auf das Gesinde und die Unterthanen der Adeligen ausdehute, aber den landesfurstlichen Stadten und Herrschaften verweigerte. Die protestantischen Standemitglieder Hubcr. Osterrcichisclic Eciclisgcschiclito. 12 178 BShmens erhielten 1575 nur eine mundliche Zusage des Kaisers, dass er ihnen in ihrem Glauben und ihrem Keligionswesen keinen Eintrag thtm werde. Auch sein Bruder Erzherzog Karl sicherte 1578 den Adeligen der innerosterreichischen Lander miindlich,fur sich und ihr Gesinde freie Religionsubung zu, wahrend er bezuglich der Stadte nur versprach, die Burger in ihrem Gewissen nicht zu beschweren. Wahrend die Protestanten uberall die ihnen gesetzten Schranken hinauszurucken suchten, namentlich auch in den landesfurstlichen Stadten und Markten Priester anstellten, machten sich bei den Landesfursten ent- gegengesetzte Tendenzeu geltend. Erzherzog Ferdinand von Tirol wies aus seinen Landern viele der ubrigens nicht zahlreichen Protestan- ten aus. Erzherzog Ferdinand von Steiermark, Karls Sohn, wies 1598 zuerst aus den Stadten, dann auch aus den Herrschaften des Adels die protestantischen Geistlichen und Lehrer aus und zwang 1599 1604 die Burger und Bauern, entweder katholisch zu werden oder auszuwandern. 1628 traf auch den protestantischen Adel dasselbe Schicksal. Dagegen gelangen die Versuche, im Erzherzogthum Osterreich die Gegenreformation durchzufuhren, unter dem schwachen Rudolf II. noch nicht, ja sein Bruder Matthias musste in seiner Resolution" von 1609 uber die Zugestandnisse Maximilians II. noch hinausgehen. Auch in Bohmen musste Rudolf II. im n Majestatsbrief" von 1609 alien Bewohnern Gewissensfreiheit, den Standen aber (Herren, Rittern und koniglichen Stadteu) freie Religionsubung und das Recht, auf ihren Be- sitzungen Kirchen und Schulen zu erbauen, zugestehen. Als aber der Aufstand der Bohmen von 1618, dem sich auch die Prote- stauten Mahrens, Schlesiens und Osterreichs anschlossen, durch die Schlacht am Weifien Berge niedergeschlagen war, trat auch hier eine Anderung aller religiosen Verhaltnisse ein, und man suchte uberall die Gegenre- formation durchzufuhren. 1624 wurden die Protestanten aller burger- lichen und politischen Rechte beraubt und, als sie trotzdem ihrem Glauben treu blieben, gewaltsam zum Katholicismus zuruckgefuhrt. 1627 wurde auch den protestantischeu Adeligen befohlen, katholisch zu werden oder ihre Guter zu verkaufen und auszuwandern. In ahnlicher Weise gieng man in Osterreich vor, wo 1626 theilweise aus diesem Anlasse ein Bauernauf- stand ausbrach. In Osterreich wurdeii die protestantischen Adeligen, welche dem Kaiser Ferdinand II. freiwillig gehuldigt hatten, nicht ausgewiesen, aber ihnen nicht blofi der offentliche, sondern auch der Privatgottesdienst verboten. In Schlesien blieb die kirehliche Reaction auf die unmittelbar unter dem Kaiser stehenden Gebiete beschrankt und wurde erst nach dem westfalischen Frieden vollstandig durchgefuhrt. Eine Bestimmung dieses Vertrages sicherte den Vasallenfurstenthumern Brieg, Liegnitz, Munster- 179 berg und Oels und der Stadt Breslau ausdrucklich freie Religionsubung zu, wahrend diese in den anderen Gebieten auf drei Kirchen aufierhalb der Stadte Schweidnitz, Jauer und Glogau beschrankt ward. Die gesichertste Stellung erhielt der Protestantismus in Ungarn. Nachdem in Folge der Thronkampfe und der Tiirkenkriege das Lutherthum wie der Calvinismus sich ungehindert batten ausbreiten kSnnen, suchte zwar die Regierung (1604) denselben einige Kirchen abzunehmen. Aber gerade dies rief den Aufstaud Bocskays hervor, und im Wiener Frieden 1 ) votii 23. Juni 1606 wnrde bestimmt, dass die Stiinde, d. h. Magnaten, Adeligen und freien Stadte wie die unmittelbar dem Konige gehorigen Marktflecken das Eecht der freien Religionsubung haben sollten, was in den Antecoronationalartikeln des Konigs Matthias von 1608 auf alle Stadte und Dorfer ausgedehnt wurde. Durch den Linzer Frieden vom 16. Sep- tember 1645 warden alle fruhereu Gesetze zu Gunsten der Protestanten neuerdings bestatigt. Auch die slavischen Bewohner der Balkanhalbinsel, welche sich im 16. Jahrhundert in den croatisch-windischen Grenzgebieten nieder- liefien und meist der griechischen Religion anhiengen, erhielten das Recht der freien Ausubung ihres Bekenntnisses. Die Zahl und Bedeutung derselben wuchs in Ungarn am Eude des 17. Jahrhunderts. Als namlich unter Leopold I. die Kaiserlichen siegreich nach der Balkanhalbinsel vor- draugen, wtirden die christlichen Bewohner derselben 1690 mit Erfolg zum Kampfe gegen die Turken aufgerufen. Nach dem Ruckzuge der Kaiserlichen verlieflen die am meisten compromittierten Serb en oder Raitzen, angeblich 36.00040.000 Familien, unter Fuhrung des Patriarcheu von Ipek, Arsen Czernovich, ihre Heimat und zogen nach Ungarn, wo sie spa'ter standige Wohnsitze, besonders zwischen Theifi und Donau und am rechten Ufer der Maros erhielten. Der Kaiser sicherte ihnen durch das Privileg vom 21. August 1690, welches durch das Patent vom 20. August 1691 noch erweitert wurde, neben ausgedehiiten politischen Rechten auch freie Ausubung ihrer Religion und die Befugnis zu, selbst einen Erzbischof ihrer Nation zu wiihlen, der die kirchliche Oberaufsicht und das Recht haben sollte, Bischofe zu weihen, Monche zu bestellen, Priester einzu- setzen und Kirchen bauen zu lassen. Spater suchte man freilich in Folge des Drangens katholischer Bischofe diese Rechte einigermafien einzu- schranken; namentlich durfte der Metropolit keinen Bischof weihen, ehe er die allerhochste Bestatigung eingeholt hatte. Aber im Wesentlichen blieben die kirchlichen Privilegien aufrecht. Als nach Czernovichs Tode (1706) in Ipek ein neuer Patriarch gewahlt wurde, kamen die Metro- politen der Serben wieder in ein gewisses Abhangigkeitsverhaltnis von Katona, 28, 545 sqq. 12* 180 diesem, bis 1741 der Patriarch Arsen Joannovich selbst die Wfirde eines Metropoliten und Erzbischofs der Serben erhielt und seinen Sitz nach Carlowitz veiiegte. 1 ) In einer weniger gunstigen Lage befanden sich die Ruthenen an den Siidabhangen der Karpaten und die Walachen in Siebenbiirgen, welche sich zur griechischen Religion bekanriten. Ihre Priester wurden sogar von den Gruudherren als Leibeigene behandelt. Doch verbesserten sie ihre Lage, wenn sie sich zur Union mit der katholischen Kirche entschlossen, wie dies auch die meisten Ruthenen und viele Walaehen in der Zeit Leopolds I. gethan haben. 2 ) Dritte Periode. Das Zeitalter der inneren Reformeu unter Maria Theresia und ihren Sohnen (17401792). I. GrescMchte der territorialen VerhSltnisse. I. Der osterreichische Erbfolgekrieg. Obwohl die pragmatische Sanction durch alle europaischen Machte garantiert worden war, blieb nach dem Tode K. Karls VI. (20. October 1740) die Nachfolge seiner alteren Tochter Maria Theresia, 3 ) der Gemahlin des Grofiherzogs Franz von Toscana, nicht unangefochten. Vor allem erhob Karl Albert von Baiern Anspriiche auf die Lander Karls VI., und zwar als Nachkomrae einer Tochter K. Ferdi- nands I., Anna, die mit dem Herzoge Albrecht V, von Baiern vermahlt gewesen war. Es stellte sich nun allerdings sofort heraus, dass im Te- stamente Ferdinands I. von 1543 wie im Codicill zu demselben vom Jahre 1547 den Nachkomrnen Annas die Nachfolge nicht, wie der bairische Hof gemeint hatte, nach dem Aussterben der mannlichen, sondern der n ehelichen" Erben Ferdinands vorbehalten war. Aber man suchte dar- zuthun, dass unter r ehelichen" Nachkonimen doch nur die maunlichen zu verstehen seien, und behauptete auch, auf die den Grundsatzen des ') Schwicker, Politischo Geschichte der Serben in Ungarn, S. 4 ff. 2 ) Siehe hieruber die Abhaudlungen Fiedlers in ^Sitzungsberichte der kaiser- lichen Akademie", 27, 350 ff.; 38, 284 ff.; 39, 481 ff. 3 ) Ich verweise im allgemeinen auf A. v. Arneth, Gecbichte Maria Theresias, (10 Bande, Wien 1863-1879). 181 detitschen Lehenrechtes widersprechenden romischrechtlichen Anschauun- gen sich stutzend, dass die Tochter des erstcu Besitzers (Ferdinands I.) vor deneu des letzten den Vorzug hiitten. Auf anderem Wege suchte man wenigstens Anspruche Baierns auf OberCsterreich, Tirol und Bohmen nach- zuweisen. 1 ) Auch Spanien erhob Anspruche auf Osterreich, gesiutzt auf den Theilungsvertrag zwischen Karl V. und Ferdinand I. und spatere Ver- trilge zwischen der deutschen und spanischen Linie des Hauses Habsburg, die naturlich fur das jetzt regierende Haus Bourbon keine Giltigkeit inehr hatten. Doch war es zweifelhaft, ob Spanien und die Wittelsbacher den Kampf gegen Osterreich uuternehmen wiirden, als ein Angriff von Seite Fried richs II. von PreuBen erfolgte. Friedrich II. erneuerte die Anspruche seines Hauses auf die schlesischeii He rzogth timer Liegnitz, Brieg, Wohlau und Jagerndorf, obwohl sein Urgrofivater 1686 gegeu die Abtretung des Schwiebuser Kreises darauf yerzichtet und sein GroBvater Friedrich I. 1695 diesen freiwillig gegen andere Vortheile herausgegeben hatte. 2 ) Friedrich II. sah auch die Kechtsfrage als Nebensache an. 3 ) Aber er wollte die Gelegenheit benutzen, um eine bedeutende VergroBerting seines Staates durchzusetzen. Er erbot sich, Maria Theresia bei ihrein Erbtheile, soweit es in Deutschland liege, zu schiitzen, ihr eine Geldsumme zu zahlen und ihrem Gemahle bei der Kaiserwahl die Stimme zn geben, wenn sie ihm Schlesien oder ,,einen guten Theil u desselben freiwillig uberlieBe. Doch wartete er einen Erfolg der Verhandlungen uicht ab, sondern fiel am 16. December 1740 mit seinem Heere ohne Kriegs- erklarung in Schlesieu ein, das bis auf wenige Festungen in kurzer Zeit in seine Hande fiel, weil man auf einen Angriff von dieser Seite gar nicht gefasst gewesen war. Durch den Sieg bei Mollwitz (10. April 1741) wurde ihm dasselbe gesichert. Friedrichs Einrucken in Schlesien gab das Signal zum allgemeiuen Angriffe auf Osterreich. Frankreich schloss ein Biiiidnis mit PreuBen und schickte ein Heer zur Unterstutzung des Kurfursten von Baiern, der nun im September 1741 Obcrosterreich und dann einen Theil Bohmeus mit der Hauptstadt Prag eroberte und sich in beiden Landern die Huldigung leisten lieB. J ) K. Th. Heigel, Der osterreichische Erbfolgestreit, S. 28 ff. 2 ) Vergl. oben S. 125. 3 ) Selbst Droysen, Geschichte der preufiischen Politik V, 1, 152 gesteht: B Nicht PreuBeiis Recht auf Schlesien ist der Grund und der leitende Gedanke dieser Combi- nation. Aber dies Recht bietet eine Haudhabe, die Auscinandersetzuug einzuleiten, welche die Politik PreuCens fordert. 182 Der Kurfiirst von Sachs en erhob als Gemahl der alteren Tochter K. Josephs I. Anspriiche auf Osterreich und drang in Bohmen ein. Spanien griff die italienischen Besitzungen Osterreichs an. Auch Fried- rich von Preufien, der sich gegen die Abtretung Niederschlesiens zum Frieden bereit erklart und am 9. October einstweilen den Waffen- stillstand von Kleinschnellendorf geschlossen hatte, schlug wieder los und liefi seine Truppen in Mahren einriicken, wo am 26. December Olmiitz capitulierte. Am 24. Janner 1742 wurde der Kurfurst von Baiern als Karl VII. zum deutschen Kaiser gewahlt. Aber trotzdem liefi Maria Theresia, welche in der Opferwilligkeit ihrer Volker, besonders der Ungarn, eine Stiitze und an den Seemachten England und Holland Bundesgenossen fand, ihr Vertrauen nicht sinken. Graf Khevenhiiller warf anfangs 1742 die Baiern aus Oberosterreich hinaus und zog am 12. Februar inMiinchen ein. Dagegen wurden die Osterreicher am 17. Mai bei Chotusitz von Friedrich II. geschlagen, was Maria Theresia bewog, am 11. Juni mit Preufien den Frieden von Breslau zu schliefien und diesem Schlesien mit Ausnahme der Herzog- thumer Teschen und Troppau und des grofiten Theiles von Jagerndorf und die Grafschaft Glatz zu uberlassen. Auch Sachs en schloss sich diesem Frieden an. Durch den Eiicktritt Preufien s von der Coalition wurden die in Bohmen stehenden Franzosen isoliert und dann bis Ende 1742 voll- standig aus dem Lande vertrieben. 1743 eroberten die Osterreicher ganz Baiern und drangten die Franzosen tiber den Khein zuriick. Ini Sominer 1744 uberschritt Maria Theresias Schwager Karl von Lothringen den Khein und eroberte das nordliche Elsass. Aber die Hoffnung Maria Theresias, sich durch die Erwerbung Baierns einen Ersatz fur Schlesien zu verschaffen, wogegen der Kurfurst auf Kosten Frankreichs entschadigt werden sollte, wurde durch einen unerwarteten An griff des preufiischen Konigs auf Bohmen (August 1744) vereitelt. Doch fiihrte dieser trotz einzelner Siege, welche Friedrich uber die Osterreicher und die mit ihnen verbundeten Sachsen erfocht, keine territorialen Verande- rungen herbei. Der Friede von Dresden (25. December 1745) bestatigte die Abmachungen des Breslauer Friedens. Auch starb Karl VII. am 20. Janner 1745, worauf dessen Sohn Maximilian Josef am 22. April mit Osterreich den Frieden von Fiifien schloss und am 13. September der Grofiherzog Franz von Toscana zum Kaiser gewahlt ward. Da in- dessen Osterreich die meisten Truppen gegen Preufien concentriert hatte, so machten unterdessen die ubrigen Feinde Fortschritte, sowohl in den Niederlanden, als in Italien, wo Osterreich einen Bundesgenossen am Konige von Sardinien gefunden hatte, dem es dafiir im Wormser Vertrage (13. September 1743) die letzten Reste seiner Besitzungen jenseits des 183 Ticino und des Lago Maggiore uberlassen musste. Aber trotz der Er- folge, welche der franzosische Marschall Moriz von Sachsen in den Jahren 1746 und 1747 in den Niederlanden errang, war Frankreich zum Frieden geneigt, weil 1748 36.000 Russen im Solde der Seemachte den Osterreichern zu Hilfe zogen und die Englander den Krieg zur See mit steigendem Gliicke fiihrten. Am 18. October 1748 wurde der Friede von Aachen abgeschlossen, nach dern Osterreich dem spanischen Infanten Don Philipp das Herzog- thum Parma mit Piacenza und Guastalla abtrat, aber die Niederlande zuriickerhielt. Der Versuch, den Osterreich acht Jahre spater unternahm, im Bunde mit Russland und Frankreich und einigen kleinereu Machten und unter- stiitzt vom deutschen Reiche dem preuBischen Konige Schlesien wieder zu entreiBen, hatte keinen Erfolg. Nach einem siebenjahrigen Kriege stellte der Friede von Hubertusburg am 15. Februar 1763 den territo- rialen Zustand, wie er vor dern Kriege gewesen war, wieder her. 2. Die erste Theilung Polens und der bairische Erbfolgekrieg. Das Streben der Kaiserin Katharina II, Polen, wo die Russen seit langem die Herren gespielt hatten, vollstandig ihrem Einflusse zu unterwerfen und zu diesem Zwecke eine Reform der verrotteten Zustande dieses Reiches unmoglich zu machen, wie das brutale Auftreten ihres Gesandten Repnin riefen in Polen eine ungeheure Aufregung hervor und veranlassten 1768 die Confederation von Bar, welche die russischen Truppen vergeblich zu unterdriicken versuchten. Osterreich hatte die Polen gerne unterstiitzt, urn dem Umsichgreifen der Macht Russlands Schranken zu setzen. Da es aber weder von Frank- reich noch von England Hilfe erwarten konnte ujid PreuBen seit 1764 mit Russknd verbiindet war, so wagte es nicht, sich fur Polen in einen gefahrlichen Krieg zu sturzen. Im October 1768 erklarte zwar die Pforte, bedroht durch die zunehmende Ubermacht Russlands und gereizt durch die Verbrennung eines tatarischen Fleckens durch russische Truppen den Krieg. Aber die Tiirken fiihrten diesen unglucklich und verloren 1769 und 1770 die Moldau und Walachei und die Festungen an der Donau- mundung, wahrend eine russische Flotte iiach der Vernichtung der tur- kischen Flotte Morea zum Aufstande brachte. Dadurch war neben der polnischen auch die orientalische Frage auf die Tagesordnung gebracht, bei der Osterreich in erster Linie inter- essiert war. Der Staatskanzler Fiirst Kaunitz wollte als Vermittler zwischen Russland und der Tiirkei auftreten und suchte auch ein besseres Ver- haltnis mit PreuBen herzustellen, um eventuell gegen Russland freie Hand zu bekommen. Kaiser Joseph machte zu diesem Zwecke dem preufiischen 184 Konige (August 1769) einen Besuch im Feldlager zu Neifie, und als Friedrich denselben im September 1770 in Neustadt in Mahren erwiderte, fand sich auch Kaunitz ein, um mit demselben zu unterhandeln. Aber erreicht wurde nichts. Friedrich wunschte zwar ebenfalls die Herstellung des Friedens zwischen Eussland und der Pforte, um nicht weiter zur Zahlung von Subsidien an jenes yerpflichtet zu sein. Aber er wollte sein Bundnis mit Eusslaud nicht gefahrden und sich zu keinem Schritte herbeilasseu, der die Kaiserin Katharina beleidigen konnte. Er hielt eine Theilung Polens fur das beste Mittel, um die Interessen Russlands, Preuflens und Osterreichs zu befriedigen, und liefi schon im Februar 1769 in Petersburg daruber sondieren. Damals hatte dies keine weitere Folge, weil Russland Polen mit niemandem, am weuigsten mit Osterreich theilen wollte. Als aber dieses zur Verhinderung von Grenzverletzungen im nordlichen Ungarn gegen Polen Truppen aufstellte und in diesen Militarcordon auch die an Polen verpfandete Zips, ja (im Juli 1770) auch einige angrenzende Bezirke Ga- liziens einbezog, da nahm der preufiische Konig dies zum Anlass, um einige Bezirke von Polnisch-Preufien und Grofipolen durch seine Truppen besetzen zu lassen. Die russische Kaiserin aufierte sich fiber diese Be- setzung polnischer Gebicte durch Osterreich und Preufien zu Friedrichs II. Bruder Heinrich, der sich gerade in Petersburg aufhielt, in einer Weise, dass man daraus schliefien konnte, sie wurde gegen eine Theilung Polens durch die drei Nachbarmachte nichts einzuwenden haben. Friedrich be- trieb nun die Angelegenheit mit grofitem Eifer und es gelang ihm, sich mit der Kaiserin Katharina daruber zu verstaudigen. Jetzt blieb Oster- reich nichts fibrig. als entweder rtihig zuzusehen, wie die beiden rivali- sierenden Nachbarmachte sich auf Kosten Polens vergrofierten, oder gegen dieselben fur die Integritat Polens und der Turkei einen mehr als gefahr- lichen Krieg zu unternehmen, oder selbst am Kaube theilzunehmen. So sehr sich nun auch das Eechtsgefiihl Maria Theresias dagegen straubte, so konnte Osterreich nur den letzten Weg einschlagen, und es suchte jetzt auch einen moglichst grofien und giinstig gelegenen Theil Polens zu erlangen. Am 5. August 1772 kamen die Verhandlungen zwischen Osterreich und Eussland zum Abschlusse, nachdem sich dieses mit Preufien schon am 17. Februar geeinigt hatte. Osterreich erhielt bei dieser ersten Theilung Polens die Zips, die nun wieder mit Ungarn vereinigt ward, die ehemals schlesischen Herzogthumer Zator und Auschwitz, den sudlichen Theil Kleinpolens zwischen den Fliissen Weichsel und San, Eothrussland mit Ausnahme des weit nach Norden vorspringenden Landes Chelm und den Westen Podoliens bis zum Flusse Podhorze. was alles unter dem Namen Galizien nnd Lodomerion zusammengefasst wurde. Es war 185 ein Gebiet von ungefsihr 1450 Quadratmeilen mit 2 1 / 9 Millionen Ein- wohnern. 1 ) Osterreich hatte am 6. Juli 1771 mit der Pforte ein Defensivbund- nis geschlossen, nach dem es sich verpflichtete, derselben einen Frieden zu verschaffen entweder auf Grundlage des Belgrader Friedens von 1739 oder anderer ihr annehmbar scheinender Bedingungen. Dagegen sollte es die Kleine "Walachei und Iiy 4 Millionen Gulden erhalten. Nachdem Osterreich den Gedanken, gegen Russlaud unter Umstanden mit Waffen- gewalt aufzutreten, vollstiindig aufgegeben hatte, war freilich dieser Ver- trag hinfallig geworden. Aber man konnte sich nicht entschlieflen, auf die Vortheile desselben einfach zu verzichten. Nur wollte man auf Wunsch des Kaisers Joseph nicht die Kleine Walachei, sondern einen Theil des Furstenthums Moldau, die sogenannte Bukowina gewinnen, die durch ihre Lage von Wichtigkeit war, indem sie die Moldau militarisch be- herrschte und eine immittelbare Verbindung Galizieus mit Siebenbiirgen herstellte. Da man nicht erwartete, dass die Pforte dieses Land gutwillig abtreten wiirde, liefl man im Herbste 1774 Truppen in die Bukowina einruckeu, auf welche am 7. Mai 1775 auch die Pforte verzichtete, da sie sich nicht stark genng fiihlte, sie Osterreich mit Gewalt wieder ab- zunehmen. 2 ) Eine weitere VergrOflernng des Staates hoffte Joseph II. , der auf die auswartige Politik immer grofleren Einfluss erlangte, nach dem kinder- losen Tode des bairischen Kurfursten Maximilian Josef (30. De- cember 1777) durchzusetzen. Nach den wittelsbachischen Hausgesetzen war sein Erbe der Kurfurst Karl Theodor von der Pfalz, der ebenfalls kinderlos war. Doch erhob Osterreich, das sich fur den Verlust Schle- siens durch andere deutsche Gebiete entschadigen wollte, auf Veranlassung des Kaisers Anspruche auf einige kleinere Gebiete in der Ober.pfalz, die bohmische' Lehen waren, und auf den nordlichen Theil Niederbaierns, welch letztere sich aber nur auf eine im Jahre 1426 erfolgte Belehnung Albrechts V. von Osterreich durch K. Sigisinund stiitzten, die durch eine spatere Entscheidung des Kaisers beseitigt war. Osterreich wunschte tibrigens mit Karl Theodor eiu Abkommen zustande zu bringen, was schon in wenigen Tagen gelang. Auch Karl Theodors nachster Erbe, der Herzog Karl von Zweibrucken, war geneigt, dem mit Osterreich geschlossenen Vertrage beizutreteu. *) Vgl. raitArneth, Geschichte Maria Theresias, 8. Bd. und A. Beer, Die erste Theilung Polens (2 Bde. und 1 Bd. Docuinente) Wien 1873. Fr. de Smitt, Frederic II., Catherine et le partage de Pologne, Paris et Berlin, 1861. Reimaun, Neuere Geschichte des preuBischen Staates (seit 1763), 1. Bd., 1882 u. s. w. *) Vgl. mit Arneth a. a. 0. 8, 469 S. Werenka, Bukowiuas Entstehen und Auf bliihen. Maria Theresias Zeit. I. Archiv fiir osterreichische Geschichte" , 78, 99 ff. 186 Aber Fried rich II. von PreuBen wollte eine Vergrofierung des osterreichischen Gebietes in Deutschland urn jeden Preis verhindern und suchte nur nach einem rechtlichen Anlass, urn sich der Sache aimmehmen. Dnrch seinen Agenten Grafen Gortz brachte er es dahin, dass der Herzog von Zweibriicken seine Absicht, deu Vertrag mit Osterreich zu genehmigen, aufgab, ja ihn um seine Unterstiitzung bat. Als Osterreich die Zuriick- ziehung seiner Trtippen, welche es in die ihm "zugesprochenen Theile Baierns hatte einriicken lassen, verweigerte, fiel er im Juli 1788 mit 160.000 Mann in Bohmen ein. Doch kara es zu keiner ernstlichen Unter- nehmnng, und im Herbste zogen sich die Preufien iiber die Grenze zuriick. Maria Theresia, welche mit dem Vorgehen ihres Sohnes in dieser Frage von Anfang an nicht einverstanden gewesen war, hatte schon beim Beginn des Krieges ohne Wissen desselben Unterhandlungen mit dem preufiischen Konige angekntipft. Im Winter wurden diese neuerdings auf- genommen und am 13. Mai 1779 der Friede von Teschen abgeschlossen durch den Osterreich das sogenannte Innviertel erhielt, aber seinen son- stigen Anspriichen auf Baiern entsagte. 1 ) 3. Der Krieg K. Josephs II. mit den Tiirken (1788 1791). Joseph II. hatte es schon bei Lebzeiten seiner Mutter fur die wich- tigste Aufgabe der osterreichischen Politik gehalten, Kussland von Preufien zu trennen und ein osterreichisch-russisches Biindnis zustande zu bringen. Es kam ihm zustatten, dass Katharinas II. sehnlichster Wunsch war, das tiirkische Keich zu vernichten und fur ihren zweiten Sohn Constantin ein griechisches Kaiserthum in Constantinopel zu errichten. Da ein Vor- dringen der Eussen iiber die Donau und den Balkan nur mit Zustimmung Osterreichs moglich war, so beschloss Katharina, das 1780 ablaufende Biindnis mit Preufien nicht mehr zu erneuern, sondern dafur eine Allianz mit Osterreich zu schliefien. Schon im Mai 1781 kam auf acht Jahre ein Defensivbundnis zwischen Osterreich und Russland zustande. Auf den 1782 von Katharina II. gernachten Vorschlag, die Tiirken aus Europa zu vertreibeu und die Lander derselben zu theilen, gieng Joseph II. nicht ein. Doch reizte die Kaiserin durch ihre Ubergriffe die Pforte so lange, bis diese 1787 an Russland den Krieg erklarte, an welchem auch Joseph II. als Ver- biindeter Russlands theilnahm. Der Verlauf war anfangs ein ungiinstiger. Die Russen, deren Heerwesen ganz in Verfall war, leisteten 1788 gar nichts. Osterreich stellte zwar 200.000 Mann ins Feld. Aber Lacy, der *) Arneth, 10, 280 if. Vgl. Eeimann, Geschichte des bairischen Erbfolge- krieges (Leipzig 1869) und n Neuere Geschichte des preufiischen Staates", 2. Bd., wie die Aufsatze A. Beers in der n Historischen Zeitschrift" 35, 88 ff. und 38, 403 ff. 187 militarische Rathgeber des Kaisers, vertheilte die Tnippeu fiber die gauze Grenze Ton der Unna bis in die Bukowina, sodass nirgends eine gro'fiere Annee vorhanden war, welche den Tiirken iiberlegen gewesen ware. Man musste sich daher auf die Vertheidigung beschranken und verlor im heifien Sommer in den sumpfigen Niederungen Ungarns sehr viele Leute. 1789 dagegen eroberte Laudon, der uber die o'sterreichische Hauptarmee den Oberbefehl erhielt, die Festung Belgrad. Der Prinz Coburg, der ein selb- standiges Corps commandierte, siegte im Verein mit Suworow bei Fok- schani und Martineschti, warf die Tiirken uber die Donau zuruck und besetzte daim Bukarest. Aber die Ausbeutung dieser Erfolge wurde durch auswartige und innere Verhaltnisse unmOglich gemacht. Preufien, das seit 1788 mit England und Holland verbundet war, wollte diesen Krieg zur Erwerbung neuer Gebiete benutzen, machte ge- waltige Eiistungen und schloss Vertrage mit der Turkei und Polen. Von Osterreichs Verbundeten war Kussland durch einen Angriff des Konigs von Schweden, Frankreich durch die fortschreitende Revolution gelahmt. Zugleich brach infolge der kirchlichen und administrativen Neuerungen K. Josephs II. in den osterreichischen Niederlanden eine offene Emporung aus. In Ungarn erreichte die Unzuffiedenheit einen sehr gefahrlichen Grad. Der galizische Adel bereitete im Einvernehmen mit Preufien eine Bewegung vor. Als nun am 20. Februar 1790 K. Joseph II. starb und sein Bruder Leopold von Toscana ihm in der Regierung folgte, suchte er den aufleren Frieden und die innere Ruhe wieder herzustelleu und erbot sich, auf alle Gebietsvergrofleruugen zu verzichten, wodurch die Seemachte befriedigt wurdeu. Am 27. Juli 1790 schloss Osterreich mit Preufien die Con- vention vonReichenbach, worin es sich verpflichtete, mit der Turkei auf Grundlage der territorialen Verhaltnisse vor dem Kriege einen Waffen- stillstand und dann unter Vermittlung Preufiens und der Seemachte Frieden zu schliefien. Im Frieden von Szistowa, der am 5. August 1791 unterzeichnet wurde, begnugte sich Osterreich mit der Abtretung von Alt-Orsova und Czetin unter dem Titel einer Grenzberichtigung. 1 ) *) Arueth, Joseph II. und Katharina II. Ihr Briefwechsel. A. Beer, Die orien- talische Politik Osterreichs seit 1774. Vergl. Haeusser, Deutsche Geschichte (3. Auflage) 1, 221 if. H. v. Syb el, Geschichte der Revolutiouszeit (4. Auflage), 1, 154 ff. Ranke, Die deutscheu Machte und der Fiirsteiibund S. 289 ff. 188 II. Geschichte des offentlichen Heckles (17401793). a) Die Zeit der Regierung Maria Theresias (1740 1780). I. Die Organisation der Verwaltung. 1 ) Nachdem Maria Theresia ihr Recht auf die von ihrem Vater be- herrschten Gebiete in einem achtjahrigeii Erbfolgekriege behauptet hatte, fiihlte sie die Nothweudigkeit, die bisher nur durch die Dynastie zusammen- gehaltenen Lander auch innerlich zu einigen und eine straffere Form der Verwaltung einznfuhren. Doch dehnte sie diese Centralisation weder auf die Niederlande und Mailand, die ihre gesonderte Verwaltung behielten, noch auf Ungarn aus, dem sie 1741 seine gesonderte Administration be- statigt hatte, sondern suchte nur aus den deutsch-osterreichischen Provinzen und den Landern der bohmischen Krone einen auf gleiche Weise ver- walteten Landercomplex zu schaffen. Als Rathgeber stand ihr besonders Graf Haugwitz, ein geborener Schlesier, der President von Osterreichisch- Schlesien geworden war, zur Seite. Fruher waren nur einzelne organisatorische Mafiregeln getroffen worden. Im Jahre 1742 war die 1720 thatsachlich getrennte 6'sterreichische Hofkanzlei auch formell geschieden und fur die Leitung der aus- wartigen Angelegenheiten wie fur die des Herrscherhauses die Hof- und Staatskanzlei, fur die Verwaltung der inneren Verhaltnisse die oster- reichische Hofkanzlei geschaffen worden. Jener wurden 1757 auch der italienische und niederlandische Rath einverleibt. 2 ) Im Februar 1741 hatte Maria Theresia die Finanzconferenz aufgehoben und die Leitung des ganzen Finanzwesens detn Grafen Gundacker Starhemberg iibertragen, der Senior der geheimen Conferenz und President der Ministerial- Bancodeputation war, und 1746 diese selbst zu einem Hofmittel, d. h. einer unmittelbar unter der Kaiserin stehenden Centralstelle gemacht. Zur Forderung des Handels wurde 1746 ein Commerzdirectorium ein- gesetzt, welches seine "Wirksamkeit auch auf Ungarn ausdehnte. 3 ) Da- gegen verschwand die geheirae Conferenz schon in den ersteu Re- gierungsjahren Maria Theresias und nach 1748 auch die Deputation J ) Vgl. hieruber im allgemeinen A. v. Arneth, Maria Theresia, 4, 27 ff. und 9, 334 ff. Th. v. Kern, Die Reformen der Kaiserin Maria Theresia. n Geschichtliche Vor- trage und Aufsatze", S. 176 ff. (aus dem n Historischen Taschenhuch" 1869). d'Elvert, Zur osterreichischen Verwaltungs-Geschichte, S. 334 ff. A. Beer, Die Finanzverwaltung Osterreichs 17491816. ^Mittheilungen des Instituts", 15, 237 ff. 2 ) Arneth, 2, 197 f., 4, 244 f. 3 ) Arneth, 4, 72. Mensi, S. 708. A. Beer, S. 238 ff., 273. 189 rn inneren Angelegenheiten, indem die Kaiserin es vorzog, sich mit den einzelnen Ministern zu berathen. Durchgreifendere Anderungen in der Verwaltung wurden 1749 vor- genommen. Um die Rivalitat der o'sterreichischen und der bShmischen Hofkanzlei zu beseitigen, wurden yon der Kaiserin beide aufgehoben und an ihre Stelle fur beide Landergruppen ein gemeinsames Directoriuni in publicis et cameralibus gesetzt, dem neben der politischen Ad- ministration ein Theil der Finanzverwaltung, namlich die Contributionen und die anderen directen Steuern und das n deutsche Camerale", uber- tragen wurden. Die Hofkammer behielt nur noch das Bergwesen und die Geschafte, die ihr bisher in den ungarischen Landern zugestanden batten. Auch der Wiener Stadtbank wurde die selbstandige Verwaltung der ihr iiberwiesenen Einnahrasquellen gelassen. Ebenso hatte jede dieser drei Stellen gewisse Ausgaben anzuweisen und zu verrechnen, die Hof- kammer namentlich die Bestreitung des Hofhaltes. Ein gleichmafliges Vorgehen dieser drei selbstiindig nebeneinander stehenden Behorden in Fragen der Finanzverwaltung wurde durch Zusanimentreten von Commissionen nur nothdtirftig erreicht. Das Commerzdirectorium wurde 1753 zu einer mit dem Direc- torium in publicis et cameralibus vereinigten unmittelbaren Hofstelle er- klart, welche die Handelsfragen der ganzen Monarchie nach einheitlichen Principien entscheiden sollte. Ihni wurde auch die Regulierung der Mauten imd Zolle ubertragen. 1 ) Das Justizwesen, soweit es fruher mit den Hofkanzleien vereiuigt gewesen war, wurde bei der Errichtung des Directoriums von diesem ge- trennt und fur die aus den ,,deutschen (d. h. den deutschen und boh- mischen) Erblanden" auf dem Wege der Revision oder Appellation an den Hof gelangenden Angelegenheiten eine eigene n oberste Justizstelle", 2 ) bestehend aus einem Kanzler (seit 1752 Prasideuten), zwei Vicekanzlern und 15 Rathen, creiert. Sie zerfiel in drei Senate (Consessus u ) 1. fur die bohmischen, 2. die Wiener und niederosterreichischen, 3. die ober- und innerosterreichischen, tirolischen und vorderosterreichischen Sacheu, wobei bestimmt wurde, dass bei der Behaudliing bohmischer Angelegen- heiten mehr bohmische, bei der Behandlung osterreichischer Fragen mehr osterreichische Rathe, w niemals aber bohmische und osterreichische allein" zugezogen werden sollten. Fur das 1772 erworbene Galizien wurde ) Beer, S. 273 f., 317. 2 ) Fr. v. Maasburg, Geschichte der obersten Justizstelle in Wien (17491848), 2. Auflage, Prag 1891. Das betreffende Haudschreiben der Kaiserin vom 1. Mai 1749 S. 347 ff. 190 (1780) em eigener Senat errichtet, in dem es anfangs (bis 1786) gestattet war, lateinisch zu referieren. Doch war fur viele Falle als dritte Instanz 1774 ein oberstes Tribunal in Lemberg errichtet wofden. Indem der obersten Jnstizstelle zugleich die einschlagigen Verwaltungsgeschafte, na- mentlich auch die Verleihung der irn Justizdienste erledigten Stellen iiber- tragen war, bildete sie fur die deutsch-bohmischen Lander nicht blofi den obersten Gerichtshof, sondern auch ein gemeinsames Ministeriuin. In ahulicher Weise wurde auch die Verwaltung der Provinzen organisiert. Auch hier wurde die Justiz yon der Verwaltung getrennt und fur die politischen, Cameral-, Contributions- und gemischten Militar- sachen eine eigene ,,Reprasentation undKammer" mit einem Prasi- denten an der Spitze, fur Handelsangelegenheiten ein Comraercienconsess eingesetzt. Bei dieser Gelegenheit wnrde auch die bohmische Statthalterei aufgelost, wahrend die Justiz den bisherigen obersten Landesbeamten unter dem Vorsitz des Oberstburggrafen, wie in Niederosterreich. Steier- mark, Tirol den Eegieruugen, in Oberosterreich der Landeshauptmann- schaft, in Schlesien dem koniglichen Amte blieb. Fur Mahren wurde ein eigenes Appellations- und Criminal-Obergericht in Briinn ge- schaifen. Spater wurde den Representation en, welche seit 1763 Gubernien hiefien, 1 ) auch die Justiz theilweise wieder zugewiesen, aber fiir diese bei denselben ein eigener Justizsenat errichtet, welcher die dritte Instanz fiir alle nicht an den Hof gelangenden Rechtsangelegenheiten war. Das Presidium beim Gubernium erhielt der Vorsitzende der Stande (Landmarschall, Landeshauptmann, Oberstburggraf), der so eine Doppelstelle bekleidete, aber in erster Linie von der Regierung abhangig war. Den Schlussstein der neuen Einrichtungen bildeten die Kreisamter, welche in Bo'hmen bereits bestanden und in den deutschen Provinzen voin Jahre 1748 an eingefuhrt wurden. In Bo'hmen selbst trat insofern eine Veranderung ein, als statt der bisherigen zwei Hauptleute, eines aus dem Herrn- und eines aus dem Eitterstande, ein Kreishauptmann von der Regierung, und zwar bald ohne Riicksicht auf dessen Ansassigkeit im Kreise ernannt und der Sitz der Hauptleute in eiue bestimmte Stadt verlegt wurde, wahrend sie friiher ihren Sitz auf ihren eigenen Herr- schaften gehabt hatten. 2 ) , Die Kreishauptleute erhielten zunachst die Aufgabe, fiir die Durch- fiihrung der neuen Contributionseinrichtung und tiberhaupt fiir die Voll- ziehung der kaiserlichen Verordnungen wie fur die Aufrechthaltuug der J ) In Niederosterreich wurde dafiir wieder der Name r Regierung u , in Ober- osterreich, Karnten und Krain der Name n Laudeshauptmannschaft u hergestellt. 2 ) Toman, S. 151 f. Vgl. Beer, S. 288, Anm. 2. 191 offentlichen Sicherheit und Wohlfahrt zu sorgen. Nach und nach zogen sie aber nicht blofi die Ubung der ganzen Polizei in den Bereich ihrer Wirksamkeit, sondern controlierten auch das ganze Gemeindeleben und das Verhalten des Clerus. Spater sahen sie es auch als eine ihrer vorziiglichsten Aufgaben an, die Unterthanen gegen willkurliche und un- gerechte Behandlung ihrer Grundherren zu schutzen. Die Gerichtsbarkeit in erster Instanz wurde, schon aus finanziellen Rucksichten, noch nicht allgemein verstaatlicht. Aber der grofiere Theil der zahllosen Patrimonial- und magistratischen Gerichte, fur deren entsprechende Besetzung es an Kraften fehlte, wurde nach uud nach aufgehoben. In Bohmen blieben nach einer allerhochsten Verordnung vom Jahre 1765 von 386 Halsgerichten nur 30 ubrig. 1 ) deren jedes mit einem erfahrenen und obergerichtlich gepruften Syndicus und einem ebenfalls gepruften Kathsherrn als Assistenten versehen sein sollte, wahrend den ubrigen n in Kuhe zu versetzenden" Gerichten nur das Recht der gefanglichen Einziehung eines Verbrechers und der Vornahme eines suminarischen Verhors blieb. Wenn Maria Theresia fur Anstellungen yon Beamten bei den Ge- richten ebenso wie bei anderen Stellen die Ablegung von Prufungen, als Bedingung der Zulassung zu diesen aber den Nachweis entsprechender Universitatsstudien verlangte, 2 ) so regelte sie andererseits auch die Be- soldungen, wogegen die Bezuge von Gerichtssporteln abgeschafft wurden. An der Spitze der Militarverwaltung stand auch in dieser Periode der Hofkriegsrath, der 1753 in drei Departements. das militare publico- politicum (fur Recrutierung, Einquartierung, Verproviantierung, Vorspann u. dgl.), das judiciale und das oeconomicum (fur Bekleidung u. s. w.) getheilt wurde. Das letztgenannte wurde 1761 als Generalcommissariat abgelost, aber 1768 wieder damit vereinigt. 3 ) Um in die Verwaltung der deutsch-bohmischen Lander eine noch grofiere Einheit zu bringen und auch zwischen den yerschiedenen Hof- ') AuBer den Magistraten der vier Prager Stadte und der Stadt Eger, wie dem Consistoriuin der Prager Universitat noch 24. Maasburg, Die Organisieruug der boh- mischen Halsgerichte im Jahre 1765 (Prag 1884), S. 93 ff. und 119 ff. In Mahreu, wo es iiber 200 Halsgerichte gegeben hatte, waren diese schon 1729 und nochmals 1752 sehr bedeutend reduciert wordeu. Ebendaselbst S. 7, N. 18. Uber die Reformen auf dem Gebiete des Justizwesens siehe auch A. v. Domin-Petrushevecz, Neuere osterreichische Rechtsgeschichte, S. 3288 und d 'El vert, Weitere Beitrage zur oster- reichischen Rechtsgeschichte, (Schriften der historisch-statistischen Section, 27. Bd.), S. 123 ff. 8 ) Vgl. d'Elvert, a. a. 0., S. 124 f. 8 ) d'Elvert, Zur osterreichischeu Verwaltungs-Geschichte, S. 379 f. A. Wolf, Osterreich 17401792 (Allgemeine Geschichte in Eiuzeldarstellungen) S. 103. 192 stellen eine gewisse GleichmaBigkeit der leitenden Grundsatze bei der Verwaltung der inneren Angelegenheiten herzustellen, wurde im December 1760 nach dem Vorschlage des Grafen Kaunitz als berathendes Collegium der osterreichische Staatsrath 1 ) geschaifen, der aus sechs Mitgliedern, drei vom Herrenstande init dem Titel Minister und drei aus dem Gelehrten- und Kitterstande mit dem Titel Staatsrathe besteheu sollte. Demselben sollten alle der Kaiserin vorgelegten Angelegenheiten zur Begutachtung iibergeben werden. Er sollte dann die allerhochsten Entschlieflungen ent- werfen, die Befolgung derselben tiberwachen, auf bestehende Gebrechen aufmerksam machen, Wahrung der Keligion ohne ubertriebenen Eifer, der offentlichen Ordnung uud des Staatscredits sich zur Aufgabe setzen, Vor- schlage zur Hebung des Ackerbaues, der Industrie und des Haudels er- statten und endlich die unwandelbaren Grundregelu der Staatsverwaltung aufstellen. Die ihm vorgelegten Gegenstande (besonders Antrage der Centralstellen) wurden nicht in gemeinsamen Sitzungen verhaudelt, sondeni im Circulationswege erledigt, wobei in der Kegel mit den jungsten Kathen (dem Kange nach) begonnen wurde. dann die Staatsminister und zuletzt der Staatskanzler das Gutachten abgab. Auf Grund der Gutachten wurde dann von einem der Staatsminister der Entwurf zur aller- hochsten EntschlieBung abgefasst, der, wenn die Ansichten auseinander gegangen waren, noch einmal in Umlauf gesetzt wurde. Der Staatsrath war eiue gesammtstaatliche Behorde und hat nicht blofl die Zustande der deutsch-bohmischen Lander, sondern auch die Ungarns, der Nieder- lande und der italienischen Besitzungen seiner Berathung unterzogen. Auf Grund der vom Staatsrathe gemachten Vorschlage, besonders jener des Grafen Kaunitz, wurde die 1749 verfugte Vereinigtmg eines Theiles der Finanzverwaltung mit der politischen Administration wieder be- seitigt, am 23. December 1761 das Directorium inpublicis et cameralibus aufgehoben uud die politische Verwaltung der w k. k. vereinigten boh- misch-osterreichischen Hofkanzlei" unter einem obersten Kanzler 2 ) und einem Vicekanzler ubertragen. Die Finanzverwaltung wurde unter drei Centralbehorden vertheilt, die Hofkammer, die Caisse generale und die Eechenkammer. Der Hofkammer wurde die OberauMcht, Ver- waltung und Verbesserung aller Cameral- und Contributionsgefalle uber- tragen. Sie sollte fur die Herbeischaffung der Einkunfte des Staates sorgen und die Auszahlung der fur den Staatsaufwand nothwendigen Summen anordnen. Die Auszahlungen selbst sollten durch die General- casse erfolgen, in welche alle Einnahrnen fliefien sollten. Die Prufung a ) C. Freiherr T. Hock uud Bidermann, Der osterreichiscbe Staatsrath (Wien 1869-1879). s ) Dieser hieB eigeutlich bohinischer Obrister und osterreichiseher erster Kauzler. 193 tier Einnahmen und Ausgaben, also die Controle jener beiden (Jentralstellen war Aufgabe der Hofrechenkammer, der alle Buchhaltungen unter- geordnet wurden. Sie sollte aber auch allgerneinere Fragen wie die Ur- sachen der Zu- oder Abnahine der Gefalle erSrtern und hieruber Vorschlage machen, wie auch fiber Anderungen ira Maut- und Tarifwesen Gutachten abgeben. Der Hofkammer musste jetzt auch die Ministerial-Banco-De- putation Eechnuug legen. Zugleich wurde eine deutsch-erblandische Credits-Deputation fiir das Staatsschuldenwesen creiert. Der Com- mercienrath wurde eine selbstandige Hofstelle mit einem eigenen Pra sidenten. Er sollte sich die Hebung der inlandischen Cultur, der Manufactureii und des Commercii angelegen sein lassen. Spater wurde ihm auch die Leitung der Staatsfabriken ubertragen. In analoger Weise wurde 1763 auch die Verwaltung der einzelnen Proyinzen geordnet, uberall eine politische Stelle (Gubernium), eine Justiz- und eine rinanzstelle, ein Commercienconsess, ein Fiscal- und Zahlamt errichtet. 1 ) Wie weit schon damals die Centralisation getrieben wurde, zeigt die Bestimmung, dass Extracte aus den Protokollen fiber die Kathssitzungen bei den Gubernien wochentlich je nach den Verh^ndlungs- gegenstanden an die Hofkanzlei oder die Hofkammer oder den Hofcom- mercienrath oder die oberste Justizstelle eingesendet werden mussten. 8 ) Schon 1760 wurde als Departement des Directoriums (spater der Hofkauzlei) eine Studienh of commission ffir die Leitung des Unter- richtswesens errichtet, welches jetzt durchaus als Staatssache, als r politi- cum", betrachtet wurde, sodass von der Kegierung nicht blofl die Volks- schulen organisiert und die Lehrplane fur die Gymnasien und die weltlichen Facultaten der Universitaten festgestellt, sondern (1774) auch den theo- logischen Facultaten und den Hausstudien der Kloster der Lehrplan und die Lehrbficher vorgeschrieben wurden. 1774 erhielt diese Studiencom- mission eine Stellung unmittelbar unter der Kaiserin, wenn auch eine gewisse Unterordnung unter den obersten Kanzler bestehen blieb. 3 ) 1770 wurde fur kirchliche Angelegenheiten eine aus geistlicheu und weltlichen Mitgliedern zusammengesetzte geistliche Ho fcom mission (consessus in publicis ecclesiasticis) unter dem Vorsitze des obersten Kanzlers geschaffen. 4 ) a ) tiber die Befugnisse uud die Organisation des inahrischen Guberniums, von welchem sich .die iibrigen nicht unterscheiden, siehe d'Elvert, S. 396. 2 ) d'Elvert, S. 407. 3 ) Kink, Geschichte der Universitat zu Wien, 1, 483 f. A. v. Helfert, Die osterreichische Volksschule, 1, 287. 4 ) Hock-Biderinann, Der osterreichische Staatsrath, S. 53. Arneth,9, 57. Hnber. Osterreichische Reichsgeschichte. 13 194 Die 1761 und 1762 getroffenen Einrichtungen wurden zuuachst nicht vollkommen durchgefuhrt und blieben auch spater nicht unange- fochten. 1 ) Der Hofkammer wurde nicht die Verwaltung aller Gefalle iibertragen, sondern die Contributionen bei der Hofkanzlei, viele Gefalle bei der Ministerial-Banco-Deputatiou gelassen, deren Prasident Graf Hatz- feld bald auch Prasident der Generalcassendirection wurde. Die Militiir- cassen blieben von den allgemeinen Cassen getrennt. Die oberste Leitung des Staatsschuldenwesens iibernahm der Kaiser Franz selbst, nach dessen Tode (1765) sie an Hatzfeld ubertragen wurde. Spater machte sich das Streben geltend, die Verwaltung der Finanzenmehrzu centralisieren, was besoiiders durch Hatzfeld betrie- ben und auch von der Kaiserin begiiustigt wurde. 1765 wurde die General- cassendirection mit der Hofkammer vereinigt, die in Hatzfeld, der nun den Titel n Finanzminister" ftihrte, mit der Bank auch denselben Pra- sidenten hatte. Auch das Coutributionale und die anderen die Lander betreffenden Abgaben wurden jetzt der Hofkammer ubertragen. Im Februar 1771 wurde Hatzfeld zuni obersten Kanzler ernannt, unter den seit 1765 auch der Commercienrath gestellt war, blieb aber zugleich Prasident der Banco-Deputation und der Hofkammer, so dass die politische Ver- waltung, die Finanzen und die Handelsangelegenheiten in seinen Handen vereinigt wurden. Doch weigerte er sich, das Amt eines obersten Kanzlers zu tibernehmen, wenn nicht auch die Hofrechenkammer aufgehoben wiirde. Da sich der Staatsrath entschieden dagegen aussprach, so ernannte ihn die Kaiserin im December 1771 zum ,,dirigierenden Minister in inlan- dischen Geschaften", wahrend die Ainter des obersten Kanzlers und die des Prasidenten der Hofkammer, der Ministerial-Banco-Deputation und des Commercienrath.es wieder getrennt wurden. Dabei wurde die Competenz der Hofkammer eingeschrankt und das Contributiouale mit der Erb- schafts- uud Schuldensteuer wie die Verwaltung des Banates der Hof- kanzlei tiberwiesen. Erst 1773 setzten die politischen Behorden die Auf- hebung der Selbstandigkeit der Hofrechenkammer durch, wenn sie auch ihren eigeuen Prasidenten behielt. 1776 wurde das Commerciale wieder mit der Hofkanzlei vereinigt. Auch die Commercienconsesse in den einzelnen Provinzen wurden 1772 aufgehoben und ihre Geschafte einer eigenen Commission beim Gubernium tibertrageii. Fur die 1772 erworbenen polnischen Gebiete wurde 1774 eine eigene ,,galizisch-lodomerische Hofkanzlei" errichtet. Doch wurde sie schon 1776 mit der bohmisch-osterreichischen vereinigt und diese in zwei Senate, einen fur die Angelegenheiten der bo'hmischen Lander und J ) Naberes bei Beer, S. 244 if. 195 Galiziens, einen fiir die der deutschen Provinzen uud des Temesvarer Banates getheilt. 1 ) Auch die Kreiseintheilung wurde auf Galizien ausgedehnt. Zum Unterschiede von den detitsch-bohmischen Provinzen blieben die Pormen der Verwaltmig in Ungarn im wesentlichen unverandert. Maria Theresia hatte bei ihrer Kronung im Jahre 1741 die ungarische Verfassung beschworen und konnte daher oline Verletzung derselben keine Abanderungen ohne Zustimniung der Stande treffen. Der auf dem Land- tage dominierende Adel hielt aber unbedingt am Hergebrachten fest. Die uugarische Hofkanzlei, die Hofkammer und die Statthalterei behielten daher auch jetzt den Wirkungskreis, den sie unter Karl VI. gehabt batten. Doch wurden manche territoriale Einrichtungen getroffen, urn, wie Maria Theresia 1741 versprochen hatte, die Integritat Ungarns her- z-ustellen. Schon in den nachsteu Jahren wurde die Theifi-Maroser Militargrenze aufgelost und die Civilverwaltung wieder hergestellt. 1772 naeh der ersten Theilung Polens wurden die diesem verpfandeten Zipser Stadte, 1776 Fiume, das seit dem 15. Jahrhundert zu Inner- osterreich gehort hatte, 1778 das Temesvarer Banat mit Ungarn ver- einigt, dieses in drei Comitate getheilt, Fiume unter einen eigenen Gou- verneur gestellt, die Zips der ungarischen Kammer untergeordnet. 2 ) Auch die gesonderte Verwaltung der serbischen Niederlas- s ung en wurde beseitigt. Maria Theresia hatte mit Rucksicht auf die Dienste, welche die Serben im osterreichischen Erbfolgekriege geleistet hatteu, die ihnen gewiihrten Privilegien neuerdings bestatigt und, ihrem Wuusche nach administrative! Selbstiindigkeit wenigsteus theilweise nach- gebend, im August 1745 eiue besondere Hof com mission eingesetzt, welche die Angelegenheiteii derselben nach einheitlichen Grundsatzen in unparteiischer Weise erledigen sollte. Im August 1747 wurde diese Commission in eine unmittelbare Hofstelle, die w llofdeputation in Transylvanicis, Banaticis et Illyricis" mit einem Prasidenten an der Spitze umgewandelt, welche dieselben Eechte haben sollte wie die Hofkanzleien. Da zwischen dieser illyrischen Hofdeputation und der ungarischen Hof- kauzlei haufige Competenzconflicte ausbracheu, so suchte die Kaiserin diese dadurch zu beseitigen, dass die Deputation nur die kirchlichen An- gelegenheiten und die Privilegiensachen der Serben erledigen, die Steuer- sachen und Justizaugelegenheiten in den Comitaten und Stadten Ungarns dagegen von den dortigen Behorden und in letzter Instanz von der un- garischen Hofkauzlei erledigt werden sollteu. Aber der Gegensatz zwischen den beiden Hofstellen horte damit uicht auf, und als wegen verschiedener !) Arneth, 8, 422; 10, 94. 8 ) Arneth, 10, 121 ff. Fessler-Klein, 5, 420 flf. 13* 196 Ursachen an mehrereu serbischen Orten Unruhen ausbrachen, liefi sich die Kaiserin bewegen, am 2. December 1777 die illyrische Hofdepu- tation ganz aufzuheben und ihre Geschafte in Ungarn der dortigen Hofkanzlei, in der Militargrenze dem Hofkriegsrathe und in dem damals noch selbstandig verwalteten Banate der dortigen Hofstelle zu iibertragen, welche Angelegenheiten, die alle beruhrten, in gemeinsamen Commissionen erledigen sollten. 1 ) Auch in den osterreichischen Niederlanden traten keine Ver- anderungen ein, da solche auch hier ohne Znstimmung der Stande nicht rnoglich waren und diese am Hergebrachten festhielten. In der Lombard ei dagegen fuhrte der Grofikanzler Graf Christiani, der Leiter der dortigen Statthalterei, 1755 eine neue Gemeindeverfassung ein, durch welche alle Steuern zahlenden Gemeindeglieder direct oder indirect Antheil an der Besorgung der Gemeindeangelegenheiten erhielten. In den einzelnen Provinzen wurden Delegationen eingesetzt, die aus Vertretern der Bezirke, des Adels und der Kaufleute bestanden. 2 ) 2. Das Heer- und Steuerwesen. Auf die Vorstellungen des Grafen Haugwitz, dass wie Schlesien auch Bohrnen und Mahren bald verloren gehen wurden, wenn man nicht zum Schutze derselben immer eine geniigende Truppenmacht bereit hatte, dass die Mittel zur Erhaltung derselben aber nur dann aufgebracht und die Armee nur dann rasch verwendet werden konnte, wenn auch die Grundherren zu grofieren Steuerleistungen herangezogen wurden, und wenn nicht mehr die Stande, soudern die Regierung allein uber das Militarwesen frei verfiigen konute, befahl Maria Theresia dernselben nach dem Ende des Erbfolgekrieges die Ausarbeitung eines Planes, wie man zur Unterhaltung von 108.000 Mann in den deutscli-osterreichischen und un- garischen Landern 14,000.000 Gulden aufbringen konnte. Haugwitz be- antragte nun, dass das Recht der Landtage, der Regierung jahrlich Geld und Truppen zu bewilligen, durch ein Abkommen thatsachlich beseitigt werden und die Staiide sich zunachst auf zehn Jahre, wie es schou wieder- holt geschehen war, herbeilassen sollten, zu diesem Zwecke statt wie bisher eine Contribution von ungefahr 9 Millionen, fortan 14 Millionen Gulden jahrlich zu zahlen, wogegen sie von alien Naturalleistungeu fur Mannschaft und Pferde frei sein und die Kosten der Werbung oder Aushebung, die Ausrustung und Verpflegung der Truppen vom Staate ubernommen werden sollten. Zur Aufbringung der Steuern sollte durch neue Abschatzung des unbeweglichen Vermogens ein gerechterer *) Schwicker, Politische Geschichte der Serben in Ungaru, S. 78 346. 2 ) Arneth, 4, 243 ff. 197 Mafistab gewonnen werden und alle Steuerbefreiungen aufh6ren. Als Wert eines Gutes sollte das Zwanzigfache des jahrlichen Reinertrages angenornmen und von diesem Werte von den Adeligen der hundertste, von den Bauern der funfzigste Theil als Steuer entrichtet werden. Der Plan wurde von der Kaiserin genehmigt und trotz aller Schwie- rigkeiten, die sich ihm entgegenstellten, fast von alien Landtagen an- genommen, worauf Delegierte derselben mit der Ministerial-Banco-De- putation einen Recess oder Vertrag schlossen. Jedes Land ubernahm eine bestimmte Summe. von der aber ein Theil den Standen zur Bestreitung ihrer Bedurfnisse und fur die Tilguug der Landesschulden uberlassen wurde. Doch liefien sich die Stande von Steiermark, Krain, G6rz und Gradisca zu einem solchen nur auf drei Jahre herbei, sodass man die Recesse noch zweimal erneuern musste. Tirol liefi sich nur bewegen, statt der geforderten Summe von 100.000 jahrlich 70.000 Gulden zu be- willigen. Die Staude Karntens lehnten den Antrag ganz ab, wenn nicht die erhohten Lasten den Bauern allein aufgeburdet wiirden, was die Kaiserin bewog, die neue Einrichtung Jure regio" einzufuhren und vom 1. Februar 1750 an (bis zum Jahre 1770) die standischen Einkiinfte durch landesfiirstliche Beamte einheben zu lassen. 1 ) Um eine gerechtere Vertheilung der Grundsteuer zu ermog- lichen, liefi die Kaiserin die Ertragnisse der bauerlichen und herrschaftlichen Guter durch Fassionen oder Messungen feststellen, worauf auch die geistlicheu und adeligen Besitzungen der regelmafiigen Be- steuerung unterworfen wurden, obwohl sie geringer verauschlagt wurden als die der Burger und Bauern. 2 ) Dieser theresianische Kataster ist dann bis 1819 die Grundlage der directen Besteuerung in Osterreich geblieben. In Ungarn setzte die Regierung auf dem Landtage von 1751 nur die Erhohung der Contribution um 500.000 Gulden durch. Der Land- tag von 1764 bewilligte noch weitere 500.000 Gulden und 100.000 fur die ungarische Leibgarde, so dass sich die Contribution Ungarns jetzt auf 3,900.000 Gulden belief. Aufierdem mussten aber die steuerpflichtigen Unterthanen zur Unterhaltung des Heeres auch Getreide, Heu, Holz u. s. w. liefern. 3 ) *) Arneth, 4, 11 ff. Vgl. einen Aufsatz von A. Beer, Die Staatsschulden und die Ordnung des Staatshaushaltes unter Maria Theresia, der im 82. Bd. des n Archiv fur osterreichische Geschichte" erscheineu wird, und fiir Karnten Hermann, 2 b , 28 f. 2 ) In Bohmen und Mahren zahlte man anfangs vom Rusticale von 180 Gulden 60 Gulden oder 33V8 /o: spater in Bohmen 42 1 /4/o. in Mahren SGV^/o. vom Dominical- besitz in Bohmen 29/ , in Mahren anfangs 22 2 / 3 , spater 26 3 / 10 %- Naheres bei d'Elvert, Zur osterreichischeu Finauz-Geschichte, S. 579 ff. 3 ) Arneth, 4, 193 ff.; 7, 110 S. 198 Die ErganzungdesHeeres erfolgte anfangs noch durch Werbung, die allerdings auch durch List und Gewalt unterstutzt wurde. Seit 1753 musste jedes Land eine bestimmte Zahl von Recruten aufbringen, die auf die einzelnen Herrschaften und Stadte vertheilt wurden. Durch Patent vom 10. Marz 1770 wurde zum Zwecke einer gerechteren Vertheilung in den bohmischen, nieder- *und inuerosterreichischen Erblanden die Con- scription oder ^Seelenbeschreibung" nach den einzelnen Ortschaften ein- gefuhrt und auf Grund derselben die Lander 1773 in ,,Werbbezirke" ge- theilt, von welchen jeder nach Bediirfnis jahrlich die auf ihn entfallende Zahl von Soldaten stellen musste. Die Auswahl der an das Militar Ab- zugebenden wurde den Obrigkeiten iiberlassen. Doch war ein grofier Theil der Bewohner, namentlich die Geistlichen, Adeligen, Beamten des Staates und die hoheren Herrschaftsbediensteten, die Doctoren, Chirurgen, die Burger der landesfiirstlichen Stadte und Markte, deren Sohne und viele Andere gesetzlich vom Militardienste befreit. Dieser selbst war lebens- langlich, doch fanden zahlreiche Beurlaubungen statt. 1 ) Die Regelung des Zollwesens hat die Regierung als Hoheitsrecht betrachtet und, ohne die Zustimmung oder auch nur den Rath der Stande einzuholen, durchgefiihrt. Doch ist man nur schrittweise vorgegangen. Graf Rudolf Chotek, der von 1749 bis 1761 President des Universal- Commerzdirectoriums war, suchte- durch hohe Schutzzolle oder durch das Verbot der Einfuhr einzelner Waren die inlandische Industrie zu heben, die er auch direct unterstutzte. Auch hob er wohl die zahllosen Binnen- zolle auf, aber nicht blofi Ungarn und die nichtungarischen Lander bliebeu durch Zolllinien getrennt, sondern auch die deutsch-bohmischen Lander zerfielen noch wie unter Karl VI. in sechs verschiedene Zollgebiete. Iro Jahre 1769 dagegen stellte der Staatsrath als leitende Grundsatze auf: Einfiihrung eines einheitlichen Zolltarifs fur das ganze Reich, geringe Ausfuhr- und geringe oder gar keiue Durchfuhrzolle, niedrige Zolle fur Roh- und Hilfsstoffe, hohe fiir Luxuswaren, Aufhebung der Monopolien. Diesen Principien entsprechend wurde 1775 ein neues Zollsysteni eingefuhrt, das der Vicepriisident der Ministerial-Banco-Deputation, der Graf Philipp Cobenzl, ausgearbeitet hatte. Die Einfuhrverbote wurden durch hohe Zolle ersetzt und alle standischen und Privatmauten wie alle Binnen- zolle mit Ausnahme der zwischen Ungarn und den Erblanden aufgehoben. 2 ) Das unter Karl VI. eingefiihrte Tabakmonopol wie das Postwesen wurden mehr ausgebildet, 1751 das Lotto, wahrend des siebenjahrigen x ) Patente vom 10. Marz 1770 und 10. Marz 1773 im k. k. Kriegsarchiv. Vgl. H. Meynert, Geschichte des Kriegswesens und der Heerverfassungen in Europa, 3, 164 und 283 ff. 2 ) Arneth, 4, 72 flf. und 9, 447 ff. Hock-Bidermann, S. 92 ff. d'Elvert, Osterreichische Finanz-Geschicbte, S. 593 f., 613 f. Vgl. S. 499 ff. 199 Krieges eine Erbsteuer (wofur die Geistlichkeit ein jahrliches Aqui- valent zahlte), eine Schulden- oder Classen-, d. h. Einkommensteuer, eine Interessensteuer und andere eingefuhrt, 1 ) 1762 auch unverzins- liche Wertpapiere, n Bancozettel" ausgegeben. 3. Die Anfange der Codification des Rechtes.-j Auch die Codification des Rechtes nahm Maria Theresia als Majestats- recht fur sich in Anspruch, ohne die Stande der verschiedeiien Provinzen zurathe zu ziehen. Am 23. Janner 1753 wurde fur BOhmen eine neue Strafprocessordnung erlassen, die dann auch fur Osterreichisch- Schlesien und 1760 auch fur Mahren Giltigkeit erhielt. 3 ) Doch sollte dies nur ein Provisorium sein. Der Wunsch der Kaiserin gieng dahin, die aufierordentliche Menge ganz verschiedener Rechte zu beseitigen und durch ein einheitliches zu ersetzen imd dadurch eine groflere Rechtssicher- heit herbeizufuhren. Es wurden daher zwei Commissionen eingesetzt, die eine 1752, um fur die deutsch-bohmischen Lander ein gemeinsames Gesetz fiir Strafrecht und Strafprocess auszuarbeiten, die andere, die sogenannte Compilationscommission, um ein allgemeines biirgerliches Gesetzbuch abzu- fassen. Die Criminalcommission, welche auf Grund der fruheren pein- lichen Gerichtsordnungen, besonders jener Ferdinands III. uiid Josephs L, eine neue schaffen sollte, vollendete bis 1766 den ersten Theil der r all- gemein-peinlichen Gerichtsordnung", die am 31. December 1768 von der Kaiserin bestatigt und 1769 als w Theresianische Halsgerichtsord- nung" publiciert wurde. Sie beruht ganz auf dem Inquisitionsprincip, sodass der Richter Anklager, Vertheidiger und Urtheilsfaller zugleich war. Doch wurde die darin noch beibehaltene Anwendimg der Folter 1776 abgeschafft. Weniger Erfolg hatte die fiir die Ausarbeitung des Civilrechtes ein- gesetzte Compilationscommission, obwohl sie aus hervorrageuden praktischen Juristen und Gelehrten bestand. Als das Werk 1767 voll- endet war, verweigerte ihm die Kaiserin wegen seiner Weitlaufigkeit (8 Bande!) und Unklarheit die Genehmigung und sie verlangte die Ab- fassung eines klaren Auszuges. Dieser wurde zwar gemacht, aber bei Lebzeiten der Kaiserin nicht mehr zum Gesetze erhoben. Dagegen wurden specielle w Falliten-" oder r Cridaordnungen", Process- und Executionsordnungen, Wechsel- und Handelsge- richtsordnungen theils fiir einzelne Provinzen, theils fur grofiere Lander- J ) d'Elvert, S. 603 ff. 2 ) Domin-Petrushevecz, S. 32 ff. 3 ) Fr. v. Maasburg, Die Process-Ordnung fiir Bohmen vom 23. Janner 1753 (Wieii 1886). 200 gruppen erlassen, auch in den meisten nichtbohrnischen Landeru Land- tafeln und fur die nicht landtafelfahigen Giiter Grundbucher einge- richtet, endlich die Laudtafelfahigkeit auch auf Bauern ausgedehnt. 4. Das Standewesen unter Maria Theresia. Die Forraen des Standewesens blieben auch unter Maria Theresia erh alien, 1 ) ja in Galizien wurde nach dem Muster der ubrigen Pro- vinzeu ein Landtag, bestehend aus Herren, Bittern und Vertretern der Stadte, und ein standischer Ausschuss, bestehend aus drei Herren und drei Rittern, 1775 neu eingefuhrt. Die Landtage der deutsch-bohmischen Pro- vinzen entsagten freilich ihrem wichtigsten Rechte, dem der Bewilligung der Contribution, durch die 1748 mit der Regierung theils auf zehn, theils auf drei Jahre geschlossenen Recesse, wodurch die Grundsteuer fixiert wurde, was nach Ablauf der betreffendeu Periode erneuert wurde. Es war eine blofle Formalitat, wenn trotzdem die bestimmten Steuern vom Landtage postuliert und von diesem bewilligt wurden. Aber that- sachlich war das Recht, welches die Stande preisgaben, nicht sehr grofi gewesen, weil die Contribution, welche von den einzelnen Landern ver- langt und bewilligt wurde, schon langst feststand und auch Decennal- recesse schon unter Karl VI. abgeschlossen worden waren. Auch stellte die Kaiserin den Standen einen Revers aus, dass dieser Recess ihren Privilegien und r wohl hergebrachten Gewohnheiten" nicht prajudicieren und der Landtag trotzdem alle Jahre abgehalten werden sollte. 2 ) Doch zeigt es immerhin eine geringe Achtung der standischen Rechte, wenn in Karnten wegen der Widerspenstigkeit des Landtages das neue System octroyiert und die standischen Einkunfte sequestriert wurden. (S. 197). Auch wahrend des siebenjahrigeu Krieges wurden ohne Bewilligung der Landtage neue Steuern eingefuhrt und verschiedene andere r iu- kameriert", d. h. der standischen Bewilligung und Verwaltung entzogen. 3 ) Dagegen tagte 1761 in Wien eine aus je einem Delegierten der Stande der deutsch-bohmischen Lander bestehende Creditsdeputation, welche die Ausgabe mit 6% verzinslicher und ruckzahlbarer staudischer Zahlungsobligationen in der Hohe von 18,000.000 Gulden beschloss, wo- fiir die Lander solidarisch die Haftung iibernahmen. 1763 trat dieselbe noch einmal zusammen, wobei die Ausgabe von 21,900.000 Gulden, aber J ) Toman, S. 107 ff. 2 ) Der Recess mit Mahren bei d'Elvert, Zur osterreichischen Pinanz-Geschichte. Anhang S. 113 ff. ; mit dem Laude unter der Eiins bei (Audrian), Osterreich und seine Zukunft (1843) S. 209 ff. 8 ) Nur die Stande Tirols erklarten die 1758 ohne ihre Zustimmung eingefuhrte Kriegssteuer fiir ungiltig und bewilligten nur das gewohnliche Postulat und ein Dar- leben. Egger, 3, 12 ff. 201 nur zu 5% verzinslich, zur Einlosung der fruheren Obligationen beschlossen ward. Aber wichtige Gesetze wurden ohne Befragung der Stande gegeben, selbst das tiefeinschneidende Robotpatent von 1775 (S. 202) ohne Zustimmung, ja trotz des Widerspruches derselben erlassen. Auch die Wirksarnkeit der standischen Ausschusse oder ,,Verordneten u wurde durch die landesfurstlichen Behorden, besonders die Kreisamter immer mehr in den Hintergrund gedrangt. Selbst die den standischen Organen zustehende Verwaltung des sogenannten Doine- sticalfondes, in welchen die Uberschusse der bewilligten Steuern und einzelne den Standen vorbehaltene Gefalle flossen und aus welchen die standischen Beamten bezahlt und andere Landesbediirfnisse bestritten wurden, ward 1770 der Controle der Hofrechenkammer unterworfen. 1 ) Auch die Geschaftsordnung der Landesausschusse wurde 1779 und 1780 von der Regierung ohne Befraguug der Stande normiert und die monatliche Einsendung der Protokolle an die Hofkanzlei vorgeschrieben. 5. Die Beschrankung der Autonomie der Gemeinden. Die Centralisationstendenzen der Regierung unter Maria Theresia iibten auch ihre Riickwirkung auf die Stellung der Gemeinden, besonders der autonomen Stadte. 2 ) Schon 1749 wurde fur das Land ob der Enns verordnet, dass die in den landesfiirstlichen Stadten dein Herkommmen gemafi ge- wahlten Stadtschreiber und Syndici nur nach erfolgter Bestatigung durch die Representation und Kammer zur Ausubung ihres Amtes zugelassen werden sollten. Bald wurden auch die Marktpolizei, namentlich die Aufsicht fiber Mafi und Gewicht, und die Gewerbe- und Zunftange- legenheiten der Aufsicht der Kreisamter unterworfen, die Baupolizei an die Landesregierung gezogen, eine Dienstbotenordntmg erlassen, welche in die bisherigen Befugnisse der Gemeindebehorden eingriif. Ein Gesetz vom 7. Janner 1754 verfiigte mit Riicksicht auf die n bei den Stadten und Markten obwaltenden Gebrauche und Unordnungen", r dass jeden Ortes sich befindenden Ziinften wohlerfahrene Manner als Commissare vor- zustellen, uber alle politischen Vorfalle und Veranlassungen ein Protokoll zu fuhren und dasselbe namentlich dem Kreisamte zur Einsicht einzu- reichen und in erheblichen Gegenstanden die hohere Entscheidung J ) Erwahnt in deu Beschwerden der bohmischen Stande von 1790 in n Histo- rische Actenstiicke liber das Standewesen in Osterreich", 2, 85. Ob dies auch beziiglich der anderen Provinzen geschehen ist, vermag ich nicht zu sagen. *) S. Beidtel, Uber osterreichische Zustande in deu Jahren 1740 1792, IV. ,,Sitzungsberichte der kaiserlicben Akademie", 8, 26 ff. 202 zu gewiirtigen sei". Es hatte dies die Erweiterung des schriftlichen Verfahrens und die Anstelhmg eines fur die Protokollfiihrung geeigneten Beamten zur Folge und unterwarf auch die landesfiirstlichen Stadte in alien wichtigeren Angelegenheiten der Oberaufsicht der Kegierung. Auch in der Verwaltung ihrer Besitzungen und Einkiinfte wurden die Stadte durch zahlreiche Verorduungen beschrankt. 1 ) Die Aufhebung zahlreicher stadtischer Crirninalgerichte war ein weiterer Eingriff in die Kechte der Stadte. 6. Die Regelung der Unterthanigkeitsverhaltnisse. 2 ) Die Nothwendigkeit einer Erhohung der Steuerkraft und des all- gemeinen Wohlstandes, das Princip des modernen Staates, zwischen sich und den Unterthanen keine trennenden Schranken zu dulden, und endlich die immer weitere Kreise erfassenden Ideen der Humanitat drangten die Kegierung zur Verbesserung der Lage der bauerlichen Bevolke- rung, die mit Ausnahme von Tirol von schweren Lasten gedruckt war und in Ungarn und den slavischen Laudern noch theilweise in den Banden der Leibeigenschaft schmachtete. Die Zustimmuug der Landtage einzu- holen hielt die Regierung auch in diesen Fragen nicht fur nothwendig; hochstens um ihr Gutachten wurden sie angegangen. 1769 wurde die Verhanguug der Zuchthausstrafe durch die Herrschaften von der Genehmigung des Kreisarates abhangig gemacht. Einzelne Lasten, welche aus den Grundsatzen der Leibeigenschaft ent- sprangen, z. B. die Zahlung einer Gebiir fiir die Erlaubnis, eine Ehe ein- zugehen, ein Handwerk zu treiben, aufierhalb des Gutes zu dienen oder sich niederzulassen, wie die Taxen fiir die Erwerbung der Freiheit wurden gesetzlich normiert. Zur Untersuchung und Feststellung der auf manchen Giitern iibermafiig hohen Koboten wurden Urbarialhofcom- missionen eingesetzt (1768 fur Schlesien, 1771 fiir Bohmen) und trotz des Widerspruches der Stande diese Frage durch das Patent vom 6. Juli 1771 fiir Schlesien, durch das Patent vom 13. August 1775 auch fiir Bohmen und Mahren geregelt. Auch in Ungarn wurden die bauerlichen Verhaltnisse 1766 durch die Regierung eigenmachtig geordnet, n^chdem der Landtag die gesetzliche Regelung dieser Frage verweigert hatte. Es wurde den Bauern, wenn sie ihre Schuldigkeiten gegen die Grundherren *) Beispiele bei d'Elvert, Beitrage zur Geschichte der koniglichen Stadte Mfih- rens, insbesondere der Landesbauptstadt Briinn (Schriften der historiscb-statistischeu Section, 13. Bd.), S. 442 ff. 2 ) K. Griinberg, Die Bauernbefreiung in Bohmen, Mahren und Schlesien. 2 Bde. (Wien 1893, 94). Vgl. Kern, a. a. 0. S. 222 ff. Arneth, 9, 338 ff. Hock- Bidermann, S. 68 ff. Toman,. S. 122 ff. 203 erfiillt hiitten, die Freizugigkeit zugesichert, die Hohe der Roboten fest- gestellt und die Berufung von der Herrschaft an das Comitatsgericht ge- stattet. 7. Die kirchlichen Verhaltnisse. In der Stellung der Regimmg gegenuber den Protestanten und Juden trat auch unter Maria Theresia keine wesentliche Anderung ein. Aus dem Lande ob der Enns und aus Innerosterreich wurden Prote- stanten zur Auswanderung nach Ungarn und Siebenbiirgen gezwungen. 1 ) Erst 1778 wurden die Protestanten unter gewissen Bedingungen zur Er- langung des Doctorgrades an der Wiener Universitat zugelassen. 8 ) Die Stellung der Griechisch-Nichtunierten wurde unter Maria Theresia eine gunstigere als friiher, wenu sie auch nicht ganz von Zuruck- setzungen frei blieben. Fur die Unierten wurde 1770 in Munkacs ein eigenes Bisthum gegriindet. Auf das Verhaltnis der Regierung zur katholischen Kirche 3 ) wirkten die damaligen Anschaiuingen uber die Omnipotenz der Staatsge- walt und die antipapstlichen Anschauungen zahlreicher Canonisten, welche in dem Werke des Trierer Weihbischofs Hontheim (Febronius) n De statu ecclesiae et de legitirna potestate Romani Pontificis" (1764) eiuen beredten Ausdruck fanden, schon unter Maria Theresia ein, so sehr diese auch personlich der katholischen Religion ergeben war. Die Visitation der Bisthumer durch papstliche Nuntien wurde nicht mehr geduldet, auch das n Placetum regium" jetzt strenge zur Geltung gebracht. Schon 1746 wurde dem Erzbischofe von Wien und dem Official des Bischofs von Passau, welche in einern Fastenpatente bezuglich der Ertheilung von Dispens fur das Fleischessen sich auf eine papstliche Bulle und eine Encyklica berufen hatten, ohne die landesfurst- liche Erlaubnis nachgesucht zu haben, die dadurch begangene w Ungebur" durch besondere Hofdecrete zu erkennen gegeben und die Erwartung aus- gesprochen, dass sie fortan in ahnlichen Fallen sich fugen wurden, weil die Kaiserin sonst nicht unterlassen konnte, solche Mittel zu ergreifen, die ihrer landesfurstlichen Hoheit zukommen. Es wurde sowohl der Re- gierung aufgetragen, zu r invigilieren, dass solches nicht mehr vorkomme", als auch deu Buchdruckern bei Strafe des Verlustes ihres Gewerbes be- fohlen, ohne Erlaubnis der Regierung keine geistliche Verordnung zu ) Arneth, 4, 42 if. 2 ) Kink, Geschicbte der Universitat zu Wien, 1, 515. 3 ) Beidtel, Untersuchungen iiber die kirchlichen Zustaude in den osterreichischen Staaten, S. 36 ff. Friedberg, Die Grauzen zwischeu Staat uud Kirche, 1, 137 ff. Arneth, 4, 55 ff. und 9, 44 ff. 204 drucken, welche auf die offentlichen Verhaltnisse Einfluss hatte. 1 ) All- gernein wurden im Jahre 1767 die Bischofe daran erinnert, dass ohne Zustimmung der Kaiserin keine papstliche Verfiigung angenommen oder vollzogen werden diirfe. Es wurde auch die Publication einzelner Bullen wirklich imtersagt. Mit der Steuerfreiheit des Adels wurde (nach 1748) auch die des Clerus beseitigt. Holte man anfangs fur die Besteuerung der Kirchen- giiter noch papstliche Indulte ein, die fiir eine gewisse Zeit gewahrt wurden, so unterliefl man dies seit 1767, wo wieder eine solche Periode zu Ende gieng, indem der Staatsrath dies fiir unuothwendig erkliirte. Als ,,suprema advocata ecclesiarum" nahm die Kaiserin das Kecht in Anspruch, die Verwaltung des Kirchenvermogens zu beaufsich- tigen, und verlangte (1752) zur Beseitigung der dabei eingerissenen Un- ordnungen die Vorlage aller Kirchenrechnungen an die Kegierung. Im Jahre 1756 wurde der Vermogensstand aller milden Stiftungen untersucht und tiber ihre Verwaltung Bestimmungen getroffen. Um die Anhaufung von Giitern in der todten Hand zu verhindern, wurde der Ankauf von Landgiitern durch Geistliche ohne Bewilligung der Kegierung ver- boten und genau vorgeschrieben, wie viel jeder Noviz in das Kloster mit- bringen diirfe. Das Vermogen des vom Papste Clemens XIV. am 23. Juli 1773 aufgehobenen Jesuitenordens wurde fur den Staat in Anspruch ge- nommen, aber von der Kaiserin, soweit es nicht durch fromme Stiftungen oder den Unterhalt der Ordensmitglieder erschopft wurde, zur Forderung des Unterrichtes bestimmt und dadurch der Grund zum Studienfonde gelegt. Das Asylrecht zahlreicher geweihter Platze wurde 1775 auf Seel- sorgskirchen beschrankt und fiir schwerere Verbrechen aufgehoben. Den geistlichen Gerichten suchte man die Laien ganz zu ent- ziehen und auch die burgerliehen Folgen der Kirchenstrafen zu beseitigen oder die Verhangung derselben von der Zustimmung der Ke- gierung abhangig zu machen. 1755 wurde verordnet, dass von jeder Excommunication vor ihrer Veroffentlichung dem Hofe Anzeige gemacht, 1768 ausgesprochen, dass die rechtliche Giltigkeit des kirchlichen Urtheils- spruches, soweit es biirgerliche Folgen nach sich zo'ge, von der Zustimmung der Landesbehorde abhangen und, um dieser ein selbstandiges Urtheil zu ermoglichen, bei der Priifung des Thatbestandes weltliche Beamte beigezogen werden sollten. Selbst in rein geistliche Angelegenheiten griff die Regierung ein, und wenn sie fur die Aufhebung zahlreicher Festtage (1754 und 1771) Cod. Austriacus, 5, 217. 205 die Zustiin lining des Papstes einholte, so gieng sie in anderen Fragen eigen- machtig vor. So regulierte sie schon 1750 und spater noch Otter die Stol- geburen und die Taxen fur kirchliche Condticte und verbot die Proces- sionen in fremde Lander schon friihzeitig ganz, 1772 auch solche, die uber Nacht ausblieben. 1770 wurde verordnet, dass vor Erreichung der Volljahrigkeit, also vor Vollendung des 24. Jahres, niemand bindende Klostergeliibde sollte ablegen diirfen. 1777 wurde auch verfugt, dass Ehedispense nicht mehr personlich, sondern durch Vermittlung des Bischofs vom Papste eingeholt werden sollten. Auch der Studienplan fur die theologischen Facultaten und fur die Hausstudien der Klflster, wie die zu benutzenden Lehrbiicher wurden durch die Regierung vorge- schrieben. b. Die Regierung K. Josephs II. (1780 1790). I. Die Anderungen auf dem Gebiete der Verwaltung. 1 ) Joseph II. war seinem Vater Franz I. schon im Jahre 1765 auf dem deutschen Kaiserthrone gefolgt und auch von seiner Mutter zum Mitregenten angenommen worden, hatte aber nur auf dem Gebiete des Militarwesens seinen Willen zur Geltung bringen konnen. Als er nach dem Tode seiner Mutter (29. November 1780) selbstandig die Kegierung ubernahm, gieng er mit gluhendem Eifer an die Durchfuhrung seiner Ideen, welche die des aufgeklarten Absolutismus, der Allgewalt des Staates waren. Zu diesem Zwecke wurden die Zahl und der Einfluss der Staats- b earn ten sehr vermehrt, fur welche der Kaiser durch die Einfuhrung bestimmter Pens ion en sorgte. Um dieselben besser kennen zu lernen, fiihrte er die sogenannten Conduitlisten ein, welche jahrlich an die vereinigte Hofkanzlei eingesendet werden sollten. Joseph II. strebte vor allem die Durchfiihrung der straffsten Cen- tralisation an, und zwar nicht blofi in den deutsch-bohmischen Provinzen sondern in alien seinen Landern. Auf historische Kechte und das Her- kommen wurde dabei keine Kucksicht genommen. Uin nicht die Verfassung von Ungarn und Bohmen beschworen zu mussen, liefi er sich zum Konige dieserReiche gar nicht kronen, ja die Kronen in die kaiserliche Schatzkammer nach Wien bringen. Auch in den ubrigen Landern liefi er sich nicht die Huldigung leisten. Die ungarischen Stande wurden wahrend seiner ganzen Regierung nie einberufen. *) Hock-Bidermann, Osterreichischer Staatsrath, S. 109 ff. d' El vert, Zur osterreichischeu Verwaltungs-Geschichte, S. 441 ff. Toman, S. 159 ff. und beziiglich Uugarns Horyath, Geschichte der Ungarn, 2, 468 ff. Fessler-Klein 5, 493 ff. 206 lii den nichtuugarischen Provinzen wurdeu die deu Standen zu- kommenden Eechte, besonders die Verwaltung der Landesfonde, fur ge- wohulich ohnehin durch die Landesausschfisse oder Verordneten aus- getibt. 1783 wurden vom Kaiser auch diese aufgehoben und die wich- tigsten Geschafte derselben der Landesregierung, dem Gubernium, fiber- tragen. Freilich wurden dieser zwei staudische Abgeordnete als Rathe mit Sitz und Stimme beigegeben. Aber diese durfteu von den Standen nur aus jenen Personen gewahlt werden, welche die Regierung mit Rtick- sicht auf ihre Vorbildung als wahlfahig bezeichnete, und dieser blieb auch die Bestatigung vorbehalten. Auch das standische Steueramt wurde mit der Cameralcasse, die standische Buchhaltung mit der Cameral- buchhaltung vereinigt. Die Landtage selbst wurden anfangs noch ofter eiuberufen. Aber sic wurden fast ausschliefilich auf -die Bewilligung der Postulate be- schraukt und nur fiber einzelne Gesetze um ein Gutachteu befragt. Durch das Steuerpatent von 1789, welches die Abgabeu fur den Grundbesitz bleibend festsetzte, wurde auch das Steuerbewilligungsrecht der Stiinde thatsachlich beseitigt. Auch die Verfiigung fiber die Landesfonde wurde diesen entzogen. Ohne Auzeige an die Hofkanzlei und die Be- willigung der Hofkammer durfte auch nicht der kleinste Gehalt ange/ wiesen werden. Das Streben nach Vereinfachung der Geschafte ffihrte 1782 zur Vereiniguug der siebenbfirgischen Hofkanzlei mit der ungari- schen, fortan die ,,ungarisch-siebenburgische" genanut, der Regierung in Schlesien mit dem Gubernium ffir Mahren, der Landeshaupt- mannschaft ffir Gorz und Gradisca mit dem Gubernium in Triest, der Karntens und Krains mit dem innerosterreichischen Gu- bernium in Graz (1783). Auch die Trennung der Finanzverwaltung von der politischen Ad- ministration wurde (1782) beseitigt und die Hofkammer und Mini- sterial-Banco-Deputation mit der bohmisch-osterreichischen Hofkanzlei, die ungarische Kammer oder, wie sie jetzt wieder ge- iiaimt wurde, das Thesaurariat, mit der dortigen Statthalterei unter einem Chef vereinigt und ihr Sitz zugleich von Presburg nach Ofen ubertragen, dagegen die Wurde des Palatins nicht mehr besetzt. Nur die Hofrechenkammer blieb bestehen, ja ihr Wirkungskreis wurde noch erweitert, indem ihr die Buchhaltereien in deu einzelnen Landern, die standischen und stadtischen Buchhaltungen, die beiden Rechenkammern in der Lombardei und den Niederlanden unterstellt, ja auch die Aufsicht fiber die Buchhaltungen in Ungarn und Siebenbfirgen fibertragen wurden. Der Kaiser hatte auch die Justiz wieder mit der Verwaltung vereinigt, wenn ihn nicht die vom Staatsrathe dagegen vorgebrachten Grtinde 207 davoii abgebracht batten. Auch in den Provinzen warden die verschie- denen Verwaltungszweige im Gubernium concentriert. Die Kreisamter erlangten unter Joseph II. noch grfiflere Wichtig- keit als bisher. Nicht blofl das Steuerwesen, das Conscriptions- and Recrutierangssystem und die Aufsicht fiber das Scbulwesen, sondern auch die Unterthansangelegenheiten, die Beaufsichtigung der Herrschaften und ihrer Beamten. die Organisierung und Uberwachung der Gemeinden, das neue Steuer- und Urbarialsystem, die Forderung der neuen Armeninstitute, die Judenangelegenheiten u. s. w. lagen in ihren Handen. Es war daher von doppelter Bedeutung, dass jetzt auch Burgerliche zu Kreishauptleuten ernannt wurden. In Ungarn, wo die Comitatsversammlungen gegen die Mafi- regeln des Kaisers die scharfste Opposition erhoben, wurden dieselben 1785 zuerst besehrankt und 1786 ganz beseitigt, die Obergespane ihrer Stellen enthoben, die Vicegespane zu koniglichen Beamten gemacht und zugleich das Land in zehn Districte getheilt, welche unter die Leitung eines von der Regierung gestellten Commissars gestellt wurden, der die Verwaltung der Comitate zu iiberwachen hatte. Fur die Ausiibung der Polizeigewalt wurden in alien grofleren Stadten nach dem Muster von Wien Polizeidirectionen eingerichtet, die dem Gubernium untergeordnet wurdeii. Der bureaukratische Geist machte sich auch bei der Reorgani- sierungderStadtverfassungen geltend. In alien gro'fieren landesfurst- lichen Stadten wurde ein Magistrat eingerichtet, der aus einem Burger- meister (in Wien und Prag auch zwei Viceburgermeistern) und einer An- zahl von Rathen bestand. Diese wurden durch einen Ausschuss der Burger, der Biirgermeister von den Rathen gewahlt, aber alle nur aus solchen Personen, welche vor dem Appellationsgericht eine Prufung abgelegt und vom Gubernium ein Eligibilitatsdecret erhalten hatten. Die Wahl der Magistratsrathe erfolgte auf Lebensdauer, die des Btirgermeisters auf vier Jahre, doch konnte dieser nach Ablauf derselben von der Regierung auf weitere vier Jahre bestatigt werden. Da jene wie dieser zugleich eine fixe Besoldung erhielten, so waren sie nicht so sehr Vertreter der Burger- schaft als landesfiirstliche Beamte. 1 ) Die Centralisationstendenzen und das Streben, die Geschaftsbehand- luug zu beschleunigen, veranlassten den Kaiser, 1784 das Deutsche als Amtssprache einzufuhren. Nicht blofi in den slavischen Landern, J ) Sieh'e hieriiber Domin-Petrushevecz, S. 95, 107, 111 ff. uiid fiir Wieu Weiss 2 2 , 371 ff., fiir Prag Toman, S. 169, fiir Briimi d'Elvert in n Schriften der historisch-statistischeu Section" 13, 453 fi'. Iin einzelnen gab es manche Abweichuugen, wie denn in Wien die Wableu nicht durch die Burger, sonderu durch den B auBeren Rath" vorgenommen wurden, der keine entsprechende Vertretung jener war. 208 wo die uationalen Sprachen besonders YOU den Adeligen fast gar nicht inehr gebraucht wurden, sollte dies geschehen, sondern auch in Ungarn sollte binnen drei Jahren bei alien Behorden, auch den Gerichten und Comitaten statt des Latein das Deutsche gebraucht werden. 1 ) 2. Die Reformen auf dem Gebiete des Justizwesens. 2 ) Auf dem Gebiete des Justizwesens strebte K. Joseph II. ,,eine einfachere, gleichmaflige Organisierung der Gerichte, einen gleiehmafligen Instanzenzug, die moglichste Vereinigung der Justizgewalt in den Handen des Monarchen und die Heranbildung eines tauglichen Kichterstandes" an. Nachdem er einuial den Gedanken der Wiedervereinigung der Justiz mit der Verwaltung aufgegeben hatte, suchte er die Scheidung auch con- sequenter als bisher durchzufuhren. Zugleich wurde in das bisherige Chaos der Gerichte Ordnung gebracht. Nach den vom Kaiser (1782 1784) fur die Cidljustiz gegebenen Jurisdictionsnormeu bildeten die unterste Instanz im allgemeinen die Ortsgerichte, theils die Magistrate der dazu berechtigten Stadte, theils die grundherrlichen und sonstigen Ortsgerichte. Doch mussten die Stadte wenigstens einen gepruften Syndicus, die Grundherren einen gepruften Kechtsverwalter (Justiziar) anstellen und besolden und diese auch fiir die Amtshandlungen desselben haften. Die in den verschiedenen Provinzen bisher bestehenden Landrechte behielten nur die Civilgerichtsbarkeit fiber die Mitglieder des Pralaten-, Herren- und Kitterstandes, tiber die Stifter, Kloster und Capitel und iiber die landesfurstlichen Stadte und Ortschaften als Corporationen, wie die Entscheidung der Streitigkeiten zwischen Unterthanen und Herrschaften, welche aus dem Unterthanspatent vom Jahre 1781 entsprangen. Alle anderen Gerichte mit Ausnahme der Militar-, Mercantil- und Wechselgerichte und der Berggerichte (die Uni- versitats-, Diocesangerichte in weltlichen Sachen, das landmarschallische Gericht, die Judengerichte) wurden aufgehoben. Die zweite Instanz bildeten die Appellationsgerichte, 3 ) an welche alle Eecurse, auch die von den bischoflichen Gerichten (aufier jenen, *) Ja es sollte jemand nicht zum Deputierten gewahlt oder in das Gymnasium aufgeuommen werden, sogar nicht einmal ein kirchliches Amt erhalten, wenn er nicht Deutsch verstande. 2 ) Domin-Petrushevecz S. 89 ff. d'Elvert, Zur b'sterreichischen Verwal- tungs-Geschichte, S. 465 ff. Toman, S. 173 ff. Vergl. Hock-Bidermann, S. 225 ff. 3 ) Doch gab es in den deutschen und bohmischen Landern und in Galizien nur seehs, das niederosterreichische in Wien, das inner- und oberosterreichische in Kla- genfurt, das vorderosterreichische in Freiburg, das bohmische in Prag, das mahrisch- schlesische in Briinn und das galizische in Lemberg. 1787 wurde auch das vorder- osterreichische aufgehoben und mit dem iiiederosterreichischen vereinigt. 209 welche die Giltigkeit eines Sacraments betrafen) giengen, wahrend alle anderen llecursinstanzen wie die bei den Gubernien bestehenden Justiz- senate aufgehoben wurden. Die Appellationsgerichte wurden von den Landesregierungen jetzt vollstandig getrennt, und nur bei jenen in Brunn und Freiburg hatte das Presidium der jeweilige Leiter der politischen Verwaltung. Den Appellationsgerichten stand auch die Oberaufsicht fiber die Gerichte ihres Sprengels, die Priifung der Kichter und Advocaten und die Ausstellung von Eligibilitatsdecreten fur Bewerber um besoldete Rathsstellen bei den Magistraten und Obrigkeiten zu. Als dritte Instanz blieb die oberste Justizstelle in Wien be- stehen. Doch durfte an diese nur dann appelliert werden, wenn die Eut- scheidungen der beiden unteren Instanzen nicht ubereinstimmten. Die Organisierung der Criminalgerichte erfolgte erst durch Patent vom 20. August 1787, nachdem am 2. April das Strafgesetzbuch kundgemacht worden war. Da der Kaiser nur solchen Gerichten die Strafrechtspflege anvertrauen wollte, welche mit einer geniigenden Zahl gepriifter und ordentlich besoldeter Manner besetzt werden konnten, so hob er die meisten der zahllosen Criminalgerichte auf und liefl in sammt- lichen deutschen und bohmischen Provinzen und in Galizieu nur 66. in der Regel eines in jedem Kreise, theilweise den Magistrat der betreffenden Stadt, bestehen, die dem Appellationsgericht der betreffenden Provinz als Criminal-Obergericht wie dieses der obersten Justizstelle untergeordnet wurden. Doch wurde die vollstandige Ausfuhrung dieses Planes durch den fruhen Tod des Kaisers verhiudert, und an den meisten Orten blieb es beim Alten. Alle Beam ten erhielten eine feste Besoldung, wogegen die Spor- teln oder Gerichtstaxen vom Staate eingezogen wurden. Auch in Ungarn und Siebenbiirgen war 1785 das Gerichtswesen in ahnlicher Weise wie in den deutsch-slavischen Provinzen organisiert worden. Der obersten Justizstelle entsprachen die Septemviraltafel in Ofen und das Landesgubernium in Hermannstadt, den Appella- tionsgerichten die koniglichen Tafeln an den beiden genanuten Orten. Mit den Landrechten hatten die Districtualtafeln (funf in Ungarn und Croatien und zwei in Siebenbiirgeu) Ahnlichkeit. indem wichtigere Pro- cesse adeliger Personen in erster Instanz von ihnen entschieden wurden; doch fungierten sie zugleich als zweite Instanz fur Criminalsachen Un- adeliger. Weitere Gerichte erster Instanz blieben die Comitatsgerichte, die Magistrate der koniglichen freien Stadte und privilegierten Markte, die Berggerichte und fur das Landvolk (den Ortsgerichten in den west- lichen Provinzeu entsprechend) die Herreustuhle. Die Crirniualgerichts- Huter. Osterreichische Keichsgeschichte. 14 210 barkeit wurde den Grundherren entzogen. 1 ) Auch diese Organisierung verschwand, als Joseph II. am 28. Janner 1790 alle seine in Ungarn ein- gefiihrten Eeformen politischer Natur wieder aufhob. 3. Die Fortschritte tier Codification des Rechtes. 2 ) Die schon unter Maria Theresia vollendete, aber nicht mehr sane tionierte ,,allgemeineGerichtsordnung u fiir das civilgerichtliche Ver- fahren wurde mit Patent vom 1. Mai 1781 fiir die bohmischen und deutsch- 6'sterreichischen Lander kundgemacht und trat in diesen mit dem 1. Mai 1782, am 1. Janner 1784 anch in Galizien in Wirksamkeit. Sie beruht auf dem Princip, dass der Kichter nicht von amtswegen, sondern nur auf Antrag der Parteien vorgehen, und dass das Verfahren abgesehen von geringfiigigen Sachen (bis zu 25 Gulden) ein schriftliches sein sollte. Spatere Verordnungen regeln die Geschaftsordnung und die Gerichtstaxen, wie das Yerfahren aufier Streitsachen (Verlassenschafts- und Vormund- schaftsangelegenheiten). Gleichzeitig erschien eine w allgemeine Concursordnung". Ein vollstandiges Gesetzbuch fiir das Civilrecht kam auch unter Joseph II. noch nicht zustande. Doch wurden eiuzelne Materien geregelt, das Eherecht durch Patent yom 16. Janner 1783, welches die Ent- scheidung aller Streitigkeiten in Eheangelegenheiten den landesfurstlichen Gerichten iibertrug, die Intestat-Erbfolge durch Patent vom 11. Mai 1786. Mit Patent vom 1. November 1786 wurde der erste Theil des all- gemeinen biirgerlichen Gesetzbuches, das Personenrecht enthaltend, publiciert, welches am 1. Janner 1787 in Wirksamkeit trat, fur alle deutschen und bohmischen Lander Giltigkeit hatte und alle bisherigen in Gesetzen oder Gewohnheiten wurzelnden Kechte beseitigte. Durch Patent vom 2. April 1787 wurde das ,,allgemeine Gesetz- buch uber Verbrechen und derselben Bestrafung" kundgemacht, welches zuerst zwischen Criminalverbrechen und politischen Verbrechen, d. h. Vergehen und Ubertretungen unterscheidet, der Willkur der Eichter gesetzliche Schranken setzt und die Todesstrafe mit Ausnahme des stand- rechtlichen Verfahrens bei Aufruhr und Tumult aufhebt. Daran schloss sich (Patent vom 17. Juni 1788) die Criminalge- richtsordnung oder Strafprocessordnung, welche wie die Theresiana auf dem Inquisitionsprincip beruhte und den Anklageprocess ganz be- seitigte. a ) Domin-Petrushevecz, S. 183 ff. 2 ) Ebenda S. 116 if. 211 4. Die Reform des Steuersystems. 1 ) Joseph II. fuhrte auf dem Gebiete der indirecten wie der directen Besteuerung umfassende Anderungen ein, ohne die Zustimmung oder auch nur das Gutachten der Stande seiner Lander einzuholen. Die Anderung der Zollgesetzgebung (durch Patent vom 27. Au- gust 1784) hatte weniger den Zweck, die Einkunfte des Staates zu erh6hen, als die einheimische Industrie zu heben, indem die Einfuhr aller Waren, die im Inlande selbst erzeugt oder von der Kegierung fur entbehrliche Luxusartikel angesehen wurden, ganz verboten oder nur ausnahmsweise gegen sehr hohe Z6lle fur einzelne Private gestattet wurde. Viele kleine oder nur in einzelnen Proviiizen erhobene Abgaben wie die Pri vat man ten wurden abgesehafft. Dagegen wurde eine neue Taxordnung eingefiihrt, die Hohe der Stem pel neu normiert, wo- bei auch (1789) die Zeitnngen der Stempelpflicht unterworfen wurden. Fur eine neue Ordnung der Grundsteuer, die nicht erhOht, son- dern nur gleichmafliger vertheilt werden sollte, gab der Kaiser durch Pa- tent vom 20. April 1785 die Grundsatze bekaniit. Bei der Bemessung derselben sollte jeder Unterschied zwischen Dominical-, Kustical-, Ca- meral- und kirchlichen Griinden aufhoren und als Grundlage der Geld- wert des Bruttoertragnisses dienen. Dasselbe sollte zunachst durch die Fassionen der Besitzer ermittelt, diese aber durch Gemeindeausschusse und dann durch Provincialcommissionen revidiert und allenfalls auch durch Vermessung und Abschatzung der Grundstucke controlliert werden. Vom Hundert des Grundertrages sollten dem Besitzer 70% zur Bestrei- tung der Culturkosten, der Aussaat, des eigenen Unterhaltes und der Ge- meindeabgaben, 17 7 / 9 % zur Deckung seiner Leistungen an den Grund- herrn gelassen, 12 2 / 9 / als Steuer an den Staat gezahlt werden. Nach- dem der neue Kataster, freilich in ubereilter Weise und oft . fehlerhaft vollendet worden war, wurde am 10. Februar 1789 das Grundsteuerpatent bekanntgemacht, das am 1. November in Kraft treten sollte. Die Er- hebung der Steuer wurde den Obrigkeiten entzogen und den Gemeinden ubertragen. 5. Die Reformed Josephs II. auf dem socialen Gebiete. 2 ) Urn die Stellung der bauerlichen Bevolkerung zu sichern, erliefi der Kaiser am 1. September 1781 das Untert'hanspatent, welches dieVer- haltnisse zwischen den Herrschaften und ihren Unterthanen in den deut- schen und bohmischen Provinzen und in Galizien regelte. Wenn ein Unter- x ) d'Elvert, Zur osterreichischen Finanz-Geschichte, S. 644 S. 2 ) Domin-Petrushevecz, S. 145 ff. Griinberg, 1, 282 ff. und 314 S.; 2, 371451. 14* 212 than an seinen Grundherrn eine Forderung zu stellen hatte oder durch diesen beeintrachtigt wurde, hatte er zuerst an die Grimdobrigkeit ein Ansucheu um giitliche Abhilfe zu richten. Erhielt er biiinen einer be- stimmten Zeit keinen Bescheid oder war er damit nicht zufrieden, so konnte er sich an das Kreisamt wenden. welches zunachst suchen sollte, einen Ausgleich zu erwirkeu. Gelang dies nicht, so hatte dasselbe, wenn es sich um Steuern, Koboten oder andere politische Sachen handelte, selbst die Entscheidung zu treffeu, wogegeu den Parteien der Kecurs an die Landesstelle und in dritter Instanz an den Kaiser freistaiid. Handelte es sich um civilrechtiche Fragen, so sollte das Kreisamt die Sache dem in der Provinz aufgestellten Unterthansadvocaten iibergeben und dieser die Sache beim Landrechte anhiingig machen. Wo es keiiie Unterthans- advocaten gab, musste der Fiscus die Unterthauen unentgeltlich ver- treten. Gleichzeitig regelte das Strafpatent das den Grundobrigkeiten gegen widerspenstige Unterthaneii zustehende Strafrecht, verbot die Auf- erlegung von Geldstrafen ganz und machte die Abstiftung von Hans und Hof, wie die Verfiiguug einer mehr als achttagigen Arreststrafe oder einer Strafarbeit von der Genehinigung des Kreisaintes abhangig. Durch Patent vom 1. November 1781 wurde in Bohmen, Mahren und Schlesieu, dann in Galizieu, endlich (1785) auch in Ungani die Leibeigeuschaft aufgehoben und den Unterthaneii das Kecht der Eheschliem'mg, der Freiziigigkeit, der Erlernuiig eines beliebigen Hand- werkes zugesichert. Doch blieben die Koboten und aiidere Leistungen als dingliche Kechte den Herrschaften erhalten. Auch der Einfluss der Herrschaften auf die Erbfolge in den unterthanigen Giitern ward beschraukt, sodass die Baueni aus Nutz- niefiern immer mehr in Eigenthumer verwandelt wurden. Auf den Giitern des Staates, der laudesfurstliehen Stadte und der Kircheu und Kloster wurde die Ablosung der Koboten durch eiiie Abgabe an Geld oder Na- turalien gefordert. Im Jahre 1786 wurden die Rob otlei stun gen auch in Galizieu, 1787 in Ungarn in ahnlicher Weise geregelt, wie es in den bohmischen Landern schon 1775 geschehen war. Durch Patent vom 9. Mai 1785 wurde die Umwandlung schulden- freier Kealfideicommisse in Geldfideicomrnisse erlaubt. Durch das Patent vom 10. Februar 1789 wurde fur die Eoboteii und andere Leistuugen der Bauern an die Grtmdherren eine fixe Abgabe, hochsteus 17 7 / 9 /o des ermittelten Bruttoertrages des Bodens eingefiihrt, doch gestattet, durch freiwilliges Ubereinkommen beider Parteieu die Geldschuldigkeit in Naturalgiebigkeiten oder Fronen oder Lohuarbeiten umzuwandeln. 213 6. Die kirchlichen Verhaltnisse unter Joseph II. Schon im ersten Jahre seiner Regierung hob Joseph II. den Druck anf, der auf den Akatholiken lastete. Durch das Toleranzpatent vom 13. October 1781 erlaubte er den Lutheranern, Reformierten und nichtunierten Griechen, wenn an einem Orte oder dessen Umgebung 100 Familien wohnten, Bethauser nebst Schulen (allerdings ohne Thurme. Gelaute uud 6'ffentlichen Eingang von der StraCe) zu errichten und auf eigene Kosten Geistliche und Schullehrer zu bestellen. Auch sollten die genannten Akatholiken zum Hauser- und Guterkaufe, zum Burger- und Meisterrechte und zu akademischen Wurden und Civildiensten mittels Dispens von Seite der Kreisamter zugelassen werden. Die Reverse bei gemischten Ehen wurden abgeschafft und verordnet, dass, wenn der Vater katholisch ware, alle Kinder in der katholischen Religion erzogen werden, die Kinder eines protestantischen Vaters und einer katholischen Mutter dem Geschlechte der Eltern folgen sollten. Auch der Ubertritt von der katholischen zu einer anderen christlichen Religion wurde ge- stattet, jedoch nicht ganzen Gemeinden, sondern nur Einzelnen und nach einer spateren Verordnung nur, wenn sich jemand fruher bei einem katholischen Geistlichen einem sechswochentliohen Religionsunterrichte unterzogen hiitte. In Wien wurde ein Consistorium helvetischer Con- fession errichtet, dorthin auch das Consistorium augsburgischer Confession, das bisher in Teschen gewesen war, verlegt uud demselben die Super- intendenten in den deutschen Erblanden untergeordnet. Auch die Juden wurden von vielen Schranken befreit, mit denen die friiheren Jahrhuuderte sie umgebeu hatten. Es wurde ihnen die Ausiibung von Handwerken und Gewerben, die Errichtung von Fabriken und die Pachtung von Gutern gestattet und an Orten, wo sie keine eigenen Schulen hatten, ihnen erlaubt, ihre Kinder in christliche Schulen zu schickeu. Dagegeu wurde die Griindung neuer Secten, wie der Deisten in Bohmen nicht geduldet. Auch in seinem Verhalton gegeniiber der katholischen Kirche 1 ) gieng Joseph II., der von der Absolutheit der Staatsgewalt noch tiefer durchdrungen war als seine Mutter und daher auch nicht den geringsten Einfluss des Papstes auf die inneren Verhaltnisse seiner Lander dulden wollte. viel weiter als diese. Schon im Marz 1781 wurde den Bischofen und geistlicheu Oberen untersagt, papstliche Bull en oder Erlasse, sowie Verordnungen geist- x ) Kurze Ubersichten bei Friedberg, 1, 165 if. uud A. Jager in ^Oster- reichische Geschichte fiir das Volk" 14, 67 ff., der aber auch die unechten .,Briefe K. Josephs II." benutzt hat. Vgl. Schlitter, Die Eeise des Papstes Pius VI. nach Wien. Font. rer. Austr. Dipl. 47 b , 34 ff. 214 licher Oberen aufierhalb Osterreichs, auch wenn sie dogmatische oder kirchliche Fragen betriifen, vor eingeholter Getiehinigung der Eegierung zu publicieren oder eigene gedruckte oder geschriebene Anordnungen oder Hirtenbriefe fiir ihre Diocesen ohne Bewilligung der Landesstelle zu er- lassen. Alle Recurse nach Rom und die Einholung von Dispensen wurden verboten. Von canonischen Ehehindernissen, die nicht im go'tt- lichen oder Naturrechte wurzelten, sollten die Bischofe ,,vermoge der von Gottihnen verliehenen Gewalt" dispensieren. Auch die geistlichen Orden sollten mit Generalen, die ihren Sitz nicht in Osterreich hatten, keine Verbindungen imterhalten, sondern unter inlandischenProvinzialen und der Aufsicht der Bischofe stehen. Nachdem man dann die Entfernung aller Auslander aus den 6'sterreichischen Klostern befohlen hatte, verfiigte eine kaiserliche Ver- ordnung vom 12. Janner 1782 ^ die Aufhebung aller Kloster, welche blofi ein beschauliches Leben fiihrten, welches Schicksal spater auch noch viele andere traf. Die Giiter derselben wurden vom Staate einge- zogen und daraus (Decret vom 28. Februar 1782) der Religions fond gebildet, der zunachst zur Erhaltung der Mitglieder der aufgehobenen Kloster uud dann hauptsachlich zur Errichtung und Dotierung neuer Seelsorgsstationen dienen sollte. Die noch beibehaltenen Kloster wurden der Aufsicht des Staates unterworfen. Fiir alle kirchlichen Angelegeuheiten, mit Ausnahme der Glaubens- lehren, der Yerwaltung der Sacramente und der inneren Kirchendisciplin wurde 1782 nach dem Muster der schon unter Maria Theresia (1765) errichteten ,,Giunta economale" in Mailand fiir die deutschen und unga- rischen Lander die ,,geistliche (Hof-) Commission" geschaffen, welche innerhalb der bestehenden Gesetze selbstandig entschied und in den ein- zelnen Provinzen Filialen hatte. 2 ) Die Abgrenzung der bestehenden Pfarreien, wie die Errich- tung neuer uahm ebenfalls die Regieruug eigenmachtig vor. Als man aber die 6'sterreichischen Lander von den Diocesen der aufierhalb der- selben residierenden Bischofe loslosen und auch eine neue Abgrenzung der inlandischen Bisthumer, wie die Errichtung neuer vornehmen wollte, suchte man doch die Zustimmung des Papstes zu erwirken. Die Besetzung des Erzbisthums Mailand und anderer Bisthumer und *) Verfiigt wurde die Aufhebung schon durch kaiserliches Eescript an den Hof- kanzler vom 29. November 1781. 2 ) A. Wolf, Die Aufhebung der Kloster in Innerosterreich, S. 13 f. und 34 ff. Hock-Bidermann, Staatsrath, S. 445 ff. Schlitter, a. a. 0., S. 40 ff. Schon unter Maria Theresia war 1770 zur Berathung kirchlicher Fragen eine solche Commission ein- gesetzt, aber 1771 wieder aufgehoben worden. Arneth, 9, 57. Brunner, Die theo- logische Dienerschaft am Hofe Josephs II., S. 318. 215 verschiedener Beneficien in der Lombardei, die seit Jahrhunderten dem romischen Stuhle zugestanden, nahm der Kaiser 1782 fur sich in Anspruch, begniigte sich aber damit, dass der Papst (im Janner 1784) in einem Concordat ihm und seinen Nachfolgern das Erneuuungsrecht iibertrug. Joseph II. war auch der erste katholische Furst, der bei der Griindung einer neuen Universitat (in Lemberg) die Genehmigung des Papstes nicht einholte, weil er die Hochschulen als reine Staats- anstalten ansah. Der theologische Unterricht wurde ganz vom Staate in die Hand genommen und (30. Marz 1783) nach Aufhebung der bischoflichen Seminarien und der Hausstudien der Kloster staatliche General- seminarien errichtet. 1784 wurde auch der privilegierte Gerichts- stand der Cleriker aufgehoben und die kirchliche Gerichtsbarkeit auf rein geistliche Angelegenheiten beschrankt. Das Ehepatent vom 16. Janner 1783 erklarte die Ehe fur einen biirgerlichen Vertrag, der nur durch die Staatsgesetze Giltigkeit erlange. Auch bezuglich der Ehehindernisse und der Ehescheidungen wurden Be- stimmungen ohne Riicksicht auf die Vorschriften des Kirchenrechtes ge- troffen, die Ehescheidungeu erleichtert. Selbst uber die Einzelheiten des Gottesdienstes wurden vom Staate Vorschriften gegeben und auch die Verkiindigung von Ablassen ohne landesfiirstliche Bewilliguug untersagt. c) Die Restauration unter Kaiser Leopold II. I. Ungarn. 1 ) Da die Reformen Josephs II. den Abfall der osterreichischen Nieder- lande und eine hochgradige Uu/Aifriedenheit in mehreren anderen Landern, besonders in Ungarn zur Folge gehabt hatten, so liefi sich sein Bruder Leopold II., der ihm am 20. Februar 1790 in der Regierung folgte, zu weitgehenden Concessionen gegen die Wunsche der Stande herbei. Den Ungarii und Siebenburgern hatte Joseph II. noch vor seinem Tode, am 28. Janner 1790, durch die Hofkanzlei erklaren lassen, dass er die politische und Justizverfassung vom 1. Mai an in den Zustand versetzen werde, wie sie bei seinem Regierungsantritte gewesen war, und hatte alle seine Verordnungen mit Ausuahme des Tolerauzedictes, der Rege- lung der Pfarreien und der Feststellung des Verhaltnisses der Unter- thanen zu den Grundherren fur ungiltig erklart. Leopold bestatigte dieses Patent und behielt auch die Entscheidung der erwahnten drei Horvath, 2, 615 ff. Fessler-Klein, 5, 587 ff. 216 Fragen dem Keichstage vor, welcher auf den 6. Juni iiach Ofen ein- berufen wurde. Die Stande suchten anfangs durch das vom Konige bei seiner Kronung zu bestatigeude In augural dip lorn seine Macht wesentlich zu beschranken, ja ihm sogar einen Keichsrath an die Seite zu geben, den er in alien iuneren und auOeren Angelegenheiten zurathe ziehen und durch den alle Verordnungen gegengezeichnet werden sollten. Doch wei- gerte sich Leopold entschieden, ein anderes Inauguraldiplorn anzunehmen als das Maria Theresias. Andererseits aber genehmigte er eine Keihe von Gesetzartikeln, 1 ) welche die ungarische Verfassung gegen wei- tere Verletzungen und die Selbstandigkeit der inneren Verwaltung Ungarns sichern sollten. Der Kaiser erkannte an, dass Ungarn ein freies und hinsichtlich seiner Kegierungsform unabhangiges und keinern anderen Lande Oder Volke unterworfenes Eeich sei, seine eigene Verfassung habe und nach seinen eigenen Gesetzen und Gewohnheiten, nicht aber nach der Norm der anderen Provinzen regiert und verwa'ltet werden solle. Er erkannte weiter an, dass das Recht, Gesetze zu geben, abzuschaffen und zu interpretieren, dem gesetzlich gekronten Konige und den im Reichs- tage versammelten Standen gemeinsam sei und nicht aufier diesem aus- geiibt und dass das Reich nicht durch Verordnungen oder Patente re- giert werden durfe. Es wurde weiter bestimmt, dass der Reichstag wenigstens jedes dritte Jahr eiiiberufen uud Subsidien oder Recruten weder den Standen noch den Unadeligen blofi durch konigliche Willkiir aufeiiegt werden diirfen. Als Amtssprache bei den Behorden wurde wieder das Latein eingefuhrt. Auch die Palatinswiirde wurde wieder besetzt. Das Urbarium Maria Theresias wurde unter die Gesetze aufgeuommen und die Freiziigigkeit der Bauern ausdriicklich anerkannt, aber die weitergehenden Verordnungen Kaiser Josephs zu Gunsten der- selben gegen den Wunsch Leopolds II. von den Standen nicht anerkannt. Wurden durch die Restauration der alten Zustande und die feier- liche Anerkenuung ihrer Verfassung uud selbstandigen Verwaltung die ungarischen Stande befriedigt, so wurde andererseits Siebenbiirgen auf Wunsch der dortigen Stande davon getrennt und die siebenbiirgische Hofkanzlei wieder hergestellt, im iibrigen aber ahnliche Gesetze wie in Ungarn beschlossen. Fiir die Serb en wurde sogar auf Wunsch ihres Nationalcongresses im Februar 1791 eine eigene ,,illyrische" Hofkanzlei geschaffen, obwohl der ungarische Reichstag auf Wunsch des Ko'nigs die Immatriculierung der Nichtunierten und die Zulassuug derselben zum Giiterbesitze und zur Bekleidung von Aemtern beschloss, sodass sie in x ) You den Gesetzartikelu des Reichs- oder Landtages von 1790/91 haben haupt- sachlich 3, 10, 1214 uud 16 19.politische Bedeutung. 217 den ungarischen Liindern rait den anderen Biirgern gleichberechtigt wurden. Doch erhielt diese Hofkanzlei nur denselben Wirkungskreis, welchen die illyrische Hofdeputatiou unter Maria Theresia gehabt hatte, und wurde vom Kaiser Franz auf Wunsch der ungarischen Stande schon am 3. Juli 1792 ganz aufgelost. 1 ) 2. Die deutschen und bohmischen Lander. 2 ) Wie in Ungarn, so wurden auch in den deutsch-Ssterreichischen und bohmischen Provinzen die Landtage einberafen. Alle erhoben mehr Oder weniger weitgehende Fordertingen, welche in dem Verlangen der Abschaffuiig aller Neuerungen Josephs II. iibereinstimmten. Manche, wie die Stande Boh m ens giengen noch weiter. Sie wiesen auf das Wahlrecht und die ausgedehnten Befugnisse, welche die Stande wahrend des ganzen Mittelalters, ja auch noch uuter den ersten Habsburgern ge- habt batten, bin und verlangten, dass alle beschrankenden Clauseln der verneuerten Landesordnung von 1627 aufgehoben werden sollten. Sie forderten eine mit Einwilligung und Ubereinstimmung des Konigs und der Stande verfasste Constitution oder ein Staatsgrundgesetz, ,,d. i., einen Vertrag mit (zwischen) dem Souveran und der Nation", jahrliche Einbe- rufung des Landtages, den auch der Oberstburggraf ohne Bewilligung der Hofstelle sollte berufen diirfen, Steuerbewilligungs- und Gesetzgebungs- recht mit dem Eechte der Initiative, Beschworung der Landesordnung durch den Konig, Herstellung der alten Landesamter und Verleihung derselben an solche, die im Lande angesessen waren, Nichtzulassung der Biirgerlichen zu den hohereu Stellen, besondere adelige Gerichtsbarkeit. Abschaffung der den Bauern gewahrten Begiinstigungen u. s. w. 3 ) Leopold hatte schon im. April und Mai 1790 die josephinische Steuer- und Urbarialregulierung wieder abgeschafft und das the- resiauische Steuersystem nnd das Eobotpatent von 1775 hergestellt. Auch sonst machte er den Standeu manche Zugestandnisse. Uberall wurden die standischen Ausschiisse mit einer eigenen Buchhaltung wieder ins Leben gerufen. Den Standen Bohmens, wo sich Leopold zum Konige kronen liefi. wurde mit Allerhochster EntschlieBung vom 28. Juni 1791 ausdrucklich zugesichert, dass ihre ' r Yernehmung platzgreifen ^ Scliwicker, Politische Gescbichte der Serben in Ungaru, S. 358 S. 2 ) Springer, Geschichte Osterreichs, 1, 24 if. Domin-Petrushevecz, S. 197 if. Beer in B Mittheilungen des Instituts 11 , 15, 302 if. Vgl. d'Elvert, Zur osterreichischen Verwaltungs-Geschichte, S. 506. 3 ) Die Forderuugen der bob.miscL.en Staude (vom 4. September 1790) in n Histo- riscbe Aktenstiicke liber das Standewesen in Oesterreicb", 2, 64143, der Stande Mahreus in fl Schriften der historiscb-statistiscben Section", 14, 104 if. Uber Steier- mark s. Bidermann, Die Verfassungs-Krisis in Steiermark (Separat-Abdruck aus den r Mittbeiluugeu des historiscben Vereins", 21. Bd.), iiber Tirol Egger, 3, 128 if. 218 wurde, wenn es urn die Festsetzung oder Abanderung der Constitution oder solcher Gesetze zu thun ist, so das ganze Land betreffen", und dass es ihnen auch ,,unbenommen bleibe, sowohl gegen die einzufiihrenden Gesetze, als auch gegen alle Verordnimgen, auch wenri selbe Sr. Majestat Bestatigung erhalten haben, ihre geziemenden Vorstellungen zu niachen, welche aber keinen effectum suspensivum zur Folge haben sollen". 1 ) Aber alle weiter gehendeu Forderungen der Stande, selbst die freie Ver- fiigung tiber den Domesticalfond wurden zuriickgewiesen und den boh- mischen Standen ausdriicklich erklart, dass das Jahr 1764 den Mafistab der kiinftigen Verfassung bilden wiirde. Beziiglich der Steuerbewilli- gung wurde diesen bemerkt, dass, n was bisher postuliert worden, auch kiinftig postuliert werden wird", dass aber ,,in dringenden Fallen und in Kriegszeiten nicht gestattet werden kaun, in die quaestionem an? einzu- gehen", wenn auch den Standen ,,die quaestio quomodo? oder eigentlich die Eepartition der Lieferungen und iibrigen aufierordentlichen Anlagen unbeuomrnen bleibe". Leopold II. liefi sich nur zu einer Kestauration, aber nicht zu einer Beaction herbei. Auch beziiglich der Verwaltung wurden im wesentlichen die Zu- stande wieder hergestellt, welche unter Maria Theresia bestanden hatten. Das innerosterreichische Gubernium wurde wieder in die drei Landerstellen fiir Steiermark, Karnten und Krain getheilt und auch in Go'rz eine solche errichtet. Auch die Bukowina wurde wieder Ton Galizien getrennt. Bei den Centralstellen griff man ebenfalls auf die theresianischen Einrichtungen zuriick. Die Finanzverwaltung und die Leitung der Handels- angelegenheiten wurden von der Hofkanzlei wieder losgelost und dafiir die Hofkammer hergestellt, mit welcher auch die Bancodeputation ver- einigt blieb. Die Hofkammer erhielt auch ihren friiheren Einfluss auf das Berg- und Miinzwesen in Ungarn und auf die siebenbiirgischen Berg- werke und Kammereinkiinfte, wahrend das Contributionswesen der Hof- kanzlei blieb. Der Kammer sollte auch von den ubrigen Hofstellen Mittheilung gemacht werden, wenn es sich um die Creierung eines neuen Amtes oder um die Gewahrung einer Besolduug oder Pension handelte. 2 ) In ahnlicher Weise wurde auch beziiglich der Justizorganisation auf die fruhere historische Entwicklung mehr Kiicksicht genommen und die grofien Appellationsgerichtssprengel getheilt. Yorderosterreich wurde vom Appellationsgericht in Wien getrennt und in Freiburg ein eigenes *) Historische Akteustiicke 2, 144 ff. Vgl. tiber Bohmen auch Toman, S. 181 ff. Die Erledigung der Desiderien der mahrischen Stande mitgetheilt von d' El vert in ^Schriften der historisch-statistischen Section", 14, 253, die der Stande anderer Pro- vinzen in der officiellen Sammlung der politischen Gesetze Leopolds II. 2 ) Beer in den B Mittheilungeu u , 15, 302 ff. 219 Appellationsgericht geschaffen, das mit der dortigen Regierung imd Kammer vereinigt ward. Ebenso erhielt Tirol em eigenes Appellations- gericht in Innsbruck. Auch die Landrechte fur Karnten, Krain und Gorz wurden wieder hergestellt, aber mit den dortigen Landeshauptmann- schaften vereinigt. Dagegen wurde beim mahrisch-schlesischen Appel- latlonsgerichte die Stelle des Prasidenten von der des Gouverneurs getrennt. Wie in Ungarn die lateinische Amtssprache wieder in Wirksam- keit trat, so wurde auch fur Anstellungen in den italienischen Gebieten und Galizien die Kenntnis des Deutschen nicht mehr gefordert. 3. Die kirchlichen Yerhaltnisse. Von Leopold II., welcher schon am 9. April 1790 die Bischofe aufforderte, ihm ihre Beschwerden und die Mittel zur Abhilfe bekannt- zugeben, erwartete die Kirche die Aufhebung der Verfugungen seines Bruders. Aber nur in einzelnen Punkten trat eine Anderung ein. Der Kaiser ubeiiiefi die Feststellung der Gottesdienstordnung und die Erzie- hung der Theologen wieder im wesentlichen den Bischofen, hob die General- seminarien auf und stellte einzelne der aufgehobenen Kloster wieder her. Aber der Einfluss des Staates auf die Schule im allgemeinen und die Ehegerichtsbarkeit wie das Placetum wurden auch unter Leopold II. gewahrt, die Einschrankung der Toleranz, die Aufhebung des Eechtes der Geistlichen, sich wegen Bedriickung durch die Oberen an die Landesstelle zu wenden, die Verwaltung des Eeligionsfondes durch die Bischofe und die Wiederherstellung der privilegierten Gerichtsbarkeit des Clerus ver- weigert. Auch fortan wurden die Geistlichen als ,,Beamte des Staates in der Kirche" anesehen. * Vierte Periode. Das Zeitalter der Coalitionskriege gegen Frankreick und des politischen Stillstandes (17921848). I. Creschiclite der territorialen Verhaltnisse. I. Der erste Coalitionskrieg und die zweite und dritte Theilung Polens. 3 ) Die Gefahren, mit welchen die seit 1789 immer tiefer gehende Umwalzung in Frankreich auch die Nachbarstaaten bedrohte, und die J ) A. Jager, a. a. 0., S. 305 ff. Friedberg, 1, 176 ff. 8 ) Von den zahlreichen einschlagigen Werken sind die wicutigsten Hausser, Deutsche Geschichte vora Tode Friedrich des GroBen bis zur Griinduug des deutschen 220 Gefahrdung der dortigen Konigsfamilie, die dein Kaiser Leopold II. ver- wandtschaftlich nahe stand, fiihrte eine engere Verbindung Oster- reichs und Preufiens herbei. Durch einen Vertrag yom 25. Juli 1791 garantierten sich beide Machte ihre Besitzuugen, und durch das Defeusiv- bundnis vom 7. Febrnar 1792 wurde ihr Verhaltnis noch enger gekntipft. Die Kriegspartei in Frankreich, besonders die in der gesetzgebeuden Versammlung einflussreichen Girondisten. welche glaubten, dass ein Kampf mit dem Auslande auch die Umwalzung im Innern beschleimigen wurde, drangte zum Bruche und zwang den Konig, am 20. April 1792 an Osterreich den Krieg zu erklaren, nachdem am 1. Marz K. Leopold II. gestorben und sein Sohn Franz II. ihm in der Regierung gefolgt war. Als die Preufien unter dem Herzoge von Braunschweig und ein osterreichisches Corps unter Clerfayt im August in Frankreich ein- ruckten, fanden sie nur geringen Widerstand. Die Passe des Argonnen- waldes fielen in ihre Hande. Aber der Herzog yon Braunschweig ver- saumte den gunstigsten Zeitpunkt zum Angriffe auf das franzosisehe Heer unter Dumouriez und zog sich nach der Kanonade bei Valmy (20. September) nicht bloB uber die Grenze, sondern bis tiber den Ehein zuriick, dessen linkes Ufer theilweise in die Hande der Franzosen fiel. Dumouriez fiihrte nun den grofiten Theil seiner Truppen gegen Belgien, besiegte durch seine Ubermacht die Osterreicher am 6. November bei Jemappes, zwang diese zum Riickzuge hinter die Maas und besetzte Belgien bis auf Luxemburg. Unterdessen hatte der Nationalconvent am 21. September das Konig- thum abgeschafft, Ltidwig XVI. am 21. Januer 1793 der Guillotine iiber- liefert, und als die englische Regierung Member ihre Missbilligung aufierte, an England und Holland, spater auch an Spanien den Krieg erklart. Wahrend der Krieg immer gro'Bere Dimensionen annahm, lockerte sich die enge Verbindung zwischen Osterreich und Preuflen. Der Konig Friedrich Wilhelm II., der anfaugs den grofiten Eifer fur den Krieg gegen Frankreich an den Tag gelegt hatte, erklarte am 25. October 1792 in der Note von Merle, dass er Osterreich fortan nur dann, wenn ihm von diesem und Russland ein bestimmter Theil Polens fiberlassen wurde, mit seiner ganzen Macht unterstutzen, sonst aber sich auf die Stellung des im Vertrage vom 7. Februar 1792 festgesetzten Contiugentes (20.000 Mann) Bundes, 4 Bde., 3. Aufl. 1861/63. H. v. Sybel, Geschicbte der Revolutionszeit von 1789 bis 1800, 5 Bde. (letzte Aufl. 1877-1882) und dagegen H. Hiiffer, Diploraatische Verhandlungen aus fler Zeit der franzosiscbeu Revolution (bis zur Auflosung des Ra- statter Congresses), 3 Bde., 18681879 und Vivenot-Zeissberg, Quellen zur Ge- scbichte der deutschen Kaiserpolitik Osterreic-bs, 5 Bde. (17801795), 18731890. Vgl. Ranke, Ursprung und Beginn des Revolutionskrieges 1875, und A. Beer, Leo- pold II., Franz II. und Katbarina, ihre Correspondenz. 1874. 221 beschriinken wurde. Osterreich wagte bei seiner bedrangten Lage nicht diese Forderung einfach abzuschJagen. Aber ehe seine bedingungsweise Znstimrnung nach Petersburg gelangt war, hatte sich Preufien bereits rnit Russland geeinigt mid schloss am 23. Januer 1793 mit diesem eiueu Vertrag, nach welchem beide Machte ein grofies Stuck von Poleu er- halten, aber andererseits den von Osterreich angestrebten Austausch Belgiens gegen Baiern unterstfitzen sollteu. Dieses Vorgehen Preuflens hatte die Folge, dass Ende Marz 1793 in Osterreich die Leitung des Auswartigen dein Baron Thugut, einein entschiedenen Gegner Preuflens, tibertragen wurde, der eine bedetitende Vergrofierimg dieses Staates nur gegen einen entsprechenden Machtzu- wachs Osterreichs zulassen wollte. Diese sah er aber nicht in der bisher angestrebten Vertauschung Belgiens gegen Baiern, sondern in der Er- oberung eines franzosischen Greuzgebietes und eiuer polnischen Provinz, um hier Itusslaiid und Preufien das Gegengewicht halten zu ko'unen. In seiner Abneigung gegen Preufien wurde Thugut durch die Haltuug desselben wahrend des Feldzuges von 1793 nur noch be- starkt. Wahrend die Osterreicher unter dem Prinzen von Coburg und dem Erzherzog Karl nach dern Siege bei Neerwinden (18. Marz) die Fran- zosen aus den Niederlanden hinauswarfen und dann mehrere Festungen im nordlichen Frankreich einnahmen, beschrankten sich die Waffenthaten der Preufien bis Ende Juli auf die Wiedereroberung von Mainz, und auch danu unternahmen sie wieder die Belagerung der Grenzfestung Landau, die sie Monate lang aufhalten konute. Ja, der Konig liefi sich (22. September) wieder zu einer Erkliirung an Osterreich bewegen, dass er dem Kaiser hochstens danu noch langer mit gleicher Macht Hilfe leisten konnte, wenn ihm die Verbundeteu die Mittel zur Unterhaltung seines Heeres bewilligten. Zugleich nahmen die Ereignisse auf den Hauptkriegsschauplatzeii eine ungtinstige Wendung. An der belgischen Grenze, wo die Osterreicher durch Englander und Hollander verstarkt worden waren, machten die Verbiindeten iufolge der Zersplitterung ihrer Streitkrafte keiue weiteren Fortschritte, ja sie erlitten bei Hond- schocteu (6. September) und Wattignies (15. und 16. October) nicht unbedeuteude Niederlagen. Am Khein wurden die Osterreicher uuter Wurmser, der, anfangs von den Preufieu unterstiitzt. im Herbste ins Niederelsass eiugedrungeu war, infolge der Unthiitigkeit des Herzogs von Braunschweig von den Franzosen mit grofier Uebermacht augegriffen und am Ende des Jahres liber den Eheiu zuriickgedrangt. Infolgedessen verier Thugut zu eiuer selbstaudig op*erierenden pretifii- schen Armee jedes Vertrauen und hatte fur diese auch dann keine Subsidien gezahlt, wenu die schlechte Fiuaiizlage Osterreichs dies er- moglicht hatte. Doch schlossen England uud Holland am 19. April 1794 222 mit PreuBen einen Yertrag, wouach dieses versprach, gegen bedeu- tende Subsidien 62.400 Mann zu stellen und dort zu verwenden, wo es fur die Interessen der Seemachte am zutraglichsten erschiene. Aber PreuBen, dessen Aufmerksamkeit in erster Linie durch den Aufstand der Polen unter Kosciuszko in Anspruch genommen wurde, weigerte sich, seine Truppen, der Forderung der Seemachte entsprechend, nach den Niederlanden zu schicken, und auch am Khein blieb ihr Fiihrer Mollen- dorf, ein entschiedener Gegner Osterreichs ufid des Krieges mit Frank- reich, fast ganz unthatig. So wendete sich das Kriegsgliick entschieden auf die Seite der Franzosen, die kolossale Kiistungen gemacht hatten. Die Osterreicher wurden nach einer Eeihe blutiger Kampfe im Sommer 1794 zur Kaumung Belgiens und endlich zum Riickzuge uber den Ehein gezwungen, im Winter auch noch Holland von den Franzosen erobert. Unterdessen war der Aufstand der Polen durch den russischen General Suworow niedergeworfen wordeu und hatte mit der Einnahme von Warschau (8. November 1794) sein Ende erreicht. Osterreich hatte am liebsten den friiheren Zustand wieder hergestellt gesehen. Da aber Kussland und PreuBen die vollstandige Zertriimmerung Polens wollten, so suchte auch Thugut ein moglichst groBes Stuck zu erwerben, wobei er von der russischen Kaiserin unterstiitzt wurde. Am 3. Janner 1795 wurde zwischen Osterreich und Kussland der Vertrag uber die dritte Theilung Polens imterzeichnet. Osterreich erhielt das Gebiet zwischen den Fliissen Pilica und Bug, d. h. die Woiwodschaften Krakau, Sandomir und Lublin und die Landschaft Chelm mit einigen kleineren Bezirken, ein Gebiet von 1000 Quadratmeilen, das unter dem Namen Westgalizien eine eigene Provinz wurde. Durch diese Vorgange in Polen war das Interesse am Kriege gegen Frankreich fur einige Zeit in den Hintergrund gedrangt worden. Der Ko'nig von Preufien hatte sich schon im Herbste 1794 zur Ankntipfung von Unterhandlungen mit Frankreich bewegen lassen, die am 5. April 1795 zum Frieden von Basel fuhrten. PreuBen liefi nach den Be- stimmungen desselben seine linksrheinischen Besitzungen in den Handen der Franzosen unter der Bedingung, dass es fur den Fall einer definitiven Abtretung bei einem allgeineinen Frieden eine Entschadigung erhielte. Zugleich wurde mitten durch Deutschland eine Demarcationslinie gezogen, welche die Franzosen nicht iiberschreiten sollten, wenn Preufien nordlich von derselben die Neutralitat aufrecht erhielte. Nord- und Mitteldeutsch- land bis zum NeCkar und zur Sudgrenze des frankischen Kreises wurde dadurch dem Kriege entzogen. Noch friiher, am 9. Februar, hatte der Grofiherzog Ferdinand von Toscana, des Kaisers Bruder, mit Frankreich Frieden geschlossen, am 22. Juli folgte auch Spanien. 223 So setzten nur Osterreich mit einem Theile des deutschen Keiches, einige italienische Staaten und England den Krieg noch fort. Trotzdem waren im Jahre 1795 die Osterreicher den Feinden fiberlegen. Als nach langer Unthatigkeit beider Theile die Franzosen unter Jourdan und Pichegru im September den Nieder- und Mittelrhein fiberschritten, wurden sie von Clerfayt und Wurmser in mehreren Treffen besiegt und fiber den Khein bis an die Nahe und die Festung Landau zurfickgedrangt. Auch im Jahre 1796 waren die Osterreicher in Deutschland sieg- reich. Der Erzherzog Karl besiegte die Armee Jourdans, die schon bis in die Oberpfalz vorgedrungen war (22. 24. August), in den Treffen bei Teiniug, Neumarkt und Amberg und (3. September) in der Schlacht bei Wfirzburg und trieb die Feinde wieder fiber den Khein zurfick. Da- durch war Moreau, der bereits Suddeutschland bis zur Isar in seine Ge- walt gebracht hatte, isoliert und sah sich ebenfalls zum Kfickzuge fiber den Khein gezwungen. Aber alle diese Erfolge der Osterreicher wurden durch die Siege der Franzosen in Italien, wo 1796 Napoleon Bonaparte 1 ) den Ober- befehl erhalten hatte, mehr als aufgewogen. Durch mehrere Siege (12. bis 21. April) no'thigte er die Osterreicher unter Beaulieu, die mit den Sar- diniern die westlichen Apenninen besetzt hielteu, zum Kfickzuge, zwang den Konig von Sardinien zu einem Separatfrieden und trieb nach dem Treffen bei Lodi (10. Mai) die Osterreicher Ms Mantua zurfick. Um diese Festung zu entsetzen, wurde Wurmser aus Deutschland nach Italien geschickt. Aber eine Reihe blutiger Treffen hatten nur den Er- folg, dass auch dieser (im September) in Mantua seine Rettung stichen musste. Auch FZ. Alvinczy, der inn nun retten sollte, war nicht glfick- licher. Nach den Niederlagen bei Arcole (15. 17. November) und Rivoli (14. Janner 1797) musste er sich nach Tirol zuruckziehen und Mantua, durch Hunger bezwungeu, capitulieren (3. Februar). Als nun Bonaparte uach Innerosterreich vordrang, vermochte ihn der Erzherzog Karl nicht mehr aufzuhalten. Schon standen die Fran- zosen im nordlichen Steiermark, als ein Waffenstillstand und dann (18. April) der Praliminarfriede von Leoben abgeschlossen wurde. Der definitive Friede wurde erst am 17. October in Campoformio 2 ) abgeschlossen und war in manchen Punkten ungunstiger als jeuer. Osterreich verzichtete auf die Niederlande, die mit Frankreich, und auf die Herzogthumer Mailand und Mantua, die mit der neugebildeten cis- alpinischen Republik vereinigt wurden. Daffir erhielt es das Gebiet der *) T biers, Hist, du Consulat et de 1'Empire. 20 T. (nur in den spateren Theilen von Wert). Lanfrey, Geschichte Napoleons I., aus dem Franzosischen von Gliimer, 5 Bde. (bis 1810). Fouruier, Napoleon I, 3 Bdchen. (18861889). 2 ) Eigentlich in Napoleons Hauptquartier Passariano. Republik Venedig, deren Selbstandigkeit Bonaparte vernichtet hatte, so- weit es ostlich vom Gardasee, der Etsch imd dem tmteren Po lag, mit Einschluss des venetianischen Jstrien und Dalmatiens. In geheimen Ar- tikeln gab der Kaiser seine Zustimmung, dass Frankreich beim Frieden mit dem Keiche den grofiten Theil des liuken Rheinufers erhalten und die dadurch beeintrachtigten Reichsstiinde rechts vom Rhein angemessen entschadigt werden sollteu. Osterreich sollte auch dem seines Landes beraubten Herzog von Modena den Breisgau iiberlassen, daftir aber wie fur die Grafschaft Falkenstein (in der Pfalz) und das Frickthal das Erz- bisthum Salzburg und Baiern bis zum Inn bekommen. Atif dem Congress in Rastatt, der am 9. December eroffnet Avurde, setzte Frankreich es dtirch, dass ihm vom Reiche das ganze linke Rheinufer abgetreten wurde. Aber ehe die Entschadigungsfrage gelost war, faud der Congress infolge eines neuen Krieges ein rasches Ende. 2. Der zweite Coalitionskrieg (1799 1801) und der Reichsdeputations-Hauptschluss. 1 ) Frankreich setzte anch nach Abschluss des Friedens mit alien Staaten des Festlandes seine Gewaltthaten fort. Die batavische und cisalpinische Republik wurden jeder Selbstandigkeit beraubt, 1798 die Schweiz als helvetische Republik von Frankreich abhangig gemacht, der Kirchenstaat in eine Republik verwandelt, die Konige von Sardinien und Neapel beclroht, von Napoleon Bonaparte dem Johanniterorden die Insel Malta entrissen und Agypten erobert. Dadurch fu'hlte sich aber nicht blofi Osterreich neuerdings bedroht. Auch der Kaiser Paul von Russland, der 1796 seiner Mutter Katharina II. gefolgt war, wurde ein erbitterter Feind Frankreichs, schloss Biindnisse mit Neapel, England und der Turkei, sicherte Osterreich seine Unterstutzung zu und setzte bereits Land- truppen und Kriegsschiffe in Bewegung. Da Osterreich sich weigerte, die Zuriickziehung dieser Truppen zu verlaugen, so erklarte Frankreich am 12. Marz 1799 an Osterreich und Toscana den Krieg, nachdein ein iibereilter Angriff der Neapolitaner bereits die Vertreibung des Konigs nach Sicilien und die Weguahme der festlandischen Besitzungen des Konigs von Sardinien zur Folge gehabt hatte. Aber in Deutschland wie Italien waren die Franzosen im Nachtheile. Erzherzog Karl trieb den bis an die obere Donau vorgedrungenen ^ S. aufier Hausser, Sybel, Hiiffer und Lanfrey auch (Erzherzog Karl) Geschichte des Feldzuges von 1799 in Deutschland und der Schweiz, 2 Bde. Michai- lowski-Danilewski und Miliutin, Geschichte des Krieges Eusslands niit Frauk- reich im Jahre 1799 (iibersetzt von Schmidt), 5 Bde., 18561858. A. Beer, Zehu Jahre osterreichischer Politik, 1877. Foamier, Gentz und Cobenzl. Geschichte der osterreichischen Diplomatic 1801 1805. 1870. Wertheimer, Geschichte Osterreichs uud Ungarns im ersteii Jahrzehut des 19. Jahrhunderts, 2 Bde. (bis 1809), 1834, 90. 225 Jourdau durch mehrere Siege (21. 25. Marz) uber den Rheiii zuruck. In Italien errang der Anfiihrer der vereinigten Osterreicher und Russen, Suworow, eine Reihe blutiger Siege. Bis auf Genua und einige isolierte Festungen ward ganz Italien den Franzosen entrissen. Nur in der Schweiz behanptete sich Massena in einer festen Stellung bei Zurich gegen wieder- holte Angriffe des Erzherzogs Karl. Da trafen auf Englands Vorschlag Osterreich uud Russland das Ubereinkommen, dass Suworow mit den Russen in die Schweiz marschieren, sich hier mit einem neuen russischen Corps nnter Korsakow vereinigen und dann in Frankreich eindringen, Erzherzog Karl aber mit den Osterreichern an den Mittelrhein ziehen sollte. Ehe aber Suworow die Alpen uberschritten hatte, erlitt Korsakow (25. und 26. September) durch Massena bei Zurich eine vollstandige Niederlage. Auch die noch in der ostlichen Schweiz stehenden Osterreicher wurden besiegt und zum Riickzuge nach Vorarlberg genothigt, und nun war Suworow, der unter- dessen uber den Gotthard bis gegen Schwyz gekommen war, von den Feinden auf alien Seiten eingeschlossen. Nur durch einen Ubergang uber schneebedeckte Berge vermochte dieser sein Heer zu retten und in das Rheinthal und von da nach Vorarlberg zu fuhren. Suworow, der sich von den Osterreichern verrathen glaubte, erfullte auch den Kaiser Paul mit Erbitterung gegen die osterreichische Re- gierung, mit der dieser schon wegen der Ordnung der italienischen Yer- haltnisse in Zerwiirfnisse gerathen war. Paul gab seinen sammtlichen Truppen Befehl, nach Russland zuruckzukehren, und trat ganz von der Coalition zuruck. Es war dies umso gefahrlicher, als gerade jetzt Napoleon Bona- parte aus Agypten zuruckkam und nach einem Staatsstreiche als ^erster Consul" die ganze Regierung in die Hand nahm. Wahrend in Italien die Osterreicher unter Melas die letzten Reste des frauzosischen Heeres in Genua einschlossen und am 4. Juni 1800 zur Ubergabe der Stadt zwangen, erschien Bonaparte mit einer neu ge- bildeten Armee unvermuthet im Rticken der Osterreicher, erfocht am 14. Juni bei Marengo einen vollstandigen Sieg und gestattete ihnen nur unter der Bedingung freien Ruckzug, dass sie Oberitalien bis zum Mincio raumten. Schon fruher war Moreau uber den Oberrhein nach Siiddeutsch- land vorgedrungen, brachte den Osterreichern unter Kray (5. 10. Mai) mehrere Niederlagen bei und fiel in Baiern ein. Nachdem der Waffen- stillstand zu Parsdorf (15. Juli) die Feindseligkeiten einige Zeit unterbrochen hatte, wurden die Osterreicher und Baiern am 3. December bei Hohenlinden ganzlich geschlagen, worauf am 25. December der Waffenstillstand zu Steyr und am 9. Februar 1801 der Friede Enter. Osterreichische Keichsgeschichte. 15 226 von Luneville geschlossen wurde. Dieser wiederholte im wesent- lichen die Bedingungen des Friedens von Campoformio und die Ab- raachungen in Rastatt, verfiigte die Abtretung des linken Kheinufers imd setzte die Etsch als Grenze zwischen Osterreich und der cisalpini- schen Kepublik fest, gab aber das ubrige Italien vollstandig den Fran- zosen preis und bestimmte, dass anch der Grofiherzog von Toscana sein Land verlieren imd in Deutschland (nach einem geheimen Artikel zu- niichst mit Salzburg und Berchtesgaden) entschadigt werden sollte. Im Keichsdeputations-Hauptschluss (25. Februar 1803) er- hielt Osterreich fur den dern Herzoge von Modena tiberlassenen Breis- gau und die Ortenau die Gebiete der Bischo'fe von Brixen und Trient, die schon bisher mit Tirol in engen Beziehungen gestanden hatten. 3. Die Annahme des osterreichischen Kaisertitels. Der dritte Coalitionskrieg und die Ausscheidung Osterreichs aus Deutschland. 1 ) Die Umwandlung Frankreiehs in eine Erbmonarchie unter dem Kaiser Napoleon (18. Mai 1804) veranlasste Franz II. auch seinerseits am 10. August in einer aufierordentlichen Staatsconferenz, der die grofien "VViirdentrager beiwohnten, den Titel eines erblichen Kaisers von Osterreich anzunehmen, wodurch auch die Zusammengehorigkeit der verschiedenen osterreichischen Lander dargethan wurde. Am 11. Au- gust wurde dieser Entschluss durch ein kaiserliches Patent allgemein bekannt gemacht. Es zeigte sich bald, dass Napoleon auch als Kaiser seine gewalt- thatige Politik fortsetzen wurde. Hatte er sich schon 1803 des dem Konige von England gehorigen Hannovers bemachtigt, so machte er jetzt auch der allerdings nur scheinbaren Selbstandigkeit der cisalpinischen Kepublik eiu Ende, indem er diese in ein Konigreich Italien umwandelte, am 17. Marz 1805 selbst die Eegierung ubernahm und (4. Juni) die Hgurische Reptiblik unmittelbar mit Frankreich vereinigte. Diese Uber- griffe bewogen Osterreich, dem Drangen Englands und Kusslands nachzugebeu und am 9. August 1805 dem Biindnisse beizutreten, welches dieselben schon am 11. April geschlossen hatten. Mack, welcher noch vor der Ankunft der Russen init einem oster- reichischen Heere bis Ulm vorgedrungen war, wurde dort mit iiber- legenen Kraften eingeschlossen und am 17. October gezwungen, mit dem grofiten Theile seines Heeres die Waffen zu strecken. Dies nothigte auch den Erzherzog Karl, der (29. 31. October) den Marschall Massena ^ S. die schon erwahnten Werke von HauCer, Beer, Fournier, Wert- heiiner. 227 bei Caldiero besiegt hatte, und den in Tirol stehenden Erzherzog Johann, den Riickzug anzutreten. Die Reste der Osterreicher, welche sich bei der Capitulation von Ulm gerettet hatten, zogen sich bis Mahren zuriick, wo sie sich rait den Russen vereinigten. Obwohl es nun im Interesse der Verbiindeten lag, eine Entscheidung hinauszuschieben, bis weitere russische Corps und die Erzherzoge Karl und Johann herangekommen waren und vielleicht auch Preufien, welches, beleidigt durch die Ver- letzuug seines frankischen Gebietes, rustete und als Friedensvermittler auftrat, sich zum Kriege gegen Napoleon entschlossen hatte, griffen sie infolge der Siegeszuversicht der Russen am 2. December die Feinde bei Austerlitz an, erlitten aber eine furchtbare Niederlage. Die Verbiin- deten waren ganzlich entmuthigt. Die Russen zogen nachhause. K. Franz schloss (6. December) eineii Waifenstillstand und 26. December den Frieden yon Presburg, in welchem er alle 1797 erworbenen venetiani- schen Gebiete an das Konigreich Italien, Tirol, Voraiiberg, die Mark- grafschaft Burgau und einige andere schwabische Gebiete an Baiern und die ubrigen Besitzungen in den Yorlanden an Wurtemberg und Baden abtrat. Auch des Kaisers Oheim, Erzherzog Ferdinand, Schwiegersohn des 1803 verstorbenen Herzogs von Modena-Este, musste den Breisgau an Baden iiberlassen, ohne die ihm dafiir versprochene Entschadigung je zu erhalten. Dafiir bekam Osterreich das Fiirstenthum Salzburg, wofur der Grofiherzog von Toscana durch ein neu zu schaffendes Kurfursten- thurn Wiirzburg entschadigt wurde. Auch die Verleihuug der Konigs- wurde und der vollen Souveranitat an die Kurfiirsteii von Baiern und Wurtemberg musste der Kaiser anerkennen. War schoii dies ein Schritt zur Auflosuug des deutschen Reiches, so erfolgte dessen vollstandige Zertriimmerung, als 16 Fursten des siidlichen und westlichen Deutschland unter dem Protectorate Na- poleons am 12. Juli 1806 den Rheinbund schlossen. Auf die For- derung Frankreichs erklarte nun Franz II. am 6. August, dass auch er den Bund, der ihn bisher an das Reich gekniipft, als gelost ansehe und die deutsche Kaiserwiirde niederlege. Dagegen wurde die Einheit der 6'sterreichischen Lander aufierlich noch scharfer ausgedriickt, indem bei der Feststellung des grofien Staatswappens der Doppeladler als das Symbol des n auf den ganzen Complex der Erbkonigreiche und Lander reducierten osterreichischeu Kaiserthums" erklart wurde. 1 ) J ) Bidermanii, Die staatsrechtlichen Wirkungen der osterreichischen Gesammt- staatsidee. Griinhuts ^Zeitschrift fur das Privat- und offentliche Recht der Gegen- wart" 21, 369. 15* 228 4. Der Krieg Osterreichs mit Frankreich im Jahre 1809. *) Auch dem Presburger Frieden folgten neue Usurpationen Na- poleons: die Vertreibung der Bourbons aus Neapel, zu dessen Konig er seinen Bruder Joseph machte, und die Dmwandlung der batavischen Ke- publik in eine Monarchic unter Napoleons Bruder Ludwig (1806), dann die Zertriimmerung Preufiens, das im Frieden von Tilsit 1807 alle westlich von der Elbe gelegenen Lander und die meisten ehemals pol- nichen Gebiete (als ,,Herzogthum Warschau" an den Konig von Sachsen iibergeben) verlor, hierauf die Besetzung Portugals und endlich (1808) die Entthronung der spanischen Konigsdynastie, an deren Stelle er seinen Bruder Joseph setzte, wogegen sein Schwager Murat Konig von Neapel wurde. Aber dies entflammte auf der pyrenaischen Halbinsel einen all- gemeinen Volkskrieg, der, von England untersttitzt, auch von Napoleon nicht vollstandig niedergeworfen werden konnte. Die Bindung eines Theiles der franzosischen Streitkrafte durch die Spanier und Englander ermuthigte Osterreich, das unter Leitung des Erzherzogs Karl militarische Keformen eingefiihrt und eine Landwehr geschaffen hatte, zu einem Versuche, sich gegen weitere Gewalt- thaten Napoleons sicherzustellen. Es rechnete dabei nicht blofl auf die Unterstiitzung Englands, sondern auch auf eine Erhebung der Volker, besonders der mit der bairischen Herrschaft unzufriedeuen Tiroler, den Beistand zahlreicher deutscher Patrioten, vielleicht auch auf einen An- schluss Preufiens, welches aber von dem mit Frankreich verbundeten Kaiser von Kussland zuriickgehalten wurde. Am 9. April 1809 begannen die Osterreicher die Feindseligkeiten, drang die Hauptarmee unter Erzherzog Karl in Baiern, das ,,Heer von Innerosterreich" unter Erzherzog Johann in Italien ein, wahrend die Tiroler sich erhoben und ihr Land von den Baiern befreiten. Auch Erzherzog Johann besiegte den Vicekonig Eugen (16. April) bei Sacile und drangte ihn bis an die Etsch zuriick. Aber die Niederlagen der Osterreicher in Baiern (19. 22. April) machten alle diese Erfolge zunichte. Zwar erlitt Napoleon, der nach der Einnahme Wiens die Donau ubersetzte, am 21. und 22. Mai bei Aspern und Esslingen durch Erzherzog Karl eine blutige Niederlage. Aber nachdem er neue Ver- starkungen, namentlich auch den Vicekonig von Italien, der den Erz- herzog Johann auf seinem Kuckzuge verfolgte, an sieh gezogen hatte, uberschritt er neuerdings die Donau und zwang nach zweitagigen Kampfen (5. und 6. Juli) bei Wagram die Osterreicher zum Riickzuge nach Znaim, wo ein Waffenstillstand (12. Juli) den Feindseligkeiten ein Ende machte. Im Frieden von Wien (14. October) trat Osterreich Salzburg J ) S. Hausser, Beer, Thiers, Lanfrey und Fournier. 229 mit Berchtesgaden, das Innviertel und die westliche Halfte des Haus- ruckviertels an Baiern, das westliche Karnten (den Villacher Kreis), die Grafschaft Gorz, die Stadt Triest, das Ssterreichische Istrien, Krain und den am rechten Saveufer gelegenen Theil Croatiens und der Militargrenze (die n illyrischen Provinzen") an Napoleon, ganz Westgalizien, einen Streifen Landes bei Krakau, die Halfte des Salzbergwerkes Wieliczka und den Zaraosker Kreis an den K6nig von Sachsen als Herzog von Warschau ab. Eussland, das als Verbundeter Frankreichs, allerdings ohne rechten Ernst, am Kriege theilgenommen hatte, sollte von Oster- reich ein Gebiet von 400.000 Einwohnern erhalten, und es wurde ihm dann der Tarnopoler Kreis iiberlassen. Auch der Aufstand der Tiroler, welche die ins Land eindringenden Feinde wiederholt aus demselben hinausgetrieben hatten, wurde jetzt blutig unterdruckt. 5. Osterreichs Theilnahme an den Befreiungskriegen und der Wiener Congress. 1 ) Als 1812 der Bruch zwischen Napoleon und deni Kaiser Alexander I. von Russland erfolgte, wurde auch Osterreich genothigt, am 14. Marz ein Biindnis mit Frankreich abzuschliefien, worin es versprach, ein Hilfscorps von 30.000 Mann zu stellen, wofur ihm im Falle eines gliick- lichen Krieges eine Gebietsvergrofierung zugesichert ward. Wahrend Napoleon selbst mit der Hauptmacht bis Moskau vordrang, operierte der Anfuhrer der Osterreicher, Fiirst Schwarzenberg, in Verbindung mit den Sachsen auf dem rechten Fliigel in Volhynien gegen ein russisches Corps und drangte dieses zurtick, zog sich aber, als dasselbe Verstar- kiingeu erhielt, Mitte October tiber den Bug ins Herzogthum Warschau zuriick. Gleichzeitig trat Napoleon den Kiickzug von Moskau an, uuf dem sein schon durch die vorausgehenden Kampfe und Strapazen geschwachtes Heer vollstandig vernichtet wurde. Der Kaiser Franz und der Minister des Aufiern, Metternich, suchten dies zu benutzen, um Osterreich wieder eine gunstigere Stellung zu verschaffen, hielten aber wegen der Erschopfung des Staates, be- sonders der Finanzen grofie Vorsicht fur nothwendig. Vor allem wollten sie sich durch Auflosung des Bundnisses mit Frankreich die Frei- heit des Handelns verschaffen. Das 6'sterreichische Hilfscorps wurde daher nach Galizien zuriickgezogen und (30. Janner 1813) mit Russland ein Waffenstillstand abgeschlossen, Riistungen veranstaltet, endlich, nachdem J ) Vgl. mit den citierten Werken von HauBer, Thiers, Fournier besonders W. nek en, Osterreich und PreuBen ini Befreiungskriege, 2 Bde. (bis August 1813). 1876, 1879. Beer, Fiirst Metternich. n Neuer Plutarch", 5, 257 ff. 230 Preufien sich bereits mit Kussland verbiindet hatte, (26. April) die Allianz mit Frankreich aufgesagt und gleichzeitig Osterreichs bewaffnete Vermittlung angekiiudigt. Als Napoleon, der die Eussen und Preufien bei Grofi-Gorschen (2. Mai) und Bautzen (20. und 21. Mai) besiegte und nach Schlesien zuriickdrangte und, uni Zeit fur weitere Riistungen zu ge- winnen, am 4. Juni einen langeren Waffenstillstaud schloss, die ihm sehr giinstigen Friedensantrage Metternichs zuruckwies, erklarte Osterreich am 10. August seinen Anschluss an das russisch-preufiische Biindnis und trat nach Ablauf des Waffenstillstandes (16. August) in den Kampf ein. Osterreich hatte 100.000 115.000 Mann uuter Schwarzenberg in Bohmen, 25.000 Mann gegen Baiem, 40.000 Mann gegen Italien aufgestellt. Die Hauptarmee, welche auch durch Kussen und Preufien verstarkt wurde, wurde bei ihrem Angriffe auf Dresden (26. und 27. August) durch Napoleon geschlagen. Aber da fast gleichzeitig (23. und 26. August) andere franzosische Armeen bei Grofi-Beeren und an der Katzbach durch die Preufien blutige Niederlagen erlitten, konnte Napoleon seinen Sieg nicht verfolgen, und der Marschall Vandamme, den er in den Riicken der Verbiindeten nach Bohmen abgeschickt hatte, wurde mit seinem Corps am 30. August nach zweitagigen Kampfen bei Kul in gefangen. Der Eaum, in dem sich ^"apoleon bewegen konnte, .wurde durch die Verbiindeten immer mehr eingeengt, derselbe endlich zum Riickzuge von Dresden nach Leipzig gezwungen und hier am 16. und 18. October vollstandig geschlagen. Mit den Trummeni seines Heeres uberschritt Napoleon am 1. November den Rhein. Schon fruher (8. October) hatte Baiern im Yertrage von Ried mit Osterreich Frieden geschlossen, sich zum Kampfe gegen Frankreich verpflichtet und den Osterreichern gegen eine kunftige Entschadigung Tirol eingeraumt. Jetzt schlossen sich auch die iibrigen Rheinbundsfursten den Verbiindeten an. Da Napoleon auf Friedensantrage, welche ihm noch das ganze Ge- biet zwischen dem Rhein, den Alpen und Pyrenaen gelassen batten, nicht rechtzeitig eingieng, iiberschritten die Verbiindeten Ende December und Anfangs Janner den Rhein. Nach einer Reihe blutiger Schlachten, in denen bald die Verbiindeten, bald Napoleon im Vortheile waren, ent- schloss sich dieser, von Arcis an der Aube nach Osten zu marschieren, um die Verbiindeten durch Bedrohung ihres Ruckens zurn Ruckzuge zu zwingen. Aber diese liefien ihn ziehen und wendeten sich mit ihrer ge- sammten Macht gegen Paris, das nach tapferem Widerstande der Be- satzung am 30. Marz capitulierte. Als Napoleon zuriickkehrte, war Paris bereits iibergeben. Am 2. April sprach der Senat seine Absetzung aus. In der Nacht Torn 6. auf den 7. April entsagte er selbst fur sich uud seine Familie dem Throne, wogegen die Verbiindeten (11. April) ihm 231 die Insel Elba, 1 ) seiner Gemahlin Marie Louise und seinem Sohne die Herzogthiimer Parma, Piacenza und Guastalla uberliefien. Der Pariser Friede vom 30. Mai 1814, der Frankreich eine Ver- groflerung des Umfanges, den es 1789 gehabt hatte, gewahrte, bestimmte in einera geheimen Artikel, dass Osterreichs Antheil in Italien durch den Po, den Tessin und den Lago Maggiore begrenzt werden sollte, worauf am 12. Juni in Mailand die Einverleibung der Lorn- bar dei und des Venetianischen in die osterreichische Monarchic proclamiert wurde. Baiern gab durch einen geheimen Vertrag mit Osterreich (3. Juni) Tirol, Vorarlberg, Salzburg und das Haus- ruck- und Innviertel zuriick, wogegen ihm die vollstandigste Ent- schadigung zugesichert wurde. Die Ordnung der iibrigen Frageu wurde dein Wiener Congresse uberlassen, der Tom September 1814 bis Juni 1815 tagte. Infolge der Verhandlungen auf demselben erhielt Osterreich auch die 1805 und 1809 abgetretenen ,,illyrischen Provinzen" mit Dalmatien und der Kepublik Kagusa, den Tarnopoler Kreis und das Salzbergwerk Wieliczka zuriick und bekain auch das einst zu Graubunden gehorige Veltlin mit den Landschaften Chiavenna und Borario, die mit der Lombardei vereinigt warden. Auch die Ssterreichische Secundo- genitur in Toscana uud die Tertiogenitur in Modena wurden wieder hergestellt. Dagegen verzichtete Osterreich auf alle iibrigen vor 1792 besessenen Gebiete. Auch die deutsche Kaiserwurde nahm es nicht mehr in Anspruch und begnugte sich mit dem Vorsitze im neu ge- griindeten deutschen Bunde. Die durch den Wiener Congress geschaffene Kepublik Krakau, welche unter den Schutz Osterreichs, Preufiens und Kusslands gestellt wurde, ward infolge des galizischen Aufstandes am 6. November 1846 an Osterreich uberlassen und 1849 mit Galizien vereinigt. II. Greschiehte des Bffentlichen Rechtes unter den Kaisern Franz I. (II.) und Ferdinand I. (17921848.) a) Anderungen in der Organisation der Verwaltung. 2 ) I. Die Centralbehbrden. Nach dem Tode K. Leopolds II. (1. Marz 1792) und der Thron- besteigung Franz II. machte sich zunachst ein unsicheres Experiinentiereu a ) 'Diese wurde ihm erst nach seiner letzten Niederlage entzogen. 2 ) Domin-Petrushevecz, S. 212 ff. Hock-Bidermann, S. 637 ff. d'Elvert, Zur osterreichischen Verwaltungs-Geschichte, S. 505 ff. Beer in n Mittheilungen u , 15, 305 ff. Iin allgemeinen s. iiber diese Periode die freilich grau in Grau gemalte Dar- stellung bei A. Springer, Geschichte Osterreichs seit dem Wiener Frieden 1809. 1. Bd. 232 geltend. Durch Allerhochstes Handschreibeu vom 13. November 1792 1 ) be- fahl der Kaiser, die bohmisch-osterreichische Hof kanzlei mit der Hof kaminer in die engste Verbindung zu bringen. Diese vereinte Stelle, welcher also die politische Verwaltung, die Administration der Finanzen mit Einschluss der ungarischen und siebenbiirgischen Kammersachen und die Handelsangelegenheiten iibertragen wurden, sollte nicht mehr Kanzlei, sondern ,,Directorium in cameralibus der hungarisch-siebenbiirgischen und der deutschen Erblande wie auch in publico-politicis dieser letzteren" heifien und einen ,,0brist - Directorialminister" 2 ) als Vorsteher, eiuen ,,Directorial-Hofkanzler" fur die ; ,Publico-politica" und zwei Cameral-Viceprasidenten, einen fiir die ungarischen und siebenbiirgi- schen und einen fiir die erblandischen Cameralia, erhalten. Fiir die Be- sorgung der erblandischen Geschafte sollten sechs Provinzial-Departe- ments oder Bureaux (1. das bohmische, 2. das mahrisch-schlesische, 3. das galizische, 4. das fiir Osterreich ob und unter der Enns, 5. das innerosterreichische, 6. das fiir die o'sterreichischen Vorlande) errichtet werden und jedes aus zwei Hofrathen, einem als Keferenten fiir die Canieral- und einem fiir die politischen Sachen, und drei anderen Beamten bestehen. Es sollten im Directorium zwei Senate gebildet werden, einer fiir die Cameralia und Politica der bohmischen Lander und Gali- ziens, und einer fiir die der deutsch-osterreichischen Lander uud die Cameralia von Ungarn und Siebenbiirgen, und es sollten die (drei) Ca- meral-Hofrathe, wenigstens theilweise, auch an der Berathung und Ent- scheidung der finanziellen und politischen Angelegenheiten der bohmischen Lander und Galiziens theilnehmen. Mit diesem Directorium wurde auch die Hofrechenkammer als flStaats-Hauptbuchhaltung" in eine gewisse Verbindung gebracht, unmittelbar aber mit dem Staatsrathe als der eigentlichen Staatscontrole vereinigt. Andererseits wurde fiir sammtliche Erblander ein eigener Polizei-Staatsminister ernannt. 1794 erhielt die Staatsbuchhal- tung als ,,oberste Staatscontrole" wieder einen eigenen Prasidenten. Im Jahre 1797 wurden die Finanzen wieder von der politischen Verwaltung getrennt und fiir die Commerz-, Cameral- und Bancalsachen eine Finanz-Hofstelle errichtet, an deren Spitze ein Finanzminister und Hofkammerprasident gestellt wurde. Dagegen wurde jetzt mit der politischen Administration der deutsch- bohmischen Lander die J ) Mit den Gegenbemerkungen des Grafen Kolowrat uud den Entscheidungen des Kaisers hierliber mitgetheilt yon Biidinger, Zu den Verwaltungsgrundsatzen des Kaisers Franz (Separat-Abdruck aus der n Osterr.-Ungar. Eevue" 1888), S. 10 ff. 2 ) Auf die Vorstellungen des fiir diese Stelle ernaimten Grafen Kolowrat durfte er in gewissen Actenstiicken auch noch den Titel B 0bristkanzler" fiinren. Vom Jahre 1796 an hieB er B dirigierender Minister". 233 Leitung der Justizgeschafte vereinigt. Das Directorium erhielt wieder den Namen ,,bohmisch-6sterreichische Hofkanzlei". Fur das durch die letzte Theilung (1795) vergroflerte Galizien wurde aber eine eigene ,,galizische" Hofkanzlei mit denselben Befugnissen er- richtet. In den nachsten Jahren traten neue Veranderungen ein, die sich ebensowenig behaupteten. Erst am 26. August 1802 wurden Ein- richtungen getroffen, die sich dann im wesentlichen bis 1848 erhalten haben. Die politische Verwaltung der gesammten n deutschen" (auch bohmischen) Erblande, Galiziens und der italienischen Gebiete 1 ) wurde der vereinigten Hofkanzlei tibertragen, fur das Justizwesen der ge- nannten Lander die oberste Justizstelle wieder ins Leben gerufen. Fur die Verwaltung n aller Staats-Wirtschaftszweige der ganzen Monarchic" wurde wieder eine Hofkammer und Banco-Deputation bestellt und derselben auch die montanistische Hofstelle, die Finanz- und Credit- commission, eine Commission fur Commerzsachen und eine Domanen- commission untergeordnet. Die Behandlung der Geschafte bei den Hofstellen war in der Eegel wie bisher eine collegialische, und es wurden dieselben durch Stimmenmehrheit der Eathe entschieden. Doch kam nach und nach fur yiele Gegenstande die Prasidialbehandlung auf, indem sie der Chef ohne Zuziehung der Eathe erledigte. Durch Cabinetsschreiben vom Jahre 1806 wurde der Wirkungs- kreis der Hofstellen wie die der Landesbehorden mehrfach erweitert, aber die Controle verscharft, indem die Hofstellen die Protokolle alle vierzehn Tage dem Kaiser, die Landesbehorden der betreffenden Hofstelle Torlegen mussten. An die Stelle des Staatsrathes war am 31. August 1801 ein.Staats- und Conferenz-Ministerium als oberste Eevisionsstelle fur sammt- liche Staatsgeschafte getreten, welches aus drei Departements be- stand, fur das Auswartige unter dem Staatskanzler, fiir Kriegs- und Marine-Angelegenheiten unter dem Kriegsminister und fiir das Innere unter dem dirigierenden Staatsminister. Unter dem letztge- nannten standen der oberste bohmisch-osterreichische, der ungarische, der siebenburgische und (bis zum Verluste der venetianischen Gebiete im Jahre 1805) der italienische Hofkanzler und nach der Wiederherstel- lung der Hofkammer auch die Vorsteher der verschiedenen Finanz-Central- behorden. Diese Minister hielten unter dem Yorsitze des Kaisers zur a ) 1793 war das italienische Departement der Hofkanzlei von dieser getreunt und eine eigene italienische Hofkanzlei errichtet worden, die 1803 den Nameu n dal- matinisch-albanesische Hofkanzlei" erhielt und nach dem Verluste der ehemals venetianischeu Besitzungen im Jahre 1805 aufgelost wurde. 234 Berathung und Erledigung der in ihr Ressort fallenden wichtigeren Ange- legenheiten ge in ein same Conferenzen ab, in denen die Staats- und Conferenzrathe der einzelnen Ministerien die von ihnen vorbereiteten Vortrage erstatteten, wahrend sie sich an der Berathung selbst nicht zu betheiligen hatten. Keine Behorde verkehrte iibrigens mit dem be- treffenden Departement des Conferenz-Ministeriums direct, sondern alle Vorlagen wie die Allerhochsten Entscheidungen nahmen ihren Weg durch das geheime Cabinet, zu dessen Leitung schon von K. Leopold II. 1792 ein Cabinetsminister ernaunt worden war. Doch liebte es der Kaiser nicht, den haufigen Sitzungen der Conferenz beizuwohnen, selbst in die Debatte einzugreifen und miindlich auf der Stelle eiue Entschei- dung zu treffen. Er zog es vor, sich mit einzelnen Mannern zu be- sprechen oder sich von den Rathen schriftliche Gutachten vorlegen zu lassen. Die Conferenzen wnrden daher immer seltener und am 7. Juni 1808 das Staats- und Conferenz-Ministerinm ganz aufgehoben, dagegen aber der Staatsrath wieder hergestellt. Durch Handschreiben d. d. Troves, 15. Februar 1814, befahl der Kaiser, dass neben dem Staatsrathe ein Conferenzrath errichtet werden und dieser in seinem Namen einen Theil der Geschafte erledigen sollte. Der Staatsrath sollte wie bisher die ganze Staatsverwaltung mit Ausnahme der Leitung der auswartigen Angelegenheiten iiberwachen, aber sich nicht selbst in die Verwaltung einmischen und in vier Sectionen zerfallen: 1. fur die Begutachtung der Gesetzgebung und Rechtspflege, 2. fur die allgemeine Verwaltung des Innern, 3. die Finanzverwaltung, 4. die Verwaltung des Kriegswesens. In jeder Section sollte auch ein Ungar sein. Jede Section sollte (Instruction vom 17. November 1814) fur sich berathen und ihre Beschltisse mittels der Sitzungsprotokolle zur Kenntnis des Kaisers bringen, der sie genehmigte oder verwarf, *) wie sich dieser auch vorbehielt, einzelne Rathe als specielle Vertrauensper- sonen urn ihre Meinung zu fragen oder einzelne Stiicke von vorneherein einem solchen oder einem Minister zur mundlichen Berichterstattung zu- zuweiseu. Wenn eine gerneinsame Sitzung aller Sectionen stattfande, sollte der Kaiser selbst oder ein von ihm bestimmter Staatsminister den Vorsitz fiihren. Vor den Conferenzrath sollten nach erfolgter Durch- berathung im Staatsrathe vorziiglich solche Fragen gebracht werden, welche wegen besonderer Wichtigkeit vom Kaiser dahin verwiesen wiirden, *) Durch Allerhochstes Cabinetsschreiben vom 24. April 1829 behielt der Kaiser seiner Entscbeidung vor: n die Gnadenbezeigungen, Ernennungen zu hoheren Stellen, die Ent- scheidung liber die wicbtigsten Gegeustande, darin iiber neue Einriehtung oder Abande- rung der bestebenden Ordnung der Dinge und der Gesetze, wie auch iiber Geschafte, wo sich die Hofstellen nicht vereinigen, und endlich die Centralleitung des Staates". Biidinger, a. a, 0., S. 3. 235 oder beziiglich deren unausgeglichene Meinungsverschiedenheiten bestan- den, und es sollte derselbe theils aus standigen Mitgliedern bestehen, die vom Kaiser aus den Staats- und Conferenzministern, den Prasidenten und Staatsriithen ernannt, theils aus zeitlichen, die nur fur einzelne Falle berufen wurden. Es scheinen iibrigens uur sehr selten solche Conferenzen abgehalten worden zu sein. 1813 wurde zuerst provisorisch, 1816 definitiv ein eigener Finanz- minister ernannt, welchem die Leitung der Creditinstitute und Credit- operationen. die Entwerfung der Staatsvoranschlage und die Verhand- lungen fiber die Grundsatze wie die Bestimmungen der Grund-, Erwerb-, Personal- und Classensteuer iibertragen wurden, wahrend der Hofkammer blofi die Verwaltung gelassen wurde. Im Jahre 1808 wurde auch eine Studien-Hofcommission er- richtet. Beziiglich der auBeren Form der obersten Hofstellen trat auch nach dem Tode des Kaisers Franz I. (am 2. Marz 1835) keine wesent- liche Anderung ein. Nur erhielt 1836 die Staatsconferenz einen standigen Vorsitzenden, indem Erzherzog Ludwig und in dessen Abwesen- heit Fiirst Metternich zum Prasidenten derselben ernannt wurde. Auch wurde bestimmt, dass der Prasident aufier den ordentlichen Mitgliedern (dem Erzherzoge Ludwig, Metternich, dem Erzherzoge Franz Karl und fur die Finanzen Graf Kolowrat) nicht bloB eine Section des Staatsrathes, sondern mehrere oder alle wie auch die Prasidenten der Hofstellen sollte beiziehen konnen. x ) 2. Die Provinzialverwaltung. Beziiglich der Eintheilung der Provinzen und ihrer Verwaltung hatte die Abtrennung der westlichen Lander durch die Friedensschlusse von Presburg (1805) und Schonbrunn (1809) wie die Wiedergewinnung derselben (1813/14) manche Veranderungen zur Folge. Die Gebiete in Vorarlberg, die einzigen, welche von den osterreichischen Vorlanden noch behauptet worden waren, wurden mit Tirol vereinigt, bildeten aber einen eigenen Kreis. Die italienischen Besitzungen erhielten den Namen lombardisch-venetianisches Konigreich, das unter einem Vicekonige stand, aber in zwei Guberuien, das der Lombardei (das ehe- malige Herzogthum Mailand mit Mantua und den venetianischen Gebieten westlich vom Mincio) und das venetianische zerfiel. Von den 1809 an Baiern abgetretenen Gebieten, die 1814 und 1816 wieder an Osterreich J ) Springer, Geschichte Osterreichs seit dem Wiener Frieden 1809, 1, 441 ff. H. v. Sybel, Die osterreichische Staatsconferenz von 1836. B Historische Zeitschrift", 38, 385 ff. 236 zuruckkamen, wurden das Inn- und Hausruckviertel wie Salzburg 1 ) (dieses als Salzburger Kreis) mit dem Lande ob der Enns ver- einigt und unter die Kegierung von Linz gestellt. Die Gebiete, die 1809 an Frankreich gekommen waren (die ,,illyrischen Provinzen"), wurden 1814 dem Kaiserthum Osterreich einverleibt, und zwar wurde das ostliche Pusterthal wieder mit Tirol vereinigt, das Konigreich D al- ma tien" erhielt eine eigene Verwaltung, aus den tibrigen Gebieten wurde 1816 das ,,Konigreich Illyrien" geschaffen, welches in zwei Gubernien, das von Laibach und das von Triest, zerfiel. Zu jenem ge- horten Kraiu und das westliche Karnten (der Yillacher Kreis) und seit 1825 auch der bisher unter dem Gubernium von Steiermark stehende Klagenfurter Kreis, zu diesem Triest, die ehemals gorzischen Gebiete und ganz Istrien, das ehemals ungarische Litorale (Fiume, Zengg u. s. w.) und Civilcroatien am rechten Ufer der Save. Doch wurde dieses 1822 davon abgetrennt und auch Fiume an Ungarn zuriickgegeben. Zur Competenz der Landesstellen oder Gubernien 2 ) gehorte die ganze Verwaltung mit Einschluss der Cultus- und Unterrichtsange- legenheiten, der Leitung der Gewerbe, der Sicherheitspolizei und der Biichercensur. Die Behandlung war, abgesehen von einigen dem Pra- sidium vorbehaltenen Gegenstanden, auch hier eine collegialische. In den unter en Instanzen wurden in dieser Periode nur auf dem Gebiete der Finanzverwaltung wichtigere Veranderungen ge- troifen. Dieselbe wurde von den politischen Behorden unabhangiger und in sich einheitlicher gestaltet. Nur die Yerwaltung der meisten directen Steuern verblieb noch dem Gubernium, welches dieselben ausschrieb, ihre Einhebung und Abfuhr uberwachte uud bis zu einer gewissen Grenze Steuernachlasse bewilligte. Die Verwaltung der indirecten Steuern mit Ausnahme einzelner Zweige (z. B. der Post, des Lotto, des Pulver- und Salnitergefalles). fur die es besondere Stellen gab, wurde 1830 den in jeder Provinz neu eingerichteten Cameral-Gefallenverwaltungen iiber- tragen; 1832 wurden auch Cameral-Bezirksverwaltungen errichtet. Die Kreisamter hatten mit der Verwaltung der Steuern nichts mehr zu thun, sondern nur eventuell die Steuerbehorden bei der Einhebung zu unterstutzen. Dagegen mussten die Herrschaften und Magistrate die Steuerlisten in Evidenz halten und die Steuern einheben und abfuhren. Zur Entscheidung der Gefallsubertretungen wurden Gefallsge- richte eingesetzt, welche aus rechtskundigen Camera!- uud aus Justiz- beamten zusammengesetzt wurden. *) Aber ohne Berchtesgaden und die Gebiete am linken Ufer der Salzach, die bei Baiern bliebeii. 2 ) Es gab deren zwolf. Docb. bieCeii die in Wieii uud Linz Landesregieruugen. 237 3. Die Organisation der Gerichte. Die Organisation der Gerichte blieb in dieser Periode im wesentlichen unverandert, und nur die bleibende oder vorubergehende Erwerbung neuer Lander und die Wiedergewiunung der an Frankreich und Baiern abgetretenen Provinzen fuhrten im einzelnen manche Umge- staltungen hervor. Die Einzelgerichte und in manchen Provinzen auch Collegialgerichte bildeten die erste, die Appellationsgerichte die zweite und der oberste Gerichtshof die dritte Instanz. Den Einzelrichtern stand theils die Criminal- und Civilgerichtsbarkeit, theils nur die letztere zu. Die Collegialgerichte ubten die Criminaljurisdiction in einem grofieren, die Civilgerichtsbarkeit in einem kleineren Bezirke. Die Zahl der Patrimonialgerichte verminderte sich stetig, weil in den Landern, die voriibergehend unter bairischer und franzosischer Herrschaft ge- standen. dieselben aufgehoben worden waren und viele Herrschaften sie auch nach der Kiickkehr unter Osterreich nicht mehr iibernehmen wollten, andere Herren spater auf die Gerichtsherrlichkeit verzichteten, weil sie Kosten fur die Anstellung eines gepruften Kichters nicht mehr tragen wollten oder konnten. In den westlichen Provinzen wurden nach der Kestauration der osterreichischen Herrschaft den Gerichten erster Instanz, den Pfleggerichten in Oberosterreich und Salzburg, den Laiid- gerichten in Tirol und Vorarlberg, den Bezirkscommissariaten in den illyrischen Gebieten und den Praturen in Dalmatien auch die politische Yerwaltuug und die Steueradministration ubertragen. In diesen Provinzen traten auch an die Stelle der fruheren Land- rechte r Stadt- und Landrechte" (in Linz, Salzburg, Innsbruck, Klagenfurt, Laibach, Gorz, Triest und Kovigno), welche nicht blofi wie jene die Gerichtsbarkeit iiber den Adel und die Geistlichkeit ihres Landes, sondern auch die Criminalgerichtsbarkeit in ihrem Lande oder Kreise und die Civiljurisdiction fiber die betreffende Stadt ubten. b) Das Steuerwesen. Die wichtigste Anderung auf dem Gebiete der directen Steuern war das Grundsteuer-Provisorium vom Jahre 1819 fur die meisten nichtungarischen Provinzen. *) Durch Patent vom 23. December 1817 wurde die Einfiihrung eines allgemeinen Catasters angeordnet. Weil aber bis zur Vollendung desselbeu eine langere Zeit vergehen musste, 2 ) wurde rnit Allerhochster Entschlieflung vom 8. Februar 1819 die Einfiihrung eines *) d'Elvert, Zur osterreichischen Finanz-Geschichte, S. 678 ff. In den Gebieten, die einige Zeit unter bairischer und franzosischer Herrschaft gestanden, wurde die da- mals eingefuhrte Grundsteuer gelassen. 2 ) Er trat erst 1851 ins Leben. 238 Grundsteuer-Provisoriums verfiigt, welches am 1. November 1820 in Kraft treten sollte. Die Steuer sollte vom Keinertrage des culturfahigen Bodens, der durch Vermessung und Schatzung festzustellen war (Grimd- steuer), wie vom Zinsertrage der Gebaude (in den grofieren Stadten als Hausziussteuer, in den anderen Orten als Hausclassensteuer) und von den Urbarial- und Zehentgeniissen der Herrschaften erhoben werden. Auf dem Gebiete der indirecten Besteuerung wurden theils wahrend der Kriege gegen Frankreich, theils 1816 zur Tilgung der Kriegsschulden fur kurzere oder langere Zeit neue Steuern eingefiihrt, wie 1799 als Ztischlag zur Contribution die Kriegssteuer, an deren Stelle noch iin namlichen Jahre die Classensteuer trat, die eine Mischung von Einkommensteuer, Gewerbsteuer, Kopfsteuer und Zuschlag zur Contri- bution war, 1806 eiue Vermogenssteuer ( l / 2 Percent), 1812 die Erwerb- steuer, 1816 gegen Aufhebung der Zuschlage die Personal- und Classen- steuer. An deren Stelle wie an die verschiedener Consumtionssteuern trat 1829 die allgemeine Verzehrungssteuer. 1 ) c) Das Militarwesen. 2 ) Der Hofkriegsrath wurde in dieser Periode insoferne umgestaltet, als 1801 statt der Rathe aus dem Civilstande, welche bisher den grofieren Theil der Stelleu innegehabt, Generale ernaunt wurden. Nachdem am 26. Janner 1801 Erzherzog Karl Prasident des Hofkriegsrathes geworden war, wurde fiir denselben ein besonderes Kriegs- und Marinemini- sterium creiert und ihm zugleich das Referat fiber Militarangelegen- heiten in der Staatsconfereiiz ubertragen. Wochentlich einmal fanden beim Kaiser unmittelbar fiber militarische Angelegenheiten Berathungen statt, welchen der Erzherzog und zwei ihm an die Seite gegebene Ge- nerale (einer fur die militarischen, einer fur die politisch-okonoinischen Angelegenheiteu) beiwohnten. Der Kriegsrath, der seinen eigenen ,,Kriegsprasidenten" behielt, trat ganz in den Hintergrund, bis infolge des Krieges von 1809 der Erzherzog in das Privatleben zurucktrat. Jetzt erhielt der Hofkriegsrath wieder seine fruhere Einrichtung, ja seine Be- fugnisse wurden erweitert und 1812 das Kriegsministerium voll- standig beseitigt. 1824 wurde auch das Marine-Obercommando dem Hofkriegsrathe untergeordnet. J ) d' El vert, S. 720 ff. G. v. Pleuker, Die Entwickluug der indirecten Ab- gaben in Osterreich. III. 1790-1848. n Osterr.-ungar. Kevue" 1863, 5, 80 ff. 2 ) H. Meynert, Geschichte der k. k. osterreichischen Armee, 4, 113 ff. und desseii r Geschichte des Kriegswesens und der Heerrerfassung in Europa", 3, 296 ff. Vgl. Bidermann in Griinhuts n Zeitschrift fiir das Privat- und offentliche Recht", 21, 393 ff. 239 Auch die Militarjustiz erhielt eine Umgestaltung, indem mit dem 1. Janner 1803 ein allgemeiues Militar-Appellationsgericht in Wirksarnkeit trat, welches in Civil- und Criminalsachen fiir das Militiir die zweite Instanz bildete, von dem aber in den meisten Fragen noch eine Berufung an den Hofkriegsrath gestattet war. Die in der Militar- grenze bestehenden Militar-Appellationsgerichte in Agram, Peterwardein und Hermannstadt wurden 1810 zu einem einzigen in Peterwardein und 1815 auch dieses mit dem allgemeinen Militar-Appellationsgerichte in Wien vereinigt. Im Jahre 1802 wurde durch kaiserliches Patent fiir die conscri- bierten Erblande der lebenslangliche Kriegsdienst durch eine Capitu- lation fiir eine bestirnmte Zahl von Jahren (10 fur die Infanterie, die Pontoniere und das Fuhrwesen, 12 fur die Cavallerie, 14 fur die Artillerie und das Geniecorps) ersetzt, nach deren Ablauf es den Soldaten freistand, auszutreten oder gegen gewisse Vortheile eine neue Capitulation abzuschliefien. Als 1819 die Conscription auch in Tirol eingefuhrt wurde, ward die Dienstpflicht auf acht Jahre festgesetzt, was 1845 fur alle aus den conscribierten Provinzen erganzten Truppen erfolgte. In U n g a rn wurde- die lebenslangliche Dienstzeit erst durch den Landtag von 1839/40 durch die zehnjiihrige ersetzt und statt der willkiirlichen Aushebung das Los eingefuhrt. Die bisherige Befreiung zahlreicher Volksclassen vom Militar- dienst wurde 1827 theilweise beseitigt und auf Geistliche, Adelige, Beamte, Doctoren, Bauern mit einem Wirtschaftsbesitze, So'hne, welche fur den Unterhalt der Eltern oder Verwandte zu sorgen hatten, und auf Studie- rende mit geniigendem Fortgange beschrankt. d) Die legislatorische Thatigkeit. *) Auf dem Gebiete der Gesetzgebung, wo die Eegierung jetzt absolut schaltete, machten sich anfangs noch die Folgen der Thatigkeit unter Maria Theresia uud Joseph II. geltend. Bis zum Jahre 1808 bestand eine eigene Gesetzgebungs-Hof- commission, welche aus Rathen verschiedener Justiz- und Verwaltungs- behorden zusammengesetzt war. Im genannten Jahre wurde sie in zwei Commissionen getheilt, von welchen die eine Justizgesetze, die andere politische Gesetze berieth. Mit der Bearbeitung des allgemeinen biirgerlichen Gesetzbuche^ war von Leopold II. der Freiherr von Martini beauftragt worden, welcher den Entwurf 1796 vollendete. Schon 1797 wurde dieser als r biirgerliches Gesetz fiir Westgalizien" in diesem x ) Domin-Petrushevecz, S. 251 ff. 240 1795 erworbenen Gebiete und bald auch in Ostgalizien eingefiihrt. Nachdem diese Arbeit zuerst von Sachverstandigen in den einzelnen Pro- vinzen, dann wiederholt von einer eigenen Hofcommission und endlich noch vom Staatsrathe gepriift worden war, erhielt dieselbe am 7. Juli 1810 die kaiserliche Genehmigung und wurde mit Patent vom 1. Juli 1811 vom 1. Jiinner 1812 an als ,,allgemeines biirgerliches Gesetzbuch" eingefiihrt. K. Leopold II. hatte die Ausarbeitung eines neuen Strafgesetzes befohleu, in welcheui die verschiedenen Gesetze Josephs II. zusammen- gefasst werden sollten. Nach seiner Yollendung wurde es ebenfalls 1796 zunachst in Westgalizien, dann, nachdem es auf Grund der Gutachten verschiedener Landercommissionen von der Hofcommission noch einmal tiberpruft worden war, mit Patent vorn 3. September 1803 in alien deut- schen Erblandern eingefiihrt. x ) Auch ein neuer Entwurf fur eine neue Civilprocessordnuug wurde schon unter K. Leopold II. in Angriff genommen, da die allge- meine Gerichtsordnung von 1781 manche Mangel gezeigt hatte. Derselbe wurde in kurzer Zeit vollendet und ebenfalls 1796 zunachst als n allge- meine Gerichtsordnung fur Westgalizien" publiciert. 1803 wurde diese auch in den neu erworbenen venetianischen Provinzen, 1807 in Ostgalizien und der Bukowina, 1814 1816 in den zuruckgewonnenen Provinzen Tirol und Vorarlberg, Istrien, dem lombardisch-venetianischen Konigreiche (^italienische Gerichtsordnung"), in Salzburg und Dalmatien eingefiihrt, wahrend in den anderen Provinzen die allgemeine Gerichts- ordnung von 1781 in Kraft blieb. Auch an einer neuen Civilprocess- ordnung fiir alle nichtungarischen Lander wurde seit 1798 gearbeitet und 1820 der Entwurf einer Process- und Concursordnung" dem Kaiser vorgelegt, der sie aber nicht sanctionierte. Man beschrankte sich auf die Erlassung einzelner Verordnungen iiber verschiedene einschlagige Fragen. Fur Galizien wurde auch 1808 eine Criminalgerichts-Instruction erlassen, welche 1809 auch fiir die Criminalgerichte des Kiistenlandes vorgeschrieben wurde. e) Das Standewesen. 2 ) Die Formen des Standewesens blieben seit der Wiederherstel- lung der standischen Verfassungen unter Leopold II. im wesentlichen 1 ) Durch dasselbe wurde die unter Joseph n. aufgehobene Todesstrafe fiir zahl- reiche Falle wieder eingefiihrt, wenn auch bis zum Jahre 1848 von 1304 Todesurtheilen nur 448 vollzogen wurden. Domin-Petrushevecz, S. 305. 2 ) Am eingehendsten handelt iiber die mahrischen Stande und ihre Wirksamkeit d' El vert in ^Schriften der historisch-statistischen Section", 14, 293 ff. Uber Bohmen s. Toman, S. 208 ff., iiber Osterreich ob der Enns Pritz, 2, 623 ff. 241 unverftndert. Die Landtage erledigten die landesfurstlichen Propo- sitionen und bewilligten namentlich die postulierten Realsteuern. Die Landesansschtisse fiihrten, allerdings unter der Controle der Regierung, die Verwaltung des Dornesticalfondes und einiger kleinerer Fonde uud nahmen manchmal auch Theil aa der Einhebung landesfurstlicher Steuern. Aber der Geist entschwand aus diesen Formen immer mehr, und die Regierung engte die Wirksamkeit der Stande immer mehr ein, weil sie fiirchtete, die revolutionare Gesinnung, die in Frankreich zum Umsturz des Thrones gefiihrt hatte, konnte sich auch in Osterreich ausbreiten. Jede legislatorische Thatigkeit der Landtage suchte man zu verhuten. Den bohmischen Standen wurde 1795 mitgetheilt, dass n die Bearbeitimg und Einfuhrung eines neuen Steuerfufies bis auf ruhigere Zeiten zu verbleiben habe", und dass alle Verhandlungen fiber die Ande- rungen der Verfassung bis zum Friedensschlusse einzustellen seien. Die Regierung schrieb nicht blofi ohne Befragung der Landtage aufier- ordentliche Kriegssteuern aus, sondern hob auch bleibende Steuern ein. Selbst das Grundsteuer-Provisorium, welches die von den Standen postulierte Contribution betraf, wurde ohne Anhorung derselben einge- ftihrt. Auch beziiglich der wichtigen Justizgesetze wurde nicht ein- mal ein Gutachten der Landtage eingeholt. Die deutsche Bundesacte von 1815 bestimmte zwar im Artikel 13, dass in alien Bimdesstaaten, also auch in den zum deutschen Reiche gehorigen osterreichischen Provinzen, n landstandische Verfassungen be- stehen" sollten. Aber in Artikel 57 wurde erklart, dass die gesammte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben musse und der Souveran nur in der Ausiibung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stande gebunden werden konne. In den Verfassungen fur die wiedererworbenen zum deutschen Bunde gehorigen Provinzen Tirol (voni 24. Marz 1816) und Krain (vom 29. Au- gust 1818) sind denn auch die Rechte der Stande sehr beschrankt. In der Verfassung fur Tirol, deren Wiederherstellung ausdrucklich als ,,Gnade" bezeichnet wurde, iibertrug der Kaiser den Standen zwar n die Evidenthaltung, Repartierting und Einhebung der von ihm auf Grund und Boden gelegten Steuern nach den hieriiber von ihm festgesetzten oder festzusetzenden Bestimmungen. Aber w das Recht der Besteuerung seinem ganzen Umfange nach" behielt sich der Kaiser ausdrucklich selbst vor, und er versprach nur, n die beschlossene Ausschreibung der Grund- steuer den vier Standen in der Form eigener Postulate bekanntzugeben". Sonst wurde den Standen nur das Recht gelasseii, ,,Bitten und Vorstel- lungen" entweder unmittelbar an den Kaiser einzusenden oder dem Landesgubernium zu uberreichen. Der Kaiser traf auch die Bestimmung, dass die standischen Versammlungen in einem grofien Ausschusse von Huber. Osterreichische Eeichsgeschichte. jg 242 52 r Vocaleu", namlich 13 Mitgliedern aus jedein der vier Staude, und einer r perennierenden Activitat" von 4 ,,Vocalen", je einem aus den vier Standen, bestehen sollten. Jener n hat die Stande vorzustellen", diese unter Controle der Kegierung die Verwaltung der laufenden Ge- schafte zu fiihren. Die Ernennung des Landeshauptmannes, dessen Amt ubrigens immer dera Landesgouverneur anvertraut werden sollte, und die Aufnahme neuer Mitglieder in die standische Matrikel behielt sich der Kaiser bezuglich aller vier Stande selbst vor. *) Die Verfassung ftir Krain und die fiir Galizien mit Ein- schluss der Bukowina (vom 13. April 1817) stimmen in den wichtigsten Punkten wortlich mit der tirolischen uberein. 2 ) Auch die 1815 einge- setzten Centralcongregationen der Lombardei und des venetiauischen Konigreiches, welche aus adeligen und biirgerlichen Gruudeigenthumern und Abgeordneteu der koniglichen Stadte zusarnmengesetzt wurden, er- hielten nur berathende Befugnisse und das Petitionsrecht. Die Verfassung Ungarns wurde nicht geandert und wahrend der Kriege gegen Frankreich die Stande auch regelmaflig alle drei Jahre versammelt, weil sich die Kegierung Steuern und Kecruten bewilligen lassen musste. Als sich aber der Landtag von 1811/12 weigerte, die Herabsetzung des Wertes der wahrend der Kriege ungeheuer verrnehrten Bancozettel auf ein Fiinftel ihres Nennwerthes auch fur Ungarn eiiifach anzuerkennen und den verlangten Beitrag zur Tilgung der dafiir ausge- gebenen ,,Einl6suugsscheine" zu bewilligen, wurden die Stande 13 Jahre nicht mehr berufen. Die Kegierung suchte von den Comitaten unmittel- bar Subsidien und Recruten zu erhalten. Erst als dieselbeu sich nicht raehr fugten, wurde 1825 der Landtag wieder einberufen, welcher es deni Konige neuerdings zur Pflicht machte, die Stande alle drei Jahre zu versammeln, und diesen allein das Recht der Steuer- und Recrutenbewilli- gung zusprach. Fortan wurden diese Gesetze auch eiugehalten, aber der Gegensatz zwischen der Regierung und der offentlichen Stim- mung in Ungarn immer schroffer, weil sich hier eine Reformpartei bildete, welche constitutionelle Einrichtungen, namentlich auch eine Erweiterung der Rechte der Stande anstrebte und, besonders als Kossuth die Fuhrung erhielt, ungestiim vorwarts drangte, wahrend die Regierung und die con- servative Mehrheit der Magnaten. obwohl einzelnen Verbesserungen socialer und administrativer Natur nicht abgeneigt, eher eine Starkung der Re- gierungsgewalt anstrebten. Noch mehr zeigten sich die absolutistischen Tendenzen der Regieruug in Siebenbiirgen, wo nach den unter K. Leopold II. 1791 gegebenen J ) A. Jager, Tirols Riickkehr unter Osterreich, S. 177 ff. 2 ) Die betreffendeu Artikel .zusainmengestellt von d'Elvert, a. a. 0., S. 315 n. 243 Gesetzen die Stiinde jahrlich zusammentreten sollten, aber unter Franz I. der Landtag nur zweimal (1809 und 1834) einberufen ward. f) Das Stadtewesen. Die Ver wait ung der landesfiirstlicheu Stadte wurde in dieser Periode noch mehr bureaukratisch. Schon 1793 wurde durch eine kaiserliche Verordnung verfiigt, dass die Biirgermeister dieser Stadte ihr Aint lebenslanglich behalten sollten. 1803 wurde auch die Wahl jener Magistratsraitglieder, welche im Civil- oder Criminalsenate be- schaftigt waren, abgeschafft und verordnet, dass dieselben auf Vorschlag des Magistrals von den Appellationsgerichten oder, wenn sie auch mit politischen Geschaften zu thun batten, von der Landesstelle ernannt werden sollten. 1808 wurde auch die Wahl der politischen und okono- mischen Magistratsrathe beseitigt. Die stadtische Verwaltung und Justiz wurden also nur noch von besoldeten Beamten besorgt. Zugleich wurde die Bevornaundung der Magistrate noch verscharft und ohne Be- willigung der Regierung keine grofiere Ausgabe mehr gestattet. J ) g) Die Unterthansverhaltnisse. Bezuglich der Stellung der Unterthanen zu den Obrigkeiten trat in dieser Periode keine wesentliche Anderung ein. 2 ) Die Kegierung gab es auf, die Umwandlung der Koboten in Geld oder andere Leistungen zu fordern, und tiberliefi dies durch ein Patent vom Jahre 1798 ganz dem freien Ubereinkommen. Ja es machten sich sogar bei den Standen wie im Schofie der Kegierung Bestrebungen geltend, solche Vertrage nicht fur immer, sondern nur fur eine bestimmte Zahl von Jahren zuzulassen. Auch auf deu Gutern des Staates und der 6'ffentlichen Fonde wurden die Ablosungen eingestellt. Selbst als im Fruhjahre 1846 im Tarnower Kreise ein Aufstand der Bauern ausbrach und diese auch in anderen Gegenden Galiziens die Roboten verweigerten, beschriinkte sich die Kegierung auf die Eiiassung eines Patentes (18. December 1846), welches neuerdings aussprach, dass die Ablosung der Roboten und Zehentpflicht auf dem Wege freiwilliger Ubereinkommen gestattet sei. ' Tiefergreifende Reformen wurden in Ungarn eingefuhrt. Der Land- tag von 1832/36 gab ein Gesetz, welches die Umwandlung der Roboten und anderer Naturallasten in eine Geldabgabe erlaubte, den Bauern ge- stattete, im eigenen Namen, nicht durch Vermittlung des Grundherrn, *) Weiss, Geschichte der Stadt Wien, 2, 374 ff. 2 ) Griinberg, 1, 356 if.; 2, 472 ff. 16* 244 Processe zu ffihren, und die Verhangung von Korperstrafen durch die Herrenstuhle untersagte. Ein Gesetz von 1843/44 gestattete die ganz- liche Ablosung der bauerlichen Leistungen und Abgaben durch Geld im Falle freiwilliger Ubereinkunft. h) Das Verhaltnis des Staates zur Kirche. *) In der Haltung der Staatsgewalt zur katholischen Kirche trat nach dem Tode Leopolds II. keine wesentliche Anderung ein. Auch imter den Kaisern Franz I. und Ferdinand I. blieb der ,,Josephinismus" herrschend. Die Kirche war in ihrer aufleren Erscheinung, namentlich beziiglich der Vermogensverwaltung der Aufsicht des Staates unterworfen. Der Verkehr der Bischofe mit dem Papste blieb untersagt. Auch beztiglich des Eherechtes blieben die fruheren Principien mafigebend. Das bfirger- liche Gesetzbuch bezeichnet die Ehe als Vertrag, trifft Anordnungen fiber die Eiugehung und Scheidung derselben wie fiber Ehehindernisse, ohue auf das canonische Recht Eiicksicht zu nehmen, und weist die Ehe- gerichtsbarkeit den staatlichen Behorden zu; doch gestattet es bei Katho- liken keine Auflosung einer giltigen Ehe, sondern nur eine Scheidung von Tisch und Bett. Selbst manche Kloster wurden in dem 1795 er- worbenen Westgalizien und in den venetianischen Provinzen (nach 1797) aufgehoben. Doch war die Praxis bei Handhabung der Verordnungen besonders in der zweiten Periode der Regierung des Kaisers Franz eine den kireh- lichen Anschauungen gfinstigere. Es wurde die Errichtung bischof- licher theologischer Lehranstalten erlaubt, ja begiinstigt, die Ablegung der bindenden Ordensgelubde schon mit dem 21. Jahre gestattet, dem Clerus eine gewisse Aufsicht fiber die Volksschulen, ja auch die Gym- nasien eingeraumt, in den philosophisehen Studienanstalten die Religions- lehre als obligates Fach eingeffihrt, das Referat fiber die kirchlichen und Studiensachen bei den Landesstellen an Geistliche fibertragen. Doch wahrte sich der Staat in alien Unterrichtsfragen die oberste Aufsicht und Melt daran fest, dass er auch ffir die theologischen Anstalten Lehr- plane und Lehrbficher vorzuschreiben habe. Fur die Protestanten wurde 1819 eine theologische Lehr- anstalt in Wien errichtet, wogegen ihren Theologen der Besuch der uorddeutschen Universitaten verboten wurde. J ) J. Beidtel, Untersuchuugen iiber die kirchlichen Zustande in den osterreichi- schen Staaten, S. 160 ff. 245 Filnfte Periode. Die Bildung der gegenwartigen territorialen und staats- rechtlichen Zustande (18481879). I. Geschichte der territorialen VerMltnisse. I. Der Verlust der italienischen Besitzungen. Der Aufstand der Lombarden und Venetianer gegen die osterreichische Herrschaft ira Marz 1848 und der Angriff Sardinians batten keine territorialen Veranderungen zur Folge. Die Siege Radetzkys bei Custozza (25. Juli 1848) und bei Novara (23. Marz 1849) fuhrten zur Wiedereroberung der Lombardei und zum Frieden mit Sardinien, welcher den friiheren territorialen Zustand wieder herstellte. Aber im Juli 1858 traf der Kaiser Napoleon III. mit dem sar- dinischen Ministerprasidenten Cavour entscheidende Verabredungen, wo- nach er sich verpflichtete, gegen die Uberlassung von Savoyen und Nizza dem Konige von Sardinien den Besitz von ganz Oberitalien zu verschaffen. Die drohende Anrede Napoleons an den Ssterreichischen Gesandten (1. Janner 1859) gab Anlass zu Riistungen beider Theile und, als Sar- dinien die verlangte Entwaffnung verweigerte, zur Uberschreitung der Grenze durch die osterreichische Armee (29. April 1859). Aber diese wurde am 4. Juni bei Magenta und am 24. Juni bei Solferino von den Franzosen und Sardiniern geschlagen, worauf Osterreich am 8. Juli einen Waffenstillstand und am 11. Juli bei einer Zusammenkunft des Kaisers mit Napoleon Friedenspraliminarien schloss, wouach die Lombardei an Sardinien abgetreten werden, die vertriebenen mittelitalie- nischen Fursten, der Grofiherzog von Toscana und die Herzoge von Mo- dena und Parma, aber in ihre Lander wieder eingesetzt werden sollten. Obwohl diese Bestimmungen auch noch im Zuricher Frieden vom 10. November erneuert wurden, erhielten die genannten Fursten ihre Lander nicht mehr zuriick, und es wurden diese mit Sardinien vereinigt, dessen Ko'nig nach der Eroberung Siciliens und Neapels 1861 den Titel eines Konigs von Italieu annahm. Um auch noch das Venetianische zu erhalten, schloss Italien am 8. April 1866 ein Bundnis mit Preufien, welches mit Osterreich wegen der schleswig-holsteinischen Frage zerfallen war, und begann gleichzeitig mit jenem am 22. Juni den Krieg. Trotz der Siege des Erzherzogs Albrecht bei Custozza (24. Juni) und des Admirals Tegetthoff bei Lissa (20. Juli) musste Osterreich infolge der Erfolge Preufiens im Frieden von Wien am 3. October Venetien innerhalb seiner bisherigen Grenzeu an Italien abtreten. 246 2. Die Ausseheidung Osterreichs aus Deutschland. An dem Frankfurter Parlamente, welches im Jahre 1848 eine neue Verfassung fur Deutschland eutwerfen sollte, nahmen auch Abge- ordnete der deutschen Bundeslander Osterreichs theil, obwohl viele, be- sonders dechische Bezirke die Voruahme der Wahl verweigert hatten. Aber der Versuch scheiterte an der Schwierigkeit, Osterreich und Preufien einer fremden Centralgewalt oder einer fremden Volksvertretung zu unter- werfen und an der Eivalitat beider Machte, wie am Particularismus vieler deutscher Kleinstaaten. Die osterreichische Kegierung wollte die deut- schen Provinzen des Keiches von den iibrigen nicht trennen, und als in Frankfurt die Tendenz, einen Buudesstaat unter preufiischer Fuhrung mit Ausschluss Osterreichs, wenn auch im Bunde mit diesem, zu grunden, immer mehr an Boden gewann und die Grundung eines erblichen Kaiser- thums und die Ubertragung dieser Wurde an den Konig von Preufien beschlossen wurde, berief sie die osterreichischen Abgeordneten (5. April 1849) aus Frankfurt ab. Die vom Parlamente dem Konige von Preufien angebotene Kaiserwurde lehnte dieser ab. Das Streben desselben, einen engeren Bundesstaat, die Union", zu grunden, vereitelte Osterreich durch die Verbindung mit den suddeutschen Kouigen, die Wiederberufung des Bundestages (auf den 1. September 1850) und den Einmarsch in Kurhessen. Am 29. November willigte Preufien in Olmutz in die Aufhebung der Union und in die Kevision der deutschen Bundesverfassung, durch welche (Mai 1851) der alte Bundestag wieder hergestellt wurde. Dagegen ver- mochte Osterreich den Eintritt aller seiner Lander oder doch eine Zoll- einigung mit Deutschland nicht durchzusetzen, und es kam nur (19. Februar 1853) ein Handelsvertrag zu Stande, der die bisherigen Schranken zwi- schen Osterreich und dem deutschen Zollverein theilweise beseitigte. Im Jahre 1863 nahm Osterreich auf Eath Schmerlings den Plan einer Bundesreform wieder auf. Der Kaiser lud die deutschen Fursten zu einem Congress in Frankfurt ein, der am 17. August eroffnet wurde, und legte einen Eeformplan vor, wonach ein Directorium von fiinf Fursten an der Spitze des Bundes stehen, Osterreich den Vorsitz behalten, Dele- gierte der einzelnen Landtage der deutschen Bundesstaaten zu einer Ver- sammlung mit gesetzgebenden Befugnissen und dem Eechte der Ent- scheidung uber Krieg und Frieden zusammentreten sollten. Aber das Project scheiterte an der ablehnenden Haltung Preufiens, dessen Konig dem Congresse von Anfang an fernblieb. Ungeachtet der Spannung zwischen Osterreich und Preufien, welche die Folge hievon war, verbanden sich doch beide in der schleswig-hol- steinschen Frage, indem sie nach dem Erlo'schen des Mannsstammes der danischen Konigsfamilie mit dem Konige Friedrich VII. (15. November 247 1863) im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Fursten die An- spriiche des Herzogs Friedrich von Augustenburg gegenuber der gliicks- burgischen Linie nicht anerkannten und nur wegen der vertragswidrigen Trennung Schleswigs von Holstein und der Einverleibung des ersteren in den danischen Gesammtstaat Anfangs 1864 den Krieg begannen. Aber fiber den Besitz Schleswig-Holsteins (mit Lauenburg), welches Danemark im Frieden vom 30. October 1864 an die beiden Grofimachte abtreten musste, eutzweiten sich diese, da Preufien bemuht war, die beiden Herzog- thiimer entweder fur sich zu erwerbeu oder sich wenigstens die Militar- hoheit fiber dieselben zu sichern. Osterreich naherte sich nun wieder der Mehrheit des Bundestages, welche am Kechte des Herzogs von Augusten- burg festhielt, wahrend Preufien ein Bundnis mit Italien schloss und die Osterreicher zur Raumung Holsteins zwang. Als jetzt der Bundestag am 14. Juni 1866 auf Antrag Osterreichs (mit 9 gegen 6 Stimmen) die Mo- bilisierung des Bundesheeres gegen Preufien beschloss, antwortete dieses am 21. Juni mit einer Kriegserklarung. Sowohl gegen Osterreich wie gegen die deutschen Mittelstaaten behauptete Preufien seine Uberlegenheit. Nach der vollstandigen Niederlage der Osterreicher bei Koniggratz (3. Juli) drangen die Preufien bis in die Nahe von Wien und Presburg vor, worauf am 26. Juli in Nikolsburg ein Waffenstillstand und Friedenspraliminarien und am 23. August der Friede von Prag ge- schlossen wurde, nach dem Osterreich aus dem deutschen Bunde aus- scheiden musste und ein norddeutscher Bund unter der Hegemonie Preufiens geschlossen wurde. 3. Die Occupation Bosniens und der Hercegowina. Der Congress, welcher zur Beeudigung des Krieges zwischen Russ- land und der Tiirkei im Juui 1878 in Berlin zusammentrat, ertheilte im Vertrage vom 13. Juli (Artikel XXV) auf Antrag Englands Osterreich den Auftrag, die Provinzen Bosnien und Hercegowina, welche sich schon 1875 gegen die turkische Herrschaft erhoben hatten, zu be- setzen und zu verwalten. Osterreich liefi nun die schon fruher bereit gehaltenen Truppen in diese Lander einrucken, wo aber die Muham- medaner und die meisten mit ihnen Hand in Hand gehenden nichtunierten Griechen einen so hartnackigen Widerstand leisteten, dass erst nach dem Aufgebote grofierer Heeresmassen Ende September die Unterwerfung dieser Gebiete vollendet werden konnte. Nach einer zwischen Osterreich-Ungarn und der Turkei am 21. April 1879 in Constantinopel abgeschlossenen Convention sollten die Souvera- nitatsrechte des Sultans iiber diese Pravinzen auch fortan aufrecht bleiben, wogegen dieser die Verwaltung derselben und auch die militarische Be- setzung des Saudschakates Novibazar durch Osterreich zuliefi. Die Admini- 248 stration dieser Lander als eines gemeinsamen Besitzes Osterreichs und Ungarns wurde dem Reichsfinanzminister tibertrageu. II. Gfeschi elite des offentlichen Rechtes. a) Die ersten Versuche der Griindvmg einer osterreichischen Verfassung (1848/49). I. Die deutschen und slavischen Lander. 1 ) Der Sturz des franzosischen Konigthums durch die Eevolution am 24. Februar 1848 veranlasste wie in den meisten Landern Europas so auch in Osterreich Zusammenrottungen in den grofieren Stadten und einen Sturm von Adressen und Petitionen. Unter dem Drucke der am 13. Marz in Wien ausbrechenden Bewegung machte die Eegierung verschiedene Zugestandnisse. Eine kaiserliche Proclamation vom 14. Marz er- klarte, dass die Stande der deutschen und slavischen Eeiche, sowie die Centralcongregationen des lomlbardisch-venetianischen Konigreiches spate- stens bis zum 3. Juli Abgeordnete nach Wien senden sollten, da der Kaiser die Absicht habe, sich ,,m legislativen und administrativen Fragen ihres Beirathes zu versichern". In einem weiteren Manifesto vom 15. Marz wurde eine Einberufung der Abgeordneten n iu der mo'g- lichst kurzen Frist mit verstarkter Vertretung des Btirgerstandes und unter Beriicksichtigung der besteheuden Provinzialverfassungen zum Behufe der beschlossenen Constitution des Vaterlandes" in Aussicht gestellt. Am 21. Marz wurde auch die Ernennung eines verantwortlichen Mi- nisteriums 2 ) bekannt gemacht. Bald sah man aber von einer Ankmipfung an die bestehenden Pro- vinzialverfassungen ab, weil die Stande das Vertrauen des Volkes verloren hatten, und der Gedanke einer Octroyierung gewann immer mehr an Boden. Selbst ein vom Prasidium der niederosterreichischen Stande ein- berufener ,,Centralausschuss" der Stande der deutsch-slavischen Pro- vinzen (in dem aber aus Bo'hmen und Galizien keine Vertreter erschienen waren), der vom 10. bis 17. April in Wien tagte, sprach sich dahin aus, dass die Reichsvertretung aus zwei Kammern bestehen und dass die Mitglieder der ersten aus den hochstbesteuerten Grundbesitzern der ein- zelnen Provinzen, die der zweiten auf Grund eines sehr niedrigen Census gewahlt werden sollten. *) Vgl. mit den betreffenden Partieu in Springers Geschichte Osterreichs (2. Bd.) auch K. Hugelmaun, Studien zum osterreichischen Verfassungsrechte, S. 5 ff . 2 ) Mit Ministern fur das Prasidium, AuBeres, Inneres, Justiz, Finanzen, spater auch fiir Krieg, Unterricht, Handel und offentliche Arbeiten. Dann kam noch ein Ministerium ftir Bergwesen und Landescultur hinzu, wogegen die offentlichen Arbeiten dem Handelsministerium zugewiesen wurden. 249 Auch die n Verfassungsurkunde des osterreichischen Kaiser- staates" vom 25. April nahm auf die bestehenden Provinzialvertretungen keine Rucksicht, obwohl die Beibehaltung der bestehenden Provinzialein- theilung und der Provinzialstande (unter Revision ihrer Einrichtungen) ausgesprochen ward. Es wurde erklart, dass r sammtliche zum Ssterreichi- scheu Kaiserstaate geho'rigen Lander eine untreniibare constitutionelle Monarchic bilden". Aber aufier den zum deutschen Buude gehSrigen Provinzen wurden nur Dalmatien und Galizien unter den Landern aufge- zahlt, fur welche die Verfassung gelten sollte, Lombardo-Venetien und die ungarischen Lander stillschweigend iibergangen. Der Reichstag sollte aus zwei Kammern, dem n Senat u uud der jjKammer der Abgeordneten", der n Senat" aus den Prinzen des kaiser- lichen Hauses nach vollendetem 24. Jahre, aus den yom Kaiser auf Lebens- zeit ernannten und aus 150 YOU den bedeutendsten Grundbesitzern fur die Dauer der Wahlperiode (5 Jahre) aus ihrer Mitte gewahlten Mitgliedern bestehen, die Wahl der Mitglieder der Kammer der Abgeordneten (383) ,,auf der Volkszahl und auf der Vertretung aller staatsburgerlichen Interessen" beruhen. Doch zeigte die provisorische Wahlordnung Tom 9. Mai von einer eigentlichen Interessenvertretung keine Spur. Es bildeten nur 31 Stadte eigene Wahlbezirke. Davon abgesehen, sollte fur je 50.000 Einwohner ein Abgeordneter gewahlt werden. Bin Census wurde gar nicht festgesetzt und nur die Arbeiter gegen Tag- und Wochenlohn, die Dienstleute und die aus 6'ffentlichen Wohlthatigkeitsanstalten Unter- stiitzten vom Wahlrechte ausgeschlossen. Doch sollte in den Stadten wie auf dem Lande die Wahl durch Wahlmanner erfolgen, fur die passive Wahlfahigkeit ein Alter von 30 Jahren erfordeiiich sein. Alle Gesetze sollten der Zustimmung beider Kammern und der Sanction der Krone bediirfen, auch die Civilliste des Kaisers, die jahiiiche Bewilligung des Heerescontingentes und der Steuern, die Feststellung des Budgets, die Veraufierung der Staatsgliter und die Coutrahierung von Staatsschulden zur Competenz des Reichstages gehoren. Weiter wurden Glaubens- und Gewissensfreiheit, freie Ausiibung des Cultus fur alle christ- licheu Religionen und die Juden, Gleichheit Aller vor dem Gesetze, Press- freiheit, Petitioiisrecht, Erwerbsfreiheit, Unabhangigkeit des Richterstandes und Offentlichkeit und Miindlichkeit des Gerichtsverfahrens bewilligt. Infolge der am 15. Mai in Wien ausgebrochenen Bewegung wurde dann bestimmt, dass die Verfassung vom 25. April vorlaufig der Berathung des Reichstages unterzogen werden, dieser also ein r con- stituierender" sein und fur diesen nur eine Kanimer ohne Census gewahlt werden sollte. Auch das Alter fur die Wahlfahigkeit wurde nachtraglich auf 24 Jahre herabgesetzt. 250 Fur den nach diesem Wahlgesetze gewahlten Reichstag, der am 22. Juli ero'ifnet wurde, ward yon der Regierung aufier der r Berathung der fur die Monarchie zu ertheilenden Verfassung" gar keine bestimmte Competenz festgestellt. Der am 31. Juli gewahlte Verfassungsaus- schuss vollendete aber seine Arbeit erst anfangs Marz 1849 in Kremsier, wohin der Reichstag nach der October -Re volution aus Wien yerlegt word en war. Nach dem vom Ausschusse einstimmig angenommenen Consti- tutionsentwurfe 1 ) sollten im Reichstage die ungarischen und italieni- schen Lander nicht vertreten sein. Derselbe sollte aus zwei Kammern, einer Lander- und einer Yolkskammer bestehen, fiir die erste die 14 Landtage je 6 und 31 Kriegstage je 1 Vertreter wahlen, die zweite auf reiner Volkswahl beruhen. 80 Abgeordnete sollten auf die grofleren Stadte und Industrieorte, 280 auf die Landbezirke fallen, die Bevolkerungszahl den Maflstab fiir die Herstellung der Wahlbezirke bilden. Im Gegensatze zur Verfassung vom 25. April sollten fiir die Volkskammer directe Wahlen, aber auch ein Census efngefiihrt werden, der nicht hoher als fiinf Gulden directer Steuer sein sollte. Fiir die Wahlbarkeit in diese sollte ein Alter von 28, fiir die Landerkammer von 33 Jahren erforder- lich sein. Jene sollte auf drei, diese auf sechs Jahre gewahlt, aber alle drei Jahre zur Halfte erneuert werdeu. Die Mitglieder beider Kammern sollten immun sein und Dia'ten beziehen. Der Reichstag sollte jahr- lich zusammentreten, die Starke und Erganzung der Land- und Seemacht jahrlich durch ein Reichsgesetz festgestellt, das Budget durch die Volkskam- mer allein votiert werden. Die Gesetze sollten der Sanction der Krone bediirfen, diese aber nicht verweigert werdeu diirfen, wenn ein in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden ordentlichen Sessionen gefasster Beschluss von einem ad hoc neu gewahlten Reichstage unverandert angenommen wurde. Die Minister sollten dem Reichstage verantwortlich sein und von diesem in Anklagezustand versetzt werden konnen. Neben dem Reichstage sollten aber nicht blofi Landtage, sondern auch Kreistage bestehen. Doch war die Competenz der ersteren nicht sehr ausgedehnt und der Reichsverfassung gegeniiber nicht iiberall genau festgestellt. Die Landesverfassungen sollten durch die Landtage selbst geschaffen werden, aber von der Bestatigung der Reichsgewalt abhangig sein und bei zweifelhaften Fallen die Prasumtion fur die Competenz der letzteren sprechen. Die iibermafiige Beschrankung der Gewalt der Krone durch diesen Verfassungsentwurf und das Streben des Ministeriums Schwarzenberg- *) Derselbe ist von A. Springer im Anhange zu den von ihm herausgegebeuen n Protokollen des Verfassungsausschusses im osterreichischen Reichstage 1848 1849" (Leipzig 1885) mitgetbeilt worden. 251 Stadion, nicht blofl die in Kremsier vertretenen deutschen und slavischen Provinzen, sondern, wie schon der Kaiser Franz Joseph I. in dem nach seiner Thronbesteigung am 2. December 1848 erlassenen Manifesto als seine Absicht verkundet hatte, w alle Lande und Stamme der Monarchic zu einem grofien Staatskorper zu vereinigen", bewogen die Regierung, auf Grand eines kaiserlichen Manifestos vom 4. Marz 1849 den Reichstag noch vor der Berathung jenes Entwurfes, am 7. Marz, aufzulosen und eine r Reichsverfassung fur das Kaiserthum Osterreich" zu octroyieren, welche sich in vielen Paragraphen fast wortlich an den Entwurf des Reichstages anschloss, aber in wichtigen Punkten von ihm abwich. Diese n aus eigener kaiserlicher Macht" gegebene Verfassung consti- tuierte einen ^allgemeinen Ssterreichischen Reichstag". Mit Aus- nahme der Militargrenze , welche als integrierender Bestandtheil des Reichsheeres der vollziehenden Gewalt untergeordnet blieb, sollten alle ,,Kroiilander" des ,,Kaiserthunis" in demselben vertreten sein. Doch sollte die Verfassung des lombardisch-venetianischen Konigreiches und dessen Verhaltnis zum Reiche durch ein besonderes Statut geregelt wer- den. Die Verfassung des Konigreiches Ungarn wurde aufrecht erhalten, n soweit sie nicht der Reichsverfassung uud dem Grundsatze der Gleich- berechtigung der Nationalitaten widerspricht", aber eben dadurch die Unter- ordnung unter die Reichsregierung uud den Reichstag ausgesprochen. Nur so lange in einem der Lander Ungarn, Siebeuburgen, Croatien und Fiume hinsichtlich des biirgerlichen Rechtes, des Strafrechtes, der Gerichts- yerfassung und des Gerichtsyerfahrens die Ubereinstimmung der Gesetz- gebung durch den Landtag noch nicht hergestellt ware, sollten sich die Abgeordneten dieses Landes der Theilnahme an den Verhandlungen des Reichstages fiber diese Zweige der Gesetzgebung enthalten. Der Reichstag sollte aus zwei Hausern, einem Ober- und einem Unterhause bestehen und jahiiich berufen werden. Das Unterhaus sollte durch directe Wahl gebildet werden und auf 100.000 Einwohner wenigstens ein Abgeordneter entfallen. Wahlberechtigt sollten alle Reichs- biirger sein, welche yermoge ihrer personlichen Eigenschaften das Gemeinde- wahlrecht besafien oder eine directe Steuer von 1020 Gulden zahlten. Das Oberhaus sollte halb so viel Mitglieder als das Unterhaus haben und diese durch die Landtage gewahlt werden, und zwar sollte jeder Landtag zwei Vertreter aus seiner Mitte, die iibrigen nach der Volkszahl auf das Land eutfallenden Mitglieder aus den Hochstbesteuerten (die eine directe Steuer von wenigstens 500 Gulden zahlten) wahlen. Das Unter- haus sollte auf fiinf, das Oberhaus auf zehn Jahre gewahlt werden, fur jenes ein Alter von 30, fur dieses von 40 Jahren erforderlich sein. Die Mitglieder des Unterhauses sollten ein Sessionspauschale, die des Ober- hauses gar keine Entschadigung erhalten. 252 Die Einnahmen imd Ausgaben sollten jahrlich durch ein Gesetz festgestellt, aber alle bestehenden Steuern forterhoben werden, bis neue Gesetze etwas anderes bestimmten. Von der jahrlicheii Bewilligung der Starke des Heeres ist keine Kede, ebensowenig yon der Nothwendigkeit der Zustimmung des Keichstages zur Aufnahme von Anlehen oder zur Ver- auflerung von Staatsgut. Der Kaiser kann endlich in dringenden Fallen, wenn der Keichstag oder der Landtag nicht versammelt ist, Verordnungen mit provisorischer Gesetzeskraft erlassen, doch muss das Ministerium dem nachsten Reichstage oder Landtage Grande und Erfolge bekanntgeben. Der Krone und der vollziehenden Gewalt sollte ein ,,Reichsrath" zur Einholuug von Gutachten zur Seite stehen, dessen Mitglieder vom Kaiser mit Riicksicht auf die verschiedenen Theile des Eeiches ernannt werden sollten. Die Landtage sollten fortbestehen, aber alle Angelegen- heiten, welche nicht durch die Reichsverfassung oder Reichsgesetze aus- driicklich als Landesangelegenheiten erldart waren, zur Competenz des Reichstages gehoren. Die Kreistage waren fallen gelassen. Die Landesordnungen fur die Lander der westlichen Reichshalfte wurden auch 1849 und 1850 publiciert, x ) aber nicht ins Leben gerufen. Auch eine Wahlordnung fur den Reichstag erschien nicht. Dagegen wurden fiber den Reich srath in dem mit kaiserlichem Patente vom 13. April 1851 kundgemachten Statut nahere Anordnungen getroffen. Er sollte unmittelbar dem Kaiser untergeordnet und dem Ministerium coordi- niert sein, auf die Gegenstande der Gesetzgebuug, um dabei gediegene Reife und Einheit der leitenden Grundsatze zu erzielen, einen berathenden Einfluss ausiiben, auf Anordnuug des Kaisers aber auch fiber andere Gegenstande sein Gutachten abgeben, dagegen keine Initiative habeu. Er sollte aus einem Prasidenten, aus standigen Reichsrathen, bei deren Er- uennung durch den Monarchen auch auf die verschiedenen Theile des Reiches entsprechende Riicksicht zu nehmen war, und aus zeitlichen Theilnehmern bestehen, als welche behufs grundlicher Ero'rterung einzelner Fragen erfahrene und angesehene Manner aus alien Standen beigezogen werden konnten. 2. Ungarn. In Ungarn hatte Kossuth schon am 3. Marz 1848 neben anderen Reformen die Einsetzung eines verantwortlichen ungarischeu Mini- steriums beantragt und die Standetafel einstimmig den Beschluss gefasst, sich mit einer Repraseutatiou in diesem Sinne an den Ko"nig zu wenden. x ) Die Abgeordneten der Landtage sollten in director Wahl nach drei Wahler- gruppen (Hoehstbesteuerte, Stadte und Markte und iibrige Gemeinden) gewablt werden. Die Zabl ibrer Vertreter war ungefabr gleich; nur in Tirol uud Vorarlberg batten die Hocbstbesteuerten 24, die groBeren Stadte 8 und die iibrigen Gemeinden 40 Vertreter zu wableu. 253 Auf die Nachricht von den Vorgangen in Wien trat auch die Magnaten- tafel dieser Adresse bei. Da die Bewegung in Ungarn, besonders in Pest einen imuier bedenklicheren Charakter annahm, genehmigte der Kaiser (16. Marz) im allgemeinen die ihm vorgelegten Forderungen, und es wurde (17. Marz) Graf Ludwig Batthyany mit der Bildung des Ministeriums be- traut. Nach den Beschliissen des Reichstages wurden nicht blofi fur die rein ungarischen Angelegenheiteii, sondern auch fur Krieg, Finanzeri und Auswartiges Portefeuilles geschaffen und der Minister des Auswartigen am kaiseiiichen Hofe beglaubigt. Dagegen sollten die Hofkanzlei, die kouig- liche Statthalterei und die ungarische Hofkammer aufgehoben werden. Die vollziehende Gewalt sollte der Konig, in seiner Abwesenheit aber der Palatin uben. Weiter wurde beschlossen, dass der Reichstag jahrlich in Pest zusammentreten, die Verhandlungen offentlich sein und fur die "Wahl der Deputierten aus Ungarn und dessen Nebenlandern nur ein sehr ge- ringer Census und eine gewisse Bildung gefordert, alien bisherigen Wahlern jedoch das Wahlrecht gelassen werden sollte. Die unterthanigen Las ten, die Geldabgaben an die Grundherren und die Zehenten, wie die grundheniiche Gerichtsbarkeit und die Steuerfreiheit des Adels wurden gegen eine Entschadigung aufgehoben. Am 11. April wurden diese Gesetze vom Kaiser sanctioniert. Auch die Union Siebenburgens mit Ungarn vorbehaltlich der Zustimmung des dortigen Landtages, die am 30. Mai erfolgte, wurde Yom Reichstage in Aussicht genommen. Die neue Verfassung trat zwar ins Leben, und der auf neuen Grund- lagen beruhende Reichstag wurde am 5. Juli eroffnet. Aber der Gegen- satz zwischen den Magyaren und den Serb en und Croaten, die Mafilosig- keit des Finanzministers Kossuth und der durch ihn geleiteten Reichs- tagsmajoritat und das dadurch wachgerufene Misstrauen der Hofkreise uud der osterreichischen Regierung fiihrten zum Kriege, zur Absetzung des Hauses Habsburg durch den nach Debreczin verlegten Reichstag (14. April 1849), zur Bekleidung Kossuths mit der Wurde eines Guber- nators und zur Erklarung der Unabhangigkeit Ungarns, der aber durch die Siege der Osterreicher und einer russischen Hilfsarmee und die Capi- tulation des jetzt zum Dictator ernannten Gorgey bei Vildgos (13. August) ein Ende gemacht wurde. Die ungarische Yerfassung vom Marz 1848 war schon durch die n Reichsverfassung fur das Kaiserthum Osterreich" vom 4. Marz 1849 thatsachlich fur unwirksam erklart worden. 254 b) Die Periode des Absolutismus. l ) I. Die Aufhebung der octroyierten Verfassung. Die am 4. Marz 1849 publicierte Verfassung ist nie iris Leben ge- treten uud bald formlich beseitigt worden. Durch Allerhochstes Cabiuets- schreiben vom 20. August 1851 wurde erklart, dass das Ministerium nur dem Monarchen verantwortlich und yon jeder Verantwortlichkeit gegeniiber jeder anderen politischen Autoritat enthoben sei, und zugleich der Keichsrath ausschliefilich als der Kath der Krone erklart. Auch wurde dem Minister- und Reichsraths-Prasidenten befohlen, die Frage fiber den Bestand und die Moglichkeit der Vollziehung der Verfassung vom 4. Marz 1849 in reife Erwaguug zu ziehen, wobei das Princip und der Zweck der Aufrechterhaltung aller Bedinguugen der monarchischen Ge- staltuug und der staatlichen Einheit des Reiches als Grundlage angesehen werden sollte. Durch zwei Patente vom 31. December 1851 wurden dann die Ver- fassung vom 4. Marz 1849 und die am gleichen Tage fur die nicht- ungarischen Provinzen kundgemachten Grundrechte mit Ausnahme der Gleichheit aller Staatsangehorigen vor dem Gesetze ausdriicklich aufler "VVirksamkeit gesetzt und zugleich (in 36 Artikeln) die Grundsatze bekanntgegeben, welche n in den zunachst wichtigsten und driugeudsten Richtungen der organischen Gesetzgebung" beobachtet werden sollten. Dabei ist eine Reichsvertretung nicht mehr erwahnt, sondern nur gesagt, dass n den Kreisbehorden und Statthaltereien berathende Ausschusse aus dem besitzenden Erbadel, dem groflen uad- kleineu Grundbesitze und der Industrie mit gehoriger Bezeichiiung der Objecte und des Umfanges ihrer Wirksamkeit an die Seite gestellt" werden wurden. Doch sind solche Ausschiisse uie eiuberufen wordeu. Alle Verordnungen sind ohne Be- rathung mit Vertretern des Volkes oder einzelner Gruppen desselbeu er- lassen worden. 2. Die Organisierung der Verwaltungsbehiirden. In den Centralbehordeu traten nach der Aufhebung der Ver- fassung mehrere Anderungen ein. Der durch die Verfassung geschaffene Ministerrath wurde in eine Ministerconferenz umgewandelt, zu dessen Mitgliedern auch der Chef der obersteu Polizeibehorde und der erste Generaladjutant des Kaisers ge- horten. Aus dem Ministerium des Inuern wurde (25. April. 1852) die Hand- habung der Polizei ausgeschieden und diese eiuer neu errichteten obersten Polizeibehorde ubertragen. Das Ministerium fur Landescultur und Bergwesen wurde (17. Janner 1853) aufgehoben, die Landes- cultur (mit Einschluss der land- und forstwirtschaftlichen Unterrichts- J ) C. Freih. v. Czornig, Osterreichs Neugestaltung 18481858. (Stuttgart 1858.) 255 anstalteu) dem Ministerium des Innern, das Bergwesen dem Finanzinini- sterium eiuverleibt. Auch das Kriegsministerium, von dem schon am 16. December 1849 em Theil der Agenden theils dem Armee-Ober- commando, theils (die Person alfragen) der Generaladjutantur uber- tragen worden war, wurde 1853 ganz mit jenem vereinigt. Dagegen wurden 1856 die Angelegenheiten der Kriegsmarine von jenem ausge- schieden und hiefiir eine eigene Centralbehorde, das Marine-Ober- commando, geschaffen. Die oberste Rechnungs-Controlsbehorde hatte eine selbstandige Stellung neben den Ministerien. Noch umfangreicher waren die Umgestaltungen in der Provinzial- verwaltuug. Salzburg, Kiirnten, Schlesien und die Bukowina waren schon durch die Verfassung vom 4. Marz 1849 fur selbstandige Kron- lander erklart worden. Galizien wurde in zwei Verwaltungsgebiete mit den Sitzen in Lemberg und Krakau getheilt. Aus den ungarischen Comitaten Bacs, Torontal, Temesvdr und Krasso uud den slavonischen Districteu Illok und Ruma wurde (1849) ein neues Verwaltungsgebiet, die ,,serbische Wojwodschaft und das Temesvarer Ban at" gebildet, Piume uud das ungarische Kiistenland mit Croatien vereinigt. Ungarn selbst wurde in ftinf Verwaltungsgebiete (Pest-Ofen, Odenburg, Presburg ? Kaschau und Groflwardein) mit je einer Statthalterei-Abtheilung als Landes- behorde getheilt, obwohl sie unter der Oberleitung des Civil- und Militar- gouverneurs (seit 1856 Generalgouverneurs) blieben, welchem ein erhohter Wirkungskreis eingeraumt war. Die siebenbiirgische Militargrenze wurde mit Siebenburgen vereinigt. In den einzelnen ,,Kronlandern" trat an die Stelle des Guberniunis eiue Statthalterei (in den kleineren Landesregierung genannt). Die Behandlung der Verwaltungsgeschafte, die sich auf politische, Handels- und Gewerbeangelegenheiten, Cultus und Unterricht, Landescultur und ^ffentliche Bauten bezogen, war eine eollegiale, wahrend die oberste Lei- tuug der Polizei- uud Personalangelegenheiten in den Handen des Statt- halters 1 ) allein lag. Die Statthalter waren auch Prasideuten der Finanz- Landesdirectionen, die Landesprasidenteii (und die Statthalter in Linz und Triest) Chefs der Landes-Steuerdirectionen. Unter der Statthalterei staiiden in den grofieren Kroulandern die Kreisbehorden (in Ungaru, Croatien und Slavoiiien Comitatsbehorden, in Italien Delegationen), deren Wirkuugs- kreis theils ein uberwachender, theils ein ausubender und administrative!' sein sollte. 2 ) Die Hauptstadte der Kroulander waren ubrigens nicht der Kreisbehorde, sondern uumittelbar der Statthalterei uutergeordnet. 1 ) In den kleinereu Landern wurde er r Landesprasident u , in Dalmatien, Croatien- Slavonien, Siebenburgen und der Wojwodina r Gouverneur" geuannt. 2 ) Zu ihrer Competenz gehorten die Aufsicht iiber die Zustaude des Kreises, die Oberleitung der Polizeiaugelegeuheiten, des Eecrutierungs-, Vorspanns-, Verpfleguugs- 256 An die Kreise schlossen sich nach unten die Bezirke, welche ur- sprimglich eine rein administrative Aufgabe hatten. Das Patent vom 31. December 1851 verfiigte aber, dass die Einzelgerichte als erste In- stanzen mit der Verwaltung der Bezirksamter vereinigt, diesen aber unter Umstanden ein eigener Gerichtsbeamter zugetheilt werden sollte. 3. Die Organisierung der Gerichtsbehbrden. Die wichtigsten Veranderungen auf dem Gebiete des Justizwesens waren noch vor dem absolutistischen Regime vorgenommen worden. Die Patrimoiiial-Gerichtsbarkeit war schon durch das Gesetz vom 7. Sep- tember 1848 mit der Aufhebung des Unterthanigkeitsverhaltnisses ver- staatlicht und durch die Verfassung vom 4. Marz 1849 aufgehoben worden. 1850 wurden auch alle privilegierten Gerichtsstande, dann die Berg-, Mercantil- und Lehengerichte aufgehoben, die Gleich- heit aller Staatsbiirger vor dem Gesetze zum Princip erhoben. Die Straf- processordnung vom 17. Janner 1850, die auf dem Principe der Offeut- lichkeit und Miindlichkeit, des Anklageprocesses und der Aburtheiluug der meisten Verbrechen durch Geschworne beruhte, normierte auch die in ihren Grundztigen schon alter e Eintheilung der Gerichte in solche erste r Instanz (fur die meisten Civilangelegenheiten, fur Ubertretungen und leichtere Vergehen die Bezirksgerichte, fur schwerere Vergehen und fur Verbrechen die Bezirks-Collegialgerichte und die Landes- gerichte) und in solche zweiter Instanz, namlich die Oberlandes- gerichte (in der Eegel fur jedes Kronland eines), iiber welchen der Cassationshof als dritte Instanz stand. Dieser bildete auch die hochste Gerichtsbehorde fur die ungarischen Lander, in welchen die Gerichte in gleicher Weise organisiert wurden, wahrend das biirgerliche Gesetzbuch und manche andere Gesetze erst 1852 und 1853 daselbst eingefuhrt wurden. Auch die Staatsanwaltschaften wurden schon 1850 eingerichtet. Als Specialgerichte blieben das oberste Hofmarschallamt (fur die Mitglieder des kaiserlichen Hauses, fur die das Eecht der Exterri- torialitat Geniefienden und demselben speciell untergeordnete ftirstliche Personen), Handels- und Gefallsgerichte bestehen. Nach dem Patente vom 31. December 1851 wurde dann bei den Gerichten erster Instanz die Justiz mit der Verwaltung vereinigt und und Einquartieruugswesens, die Baubewilligungen, die Instandhaltung der offentlichen StraBen und Bracken, die Leitung der Staatsbauten, die Ertheilung der Gewerbebefug- nisse, die Aufsicht iiber die Gemeinden, die Verlassensehaftsabhandlungen, die Be- messung der Hauszins- und Hausclassen-, der Erwerb- und Einkommensteuer, die Aufsicht iiber die unteren Finanzbehorden u. s. w. 257 zugleich die Schwurgerichte uncl die Offentlichkeit des Verfahrens abge- schafft. J ) Nach dem Concordat wurden auch geistliche Ehegerichte fiir Katholiken eingesetzt. 4. Die Organisation der Finanzbehorden. Unter dem Finanzministerium standen in den einzelnen Kron- landern die (1850 errichteten) Finanz-Landesbehorden, und zwar die Finanz-Landesdirectionen am Sitze der Statthaltereieii fur die Lei- tung der ganzen Finanzangelegenheiten und die Steuerdirectionen am Sitze der Landesregierungen (und in Linz und Triest) fur die Verwaltung der directen Steuern des betreifenden Landes. An diese schlossen sich nach unten die Finanz-Bezirksdirectionen (und fur die directen Steuern die Kreisbehorden) und die den Bezirksamtern einverleibten Steuerainter. Unter den Finanz-Landesdirectionen standen auch die Finanzprocuraturen. Aufierdem gab es in Wien ein Centraltaxamt und eine General- direction des Grundsteuercatasters fur die Evidenzhaltung des Catasters und dessen Einfiihrung in jenen Kronlaudern, wo er noch nicht bestand, Berg-, Forst- und Salinendirectionen u. s. w. 5. Die Gemeindeverfassungen. Nach der Octroyierung der Verfassung war am 17. Marz 1849 ein provisorisches Gemeindegesetz fiir die deutschen und slavischen Kron- lander erlassen worden, welches die (aus einer oder mehreren Steuer- gemeinden bestehende) Ortsgemeinde zur Grundlage hatte. Ihre Be- wohner wurden als Gemeindeburger, Gemeindeangehorige uud Fremde unterschieden. Sie wird durch den Gemeindeausschuss reprasentiert, an dessen Spitze der Burgermeister steht. Ihr Wirkungskreis 1st theils ein ubertragener, indem der Bilrgermeister auch bei staatlichen Aufgaben (Einhebung der directen Steuern, Kecrutierung, Einquartierungen, Hand- habung der Fremdenpolizei u. s. w.) mitwirkt, theils ein natiirlicher, auf die Gemeinde selbst beziiglicher. Der Gemeindeausschuss wird durch die Gemeindeburger (und einige Classen der Gemeindeangehorigen) ge- wahlt, wobei nach der Hohe der Steuerleistung zwei oder drei Wahl- korper gebildet werden sollten, der Gemeindevorstand, der aus dem Burgermeister und wenigstens zwei Gemeinderathen zu bestehen hatte, auf drei Jahre durch den Ausschuss. Die Ausschusssitzungen sollten oifentlich sein. x ) Nahere Bestimmungen iiber diese und ahnliche Fragen wurden durch die neue Strafprocessordnung vom 29. Juli 1853 getroffen, durch welche die provi- sorische Strafprocessordnung vom 17. Janner 1850 beseitigt ward. Huler. Osterreichische Beichsgeschichte. 17 258 Neben den Ortsgemeinden sollten Bezirks- imd Kreisvertre- tungen eingefiihrt werden. Durch das Patent vom 31. December 1851 wurde auch diese Ge- meindeverfassung aufier Wirksamkeit gesetzt und fur eine neue bestimmte Grundsatze festgestellt, wonach die Gemeindevorstande von der Regierung bestatigt und nach Umstanden selbst ernannt, auch hohere Gemeindebeamte yon der Eegierung bestatigt, die Offentlichkeit der Ge- meindeverhaudlungen aufgehoben, wichtigere Beschliisse der Priifung und Bestatigung der landesfiirstlichen Behorden vorbehalten und bei den Wahlen und Verhandlungen ,,den uberwiegenden Interessen auch ein iiberwiegender Einfluss zugestanden" werden sollte. Aber auch die diesen Grundsatzen entsprechenden Gemeindeord- nungen sind nie erschienen und Wahlen fiir die Gemeindevertretungen und deren Vorsteher nicht mehr vorgenommen worden. Nur die Offent- lichkeit der Genieindeverhaiidlungeu wurde rasch beseitigt. 6. Das Steuerwesen. Auf dem Gebiete des Steuerwesens ist in dieser Periode die wich- tigste MaBregel die Ausdehnung des in den deutschen und slavischen Provinzen bestehenden Steuersystems auf Ungarn und seine Neben- lander. Nach der Unterwerfung desselben wurde fiir die directe Be- steuerung die Einfuhrung des Grundsteuercatasters vorbereitet und einst- weilen (1850) ein Grund- (und Gebaude-) Steuerprovisorium rnit Aufhebung aller bisherigeu Befreiungen, wie das Lotto, das Tabak- raonopol, die Verzehrungssteuer, die Erwerbsteuer u. s. w. eingefiihrt, dagegen die Zwischenzollinie gegen die anderen Kronlander aufge- hoben. Die Grundsteuer wurde in alien Landern, wo der Cataster vollendet war, auf 16 Percent (provisorisch mit einem Drittel als n aufier- ordentlichen Zuschlag", also auf SIVs Percent) festgesetzt, die Hauszins- steuer auf alle Orte ausgedehnt. wo die Halfte der Gebaude einen Zinsertrag durch Vermietung abwarf, (1. November 1849) eine allge- meine Einkommensteuer eingefiihrt, auf dem Gebiete der indirecten Besteuerung fiber Stempel, Taxen und Gebiiren neue Anordnungen getroffen, der im Inland erzeugte Zucker besteuert, dagegen die Zolle (theilweise infolge von Handelsvertragen) sehr bedeutend herabgesetzt, fur viele Artikel ganz aufgehoben. 7. Das Militarwesen. 1 ) Auf dem Gebiete des Militarwesens sind aufier der Umwandlung des Hofkriegsrathes in ein Kriegsministerium (1848) und der Ersetzung x ) Vgl. mit Czornig, Osterreichs Neugestaltung, S. 651 if. H. Meynert, Geschichte der k. k. osterreichischenArmee 4,165 ff. uud Geschichte desKriegswesens inEuropa 3,315ff. 259 desselben (lurch das Arm e e -Ob ere o mm an do (S. 255) die Einfuhrung der allgerneinen Dienstpflicht, die Bestimmung der Reihenfolge der zu Assentierenden durch das Los, die Einfuhrung der gleichen Dienst- zeit (8 Jahre und 2 Jahre in der Reserve) in alien Provinzen des Reiches und die Verfiigung, dass alle Personalangelegenheiten yom Stabs- officier aufwarts dem Kaiser selbst vorbehalten sein sollten, zu erwahnen. 8. Die Aufhebung des Unterthanverbandes und die Durchfiihrung der Grundentlastung. > Den Anstofi zur Beseitigung des Unterthanverbandes gab die Be- wegung des Jahres 1848. Schoii am 28. Marz hatte die Regierung die Erkliirung abgegeben. dass die Robotleistung in Bohmen, Mahren und Schlesien gegen eine Entschadigung binnen einem Jahre aufzuhoren habe. Am 17. April verfugte der Gouverneur in Galizien, Graf Stadion, die Aufhebung der Robot und die Entschadigung der Gutsbesitzer durch den Staat. Am 26. Juli brachte im Wiener Reichstage der Abge- orduete Kudlich den Antrag ein, die Versammlung mo'ge erklaren, dass n das Unterthanigkeitsverhaltnis sammt alien daraus entsprungenen Rech- ten und Pflichten aufgehoben sei, vorbehaltlich der Bestimmungen, ob und wie eine Entschadigung zu leisten sei". Das Ergebnis der langen Verhandlungen war das Gesetz vom 7. September 1848, wonach ,,die Unterthanigkeit und das schutz- obrigkeitliche Verhaltnis", weiter alle aus dem Unterthanigkeitsver- haltnisse entspringenden, dem unterthanigen Grunde anklebenden Lasten, Dienstleistungen und Giebigkeiten jeder Art, sowie alle aus dem grund- herrlichen Obereigenthum, aus der Zehent-, Schutz-, Obst- und (Wein-) Bergherrlichkeit und aus der Dorfobrigkeit herriihrenden Natural-, Ar- beits- und Geldleistungen mit Einschluss der bei Besitzveranderungsfallen imter Lebenden und auf den Todfall zu zahlenden Geburen aufge- hoben wurden, und zwar die aus dem Unterthansyerbande, dem Schutz- verhaltnisse und dem obrigkeitlichen Rechte entspringenden Bezuge ohne, die auf dem Grunde als solchem lastenden Leistungen und Abgaben gegen eine Entschadigung. Ein am 4. Marz 1849 gleichzeitig mit der Octroyierung der Ver- fassung erlassenes kaiserliches Patent 2 ) erliefl nahere Bestimmungen iiber die Ausfuhrung des Gesetzes vom 7. September 1848, namentlich fiber die Gruudsatze, an die man sich bezuglich der Entschadi- gung zu halten hatte, und verfugt die Einsetzung eigener Commissionen in jedem Lande, urn diese Bestimmungen im einzelnen durchzufiihren. ') Czornig, S. 486 S. Griinberg, 1, 375 ff. 2 ) Es gait iibrigeus nur fur die deutschen und bohmischen Provinzen. Fur Gah'zieu, die Bukowina und die ungarischen Lander ergiengen 18491854 eigene Patente. 17* 260 Bezuglich der Entschadigungen wurde bestimmt, dass auch die Zehenten, Naturalleistuugen und Koboten in Geld veranschlagt, von der so ermit- telten Kente ein Drittel fur die vom Berechtigten bisher dafur entrichtete Steuer in Abzug gebracht werden, von den ubrigen zwei Dritteln das eine der Verpflichtete zu tragen, das andere das Land aufzubringen hatte, dass die vom Verpflichtete n zu zahlende Rente (im zwanzigfachen Anschlage) capitalisiert und binnen zwanzig Jahren in den Grundentlastungsfond eingezahlt, und dass den Berechtigten fur das ganze ihnen als Ent- schadigung von den Verpflichteten oder dem Lande zu zahlende Capital Grundentlastungs-Obligationen ansgestellt werden sollten, welche binnen vierzig Jahren durch Verlosung zu tilgen waren. In Galizien, der Bukowina und den ungarischen Landern blieben die Verpflichteten von weiteren Zahlungen ganz frei, und es wurde die Entschadigung vom Lande allein getragen. In den meisten Landern wurde das gewaltige Werk schon in den Jahren 18491854 durchgefuhrt. 9. Die kirchlichen Verhaltnisse. Schon die Verfassungsurkunde vom 25. April 184-8 hatte ,,allen Staatsburgern die voile Glaubens- und Gewissensfreiheit gewahr- leistet" und n allen in der Monarchic durch die Gesetze anerkannten christlichen Glaubensbekenntnissen und dem israelitischen Cultus die freie Ausubung des Gottesdienstes gesichert". Bestimmter war der Para- graph der Verfassung vom 4. Ma>z 1849, wonach jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft das Recht der gemeinsamen 6'ffentlichen Religionsiibung haben, ihre Angelegenheiten selb- standig ordnen und verwalten, im Besitze und Genusse der fur ihre Cultus-, Unterrichts- und Wohlthatigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde bleiben und nur den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen sein sollte. Damit sich das Ministerium uber die Durchfuhrung dieser Bestim- mungen beziiglich der katholischen Kirche mit den Bischo'fen berathen konnte, wurden diese zu einer Versammlung in Wien eingeladen. Den Wunschen derselben entsprechend, wurde durch kaiserliche Ver- ordnung vom 18. April 1850 den Bischofen das Recht zuerkannt, sich in geistlichen Angelegenheiten an den Papst zu wenden, uber Gegenstande ihrer Amtsgewalt ohne vorlaufige Genehmigung der Staats- behorde Verordnungen zu erlassen, welche nur, wenn sie aufiere Wir- kungen nach sich zogen oder veroffeutlicht wurden, gleichzeitig den Regierungsbehorden mitgetheilt werden sollten, Kirchenstrafeu, die auf biirgerliche Rechte keine Riickwirkung iibten, zu verhangen, Verwalter von Kirchenamtern, die ihre Pflichten nicht erfullten, zu suspendieren 261 oder abzusetzen und zur Durchfiihrung dieses Erkenntnisses die Mitwir- kung der Staatsbehorden in Anspruch zu nehmen. "Weitere Verordnungen bestimmten, dass alle katholischen Religionslehrer und Professoren der Theologie der Ennachtigung des Bischofs bediirfen, von diesem auch den Alumnen des Diocesanseminars die zu horenden Vortrage und abzulegen- den Priifungen vorgeschrieben werden, die Ordnung des Gottesdienstes dem Bischofe freistehen, und dass fur den Fall der Nothwendigkeit der Entfernung eines Geistlichen von seinein Amte die Behorde sich vorerst mit seinem kirchlichen Obern ins Einvernehmen setzen sollte. Infolge einer Weisung des Kaisers an den Unterriehtsminister Grafen Thun (vom 2. December 1851) wurden iiber eine definitive Rege- lung der kirchlichen Verhaltnisse 1852 mit der papstlichen Curie Ver- handlungen angekniipft, welche ain 18. August 1855 zum Abschlusse eiues Concor dates fuhrten. l ) Nach diesem sollte die katholische Religion ,,mit alien Befugnissen und Vorrechten, deren dieselbe nach der Anordnuug Gottes und den Bestimmungen des Kirchengesetzes geuiefien soil", im ganzen Kaiserthum Osterreich immer aufrecht erhalten werden. Es sollte daher der Verkehr zwischen den Bischofeu, der Geistlichkeit, dem Volke und dem heiligen Stuhle in geistlichen und kirchlichen Dingen frei sein und nicht mehr der laudesfiirstlichen Bewilligung unterliegen und ebenso auch die Erz- bischofe und Bischofe Verordnungen tiber kirchliche Angelegenheiten frei erlassen konnen. Diese haben auch das Recht, ihre Stellvertreter und Rathe zu bestellen, die bischoflichen Seminarien zu leiten, die Professoren an denselben zu ernennen oder zu entfernen, Candidaten in den geist- lichen Stand aufzunehmen oder von den Weihen auszuschliefien, Pfarren zu grunden, zu theilen und zu vereinigen, Diocesansynoden zu halten und ihre Beschlusse kundzumachen und, wenn sie sich mit der Regierung ins Einvernehmen setzen, geistliche Orden in ihre Diocesen einzufuhren. Auch die Generalobern, die beim heiligen Stuhle ihren Sitz haben, sollten mit den untergebenen Ordenspersonen frei verkehren und die Visitation vornehmen konnen. Die Kirche sollte berechtigt sein, neue Besitzungen zu erwerben, ihr Eigenthum unverletzlich sein, die Verwaltung durch jene, welchen sie nach den Kirchengesetzen zusteht, gefiihrt, auch die Guter, aus welchen der Religions- uud Studienfond besteht, im Namen der Kirche verwaltet, die Einkiinfte des ersteren fur kirchliche Zwecke, die des letzteren nur fur den katholischen Unterricht verwendet werden. a ) Nach erfolgter Eatification durcli den Kaiser kungemacht mit Patent vom 5. November 1855. 262 Der ganze Unterricht der katholischen Jugend sowohl in den offent- licheu als auch in den nichtoffentlichen Schulen sollte der Lehre der katholischen Keligion angemessen sein, die Bischofe die religiose Erzie- hung leiten und dariiber wachen, dass in keinem Lehrgegenstande etwas vorkomme, was dem katholischen Glauben nnd der sittlichen Reinheit zuwiderlauft. Niemand sollte die Theologie oder die Religionslehre vor- tragen diirfen, der nicht vom Diocesanbischofe die Ermachtigung em- pfangen hatte. An den fur die katholische Jngeud bestimraten Gym- nasien und Mittelschulen sollten nur Katholiken zu Professoren oder Lehrern ernannt werden, alle Lehrer der fiir Katholiken bestimmten Volksschulen der kirchlichen Beaufsichtigung imterstehen und, wenn ihr Glaube oder ihre Sittlichkeit nicht makellos ware, von ihrer Stelle ent- fernt werden. Auch sollten nicht blofi die Bischofe das Recht haben, der Religion und Sittlichkeit verderbliche Bticher als verwerflich zu be- zeichnen und die Glaubigen von der Lecture derselben abzuhalten, son- dern auch die Regierung die Verbreitung derselben hindern. Es sollte jenen auch freistehen, fiber Geistliche Strafen zu verhangen und gegen alle Glaubigen, welche die kirchlichen Anordnungen und Gesetze tiber- treten, mit kirchlichen Strafen einzuschreiten. ,,Da alle kirchlichen Rechtsfalle und insbesondere jene, welche den Glauben, die Sacramente, die geistlichen Verrichtungen und die mit dem geistlichen Amte verbundenen Pflichten und Rechte betreffen, eiuzig und allein vor das kirchliche Gericht gehoren, so wird fiber dieselben der kirchliche Richter erkennen, und es hat somit dieser auch fiber die Ehe- sachen nach Vorschrift der heiligen Kirchengesetze und namentlich der Verordnungen zu Trient zu urtheilen und nur die burgerlichen Wirkun- gen der Ehe an den weltlichen Richter zu verweisen." Nur ,,mit Rficksicht auf die Zeitverhaltnisse" gab der heilige Stuhl die Zustimmung, dass blofi weltliche (namentlich Vermogensfragen be- treffende) Rechtssachen der Geistlichen von weltlicheu Gerichten unter- sucht und entschieden und dass die Geistlichen wegen Verbrechen oder Vergehen vor das weltliche Gericht gestellt wfirden. Doch sollte der Bischof ohne Verzug davon . in Kenntnis gesetzt und, wenn das Urtheil auf Tod oder mehr als funfjahrige Kerkerstrafe lautete, die Acten dem Bischofe mitgetheilt werden. Urn dem Kaiser einen Beweis besonderen Wohlwollens zu geben, wurde ihm und seinen katholischen Nachfolgern die Ermachtigung er- theilt, fur alle Canonicate und Pfarreien, welche einem auf dem Religions- oder Studienfonde bernhenden Patronatsrechte unterstehen. einen von dreien ihm vom Bischofe nach vorausgegangener Bewerbung als beson- ders wurdig bezeichneten Geistlichen zu prasentieren, wie der Kaiser auch fortfahren sollte, ffir die bisher von ihm besetzten Domherreustellen 263 die Ernennung vorzunehmen. Dagegen sollte sich der Kaiser bei Aus- wahl der Bischofe, welche er kraft seines von seinen Vorfahren uber- kommenen Vorrechtes dem papstlichen Stuhle zur canonischen Einsetzung benennt, des Kathes yon Bischofen vorziiglich derselben Kirchenprovinz bedienen. Um uber die Ausfiihrung einzelner Artikel des Concordates zwischen der Kegierung und den Bischofen ein Einvernehmen zu erzielen, hielten diese auf Einladung jener 1856 Berathungen in Wien ab. Infolge derselben wurde am 8. October 1856 ein neues Ehegesetz fur Katho- liken gegeben, welches ganz auf den Bestimmungen des canonischen Kechtes und den Verordnungen des Concils von Trient beruhte und die Entscheidungen uber die Schliefiung, Trennung und Giltigkeit der Ehen ausschliefilich den von den Bischofen bestellten geistlichen Ehegerichten, in zweiter Instanz dem Metropoliten, in dritter dern papstlichen Stuhle zuwies. Fur die Stellung der Protestanten oder, wie sie jetzt amtlich hieflen, der Evangelischen in den deutschen und slavischen Kronlandern war das kaiserliche Patent vom 31. December 1851 mafigebend, welches das vom 4. Marz 1849 bestatigte, sodass ihnen die offentliche Ausubung ihrer Keligion und die selbstandige Verwaltung ihrer Angelegenheiten garantiert blieb. Dasselbe war auch in den ungarischen Landern der Fall. Fur die nichtunierten Griechen des serbischen Stammes wurde (1848) das Patriarchat mit dem Sitze in Carlowitz wieder hergestellt. Dagegen wurde den Juden die ihnen 1848 gewahrte voile burger- liche Gleichberechtigung entzogen und durch kaiserliche Verordnung vom 2. October 1853 fur alle Kronlander die fruheren Beschrankungen der Besitzfahigkeit derselben provisorisch wieder hergestellt. c) Die Begrundung der bestehenden osterreichischen Vepfassung und der Ausgleich mit Ungarn. *) I. Der verstarkte Reichsrath und das Octoberdiplom. Die Niederlagen, welche Osterreich 1859 in Italien erlitt, und die zunehmenden politischen und finanziellen Schwierigkeiten riefen auch in den mafigebenden Kreisen die Uberzeugung von der Unhaltbarkeit des absolutistisch-centralistischen Systems hervor. Schon das kaiserliche Manifest vom 15. Juli, welches den Abschluss des Friedens verkundete, verhiefi n zeitgema8e Verbesserungen in Gesetzgebung und Verwaltung", und das Ministerium, in welchem Bach durch den Grafen Goluchowski ersetzt worden war, stellte ( Wiener Zeitung" vom 22. August) standische Vertretungen der einzelnen Lander in Aussicht. Vgl. Hugelmanu, Studien, S. 35 ff. 264 Am 5. Marz 1860 wurde bestimrat, dass im Sinne des Patentes vom 13. April 1851 (S. 252) der Keichsrath durch periodisch einzube- rufende auflerordentliche Mitglieder verstarkt werden sollte, und zwar durch Erzherzoge, hohere kirchliche Wurdentrager und andere ausge- zeichnete Manner, die vom Kaiser auf Lebenszeit, und durch 38, welche nach einem durch die Landesvertretungen gemaehten Ternavorschlage auf sechs Jahre ernannt werden sollten. Dieser verstarkte Keichs- rath sollte periodisch einberufen werden und die Aufgabe haben, die Feststellung des Staatsvoranschlages, die Staatsrechnungsabschlusse, die Vorlagen der Staatsschuldencommission, die wichtigeren Entwurfe in Sachen der allgemeinen Gesetzgebung und r die Vorlagen der Laudesver- tretungen" einer Berathung zu unterziehen. Eine Initiative sollte ihm aber nicht zustehen. Gleichzeitig wurde derselbe zur Berathung des Staatsvoranschlages fur das Jahr 1861 einberufen und am 29. April vom Kaiser 9 lebenslangliche und bis zur Erstattung von Vorschlagen durch die Landesvertretungen auch die 38 Mitglieder aus den einzelnen Kron- laudern ernannt. Nachdem der Eeichsrath am 31. Mai zusammengetreten war, machte ein kaiserliches Handschreiben vom 17. Juli auch ,,die Einfiihrung neuer Steuern und Auflagen, dann die Erhohung der bestehenden Steuer- und Geburensatze", wie die ,,Aufnahme neuer Anlehen" (den Fall der Kriegsgefahr ausgenommen) von der Zustimmung desselben abhangig. Aber der Keichsrath beschrankte sich nicht auf die Prufung der Finanzverhaltnisse, sondern aufierte auch Wunsche beziiglich der Aus- gestaltung der politischen Verhaltnisse. Das Votum der Majoritat sprach sich fur n die Anerkennung der historisch-politischen Individuality der einzelnen Lander" und daher sowohl fur n die Anerkennung und Be- grundung ihrer Autonomie in der Administration und inneren Legislation, als auch die definitive Feststellung, Sicherung und Vertretung ihres ge- meinsamen staatsrechtlichen Verbandes" und fur n die moglichste An- kniipfung an die fruher bestandenen Institutionen und Kechtszustande und deren Ausgleichung und Verbindung mit den Anforderungen aller zur Geltung gelangten politischen und gesellschaftlichen Factoren" aus. Die Minoritat erklarte, dass in manchen Landern gar keine lebens- fahigen Institutionen mehr bestehen, an die man anknupfen konnte, dass man nicht in einem Theile des Reiches andere Kegierungsformen ein- fiihren solle als im iibrigen, dass die angestrebte Autonomie nur auf Kosten der Reichseinheit und einer starken und einheitlichen Reichs- gewalt eingefiihrt werden konnte, befiirwortete die Beriicksichtigung der Stimme der Unterthanen sowohl bei der Anregung zu Gesetzen als bei der Berathung und Schlussfassung fiber dieselben, bei der Feststellung des Staatsvorauschlages sowie bei Belastungen des Staatscredites und der 265 Steuertrager" und stellte den Antrag, der Reichsrath m6ge die Bitte stellen, dass Se. Majestat n aus Allerho'chster Machtvollkommenheit ge- ruhen wolle, jene Institutionen in da Leben zu rufen, durch welche bei moglichster Entwickluug des freien Selbstverwaltungsrechtes in alien Kronlandern und bei vollstandiger Wahrung der Einheit des Reiches und der Legislation, sowie der Executivgewalt der Regierung, dann bei wirksamer und unabhangiger Controle des Staatshaushaltes alle Inter- essen der Bevolkerung in der Commune, im Landtage und im Reichs- rathe ihre geeigneten Vertretungen finden". Im Sinne des Majoritatsantrages erfloss am 20. October 1860 ein kaiserliches ,,Diplom", durch welches ^zur Ausgleichung der fruher zwischen den Konigreichen und Landern bestandenen Verschiedenheiten und behufs einer zweckmafiig geregelten Theilnahme der Unterthanen an der Gesetzgebung und Verwaltung auf Grundlage der pragmatischen Sanction und kraft kaiserlicher Machtvollkommenheit Nachstehendes als ein bestandiges uud unwiderrufliches Staatsgrundgesetz" 1 ) ver- fiigt wurde: !. Das Recht, Gesetze zli gebeu, abzuandern und aufzuheben, wird von Uns und Unseren Nachfolgern uur unter Mitwirkung der gesetzlich versammelten Landtage, beziehungsweise des Reichsrathes ausgeiibt wer- den, zu welchem die Landtage die von Uns festgesetzte Zahl Mitglieder zu entsenden haben. ,,II. Es sollen alle Gegenstande der Gesetzgebuug, welche sich auf Rechte, Pflichten und Interessen beziehen, die alien Unseren Konig- reichen und Landern gemeinschaftlich siiid, namentlich die Gesetzgebung uber das Miinz-, Geld- und Creditwesen, fiber die Zolle und Handelssachen, ferner uber die Grundsatze des Zettelbankwesens; die Gesetzgebung in Betreff der Grundsatze des Post-, Telegraphen- und Eisenbahnweseus; uber die Art und Weise und die Ordnung der Militarpflichtigkeit in Zu- kunft in und mit dem Reichsrathe verhandelt und unter seiner Mitwirkung verfassungsmafiig erledigt werden, sowie die Einfuhrung ueuer Steuern und Auflagen, dann die Erhohung der bestehenden Steuern und Geburensatze, insbesondere die Erhohung des Salzpreises uud die Aufuahme neuer Anlehen gemafi Unserer Entschliefiung vom 17. Juli 1860; desgleichen die Conver- tierung bestehender Staatsschulden und die Verauflerung, Umwandlung oder Belastung des unbeweglichen Staatseigenthums nur mit seiner Zustimmung angeordnet werden soil; endlich die Priifung und Feststellung der Yoran- schlage der Staatsauslagen fur das zukiinftige Jahr, sowie die Priifung a ) Vom Octoberdiplom an sind alle noch giltigen Verfassungsgesetze gesammelt .in der Manz'schen n Taschenausgabe der osterreichischen Gesetze". XIX. Bd. : Die Staatsgnmdgesetze. Die Keichsverfassung. Die Landesverfassungen. (6. Aufl. 1894.) 266 der Staatsrechnungsabschlusse imd der Resultate der jahrlichen Finanz- gebarung unter Mitwirkung des Eeichsrathes zu erfolgen hat. ,,111. Alle anderen Gegenstande der Gesetzgebung, welche iu den vorhergehenden Punkten nicht enthalten sind, werden in und uiit den betreffenden Landtagen verfassungsmafiig erledigt werden. ,,Nachdem jedoch mit Ausnahme der Lander der ungarischen Krone auch in Betreff soldier Gegenstande der Gesetzgebung, welche nicht der ausschliefilichen Competenz des gesammten Reichsrathes zukommeu, seit einer langen Reihe von Jahren fur Unsere iibrigen Lander eine gemein- same Behandlung und Entscheidung stattgefunden hat, behalten wir Uns vor, auch solche Gegenstande mit verfasstingsmafliger Mitwirkung des Reichsrathes unter Zuziehung der Reichsrathe dieser Lander behaudelu zu lassen. Eine gemeinsame Behandlung kann auch stattfinden, wenn eine solche in Betreff der der Competenz des Reichsrathes nicht vorbe- haltenen Gegenstande von dem betreffeuden Landtage gewiinscht und beantragt werden sollte." Gleichzeitig mit diesem Diplom wurde die Zahl der von den Landtagen zu entsendenden Reichsrathe auf 100 erhoht, die r im Ver- haltnisse der Ausdehnung. der Bevolkerung uud Besteuerung" der Lander auf dieselben vertheilt werden sollten. Im Zusammenhange mit den am 20. October erlassenen Verordnun- gen fiber die staatsrechtliche Gestaltung der Monarchic wurden auch in Beziehung auf die Organisation der obersten Verwaltungsbehor- den wichtige Veranderungen vorgeuommen. Das Armee-Obercommando wurde wieder in ein Kriegsministe- rium umgewandelt, dagegen die Ministerieu des Innern, der Justiz und des Cultus (und Unterrichts) als allgemeine Centralbehorden aufgehoben, die ungarische und die siebenburgische Hofkanzlei wieder herge- stellt und die oberste Leitung der administrativ-politischen Angelegen- heiten der anderen Lander einem ,,Staatsministeriuin" ubertragen, welchem auch die administrativen Angelegenheiten des Ministeriums fur Cultus und Unterricht zugewiesen wurden. Fur die Justizangelegeu- heiten und die Rechtsprechung in Ungarn wurde die konigliche Curie unter Vorsitz des Judex Curiae in Pest wieder eingesetzt, fur die tibrigen Lander aber der Cassationshof in Wien bestellt. Die Ver- tretung der volkswirtschaftlichen und Handelsangelegenheiten der Mon- archie sollte im Ministerrathe durch einen Handelsminister stattfinden, der Wirkungskreis desselben aber kein administrativer sein. Die verfassungsmafiigen Institutionen des Konigreiches Ungarn sollten wieder ins Leben gerufen werden und der Grundsatz, dass die gesetzgebende Gewalt nur vom Landesfursten in Gemeinschaft mit dem Landtage ausgeiibt werden solle, mit Ausnahme jener Gegen- 267 stande, die nach dem Diplom durch den Reichsrath behandelt werden sollten, wieder in Wirksarnkeit treten. Der Landtag sollte nach den Bestimrnungen des Gesetzes YOOI Jahre 1608 iiber die Art seiner Zu- sammensetzung (S. 170 f.) einbertifen werden, aber nach Aufhebung der Privilegialstellung des Adels, Einfuhrung der Amter- und Besitzfahigkeit fur alle Classen ohne Unterschied der Geburt, nach Beseitigung der bauerlichen Frohnen und Leistungen wie im Sinne der Einfuhrung der allgemeinen Wehr- und Steuerpflicht unter den fur den nSchsten Land- tag provisorisch festzustellenden Bestimmungen in fruherer Zeit nicht wahlberechtigte Classen an den Landtagswahlen theilnehraen. Die ubri- gen Gesetzartikel des Landtages 1847/48, die mit dem Diplom in Wider- spruch standen, blieben der r landtaglichen Revision und Aufhebung" vorbehalten. Auch die Stellen des obersten Landrichters und des Tavernicus (der provisorisch das Presidium der Statthalterei zu fuhren hatte) sollten hergestellt werden, die fruhere Comitatsverfassung wieder ins Leben treten, das Magyarische die Geschiifts- und Amts- sprache aller politischen und Gerichtsbehorden Ungarns sein. Siebenbiirgen sollte seine eigene Vertretung behalten, das Verhaltnis der Konigreiche Croatien und Slavonien der Bera- thung und Verstandigung der Vertretung derselben und des ungarischen Landtages vorbehalten bleiben. Die Gesetzgebung in den nichtungarischen Kronlandern sollte nach dem Octoberdiplom unter ,,Mitwirkung" der Landtage, be- ziiglich einer Reihe namentlich aufgezahlter Gegenstande besonders finan- zieller und handelspolitischer Natur wie der Militarpflicht unter n Mit- wirkung" oder auch n mit Zustimmung" eines Reichsrathes, fur den auch die Landtage Mitglieder vorzuschlagen hatten, ausgeubt werden. Aber es war nicht gesagt, ob diese Mitwirkuug eine zustimmende oder nur eine berathende sein sollte. Ebenso war keine bestiminte Grenze festgesetzt zwischen der Competenz der Landtage der nichtungarischen Lander und der Versammlung der Reichsrathe dieser Lander bezuglich jener Gegenstande, welche ,,seit einer langen Reihe von Jahren" gemein- sam behandelt und entschieden worden waren. Die Entscheidung der letzteren Frage hieng vom Kaiser oder auch von dem Antrage eines einzelnen Landtages ab. Vielleicht sollte die Losung dieser Fragen das in Aussicht gestellte Statut ftir den Reichsrath bringen, das aber nicht erschienen ist. Unter demselben Datum wie das Diplom wurden auch die Landes- ordnungen fur Steiermark, Karnten, Salzburg und Tirol publi- ciert. Sie wiesen den Landtagen das Recht zu: a) uber die kundge- machten allgemeinen gesetzlichen Anordnungen und Einrichtungen in Beziehung auf ihre besondere Riickwirkung auf das Wohl des Landes 268 Antrage an den Kaiser zu stellen, &) bei Gesetzen, die mit Riicksicht auf die besonderen Verhaltnisse des Landes zu erlassen waxen, mitzu- wirken, c) fiber besondere Landesangelegenheiten 1 ) zu berathen und Be- schliisse zu fassen. Die Zusammensetzung des Landtages begtinstigte den hoheren Clerus und Adel, besonders in Tirol und Steiermark. 2 ) Die Offentlichkeit der Verhandlungen war nur eine beschrankte. Wahler waren in Stadten und Landgemeinden nur die Gemeinderathe. 2. Das Februarpatent und der erste Reichsrath. Die Misstimmung, welche manche Punkte des Octoberdiploms wie die Art der Zusammensetzung der Landesvertretungen in weiten Kreisen hervorriefen, hatte die Folge, dass der Trager des foderalistischen Systems, Graf Goluchowski, am 13. December 1860 entlassen und an dessen Stelle Schmerling zum Staatsminister ernannt wurde.' Schon sein am 23. December erlassenes Eundschreiben an die Statt- halter kiindigte ein neues System, eine Brweiterung der Rechte der Land- tage und eine Zusammensetzung derselben auf Grund der Interessenver- tretung, nicht des Standewesens, an. Ein kaiserliches Patent vom 26. Februar 1861 schuf ein neues Gesetz liber die Reichsvertretung und fur die deutschen und slavischen Lander neue Landesordnungen, stellte eine solche auch fur das lombardisch-venetianische Konigreich in Aussicht, bis zu dessen Erscheinen die bestehenden Congregationen die Wahl in den Reichsrath vornehmen sollten, und verkiindete ,,diesen ganzen Inbegriff yon Grundgesetzen als die Verfassung des Reiches". Das ,,Februarpatent" gab sich uur als w bestimmte Ordnung und Form der Ausiibung" des Octoberdiploms. Der standige und verstarkte Reichsrath wurde aufgelost. An dessen Stelle traten einerseits ein ,,Staatsrath", andererseits ein ,,Reichsrath" in neuer Form. Dieser sollte nach dem w Grundgesetz fiber die Reichsvertretung" aus *) Als solche werden im Statut fur Tirol nameiitlich aufgezahlt: die Sorge fiir Landesanstalteii und Einriehtuiigen, MaBregeln und Unteruehmungen zur Hebung der Landwirtschaft, des Realcredits, des Handels, der Industrie uud des Verkehrs, die Auf- bringung der fiir innere Landeszwecke nothwendigen Mittel, die Oberaufsicht in Ge- meiudeangelegenheiten nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes, die Mitwirkung bei der Evidenzhaltung und Eegeluug des Grundsteuerweseus, sowie bei den Einrich- tungen iiber die Aufbringung der landesfiirstlichen Steuern nach den besonderen Ge- setzen, die selbstandige Gebarung mit dem landschaftlichen Vermogen, die Coustitui- rung der landschaftlichen Amter. Die Fassung in den anderen Statuteu weicht einiger- maBen ab. 2 ) In Tirol hatten die Pralaten, immatriculierten Adeligen, Stadte und Land- gemeinden je 14 Vertreter, in Steiermark der hohe Clerus 6, die Besitzer landtaf- licher Giiter 12 (darunter wenigstens 8 aus dem landstandischen Adel), die Stadte und Handelskammern 12, die Landgemeinden 12. 269 dern ,,Herrenhause" und dem n Hause der Abgeordneten" bestehen. Mitglieder des Herrenhauses durch Geburt sind die grofijahrigen Prinzen des kaiserlichen Hauses, erbliche Mitglieder die grofijahrigen Haupter jener inliindischen, durch ausgedehnten Grundbesitz hervor- ragenden Adelsgeschlechter, denen der Kaiser die erbliche Reichsraths- wiirde verleiht, Mitglieder vermSge hoher Kirchenwurden alle ErzbischOfc und jene Bischofe, denen furstlicher Rang zukommt, Mitglieder atif Lebensdauer vom Kaiser ernannte, ausgezeichnete Manner, die sich urn Staat und Kirche, Wissenschaft und Kuust verdient gemacht haben. Das Haus der Abgeordneten sollte 343 Mitglieder zahlen, die auf die verschiedenen KOnigreiche und Lander in der Weise vertheilt warden, dass auf Ungarn 85, l ) auf Bohmen 54, auf Galizien 38, auf die kleinsten Lander 2 entfielen. Die Wahl der fur jedes Land festgesetzten Mitglieder sollte durch den Landtag, und zwar in der Weise erfolgen, ,,dass die nach Mafi- gabe der Landesordimngen auf bestimmte Gebiete, Stadte, Korperschaften entfallende Zahl aus den Landtagsmitgliedern derselben Gebiete u. s. w. hervorgehen". Der Kaiser behielt sich aber vor, den Vollzug der Wahl unmittelbar durch die Gebiete, Stadte und Korperschaften anzuord- nen, wenn ausnahmsweise Verhaltnisse eintraten, welche die Beschickung des Hauses der Abgeordneten durch einen Landtag nicht zum Vollzuge kommen liefien. Der Reichsrath sollte jahrlich einberufen, die Prasidenten und Viceprasidenten aus den Mitgliedern jedes Hauses durch den Kaiser ernannt werden. Der Wirkuugskreis desselben umfasst nach Artikel II des Di- ploms vom 20. October 1860 alle Gegenstande der Gesetzgebung, welche sich auf Reehte. Pflichten und Interessen beziehen, die alien Konig- reicheu und Landern gemeinschaftlich sind (S. 265). Gegenstande der Gesetzgebung, die alien Konigreichen und Landern mit Ausnahme der Lander der ungarischen Krone gemeinsam sind, sollten ohne Zuziehung der Mitglieder dieser Lander verhandelt werden. Zur Competenz dieses ,,engeren" Reichsrathes sollten mit Ausnahme der gemeinschaftlicheu Angelegenheiten alle Gegenstande der Gesetzgebung gehoren, welche nicht ausdriicklich durch die Landesordnungen den einzelnen Landtagen vorbehalten sind, wie jene den Landtagen vorbehaltenen Angelegenheiten, deren gemeinsame Behandlung vom betreffenden Landtage gewunscht wiirde. Bei Zweifeln rucksichtlich der Competenz des engeren Reichs- rathes gegenuber jener eines einzelnen Landtages entscheidet auf Antrag Auf alle Lander der ungarischen Krone 120, auf die nichtungarischen 223. 270 des engeren Keichsrathes der Kaiser. Das Kecht der Initiative hat nicht blofi die Kegierung, sondern innerhalb seiner Competenz auch der Keichsrath. Antrage auf Abandoning dieses Grimdgesetzes sollten nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimraen beschlossen werden konnen. Zu alien Gesetzen ist die Ubereinstimmung beider Hauser und die Sanction des Kaisers erforderlich. Die Sitzungen beider Hauser sind offentlich, wenn nicht aus- nahmsweise das Gegentheil beschlossen wird. ,,Wenn zur Zeit, als der Keichsrath nicht versammelt ist, in einem Gegenstande seines Wirkungskreises dringende Mafiregeln getroffen wer- den niussen, ist das Ministerium verpflichtet, dern nachsten Keichsrathe Griiude und Erfolge der Verfugung vorzulegen." ( 13.) Die gleichzeitig mit dem Februarpatente kundgemachten Landes- ordnimgen fiir die nichtungarischen Kronlander sprachen aus, dass diese in Landesangelegenheiten durch die w Landesvertretung", d. h. theils durch den Landtag, theils durch den Landesausschuss vertreten werden. Als ,,Landesangelegenheiten" wurden erklart: die Anordnungen in Betreff der Landescultur, der aus Landesmitteln bestrittenen oder dotierten offentlichen Bauten und Wohlthatigkeitsanstalten wie des Voranschlages und der Rechnungslegung iiber die Landeseinnahmen und Ausgaben, weiter die r naheren Anordnungen inner den Grenzen der allgemeinen Gesetze" in Betreff der Gemeinde-, Kirchen- und Schulangelegenheiten, der Vorspannsleistung, der Verpflegung und Einquartierung des Heeres, endlich die Anordnung fiber sonstige die Wohlfahrt oder die Bedurfnisse des Landes betreffende Gegenstande, welche durch besondere Verfugun- gen der Landesvertretung zugewiesen wurden. In Landesangelegenheiten steht dem Landtage auch das -Kecht der Initiative zu. Auch iiber die Systemisierung des Personal- und Besoldungsstandes der landschaft- lichen Beamten und Diener und die Art ihrer Ernennung hat der Land- tag zu beschliefien. Weiter war der Landtag zur Mitwirkung bei der Ausubung der gesetzgebenden Gewalt berufen, indem er die festgesetzte Zahl von Mitgliedern in das Haus der Abgeordneten des Keichsrathes zu ent- senden hatte. Endlich war ihm das Recht eingeraumt, r zu berathen und Antrage zu stellen a) fiber kundgemachte allgemeine Gesetze und Ein- richtungen bezfiglich ihrer besonder.en Rfickwirkung auf das Land und b) auf Erlassung allgemeiner Gesetze und Einrichtungen, welche die Be- dfirfnisse und die Wohlfahrt des Landes erheischen". Die Wahlordnungen ffir die , Landtage beruhten auf dem Prin- cip der Interessenvertretuug. Den Erzbischofen und Bischofen wie den Rectoren der Universitaten wurden im betreffenden Landtage Viril- stimmen eingeraumt. Die fibrigen Abgeordneten wurden gewahlt, und 271 zwar nach drei Gruppen: 1. von dem grofien Grundbesitz, *) 2. von den Stadten und Markten (oder auch n lndustrialorten") und den Handelskammern, 3. von den ubrigen Gerneinden. Die erste Gruppe zerfiel in Bohmen und Mahren in zwei Wahlkorper, die der Fideicommissbesitzer 2 ) und die der ubrigen wahlberechtigten Grofigrimd- besitzer; in der Bukowina in die stimmberechtigten Mitglieder des bischftf- lichen Domcapitels und die Vorsteher von drei Klostern und in die der Besitzer grofier landtaflicher Giiter; in Tirol in die Gruppe der Pralaten und die des ,,adeligen groBen Grundbesitzes". In Galizien wurden auch fur die Wahl der Vertreter des groBen Grundbesitzes, und in Dalmatien der ,,H6chstbesteuerten u territoriale Bezirke geschaffen, wahrend sonst das ganze Land einen Wahlbezirk bildete. In Vorarlberg, welches eineu eigeuen Landtag erhielt, fiel der GroBgrundbesitz ganz fort. Auch bei der Wahl des Landesausschusses, welcher theils aus 4, theils aus 6 (in Bohmen aus 8) Mitgliedern besteht und w die gewo'hn- lichen Verwaltungsgeschafte des Landesvermogens, der Landesfonde und Anstalten besorgt und die Dienstleistung der ihm untergebenen Beamten und Diener leitet und iiberwacht", war auf diese verschiedenen Gruppen Kucksicht zu nehmen, indera je ein Mitglied von den Vertretern der- selben und nur der tibrige Theil von dem ganzen Hause gewahlt werden musste. Ein bestimmtes Verhaltnis zwischen der Zahl der Vertreter der einzelnen Wahlerclassen besteht nicht. In Bohmen, Mahren, Schlesien, Osterreich unter und ob der Enns, Salzburg, Steiermark und Istrien war die Zahl der Vertreter der Stadte, Markte und Handelskammern die groBte. In Tirol und Galizien wahlten die Landgemeinden allein die Halfte aller Abgeordneten (in Tirol 34 von 68, in Galizien 74 von 150). Auch der Census fur die Wahlberechtigung im GroBgrundbesitze 1st sehr ungleich. In den meisten Landern betragt er 100 Gulden an landesfiirstlichen Kealsteuern, in Osterreich unter der Enns 200, in Boh- men, Mahren und Schlesien 250, dagegen in Tirol, im Kreise Cattaro und einem Theile von Gorz nur 50 Gulden. In den Stadten und Markten wie in den ubrigen Geinein- den erhielten alle Gemeindeglieder das Wahlrecht, welche in Gernein-