DAS PRINCIP DER ERHALTUNG DER ENERGIE VON MAX PLANCK. VON DEE PHILOSOPHISCHEN FACULTAT GOTTINGEN PREISGEKRONT. LEIPZIG, DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER. 1887. ' Vorwort. Die Veranlassung zur Entstehung der vorliegenden Schrift gab ein Preisausschreiben, welches die Gottinger philosophi- sche Facultat fur das Jahr 1887 zur Beneke'schen Preisstiftung erlassen hatte. Die Aufgabe, welche im Jahre 1884 gestellt war, lautete wie folgt: ; ,Seit Thomas Young (Lectures on Natural Philosophy, London 1807 ; Lecture VIII) wird den Korpern von vielen Physikern Energie zugeschrieben, und seit William Thomson (Philosophical Magazine and Journal of Science, IV Series, London 1855 p. 523) wird haufig das Princip der Erhal- tung der Energie als ein fiir alle Korper giltiges ausge- sprochen , worunter dasselbe Princip verstanden zu werden scheint, was schon friiher von Helmholtz unter dem Namen des Priucips der Erhaltung der Kraft ausgesprochen war. Es wird nun zunachst eine genaue historische Ent- wickhmg der Bedeutung und des Gebrauchs des Wortes Energie in der Physik verlangt; sodann eine griind- liche physikalische Untersuchung, ob verschiedene Art en der Energie zu unterscheiden und wie jede derselben zu definieren sei; endlich in welcher Weise das Princip der Erhaltung der Energie als allgemein giltiges Naturgesetz aufgestellt und bewiesen werdeu koniie." Der Ideengang, der mich in der Bearbeitung dieser Auf- gabe leitete, sowie das Ziel, welches mir dabei vor Augen schwebte, diirfte am klarsten zur Darstellung koinmen, wenn ich aus den Bemerkungen, von denen die Einsendung meiner Arbeit an das Preisgericht begleitet war, das Wesentliche mittheile : ,,Zuvorderst sei es mir gestattet, iiber den Plan und die Ausfiihrung der Arbeit einige einleitende Bemer- kungen vorauszuschicken. Schon von jeher fiir die Lehre 815 IV Vorwort. von der Energie von besonderem Interesse erfullt, lag mir der Gedanke, sie durch die Bearbeitung der gestellten Preisauf- gabe zum Gegenstand einer ausfiihrlicheren Arbeit zu machen, um so naher, als ich personlich oft den Mangel eines Werkes empfand, welches, in erster Linie fur den Physiker von Fach berechnet, die mannigfachen Formen und AnwenduDgen, deren der Energiebegriff fahig ist, und die sich von ver- schiedenen Autoren in der verschiedensten Weise dargestellt finden, unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt vereinigt. Denn so viel in den letzten 40 Jahren bereits fiber die Lehre von der Energie geschrieben und gesprochen worden ist, so sind doch mit alleiniger Ausnahme der Helmholtz'schen Abhandlung liber die Erhaltung der Kraft vom Jahre 1847 - alle darauf beziiglichen Publicationen , sofern sie den allge- meiuen Begriff der Energie und nicht etwa nur specielle Anwendungen desselben, etwa auf die Warmelehre, behandeln, in erster Liuie fiir einen weiteren Kreis von Lesern berech- net: von den Schriften J. R. Mayer's an bis zu den um- fangreicheren Werken von A. Secchi, G. Krebs, Balfour Stewart u. a. m. ,,Es ist also ini wesentlichen ein praktisch-physikalisches Bedurfnis, dem ich mit der vorliegenden Schrift zu geniigen trachte, und icb hoffe nur, dass sich diese Auffassung nicht zu weit von dem Sinn der gestellten Aufgabe entfernt, um noch als eine Bearbeitung derselben gelten zu konnen. Die angedeutete Beschrankung erwies sich mir iibrigens auch mit Riicksicht auf die Beschaffenheit des zu bewaltigenden Stoffes als sehr gelegen, da derselbe mir wahrend der Vor- arbeiten zu solchen Dimensionen anschwoll, dass ich ohne ein durchgreifendes Sichten des ganzen Materials fiirchten musste, die Einheit der Darstellung, auf die es mir haupt- sachlich ankam, zu gefahrden. So durfte ich vor alien Dingen die Besprechung aller fiber das rein physikalische Gebiet hinausgehenden philosophischen Speculationen, die an den Begriff der Energie haufig genug gekniipft worden sind, ein- fach iibergehen; ferner konnte ich, der physikalischen Auf- fassung entsprechend , der ich auch in der Wahl des Titels Ausdruck gegeben habe, den Hauptnachdruck der Unter- suchung stets auf das Princip der Erhaltung der Energie Vorwort. V legen, wahrend ich den Beg riff der Energie nur insofern eingehend behandelte, als er mit dem Princip in Zusammen- hang gebracht werden kann, von dem Gedanken ausgehend, dass der Begriff der Energie seine Bedeutung fur die Physik erst durch das Princip gewinnt, welches ihn enthalt. Auf der anderen Seite erschien es mir im Hinblick darauf, dass die Spuren der Existenz des Begriffes der Energie doch noch betrachtlich weiter in die Vergangenheit zuriickreichen als der Gebrauch des Wortes, unerlasslich, der historischen Entwicklung des Begriffes, schon vor seiner Benennung durch Th. Young, wenigstens in aller Kiirze zu gedenken. ?; Im iibrigen war es natiirlich meiu Bestreben, die Dar- stellung so eng als moglich an den Wortlaut der Aufgabe anzuschliessen; insbesoiidere habe ich ihm entsprechend eine Eintheilung in drei Hauptabschnitte vorgenommen: Histo- rische Entwickelung, verschiedene Arten der Energie, Formu- lierung und Beweis des Princips der Erhaltung der Energie. Dabei habe ich mir allerdings, Erwagungen folgend, die sich zum Theil erst im Verlauf der Ausarbeitung selber geltend machten, eine Umstellung der Titel insofern erlaubt, als ich den in der Aufgabe an dritter Stelle genannten Abschnitt dem zweiten vorausschickte. Erschien mir einerseits diese Anderung der Ordnung als zu unwesentlich, um auf ernst- liche Bedenken zu stossen, so glaubte ich andrerseits den Intentionen des Aufgabestellers durch moglichste Riicksicht- nahme auf die Ubersichtlichkeit der Behandlung besser ge- recht zu werden, als weun ich durch allzu angstliches An- klammern an den Buchstaben den lebendigen Zusammenhang, so wie er meinem subjectiven Gefuhl nun einmal vorschwebte, beeintrachtigt hatte. ,,Nach dem schon oben dargelegten Ausgangspunkt meiner Auffassung liegt der Schwerpunkt der ganzen Arbeit im zweiten und dritten Abschnitt; doch habe ich auch dem ersten viel Miihe und Sorgfalt zugewendet; namentlich glaube ich die Zahl der irgendwie bemerkenswerten Thatsachen voll- standig erschopft zu haben, ebenso wie ich fur die Richtigkeit aller Angaben und Citate einstehen zu konnen glaube, die ich, soweit die betr. Arbeiten mir irgend zugauglich waren, stets eingehend controlliert habe. VI Vorwort. ,,Es 1st eine alte Erfahrung, dass fast jede wissenschaft- liche Entdeckung von einiger Tragweite ofters als einmal, und von verschiedenen Forschern unabh'angig von einander, ge- macht wird. Ebenso haufig trifft es aber auch zu, dass, sobald die Entdeckung einigermassen an Ansehen gewinnt, sich so- gleich eine ganze Anzahl von Bewerbern einstellen, die auf den Ruhm der Prioritat Anspruch erheben. Diese Fragen, welche bekanntlich gerade in Bezug auf das Princip der Erhaltung der Energie auf das lebhafteste ventiliert worden sind, und unter anderem leider auch zu masslosen Angriffen gegen Personlich- keiten gefiihrt haben, die mit in erster Reihe an dem Ausbau der physikalischen Wissenschaften arbeiten, sind in der vor- liegenden Schrift nur insoweit beriihrt worden, als die objective Darstellung der historischen Entwicklung des Princips mir zu erfordern schien. Zum Richter in derartigen Angelegenheiten darf ich mich um so weniger berufen fuhlen, als ja viele der Manner noch am Leben sind, die durch ihr personliches Zeugnis das competenteste Urtheil zu sprechen vermogen. Nur eine kurze allgemeinere Bemerkung sei mir hier anzu- ftigen gestattet. Gewiss hat derjenige, der einen bedeutenden Gedanken zum erstenmale ausspricht, ein bleibendes Ver- dienst gewonnen; allein es wird immer darauf ankommen zu priifen, ob er sich auch der Tragweite dieses Gedankens voll- auf bewusst war und ob er mit diesem Gedanken etwas an- zufangen und ihn weiter auszubilden verstand. Wenn man diese Bedingung bei der Beurtheilung von Priori tatsstreitig- keiten mit anlegt, so wird man sicher die Zahl der Concur- renten bedeutend einschranken rnussen. Es ist heutzutage fast Mode geworden, in den Schriften alterer Physiker und Philosophen nach Ausspriichen zu forschen, die an das Princip der Erhaltung der Energie oder an die mechanische Theorie der Warme erinnernj vieles hat man in dieser Richtang schon gefunden und wurde bei weiterem Suchen ohne Zweifel noch viel mehr finden. So wichtig indes die Feststellung der Thatsache erscheint, dass gewisse Ideeu, schon ]ange bevor sie als reife Frucht der Menschheit als Gemeingut ubermacht wurden, in den Kopfen einzelner hervorragender Geister in aller Stille heranwuchsen, so darf man doch nicht einseitig das Verdienst der Entdeckung denen zuerkennen, die viel- Vorwort. VII leicht noch gar keine Ahnung batten von der Entwicklungs- fahigkeit des Keimes, den ein gelegentlich von ihnen ge- ausserter Gedanke in sich barg. ,,Wenn es sich darum handelt, die Bedeutung eines physikalischen Satzes fur die Erforschung der Gesetze der Erscheinungswelt klar zu legen, so ist es vor alien Dingen notwendig, den Inbalt des Satzes mit solchen Thatsachen in Vergleich zu bringen, die durch die Erfahrung mit voll- standiger Sicherbeit festgestellt erscheinen, und je tiefer und umfassender die Bedeutung ist, welche man dem zu unter- suchenden Satze beimisst, um so enger muss man sich an die unmittelbaren Ergebnisse der Beobachtung anschliessen, die doch den allein zuverlassigen Ausgangspunkt aller Natur- wissenschaft bilden. Dies gilt in hervorragendem Maasse von dem Princip der Erhaltung der Energie, einem Satze von so universaler, in alle naturwissenschaftliche Theorien tief eingreifender Wirkung, dass man ihn nicht sorgfaltig genug von alien hypothetischen Vorstellungen reinigen kann, die man sich zur Erleichterung der Ubersicht iiber den ge- setzlicheu Zusammenhang der verschiedenartigen Natur- erscheinungen so leicht zu bilden geneigt ist. Denn zieht man irgend eine zweifelhafte Voraussetzung, irgend eine un- bewiesene Hypothese in die Untersuchung hineiu, so priift man nicht das Princip an sich, sondern zugleich jene Hypo- these, und eine etwaige Differenz zwischen Theorie und Erfahrung wird dann nicht allein auf Rechnung des Princips, sondern ebensogut auf die der Hypothese zu setzen sein. Von dieser Erwagung ausgehend glaubte ich in der Darstel- lung ein Hauptaugenmerk stets darauf richten zu sollen, den Begriff und das Princip der Energie vor allem auf reine Erfahrungsthatsachen aufzubauen, mit moglichster Vermei- dung aller Hypothesen, einschliesslich der verschiedenen Molekularhypothesen, wenn sich auch einige derselben in der neueren Zeit einen beachtenswerten Platz in der Wissenschaft erobert haben. So habe ich auch das Carnot-Clausius'sche Princip : den sogenannten zweiten Hauptsatz der mechanischen Warmetheorie, mit seinen Folgerungen grundsatzlich von der Untersuchung ausgeschlossen, weil er sich seinerseits erst aus dem Energieprincip entwickelt, indem er ihm ein ganz neues VIII Vorwort. Element: die Bedingungen der Umwandlung der verschiede- nen Euergiearten ineinander (S. 129) hinzufiigt. Ich beab- sichtige eventuell, ihn zum Gegenstand einer besonderen Arbeit zu machen. ,,,Erst wenn so der Boden, auf dem die Lehre von der Energie ruht, sicher fundiert ist, darf man beginnen, sie auf entlegenere Gebiete der Forschung zu iibertragen; dann soil aber das Princip nicht mehr an und fur sich untersucht werden, sondern es dient umgekehrt als Richtschnur, um andere Hypothesen daran zu priifen, In dieser Beziehung bin ich so weit gegangen, als es mir die schliesslich noch zur Verfiigung stehende Zeit erlaubte ; eine vollstandige tJber- sicht zu geben iiber alle einzelnen Anwendungen, die je von dem Princip gemacht worden sind, konnte mir nicht in den Sinn kommen, doch glaube ich immerhin, wenn auch natiir- lich nicht in der Zahl der ausseren Thatsachen, so doch in der Art der Auffassung einiges Neue beigebracht zu haben. ,,Schliesslich fiihle ich mich noch verpflichtet, der hoheu Facultat meinen aufrichtigen Dank auszusprechen fiir die viel- seitige wissenschaftliche Anregung und Forderung, die mir durch die Bearbeitung dieser reichen und schonen Aufgabe zu Theil geworden ist." Ausser meiner Bearbeitung der Aufgabe gingen noch zwei andere ein, welche nicht gekront wurden. Das Urtheil der Facultat iiber die meinige lasse ich im Wortlaut folgen: ,,Im ersten Abschnitt verbindet der Verfasser die Ent- wickelung des Energiebegriffes mit einer ausfuhrlichen Ge- schichte des Aquivalenzsatzes der mechanischen Warme- theorie, welche von seinem gesunden und selbstandigen Urtheil, von seiner eingehenden Bekanntschaft mit den Quellen das vortheilhafteste Zeugnis ablegt. Mit grosser Klarheit und genauester Sachkenntnis werden die epochemacheriden Leistungen dargestellt, welche das Princip vorbereitet und begriindet haben; die Continuitat der Entwickelung wird durch eine auf feinem wissenschaftlichen Gefuhle ruhende Wertschatzung der Zwischenglieder gewahrt. Dass auch der allmahlichen Ausbreitung des Princips, seiner Anwendung auf die verschiedenen Gebiete der Physik eiue sehr ausfiihrliche Darstellung gewidmet worden ist, war fiir die Arbeit nicht Vorwort. IX eben giinstig. Es ist dem Verfasser in diesem Theile der- selben nicht immer gelungen, den Eindruck errnudender Wie- derbolung zu vermeiden, und die Beschrankung, welche er der Freiheit seiner Darstellung durch das Voranstellen des rein historischen Gesichtspunktes auferlegt hat, wird hier be- sonders fiihlbar. Fiir die Okonomie des Ganzen wurde es besser gewesen sein, einen Theil des hier verarbeiteten Stoffes dem zweiten oder dritten Theile zu iiberweisen, wahrend auf der anderen Seite noch manches der Beriicksichtigung sich dargeboten hatte, wenn der Verfasser sich weniger streng an das Jahr 1860 als Grenze der historischen Entwickelung gebunden haben wurde. Der einseitig physikalische Stand- punkt, welchen der Verfasser mit vollem Bewusstsein ein- nimmt, bringt es mit sich, dass er den Antheil, welchen die Technik an der Entwickelung des Energiebegriffes genommen hat, nur fliichtig gestreift, den der philosophischen Ideen- kreise gar nicht beriicksichtigt hat. Grossere Fiille der Dar- stellung und eiugehendere Wiirdigung dieser Einfllisse wiirde der Facultat erwunscht gewesen sein. ,,Mit grossem Interesse hat die Facultat von dem zweiten Abschnitte der Abhandlung Kenntnis genommen; hier kommt die methodische Denkart, die grundliche mathematisch-phy- sikalische Bildung des Verfassers, die Besonnenheit seines Urtheils zur vollen Geltung. Der Liebe, mit welcher sich der Verfasser in den Gegenstand seiner Untersuchung ver- tieft hat, entspricht die Sorgfalt, mit welcher er nach alien Richtungen hin denselben aufzuklaren weiss. Mit leb- hafter Befriedigung constatiert die Facultat, dass abgesehen von einigen sachlich unbedeutendeu Incorrectheiten die Frage nach der Formulierung und dem Beweise des Energieprincips in diesem Theile der Abhandlung eine schone und vollstan- dige Losung gefunden hat. ,, Nicht ebenso unbeschrankt ist die Anerkennung, welcher die Facultat auch dem letzten Theile der Arbeit gegenuber gerne Ausdruck verleiht. Sie bedauert es, wenn die Beschran- kung der Zeit den Verfasser verhindert hat, seiner Darstellung der verschiedenen Arten der Energie die wiinschenswerte Vollstandigkeit und Gleichmassigkeit zu ertheilen. So an- ziehend die Betrachtungen des Verfassers sind, so mannig- X Vorwort. fache Belehrung man daraus zu schopfen vermag, so vermisst die Facultat doch eine allgemeinere Untersuchung der Frage, wie viele Energiearten zu unterscheiden und wie jede der- selben zu definieren sei. Statt dessen hat sich der Verfasser darauf beschrankt, im einzelnen nachzuweisen , wie in den verschiedenen Gebieten der Physik das Energieprincip als ein siclieres und einheitliches Fundament der Darstellung zu beniitzen ist. Die gewandte Behandlung, welche er von diesem Gesichtspunkte aus der Mechanik angedeihen lasst, wiirde grossere Bedeutung gewonnen haberi, wenn der Ver- fasser die Tragweite des von ihm eingefiihrten Princips der Superposition verschiedener Energien einer eiugehenderen Kritik unterworfen hatte. Auch wiirde nach der Auffassung der Facultat eine etwas eingehendere Betrachtung der Re- flexion und Brechung des Lichtes den Rahmen der Aufgabe keineswegs iiberschritten haben. Ebenso wie die Behandlung der Optik, erscheiut auch die der thermischen und chemischen Energie etwas knapp, insbesondere hat der Verfasser eine kritische Besprechung derjenigen Experimentaluntersuchungen unterlassen, auf welchen unsere Kenntnis von dem nume- rischen Werte des mechanischen Warmeaquivalentes beruht. Die Bearbeitung der elektrischen und magnetischen Energie bekundet in hinreichendem Maasse die umfassenden und griind- lichen Kenntnisse, welche der Verfasser auf diesem Gebiete besitzt, dennoch lassen seine Betrachtungen die Klarheit, Consequenz und Stetigkeit, welche das Studium seiner Schrift zu einer so angenehmen Aufgabe gemacht haben, in einzelnen Fallen vermissen. Die Facultat muss endlich den Bemer- kungen, durch welche sich der Verfasser mit dem Weber'schen Gesetz abzufinden sucht, ihre Zustimmung versagen ; sie wiirde eine eingehende Untersuchung des Weber'schen Ideenkreises fiir notwendig erachtet haben. ,,Es wird dem Verfasser nicht schwer fallen, seine Ab- handluDg in den genannten Punkten vor ihrer Veroftent- lichung zu erganzen. In dieser Hoffnung uud in voller Anerkennung des Geleisteten ertheilt die Facultat dieser Ab- handlung den zweiten Preis. a - Wenn ich mich dem von der Facultat ausgesprochenen Wunsche gegeniiber dennoch entschlossen habe ; die Arbeit Vorwort. XI im wesentlichen ungeandert der Offentlichkeit zu iibergeben, so 1st dies nicht ohne ernste Bedenkeu und reifliche Uber- legung geschehen, da mir doch Alles daran gelegen sein muss, der einmal bis zu einem gewissen Grad vollendeten Arbeit auch diejenige Vollstandigkeit und Abrundung zu geben, wie sie von solch hoher Seite fur wiinschenswert er- achtet wird. Indessen : gerade diese Erwagung war es zuerst, die mir ernstliche Zweifel einflosste, ob es mir iiberhaupt gelingen wiirde, die von der Facultat geausserte Hoffnung zu verwirklichen. Dies gilt namentlich von einer eventuellen Umarbeitung des dritten Abschnitts, besonders des Capitels iiber die elektrische Energie, im Sinne der in dem Urtheil der Facultat enthaltenen Bemerkungen. Ich bin selbstver- standlich weit entfernt, den Weber'schen Ideengangen etwas von der hohen Bedeutung nehmen zu wollen, die sie sich wahrend der letzten Jahrzehnte besonders in Deutschland errungen haben; die machtige Forderung, die grossartige Erweiterung des Uberblickes, welche auf dem gesammten Gebiete der Elektricitat und dariiber hinaus den Arbeiten des genialen Forschers zu danken ist, liegt ja einem jeden Physiker offen zu Tage. Aber ebensowenig kann ich umhin, ja ich erachte es fiir meine Pflicht, offen zu gestehen, dass ich durch sorgfaltiges Studium und reifliches Nachdenken zu der festen Uberzeugung gekommen bin, dass die mehr speculative, auf deductive Bahnen weisende Richtung, welche Weber einschlagen lehrt, ihre wertvollsten Friichte bereits getragen hat, dass also fiir die Zukunft ein weiterer wesent- licher Fortschritt von ihr nicht mehr in gleichem Maasse zu erwarten steht. Meinem personlichen Dafiirhalten nach diirfte ein solcher fiir die nachste Zeit vielmehr nur durch engen Anschluss an die inductive Methode zu gewinnen sein, und diesem Standpunkt habe ich in der Darstellung der elektrischen Erscheitiungen dadurch Ausdruck zu geben ver- sucht, dass ich mich wesentlich auf die Untersuchung gleich- formiger geschlossener Strome beschrankte, deren Gesetze ja durch die Erfahrung hinreichend festgestellt sind und die sich auch ohne das allgemeine Weber'sche Gesetz ablciten lassen, wahrend ich dagegen das Gebiet, in welchem dessen eigentliche Bedeutung anfangt: die Wirkungen ungeschlosse- XII Vorwort. ner Strome beziehungsweise bewegter elektrischer Massen- pnnkte grundsatzlich meiden oder doch nur streifen zu sollen glaubte. Da sich freilich wohl jeder Physiker zur Erhohung der Ubersichtlichkeit fiber die Erscheinungswelt eine den beobachteten Naturgesetzen moglichst angepasste Grundan- schauung nach seinem personlichen Geschmack zurechtlegt, so will auch ich gerne bekennen, dass ich mich gegenwartig zu den Anhangern derjenigen Theorie zahle, welche die An- nahme der unmittelbaren Fernewirkung und somit auch den Gedanken an die primare Existenz eines elektrischen Grund- gesetzes nach Art des Weber'schen fiberhaupt aufgibt. Die Entscheidung fiber diese Frage muss ja allerdings der Zu- kunft fiberlassen bleiben, fiir mich kommt aber dabei der eine wichtige Umstand in Betracht, dass ich mich bei dem eventuellen Versuche einer Umarbeitung im angedeuteten Sinne jedenfalls nicht mit der gleichen Freudigkeit, wie das erste Mai, an die Arbeit machen wtirde, und diese musste doch unbedingte Voraussetzung sein, wenn ich darauf rechnen wollte, die fiir mich so ehrenvollen Erwartungen der Facultlit zu erfiillen. Nehme ich zu dieser Unsicherheit in der Aus- sicht auf einen befriedigenden Erfolg den Zeitaufwand, der mit einer derartigen Umarbeitung notwendig verbunden ware, und der mich gerade jetzt, wo ich mich anderen Studien zu- gewandt habe, doppelt empfindlich treffen wiirde, sowie die damit verbundene Verzogerung in dem Erscheinen des Werkes ; dessen Abschluss nun schon fast um ein Jahr zuruckliegt, so glaube ich mich der Hoffnung nicht ganz entschlagen zu durfen, dass mein Entschluss, es bei einigen redactionellen Anderungen l ) bewenden zu lassen, und im ubrigen doch lieber die Arbeit ganz in der Form, wie sie das im Vorigen mit- getheilte Urtheil der Facultat gefunden hat, zu veroifent- lichen, auch bei der hohen Facultat die Entschuldigung finden mochte, an der mir in so hervorragendem Maasse gelegen ist. Kiel, im Juli 1887. Der Yerfasser. 1) Abgesehen von einer neu hinzugefiigten Bemerkung am Schluss des dritten Abschnitts. Inhalt. Seite. I. Abschnitt. Historische Entwickelung 191 II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips . . 92 142 III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie 143 247 1. Mechanische Energie 146188 2. Thermische und chemische Energie 188 200 3. Elektrische und magnetische Energie .... 200247 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. Zwei Satze sind es, welche dem gegenwartigen Bau der exacten Naturwissenschaften zum Fundament dienen: das Princip der Erhaltung der Materie und das Princip der Er- haltung der Energie. Vor alien anderen noch so umfassendeii Gesetzen der Physik behaupten sie den unbestreitbaren Vor- rang; denn selbst die grossen Newton'schen Axiome: die Gesetze der Tragheit, der Proportionality von Kraft und Beschleunigung, und der Gleichheit von Wirkung und Gegen- wirkung, erstrecken sich dock uur auf einen speciellen Theil der Physik : die Mechanik , fur welche sie sich iiberdies, unter gewissen spater zu erlauternden Voraussetzungen, sammtlich aus deni Princip der Erhaltung der Energie her- leiten lassen. (S. 3. Abschnitt.) Nun ist es allerdings in der neueren Zeit immer mehr wahrscheinlich geworden, dass sich sammtliche Naturvorgange auf Bewegungserscheinungen, also auf die Gesetze der Mechanik, zuriickfuhren lassen, indes ist diese Uberfuhrung jedenfalls noch lange uicht in einem Maasse gegliickt, welches die unmittelbare Anwendung jener mechanischen Axiome auf eine beliebige Naturerscheinung gestattet. Das Princip der Erhaltung der Energie dagegen documentiert seinen universellen Charakter eben dadurch, dass, wenn heutigen Tags ein ganz neues Naturphanomen entdeckt werden sollte ; aus ihm ohne weiteres ein Maass und ein Gesetz fur die neue Erscheinung zu gewinnen ware, wahrend es sonst kein anderes Axiom gibt, das mit derselbeu Zuversicht auf alle Vorgange in der Natur ausgedehnt werden konnte. Es hat sich dies in besonders deutlicher Weise ge- zeigt bei der Begriindung der verschiedeneri Elektricitats- Planck, Energie. 1 2 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. theorien, indem ausser den experimentell erharteten That- sachen (Wirkungen geschlossener Strome) die Anerkennung des Princips der Erhalturig der Energie den einzigen ge- meinsamen Ausgangspunkt ' fur alle Theorien bildet, die Auspruch auf Zulassigkeit erheben. Die am Eingang genannten beiden Priucipien stehen sich gewissermassen coordiniert gegeniiber, indem das eine die Unzerstorbarkeit des Stoffes (besser: der dutch das Gewicht gemessenen Masse), das andere die der Kraft (im entsprechenden Sinne dieses Wortes) ausdriickt, - - eine Ana- logie, die sich noch mehr ins einzelne durchfiihren lasst und die zur Klarung der Auffassung entschieden viel beigetrageu hat. So verwandt indes die beiden Satze ihreni Inhalt nach erscheiuen ; eine so verschiedenartige Entwickelungsgeschichte haben sie durchgemacht. Wahrend die Constanz der Materie schon von den alten griechischen Naturphilosophen, besonders Demokrit, behauptet, von alien Atomisten festgehalten und schliesslich von Black und Lavoisier zur unbeschraukten An- erkennung gebracht wurde durch den Satz, dass das Gewicht eines Systems von Korpern durch keinen cheinischen Process, auch nicht durch Verbrennung, geandert wird, muss man die Entdeckung des Princips der Erhaltung der Energie als eine Errungenschaft der neueren Zeit, und in seiner pracisen, allgemeinsten Form, der allerneuesten Zeit betrachten. Die erste Spur der Existenz eines derartigen Princips machte sich in der schon vor Jahrhunderten, zum Theil durch muhsame und kostspielige Experimente, also auf in- ductivem Wege, gewonnenen Erfahrung geltend, dass es nicht inoglich sei, em perpetuum mobile 1 ) zu bauen, d. h. eine (periodisch wirkende) Maschine zu construieren , durch die beliebig viel Arbeit oder lebendige Kraft gewonnen wer- den kaim, ohne einen entsprechenden Aufwand irgend eines anderen Agens, sei es Verbrauch gewisser Materialien, sei es Verlust anderer Arbeit oder lebendiger Kraft, mit anderen Worten: ohne eine gewisse damit im Zusamrnenhang stehende 1) Im Gegensatz zu seiner wortlichen Bedeutung wird der Aus- druck: Perpetuum mobile gewohnlich nicht im Sinne der bestandigen Bewegung, sondern in dem der bestandigen Arbeitsleistung gebraucht. I. Abschnitt. Historische Entwickeiung. $ anderweitige Veranderung, welche, um eine Ausdrucks- weise zu gebrauchen, die R. Clausius, allerdings bei einer ganz anderen Gelegenheit, anwendet, die Eigentumlich- keit hat, dass sie nicht riickgangig werden kann, ohne ihrer- seits, sei es mittelbar oder unmittelbar, einen Verbrauch von Arbeit oder lebendiger Kraft zu veranlassen. Diese Ver- anderung kann als Compensation, als Aquivalent der ge- leisteten Arbeit betrachtet werden und man kann dann kurz sagen: Leistung von Arbeit oder Erzeugung von lebendiger Kraft kann nicht ohne irgend eine Compensation erfolgen, oder noch kiirzer: Es ist unmoglich, Arbeit aus Nichts zu gewinnen. Inwieweit dieser Satz dazu dienen kann, das Princip der Erhaltuug der Energie in seiner Allgemeinheit zu er- weisen, werden wir im nachsten Abschnitt dieser Schrift zu zeigen haben, immerhin ersieht man schon hier, dass von der Erkenntnis dieses Erfahrungssatzes bis zur genauen mathematischen Formulierung des allgemeinen Princips noch ein weiter Weg zurtickzulegen war. Dauerte es doch ge- raume Zeit, bis man zu der weiteren, hier hochst wesent- lichen, Erkenntnis kam, dass jener Satz sicb auch um- kehren lasse, dass es also auch keine Vorrichtung gibt, durch welche sich Arbeit oder lebendige Kraft fortwahrend verbrauchen Iiesse 7 ohne eine anderweitige als Compensation zu betrachtende Veranderung. Denn die allgemeinere An- erkennung dieses letzteren Satzes ist, wie wir auch spater noch deutlich sehen werden , ungleich jiingeren Datums - ein weiterer schlagender Beweis dafiir, dass wir es hier mit einer reinen Erfahrungsthatsache zu thun haben, da es den Menschen immer mehr darauf ankam, Arbeitskraft zu ge- winnen als Arbeitskraft zu verlieren. Die ausserdem noch zu uberwindenden Schwierigkeiten bezogen sich hauptsachlich auf die Beantwortung der Frage, in welchen Vorgangen denn die oben angegebene Compen- sation zu such en sei, in welchem Zusamrnenhang die Grosse derselben mit der geleisteten (bez. verbrauchten) Arbeit stehe, was man also als Maass der Compensation, als Aqui- valenzwert der geleisteten Arbeit zu betrachten habe. Wir werden in der Folge ofters Gelegenheit haben zu bemerken, 1* 4 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. dass die meisten und wichtigsten Meinungsverschiedenheiten und Missverstandnisse , die im Laufe der Zeiten bei der An- wendung unseres Princips zu Tage traten, sich nicht sowohl auf die Anerkennung oder Leugnung des Satzes an sich be- zogen, seine Giltigkeit wurde in der Regel allgemein zu- gegeben soiidern vielmehr auf die Messung der Compen- sation, auf den Aquivalenzwert der geleisteten Arbeit. Es lasst sich dies bis in die neueste Zeit hinein verfolgen. Trotz seiner unvollkommenen Form zeigte der primitive Satz, dass Arbeit ebensowenig wie Materie aus Nichts ent- stehen kann, doch schon in friiheren Zeiten eine gewisse Fruchtbarkeit, und wahrend er sich tiefer und tiefer dem mensehlichen Denken einpragte, wurde dadurch die beste Vorbereitung fiir seine nachmalige Pracisierung durch das allgememe Princip .gewonnen. Auch zu wissenschaftlichen Schlussfolgerungen , in der Mechanik, finden wir den Satz von der Unmoglichkeit des perpetuum mobile wiederholt verwendet. Beriihrnt ist der Beweis, den S. Stevin ! ) in semen 1605 in Leiden erschienenen Hypomnemata mathematica 2 ) fiir die Gleichgewichtssatze an der schiefen Ebene gibt und als Grundlage seines ganzen Systems der Statik verwertet. Denkt man sich iiber die Spitze und die anstossenden Schenkel eines vertical aufgestellten Dreiecks (mit horizon- taler Grundlinie) eine schwere Kette gelegt, deren auf beiden Seiten der Grundlinie herabhangende Enden zusammen ver- bunden sind, so ist nach Stevin klar, dass die Kette sich im Gleichgewicht befindet. Denn ware dies nicht der Fall, so wurde sie nach einer Seite hin zu gleiten anfangen, und diese Bewegung wurde ohne Ende fortdauern, da die Con- figuration des Systems stets dieselbe bleibt; man konnte also diese Vorrichtung benutzen, um ohne eine entsprechende Compensation bis ins Unendliche Arbeit zu gewinnen. Aus der Unmoglichkeit eines solchen Apparates schliesst Stevin das Bestehen des Gleichgewichts ? das auch dann ungestort 1) Vgl. E. Mach: Die Mechanik in ihrer Entwickelung historisch- kritisch dargestellt, Leipzig 1883, p. 24. E. Dvi bring: Kritische Ge- schichte der allgemeinen Principien der Mechanik, Berlin 1873, p. 61. 2) S. Stevin us: Hypomnemata mathematica, franzosisch von Girard. Leiden 1634, p. 448. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 5 bleibt, wenn man die beiden von den Endpunkten der Grund- liuie symmetrisch herabhangenden Kettenenden gleichzeitig abschneidet, so dass schliesslich der auf den ersten Anblick durchaus nicht in die Augen springende Satz resultiert, dass eine liber ein verticales Dreieck gelegte ungeschlossene Kette sich dann im Gleichgewicht befindet, wenn ihre Endpunkte in derselben horizontalen Ebene liegen. Auch G. Galilei scheint bei dem Beweis des Satzes, dass die von einem schweren Korper durch den Fall auf einer beliebigen Bahn erlangte Geschwindigkeit nur von dern ver- ticalen Abstand der Anfangs- und der Endlage abhangt, von einer ahnlichen Voraussetzung wie Stevin ausgegangeu zu sein, durch die Annahme, dass, wenn dieser Satz unrichtig ware,, sofort ein Mittel angegeben werden konnte, um einen Korper nur durch. die Wirkung seiner eigenen Schwere auf eine grossere Hohe zu bringen, indem man ihn auf einer gewissen Curve fallen und auf einer anderen geeigneten wie- der aufsteigen liesse; dadurch ware dann naturlich das perr petuum mobile gegeben. In engem Zusammenhang hiermit steht die ebenfalls schon von Galilei gewonnene Erkenntnis, dass, wenn durch ein herabsinkendes Gewicht eine grossere Last (langsam) gehoben wird, die Producte der Gewichte in die gleichzeitig zuriickgelegten Wege gleich sind - - ein Satz, der spater, namentlich durch Joh. Bernoulli 1 ) (1717) zuni Princip der virtuellen Verschiebungen (Geschwindigkeiteu) erweitert wurde. - Gerade der Satz, dass ein Korper nicht durch seine eigene Schwere emporsteigen kann, oder allgemeiner gesprochen: dass ein System schwerer Punkte oder Korper nicht durch die treibende Kraft seiner eigenen Schwere seinen Schwer- punkt hoher riicken kann, ist fur die Entwickelung der Mechanik durch C. Huygens von der grossten Bedeutung ge- worden. Derselbe sttitzte bekanntlich 2 ) seine Theorie des physikalischen Pendels auf den Satz, dass ein System fest mit einander verbundener mathematischer Pendel (als welches ja jedes physikalische Pendel angesehen werden kann) bei 1) Joh. Bernoulli: Opera, 1742, T. III. 2) C. Huygens: Horologium oscillatorium, Paris, 1673. (3 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. der aufsteigenden Bewegung seinen Schwerpunkt vermittelst der anfanglichen Geschwindigkeit nicht hoher riicken kann, als wenn die Pendel alle (niit derselben Anfangswinkelge- schwindigkeit) unabhangig von einander schwirjgen wurdeii. Einen Beweis dieses Satzes zu liefern scheint Huygens nicht fur notig befunden zu haben, es muss also die instinctive Uberzeugung von seiner Riehtigkeit, d. h. die Anerkennung der Uumoglichkeit des perpetuum mobile, bei ihm schon vorhanden gewesen sein. Gibt man den Satz als richtig zu, so folgt daraus unmittelbar die Lehre vom Schwingungs- mittelpunkt. In dem Satz von Huygens liegt schon das Princip der lebendigen Kraft in seiner Anwendung auf die Schwere ent- halten; denn man wusste ja schon durch Galilei, dass die Hohe, bis zu welcher ein empor geworfener Korper auf- steigen kann, proportional ist dem Quadrat seiner Geschwin- digkeit, und kounte daher, nachdem Leibnitz 1 ) im Jahre 1695 fur die Grosse mv 2 den Namen vis viva eingefiihrt hatte (der Factor ! / 2 findet sich wohl zuerst bei Coriolis 2 )), den Satz aussprechen, dass die lebendige Kraft eines Korpers, der sich unter dem Einfluss der Schwere bewegt, einerlei ob ganz frei oder durch feste Verbindungen (Drehungsaxen u. dgl.) besehrankt, lediglich abhangt von der Hohe des Schwerpunkts. Leider ist durch die Leibnitzsche Bezeichnungsweise, die sich ja bis auf den heutigen Tag erhalten hat, infolge einer Verwechshmg mit dem Newtonschen Kraftbegriff, eine un- heilvolle Verwirrung der Ideen und eine zahllose Schaar von Missverstandnissen heraufbeschworen worden, die cladurch nicht vermieden werden konnte, dass Leibnitz fur den Druck eines ruhenden schweren Korpers, also fur die Newtonsche Kraft, die unterscheidende Bezeichnung vis mortua angewendet wissen wollte; die beiden Arten von Kraften: lebendige und todte Kraft waren nun einmal von ganz verschiedenen Di- mensionen. Wir werden auf diesen Punkt auch spater noch, bei der Besprechung von R. Mayers Arbeiten, zuruckkommen. Die Bedeutung des Begriffes der lebendigen Kraft fur die Gesetze des S tosses wurden schon fruher (1669) von 1) G. W. Leibnitz: Acta Erud. Lips. 1695. 2) Coriolis: Calcul de 1'effet de machines, Paris 1829. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 7 Wren uiid Huygens erkannt, indem dieselben in ihren Theo- rien des elastischen Stosses iibereinstimmend zu dem Resultat kamen, dass beim Stoss zweier elastischer Korper keine leben- dige Kraft verloren geht; dagegen ergibt sich aus den Ge- setzen, die gleichzeitig Wallis in seinen Untersuchungen iiber den unelastischen Stoss aufdeckte, ein Verlust von lebendiger Kraft bei diesem Stoss. Am meisten gewann jedoch der Begriff der lebendigen Kraft an Interesse durch die bekannte Controverse zwisclien Descartes (Papin) und Leibnitz, die noch lange nach deren Tode von ihuen beiderseitigen Anhangern mit steigender Heftigkeit weitergefiihrt wurde, tiber das wahre Maass der Kraft eilies in Bewegung befindlichen Korpers. Leibnitz stiitzte sich dabei auf die Erfahrung, dass zur Hebung eines bestirnmten Gewichtes um. 4 Fuss die namliche Kraft (Arbeit) erforderlich ist ; wie zur Hebung des 4fachen Gewichtes um 1 Fuss, da man ja in beiden Fallen die ganze Leistung zer- legen kann in 4 einzelne Leistungen, jede bestehend in der Hebung des einfachen Gewichtes um 1 Fuss. Denkt man sich nun die Hebung der Gewichte dadurch bewerkstelligt, dass man ihnen eine nach oben gerichtete Geschwindigkeit ertheilt, die gerade dazu hiureicht, sie auf die bestimmte Hohe zu bringeii, so muss man nach den Galileischen Satzen dem einfachen Gewicht, damit es die vierfache Hohe erreicht, nicht die vierfache, sondern die doppelte Geschwindigkeit ertheilen von der, die man dem vieri'achen Gewicht zu geben hat, damit es die einfache Hohe erreicht. Da aber zu gleichen Wirkungen gleiche Ursachen gehoren, so, schliesst Leibnitz, ist auch die dem einfachen Gewicht mit der doppelten Geschwindiglgeit innewohnende Kraft gleich der dem vierfachen Gewicht mit der einfachen Geschwindigkeit innewohnenden Kraft, woraus allgemein der Ausdruck mv' 2 als Kraftemaass folgt. Anders Descartes und seine Schiller : Eine doppelte Kraft erzeugt an dem namlichen Korper in der namlichen Zeit eine doppelte Geschwindigkeit, folglich bildet die Quantitat der Bewegung: mv das wahre Kraftmaass ! ). 1) M. Zwerger: Die lebendige Kraft und ihr Maass. Ein Bei- trag zur Geschichte der Physik. Mimchen 1885. 8 1. Abschnitt. Historische Entwickelung. Nach unserer heutigen exacteren physikalischen Auf- fassungsweise, die genau zwischen Kraft und Arbeit unter- scheidet, inussen wir natiirlich diesen ganzen Streit zunachst als reinen Wortstreit erklaren; denn von einer sachlichen Controverse kann doch erst dann gesprochen werden, wenn mau sich iiber die (von vornherein vollstandig willkuhrliche) Definition des Begriffes geeinigt hat, von dem die Rede ist. So lange man also mit dem Worte Kraft keine klare Vor- stellung verband, war ein Streit tiber das Maass der Kraft vollstandig gegenstandslos. Indessen ist nicht zu verkennen, dass dem besprochenen Streite dennoch ein wetentlich tieferer Inbalt zu Grunde lag; denn die Partheien waren sich, wenn dies auch nur gelegentlich und undeutlich ausgesprochen wurde, in der That bis zu einein gewissen Grade iiber das einig, was sie unter ,,Kraft" verstehen wollten. Descartes sowohl als Leibnitz hatten sicherlich eine, wenn auch nicht ganz klar pracisierte Vorstellung von der Existenz eines Princips, welches die Unveranderlichkeit und Unzerstorbar- keit desjenigen ausspricht, aus dem alle Bewegung und Wirkung in der .Welt hervorgeht. Wahrend Descartes die Giltigkeit dieses Princips durch theologische Betrachtungen unterstutzte, die auf die Ewigkeit des Schopfers basiert sind, geht Leibnitz aus von dem Gesetz der Ursache und Wirkung. Eine Ursache kann nur diejenige Wirkung hervorbringen, die ihr gerade entspricht, keine grossere und keine kleinere. Es kann also in der fortlaufenden Kette von Ursachen und Wirkungen, aus denen die Erscheinungen der Welt gebildet sind, weder ein Wachstum noch eine Abnahme stattfinden: es ist etwas da, was constant bleibt. Nennen wir dieses Etwas Kraft, SQ haben wir eine, wenn auch nur sehr un- vollkommene Vorstellung von dem, was in dem Begriff der Kraft den gemeinsamen Ausgangspunkt fur die beiden ver- schiedenartigen Auffassungen bildete. Denn nun war sehr wohl eine Meinungsverschiedenheit dariiber moglich, ob die Descartes'sche Quantitat der Bewegung, oder ob die Leib- nitz'sche lebendige Kraft das wahre Maass jenes Begriffes ist. Ware der Streit in dieser etwas praciseren Form gefiihrt worden, so hatte Leibnitz Eecht behalten mussen. Wir haben hier schon einen der oben erwahnten Falle vor uns, I. Absclmitt. Historische Entwickelung. 9 wo es sich weniger urn die Anerkennung der Unverander- lichkeit der Kraft handelt, als um den Aquivalenzwert dieser von beiden Partheien als unveranderlich anerkannten Grosse, namlich um das Maass der Compensation, welche in der Geschwindigkeit eines Korpers eintritt, wenn seine Be- wegung dazu benutzt wird, um eine bestimmte Wirkung hervorzubringen. Derselbe Gedanke wird uns noch ofters wiederkehren. Als gegen Eude des 17. Jahrhunderts die Mechanik, die damals noch fast den einzigen Zweig der Physik ausmachte, durch Isaac Newton zu der Vollendung gefiihrt wurde, die heute noch im Wesentlichen uniibertroffen dasteht, wurde auch der Begriff der Kraft, wie es scheint, fur alle Zeiten, endgiltig festgestellt , und zwar in einem Sinne, der sich an das von Descartes gebrauchte Kraftmaass anschliesst. Newton (1687) fasste die Kraft unmittelbar als einen Druck auf (wie er durch das Muskelgefuhl wahrgenommen werden kann) und maass daher die Grosse einer Kraft durch die Bewegungs- quantitat, die dieser Druck an der Masseneinheit in der Zeiteinheit hervorbringt, woraus sich die Dimension der Kraft als Product aus Masse und Beschleunigung ergibt. Diese Grosse hat natiirlich mit dem Princip der Erhaltung der ,,Kraft" Nichts zu thun, und es mag dies auch em Grund gewesen sein, weshalb nun fur eine Zeit lang dies Princip wieder etwas an Interesse verier. Der Leibnitz'sche Kraft- begriff erscheint jetzt als die Leistung odgr Arbeit der Newton'schen Kraft; letztere bezeichnet bios eine notwen- dige, aber noch nicht hinreichende Bedingung, eine Leistung zu vollbringen. Newton selber scheint sich mit dem Begriffe der Leistung oder Arbeit einer Kraft niemals besonders beschaftigt zu haben, wenn sich in seinen Werken auch einige Stellen auf- finden lassen, wo er diesem Begriffe naher tritt. Dahin gehort die oft citierte Definition der actio agentis 1 ) (Product einer Kraft in die entsprechende Geschwindigkeitscomponente ihres Angriffspunktes), welche Grosse die von der Kraft in 1) I. Newton, Philosophiae naturalis principia mathematica, Opera, ed. S. Horsley. Vol. II. Londini 1779. p. 28 s. 10 I. Abscbnitt. Historische Entwickelung. der Zeiteinheit geleistete Arbeit angibt. Indess wird von clieser Definition kein weiterer Gebrauch gemacht; iiberhaupt scheinen mir die Versuche, aus dieser Stelle, die dem- Corn- men tar zu dem Axiom von der Gleichheit der Action und Reaction entnommen ist, das Princip der Erhaltung der Energie abzuleiten ; keinen Erfolg zu versprechen, schon weil der Inhalt der genannten beiden Satze ganz verschiedenen Gebieten angehort. Jedenfalls nahm Newton die Thatsache, dass durch Reibung oder durch unvollkommene Elasticitat Bewegung verloren geht, ohne irgend ein Bedenken oder sonstige Bemerkung bin 1 ). Die weitere Ausbildung des Begriffes der Arbeit und der lebendigen Kraft verdanken wir vielmehr den Physikern von Basel, vor allem Job. Bernoulli, der sich ziemlich eug an die Leibnitz'sche Auffassung anscbliesst. Derselbe spricbt zu wiederholten Malen von der conservatio virium vivarum und betont dabei, dass, weim lebendige Kraft verscbwindet, die Fahigkeit, Arbeit zu leisten (facultas agendi 2 )) doch nicbt verloren geht, sondern nur in eine andere Form (z. B. Compression) umgewandelt wird 3 ). Nach L. Euler ist die lebendige Kraft eines Punktes, der von eineni festen Centrum nach einer Potenz der Entfernung angezogen oder abgestossen wird, immer dieselbe, so oft er wieder an die namliche Stelle im Raume kommt, w'ahrend im iibrigen ihre Zuriahme durch die Arbeit (effort) der Kraft gemessen wird. (Der Ausdruck travail stammt von Poncelet. 4 )) Daniel Bernoulli erweiterte diesen Satz auf mehrere bewegliche Punkte und lehrte aus- serdem die bohe Fruchtbarkeit der von seineni Vater ent- wickelten Principien fiir die Bewegungsgesetze der Fliissig- keiten kennen 5 ). 1) I. Newton: Opera, ed. S. Horsley. Vol. IV. Londini 1782. p. 258. 2) Job. Bernoulli: Opera, 1742. T. III. p. 239. 3) Job. Bernoulli: Opera, Lausannae et Genevae 1742, T. Ill, p. 243. 4) Poncelet: Cours de mecanique appliquee aux machines. Metz 1826. 5) Dan. Bernoulli: Hydrodynamica, 1738. Ausserdem vgl. Re- marques sur le principe de la conservation des forces vives pris dans un sens general. Histoire de 1'Academie de Berlin, 1748, p. 356. \ R$af T y I. Abschnitt. Auch in der Technik machte sich das Bediirfnis nach naherem Studium des Arbeitsbegriffes geltend und fiihrte durch J. Watt zur Einfuhrung der Bezeichnung ,,Pferde- kraffc" (Arbeit eines Pferdes pro Secuiide). Thomas. Young war es, der fur die lebendige Kraft eines bewegten Korpers zuerst den Nam en Energie ge- brauchte und so den Grand legte zu der heutigen Bedeutung dieses Ausdrucks. (Das Wort evegysia in physikalischer Bedeutung findet sich schon bei Aristoteles; auch andere Physiker: Galilei, Joh. Bernoulli 1 ) wenden es gelegentlich an, ohne jedoch einen speciellen Sinn damit zu verbinden.) Bei seiner Untersuchung der Gesetze des Stosses fand Young 2 ), ebeuso wie vor ihm schon Wren, Wallis und Huygens, dass beim centralen Stoss zweier Korper die Bewegungsquantitat (also die Bewegungsgrosse des Schwerpunktes) unter alien Umstanden erhalten bleibt, und bezeichnet, ganz im Des- cartes'schen Sinn, unter Verwerfung der gegentheiligen, von Leibnitz und Smeaton geausserten Ansichten, diese Grosse als das wahre Maass der dem bewegten Korper innewohnen- den Kraft. Indes halt er doch die von Anderen als leben- dige Kraft bezeichnete Grosse fiir wichtig genug, ihr einen besonderen Namen, den der Energie des bewegten Korpers, beizulegen, besonders da es Falle gibt, wo die Wirkung des bewegten Korpers offenbar nach dem Quadrate seiner Ge- schwindigkeit bemessen wird. So bohrt eine Kugel mit doppelter Geschwindigkeit ein viermal so tiefes Loch in ein Stuck weichen Lehni oder Talg, als eine mit einfacher Ge- schwindigkeit, und um die Geschwindigkeit eines Korpers zu verdoppeln, muss man ihn von der vierfachen Hohe fallen 1) Herr Hagenbach hebt in einem Vortrag uber Die Verdienste von Joh. und Dan. Bernoulli um den Satz der Erhaltung der Energie (Verb. d. naturf. Ges. zu Basel, Th. VII, 1884) wiederholt (p. 24 und p. 28) bervor, dass bereits Job. Bernoulli dem Arbeitsbegriff den Namen ,,Energie" gegeben babe. Ich konnte indes trotz sorgfaltiger Durcb- sicht aller Bernoulli'schen Schriften (Opera, 1742) diese Bemerkung nirgends bestatigt finden; das eirizige Mai, wo mir das Wort energie auffiel, (T. Ill, p. 45) wird es in einem ganz anderen Sinne gebraucbt. 2) Th. Young: A course of lectures on natural philosophy. London 1807. Vol. I. Lect. VIII. p. 75. On collision. 12 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. lassen. Auch dass vollkommen elastische Balle beim Stoss ihre Energie behalten, hebt Young hervor. Nichtsdestoweniger steht er dem allgemeinen Princip der Erhaltung der Energie noch fern; denn die hierzu notwendige Erweiterung des Be- grifies der Energie war einer spateren Zeit vorbehalten. Uberblicken wir in Kurze die bis zum Ausgang des vorigen und Beginn des jetzigen Jahrhunderts auf dern von uns geschilderten Gebiete vorliegenden Forschungen, so ist als die gereifte Frucht derselben die Erkenntnis des Gesetzes der Erhaltung der lebendigen Krafte zu bezeichnen. In einem System von materiellen Punkten, die Centralkraften unter- worfen sind, ist die lebendige Kraft nur abhangig von der augenblicklichen Configuration des Systems, namlieh von dem Werte, welchen die (von R. Hamilton so benannte) Krafte- function bei dieser Configuration hat. Die Anderung der Kraftef unction misst also die von den Kraften geleistete Arbeit, einerlei auf welchem Wege die Veranderung statt- findet; bei der Ruckkehr in dieselbe Configuration ist auch die lebendige Kraft wieder dieselbe. Durch diesen Satz ist die Construction eines perpetuum mobile durch rein niecha- nische Wirkungen ausgeschlossen. Allerdings musste die Giltigkeit desselben beschrankt werden auf eine bestinimte Art von Kraften, die gegenwartig als Conservative" charak- terisiert zu werden pflegen ; auf Reibung , unelastischen Stoss u. s. w. findet er keine Anwendung, hier tritt viel- mehr regelmassig Verlust von lebendiger Kraft ein. Welch grossartiger Verallgemeinerung das Gesetz der lebendigen Krafte fahig ist, davon mochten damals nur die Wenigsten eine Ahnung haben. Dennoch ist es Thatsache, dass schon am Ende des vorigen Jahrhunderts die Unmog- lichkeit der Construction des perpetuum mobile, auch nach anderen als mechanischen Methoden, so ziemlich allgemein eingesehen wurde , wofiir den besten Beweis der Umstand liefert, dass die franzosische Akademie 1 ) im Jahre 1775 ein fur alie Mai erklarte, keine angeblichen Losungen dieses Problems mehr anzunehmen. Den meisten Zeitgenossen 1) Hist, de 1'Acad. Roy. des Sciences. 1775, p. 61 u. 65. H. v. Helmholtz: Vortrlige und Keden. Braunschweig 1884. I. p. 64. I. Abschnitt Historische Entwickelung. 13 inochte diese Unmoglichkeit als eine bedauerliche Thatsache, als eine Art notwendiges Ubel erscheinen, ohne dass Jemand daran gedacht hatte, daraus fur die Wissenschaft Capital zu schlagen, trotz der Erfolge, die Stevin und Huygens schon in dieser Richtung erzielt batten. Da that Sadi Carnot 1 ) im Jahre 1824 den ersten ent- scheidenden Schritt, der die Anwendbarkeit jenes Satzes aucb auf nichtmechanische Erscheinungen zeigte. Da die Erfindung der Dampfmaschine den Mangel einer befriedigen- den Theorie der mecbanisehen Wirkungen der Warme aufs empfindlichste fiihlbar gemacht hatte, so unternahm es Carnot, ausgehend von dem Gedanken der Unmoglichkeit des perpe- tuum mobile, eine neue Theorie der Warme zu begrimden, die spater in deniselben Sinne, aber mit noch etwas elegan- teren, leichtfasslieheren Darstellungsmitteln, voh Clapeyron 2 ) weiter ausgebildet wurde. Hiebei zeigte sich nun aber wie- der, dass die Anwendung jenes Princips als wichtigste Be- dingung die richtige Bestimmung des Aquivalenzwertes der geleisteten Arbeit verlangt. Es handelte sich um die Frage: Wenu durch Warme Arbeit erzeugt wird, welcher Vorgang muss dann als Compensation fur die geleistete Arbeit angesehen werden und wie hat man dieselbe zu messen? Da zur Zeit Carnot's diejenige Theorie der Warme in vollem Ansehen stand, welche die Warme als einen (unzerstorbaren) StofF betrachtet, dessen Vorhandensein in grosserer oder ge- ringerer Menge einen Korper mehr oder weniger warm er- scheinen lasst ; so inusste er auf den Gedanken kommen, dass die Warmematerie auf ahnliche Weise lebendige Kraft pro- duciert wie die Schwere der ponderablen Materie. Letztere hat das Bestreben, aus hoheren in tiefere Lagen zu fallen; die dabei erzeugte lebendige Kraft wird gemessen durch das Product der Schwerkraft in die durchfallene Hohe, und dies Product ist daher das Aquivalent der erzeugten lebendigen 1) S. Carnot: Reflexions sur la puissance niotrice du feu, et sur les machines propres a developper cette puissance. Paris 1824. Wieder abgedruckt Ann. de Tecole norm. (2) I. p. 393, 1872. 2) Clapeyron: Mernoire sur la puissance motrice du feu. Journ. de 1'ecole polytechnique, T. XIV, p. 170, 1834. Pogg. ADD. 59, p. 446 und 566, 1843. 14 I. Abschoitt. Historische Entwickelung. Kraft. Daraus schloss Carnot: Das Warmefluidum hat das Bestrebeu, aus hoheren in tiefere Temperatureri iiberzugehen, wie man aus den Gesetzen der Warmeleitung erkennt. Man kann aber dies Bestreben nutzbar machen und damit leben- dige Kraft erzeugen, die dann gemessen wird durch das Product der iibergegangenen Warmemenge in das durch- laufene Temperaturintervall. Daher suchte Carnot die Com- pensation fur die Erzeugung von Arbeit in dem Ubergang von Warme aus hoherer in tiefere Temperatur und betrach- tete als das Maass derselben, also als das Aquivalent der Arbeit das Product einer Warmemenge in eine Temperatur- differenz. Nach einer Berechnung von Clapeyron ist der Ubergang einer Calorie von 1 Cels. auf Cels. gerade im- stande, 1,41 Kilogramm 1 Meter hoch zu heben, man rnusste danach die Zahl 1,41 das Carnot'sche Warmeaquivalent nen- nen. (Diese Zahl ist nichts Anderes als das Joule'sche mecha- nische Warmeaquivalent dividiert durch die absolute Tem- peratur in Cels.-Graden des schmelzenden Eises.) -Wie man sieht, gleichen diese Betrachtungen der Form nach ganz denen, die spater von Mayer und Joule angestellt wurden, Carnot's Fehler liegt bios darin, dass er eine falsche Vor- stellung von der Art des Vorganges mitbrachte, in welchem die Compensation fur die erzeugte Arbeit zu suchen ist, eine Vorstellung, die aber durch die damals herrschende Theorie der Warme wesentlich bedingt wurde. In der Mechanik lasst sich Arbeit auf zweierlei Weise erzeugen: durch Leistuug anderer Arbeit oder durch Auf- wand von lebendiger Kraft. Statt nun das Analogon der Arbeitserzeugung durch Warme in dem zweiten Vorgang zu suchen, also die Compensation in dem Verschwinden von Warme zu erblicken und die geleistete Arbeit durch die Quantitat der vernichteten Warme zu messen, verglich Carnot die Wirksamkeit der Warme mit der Arbeitsleistung durch die Schwere der ponderablen Materie, die an uud fur sich unzerstorbar ist und nur durch Veranderungen ihrer Lage imstande ist Wirkungen hervorzubringen. Fur Carnot war also die Warme nichts anderes als wie fur Newton die Kraft : eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung, Wirkungen hervorzubringen. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 15 Man sieht aber auch welter ; dass, da sich die Carnot- Clapeyron'sche Theorie wesentlich auf das Princip des aus- geschlossenen perpetuum mobile stiitzt, auf ihr sehr wohl auch ein Princip der Erhaltung der Energie aufgebaut werden konnte, nur hat man danu als Energie der Warme nicht eine einfache Warmenienge, sondern das Product einer Warmenienge in eine Temperatur arizusehen, und es ist daher unrichtig anzunehmen, dass das Princip der Erhaltung der Energie an sich einen Widerspruch gegen die materielle Warmetheorie involviere, im Gegentheil: Carnot steht gerade voll uud ganz auf dem Boden dieses Princips. In tJberein- stimmung mit dieser Anschauung fiihrt Helmholtz *) in seiner ,,Erhaltung der Kraft" beide Theorien, die materielle und die mechanische, als von vorneherein neben einander gleich- berechtigt an, und verwirft die erstere nur aus dem Grunde, weil durch Experimente nachgewiesen ist, dass die Quantitat der Warme sich andern kann. [Fiir die Beurtheilung der Leistungen Carnot's ist iibri- gens die Thatsache sehr wichtig und hier um so bemerkens- werter, weil sie in weiteren Kreisen ganzlich unbekannt geblieben sein diirfte, dass Carnot, wie sich aus eineni hand- schriftlich nachgelassenen Aufsatz ergibt, der von seinem iiberlebenden Bruder 2 ) der franzosischen Akademie zugeeignet worden ist, sich langere Zeit nach Herausgabe seines Haupt- werkes veranlasst sah ; die von ihm bis dahin vertretene materielle Warmetheorie aufzugeben und die Warme fur Be- weguug zu erklaren. Soviel aus dem Inhalt des genannten Aufsatzes in den Comptes rendus mitgetheilt ist, lasst er- kenrien, dass Carnot sich der Consequenzen, die aus dem Princip der Erhaltung der Energie fur die neue Anschauung fliessen, ebenso klar bewusst war, wie bald nach ihm J. R. Mayer und J. P. Joule. Es heisst daselbst u. A.: Uberall, wo Arbeit verschwindet (ou il y a destruction de puissance motrice), findet Warmeerzeugung (production de chaleur) statt, und umgekehrt, in proportionalen Mengen. Dabei ist nach einer nicht naher angegebenen Berechnung 1 Arbeits-Einheit 1) H. v. Helmholtz: Wiss. Abh. I. Leipzig 1882, p. 33. 2) H. Carnotr'Lettre. Compt. Rend. 87, p. 967, 1878. 1(3 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. (die Hebung eines Cubikmeters Wasser urn 1 Meter) aqui- valent einer Erwarmung um 2,70 Calorieri, - - eine Zahl, die das mechanische Warmeaquivalent zu 370 kgrm. (vgl. die Mayer'sche Zahl) ergibt. Wenn man bedenkt, dass Carnot diese Berechnung mindestens 10 Jahre friiher als Mayer anstellte (er starb im Jahre 1832), so fallt ihm unbedingt das Verdienst der erstmaligen Auswertung des mechanischen Warmeaquivalents zu. Fiir die Wissenschaft ist allerdings, Mangels einer rechtzeitigen Veroffentlichung , diese Ent- deckung leider nicht mehr nutzbar gewordeii.] Die Carnot-.Clapeyron'sche Theorie der Warmewirkungen fand weitere Ausbildung besonders in England; noch im Jahre 1848 griindete W. Thomsonj!) auf sie seine absolute Temperaturscala ; denn es ist klar, dass, wenn das Product aus Warme und Temperatur aquivalent ist einer Arbeit, aus dieser Gleichung eine Definition der Temperatur abgeleitet werden kann, wenn das Maass der Warme gegeben ist. Ein bestimmtes Temperaturintervall ist dann vollstandig definiert durch den Betrag der Arbeit, welche eine durch dieses Inter- vail ,,herabsinkende" Calorie zu leisten imstande ist. Eine wesentliche Schwache dieser Theorie liegt aber schon in der Annahme, dass Arbeit, wiewohl sie nicht aus Nichts entstehen kann, so doch in Nichts vergehen kann. Clapeyron 2 ) spricht dies ruudweg aus, er sagt: Bei directer Leitung von Warme aus einem warmeren in einen kalteren Korper geht Wirkungsgrosse (Fahigkeit, Arbeit zu leisten) verloren. Man kann also nach ihm sehr wohl Arbeit ver- lieren, ohne dass dafiir irgend ein als Compensation dienendes Aquivalent gewonnen wird. Ebenso dachte er von der Rei- bung: sie vernichtet lebendige Kraft ohne ein Aquivalent dafiir zu liefern. Thomson dagegen erblickte in diesem Punkt eine bedeutende Schwierigkeit der Carnot'schen Theorie, indem er offenbar schon damals von der Uberzeugung durch- 1) W. Thomson: On a absolute thermometric scale founded on Carnot's theory of the motive power of heat, and calculated from Regnault's observations. Phil. Mag. (3) 33, p. 313, 1848. 2) Clapeyron: Memoire sur la puissance motrice du feu. Journ. de Tecole poly technique, T. XIV, p. 170, 1834. Pogg. Ann. 59, p. 446 und 566, 1843. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 17 drungen war, dass der Satz vom perpetuum mobile auch umkehrbar ist. Er aussert sich folgendermassen 1 ): Wenri durch directe Leitung YOU Warme aus hoherer zu tieferer Temperatur Warmewirkung aufgewendet wird, was wird dann aus dem mechanischen Effect, der durch diesen Ubergang erzielt werden konnte? In der Natur kann Nichts verloren gehen, die Energie ist unzerstorbar, es fragt sieh also, welch eine Wirkung es denn ist, die nun an die Stelle der ubergeleiteten Warme tritt. Er halt diese Frage fur sehr ^ verfanglich (perplexing) und meint, eine vollkommene Warme- theorie miisse hierauf eine befriedigende Antwort ertheilen. Nichtsdestoweniger halt er in der erwahnten Abhandlung noch an Carnot's Theorie fest, indem er die Schwierigkeiten, die beim Aufgeben derselben entstehen, ftir ungleich hoher taxiert. Und doch sind diese Schwierigkeiten so uberrasehend schnell iiberwunden worden. Die Erfahrungen, die den Satz von der Unzerstorbarkeit der Warme mit zwingender Gewalt aufzugeben notigten, hauften sich immer mehr ; bis endlich durch die Folgen der glanzenden Entdeckung des mechanischen Warmeaquivalents der materiellen Warmetheorie ein schnelles Ende bereitet wurde. Betrachtet man Warme als Bewegung, so leuchtet von selbst ein, dass die Compensation der durch Warme geleisteten Arbeit in dem Verschwinden von Warme zu suchen ist, indem dann als Aquivalent der geleisteten Arbeit die verlorene lebendige Kraft der Warmebewegung gewonnen werden muss; und die Bestatigung der Conse- quenzeu dieses Satzes durch die Erfahrung ist es, welche der mechanischen Warmetheorie zum entscheidenden Uber- gewicht verholfen hat. Schon lange hatte die Schwierigkeit, die durch Reibung entstehende Warme zu erklaren, einzelne Physiker zu der Ansicht gefuhrt, dass die Warme der Quan- titat nach nicht unveranderlich, also kein Stoff sein konne. Nach der materiellen Theorie miisste die Reibungswarme entweder von aussen zugeleitet sein oder es miissten die geriebenen Korper ihre Warmecapacitat derart verkleinert 1) W. Thomson: An account of Carnot's theory of the motive power of heat. Transact, of the Roy. Soc. of Edinburgh, vol. XVI, p. 541, 1849. Planck, Energie. 2 18 I. Abschnitt.. Historische Entwickelung. haben, dass die namliche Warme eine viel hohere Temperatur in ihnen hervorruft. Dass beide Annahmen unstichhaltig sind, zeigte Rumford *) auf schlagende Weise, indem er einen stumpfen Bohrer, der gegen den Boden eines Kanonenlaufs gepresst war, durch Pferdekraft in Rotation versetzte und durch die Reibungswarme eine betrachtliche Quantitat Wasser sogar zum Sieden brachte; die Warmecapacitat des Metalls zeigte sich dabei gar nicht verandert. Da nun die so pro- ducierte Warme durch Fortsetzung des Verfahrens ganz ins Beliebige gesteigert werden konute, so brachte Rumford die- selbe in Zusammenhang mit der aufgewendeten' Kraft, ohne sich jedoch auf eine numerische Vergleichung der geleisteten Arbeit und der erzeugten Warme einzulassen. Dasselbe be- wies fast gleichzeitig Davy 2 ) durch Reibung zweier Metall- stiicke vermittelst eines selbstthatigen Uhrwerks unter der Luftpumpe, noch schlagender durch Reibung zweier von iiusseren Einniissen ganzlich isolierter Eisstucke, welche bis zum Schmelzen gebracht wurden. Hiebei 1st der Umstand noch besonders gravierend, dass ja die Warmecapacitat des Wassers nahezu das Doppelte derjenigen des Eises ist. Seit- dem sind noch viele andere Experimente angefiihrt worden, welche aufs deutlichste darauf hinweisen, dass Warme er- zeugt werden kann, so namentlich durch Absorption von Licht- oder Warmestrahlen , deren Identitat seit den Ver- suchen von Melloni als erwiesen gelten konnte, ferner auch durch Vermittelung von Elektricitat, moge dieselbe auf che- mischem Wege oder durch Aufwand von mechanischer Arbeit entstanden sein. Wenn auch jede einzelne dieser Thatsachen schlagend gegen die materielle Auffassung der Warme spricht, so war en die Vertreter der mechanischen Warmetheorie, unter denen ausser den erwahnten noch besonders Th. Young, Ampere, Presnel zu nennen sind, doch bis gegen die Mitte dieses Jahrhunderts in der entschiedenen Minderzahl, und nieinals 1) Rumford: An inquiry concerning the source of the heat which is excited by friction. Trans, of the Roy. Soc. London 1798, Jan. 25. 2) H. Davy: An essay on heat, light and the combinations of light, in Beddoe's Contributions to physical and medical knowledge, Bristol 1799. Works vol. II, London 1836, p. 11. I. Ahschnitt. Historische Entwickelung. 19 wurde bis daliin ernstlich der Versuch gemacht, das Princip der Unmoglichkeit des perpetuum. mobile in ahnlicher Weise wie von Carnot fur die materielle, so fur die mechanische Theorie auszubildeii. Vereinzelte Spuren derartiger Bestrebungen kann man allerdings gelegentlich antreffen : so findet sich in der Schrift : Etude sur I'innuence des chemins de fer (1839) von Seguin aine 1 ) folgende Bemerkung: Der Dampf ist nur das Mittel die Kraft zu erzeugen; die treibende Ursache ist die Warme, die ebeuso wie die lebendige Kraft Leistungen zu vollbringen vermag. Seguin schreibt die Autorschaft dieses Gedankens seinem Onkel, dem bekannten J. M. Montgolfier (1740 bis 1810), zu. Aber nicht allein auf das Gebiet der Warmer auch auf andere Naturerscheinungen erstreckten sich diese Ueber- legungen, wobei wir wieder die schon ofters hervorgehobene Thatsache bestatigt finden, dass die Giltigkeit des Princips selber von Niemand in Zweifel gezogen wurde, sondern dass nur die Auffassung der Consequenzen zu Meinungsverschieden- heiten Veranlassung gab. Roget 2 ) glaubte z. B. das Princip als Beweismittel gegen die elektrische Contact- Theorie verwerten zu konnen, indeni er folgendermassen argumentiert : ,,Alle Krafte und Quellen der Bewegung, mit deren Ursache wir bekannt sind ? werdeu, wenn sie ihre eigentumliche Wirkung iiben, verausgabt in demselben Verhaltnis als diese Wirkungen hervorgebracht werden, und daraus entspringt die Unmogiichkeit, durch sie einen immerwahrenden Eftect, oder mit anderen Worten: eine immerwahrende Bewegung hervorzubriugen." Roget er- klart es daher fiir unmoglich ? einen dauernden Strom zu er- zeugen ohne entsprechenden Aufwand eines anderen Agens (hier chemische Affinitat) und wendet sich damit gegen die Oontacttheorie ; er hatte auch vollstiindig Recht, wenu die Contacttheorie einen solchen Vorgang zuliesse. 1) Seguin aine': Etude sur I'innuence des chemins de fer. Paris 1839, p. 378. Vgl. Compt. Rend. XXV, p. 420, 1847. 2) Roget: Treatise on galvanism, 1829, p. 113. (Library of useful knowledge.) 2* 20 I. Abschnitt. Historische Entwickgjung. In ahnlicher Weise aussert sich Faraday 1 ): ,,Die Con- tacttheorie nimmt an, class eine Kraft, die machtige Wider- stande zu iiberwinden imstande ist, aus Nichts entspringen kann. Das wurde eine Schopfung von Kraft sein, die sonst nirgends stattfindet ohne eine entsprechende Erschopfung von etwas ihr Nahrung Gebendem. Ware die Contacttheorie richtig, so miisste die Gleichheit von Ursache und Wirkung gelaugnet werden. Dann wiirde auch das perpetuum mobile moglich sein und es wiirde leicht sein, auf den ersten Fall eines durch Contact erzeugten elektrischen Stromes unauf- horlich mechanische Effecte zu erzielen." Es braucht hier nicht ausgefiihrt zu werden, dass diese Einwiirfe gegen die Contacttheorie auf einem Missverstandnis beruhen. Der ganze Streit bezieht sich ja iiberhaupt nicht auf die Art der Unterhaltung des elektrischen Stromes, sondern auf die Ur- sache der Einleitung eines Stromes; denn dass ein Strom nicht ohrie bestandigen Verbrauch von Energie unterhalteu werden kann, ist heutzutage nach der Contacttheorie ebenso selbstverstandlich wie nach der chemischen Theorie. Auch in der Chemie finderi wir schon Anwendungen des Princips. Der Gedanke, dass die durch eine Reihe auf- einanderfolgender chemischer Reactionen im ganzen erzeugte Warmemenge unabhangig davon ist, auf welchem Wege oder in welcher Reihenfolge die einzelnen Reactionen vorgenom- nien werden, wenn nur der Anfangszustand und der End- zustand des Systems der namliche bleibt, hat sich ganz allmahlich und gerauschlos in die theoretische Chemie ein- gebiirgert. Ausdriicklich wird er vielleicht zum ersten Male von Hess 2 ) erwahnt mit den Worten: ,,Wenn eine Verbin- dung stattfindet, so ist die entwickelte Warmemenge constant, es mag die Verbindung direct oder indirect geschehen." Ohne Zweifel entspringt die iiberzeugende Wahrheit dieses Satzes aus der Idee, dass man Warme nicht aus Nichts erzeugen kann; unterstutzt wird dieser Gedanke natiirlich durch die Vorstellung der Unzerstorbarkeit des WarmestofFs, allein er 1) M. Faraday: Exp. Researches. Phil. Trans. London pt. I. p. 93, 1840. Fogg. Ann. 53, p. 548, 1841. 2) H. Hess: Thermochemische Untersuchungen. Pogg. Ann. 50, p. 392, 1840. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 21 1st doch noch allgemeiner und unabhangig von dieser Vor- stellung. Wie weit aber einzelne Physiker schon in der Erkennt- nis der Einheit und gegenseitigen Verwandelbarkeit der verschiedeiien Naturkrafte gekommen waren, das zeigt am besten folgende Stelle aus einer Abhandlung von K. Fr. Mohr 1 ) uber die Natur der Warme, in welcher der Verfasser, hauptsachlich angeregt durch die Versuche von Melloni und Rumford, lebhaft fiir die dynamische Theorie der Warme eintritt: ,,Ausser den bekannten 54 chemischen Elementen gibt es in der Natur der Dinge nur noch Ein Agens, und dies heisst Kraft; es kann unter den passenden Verhalt- nissen als Bewegung, chemische Affinitat, Cohasion, Elek- tricitat, Licht, Warme und Magnetismus hervortreten , und aus jeder dieser Erscheinungsarten konnen alle iibrigen her- vorgebracht werden. Dieselbe Kraft, wenn sie den Hammer hebt, kann, wenn sie anders angewendet wird, jede der iibrigen Erscheinungen hervorbringen". Man sieht: es ist nur noch ein Schritt bis zur Frage nach dem gemeinschaft- lichen Ma ass aller dieser als gleichartig erkannten Natur- krafte. Dieser Schritt wurde fast gleichzeitig von verschiedenen Seiten und auf verschiedene Weise gethan. Wenn wir der chronologischen Ordnung der einzelnen Publikationen folgen, so miissen wir zuerst den Arbeiten des Heilbronner Arztes Dr. Julius Robert Mayer 2 ) unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Entsprechend der ganzen Geistesrichtung Mayers, der lieber philosophisch generalisierte, als empirisch stiickweise aufbaute, war die Form seiner Beweisfiihrung eine deductive. In seinem ersten, im Mai des Jahres 1842 erschienenen kurzen Aufsatz 3 ) spricht er sich in folgender Weise aus: Niemals kann eine Wirkung ohne Ursache entstehen, oder umgekehrt eine Ursache ohne Wirkung bleiben: Ex nihilo nihil fit, und 1) K. Fr. Mohr: Uber die Natur der Warme. Zeitschr. f. Physik v. Baumgartner, V, p. 419, 1837. Ann. d. Pharmacie 24, p. 141, 1837. 2) J. R. M^er: Die Mechanik der Warme, Stuttg. 1867, 2. verm. Aufl. Stuttg. 1874. 3) J. R.JSfajer: Lieb. Ann. 42, p. 233, 1842. Bemerkungen fiber die Krafte der unbelebten Natur. Phil. Mag. (3) 24, p. 371, 1844. 22 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. umgekehrt: Nil fit ad nihilum. Jede Ursache hat vielmehr eine ganz bestimmte, ihr gerade entsprechende Wirkung, keine grossere und keine kleinere, in der Ursache ist also gerade Alles en thai ten, was die Wirkung bedingt, und findet sich vollstandig in der Wirkung wieder, wenn auch in an- derer Form. Ursache und Wirkung sind also in gewissem Sinne einander gleich: Causa aequat effectum. Daher be- zeichnet Mayer die Ursachen als (quantitativ) unzerstorbare und (qualitativ) wandelbare Objecte. Nun zerlegt er alle Ur- sachen in zwei Theile: die einen rechnet er zur Materie, die andern zur Kraft; jede dieser beiden Arten ist unzerstorbar, und es findet auch zwischen ihnen wechselseitig kein Uber- gang statt, d. h. Materie lasst sich nicht in Kraft verwandeln, und ebensowenig umgekehrt, wohl aber lasst sich die Materie sowohl, als auch die Kraft fur sich auf mannigfache Weise umformen. Wahrend es aber noch viele verschiedene Arten von Materie gibt (die Elemente, die sich nicht ineinander um- wandeln lassen), kennen wir von der Kraft nur Eine Art, denn alle Krafte lassen sich ineinander verwandeln, alle Krafte sind verschiedene Erscheinungsformen eines und desselben Ob- jectes, einer und derselben Ursache. Es versteht sich, dass hier das Wort Kraft im Leibnitz'- schen Sinne genommen ist, was um so weniger auffallend erscheint, als diese Bedeutung des Wortes in der damaligen Zeit noch ziemlich haufig vorkommt. Jedenfalls darf man Mayer deshalb nicht den Vorwurf der Unklarheit machen; denn, wie das Folgende zeigt, wusste er sehr wohl zwischen diesen Begriffen zu unterscheiden. Die Newton'sche Kraft nennt er Eigenschaft. Naher eingehend auf die Natur der verschiedenen Krafte macht er drei Formen namhaft: Warme, Fallkraft und Bewegung. Sie sind unter sich ver- schieden, aber nach bestimmten Zahlenverhaltnissen in ein- ander verwandelbar und daher auch einem gemeinschaftlichen Maass unterworfen. Fallkraft und Bewegung misst man ohne- hin nach dem namlichen Maass, es bleibt also noch iibrig, die Einheit der Warme mit diesem Maass zu vergleichen. Aus Versuchen fiber die Compression der Luft" berechnet Mayer, dass eine Calorie Equivalent ist der Hebung ernes Kilogramms um 365 Meter (bei mittleren Werten der Be- I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 23 schleunigung der Schwere). Dieser Berechnung, deren Detail erst in einer darauffolgenden Abhandlung 1 ) mitgetheilt wird, liegt der Gedanke zu Grunde, dass die durch viele Versuche festgestellte Differenz der Warmemengen , die man einem Quantum Luft zur Erzielung einer bestimmten Temperatur- erhohung von aussen zufiihren muss, wenn die Erwarmung einmal bei constantem Druck, das andere Mai bei constantem Volumen erfolgt, aquivalent ist der im ersten Fall durch die Ausdehnung der Luft geleisteten Arbeit. Hierbei ist aller- dings stillschweigend vorausgesetzt, dass der Uberschuss der Warme capacitat bei constantem Druck fiber die bei constan- tem Volumen lediglich der ausseren Arbeitsleistung zu Gute kommt, eine Aunahme, die durchaus nicht ohne weiteres zulassig ist, da die meisten Gase und Dampfe eine merkliche Tempera turerniedrigung zeigen, auch wenn sie sich ohne jede aussere Arbeitsleistung ausgedehnt haben. Fur die sogenannten vollkommenen Gase hat sich indessen jene Annahme, die in der Folge unter der Bezeichnung: Mayers Hypothese in der weiteren Entwickelung der Warmetheorie Bine Rolle spielt, als richtig bewahrt. Nachdem so das mechanische Warmeaquivalent festgestellt ist, kann man nun die Warme mit dem namlichen Maass messen wie mechanische Kraft, indem man immer eine Ca- lorie gleich 365 g Kraft- (Arbeits-) Einheiten (bezogen auf Kilogramm, Meter und Sekunde) setzt. Bemerkenswert ist die Thatsache, dass Mayer durchaus nicht von der Ansicht ausging, dass Warme Bewegung sei, sondern dass er vor- sichtiger Weise die Frage nach dem Wesen der Warme ganz aus dem Spiele liess. Er sagt ausdrucklich : Warme, Be- wegung und Fallkraft lassen sich nach bestimmten Zahlen- verhaltnissen in einander umsetzen; so wenig man nun hier- aus den Schluss ziehen wird, dass Fallkraft und Bewegung identisch sind, ebenso wenig darf man schliessen, dass Warme in Bewegung bestehe. In der That lasst sich ja die ganze Warmetheorie, wie sie spater von R. Clausius auf seinen beiden Hauptsatzen aufgebaut wurde, ebenso auch ohne die 1) Mayer: Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem Stoffwechsel, 1845. (Mechanik d. Warme, Stuttg. 1874.) 24 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. Vorstellung von der mechanischen Natur cler Warme ableiten, wenn man sich nur an die Annahme halt, dass Warnie unter gewissen Bedingungen in Bewegung umgewandelt werden kann. Erst die spater entwickelte Gastheorie hat den Vor- stellungen, die wir uns vom Wesen der Warme machen ; eine bestimmtere Form gegeben. Mayer bleibt bei den eben geschilderten Ausfiihrungen nicht stehen. In einer zweiten etwas ausfuhrlicheren Ab- handlung 1 ) erweitert er seine Theorie auf andere Zweige der Naturwissenschaft. Er bezeichnet die Chemie als die Lehre von den Verwandlungen der Materie, die Physik als die Lehre von den Verwandlungen der Kraft, und stellt dann noch ein- mal seine Ansichten fiber die Aquivalenz von Warnie und Bewegung zusammen. Dann wird auch die Elektricitat in den Kreis der Betrachtungen gezogen, aber auch wieder unter Benutzung einer Terminologie, die mit dem herrschen- den Sprachgebrauch leider in Widerspruch stand. Die Elek- tricitat nennt er eine Kraft wie die Warme, wobei er natiir- lich das meint, was wir als elektrisches Potenzial bezeichnen. Die Wirkung des Elektrophors erklart er durch die auf- gewendete mechanische Arbeit. Auch die , ? chemische Diffe- reiiz" zweier Korper wird als Kraft eingefuhrt, denn durch sie -kann Warme produciert werden, deren Betrag daim das Maass abgibt fur die aufgewendete Kraft. Schliesslich zahlt er als in der anorganischen Natur wirkend sechs verschiedene nach bestimmten Aquivalenten in einander verwandelbare Krafte auf: Fallkraft, Bewegung, Warme,, Maguetismus, Elek- tricitat, chemische Differenz. . Auch auf die organische Natur werden die Consequenzen ausgedehnt, namentlich entwickelt Mayer hier die Bedeutung des Assimilationsprocesses in den Pflanzen fur die Erhaltung alles thierischen Lebens. Zu einer weiteren besonderen Arbeit 2 ) machte er die Anwendung seiner Theorien auf die kosmischen Erschei- nungen. Er gab die erste rationelle Erklarung fur die Quelle 1) Mayer: Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem StofFwechsel, 1846. (Mechanik d. Warme, Stuttg. 1874.) 2) Mayer: Beitrage zur Dynamik des Himmels, 1848. (Mech. d. W., Stuttg. 1874.) I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 25 der Sonnenw'arme, indem er einmal zeigte, dass kein che- mischer Process (Verbrennung) imstande ware, die ungeheure Warmeausgabe, die durch die Sonnenstrahlung erfolgt, zu ersetzen, und dann die Ansicht aussprach, dass jene Warme geliefert wird durch die lebendige Kraft der bestandig in den Sonnenkorper hineinsturzenden Meteoritenmassen (vgl. unten die Ansichten von Helmholtz und von Thomson), er erkl'arte das Gliihen der Meteore durch den Verlust an leben- diger Kraft, den dieselben durch die Reibung in der Atmo- sphare erfahren, er machte darauf aufmerksam , dass das Phanomen der Gezeiten durch die Flutreibung notwendig hemmend auf die Rotationsgeschwindigkeit der Erde ein- wirken miisse, und dass alle Arbeit, welche man durch die Bewegnng der Ebbe und Flut zu leisten vermag, auf Kosten der lebendigen Kraft der Erddrehung gewonnen wird. Jede dieser verschiedenen Uberlegungen zeigt, dass Mayer, wenn er sich auch theilweise einer ungebrauchlichen Nomen- clatur bediente, doch der Bedeutung der von ihm vertretenen Ansichten sich sehr wohl bewusst war. Er setzt dies auch in einer weiteren Abhandlung J ) ausfiihrlich auseinander und bespricht sehr klar die verschiedenen Begriffe, die Leibnitz und Newton mit dem Namen ,,Kraft" belegten, sowie die Unzweckmassigkeit der Unterscheidung zwischen ,,todter" (Newton'scher) und ,,lebendiger u (Leibnitz'scher) Kraft. In diesem Sinne genommen wurde n'amlich das Wort Kraft einen gemeinsaruen GattungsbegrifF bezeichnen miissen, in welchem die beiden specielleren Begriffe als besondere Arten enthalten sind. Dies erscheint aber aus dein Grunde widersinnigj weil die beiden Begriffe Grossen von ganz verschiedenen Dimen- sionen, also tiberhaupt nicht vergleichbar sind ; man ist daher genotigt, eine von beiden Bezeichnungen aufzugeben. Mayer entscheidet sich dafiir, das Wort Kraft im Leibnitz'scheu Sinn zu gebrauchen, weil er diesen Begriff als den funda- mentaleren ansieht. Auch kommt die Bezeichnung dadurch in einen richtigen Gegensatz zum Wort Materie, wir brauchen ja heutzutage noch die Gegeniiberstellung : Kraft und Stoff, 1) Mayer: JBemerkungen iiber das mechanische Equivalent der Warme, Heilbronn 1850. (Mech. d. W. 1867, p. 237.) 26 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. wobei wir eigentlich meinen: Energie und Stoff. Beide sind unzerstorbar. In diesen Uberlegungen mag Mayer Recht haben: nach dem jetzigen Stande der Naturwissenschaft ist in der That der Leibnitz'sche Begriff der wichtigere geworden; allein er rechnete a;icht mit der Macht der historischen Entwickelung der Wissenschaft. Die Physik war auf die Mechanik ge- griindet, und in der Mechanik hatte sich der Newton'sche Begriff doch schon zu sehr eingebiirgert, urn sich' so einfach wieder durch eine andere Bezeichnung verdrangen zu lassen. So ist Mayer's Vorschlag nicht durchgedrungen, wenn auch in einigen Ausdriicken (lebendige Kraft, Erhaltung der Kraft) die Leibnitz'sche Bezeichnung geblieben ist. Nur die Rtick- sicht auf die Geschichte kann diese Inconsequenz, die heut- zutage wenigstens nicht so wie friiher die Gefahr eines Miss- verstandnisses in sich birgt, erklaren. Wir haben die verschiedenen hierhergehorigen Arbeiten von Mayer im Zusammenhang durchgesprochen , obwohl zwischen ihrem Erscheinen je einige Jahre liegen, um die Ubersicht zu erleichtern iiber die neuen Ideen, die er in die Naturwissenschaft eingefiihrt hat. Dass ihm eine streng wissenschaftliche Sclrfrle fehlte, dass er sich vielleicht in manchen Punkten, namentlich in den ersten Abhandlungen, fur die Berufsphysiker deutlicher und pragnanter hatte aus- drucken konnen, dass aber namentlich die ganze, fast ans Metaphysische streifende Begriindung seiner Lehre auf ausserst schwachen Fiissen stand, wird man wohl denen ein- r'aumen miissen, die seine Bedeutung uicht recht anerkennen wollen. Allein unumstosslich fest steht es, dass er der Erste war, der den Gedanken, welcher fur unsere heutige Natur- anschauung charakteristisch ist, nicht nur offentlich aus- gesprochen, sondern auch, worauf es ja am meisten ankommt, nach Maass und Zahl verwertet und auf alle ihm zugang- lichen Naturerscheinungen im einzelnen angewendet hat. Und was die Begrim clung des Satzes anbelangt, so durfen wir doch nicht vergessen, dass derselbe, wie wir im nachsten Abschnitt naher ausfiihren werden, eben wegen seiner All- gemeinheit iiberhaupt keines streng deductiven Beweises fahig ist, dass also dasjenige, was Mayer bei seinem Be- I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 27 weisverfahren missgliickte , auch von keinem anderen Phy- siker geleistet wurde. Der unmittelbarste, von alien Vor- aussetzungen moglichst freie Beweis wird durch die Unter- suchung der einzelnen Consequenzen geliefert, und hiezu hat Mayer, wenn er auch nicht selber experimentierte, doch durch directe Anregung eiu Erhebliches beigetragen. Sucht man aber das Princip sich klar und anschaulich zu machen, d. h. mit anderen uns gelaufigen Vorstellungen und Satzen in Zusammenhang zu bringen, so sind die Mayer'schen Aus- fiihrungen, die auf dem Gedanken beruhen, dass keine Wir- kung in der Natur verloren geht, immer noch mit das Beste dieser Art. Dieselben durfen in ihrer Bedeutung nicht unter- schatzt werden; denn wenn wir nicht irren, so ist die ver- haltnismassig iiberraschende Schnelligkeit und Leichtigkeit, mit der sich ein Satz von so enormer Tragweite, wie der der Erhaltung der Energie, nach Uberwindung der ersten Schwierigkeiten in den Geistern heimisch machte, nicht nur den vielen einzelnen inductiven Beweisen zuzuschreiben, son- dern zum grossen Theil auch der Vorstellung seines Zusam- menhangs mit dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Wenn wir daher den Mayer'schen philosophischen Betrachtungen gewiss keine" physikalische Beweiskraft werden zusprechen konnen, so haben sie doch insofern eine eminente prak- tische Wichtigkeit, als sie die Ubersicht fiber den gesammten Inhalt des Princips erleichtern und so die leitenden Ideen angeben, nach welchen die Fragestellung an die Natur er- folgen muss. Man liebt es so haufig, dem etwas ins Un- bestimmte philosophierenden Mayer seinen Partner Joule als den nuchternen, sich nur an die einzelnen Thatsachen haltenden exacten Empiriker gegeniiberzustellen, allein wie ware es denkbar, dass Joule seine beruhmten Versuche mit diesem rastlosen Eifer und dieser zahen Ausdauer durch- gefiihrt und geradezu einen Theil seines Lebens an die Be- antwortung dieser einen Frage gesetzt hatte, wenn er nicht schon von vornherein, bei seinen ersten Experimenten, die doch gewiss fur sich allein genommen noch kein Recht zu einer solch grossartigen Verallgemeinerung gaben, begeistert worden ware fiir die neue Idee und dieselbe sogleich in ihrer ganzen Allgememheit erfasst hatte. Dass iibrigens die Ver- 28 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. dienste Mayers in der neueren Zeit vollauf gewurdigt (in England warden sie zuerst durch J. Tyndall 1 ) ins rechte Licht gesetzt) und von unseren ersten Capacitaten der Wis- senschaft in durchaus befriedigender Weise anerkannt worden siiid 2 ), diirfte bekannt genug sein. Allerdings bleibt es eine nicht mehr abzuandernde That- sache, dass Mayer, wenigstens in der ersten Zeit seines offent- lichen Auftretens, so gut wie gar keinen Einfluss auf die Verbreitung und Entwickelung des neuen Princips hatte: dieselbe ware ohne ihn wahrscheinlich gerade ebenso schnell vor sich gegangen, zumal da fast gleichzeitig und vollig unabhangig, sowohl von ihm als auch untereinander, die namlichen Ideen in verschiedenen Formen und mit verschie- dener Begriindung auftauchten. Am 24. Januar 1843 legte James Prescott Joule (Brauer in Salford) der philosophischen Gesellschaft von Manchester eine Abhandlung 3 ) vor iiber den Zusammenhang der ther- mischen und der chemischen Wirkungen des galvanischen Stromes. Er war schon durch die Ergebnisse zweier vorher- gehender Arbeiten 4 ) zu der Uberzeugung gefuhrt worden, dass die durch einen Strom im Schliessungskreis erzeugte Warmemenge identisch ist mit derjenigen, welche durch directe Oxydation der in der Kette wirksamen Metalle (ein- schliesslich Wasserstoff) gewonnen werden kann, und hatte sich daraus die Ansicht gebildet, dass iiberhaupt die chemische Warme wesentlich elektrischen Ursprungs sei. Es ist von hohem f nteresse zu verfolgen , wie sich bei Joule aus an- 1) J. Tyndall: On force. Proc. of Roy. Inst. June 6, 1862. Phil. Mag. (4) 24, p. 57, 1862. 2) H. v. Helmholtz: Robert Mayer's Prioritat. Vortrage und Reden, I, Braunschw. 1884, p. 60. R. Clausius: Uber das Bekannt- werden der Schriften Robert Mayer's. Wied. Ann. 8, Anhang, 1879. 3) J. P. Joule: On the heat evolved during the electrolysis .of water. Mem. of the liter, and phil. soc. of Manchester. (2) vol. VII, 1846, p. 87 u. 96. 4) J. P. Joule: On the heat evolved by metallic conductors of electricity and in the cells of a battery during electrolysis. Phil. Mag. (3) 19, p. 260, 1841. J. P. Joule: On the electric origin of the heat of combustion. Phil. Mag. (3) 20, p. 98, 1842. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 29 fanglich noch etwas unbestimmten Vorstellungen allmahlich in schrittweiser , vorsichtiger Entwickelung die ganze Klar- heit des Bewusstseins von der Giltigkeit des allgemeinen Princips herausarbeitete. Erst in der oben genannten Ab- bandlung, in welcher der Satz, dass die Warmewirkungen eines Stroraes mit den chemischen aquivalent sind, wetter ausgefiihrt und bestatigt wurde (vgl. iibrigens auch die Ver- suche von Becquerel 1 ), findet sich zum ersten Male die all- gemeinere Bemerkung, dass in der Natur Vernichtung (an- nihilation) von Arbeitskraft (power) obne eine entsprechende WirkuDg (effect) nicht stattfindet. Zugleich wird die Ver- mutung ausgesprochen, dass, wenn man durch Einschaltung einer elektrornagnetischen Maschine einen Slrom Arbeit ver- richten liesse, die im Verbal tnis zur cbemischen Wirkung producierte Warme sich verringern wiirde, und zwar propor- tional der geleisteten Arbeit 2 ). Dieser Gedanke veranlasste Joule zu einer besonderen Untersuchung, deren Resultat 3 ) er am 21. August desselben Jahres der mathematisch-physikalischen Section der damals in Cork tagenden British Association mittheilte: iiber elektro- magnetische Warmewirkungen und iiber den mechanischen Wert der Warme. In dieser Arbeit setzt Joule zunachst seine Ansichten uber die Natur der Warme und die Vor- gange in der galvanischen Kette besonders auseinander. Er erklart die Warme fiir eine Art Beweguiig, die in Schwing- ungen besteht, und spricht die Uberzeugung aus, dass in der galvanischen Kette keine Erzeuguug (generation) sondern nur eine Vertheilung (arrangement) von Warme stattfindet. So entsprihgt die im hydroelektrischen Strom entwickelte Warme aus der Verbrennung im Element, die im magnet- elektrischen (durch Bewegung von Magneten erzeugten) Strom aus der aufgewendeten mechanischen Arbeit, und ist immer gerade so gross, als wenn die Verbrennung oder die Arbeit 1) E. Becquerel: Des lois du degagement de la chaleur pendant le passage des courants electriques a travers les corps solides et 1i- quides. Compt. Rend. t. 16, p. 724, 1843. 2) 1. c. p. 96 u. 104. 3) Joule: On the calorific effects of magneto-electricity and on the mechanical value of heat. Phil. Mag. (3) 23, p. 263, 347, 435, 1843. 3Q I. Abschnitt. Historische Entwickeluug. direct Warme geliefert hatte. Diese Behauptungen werden durch den Versuch gerechtfertigt. Zu diesem Zwecke liess Joule eine Induetionsspirale , die sich in einer mit Wasser geiiillten, als Calorimeter dienendeu horizontal gelegten Glas- rohre befand, um eine verticale Axe zwischen zwei starken Magnetpolen mittelst herabfallender Gewichte rotieren und verglich die durch die Inductionsstrome in der Spirale er- zeugte Warme mit der von den Gewichten geleisteten mecha- nischen Arbeit. Es ergab sich, dass der Erwarmung einer beliebigen Quantitat Wasser um 1 Fahrenheit die Hebung der 838fachen Quantitat um 1 engl. Fuss oder der einfachen Quantitat um 838 Fuss entspricht. Dies bedeutet fur 1 Cel- sius-Calorie die* Hebung eines Kilogramms um 460 Meter. - Andrerseits mass Joule auch die directe Umsetzung von mechanischer Arbeit in Warme, und zwar mittelst der Rei- bung, welche auftritt, wenn Wasser durch enge Rohren gepresst wird. Als mechanisches Warmeaquivalent (bezogen auf F. Grade) ergaben sich diesmal 770 Fuss (fur C. Grade 423 M.). Die beiden gefundenen Zahlen hielt Joule in Anbetracht der vielen Fehlerquellen fur hinreichend ubereinstimmend, um darauf dieselbe Behauptung wie Mayer stiitzen zu konnen: Die Grundkrafte der Natur sind unzerstorbar, und uberall wo Kraft aufgewendet wird, entsteht ein dem Auf wand ent- sprechendes Quantum Warme. Von diesem Standpunkt aus erklart er auch die latente Warme und die durch chemische Processe erzeugte Warme. Die latente Warme reprasentiert auch eine Kraft, wie die Schwere, sie vermag sich im ge- gebenen Fall in wirkliche Warme umzusetzen, wie ein auf- gezogenes Uhrwerk jeden Augenblick imstande ist niecha- nische Arbeit zu leisten. Einen besonderen Erfolg errang Joule mit seinen ersten Arbeiten nicht, im Gegentheil: es verhielten sich, wie es bei einer solchen Neuerung nicht zu verwundern ist, die meisten Physiker im wesentlichen ablehnend gegen die hier vor- getragenen Ansichten. Aber in demselben Jahr, in welchem Joule's erste Arbeiten erschienen, am 1. November 1843, theilte der danische Ingenieur A. Colding der Akademie von Kopenhagen, unter dem Titel: ,,Thesen iiber die Kraft", I. Abschnitt. Historische Ejatwickelung. 31 Versuche 1 ) mit, wonach die bei der Reibung fester Korper entwickelte Warme mit der verbrauchten Arbeitsgrosse in einem constanten Verhaltnis steht, und sprach zugleich die Ansicht aus, dass das Gesetz der Erhaltung der Kraft ein allgemein giltiges sei. Er war auf diesen Satz, ebenso wie Mayer, durch deductive Betrachtungen gekommen, die jedoch weit in das Gebiet der Metaphysik hineinreichen, indem er von der Ansicht ausging, dass die Naturkrafte geistige und immaterielle Wesen seien, und als solche unmoglich der Ver- ganglichkeit unterworfen sein konnten; daher bezeichnet er die Kraft als unsterblich. Aus einer ansehnlichen Reihe von Reibungsversuchen mit verschiedenen festen Korpern i'and er als mechanisches Warmeaquivalent, bezogen auf Gels. Grade und danische Fuss die Zahl 1185,4 (ca. 370 m ). Eine vierte, in dieselbe Zeit fallende Berechnung des mechanischen Warmeaquivalents riihrt her von C.Holtzmann 2 ). Dieser fand, wesentlich auf demselben Wege wie Mayer, dass die Warme, welche die Temperatur eines Kilogramms Wasser um 1 C. erhoht, imstande ist 374 Kgr. 1 Meter hoch zu heben; indes muss hier bemerkt werden, dass Holtzmann keineswegs in deru Sinne den Standpunkt der mechanischen Warmetheorie vertrat, dass er ein Verschwinden der Warme annahm ; vielmehr hielt er im wesentlichen an der materiellen Theorie fest, da er immer noch den Satz von der Unver- anderlichkeit des Warmefluidums vertheidigte 3 ). Unterdessen setzte der rastlos thatige Joule seine Ver- suche fiber das Warmeaquivalent mit ganzlich veranderten Methoden fort. Zunachst verglich er 4 ) die bei der Compres- sion von Luft aufgewendete mechanische Arbeit mit der da- 1) A. Co Id ing: Det kongel. danske vidensk. selsk. naturv. og math. afh. (5) II, 1843, p. 121, 167. On the history of the principle of the conservation of energy, Phil. Mag. (4) 27, p. 56, 1864. 2) C. Holtzmann: Uber die Warme und Elasticitat der Gase u. Dampfe. Mannheim 1845. Auszug in Pogg. Ann. Erg. II, p. 183, 1848. 3) C. Holtzmann: Uber die bewegende Kraft der Warme. Pogg. Ann. 82, p. 445, 1851. R. Clausius: Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn C. Holtzmann. Pogg. Ann. 83, p. 118, 1851. 4) Joule: On the changes of temperature produced by the rare- faction and condensation of air. Phil. Mag. (3) 26, p. 369, 1845. 32 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. bei eintretenden Temperaturerhohung und fand wieder die vermutete Proportionality. Dass diese Temperaturerhohung gerade durch die aussere Arbeit und nicht etwa durch eine Veranderung der Warmecapacitat der Luft hervorgerufen wird, zeigte er durch einen besonderen Versuch, indem er bis zu 22 Atmospharen comprimierte Luft in einen eva- cuierten Raum ausstromen liess. Es zeigte sich in diesem Falle (in Ubereinstimmung mit einem schon fruher von Gay Lussac erhaltenen Resultat) nach dem Eintritt des Gleich- gewichts keine Temperaturabnahme , entsprechend dem Um- stande, dass die Luft beim Ausstromen keine aussere Arbeit zu leisten hatte. Dieser Versuch ist deshalb so wichtig, weil er beweist, was Mayer stillschweigend angenommen- hatte (S. 23) , dass bei Volumen'anderungen der Luft keine innere Arbeit geleistet wird. Liess er dagegen verdichtete Luft in die freie Atmosphare ausstromen, so ergab sich eine Temperaturabnahme, proportional der durch die Uberwindung des Widerstandes geleisteten Arbeit. Daraus berechnete Joule nach verschiedenen Versuchsreihen das mechanische Warme- aquivalent zu 823, dann zu 795 (452, 436 m Gels.). Kurz darauf erschienen wieder andere Beobachtungen 1 ). Diesmal wurde die mechanische Arbeit durch Reibung in Warme verwandelt. Ein Schaufelrad wurde durch herab- sinkende Gewichte in einem Wasserbad in Rotation versetzt und verursachte durch die Reibung eine Temperaturerhohung des Wassers. Hieraus folgte das Warmeaquivalent 890 (488 TO Gels.), wahrend die bei der Pressung von Wasser durch enge Rohren gefundene Zahl 774 (425 Gels.) betrug. Die verhaltnismassig gute Ubereinstimmung seiner Re- sultate veranlasste Joule, eine kurze Zusammenfassung seiner durch alle diese verschiedenen Versuche bestatigten Ansichten iiber die Gesetze der Krafterzeugung durch mechanische, che- mische, galvanische, elektromagnetische, thermische Wirkun- geii, sowie durch thierische Arbeitsleistung zu veroffentlichen 2 ). 1) Joule: On the existence of an equivalent relation between heat and the ordinary forms of mechanical power. Phil. Mag. (3) 27, p. 205, 1845. 2) Scoresby and Joule: Experiments and observations on the mechanical powers of electro-magnetism steam and horses. Phil. Mag. (3) 28, p. 448, 1846. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 33 Wahrend sich so die Zahl der Arbeiten mehrte , die auf Grund der neuen Auffassung des Wesens der Warine die Anwendung des Princips der Erhaltung der Kraft forderten, und wahrend besonders die imausgesetzt wiederholten und variierten Versuche vou Joule die Aufmerksamkeit der Fach- genossen allmahlich auf sich lenkten, wurde der Energie- begriff aach von anderen Seiten her in andere Zweige der Naturwissenschaft eingefiihrt. Hierher kann man die Untersuchungen von F. Neumann 1 ) (1845 und 1847) uber die Gesetze der inducierten Strome rechnen, welche zu deni Resultat fuhrten, dass die galvanische Induction in einem Leiter nur abhangt von der Veranderung des elektrodynamischen Potenzials des iuducierenden Strom- systems auf den Leiter, einerlei ob diese Veranderung von einer relativen Bewegung der ponderabeln Theile des Leiters und des Stromsystems oder von einer Anderung der Inten- sitaten der Strome herriihrt. Allerdings tritt in den beiden Schriften von Neumann, welche diesen Gegenstand behandeln, der innige Zusammenhang seines Satzes mit unserem Princip noch nicht direct hervor. Auch auf das Gebiet der organischen Natur wurden die neuen Ideen iibertragen. J. Liebig, der von der Ansicht ausging, dass eine Dampfmaschine nicht mehr Warine hervor- bringen kann, als sie ursprunglich vom Kessel empfangen hat, und dass ein galvanischer Strom im Schliessungskreis nicht mehr Warine erzeugt, als durch gewohnliche chemische Reaction der im Element sich umsetzenden Stoffe erhalteu wird, vertheidigte energisch den Satz, dass die vom thierischen Korper producierte Warme vollstandig durch die Verbrennung der Nahrungsmittel auf directem Wege geliefert wird 2 ). Hiebei ergab sich allerdings fur ihn die Schwierigkeit, dass die von Dulong und die von Despretz uber die vom thierischen Korper 1) Franz Ernst Neumann: Allgenieine Gesetze der inducierten Strome. Abh. d. kgl. Akad. d. Wiss. Berlin 1845. Pogg. Ann. 67, p. 31, 1846. F. Neumann: Uber ein allgemeines Princip der matliematischen Theorie inducierter elektrischer Strome. Abh. d. kgl. Akad. d. Wiss. Berlin 1847. G. Heimer 1848. 2) J. Liebig: Uber die thierische Warme. Lieb. Ann. 53, p. 63, 1845 Planck, Euergie. 3 34 ! Abschnitt. Historische Entwickelung. abgegebene Warme angestellten calorimetrischen Versuche Zahlenwerte ergaben, welche betrachtlich zu gross erscbienen, da die directe Verbrennungswarme der entsprechenden Was- serstoff- und Kohlenstoffmengen nur 70 bis 90% der wirklicb vom Thier abgegebenen betrug. Die richtige Erklarung dieses Umstandes wurde durch Helmlioltz gegeben, welcher betonte *), dass man statt der durch Verbrennung der NahrungsmitteP erhaltenen Warme nicht ohne weiteres die Verbrennungs- warme der in ihnen enthaltenen Elemente setzen diirfe. In dem angegebenen Aufsatz von Helmholtz finden wir zugleich in aller Kiirze einen Uberblick fiber die verschiedenen Folgerungen, welche der allgemeinen Durchfiihrung des ,,Prin- cips von der Constanz des Kraftaquivalents bei der Erregung einer Naturkraft durch eine andere" in verschiedenen Ge- bieten der Physik bei dem dainaligen Stande der Forschung entsprecheri wiirden. In Bezug auf die Verwandlung von mechanischer Kraft in Warme kommt Helmholtz allerdings noch nicht bis zur Be'sprechung des mechanischen Warme- aquivalents, obwohl er sich aus naherliegenden, schon oben angefuhrten Griinden gegen die bisherige materielle Theorie und fur eine Bewegungstheorie entscheidet. Dagegen erwahnt er das Gesetz von der Constanz der chemischen Warmeerzeu- gung, unabhangig von dem Wege, auf dem die Verbiudung hergestellt wird. In Bezug auf die in constauten hydroelek- trischen Sromen sich abspielenden Processe fiihrt das Ohm'sche Gesetz in Verbindung mit dem Lenz'schen (Joule'schen) Ge- setz iiber die Warmeerzeugung im Schliessungskreis und dem Faraday'schen elektrolytischen Gesetz zu dem Satz, dass die gesammte im Schliessungskreis erzeugte Warme Equivalent ist der Grosse des elektrochemischen Umsatzes in der Kette, unabhangig von der sonstigen Anordnung. Fiir die Warme- erzeugung durch statische Elektricitat folgt aus den Satzen von Riess iiber die Entladungswarme , dass diese gleich ist dem Product aus der entladenen Elektricitatsmenge in ihre Dichtigkeit (jetzt besser: Spannung). Weiter ausgebildet und in mehr systematische Form 1) H. Helmholtz: Fortschr. d. Phys. v. J. 1845, p. 346, Berlin 1847. Wiss. Abh. I p. 8. I. Abschtritt. Historische Entwickelung. 35 gebracht erscheinen diese Betrachtungen in der Schrift von Helmholtz, die diesein Aufsatz auf clem Fusse folgte, und in der zuin ersten Male die universale Bedeutung des Princips der Erhaltung der Kraft fur alle Naturerscheinungen von der Hdhe des Standpunktes der darnaligen Entwickelung der Physik in exacter Behandlung bei gedrangter Ubersicht ent- wickelt wurde. Am 23. Juli 1847 hielt Hermann Helmholtz in der Sitzung der physikalischen Gesellschaft zu Berlin einen Vortrag uber das Princip der Erhaltung der Kraft 1 ). --In diesem, wie in den anderen von ihni gebrauchten Ausdriicken : , 7 Lebendige Kraft" und ,,Spannkraft a schliesst sich Helmholtz, ebensowie Mayer, an den Leibnitz'schen Begriff der Kraft an, wiewohl er im iibrigen die in der Wissenschaft iibliche Newton's che Terminologie beibehalt. Fiir die Art der Einfiihrung des Princips ist der Dmstand charakteristisch, dass Helmholtz, vollstandig auf dem Standpunkt der mechanischen Natur- anschauung fussend, das Princip als eine directe Verallge- meinerung des mechanischen Satzes von der Erhaltung der lebeudigen Kraft (S. 6 f.) auffasst. Die Einleitung der Ab- handlung bildet eine Reihe deductiver Betrachtungen, aus denen als Ziel der physikalischen Wissenschaften die Auf- gabe hervorgeht, die Naturerscheinungen auf Bewegungen einzelner materieller Punkte zuruckzufiihren, die mit anziehen- den oder abstossenden, in bestimniter Weise von ihren Ent- fernungen abhangenden Kraften aufeinander wirken. Dass aus dieser Annahme rnit Hilfe der Newton'schen Axiome das Princip der Erhaltung der lebendigen Kraft (im specielleren und iin allgemeineren Sinne) hergeleitet werden kann, wird in der Mechanik gelehrt*, Helmholtz zeigt aber auch um- gekehrt, dass man statt dieses Ausgangspunktes als voll- standig gleichbedeutend auch den benutzen kann ? welchen schon Carnot und Clapeyron zur Grundlage ihrer Theorien machten, namlich die Unmoglichkeit des perpetuum mobile. In der Anwendung auf die mechanischen Naturvorgange spricht Helmholtz diesen Satz folgendermassen aus: ? ,Denken I) H. Helmholtz: Uber die Erhaltung der Kraft. Berlin, Reimer 1847. Wiss. Abh. I p. J2. 3* 36 1- Abschnitt. Historische Entwickelung. wir uns ein System von Naturkorpern , welche in gewissen raumlichen Verhaltnissen zu einander stehen und unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen Krafte in Bewegung gerathen, bis sie in bestimmte andere Lagen gekommen sind, so konnen wir ihre gewonnenen Geschwindigkeiten als eine gewisse mechanische Arbeit betrachten und in solche verwandeln. Wollen wir nun dieselben Krafte zum zweiten Mai wirksam werden lassen, um dieselbe Arbeit noch einmal zu gewinnen" (und so eine periodisch arbeitende Maschine zu erhalten), ,,so miissen wir die Korper auf irgend eine Weise in die anfang- lichen Bedingungen durch Anwendung anderer uns zu Ge- bote stehender Krafte zuriickversetzenj wir werden dazu also eine gewisse Arbeitsgrosse der letzteren wieder verbrauchen. In diesem Falle nun ist die Arbeitsgrosse, welche gewonnen wird, wenn die Korper des Systems aus der Anfangslage in die zweite, und verloren wird, wenn sie aus der zweiten in die erste iibergehen, stets dieselbe, welches auch die Art, der Weg oder die Geschwindigkeit dieses Uberganges sein inogen". In mathematische Form gebracht stellt sich dieser Satz als das Princip der lebendigen Kraft dar. Dies Princip in Verbinduug mit der Annahme, dass alle Krafte sich auflosen lassen in solche, die nur von Punkt zu Punkt wirken, fiihrt dann mit Hilfe der Newton'schen Axiome zu der Folgerung, dass die Elementarkrafte Centralkrafte sind, d. h. anziehend oder abstossend wirken mit einer Intensitat , die nur von der Entfernung abhangt, und diese Annahme ist es gerade, von der oben, im ersten Falle, ausgegangen wurde. Die Umformung, welche Helmholtz mit dem Princip der lebendigen Kraft vornahm, um es als Princip der Erhaltung der Kraft erscheinen zu lassen, besteht darin, dass er in der Gleichung, welche die Unveranderlichkeit der Differenz der lebendigen Krafte: T und der von den wirkenden Kraften geleisteten Arbeit: A ausdruckt (T A = const.), statt des Begriffes der Arbeit A den der Quantitat der Spann- krafte U einfiihrt, welche Grosse der Arbeit A gleich und entgegengesetzt ist. Die Spannkraft hangt also wie die Arbeit nur vom augenblicklichen Zustand des Systems ab, und die obige Gleichung spricht sich nun folgendermassen I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 37 aus: Die Summe der Quantitaten der lebendigen und der Spannkrafte ist mit der Zeit unveranderlich: T + U = const. Bezeichnen wir diese Summe kurz als die dem System inne- wohnende Kraft, so haben wir damit den Satz der Erhaltung der Kraft. So geringfiigig diese Umdeutung auch auf den ersten Augenblick erscheinen mag, so unabsehbar weit ist doch die Perspective, die sich durch sie in alle physikalische Gebiete eroffnet, denn nun fallt die Verallgemeinerung auf beliebige Naturerscheinungen leicht in die Augen. Der Hauptgrund dieses Umstandes mag darin liegen, dass nun das Princip der Erhaltung der Kraft in eine Parallele tritt mit dem uns schon lange vertrauten und sozusagen in den Instinct ubergegan- genen Princip der Erhaltung der Materie. Wie die Quan- titat der in einem Korpersystem vorhandenen (durch das Gewicht gemessenen) Materie durch keinerlei Mittel verringert oder vermehrt werden kann, obwohl die verschiedensten phy- sikalischen und chemischen Umwandlungen mit ihr vorge- nommen werden konnen, so stellt auch die Quarititat der in dem System vorhandenen Kraft eine selbstandige, vollstandig imveranderliche Grosse vor. Auch die Kraft lasst sich, wie die Materie, in mannigfache Formen bringen, zunachst er- scheint sie in zwei Hauptformen: als lebendige Kraft oder als Spannkraft, beide konnen uns aber noch in der verschie- densten Weise entgegentreten : die lebendige Kraft als sicht- bare Bewegung, als Licht, als Warme, die Spannkraft als Hebung eines Gewichts, als elastische, als elektrische Spau- nung, als chemische Differenz u. s. w. Aber die Summe aller dieser (gewissermassen in verschiedenen Magazinen auf- gespeicherten) Kraftvorrathe bleibt unveranderlich dieselbe, und alle Processe in der Natur bestehen nur darin, die ein- zelnen ineinander iiberzufuhren. Die Helmholtz'sche Auffassung unterscheidet sich dadurch wesentlich von der Mayer'schen, dass letzterer eine Reihe von qualitativ verschiedenen Kraftformen annimmt, wie Be- wegung, Schwere, Warme, Elektricitat u. s. w., wahrend hier, entsprechend der mechanischen Anschauung, alle verschie- denen Erscheinungsformen unter die beiden Begriffe der lebendigen Kraft und der Spannkraft subsumiert werden, - 38 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. ein weiterer Schritt in der 'Vereinfachung der Auffassung aller Naturerscheinungen. Um nun das Princip auf einen beliebigen Process, der in einem System von Korpern vor sich geht, anzuwenden, hat man nur notig, in irgend eiiiem Zeitpunkt alle ver- schiedenen Arten von lebendiger Kraft und Spannkraft zu- sammenzufassen und zu einer Sumnie zu vereinigen. Diese Summe stellt dann die dem System innewohnende Gesammt- kraft vor und ist mit der Zeit unveranderlich, naturlich nur solange jegliche Einwirkung von aussen ausgeschlossen ist. Es versteht sich, dass alle einzelne Glieder dieser Summe, also alle einzelnen Kraftquantitaten, nach demselben Maasse gemessen werden mussen; da wir nun aber in der Physik verschiedene Kraftarten, wie lebendige Kraft der sichtbaren Bewegung, Warme u. s. w. nach verschiedenem, conventio- nellem Maass messen, so wird es notig sein, vor der Sum- niierung jede Kraftart auf das gemeinsame (mechanische) Maass zuruckzufuhren , d. h. ihr mechanisches Aquivalent festzustellen, und hierin liegt eine gewisse Schwierigkeit, die sich der Anwendung des Princips von vornherein entgegen- stellt; eine allgemeine Regel, nach der sich der Aquivalenz- wert in jedem Falle von vornherein, unabhangig von dem Princip, berechnen lasst, gibt es nicht. Wir haben in der That schon wiederholt gesehen, dass die Anwendung des Princips durch die Zugrundelegung falscher Aquivalenzwerte zu verkehrten Schliissen gefiihrt hat; daher ist es notig, fur jede Kraftart im besonderen den Wert des entsprechenden Equivalents zu priifen, und dies geschieht am besten durch die Anwendung des Princips auf einen besonders einfachen, leicht zu ubersehenden Fall. Es ist interessant, von diesem Gesichtspunkt aus den Gedankengang zu verfolgen, den Helmholtz einschlagt bei der Besprechung der verschiedenen physikalischen Erscheinungen in ihrem Zusammenhang mit dem Princip der Erhaltung der Kraft. Zunachst wird das Gebiet der Mechanik im engeren Sinne betrachtet, far welches sich, wie schon erwahnt, das allgemeiue Priucip als der bekannte Satz der lebendigen Krafte darstellt. Diesem Gesetz gehorchen die Bewegungen, welche unter dem Einfluss der allgemeinen Gravitationskraft I. Abachnitt. Historische Entwickelung. 39 vor sich gehen, die Bewegungen incompressible! fester und fliissiger Korper (soweit nieht durch Reibung oder un- elastischen Stoss lebendige Kraft sicbtbarer Bewegung ver- loren geht), endlich die Bewegungen vollkommen elastischer fester und fliissiger Korper; ausserdem werden hieher ge- recbnet die Erscheinungen des Schalles und des Lichtes, ^o- wie der strablenden War me, insofern bei ihrien nicht durch Absorption Vernichtung von Bewegung eintritt. - - In alien ausgenommenen Fallen muss nach dem Gesetz der Erhaltung der Kraft die verlorne lebendige Kraft in irgend einer an- deren Eraftform zum Yorschein kommen, sie zeigt sich in der That bei der Absorption von Warmestrahlen als Warme, bei der Absorption von Lichtstrahlen, deren Identitat mit den warmenden und chemisch wirkenden Strahlen Helmholtz be- reits anerkeimt, entweder als Licht (Phosphorescenz) oder als Warme oder als chemische Wirkung. Auch fiir den Kraftverlust beim Stoss unelastischer Korper uiid bei der Reibung verlangt das Princip der Erhaltung der Kraft Ersatz in irgend einer andern Form, und diesen Ersatz findet Helm- holtz einmal in einer, von einer Vermehrung der Quantitat der inneren Spannkrafte begleiteten, Veranderung in der molecularen Constitution der sich reibenden oder stossenden Korper, dann in akustischen und elektrischen, besonders aber in thermischeu Wirkungen. Er folgert, dass in alien Fallen der Reibung, wo moleculare Anderungen, Elektricitatsent- wickelung u. s. w. verrnieden sind, nach dem Princip der Erhaltung der Kraft fiir jeden Verlust an mechanischer Kraft jedesmal eine bestimmte Quantitat Warme entstehen muss, welche der aufgewendeten Arbeit Equivalent ist; hierbei wer- den die ersteu Versuche von Joule citiert, bei den en aller- dings die Messungsmethoden noch zu wenig exact erscheinen, urn vollstandiges Vertrauen zu verdienen. (R. Mayer's Ar- beiten waren damals noch so gut wie unbekannt.) Auch die Carnot-Clapeyron'sche Ansicht, dass die Warme als solche unverganglich sei und infolgedessen nur durch ihren Uber- gang aus hoherer in tiefere Temperatur mechanische Arbeit erzeugen konne, wird behandelt und in ausfuhrlicher Be- sprechung als unhaltbar bezeichnet. Fiir die Annahme einer absoluten Vermehrung der Quantitat der Warme durch Rei- 40 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. bung sprechen schon die Versuche von Davy (S. 18), dann aber zwingt zu dem gleichen Schluss die Wanneerzeugung durch elektrische Bewegung, namentlich mittelst der Ladung einer Flasche durch den Elektrophor, oder mittelst der Er- regung eines Stromes durch einen Magneten. Daraus folgt also, dass die Warme nicht im Vorhandensein , sondern in Veranderungen oder Bewegungen eines Stoffes besteht, so dass ,,die Quantitat der in einem Korper enthaltenen Warme aufgefasst werden muss als die Summe der lebendigen Kraft der Warmebewegung (freie Warme) und der Quantitat der- jenigen Spannkrafte in den Atomen, welche bei einer Ver- iinderung ihrer Anordnung eine solche Warmebewegung hervorbringen konnen (latente Warme, innere Arbeit)." Was die chemische Erzeugung von Warme betrifft, so fiihrt Helmholtz den von Hess (S. 20) ausgesprochenen Satz an, dass bei einer chemischen Verbindung stets gleichviel Warme erzeugt wird, in welcher Ordnung und in welchen Zwischenstufen auch die Verbindung vor sich gehen moge. Dieser Satz ist zwar ursprunglich aus der Vorstellung von der Unveranderlichkeit des Warmestoffes hervorgegangen, indes stellt er sich auch als eine Consequenz des Princips der Erhaltung der Kraft heraus. Es folgt nun eine Betrachtung der Wirkungen der Warme, von denen hauptsachlich die Erzeugung mechanischer Kraft untersucht wird. Hier werden die Versuche von Joule (S. 31 f.) erwahnt, in denen comprimierte Luft einmal in die Atmosphare, ein anderes Mai in ein luftleeres Gefass aus- stromt. Im ersten Fall tritt, entsprechend der durch die Uberwindung des Luftdrucks geleisteten Arbeit, eiue Tem- peraturerniedrigung der Luft ein, wahrend im letzteren Fall im ganzen keine Temperaturanderung wahrzunehmen ist. Schliesslich werden noch die theoretischen Untersuchungeu von Clapeyron und von Holtzmann besprochen. Einen bedeutenden Theil der Abhandlung bilden die An- wendungen des Princips auf Elektricitat und Magnetismus, die zum grossten Theil als vollstandig neu erscheinen. Zu- nachst wird die statische Elektricitat behandelt, deren Wir- kungen als mechanische (Bewegung der Elektricitat mit den Leitern) und thermische (Bewegung in den Leitern) unter- I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 41 schieden werden; hierbei bedient sich Helmholtz des mecha- nischen, jetzt sogenannten elektrostatischen Maasssy stems. Der Wert der Quantitat der elektrischen Spannkrafte wird geliefert durch die Summe der Potenziale der verschiedenen in dem betrachteten System vorhandenen elektrisch geladenen Korper aufeinander und auf sich selbst. (Helmholtz benutzt hier eine von der jetzt iiblichen etwas abweichende Definition des Potenzials, indem er es erstens mit entgegengesetztem Vorzeichen nimmt und ausserdem das Potenzial einer Ladung auf sich selbst doppelt so gross rechnet als jetzt geschieht.) Wird also durch die Wirkung der Elektricitat lebendige Kraft (sichtbare Bewegung oder Warme) erzeugt, so wird ihre Grosse gemessen durch die Abnahme der elektrischen Spannkraft. Wenn durch Entladung von Elektricitat nur Warme erzeugt wird, so ist dieselbe demuach gleich der Zu- nahme (jetzt: Abnahme) des gesammten elektrischen Poten- zials, woraus fur Batterien, deren aussere Belegung abgeleitet ist, das Gesetz folgt, dass die Entladungswarme proportional ist dem Quadrate der entladenen Elektricitatsmenge und der reciproken Ableitungsgrosse (Capacitat) der Batterie, unab- hangig von der Form des Schliessungsdrahtes , wie es durch die Versuche von Riess im wesentlicheu bestatigt wird. Aus- serdem findet sich (wegen der Benutzung des mechanischen Maasssystems) in dem Ausdruck fur die Entladungswarme als Factor im Nenner noch das mechanische Warmeaquivalent. Ubergehend zum Galvanismus bespricht Helmholtz zu- nachst die beiden sich gegeniiberstehenden Hypothesen in Betreff der Ursache des galvanischen Stromes: die Contact- theorie und die chemische Theorie; die erste sucht den Sitz der Erregung des Stromes an der Beruhrungsflache der Me- talle, die zweite in den chemischen Processen der Kette. Helmholtz findet das Equivalent der durch den galvanischen Strom geleisteten Arbeit in der durch ihn hervorgerufenen chemischen Zersetzung der Leiter zweiter Klasse, woraus folgt, dass die Contacttheorie dann in einen Widerspruch mit dem Princip der Erhaltung der Kraft treten wiirde, wenn es einen einzigen Leiter zweiter Klasse (d. h. der nicht dem Span- nungsgesetz folgt) gabe, der durch den Strom nicht zersetzt wlirde. Die aus dieser Annahme hergeleiteten Angriffe gegen 42 ! Abschnitt. Hi&torische Entwickelung. die Cbntacttheorie haben wir schon oben (S. 19 f.) erwahnt. Betrachtet man aber von vorneherein jeden Leiter zweiter Klasse als Elektrolyten, so involviert die Anuahme der Con- tactkraft nicht nur keinen Widerspruch, sondern ergibt auch eine einfache und bequeme Anschauung von dem Wesen der elektrischen Spannung, indem man sich vorstellt, dass die verschiedenen Metalle mit verschiedenen Anziehungskraften auf die Elektricitat wirken. Im Gleichgewichtszustand muss dann die elektrische Spannung gleich der Differenz der leben- d?gen Krafte sein, welche eine Elektricitatseinheit vermoge dieser Anziehungskrafte beim Ubergang in das Innere eines jeden Metalls gewinnen wiirde, also unabhiingig von der Grosse und der Form der Benihrungsflache. Dann ergibt sich auch fiir eine Reihe hintereinander verbundener Metalle unmittelbar die Giltigkeit des Spannungsgesetzes, indem dann die elektrische Spannung zwischen dem ersten und letzten Metall unabhangig wird von den dazwischen liegenden Me- tal len. Von den galvanischen Ketten betrachtet Helmholtz zu- nachst solche, welche lediglich chemische Zersetzung ; aber keine Polarisation hervorbringen. Hier ergibt sich aus der Gleichheit der elektrischen und der chemischen Wiirme unter Zugrundelegung des Ohm'schen Gesetzes in Bezug auf die Stromstarke und des Lenz'schen Gesetzes in Bezug auf die Warmeentwickelung in der Schliessung, dass die elektro- niotorische Kraft eines Elements (Daniell, Grove) gleich ist der Differenz der Warmetonungen , die bei der Oxydation der Aquivalente der beiden Metalle und Losung des Oxyds in der Siiure eintreten. Daraus folgt auch, dass alle Ketten, in denen sich gleiche chemische Processe abspielen, auch gleiche elektromotorische Krafte haben ; wofur Versuche von Poggendorff angefiihrt werden. Auch Ketten mit Polarisation werden der Betrachtung unterzogen, zunachst solche, in denen nur Polarisation, aber keine merkliche chemische Zersetzung stattfindet. Hier erhillt man inconstante, meist bald ver- schwindende Strome, die wesentlich nur zur Herstellung des elektrischen Gleichgewichts zwischen Flussigkeit und Metallen dienen. Wird die Polarisation urspriinglich gleicher Flatten (in zusammengesetzten Ketten) durch fremde elektromotorische I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 43 Krafte hervorgerufen, so kann man die dabei verlorne Kraft des urspriinglichen Stromes als secundaren (Depolarisations-) Strom wiedergewinnen durch Ausschaltung der erregenden Elemente. Finden die Erscheinungen der Polarisation und der chemischen Zersetzung gleichzeitig statt, so kann man den entstehenden Strom in zwei Theile theilen, den Polari- sations- und den Zersetzungsstrom, und diese beiden Theile in der vorigen Weise einzeln betrachten. Immer ist wieder die in der ganzen Schliessung erzeugte Warme, inoge die Entwickelung derselben. iiberall proportional dem Quadrate der Stromintensitat oder, wie es Helmholtz auch armimmt, an gewissen Stellen nach einem anderen Gesetz erfolgen, identisch mit derjenigen Warme, welche die in den Elementen stattfindenden chemischen Processe hervorrufen wiirden, wenn sie auf gewohnlichem Wege, ohne Elektricitatsentwickelung, vor sich gingen. Wahrend also als Quelle der hydroelektrischen Strome die chemischen Processe zu betrachten sind, findet Helmholtz als Aquivalent der durch thermoelektrische Strome erzeugten Kraft die von Peltier entdeckten Wirkungen solcher Strome an den Lothstellen zweier Metalle, und zwar verlangt hier das Princip der Erhaltung der Kraft, dass die im Innern der Leiter entwickelte Warme gleich ist der an den Lothstellen im ganzen absorbierten Warme. Als Folgerung dieser An- uahme ergibt sich unter anderem der Satz, dass die Peltier'sche Wirkung an einer Lothstelle proportional der Stromstarke ist, und dass die elektromotorische Kraft der Thermokette in demselben Verhaltnis wachst wie die an beiden Lothstellen zusammen von der Stromeinheit absorbierte Warme. Sodann behandelt Helmholtz die Kraftwirkungen des Magnetismus, und zwar in genau derselben Weise wie die der statischen Elektricitat. Die magnetische Spannkraft wird gemessen durch das analog definierte magnetische Potenzial (der Magnete aufeinander und auf sich selbst), und die Zu- nahme dieser Grosse ergibt das Wachsthum an lebendiger Kraft. Hierbei wird unterschieden zwischen permanentem und durch Induction veranderlichem Magnetismus. Im ersteren Fall, bei permanenten Stahlmagneten , ist das Potenzial des Magneten auf sich selbst constant, kann also ganz fortgelassen 44 I- Abschnitt. Historische Entwickelung. werden, beim inducierten Magnetismus dagegen ist dies Po- tenzial veranderlich. Helmholtz besehrankt sich hierbei auf die Betrachtimg solcher Korper (aus weichem Eisen), in denen der Magnetismus bis zur vollkommenen Bindung induciert ist, d. h. so, dass die magnetische Oberflachenbelegung, die ja stets an die Stelle der inneren Vertheilung gesetzt werden kann, sich genau nach demselben Gesetz bildet, wie die elek- trische Oberflachenvertheilung in einem elektrisch induciertei], von vorneherein nicht geladenen, Leiter. Diese Annahme ist bekanntlich in der Poisson'schen Theorie der magnetischen Induction als specieller Pall enthalten. tTbergehend zu den Erscheinungen des Elektromagnetis- mus wird unter Zugrundelegung der von Ampere und F. Neu- mann entwickelten Gesetze der elektrodynaniischen Wirkungen das Princip der Erhaltung der Kraft auf geschlossene Strome angewendet. Wenn sich zunachst ein permanenter Magnet unter deru Einfluss eines etwa hydroelektrischen ruhenden Stromes / bewegt, so sind als Kraftaquivalente in Rechnuiig zu bringen: 1) die lebendige Kraft der Bewegung des Mag- neten, 2) die vom Strom in seiner Leitung entwickelte Warine, endlieh 3) die in den Elementen erzeugte che- mische Arbeit. Die algebraische Summe dieser Aquivalente muss einen mit der Zeit nicht veranderlichen Wert besitzeu, ihre zeitliche Anderung ist also = 0. Nun ergibt sich die im Zeitelement dt gewonnene lebendige Kraft des Mag- neten mit Hilfe des Potenzials des Stromes auf den Mag- neten: J V (der Strom J nach Ampere durch eine mag- netische Doppelschicht ersetzt gedacht) zu / -^ dt, ferner die in derselben Zeit im Stromkreis entwickelte War me zu J 2 W dt (W Widerstand), endlieh die erzeugte che- mische Arbeit zu A / dt (A die elektromotorische Kraft der Elemente), also bekommen wir die Bedingung: oder: Durch Vergleichung mit der Ohm'schen Formel folgt hieraus das Gesetz der magnetelektrischen Induction in der Weise, I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 45 class jede Lagenanderung des Magneten in einem geschlossenen d V Leiter eine elektromotorische Kraft: - -TT- induciert, die ge- messen wird durch die Geschwindigkeit der Anderung des Potenzials des Magneten auf den Leiter, letzterer von der Stromeinheit durchflossen gedacht. Dies Gesetz stimmt wesent- lich mit dem von F. Neumann fur die elektrische Induction auf ganz anderera Wege abgeleiteten Princip uberein und unterscheidet sich von diesem der Form nach nur dadurch, dass Neumann die Potenzialanderung noch mit einer unbe- stimmt gelassenen Constante s multiplicieren muss, urn den Wert der inducierten elektromotorischen Kraft zu erhalten, wahrend in der Helmholtz'schen Ableitung diese Constante einen bestimmten Wert erhalt, der nur von den gewahlten Maasseinheiten abhangt (in dem jetzt gebrauchlichen mag- netischen Maasssystem ist sie == 1, in dem damals von Helm- holtz gebrauchten = dem reciproken Wert des mechanischen Warmeaquivalents , da er dort den Widerstand durch die Warme misst, die in ihm von der Stromeinheit in der Zeit- einheit hervorgebracht wird). Die beschriebene Art der Anwendung des Princips der Erhaltung der Kraft fuhrt uns zu einer principiell wichtigen Uberlegung. Man konnte n'amlich die Frage aufwerfen, ob es denn von vorneherein gerechtfertigt ist, die verschiedenen Kraftaquivalente gerade in der Weise in Anschlag zu bringen, wie es oben geschehen ist: Lebendige Kraft des Magneten, W'armeentwickelung im Stromkreis, chemische Arbeit. Es lage namlich nach der Analogic mit fruheren Satzen doch die Vermutung nahe, etwa das Potenzial / V des Stromes auf den Magneten auch als eine bestimmte Kraftart zu be- trachten und als Glied in die Summe der verschiedenen Kraft- aquivalente mit aufzunehmen, wodurch dann die Gleichung der Erhaltung der Kraft noch ein Zusatzglied: ' dt erhalten wiirde. So gut man bei der "Bewegung zweier Mag- nete die maguetische Spannkraft als bestimmtes Kraftaqui- valent rechnet und dieselbe durch den Wert des magnetischen Potenzials misst, so stellt sich bei den elektromagnetischen Kraften, die ja mit den magnetischen in so innigem Zusammen- hang stehen ; der Gedanke ein, auch eine elektromagnetische 46. I. Abschnitt. Historische Entwicketung. Spannkraft nebeu den iibrigen Kraftarten als besonderes Aquivalent rnit anzufiihren. Dann wiirde die Erhaltung der Kraft allerdings zu einer Folgerung fiihren, die von dem oben abgeleiteten Inductionsgesetz und von der Erfahrung abweicht. Die richtige Antwort auf die Frage kann nur so lauten, dass es in der That kein Mittel gibt, von vornherein, ohne Zuhilfenahme der Erfahrung, zu entscheiden, ob das elektro- magnetische Potenzial als besondere Kraftart zu betrachten ist oder nicht. (Siehe S. 38.) Nur die Thatsache, dass die Annahme der ausgesprochenen Vermutung unter Anwen- dung des Gesetzes der Erhaltung der Kraft zu einem Wider- spruch mit der Erfahrung fiihrt, berechtigt uns zu dem Schluss, dass es in der That keine elektrornagnetische Spann- kraft gibt, so wie es eine magnetische gibt, wenigstens unter Festhaltung der im Bisherigen gebrauchten Vorstellungen vom Magnetismus. Daher ist auch die haufig ausgesprochene Behauptung nicht ganz richtig, dass die magnetelektrische Induction eine unmittelbare Consequenz des Princips der Erhaltung der Kraft sei. Man konnte ja z. B. von vorneherein ebenso gut an- nehmen, dass ein Strom, der in Wechselwirkung mit eineni Magneten tritt, sich diesem gegeniiber ebenfalls ganz wie ein permanenter Magnet verhalt. Dann wiirde bei einer ein- tretenden Bewegung die Stromstarke constant bleiben, die chemische Arbeit wiirde sich vollstandig in Stromwarme um- setzen, und das Princip der Erhaltung der Kraft wiirde genau ebenso befriedigt werden ; wie bei der Bewegung einer con- stanten magnetischen Doppelschicht, die sich in Wechsel- wirkung mit einem Magneten befindet. Eine geschlossene metallische Leitung wiirde sich dann gegen einen Magneten ebenso indifferent verhalten ; wie gegen einen beliebigen un- magnetischen Korper, dagegen wiirde ein ruhender constanter Magnet auf einen ruhenden veranderlicheii Strom gewisse Inductionswirkungen ausiiben. Die Inductionserscheinungen konnen also nicht aus dem Princip der Erhaltung der Kraft allein, sondern nur zugleich aus der Erfahrung erschlossen werden, sie siud nicht eine Folge des Princips an und fur sich, sondern eine Folge der I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 47 weiteren Annahme, dass es keine anderen Kraftarten gibt, als die oben in Rechnung gezogenen. Aus dieser Annahme ergeben sie sich dann allerdings als numerisch vollstandig bestimmt. Von welch praktischer Bedeutung diese Erwagungen sind, zeigt sich bei der Anwendung des Princips auf die Wechsei- wirkungen zweier Strome. Hier ist die von Helmholtz ge- gebene Gleichung unvollstandig; sie enthalt namlich als Kraftaquivalente nur die lebendige Kraft der Bewegung der Stromleiter , die in den Leitungen erzeugte Warme und die verbrauchte chemische Arbeit, wahrend es sich spater heraus- gestellt hat, dass es auch ein elektrodynamisches Kraftaqui- valent gibt, die jetzt so genannte elektrokinetische Energie, die gemessen wird durch das (negative) Potenzial der beiden Strome aufeinander. Diese Grosse muss zur Bildung der voll- standigen Gleichung der Erhaltung der Kraft mit als Glied in die Summe der einzelnen Kraftarten eingefuhrt werden; dann erst wird diese Gleichung allgemein richtig. Ebenso wie das Potenzial der Strome aufeinander, so liefert auch das Potenzial eines Stromes auf sich selbst eine besondere Kraftart, welche genau genommen auch oben bei den elektro- magnetischen Wirkungen hatte berucksichtigt werden mussen (Selbstinduction). Eine systematische Besprechung dieser Fragen werden wir im dritten Abschnitt dieser Schrift vor- nehmen; hier soil nur aufs neue darauf hingewiesen werden, wie sehr es bei der Anwendung des Princips der Erhaltung der Kraft auf die Einfuhrung des richtigen Kraftaquiva- lenf^ fiir jede einzelne Erscheinung ankommt. Ein Hinweis auf die Processe in der organischen Natur, soweit sie sich mit unserem Princip in Zusammenhang bringen lassen, insbesondere auf die Anhaufung chemischer Spann- kraft bei den Pflanzen unter dem Einfluss der chemisch wir- kenden Sonnenstrahlen , und auf die Wiirmeproduction des thierischen Korpers, die von uns bereits besprochen ist, so- wie die Zuriickweisung einiger Einwiinde gegen das Princip bildet den Schluss der Abhandlung von Helmholtz. Nach grossartigem Plane angelegt und in kleinstem Raume eine Fiille von Thatsachen und Ideen umfassend, die zum Theil erst im Laufe der Jahre von andern Forschern aufgegriffen 48 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. und einzeln weiter ausgebildet warden, wird diese Schrift fiir immer eines der merkwiirdigsten und lehrreichsten Denkmaler in der Geschichte der Entwicklung des Princips der Erhal- tung der Kraft bilden. Der Eindruck, den die Arbeit bei ihrem Erscheinen bei den Fachgenossen hervorrief, war kein bedeutender. Das neue Princip war damals geradezu unpopular, es verlangte eine so radicale Umwalzung aller physikalischen Anschau- ungen, dass es begreiflicherweise allgemein mit Befremden und meistens ablehnend beurtheilt. wurde. So kam es, dass dieser spater so beriihrat gewordene Aufsatz zuerst gar nicht einmal in weitere Kreise gelangte (W. Thomson bekam ihn z. B. nach seiner eigenen Angabe erst im Jahre 1852 zu Gesichte); es mussten noch einige andere Anstosse hinzu- kommen, ebe sich der Umschwung in der allgemeinen Meinung vollzog. Bevor wir dazu ubergehen, wollen wir hier gleich der .kritischen Bemerkungen von Clausius iiber die Abhandlung von Helmholtz Erwahnung thun, von denen der erste Theil 1 ) im Jahre 1853 erschien (wo also der Sieg des Princips bereits entschieden war). In diesen Bemerkungen werden einerseits einige Anwendungen , die Helmholtz von dem Princip der Erhaltung der Kraft gemacht hatte, kritisch besprochen, so insbesondere die Art der Definition des Potenzials eines Leiters auf sich selbst (S. 41), dann die Ubereinstimmung der Riess'schen Versuche iiber die Warmewirkungen einer elek- trischen Entladung mit der Theorie, nebst der aus ihr abge- leiteten Unabhangigkeit der erzeugten Warme von der Natur des Schliessungsdrahtes, ferner die Holtzmann'sche Auffas- sung der Aquivalenz von Warme und Arbeit; andrerseits wird Einspruch erhoben gegen den von Helmholtz aufgestellten Satz (S. 36), dass die Auflosbarkeit der Naturkrafte in Central- krafte (von Punkt zu Punkt wirkend in der Richtung der Verbindungslinie mit einer Intensitat, die abhangt nur von der Entfernung) eine notwendige Folge des Satzes der lebendigen Kraft sei. Auf diese Bemerkungen erwidert 1) R. Clausius: Uber einige Stellen in der Schrift von Helmholtz iiber die Erhaltung der Kraft. Pogg. Ann. 89, p. 568, 1853. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 49 Helmholtz 1 ) eingehend und fuhrt insbesondere in Betreff des letzterwahnten Satzes aus (immer gestiitzt auf die mechanische Naturanschauung) , dass seine Ableitung nur von der einen Voraussetzung abhange, dass reelle Wirkungen ihren voll- standigen Grund in Verhaltnissen reeller Dinge zu einander haben. Die relative Lage eines Punktes zu einem andern ist lediglich durch die Entfernung bestimmt, und daraus folgfc, dass die lebendige Kraft, wenn sie nur von der Lage der Punkte abhangt (was allerdings heute nicht als notwendige Folge des Satzes der lebendigen Kraft erscheint, vgl. das elek- trische Grundgesetz von W. Weber) auch nur von der Ent- fernung abhangen kann; dies fiihrt dann zur Annahme von Centralkraften (Naheres siehe im dritten Abschnitt). Anders ist es, wenn statt eines Punktes em korperlieh ausgedehntes unendlich kleines Element substituiert wird; hier gibt es namlich im allgemeinen verschiedenwertige Richtungen, und es ist wohl denkbar, dass die lebendige Kraft eines Punktes, der sich unter dem Einfluss eines wirkenden Elements bewegt, je nach der Richtung seiner Entfernung vom Element ver- schiedene Werte hat. Helmholtz weist nun aber nach, dass, wenn die lebendige Kraft des Punktes eine ganz beliebig gegebene Function seiner Coordinaten ist, sich stets (auf unendlich mannigfaltige Weise) eine Anordnung von Punkten innerhalb oder an der Oberflache des Elements auffinden lasst, die ihrerseits einfach nach Centralkraften wirken und die Wirkung des Elements vollstandig ersetzen; auf diese Weise ist auch dieser allgemeine Fall zuriickgefuhrt auf die Existenz von Centralkraften. Bekanntlich machen wir von diesem Satz Gebrauch, indem wir uns z. B. die Fernewir- kungen eines Elementarmagueten vorstellen als hervorgehend aus dem Zusammenwirken zweier mit einfachen Centralkraften wirkender Pole. Zum Schluss gibt Helmholtz noch eine Ver- vollstaudigung der friiher von ihm gemachten Anwendungen des Princips auf Magnetismus und Elektrodynamik auf Grund der Theorie der magnetischen Induction von Poisson und der eigenen Untersuchungen tiber Stromschwankungen indu- 1) H. Helmholtz: Erwiderung auf die Bemerkungen von H. Clausius. Pogg. Ann. 91, p. 241, 1854. Wiss. Abb. I p. 76. Planck, Energie. 4 50 I- Abschnitt. Historische Entwickelung. cierter Strome J ). Hiebei wird gefundeu, dass ein galvanischer Strom durch sein Bestehen an und fur sich ein Kraftaqui- valent reprasentiert, welches proportional ist dem Quadrat seiner Intensitat (Elektrodynamisches Potenzial auf sich selbst). Wird der Strom unterbrochen, so verwandelt sich dieser Kraft- vorrath entweder unmittelbar in Warme (Unterbrechungs- funke) oder erst auf indirectem Wege, durch den entstehen- den Extrastrom. Auch das F. Neumann'sche allgemeine Gesetz der Induction durch Magnete oder Strome wird als ubereinstimmend mit dem Princip der Erhaltung der Kraft erwiesen. Durch eine zweite Erwiderung von Olausius 2 ) fand diese Discussion ihren Abschluss. Wenden wir uns nun wieder zuriick zum Jahr 1847, so finden wir hier zunachst wieder eine neue Arbeit 3 ) von Joule, der eine Reihe von Versuchen zur Bestimmung des mecha- nischen Warmeaquivalents veroffentlichte , die sich auf die Warmeerzeugung durch Reibung in Fliissigkeiten bezogen. Ein Schaufelrad aus Messing oder Eisen, das in eine Fliissig- keit (Wasser, Wallrathol, Quecksilber) getaucht war, wurde durch herabfallende Gewichte in Rotation versetzt, und die durch die Reibung in der Fliissigkeit erzeugte Warme mit der aufgewendeten Arbeit verglichen. Das Verbal tnis ergab das mechanische Warmeaquivalent im Mittel zu 430 Kilo- grammmeter. Nun verstarkte sich doch allmahlich die Schaar derer, welche, dem Vorgange Joule's folgend, auf dem sich eroffnen- den weiten Gebiete an dem Ausbau der neuen Theorie mit- arbeiten halfen. Der schon oben erwahnte Seguin aine, in seinen Anschauungen vom Wesen der Warme bestarkt, be- rechnete nun auch das mechanische Warmeaquivalent, und zwar durch die Abkiihlung, welche Wasserdampf erfahrt (von 1) H. Helmholtz: Uber die Dauer und den Verlauf der durch Strom esschwankungen inducierten elektrischen Strome. Pogg. Ann. 83, p. 505, 1851. Wiss. Abh. I p. 429. 2) R. Clausius: Uber einige Stellen d. Schrift v. Helmh. lib. d. Erh. d. Kr. Zweite Notiz, Pogg. Ann. 91, p. 601, 1854. 3) Joule: On the mechanical equivalent of heat as determined by the heat evolved by the friction of fluids. Phil. Mag. (3) 31, p. 173, 1857. Pogg. Ann. 73, p. 479, 1848. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 51 180 bis 80 Cels.), wenn er bei der Ausdehnung Arbeit leistet. 1 ) Das mittlere Resultat war 449 Kgrm. Ferner sind hier auch die Arbeiten von W. Grove 2 ) zu nennen, der sich langere Zeit hindurch mit der Untersuchung der Gesetze der Um wand lung der verschiedenen Naturkrafte ineinander be- schaftigte, wie sie sich aus der mechanischen Anschauung ergeben, und seine fiber dieses Thema an der Royal Institution in London gehaltenen Vorlesungen in ein ? mehr popular gehaltenes, Buch 3 ) iiber die Verwandtschaft der Naturkrafte vereinigte, welches 1856 von Moigno ins Franzosische und spater wiederholt 4 ) auch ins Deutsche iibersetzt wurde. Es ist beachtenswert , dass mit der Entdeckung des mechanischen Warmeaquivalents und der Entwickelung des allgemeinen Princips der Erhaltung der Energie die Aus- bildung der Ansicht, dass alle Naturerscheinungen auf Be- wegung beruhen, so unmittelbar Hand in Hand ging und sogar oft geradezu identificiert wurde. Derm streng genommen lehrt das Princip doch nichts als die Verwandelbarkeit der einzelnen Naturkrafte ineinander nach festen Verhaltnissen, gibt aber durchaus keinen Aufschluss iiber die Art, wie diese Umwandlung zustande kommt. Aus der Giltigkeit des Princips lasst sich also keineswegs die Notwendigkeit der mechanischen Naturanschauung deducieren, wahrend umge- kehrt sich das Princip allerdings als eine notwendige Folge dieser Anschauung herausstellt, wenigstens wenn man dabeivon Centralkraften (S. 35) ausgeht. Dieser letztere Umstand in Verbindung mit dem Bediirfnis, sich eine einheitliche Vor- stellung von der Wirkungsweise der Naturkrafte zu bilden, erklart hinreichend die Thatsache der so schnell und wider- spruchslos erfolgten Annahme der mechanischen Theorie, die sich bisher in der That iiberall glanzend bestiitigt hat; wenig- 1) Seguin aine: Note a 1'appui de 1'opinion emise par M. Joule, sur 1'identite du mouvement et du calorique. Compt. Bend. 25, p. 420, 1847. 2) W. Grove: Resume de quelques Ie90ns sur les rapports des divers agents ou forces physiques. L'Institut Nr. 750753, 1848. 3) W. Grove: The correlation of physical forces. 3. Aufl. 1855. 4) W. Grove: Die Verwandtschaft der Naturkriif'te deutsch von E. v. Russdorf, Berlin 1863, von Schaper, Braunschweig 1871. 4* 52 I- Abschnitt. Historische Entwickelung. stens glaube ich zur Zeit nicht die Befurchtungen theilen zu sollen, welche an die allgemeine Durchfiihrbarkeit dieser Theorie, als einer allzu engherzigen Auffassung der Natur- erscheinungen, gekntipft werden. ! ) Wahrend die Arbeiten Joule's sich so allmahlich, beson- ders in Deutschland, zur verdienten Anerkennung durchrangen und sogar die Prioritatsstreitigkeiten (zwischen Mayer 2 ), Joule, Seguin 3 ), Colding 4 ) ) bereits ihren Anfang nahmen, verhielten sich die bedeutenderen Physiker Englands der neuen Theorie gegeniiber noch eine Zeit lang zuruckhaltend. W.Thomson macht allerdings in einer Mi ttheilung 5 ) an die British Association vom Jahre 1848: iiber die Theorie der elektromagnetischen Induction auf den engen Zusammenhang aufmerksam, welcher besteht zwischen der auf die Bewegung des inducierenden Magneten verwandten Arbeit (work) und der Intensitat des durch diese Bewegung hervorgerufenen Stromes, aber er bleibt bei der Annahme stehen, dass durch den inducierten Strom mechanischer Effect von bestimmtem Betrage verloren wird, ohne weiter nach einem Ersatz dieses Verlustes zu fragen. Nichtsdestoweniger erkannte er die Wichtigkeit und Fruchtbarkeit des Satzes, dass es unmoglich ist, Arbeit aus Nichts zu gewinnen, so klar, dass er daran ging, die Carnot'sche Theorie, die ja auf demselben Gedanken beruht, von neuem aufzunehmen und unter Benutzung der neuesten Beobachtungsdaten (namentlich von Regnault) zur Anwendung auf die bewegende Kraft von Warmemaschinen tauglich zu 1) E. Mach: Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit. Prag 1872. Calve. 2) R. Mayer: Sur la transformation de la force vive en chaleur et reciproquement. Compt. Rend. 27, p. 385, 1848 etc. 3) Seguin aine: Note a Tappui de Topinion emise par M. Joule, sur 1'identite du mouvement et du calorique. Compt. Rend. 25, p. 420, 1847. 4) A. Colding: Det kongel. danske vidensk. selsk. naturv. og math. afh. (5) II, 1843 p. 121, 167. On the history of the principle of the conservation of energy, Phil. Mag. (4) 27, p. 56, 1864. 5) W. Thomson: Report of the 18. Meeting of the British Asso- ciation for the adv. of sc. Notices and abstr. of communic. p. 9, 1848. On the theory of electromagnetic induction. I. Abschnitfc. Historische Entwickelung. 53 machen. 1 ) Der Schwierigkeiten , die ihm dabei aufstiessen, haben wir schon oben (S. 17) gedacht; jedenfalls hielt er deren Uberwindung auf dem eingeschlagenen Wege nicht fiir unmoglich. Da librigens die alte Carnot'sche Theorie doch zum Theil auf einer richtigen Grundlage beruht, so zeigten sich manche Folgerungen derselben mit der Erfahrung in Ubereinstimmung, so z. B. der von J. Thomson gezogene 2 ) und nachher von W. Thomson experimentell bestatigte 3 ) Schluss, dass ausserer Druck den Gefrierpunkt des Wassers erniedrigt. Unterdessen hatte Joule seine Arbeiten mit eiserner Aus- dauer und immer exacteren Methoden fortgesetzt. War es ihm friiher in erster Linie darum zu thun gewesen, die Existenz des mechanischen Warmeaquivalents , also die Constanz der Verhaltniszahl zwischen Warme und Arbeit, in den ver- schiedensten Umwandlungsprocessen nachzuweisen , so ging er jetzt darauf aus, gestiitzt auf seine vielseitigen Erfahrun- gen, den moglichst genauen Wert dieses Aquivalents zu ermitteln. Unter alien friiher von ihm benutzten Methoden wahlte er als die zuverlassigste aus die Erzeugung von Warme clurch Bewegung eines Schaufelrades in Wasser oder Queck- silber, sowie durch Reibung gusseiserner Scheiben aneinander, und bestimmte so, unter moglichster Beriicksichtigung aller erdenkbarer Fehlerquellen, aus zahlreichen Versuchen das mechanische Aquivalent der Warmeeinheit ; letzteres bezogen auf englische Pfund und F. Grade, zu 772 Fusspfund, oder - die Warmeeinheit bezogen auf Kgr. und C. Grade zu 423,55 Kilogrammmeter 4 ), eine Zahl, die von da an fur eine Zeit lang als der zuverlassigste Wert dieser wichtigen Con- 1) W. Thomson: An account of Carnot's theory of the motive power of heat. Transact, of the Eoy. Soc. of Edinburgh, vol. XVI p. 541, 1849. 2) J. Thomson: Theoretical considerations on the effect of pres- sure in lowering the freezing-point of water. Trans. Roy. Soc. Edin- burgh XVI, p. 575, 1849. 3) W. Thomson: The effect of pressure in lowering the freezing- point of water experimentally demonstrated. Phil. Mag. (3) 37, p. 123. 1850. Pogg. Ann. 81, p. 163, 1850. 4) J. P. Joule: On the mechanical equivalent of heat. Phil, Trans. London 1850, p. 61. 54 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. stanten angesehen wurde. Wahrscheinlich 1st sie etwas zu klein. (Vgl. 3. Abschnitt.) Wenn so der Satz von der Aquivalenz der Arbeit und Warme gleichmassig mit dem Fortschreiten der Arbeiten Joule's immer mehr an Ansehen gewann, so war doch bisher noch von keiner Seite der Versuch gemacht worden, diesen Satz zur Grundlage einer ausfuhrlichen Theorie, wie die Carnot'sche war, zu machen. Rudolph Clausius war es.vor- behalten, die Wissenschaft mit einer solchen Theorie zu bereichern. Nachdem er noch in einer kurz vorher erschienenen Arbeit 1 ) der Annahme gefolgt war, dass die Warme ein unzerstorbarer Stoff sei, veroffentlichte Clausius im Jahr 1850 in den Annalen der Physik von Poggendorff eine Abhand- lung 2 ) fiber die bewegende Kraft der Warme, in welcher er, in Ubereinstimmung mit den Ideen, welche sich vereinzelt in den Schriften von Helinholtz und Joule finden, den Grund- gedanken der Aquivalenz von Warme und Arbeit zur weiteren Ausbildung brachte. Diesen Grundgedanken spricht er in folgendem Satz aus: ,,In alien Fallen, wo durch Warme Arbeit entsteht, wird eine der erzeugten Arbeit proportionale Warmemenge verbraucht, und umgekehrt wird durch Ver- brauch einer ebensogrossen Arbeit dieselbe Warmemenge erzeugt." Hiedurch ist der Gegensatz zur Carnot'schen Theorie pracisiert und eine Reihe Carnot'scher Begriffe umgestossen. Wenn ein Korper einen Kreisprocess durchmacht und schliess- lich wieder in seinen alten (durch Temperatur und Dichtig- keit bestimmten) Anfangszustand zuriickgekehrt ist, so miisste nach Carnot die Gesammtsumme der im Laufe des Processes von aussen aufgenommenen Warmemengen gleich der der abgegebenen sein, eiuerlei, welche aussere Arbeit der Korper 1) Clausius: Tiber die Veranderungen , welche in den bisher gebrauchlichen Formeln fur das Gleichgewicht und die Bewegung elastischer fester Korper durch neuere Beobachtungen notwendig ge- worden sind. Pogg. Ann. 76, p. 46, 1849. 2) Clausius: Uber die bewegende Kraft der Warme und die Gesetze, welche sich daraus fur die Warmelehre selbst ableiten lassen. Pogg. Ann. 79, p. 368, 500, 1850. Vgl. auch: R. Clausius. Abhandl. u'b. d. mechanische Warmetheorie. 1. Aufl. Braunschw. 1864, 2. urng. Aufl. Braunschw. 1876. I. AbBchnitt. Historische Entwickelung. 55 dabei im ganzen geleistet hat. Daraus folgte dann, dass ein Korper, um von einem bestimmten (nach Willkiir fixierten) Nullzustand in einen bestimmten anderen zu gelangen, im ganzen eine bestimmte Warmemenge von aussen aufnehmen muss, ganz unabhangig von dem Wege, auf dem die Uber- fiihrung stattfmdet. Diese Warmemenge nannte Carnot die Gesammtwarme des Korpers in dem betr. Zustand. Clau- sius zeigte nun, dass in der neuen Theorie dieser Begriff der Gesammtwarme nicht mehr zulassig sei; denn die Warme- menge, die ein Korper von aussen (durch Leitung oder Strahlung) aufnehmen muss, um von einem Zustand in einen andern zu gelangen, hangt wesentlich mit ab von der ausseren Arbeit, die er bei der Uberfiihrung leistet, also von dem Wege der Uberfuhrung. Leider hat die Clausius'sche Be- zeichnung ,,Gesamintwarme" zu einem Missverstandnis An- lass gegeben, indem andere Physiker diesen Nameu einer anderen Grosse beilegten, die ihrerseits wirklich nur von dem augenblicklichen Zustand abhangt. Wie schon oben (S. 40) erwahnt, bezeichnete namlich Helmholtz mit dem Namen: ,,Quantitat der in einem Korper enthaltenen Warme" die Summe der in ihm enthaltenen lebendigen Krafte und Spann- krafte, und diese Grosse ist naturlich nur von dem augen- blicklichen Zustand abhangig, einerlei welche speciellere Vor- stellung man sich von der gegenseitigen Wirkungsweise der kleinsten Theilchen des Korpers bildet, weil sie ja den im Korper enthaltenen Kraftvorrath reprasentiert. Fiir diese letz- tere Grosse hat Clausius spater 1 ) den von W. Thomson gebrauchten und jetzt allgemein durchgefiihrten Ausdruck ,,innere Energie des Korpers u angenommen, wahrend sich in der gegenwartig zu besprechenden Abhandlung noch keine besondere Bezeichnung fur sie findet. Vielmehr zerlegt Clausius den ganzen Kraftvorrath ebenso wie Helmholtz in zwei Theile: Die freie Warme (Summe der lebendigen Krafte) und die innere Arbeit (Summe der Spannkrafte). Jede dieser Grossen fur sich ist eine bestimmte Function des Zustandes. Der alte Begriff der latenten Warme wird hiedurch natiirlich 1) E. Clausius: Abh. iib. d. mech. W. 1. Aufl. I. p. 281, 1864. 2. Aufl. I. p. 33, 1876. 56 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. aufgehoben: wenn Warme keiue Temperaturerhohung her- vorbringt, wird sie nicht latent, sondern verschwiudet iiber- haupt, da sie in Arbeit (Werk) verwandelt wird. Zur Aufstellung der Grundgleichungen der Theorie be- nutzt Clausius die Clapeyron'sche Methode der Kreisprocesse und wendet dieselbe auf permanente Gase und gesattigte Dampfe an. Dabei fuhrt er bereits die sp'ater so sehr ins einzelne entwickelte Annahme ein, dass die Regelmassigkeit, welche sich in dem Verhalten aller permanenten Gase gegen Druck- uud Temperaturanderungen durch die Gesetze von Mariotte und Gay Lussac ausspricht, ihren Grund hat in einer ubereinstimnienden Constitution dieser Gase. In ihnen ist der Verband der Molekiile so gelockert, dass bei einer Aus- dehnung des Gases gar keine innere Arbeit geleistet wird (Mayer's Hypothese, S. 23) und also der ganze innere Kraft- vorrath, insofern er veranderlich ist, sich auf die freie Warme (lebendige Kraft) reduciert. Dann wird also alle aussere Arbeit lediglich auf Kosten der Warme des Gases geleistet. Man sieht, dass diese Vorstellung direct zur modern en Gas- theorie hiniiberleitet. Diesen Annahmen fiigt Clausius noch die weitere hinzu, dass die specifische Warme eines perma- menten Gases bei constantem Volumen constant (unabhaugig von der Temperatur) ist, und gelangt so zu verschiedenen Siitzen iiber die specifischen Warmen, die zum Theil vollig neu, zum Theil schon durch Experimente bestatigt erscheinen. Auch die Gesetze der Ausdehnung unter bestimniten ausseren Bedingungen: bei constanter Temperatur, bei constantem Druck, sowie bei Verhinderung der Warmezufuhr von aussen werden, in wesentlicher Ubereinstimmung mit der Erfahrung, abgeleitet. Der zweite Theil der Abhandlung enthalt eirie wesent- liche Erweiterung der Theorie durch Hereinziehung des Carnot'schen Princips der Arbeitsleistung durch Ubergang der Warme von hoherer in tiefere Temperatur. Clausius findet, dass dies Princip, wenn es auch in der urspriinglichen Fassung den Grundsatzen der niechanischen Warmetheorie geradezu widerspricht, doch einen richtigen und sehr wert- vollen Gedanken enthalt, der nur in die geeignete Form ge- bracht werden muss, um auch in der neuen Theorie eine I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 57 wichtige Rolle zu spielen. Dieser Gedanke besagt im wesent- lichen, class, wenn durch einen Kreisprocess Warme in mecha- nische Arbeit verwandelt wird, mit der Arbeitsgewinnung notwendig ein Ubergang einer gewissen (andern) Warme- menge aus hoherer in tiefere Temperatur verbunden ist. Die Warme hat namlich das Bestreben, aus hoherer Temperatur in tiefere iiberzugehen, und dies Bestreben kann zur Ge- winnung von Arbeit (Verwandlung von Warme in Arbeit) nutzbar gemacht werden, wobei aber ein bestimmtes Maxi- mum der zu gewinnenden Arbeit existiert, das nur abhangig ist von den Temperaturen, zwischen denen die Warme iiber- geht, nicht aber von der Natur der betreffenden Korper. Um eine Veranderung der Warme in entgegengesetzter Richtung : Ubergang von tieferer in hohere Temperatur zu veranlassen, bedarf es immer eines gewissen Arbeitsaufwandes (Verwand- lung von Arbeit in Warme), welcher mindestens so gross ist, wie die durch den umgekehrten Vorgang im Maximum zu gewinnende Arbeit. In dieser Modificierung bildet das Carnot'sche Pfincip, dessen weitere Ausbildung Clausius spater zu seinem zweiten Hauptsatz der mechanischen Warmetheorie gefiihrt hat, keinen Gegensatz, sondern eine Erganzung zum Princip der Aquivalenz von Warme und Arbeit, da es die Bedingungen der gegenseitigen Verwandelbarkeit aquivalenter Kraftarten regelt. Von hier ab trennen sich in der weiteren Entwickelung der Warmetheorie diese beiden Principien , die in der That in keinem logischen Connex miteinander stehen, scharf von einander, und wir werden uns daher in dieser Schrift von jetzt an nur mehr mit der Darstellung des- jenigen von ihnen zu beschaftigen haben, das sich unmittel- bar an den allgemeinen Satz der Erhaltung der Energie an- schliesst. Den Schluss von Clausius' Abhandlung bildet eine Dar- stellung verschiedener Methoden zur Berechnung des mecha- nischen Warmeaquivalents, wobei auch der Versuche Joule's gedacht wird; als wahrscheinlichster Wert wird schliesslich eine Zahl angenommen, die etwas iiber 400 Kgrm. betragt. Man darf wohl nicht mit Unrecht die Zeitperiode, in der die mechanische Theorie der Warme das Ubergewicht errang, von dieser epochemachenden Abhandlung datieren. 58 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. Fast gleichzeitig 1 ) rait Clausius begann W. J. M. Rankine die Warmetheorie von dem neuen mechanischen Standpunkt aus zu bearbeiten (wir iibergehen hier die Versuche, eine mechanische Warmetheorie zu begriinden, insofern sie keine bemerkenswerte Durchfuhrung erhalten haben, wie die von Buys-Ballot 2 ), von Wilhelmy 3 ) u. A.). Rankine 4 ) begniigte sich aber nicht, wie Clausius, mit der einfachen Voraussetzung der gegenseitigen Verwandelbarkeit von Warme und Arbeit, sondern fugte noch eine Reihe speciellerer Vorstellungen fiber die besondere Natur der Bewegung hinzu, die wir als Warme wahrnehmen. Die Warmebewegung besteht nach ihm in einer heftigen Wirbelbewegung der die korperlichen A tome umgebenden Atmospharen, cleren lebendige Kraft die Quan- titat der vorhandenen Warme ausmacht. Wird einem Korper von aussen Warme zugefiihrt, so wird nur ein Theil der- selben zur Vergrosserung dieser lebendigen Kraft verwendet (wahre specifische Warme), der Rest dient dazu, die Anord- nung der Atome zu verandern. Wir haben also auch hier, wie bei Clausius, die Unterscheidung zwischeu* freier Warme und innerer Arbeit. Doch lasst sich unmittelbar einsehen, dass die Clausius'schen Untersuchungen auf einer zuverlas- sigeren Basis beruhen, weil sie eben nur die strengen Folge- rungen des Princips der Aquivalenz von Warme und Arbeit, und nicht die mindeste willkuhrliche Voraussetzuug fiber die Natur der Warme enthalten. Da wir uberdies bei unserer Darstellung uns von Molekularhypothesen moglichst unab- hangig halten wollen, so haben wir hier keine Veranlassung, naher auf die Vorstellungen Rankine's einzugehen. Urn dieselbe Zeit wurde auch William Thomson durch 1) W. J. M. Rankine: Uber die mechanische Theorie der Warme, Pogg. Ann. 81, p. 172, 1850. (Brief.) Phil. Mag. (4) 2, p. 61, 1851. On the centrifugal theory of elasticity, as applied to gases and vapours. Phil. Mag. (4) 2, p. 509, 1851. 2) Buys-Ballot: Schets eener physiologic van het onbewerk- tuigde ryk der natuur. Utrecht 1849. 3) L. Wilhelmy: Versuch einer mathematisch-physikalischen Warmetheorie. Heidelberg 1851. 4) M. Rankine: On the mechanical action of heat. Trans. Roy. Soc. Edinburgh (geles. Febr. 4 1850) vol. XX p. 147, 191, 195, 205, 425, 441, 565, 1853. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 59 Untersuchungen iiber galvanische Processe veranlasst, in die Reihe der Vorkampfer fur die mechanische Theorie uberzu- treten und hat von da an in einer ansehnlichen Reihe von Abhaudlungen, welche die verschiedensten Anwendungen des neuen Princips enthalten, fur die Entwickelung der Theorie in ahnlicher Weise gewirkt, wie Joule es auf experimentellem Wege fur die Feststellung der Existenz und des Zahlen- wertes des mechanischen Warmeaquivalents gethan hat. In seiner ersten hierauf beziiglichen Schrift *) geht Thom- son von dem Grundsatz aus, dass der Strom einer magnet- elektrischen Maschine im ganzen Schliessungskreis eine Warme- menge erzeugt, die aquivalent ist der zur Erzeugung des Stromes verwendeten Arbeit; wenn aber durch denselben Strom zugleich elektrolytische Wirkungen hervorgebracht werden, so ist die erzeugte Warme kleiner, und zwar urn den Betrag derjenigen Warme, die durch die Wiedervereinigung der zersetzten Stoife entstehen wttrde. Die letztere Warme nennt Thomson daher das Warmeaquivalent der stattgehabten chemischen Wirkung. Dieser Grundsatz wird angewandt auf die Strome, welche durch mechanische Drehung einer kreis- runden Metallscheibe unter dem inducierenden Einfluss des Erdmagnetismus entstehen. Man kann durch passendes An- legen von Driihten an die Scheibe einen Strom in den Drahten erhalten, der auch chemische Zersetzungen bewirkt, uud ist dann imstande, die Richtigkeit des obigen Satzes zu priifen. Aus ihm leitet Thomson in ahnlicher Weise wie Helmholtz (S. 42) die Folgeruog ab, dass die elektromotorische Kraft eines galvanischen Elements im absoluten Maasse gleich ist dem mechanischen Aquivalent der chemischen Wirkung, welche in ihm von der Einheit des Stromes in der Einheit der Zeit hervorgebracht wird. In einem folgenden Aufsatz 2 ) wird die von einem Strom in einem Leiter entwickelte Warme dazu benutzt, um den Widerstand dieses Leiters in absolutem magnetischen Maasse 1) W. Thomson: On the mechanical theory of electrolysis. Phil. Mag. (4) 2, p. 429, 1851. 2) W. Thomson: Applications of the principle of mechanical effect to the measurement of electro-motive forces and of galvanic resistances in absolute units. Phil. Mag. (4) 2, p. 551, 1851. 60 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. zu messen. Dividiert man n'amlich den in Calorien gemes- senen Betrag der in der Zeiteinheit entwickelten Warrne mit dem mechanischen Warmeaquivalent, so erhalt man die Strom- warme J 2 W im mechanischen Maasse, und diese Grosse noch durch das Quadrat der im magnetischen Maasse gemessenen Stromintensitat / dividiert ergibt den Ausdruck fur den Wider- stand W des Leiters in absolutem Maasse. Die Einheit des Widerstandes ist dann dadurch bezeichnet, dass in ihr der Strom 1 in der Zeit 1 eine der mechanischen Arbeit 1 gleiche Warme entwickelt. Die fur den specifischen Widerstand von Silber und Quecksilber ausgefuhrte Berechnung ergab Resul- tate, welche gut mit denen ubereinstimmen, die von W. Weber auf ganz anderem Wege gefunden waren. Dieser hatte seine Definition des Widerstandes darauf gegriindet 1 ), dass er die Neumann'sche Inductionsconstante f (S. 45) gleich 1 setzte. Beide Definitionen fiihren also zu ubereinstmimenden Werten des Widerstandes , wie es auch nach der theoretischen Ab- leitung des Inductionsgesetzes von Helmholtz der Fall sein muss. Die namliche Abhandlung enthalt noch Anwendungen des oben erwahnten Satzes von der Gleichheit der auf galva- nischem und der auf gewohnlichem chemischen Wege erzeug- ten Warme. Tritt die galvanische Warme lediglich als Joule'sche (Lenz'sche) Warme auf, d. h. ist sie uberall pro- portional dem Quadrat der Stromintensitat, so ist die elektro- motorische Kraft E 9 wie schon oben erwahnt, gleich der, auf die Stromeinheit und Zeiteinheit reducierten, chemischen Warmetonung A im Element. Denn daun folgt aus der Aquivalenz der thermischen Wirkung: J 2 - W und der chemi- schen Wirkung: / A\ A = J-W und nach dem Ohm'schen Gesetz = E. Diese Annahme findet Thomson bestatigt fur das Daniell'sche Element, wobei er die Andrews'schen Zahlen der Warme- tonung der in diesem Element stattfindenden Processe benutzt. Es ist aber auch sehr wohl denkbar und bemerkenswerter Weise macht Thomson schon hier auf diesen Fall ausdriick- 1) W. Weber: Elekti'odynamische Maassbestimmungen, insbeson- dere WiderstandBmessungen. Abh. d. Leipz. Akad. I p. 197. Pogg. Ann. 82, p. 337, 1851. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 61 lich aufmerksam dass die den chemischen Processen ent- sprechende Warme nicht lediglich als Joule'sche Warme zum Vorsehein kommt, d. h. nicht vollstandig in Stromarbeit um- gesetzt wird, sondern dass ein Theil derselben als locale oder secundare Warme auftritt, besonders an der Grenze zweier Leiter. Diese locale Warme kann einem ganz anderen Ge- setze als dem Joule'schen folgen, sie kann namentlich der einfachen Stromintensitat proportional sein und also auch negativ werden. Dann wird die elektromotorische Kraft E des Elementes urn einen der erzeugten localen Warme ent- sprechenden Betrag vermindert werden. 1st namlich diese letztere Warme etwa gleich / C, so haben wir, wenn wir wieder nach dem Energieprincip die Gesammtwarme gleich der durch die chemischen Processe zu erzeugenden setzen: Jt.W + J-C=A-J, woraus folgt: / . [V (= E) = A C. Thomson fiihrt hier die von Faraday 1 ) ausgesprochene An- sicht an, der auch Joule beipflichtete, dass bekn Daniell'schen Element nur die Processe der Oxydation von Zink und der Reduction von Kupferoxyd elektromotorisch wirksam seien, dass dagegen die Warmetonung, welche der Auflosung des Zinkoxyd in der Schwefelsaure und der Ausscheidung von Kupferoxyd aus dem Kupfervitriol entspricht, als besondere locale Warme (an der Anode positiv, an der Kathode negativ) unabhangig von der Stromerregung zum Vorschein komme. Dass im allgemeinen eine solche locale Warmeerzeugung vorhanden istj folgt auch aus dem Verhalten der Smee'schen Saule (Platiniertes Silber, Schwefelsaure, Zink), deren elektro- motorische Kraft kleiner ist als die aus der chemischen Warme- tonung berechnete. Hier muss also eine locale Warme- entwickelung auftreten, welche dem Uberschuss der chemischen Arbeit liber die Joule'sche Warme Equivalent ist. Das Jahr 1851 brachte noch eine Publication von Joule 2 ), die zwar Anfangs wenig beachtet wurde, spater aber die Grundlage eines neuen Zweiges der Physik geworden ist, der 1) M. Faraday: Exp. Res. Phil. Trans. London 1834 Apr., 919. 2) J. P. Joule: Some remarks on heat and the constitution of elastic fluids. Mem. of the Phil. Soc. of Manchester (geles. Oct. 3, 1848) (2) vol. IX p. 107, 1851. Phil. Mag. (4) 14, p. 211, 1857. 62 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. modernen Gastheorie. Ausgehend von der Vorsteljung, dass die Warme eines Gases in der lebendigen Kraft der Be- wegung der kleinsten Korpertheilchen bestehe, fasste Joule diese Bewegung nicht, wie Davy und spater Rankine, als in Vibrationen oder Rotationen bestehend auf, sondern dachte sich, in Ubereinstimmung mit Ideen von Daniel Bernoulli 1 ) und Herapath 2 ), die Gasmolekiile frei umherfliegen und durch ihr bestandiges Anprallen an die einschliessenden Gefass- wande die Kraft hervorrufen, die als der Druck des Gases wa^irgenommen wird. Ein einzelnes Molekiil bewegt sich also in gerader Richtung mit constanter Geschwindigkeit, bis es entweder an ein anderes Molekiil oder an die Gefass- wand stosst und hier den Stossgesetzen vollkommen elastischer Korper folgt. Diese einfache Annahme ermoglicht zugleich auch Zahlenwerte aufzustellen fur die mittlere Geschwindig- keit eines Molekiils. Joule erleichterte sich die Rechnung dadurch, dass er sich das Gas in einem hohlen Wiirfel be- findlich und jedes Molekiil mit der namlichen Geschwindigkeit in einer der drei Kantenrichtungen sich bewegend vorstellte. Daraus ergab sich die Giltigkeit des Gesetzes von Boyle- Mariotte, sowie die Proportionality von Warmeinhalt (ge- sammte lebendige Kraft), Temperatur (lebendige Kraft eines einzelnen Molekiils) und Druck. Fur die Geschwindigkeit eines Wasserstoffmolekiils bei 60 F. und 30 Zoll Quecksilber ergab sich der Wert von 6225 engl. Fuss per Secunde. Fur verschiedeue Gase folgte der Satz, dass gleiche Volumina (bei gleichem Druck) die namliche lebendige Kraft ent- halten. Eine vorlaufig nicht zu iiberwindende Schwierigkeit er- wuchs fur Joule aus der Annahme, dass die Molekiile als einfache materielle Punkte anzusehen seien, dass also der gesammte Warmeinhalt, die gesammte lebendige Kraft eines Gases lediglich von der fortschreitenden Bewegung der Mole- kiile herstamme. Bildet man namlich unter Zugrundelegung der oben bereclmeten Geschwindigkeit den Ausdruck fur die 1) Daniel Bernoulli's Ansicht iiber die Constitution der Gase. Fogg. Ann. 107, p. 490, 1859. 2) Herapath: On the dynamical theory of airs. Athen. 1, p. 722, 1860. I. Absclinitt. Historische Entwickelung. 63 lebendige Kraft der fortschreitenden Bewegung aller Mole- kiile, so wiirde dieselbe durch Division mit dem mechanischen Warmeaquivalent die in dem Gas enthaltene Warme in Ca- lorien ergeben und man konnte daraus die specifische Warme des Gases bei constantem Volumen berechnen. Joule fand nun die so berechnete specifische Warme betrachtlich kleiner als die in Wirklichkeit beobachtete, und vermochte fiir diesen Umstand keine befriedigende Erklarung aufzufinden. Eine solche nebst der entsprechenden Modi- fication der Theorie ist erst spater von Clausius gegeben worden. Im wesentlichen wiederholt und zum Theil noch etwas weiter ausgefiihrt finden sich die Joule'schen Vorstellungen von der Natur der Gase in einer Mittheilung, die J. J. Water- ston l ) in dem namlichen Jahr der British Association vor- legte. Anfangs ganz unbeachtet wurden diese Ideen spater, als der Boden fiir sie gtinstiger zu werden begann, wieder hervorgesucht und haben sich, noch unterstiitzt durch die ihnen entgegenkommenden Anschauungen der Chemiker, ver- haltnismassig schnell zu allgemeiner Anerkennung durch- gerungen. Jedenfalls verdient die Theorie der Warme erst von hier ab den Namen einer mechanischen, da ja durch -die blosse Verwandlungsfiihigkeit in Arbeit noch Nichts liber die Natur der Warme ausgesagt ist. Kehren wir nun zuriick zur Betrachtung der weiteren Entwickelung des Satzes von der Erhaltung der Energie. Nachdem einmal die allgemeine Giltigkeit dieses Princips und dessen eminente Fruchtbarkeit an einer hinreichenden Zahl von Fallen constatiert worden war, haufte sich schnell nach einander die Reihe der Anwendungen und Erweiterungen, und das Interesse dafiir drang in immer weitere und weitere Kreise. Jedes Jahr brachte nun eine stattliche Anzahl neuer Errungenschaften auf diesem Gebiet. Zunachst arbeitete W. Thomson 2 ) in ganz ahnlicher Weise wie Clausius eine dynamische Warmetheorie aus, indem er nun endgiltig mit 1) J. J. Waterston: On a general theory of gases. Rep. of the 21. Meeting of the Brit. Ass. 1851, Notices and abstracts p. 6. 2) W. Thomson: On the dynamical theory of heat. Phil. Mag. (4) 4, p. 8, 105, 168, 424, 1852. (34 I- Abschnitt. Historische Entwickelung. der alten Carnot'schen Auffassung brach. Zu Grunde legte er die Vorstellung, dass die Warme auf Bewegung beruht, dass also die von ihr geleistete Arbeit eineu entsprechenden Aufwand von lebendiger Kraft der schwingenden Molekule (und etwaiger innerer Arbeit) erheischt. Zugleich fiihrte er auch das modificierte Carnot'sche Princip mit seinen Anwen- dungen auf umkehrbare Processe in seine Theorie ein. In dieser Abhandlung findet sich zum ersten Mai die Definition der in einem Korper enthaltenen mechanischen Energie in jener allgemeinen Bedeutung, wie wir sie jetzt anzuwenden pflegen. Bekanntlich hangt die Warme, die einem Korper von aussen niitgetheilt werden muss, damit er von einem bestimmten Nullzustand in einen anderen bestimmten Zu- stand gelange, wesentlich ab von der ausseren mechanischen Arbeit, die der Korper bei dieseni Ubergang leistet; je grosser diese ist, desto mehr Warme wird auch der Korper von aussen aufnehmen miissen. (S. 55.) Subtrahiert man aber den Betrag der geleisteten Arbeit von dem der mitgetheilten Warme (mechanisch gemessen), so erhalt man iminer die namliche Grosse, welches auch der Weg der Uberfiihrung sein moge. Diese Grosse nennt Thomson die mechanische Energie des Korpers in deni angenommenen Zustand, sie ist vollstandig bestimmt durch den Zustand selber, bis auf eine additive Constante, die von dem gewahlten Nullstand abhangt. Wie man sieht, ist dies ganz dieselbe Function, die von Helm- holtz (S. 40) als Quantitat der gesammten Warme (Summe der inneren lebendigen Krafte und Spannkrafte) des Korpers bezeichnet wurde. Die Thomson'sche Form der Definition hat aber den Vortbeil fur sich voraus, dass sich mit ihrer Hilfe unmittelbar eine numerische Bestimmung des Wertes der Function ausgefiihrt denken lasst. Noch eingehender werden die Eigenschaften und die Mittel zur Berechnung der Energie ernes Korpers besprochen in einer weiteren Ab- handlung 1 ) von Thomson, in der ausgefiihrfc wird, dass der 1)W. Thomson: On the quantities of mechanical energy con- tained in a fluid mass, in different states, as to temperature and den- sity. Phil. Trans. Edinburgh (gelesen Dec. 3, 1851) vol. XX p. 475, 1853. Phil. Mag. (4) 3, p. 529, 1852; ausfuhrlicher: Phil. Mag. (4) 9, p. 523, 1855. I. Abschnitt. Historisehe Entwickelung. 65 Totalbetrag des mechanischen Effectes (Algebraische Suiiirae von Warme und Arbeit), den em Korper beim Ubergang von einem Zustaud in einen anderen nach aussen abgibt, imr abhangig ist von dieseri beiden Zustanden, nicht aber von der Art des Uberganges. Die mechanische Energie gibt also denjenigen Totaleffect an, der erhalten wird ? wenn der Korper aus seinem Zustand in den (beliebig gewahlten) Null- zustand iibergeht. Der absolute Nullzustand ware ein solcher, von welchem ausgehend der Korper gar keinen positiven Effect, also weder Warme noch Arbeit mehr producieren konnte; derselbe ist aber unseren Mitteln unerreichbar. Wie schon oben bemerkt, ist die Thomson'sche Bezeichnung Energie zunachst von Clausius adoptiert und danii nach und nach allgemein gebrauchlich geworden. Diesen theoretischen Arbeiten Thomson's fiber die me- chanischen Leistungen der Warme schloss sich als Anwendung der Theorie eine Untersuchung an iiber die Wirkungen der strahlenden Warme und des Lichtes, sowie fiber die Kraft - quellen, die der Menschheit von der Natur dargeboten wer- den 1 ). Licht und strahlende Warme werden hierbei iden- tificiert, die Bedeutung des Sonnenlichtes fur die Assimilation der Pflanzen und dadurch fur das Athmen der Thiere (vgl. R. Mayer S. 24) gewiirdigt und auf der Erde im ganzen drei Hauptquellen der Arbeit unterschieden : vornehmlich die Strahlung der Soune, dann in zweiter Linie die relative Be- wegung von Erde, Sonne und Mond (Gezeiten), endlich in geringem Maasse auch irdische Kraftquellen. Die weitere Frage nach dem Ursprung und der bestan- digen Wiederersetzung der ausgestrahlten Sonnenwarme wurde in einem Aufsatz von J. J. Waterston 2 ) behandelt, welcher eine Berechnung der Warme anstellte, die ein Korper beim Fail auf die Erde oder Sonne aus unendlicher Entfernung durch die dabei gewonnene lebendige Kraft hervorbringt. 1) W % Thomson: On the mechanical action of radiant heat or light; on the power of animated creatures over matter; on the sources available to man for the production of mechanical effect. Phil. Mag. (4) 4, p. 256, 1852. 2) J. J. Waterston: On dynamical sequences in kosmos. Athen. 1853, p. 1099. Planck, Energie. 5 66 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. Auf Grund dieser Rechnung schloss Waterston ahnlich wie vor ihm schon Mayer (S. 25), dass die Deckung der von der Sonne verausgabten Warme auf Kosten der Arbeit der Newton'schen Gravitationskrafte erfolge, sei es durch das Hmeinfallen kosmischer Massen in die Sonne, sei es durch die bestandig noch fortschreitende Verdichtung des Sonnen- korpers selber. Den ersteren Gedanken hat spater W. Thom- son, den letzteren Helmholtz (S. 73) weiter entwickelt. Aus dieser Zeit findet sich auch schon der Versuch einer auf das Princip der Erhaltung der lebendigen Krafte gegrSn- deten Theorie der Wechselwirkung zwischen den Schwingungen des Athers und denen der ponderabeln Molekiile, in einer Schrift von J. Power 1 ). Von der Warmetheorie wandte sich Thomson wieder zur Theorie der Elektricitat und des Magnetismus, um auch dort die neuen Principien zur Anwendung zu bringen. Zuerst erschien eine Untersuchung fiber thermoelektrische Strome 2 ). Diese lieferte, allerdings unter wesentlicher Benutzung des verbesserten Carnot'schen Princips, auf Grund der 1823 von Gumming 3 ) entdeckten Umkehrung der thermoelektrischen Strome das neue und tiberraschende Resultat, dass ein gal- vanischer Strom ausser der Joule'schen Warme, die dem Quadrat seiner Intensitat proportional ist, in einem ungleich erwarmten Leiter auch noch eine andere Warme produciert, die spater sogenannte Thomson'sche Warme, die der ein- fachen Intensitat proportional ist und daher ihr Vorzeichen wechselt, wenn man den Strom umkehrt. Wahrend die Joule'sche Warme als von dem Widerstand des Leiters her- riihrend zu betrachten ist, stammt die Thomson'sche Warme von einer im Innern des Leiters wirksamen elektromotorischen Kraft her. (S. 3. Abschnitt.) Diesen rein theoretisch abgeleiteten Satz fand Thomson spater nach vielen Bemiihungen auch experimentell bestatigt 4 ). 1) J. Power: Theory of the reciprocal action between the solar rays and the different media by which they are reflected, refracted or absorbed. Phil. Mag. (4) 6, p. 218, 1853. 2) W. Thomson: On a mechanical theory of thermo-electric cur- rents. Phil. Mag. (4) 3, p. 529, 1852. Proc. of Edinb. Soc. Ill, p. 91, 1852. 3) Gumming: Phil. Trans. Cambridge 1823, p. 61. 4) W. Thomson: On the dynamical theory of heat. Thermo- I. Abschnitt. Historiscbe Entwickelung. 67 Eine weitere wichtige Anwendung der Theorie 1st ent- halten in einer Abhandlung 1 ) von Thomson iiber den Ent- ladungsstrom eines elektrisierten Leiters (z. B. einer Kugel), der durch eineu diinnen Draht mit dem Erdboden verbunden wird. Wahrend der Strom aus dem Leiter zur Erde abfliesst, muss die Gesainmt-Energie des Systems constant bleiben. Diese setzt sich aber zusarnmen aus folgenden drei Theilen: 1) Elektrostatisches Potenzial, 2) Warme, die durch den Entladungsstrom erzeugt ist, 3) Elektrodynamische Energie des Stromes. Dass eine Energie der letzten Art existiert, dass also ein galvanischer Strom durch seine Existenz an und fur sich einen bestimmten Vorrath von Energie reprasen- tiert (actual energy oder mechanical value of the current), geht daraus hervor, dass ein Strom durch sein Verschwinden ohne einen Aufwand von anderweitiger Energie Warme zu producieren vermag (z. B. als Extrastrom). Diese Energie ist wesentlich positiv, also proportional dem Quadrat der Stromstarke , sie darf aber nicht etwa als lebendige Kraft der im Strom sich bewegenden, mit trager Masse begabten elektrischen Theilchen aufgefasst werden, weil ihr Wert er- fahruugsgernass wesentlich von der Form des Stromleiters abhangt. Derselbe ist gleich 0, wenn der (lineare) Leiter so geformt ist, dass neben jedem Stromelement unmittelbar ein entgegengesetztes verlauft; denn dann verschwindet der Extra- strom vollig 2 ). Bildet man nun durch Summieruxig obiger drei Ausdrucke den Ausdruck der Gesammtenergie des Systems, und setzt die Anderung dieser Grosse fur jedes Zeitelement =0, so erhlilt man eine Gleichung zur Bestimmung der Abhangigkeit der Stromstarke von der Zeit. Thomson fand hieraus, dass die Entladung, je nach dem Werte der verschiedenen in der Aufgabe enthaltenen Constanten, auf zwei ganz verschiedene electric currents. Phil. Mag. (4) 11, p. 214, 281, 379, 433, 1856. Ferner: 8, p. 62, 1854. W. Thomson: On the electrodynamic properties of metals. Phil. Trans. London 1856, p. 649. 1) W. Thomson: On transient electric currents. Phil. Mag. (4) 5, p. 393, 1853. 2) M. Faraday: Exp. Res. Phil. Trans. London 1835, p. 50. 1096. 5* 68 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. Arten erfolgeri kann. Entweder: der Entladungsstrom fliesst stets in demselben Sinn, mit anfangs steigender, dann all- mahlich wieder abnehmender Intensitat, oder abei : die Strom- richtung oscilliert und ladet dadurch den Leiter abwechselnd positiv und negativ. Dabei niinmt der absolute Betrag der Stromstarke allmahlich gegen bin ab. Beide Arten vou Entladungen sind seitdem wiederholt, experimentell wie theo- retisch, nachgewiesen worden. Nachst Thomson that sich unter den englischen Physikern am meisten Rankine hervor in der Durchbildung der neuen Ideen. Neben einigen specielleren Anwendungen l ) versuchte dieser es auch/ eine allgemeine Definition des Begriffes der Energie zu geben, deren Anwendung nicht bios auf das Ge- biet der Warine beschrankt sein, sonderu alle Naturkrlifte umfassen sollte 2 ). Er nennt Energie ,,Every affection of substances which constitutes or is commensurable with a power of producing change in opposition to resistance", was Helmholtz tibersetzt 3 ): ,,Jedes Zukommnis einer Substanz, welches besteht in, oder vergleichbar ist mit einer Kraft, die fahig ist, Veranderungen hervorzubringen , bei denen em Widerstand iiberwaltigt werden muss". Dabei unterscheidet und definiert Rankine zwei Hauptarten von Energie, die actuelle (kinetische) und die potenzielle Energie (Energie der Bewegung und Energie der Lage), deren Bedeutung sich ganz mit der der Helmholtz'schen Begriffe: Lebendige Kraft und Spannkraft deckt. Auch stellt er eine allgemeine Unter- suchung an iiber die Verwandluug der verschiedenen Arten der Energie ineinander 4 ) ; in welcher jedoch die Erzielung unbeschrankter Allgemeinheit nur durch eine merkliche Ein- busse an Pracision in der Ausdrucksweise erkauft wird. Uber- 1) M. Rankine: Mechanical theory of heat. Specific heat of air. Phil. Mag. (4) 5, p. 437, 1853. M. Rankine: On the application of the law of the conservation of energy to the determination of the magnetic meridian on board .ship. Phil. Mag. (4) 6, p. 140, 1853. 2) M. Rankine: On the general law of the transformation of energy. Phil. Mag. (4) 5, p. 106, 1853. 3) Fortschr. d. Phys. v. J. 1853, Berlin 1856, p. 407. 4) Vgl. auch Rankine: Outlines of the science of energetics. Edinb. Journ. (2J II p. 120, 1855. I. Abschiiitt. Historische Entwickelung. (39 haupt scheiut auch die obige Definition der Energie in physikalischer Hinsicht keiuen besonders hohen Wert zu besitzen, da sie viel zu unbestimmt gehalten ist. Physikalisch branch bar kann eine Definition doch nur dann genannt wer- den, wenn es moglich ist, mit ihrer Hilfe fiir jedeu beliebig gegebenen Fall den numerischen Wert der definierten Grosse anzugeben eine Leistung, von deren Erfiillung die vor- liegende Definition (gerade im Gegensatz zur Thomson'schen S. 64) offenbar weit entfernt ist. Zu erwahnen ist hier nocli eine Arbeit 1 ) von Joule fiber die Berechnung einiger chemischer Verbindungswarmen (Kupferoxyd, Zinkoxyd, Wasser) auf galvanischem Wege. Wird in einen Strom an Stelle eines metallischen Leiters ein Zersetzungsapparat derart eingeschaltet, dass die Strom- starke die namliche ist wie vorher, so ist offenbar die dem Zersetzungsapparat von dem Strome zugefuhrte Energie im ganzen gleich der vorher dem Leiter zugefiihrten, da ja im iibrigen Stromkreis sich genau wieder die namlichen Vor- giinge vollziehen. Die dem Leiter zugefuhrte Energie besteht lediglich in Warme, die dem Zersetzungsapparat zugefuhrte aber in Warine und chemischer Arbeit, man findet also durch den Wenigerbetrag der im Zersetzungsapparat entwickelten Warme den Warmewert der chemischen Arbeit, und dies ist eben die Verbindungswarme der zersetzten Substanz. In unseren letzten Ausfuhrungen sind wir der Entwicke- lung, die das Energieprincip von seiten der englischen Phy- siker erfuhr, bis zum Jabre 1853 gefolgt. Das entschiedene Ubergewicht, dessen sich die neue Theorie um diese Zeit in der wissenschaftlichen Welt bereits erfreuen durfte, docu- mentiert jsich treffend durch eine Rede, mit welcher W. Hop- kins als President die 23. Versammlung der British Asso- ciation in Hull eroffnete, und in der die Verdienste von Rumford, Joule, Rankine, Thomson hervorgehoben werden 2 ). Wahrend so in England unablassig an dem Ausbau der Theorie gearbeitet wurde, war man auch in Deutschland nicht 1) J. P. Joule: On the heat disengaged in chemical combinations. Phil. Mag. (4) 3, p. 481, 1852. 2) W. Hopkins: Dynamical theory of heat. Rep. of Brit. Ass. 23. Meeting Hull 1853. p. XLV. 70 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. miissig geblieben. Hier erwarb sich Clausius das Haupt- verdienst um die Weiterbildung der von ihm schon in seiner ersten Abhandlung fiber die bewegeude Kraft der Warme angegebenen Principien. Zuerst erschien eine Untersuchung liber die Wirkungen einer elektrischen Entladung 1 ). Diese konnen verschiedenartiger Natur sein, besonders mechanischer oder thermischer Art, in alien Fallen aber ist die durch die Entladung producierte Gesammt-Energie, also die Summe der geleisteten mechanischen Arbeit und der erzeugten Warme gleich der Abnahme der elektrischen Energie ; also des elektro- statischeu Potenzials. Diesen Satz spricht Clausius in der Form aus: ,,Die Summe aller durch eine elektrische Ent- ladung hervorgebrachten Wirkungen ist gleich der dabei eingetretenen Zunahme des Potenzials der gesammten Elek- tricitat auf sich selbst" indem das Potenzial hier noch mit entgegengesetztem Vorzeichen genommen ist. An die Ausfiihrung dieses Satzes schliessen sich Auseinandersetzungeii iiber die Ubereinstimmung der Theorie rait einzelrien Ver- suchen. Yon den elektrostatischen Wirkungen geht Clausius in einer weiteren Arbeit 2 ) iiber zu denjenigen, die ein statio- narer galvanischer Strom im Innern eines metallischen Leiters verursacht. Wenn durch einen metallischen Leiter ein con- stanter Strom fliesst, der keinerlei Inductionswirkungen von aussen erleidet, so wird der Strom getrieben lediglich durch die an den Oberflachen der verschiedenen Leiter angehaufte freie statische Elektricit'at. Daher gelangt Clausius zu deni Satze: ,,Die bei einer bestimniten Bewegung einer Elektrici- tatsmenge von der im Leiter wirksamen Kraft gethane Arbeit ist gleich der bei der Bewegung eingetretenen Zunahme (Ab- nahme) des Potenzials dieser Elektricitatsmenge urid der freien Elektricitat aufeinander". Da nun in einern metallischen Leiter weder mechanische noch chemische Wirkungen statt- finden, so verwandelt sich diese Arbeit ganz in Warme, wor- 1) E. Clausius: Uber das mechanische Aqnivalent einer elek- trischen Entladung und die dabei stattfmdende Erwarmung des Leitungs- drahtes. Pogg. Ann. 86, p 337, 1852. 2) K Clausius: Uber die bei einem stationaren Strom in dem Leiter gethane Arbeit und erzeugte Warme. Pogg. Ann. 87, p. 415, 1852. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 71 aus dann das Joule'sche Erwarmungsgesetz hervorgeht. Wahrend so die stromende Elektricitat im Innern der Leiter von hoheren zu tieferen Werten des Potenzials herabsinkt und dadurch fortdauernd Warme produciert, muss es andrer- seits Stellen geben, wo sie in ihrem Kreislauf durch die geschlossene Kette wieder zur ursprunglichen Hohe des Po- tenzials emporgehoben wird, und diese Stellen finden sich an den Grenzflachen je zweier benachbarter Leiter, wo das Po- tenzial einen Sprung erleidet und also die hindurchfliessende Elektricitat auf uiiendlich kleinem Wege eine endliche Ar- beit verrichtet bez. verbraucht. Diese Arbeit kann sich je nach den Umstanden in Warme oder auch in chemische Energie verwandeln. Das erstere ist der Fall bei dea thermo- elektrischen Ketten, deren Wirksamkeit Clausius zum Gegen- stand einer ferneren Untersuchung *) macht. Hier aussert sich die von der Elektricitat beini Durchgang durch eine Lothstelle zweier thermoelektrisch wirksamer Metalle geleistete Arbeit in der von Peltier entdeckten Warmeerzeugung oder -Ab- sorption. Beztiglich der Frage, ob die Peltier'sche Warme stets Equivalent sei der durch die Uberwinduug der elek- trischen Spannung an der Lothstelle geleisteten Arbeit, bringt Clausius einen principiell wichtigen, bis zum heutigen Tag noch nicht endgiltig aufgeklarten Punkt ausfuhrlich zur Sprache. Die Peltier'sche Wirkung an der Lothstelle zweier Metalle ist bekaimtlich durchaus nicht proportional der elektro- skopischen (Yolta'scheu) Spannung, welche dieselben Metalle bei gegenseitiger Beriihrung am Elektrometer zeigen. Wir werden die eiugehende Besprechung dieser fiir die Anweudung des Princips der Erhaltung der Energie wichtigen Thatsache erst im dritten Abschnitt vornehmen. Kurz erwahnt sei noch ; dass Clausius ebensowie vorher Thomson (S. 66) auch den zweiten Hauptsatz der inechanischen Warmetheorie auf die thermoelektrischen Erscheinuugen anwendet und dabei zu den entsprechenden Resultaten gelangt. Etwas auffallend muss die Zuriickhaltung erscheinen, welche die franzosischen Physiker der so rapid fortschreitenden 1) R. Clausius: Uber die Anwendung der mechanischen Warme- theorie auf die thermoelektrischen Erscheinungen. Pogg. Ann. 90, p. 513, 1853. 72 ! Abschnitt. Historische Entwickelung. Entwickelung des neu entdeckten Princips gegeuiiber noch bis in die Mitte der funfziger Jabre bewahrteu; man konnte sich offenbar nicbt so schnell zur Aufgebuug der auf Grund der Annabme des Warmestoffes hauptsaehlich in Frankreich ausgebildeten Warmetheorie entschliessen, wenngleich die auf dem Gebiete der Calorimetrie und der Warmeleitung -ge- machten wiclitigen Erfahrungen schliesslich fast ganz un- geandert in die neue Anschauung mit hiniibergenommen werden konnten. Findet man doch noch im Jahre 1854 in den Comptes rendus 1 ) (von einem Officier ausser Diensten: Hermite) sogar die Beschreibung eiiier (iiach Art des Elek- trophor wirkenden) Maschine, die zugleich Elektricitat mid Arbeit liefern sollte! Der erste unter den bedeutenden franzosischen Physikeru, der es unternahm, mit den alten Anschauungen zu brechen, war V. Regnault in seiner grossen Experimental- Arbeit 2 ) iiber die specifische Warme der Gase, in welcher er durch exacte Messungen endgiltig feststellte, dass die specifische Warme der pernianenten Gase wesentlich unabhangig voni Volumen ist, dass also die durch die Compression erzeugte Warme nicht, wie man es friiher amiahm, einer Verauderlichkeit der Warmecapacitiit zugeschrieben werdeu kann. Inzwischen nahm die Beweguug, welche durch die neue Lebre in der Wissenschaft entstanden war, einen inimer breiteren Fluss an, immer neue Gesichtspunkte, neue An- wendungen wurden hervorgesucht. Entweder wurden die Folgerungen durch die Erfahrung bestatigt, oder sie lie- ferten interessaute, bis dahin verborgen gebliebene Einblicke in den Haushalt der Natur, Im Februar 1854 hielt Helm- holtz in Konigsberg einen popular-wissenschaftlichen Vortrag 3 ) iiber die Wechselwirkung der Naturkrafte, desseu Hauptinhalt das neue Princip bildete, vornehmlich in seiner Anwendung auf die Theorie der Warme. Die Frage nach dem Wieder- 1) Hermite: Thdorie et description d'une machine a courants electriques. Compt. Rend. 39. p. 1200, 1854. 2) V. E/egnault: Recherches sur les chaleurs specifiques des lluides elastiques. Compt. Rend. 36, p. 676, 1853. 3)H. Helmholtz: Uber die Wechselwirkung der Naturkrafte. Konigsb. 1854. Vortr. und Reden I p. 25. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 73 ersatz der ausgestrahlten Sonneuwarme, der Quelle alles irdischeri Lebens, wird durch die Annahme gelost, dass die Sonne sich durch fortdauernde Verdichtung immer wieder erwarmt. Dabei ergibt sich, dass eine VerringeruDg des Durchmessers der Sonne um den 10000. Theil seiner jetzigen Grosse eine Warinemenge produciert, die imstande ist, die Strahlung der Soune fur 2100 (nach einer spateren Berech- uung 2289) Jahre in ihrer jetzigen Starke zu erhalten. In etwas anderer Weise beantwortet Thomson 1 ) die niimliche Frage, indem er voraussetzt, dass es fremde kos- mische Massen sind, die durch ihr Hineinfallen in den Sonnenkorper die Erwarinung des letzteren hervorrufen. Thomson berechnet, dass, wenn auf diese Weise die Warme- ausgabe der Sonne stets gerade wieder gedeckt wurde, der Durchmesser der Sonne in 4000 Jahren um y io Bogensecunde zunehmen musste. Eine andere Anwendung der mechanischen Warmetheorie auf die Energie der Sonnenstrahlung macht Thomson 2 ) in Bezug auf die Dichtigkeit des Lichtathers. Nimmt man Licht- und Warinestrahlen als ideutisch, so wird die ganze durch die Strahlung der Sonne an die Erde abgegebene Warme- Energie geliefert durch die lebendige Kraft der schwingenden Athertheilchen , und man kann daraus, mit Zugrundelegung der Pouillet'schen Messuugen der Strahlungsintensitat, die Dichtigkeit des Lichtathers berechnen. Allerdings gehort dazu auch die Kenntnis der Geschwindigkeit der Schwing- ungen eines Athertheilchens , oder, da wir die Schwingungs- dauer Jvennen, der Amplitude dieser Schwingungen. Thomson nimmt an, dass die Geschwindigkeit, mit der ein Ather- theilchen seine Gleichgewichtslage passiert, kleiner ist als der 50. Theil der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes, was man sicher thun kann, da doch das Verhaltnis der Schwiiigungsamplituden zur Wellenlange ein sehr kleines ist, 1) W. Thomson: Memoire sur 1'energie mecanique du systeme solaire. Compt. Rend. 39, p. 682, 1854. 2) W. Thomson: Note sur la densite possible du milieu lumineux ct sur la puissance mecanique d'un mille cube de lumiere solaire. Compt. Rend. 39, p. 529, 1854. 74 I- Abschnitt. Historische Entwickelung. und folgert daraus, dass ein (engliseher) Cubikfuss Ather eine grossere Masse besitzt als der 156-trillionte Theil eines Pfundes. Alle diese Berechnungen erfordern natiirlich die Kennt- nis des mechanischen Warmeaquivalents, uud es liegt auf der Hand, dass sich das Bediirfnis nach einer moglichst exacten Bestimmung dieser wichtigen Constanten bald fuhl- bar machte; denn wenn auch die Joule'schen Messungen als relativ zuverliissig gelten konnten, so difFerierten dessen ge- naueste Versuchsresultate untereinander doch immer iioch in der dritten Zifferstelle. Hier war den Pliysikern ein frucht- bares Feld fur Experimentaluntersuehungen gegeben, und so seheu wir denn allmahlich eine ganze Literatur von Bestim- niungen des mecbanischen Warmeaquivalents entstehen, von denen allerdings die meisten nach schon bekannten Methoden ausgefiihrt wurden und nur wenige sich an Exactheit mit den Joule'schen Berechnungen messen kounten; wir werden im folgenden nur derjenigen besonders Erwahnung thun, die auf wesentlich iieuen Ideen beruhen. Niichst Joule, dessen Versuchszahlen L. Soret 1 ) zusammenstellte, erwarb sich Gr. A. Hirn durch eine lang fortgesetzte Reihe von Experimental - arbeiten wichtige Verdieuste auf diesem Gebiet. Zunachst veranlasst durch ein Preisausschreiben der Berliner physi- kalischen Gesellschaft theilte er im Jahre 1855 die Ergeb- nisse einiger Versuchsreihen mit 2 ), die nach ganz verschiedeneu, mehr oder weniger originellen Methoden angestellt worden waren. Allerdings weichen die aus den einzelnen Versuchen gewonnenen Zahlen fur das mechanische Wiirmeiiquivalent nicht unerheblich von einander ab. So ergab die Beobachtung der Wiirmeerzeugung durch Reibung einer gusseisernen Trom- mel an einem Metallkorper die Zahl 371,6 Kgrm. , durch Bohren eines Metallstiicks die Zahl 425 Kgrin. Von prin- 1) L. Soret: Sur Tequivalence du travail mecanique et de la chaleur. Arch. d. scienc. phys. et nat. 26, p. 33, 1854. 2) G. A. Hirn: Recherches experimentales sur la valeur de 1'equi- valent mecanique de la chaleur. 1855. Fortschr. d. Phys. v. J. 1855. (Referat von Clausius.) G. A. Hirn: Recherches sur 1'equivalent mecanique de la chaleur presentees a la socieSte de physique de Berlin. Colmar 1858. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 75 cipieller Wichtigkeit war die Berechnung des Warmeaquiva- lents durcli die Vergleichung der von einer Dampfmaschine geleisteten Arbeit mit der in ihr verbrauchten Warme, da hier zum ersten Mai Arbeitsleistung, nicht Arbeitsverbrauch zur Grundlage der Messung gemacht wurde (abgesehen von den wenigen Joule'scheu Versuchen iiber die Ausdehnung von Luft unter Druckiiberwindung). Das Resultat war (nach einer von Clausius 1 ) verbesserten Rechnung) 413. Endlich unter- suchte Him auch den Betrag der vom meuschlichen Korper im Zustand der Ruhe und ira Zustand des Arbeitens uach aussen abgegebenen Warme. Im letzteren Falle ist diese Warme betrachtlicher, infolge der verstarkten Respiration des arbeitenden Korpers, doch muss nach der Theorie der Mehr- betrag an producierter Warme geringer sein als es dem ver- mehrten Sauerstoffverbrauch entsprechen wiirde, wegen der gleichzeitig geleisteten Arbeit. Hirn fand dies in der That bestatigt, erhielt aber, wegen der vielen uncontrollierbaren Fehlerquellen , quantitativ sehr verschiedenwertige Resultate. Dies veranlasste ihn zu der merkwiirdigen Folgernng, dass das Warmeaquivalent doch nicht constant sei, und dass also die mechanische Warmetheorie auf falscher Grundlage beruhe. Doch gab Hirn hiemit die Sache noch nicht auf: spater mit Reibung fester Korper unter starkem Druck angestellte Versuche 2 ), welche die Aquivalenzzahl 451 Kgrm. ergaben, und besonders die durch neue Versuche an Dampfmaschinen gewonnenen Resultate veranlassten ihn doch schliesslich, sich mit der Annahme der Constanz des Warmeaquivalents ein- verstanden zu erklaren. 3 ) Dieser Gedanke wird denn auch durchgefiihrt in seinem umfangreichen Werk 4 ) fiber die mechanische Warmetheorie (1862), in welchem er iibrigens Warme nicht als Bewegung, sondern, in ahnlicher Weise wie Mayer, als ein ,,besonderes 1) Fortschr. d. Phys. v. J. 1855, p. XXIII. 2) G. A. Hirn: Eecherches sur 1'equivalent mecanique de la cha- leur presentees a la societe de physique de Berlin. Colmar 1858. 3) Hirn: Equivalent mecanique de la chaleur. Cosmos XVI, p. 313, 1860. 4) G. A. Hirn: Exposition analytique et experimentale de la tlieorie mecanique de la chaleur. Paris et Colmar 1862. 76 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. Princip" aufgefasst wissen will. lu diesem Werke verbffent- licht er erne Anzahl neuer Versuche zur Bestimmung des Warmeaquivalents. Dieselben beruhen einmal auf der Reibung einer Fliissigkeit, die zwischen einem massiven und einem hohlen Cylinder eingeschlossen ist (Resultat: 432 Kgrm.), dann auf dem Ausstromen von Wasser unter hohem Druck (Resultat: 433 Kgrm.), ferner auf dem Stoss fester Korper. Ein eiserner Cylinder, der an zwei Paar Seilen horizontal aufgehangt ist, fallt seitlich gegen einen als Amboss dienen- den ebenso aufgehangten Sandsteinblock , wahrend zwischen ihnen sich ein Bleicylinder befindet, der durch den Stoss erwarmt wird (Resultat: 425 Kgrm.). Wieder andere Ver- suche sind mit der Expansion von Gasen angestellt (Resul- tat: 441,6 Kgrm.). Als Mittel aus all seinen Versuchen ent- scheidet sich Him schliesslich fur den Wert 432 Kgrm. des mechanischen Warmeaquivalents, der also die Joule'sche Zahl urn e.twa 2% iibertrifft. Dagegen fand Favre 1 ) 1858 aus Beobachtungen fiber die Reibungswarme, die entsteht, wenn Stahlfedern gegen eine rotierende Scheibe gepresst werderi, die Zahl 413,2 Kgrm. Ehe wir zur Bestimmung anderer, auf elektrischem Wege gewonnener Bestimmungen des Warmeaquivalents ubergehen, wollen wir noch einen Blick werfen auf den weiteren Ent- wicklungsgang der Warmetheorie um die damalige Zeit. Nachdem die Allgemeiugiltigkeit des Satzes von der Aqui- valenz der Warme und Arbeit einmal durchweg anerkannt war, begann sich das allgemeine Interesse schon mehr und mehr von diesem Satze ab und dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Warmetheorie, dem modificierten Carnot'schen Princip, zuzuwenden, so dass wir die Darstellung der Fort- schritte dieser Theorie hier schon wesentlich einschranken mussen. Die meisten Untersuchungen , experimenteller wie theoretischer Natur, die seit jener Zeit auf diesem Gebiete angestellt wurden, behandeln oder haben zur Voraussetzung die Giltigkeit des Carnot'schen Princips, so dass man selten mehr auf einen neuen Satz stosst, der sich als reine Fol- 1) P. A. Favre: Recherches sur 1'equivalent mecanique de la chaleur. Compt. Eend. 46, p. 337, 1858. I. Abschnitt. Historische Entwickelimg. 77 geruug des Priucips der Erhaltung der Energie erweist. Ein solcher findet sich ausgesproehen in einer Abhandlung 1 ) von G. Kirchhoff, er betrifft die Abhiingigkeit der Warme, die bei der chemischen Verbindimg zweier Korper nach aussen ab- gegeben wird, von der Temperatur, bei der die Reaction statt- findet, sowie von den specifischen Warmeii der Korper und der Verbindung, und beruht nur auf der Voraussetzung, dass die innere Energie (nach Kirchhoff: Wirkungsfunction) eines Korpers durch seinen augenblicklichen Zustand vollstandig bestimmt ist; es ist fur ihren Wert und folglich auch fiir die ganze nach aussen abgegebene Wirkung ganz einerlei, ob der chemische Process direct vorgenommen wird, oder ob man vorher die beiden Korper einzeln auf eiue andere Temperatur bringt und dann den Process einleitet, werin nur schliesslich der Eudzustand wieder der namliche ist. Einen ganz ahnlichen Satz fiir die Losungswarme von Salzen bei verschiedenen Temperaturen hatte schon im Jahre 1851 Person 2 ) entwickelt, war aber dabei noch von der alten Vorstellung eines Warmestoffes ausgegangen. In der That fuhreu hier beide Anschauungen zum namlichen Ziel (weun man von der ausseren Arbeit absieht), wie wir das auch schon fruher an dem Satze von Hess (S. 20) uber die chemische Warme bemerkten, welcher auf ganz der nam- lichen Grundlage beruht. Mit einer neuen Art Energie beschaftigt sich Thomson in einer Untersuchung 3 ) fiber die Ausdehnung eines Fliissig- keitshautchens, in welcher gezeigt wird, dass die Oberflachen- spannung Arbeit zu liefern imstande ist. Doch spielt hier die Anwendung des Carnot'schen Princips schon eine zu wesentliche Rolle, um ein naheres Eingehen auf den Inhalt zuzulassen. Inzwischen hatte auch die im engeren Sinne so zu be- 1) G. Kirchhoff: tJber einen Satz der mechanischen Warme- theorie und einige Anwendungen desselben. Pogg. Ann. 103, p. 177 (203), 1858. 2) C. Person: Recherches sur la chaleur latente de dissolution. Ann. d. chim. et d. phys. (3) 33, p. 448, 1851. 3) W. Thomson: On the thermal effect of drawing out a film of liquid. Proc. Roy. Soc. London IX, 255, 1858. 78 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. nennende mechanische Warmetheorie einen wichtigen Schritt vorwarts gethan. Zuerst wurde im Jahre 1856 durch eine Abhandlung 1 ) von Kronig, deren Inhalt sich irn wesent- lichen mit dem der Joule'schen Schrift aus dem Jabr 1851 (S. 61 f.) deckt, ohne jedoch im mindesten von ihr abhangig zu sein, die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Hypothese gelenkt, nach welcher die einzelnen Gaspartikel in gerad- Jinigen Bahnen mit gleichbleibender Geschwindigkeit im Raume umherfliegen und durch ihren Anprall gegen eine feste Wand den Druck des Gases, sowie durch ihre leben- dige Kraft den Warmeinhalt desselben bemerklich machen. Kronig legt dabei besonderen Wert auf die Aufrechterhaltung des Satzes der Aquivalenz von Warme und Arbeit, indem er nachweist, dass, sobald die Expausionskraft des Gases Arbeit leistet, die lebendige Kraft der Theilchen in entsprechendem Maasse verkleinert wird. Im iibrigen bleibt er noch, wie Joule, bei der Annahme stehen, dass die Gasmolekiile als einfache materielle Punkte zu denken seien, und musste so auf die namliche Schwierigkeit gerathen, deren wir bereits oben Erwahnung gethan haben, dass nanilich die aus der mechanischen Vorstellung berechnete Warmecapacitat bei con- stantem Volumen betrachtlich kleiner ist als die auf calori- metrischem Wege beobachtete. Erst Clausius 2 ) gelang es, diesen bedenklichen Punkt, und zwar auf die gliicklichste Weise, zu erledigen durch die Annahme, dass der Warme- inhalt eines Gases, also die gesammte innere lebendige Kraft, nicht allein in der fortschreitenden Bewegung der Molekiile zu suchen sei, sondern dass ausser dieser noch eine schwingende Bewegung innerhalb der Molekiile existiere, deren lebendige Kraft nach einem allgemeinen mechanischen Satz zu der ersten hinzuaddiert werden muss, um die gesammte lebendige Kraft zu ergeben. Nach dieser Vorstellung zerfiillt also das ein- zelne Molekiil, auch eines einfachen Gases, noch in kleinere Bestandtheile (Atome), und wahrend der Druck des Gases lediglich durch die fortschreitende Bewegung der Molekule 1) A. Kronig: Grundzuge emer Theorie der Gase. Berlin 1856. Pogg. Ann. 99, p. 315, 1856. 2) R. Clausius: Uber die Art der Bewegnng, welche wir Warme nennen. Pogg. Ann. 100, p. 353, 1857. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 79 bestimmt wird, setzt sich die War me aus dieser und der schwingenden Bewegung zusaminen. Da nun aber bei voll- kommenen Gasen sowohl der Druck als auch die Warme der absoluten Temperatur proportional sind, so folgt, dass die lebendige Kraft der fortschreitenden Bewegung zu der ge- sammten im Gase enthaltenen lebendigen Kraft in einem constanten, hochstens von der Natur des Gases abhangigen Verhaltnis steht. Clausius findet dies Verhaltnis fiir alle zwei- atomigen Gase gleich 0,6315, wahrend bei alien Gasen, in denen mehr als zwei Atome zu einem Molekiil vereinigt sind, ein ver- haltnismassig grosserer Bruchtheil der gesainmten lebendigen Kraft zu intramolekularen Schwingangen verwendet wird. Dock wir gerathen hier schon auf speciellere Pragen, die unserer Aufgabe, die Entwieklung des Energiebegriffes zu schildern, ferner liegen. JEs geniigt der Hiuweis darauf, dass der Versuch, die Warme eines Gases als lebendige Kraft der einzelnen Theilehen aufzufassen, in der That als im wesent- lichen gegliickt zu betrachten ist und dass dadurch zwei bis dahin nach Form und Begriff verschiedene Arten von Energie, die der Warme und die der Bewegung, zu einer einzigen verschmolzen worden sind. Dass die Warmeerscheinungen, von diesem neuen Standpunkt aus betrachtet, durchweg dem Gesetze der Erhaltung der Euergie gehorchen, ist von vorn- herein klar, solange man, wie es in der Gastheorie allgemein geschieht, die zwischen den Molekulen und Atonien wirken- den Krafte als Centralkrafte, oder den etwaigen Stoss zweier Partikel als vollkommen elastischen voraussetzt; denn hier befinden wir uns ja in dem Gebiete der reinen Mechanik, fiir welche bereits Helmholtz die Ubereinstimmung des Satzes der lebendigen Krafte mit dem der Erhaltung der Energie betont hat. Was derselbe jedoch nur mit den allgemeinen Ausdriicken ,,innere Spannkraft" und ,,lebendige Kraft" bezeichnen konnte, ist durch die neue Gastheorie bis ins einzelne pracisiert worden, und wenn die Ausdehnung der Theorie auf Fliissigkeiten und feste Korper bisher wegen der complicierteren Verhaltnisse noch keine nennenswerten Fort- schritte gemacht hat, so sind diese Schwierigkeiten doch nur in der Unvollkommenheit der Methoden und nicht im Wesen der Sache begriindet. 80 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. Es bleibt uns noch iibrig, des weiteren Verlaufs der Anwendungen zu gedenken, die unser Princip auf dem Ge- biete der Elektricitat und des Magnetismus in der Mitte und am Ende der fiinfziger Jahre gefunden hat. Hier begegnen wir zumichst einer Arbeit 1 ) von W. Thomson , die eine Art Ubersicht der verschiedenen Arten von Energie gibt, welche in elektrischen und magnetischen Processen zur Wirksamkeit kommen. Wenn namlich durch einen solchen Process Arbeit erzeugt wird, was natiirlich inimer auf Kosten irgend eiiies Energie vorraths geschieht, so stammt nach Thomson diese Arbeit aus einer von drei verschiedenen Arten von Energie her: 1) von elektrostatischer Energie, 2) von magnetischer Energie, 3) von elektrokinetischer (elektrodynamischer) Ener- gie, die in galvanischen Stromen enthalten ist (S. 67); wiirden die elektrischen Theilchen Traghe.it besitzen, so wtirde die lebendige Kraft ihrer Bewegung im Strom auch noch als Beitrag zu dieser letzteren Art Energie hinzutreten. Man erhiilt also durch Summierung dieser drei einzelnen Energie- arten die gesainmte in einem System von Korpern enthalten e elektrisch-magnetische Energie. Die Art der Umsetzung von Energie, wie sie im geschlos- senen galvanischen Stronikreis vor sich geht, ist von Eoosen ausfuhrlieh dargestellt worden. 2 ) Die Erzeugung von Wiirme durch den Stroin musste den Gedanken nahelegen, auch diesen Vorgang zur numerischen Berechnung des mechanischen Warmeaquivalents zu verwerten, und es sind auch nach dieser Methode eine Reihe von Bestimmungen ausgefiihrt worden. Seit den S. 30 erwahnten Versuchen von Joule, die auf die Zahl von 460 Kgrm. fiihrten, hat zuerst le Roux diese Frage wieder aufgenommen. 3 ) Durch eine magnetelektrische Maschine Hess er einen Strom erzeugen und verglich den calorischen Effect desselben mit dem mechanischen Arbeits- 1) W. Thomson: On the mechanical values of distributions of electricity, magnetism and galvanism. Phil. Mag. (4) 7, p. 192, 1854. 2) J. H. Koosen: tJber die Gesetze der Entwickelung von Warme und mechanische Kraft durch den Schliessungsdraht der galvanischen Kette. Fogg. Ann. 91, p. 427, 1854. 3) J. P. le Roux: Memoire sur les machines magneto-electriques. Ann. d. chim. (3) 50, p. 463, 1857. T. Abschnitt. Historische Entwiekelung. 81 aufwand. Das Resultat war 458 Kgrm. fiir die Warmeein- heit. Favre 1 ) verfuhr etwas anders: er erzeugte den Strom nicht auf magnetischem Wege durch Induction, sondern durch eine Hydrokette, schaltete aber dann einen Elektromotor ein und mass die Warme, die voni Strom entwickelt wurde, erst mit, dann ohne Arbeitsleistung des Motors. Im letzteren Fall war die im Verh'altnis zur chemischen Wirkung erzeugte Warme naturlich bedeutender. Der Vergleich mit der im ersten Fall geleisteten Arbeit ergab als Aquivalenzwert Zah- len, die von 426 bis 464 differierten. Einen hievon nicht unerheblich abweichenden Wert: 399,7 erhielt Quintus Icilius durch directe Messung der Joiile'- schen Warme. 2 ) Derselbe wurde zu dieser Untersuchung veranlasst durch einen eclatanten Widerspruch, der sich er- geben hatte bei einer Vergleichung der aus den Versuchen von Lenz 3 ) iiber galvanische Warmeentwicklung abgeleiteten Werte fur die Stromwarme mit den von der Theorie gefor- derten Werten. Dieser Widerspruch bezog sich auf die Grosse des constanten Coefficienten c in der Formel fur die in der Zeit 1 erzeugte Stromwarme: Q = c J 2 - W . Wird Q in mechanischem Maass gemessen, so ist diese Constante nach der Theorie = 1 (vorausgesetzt, dass die Stromstarke / und , der Widerstand W in absolutem Maass ausgedriickt sind, S. 60); wird aber die Warme in Calorien angegebeu, so ist c gleich dem reciproken Wert des mechanischen Warme- aquivalents. Dagegen hatte Holtzmann 4 ) aus den Lenz'schen Versuchen 5 ) fiir c einen fiber 4mal so grossen Wert berech- net. Quintus Icilius unternahm es nun, den Widerstreit zwi- schen Theorie und Beobachtung zu schlichten, wobei iibrigens 1) P. A. Favre: Recherches sur les courants hydro-electriques. Compt. Rend. 45, p. 56, 1857. 2) G. v. Quintus Icilius: tJber den numerischen Wert der Con- stanten in der Formel fur die elektro-dynamische Erwiirmung in Metall- druhten. Fogg. Ann. 101, p. 69, 1857. 3) E. Lenz: Uber die Gesetze der Warmeentwickelung durch den galvanischen Strom. Pogg. Ann. 61, p. 18, 1844. 4) C. Holtzmann: Die mechanische Arbeit, welche zur Erhaltung eines elektrischen Stromes erforderlich ist. Pogg. Ann. 91, p. 260, 1854. 5) E. Lenz: Uber die Gesetze der Warmeentwickelung durch den galvanischen Strom. Pogg. Ann. 61, p. 18, 1844. Planck, Energie. 6 82 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. die Entscheidung von vornherein nicht zweifelhaft sein konnfce, da schon fruher Thomson (S. 60) gauz ahnliche Untersuchu^n- gen angestellt und dabei hinreichend gute Ubereinstimmung gefunden hatte. In der That ergab sich aus den Versuchen von Quintus Icilius fiir jene Constante ein Wert, der bedeutend kleiner war als der von Lenz und dem von der Theorie verlangten schon um Vieles naher kam. Betrachtete man ihn, wie es die Theorie will, wirklich als den reciproken Wert des mecha- nischen Warmeaquivalents , so ergab sich daraus die oben genannte Zahl 399,7. Da die Frage nach der Ursache der Divergenz der Resultate von Lenz und Quintus Icilius immer noch unerledigt blieb, so fuhlte sich J. Bosscha 1 ) spater veranlasst, auf die Sache noch einmal zuriickzukommen, und constatierte dann als mutmasslichen Grund der Unrichtigkeit der aus den Lenz'schen Versuchen berechneten Zahl die be- trachtliche Verschiedenheit der Kupfersorten , die Lenz bei seinen Versuchen und Holtzmann nachher bei seiner Berech- nung benutzt hatte. Einen anderen Weg, um zur Kenntnis des mechanischen Warmeaquivalents zu gelangen, schlagt Bosscha ein 2 ), in- dem er die elektromotorische Kraft eines galvanischen Ele- ments (Daniell) einmal in Warmeeinheiten, dann in absolutem magnetischeii Maasse ausdriickt (auf die Einheit der Zeit und des Stromes bezogen) und diese- beiden Zahlen durch einander dividiert; der Quotient liefert das mechanische Warmeaquivalent. So findet er mit Benutzung einiger Angaben von Joule fiir das Warmeaquivalent die Zahl 421,1 Kgrm. Bosscha verfertigte auch, entsprechend einem allgemein gewordenen Bediirfnis, im Jahre 1858 die erste' Zusammen- stellung 3 ) aller bis dahin von verschiedenen Physikern ge- machten Bestimniungen des mechanischen Warmeaquivalents, 1) J. Bosscha: Uber das mechanische Aquivalent der Wilrme, berechnet aus galvanischen Messungeii. 'Pogg. Ann. 108, p. 162, 1859. 2) p. 168 1. c. 3) J. Bosscha: Het behond van arbeitsvermogen in den galva- nischen stroom. Leiden 1858, vervollstandigt von E. Jochmann: Forfcschr. d. Phys. v. J. 1858, p. 351. T. Abschnitt. Historische Kntwickelung. 83 sei es durch blosse Rechnung oder durch directen Versuch, - eine Tabelle, die allerdings noch recht bunte Zahlenreihen aufweist. Indessen schwanken die zuverlassigsten Versuche, zu denen immer noch in erster Lime die von Joule und Him gehoren, im wesentlichen doch nur zwischen den Grenzen 420 und 430 Kgrm. Von den spateren Bestimniungen des Warmeaquivalents werden wir noch im dritten Abschnitt dieser Schrift reden. Ein besonderes Tnteresse nahm seit jener Zeit die An- wendung der neuen mechanischen Principien auf die Theorie der galvanischen Kette und die sich darin abspielenden, zum Theil sehr verwickelten Processe der Elektrolyse in Anspruch. Schori Grotthuss hatte den Versuch gemacht, eine Theorie der galvanischen Zersetzung auf rein mechanische Vorstel- lungen zu griinden, Clausius 1 ) entwickelte dann diese Vor- stellungen weiter, wobei er jedoch, behufs Erzielung einer besseren Ubereinstimmung mit dem Ohm'schen Gesetz, einige wesentliche Modificationen der iilteren Anschauung einfuhrte, so vor allem die Annahme, dass die Molekiile eines Elektro- lyten im natiirlichen Zustand keine bestimmte Gleichgewichts- lage besitzen, um welche sie oscillieren, sondern sich ganz unregelmassig durcheinanderbewegen , wobei es denn auch, durch zufallige Cornbinationen, leicht einmal kommen kann, dass ein Molekiil sich in seine beiden Bestandtheile, den elektropositiven und den elektronegativen (die Theilmolekiile), spaltet, oder umgekehrt, dass zwei einzelne Theilmolekule sich bei zufalligem Zusammentreffen zu einem Gesammt- molekiil vereinigen. Wir diirfen allerdings auf diese einzel- nen Fragen nicht weiter eingehen, sondern haben die An- wendungen zu untersuchen, die der Satz der Erhaltung der Energie auf diese Vorgange findet, ganz unabhangig von solchen specielleren Vorstellungen. Hierher gehort zunachst die Untersuchung der Arbeit, welche der Strom im Innern eines Elektrolyten leistet, und die, wie bei den Leitern erster Classe, im allgemeinen ganz in Warme verwandelt wird. Clausius findet ihren Betrag ganz entsprechend der in metal- 1) R. ClausjTus: Uber die Elektricitatsleitung in Elektrolyten Pogg. Ann. 101, p. 338, 1857. 6* g4 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. lischen Leitern 1 ); das Joule'sche Erwarmungsgesetz gilt also auch hier, wie es das Experiment schon lange bestatigt hatte. Etwas anderes ist es, wenn in den Elektrolyten ein poroses Diaphragrua, eine thierische Membran oder dgl. eingeschaltet ist. Dann tritt ira allgeineinen die Erscheinung der elektrischen Endosmose ein, d. h. es wird eine gewisse Quantitat Flussigkeit vom Strome durch die Scheidewand getrieben. In diesem Falle hat der Strom ausser der scbori 'angegebenen Arbeit nocb eine andere zu leisten, welche ein- mal durch die Uberwindung des der Bewegung der Flussig- keit entgegenwirkenden hydrostatischen Druckes, dann auch durch die Reibung der Fliissigkeit in den Poren der Wand bedingt ist. 2 ) Wichtiger noch fur die Theorie ist die Feststellung des allgemeinen Zusammenhangs der chemischen Arbeit des Stromes mit seinen therrnischen Leistungen, eine Frage, die wir auch schon ofters zu beriihren Veranlassung batten, und die bis in die neueste Zeit die Physiker beschaftigt; Bosscha hat sich ihr zuerst specieller gewidmet. Der Grund- gedanke, der seinen und alien folgenden darauf bezuglichen Untersuchungen vorschwebt, ist die unmittelbare Folgerung des Satzes der Erhaltung der Energie, dass in einem statio- uaren galvanischen Strom die Summe der vom Strom pro- ducierten Warme aquivalent ist dem Gesammtaufwand von chernischer Energie. Docli ging Bosscha aufangs von der unbegriindeten Voraussetzung aus, dass die thermischen Wir- kungen des Stromes sich beschranken allein auf die Joule'- sche Warme, woraus nach den schon friiher von Helmholtz und Thomson angestellten Betrachtungen folgen wiirde, dass die elektromotorische Kraft unmittelbar gemessen wird durch die von der Strorneinheit in der Zeiteinheit verbrauchte chemische Arbeit. Dieser Satz bestatigt sieh allerdings speciell fur das Daniell'sche Element (S. 60). Indem Bosscha die elektromotorische Kraft eines solchen Elements zuerst elektro- magnetisch bestimmte, und dann den Betrag derselben ver- glich mit den thermochemischen Versuchen von Favre und 1) R. Clausius: 1. c. p. 340. 2) p. 357, 1. c. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 85 Silbermann, Andrews und Joule, fand er eine vollstandig befriedigende Ubereinstimmung. 1 ) Dieser Glaube an die Aquivalenz der elektromotorischen Kraft einer Kette mit der ihr entsprechenden chemischen Warmetonung scheint damals ziemlich weit verbreitet gewesen zu sein; so wollten Marie- Davy und Troost 2 ) sich die thermochemisehen Versuche schon ganz ersparen und statt dessen nur die Magnetnadel beobachten, was sich denn doch schliesslich als etwas vor- eilig herausstellte. Sobald man einmal darauf aufmerksam wurde, dass ausser der Joule'schen Warme im Stromkreis auch noch andere thermische Wirkungen stattfinden (die Peltier'sche Warme war ja ohnedies langst bekannt), musste auch jene Folgerung aus dem Grundprincip ins Wanken ge- rathen. Wir haben schon auf S. 61 ausgefuhrt, dass jede secundar entwickelte oder absorbierte Warme notweudig eine Modification jener Regel erheischt; umgekehrt muss aus jeder x\bweichung der Grosse der elektromotorischen Kraft von der obigen Regel mit Notweridigkeit auf eine Warmewirkung in der Kette geschlossen werclen, die von dein Joule'schen Ge- setze abweicht. Diese Folgerung erkannte Bosscha auch an und suchte sie im einzelnen zu bewahrheiten. 3 ) Die schon oben (S. 61) angefiihrte Faraday'sche 4 ) Ansicht, dass in der Daniell'schen Kette nur die Oxydation von Zink und Kupfer elektromotorisch wirksam sei, dagegen die Auflosung (resj). Ausscheidung) der Oxyde nur locale Warmetonung erzeuge, verwarf er, weil die auf Grund dieser Annahme aus den Versuchen von Favre und Silbermann berechnete elektromotorische Kraft zu klein ausfallt; dagegen sah er sich genotigt, bei der Wasser- 1) J. Bosscha: Uber die mechanische Theorie der Elektrolyse. Pogg. Ann. 101, p. 517, 1857. 2) Marie-Davy et Troost: Mem. sur 1'emploi de la pile comme raoyen de mesure des quantites de chalenr developpees dans Tacte des combinaisons chimiques. Ann. d. chim. (3) 53, p. 423, 1858. Ferner Compi Rend. 46, p. 936, 1858. 3) J. Bosscha: Uber die mechanische Theorie der Elektrolyse. Pogg. Ann. 103, p. 487, 1858, ferner 105, p. 396, 1858. 4) M. Faraday: Exp. Ees. Phil. Trans. London 1834 Apr., 919. 86 I. Abschnitt. Historische Entwickelung. zersetzung eine locale Warmeerzeugung anzunehmen. Be- rechnet man narnlich die elektromotorische Kraft der Polari- sation bei der Wasserzersetzung zwischen Platinelektroden einmal aus der Verbrennungswarme des Wasserstoffs, dann aus der durch die Einschaltung des Zersetzungsapparates her- vorgerufenen Schwachuug des elektrischen Stromes, so findet man die zweite Zahl um etwa 60% grosser als die erste. Diese Abweichung denkt sich nun Bosscha von dem Umstand herriihrend, dass die elektrolytisch entwickelten Gase nicht sofort in ihrer gewohnlichen Gestalt erscheinen, sondern zu- erst den ; ,activen u Zustand durchmachen, eine allotrope Modi- fication, die dadurch charakterisiert ist, dass in ihr jedes Gas eine grossere potenzielle Energie (einen rnehr gelockerten Zusammenhang der Atome) besitzt, wie im natiirlichen Zu- stand, weshalb bei der Verbindung der activen Gase mit ein- ander eine grossere Warmetonung auftreten muss ; die elektro- motorische Kraft nun, die bei der Polarisation beobachtet wird, entspricht nach Bosscha dieser grosseren Verbindungs- warnie im activen Zustand. Andrerseits wird aber nachher, wenn die Gase in ihren natiirlichen Zustand iibergehen, eine gewisse locale Warmemenge in jedem Gase frei; die in gar keinem directen Zusammenhang mit den elektrischeu Vor- gangen steht. Nach dieser Anschauung ware also der Uber- schuss an Energie, welchen die elektromotorische Kraft des Polarisationsstroms im Vergleich zur chemischen Verbren- nungswarme des Wasserstoffs liefert, der localen Warme aqui- valent, die in beiden Gasen beiin Ubergang aus dem activen in den natiirlichen Zustand frei wird. Diese locale Warme bewirkt natiirlich eine erhohte Schwachung des Stromes der ganzen Kette, in der die Wasserzersetzung vor sich geht, da der Energieaufwand, den sie erfordert, der elektromotorischen Wirkung entzogen wird. Da iibrigens nach der Erfahrung die elektromotorische Kraft der Polarisation nicht constant, sondern wesentlich ab- hangig ist von der Dichtigkeit des Stromes an den Elektroden, so muss Bosscha seinen Annahmen noch die weitere hinzu- fiigen, dass im allgemeinen nicht die ganze beim Ubergang ernes Gases aus dem activen in den gewohnlichen Zustand frei werdende Warme local auftritt, sondern dass, nanient- I. Abschniti Historische Entwickelung. 87 lich bei grosserer Elektrodenoberfiache, wo ein gewisser Theil des Gases schon unmittelbar an der Elektrode in den ge- wohnlichen Zustand iibergeht, der entsprecheude Betrag von Energie noch dem ganzen Strom zu Gute kommt und also in Joule'sche Warme umgewandelt wird. Hiedurch wiirde sich dann die Abhangigkeit des Polarisationsstromes von der Stroindichtigkeit , sowie auch von der Natur des Elektroden- nietalls und des Elektrolyten erklaren lassen. Es versteht sich, dass sich fiir die uumittelbare Ursache der localen Warmeerzeugung auch uoch ganz andere Auf- fassungen als die Bosscha'sche geltend machen lassen, so namentlich das Auftreten eines Ubergangswiderstandes es ist dies eine Frage, iiber die das Princip der Erhaltung der Euergie von vornherein keinen Aufschluss ertheilt: ihm wird geniigt, wenn die locale Warme in dem voraus berechneten Betrage iiberhaupt an der entsprechenden Stelle zum Vor- schein kommt. Naheres hieriiber vgl. im 3. Abschnitt. Am klarsten spricht sich Bosscha iiber diese durch das Energieprincip geforderten Abweichungen der galvanischen Warmeerzeugung vom Joule'schen Gesetz in einer spateren Arbeit 1 ) aus ; in welcher bauptsachlich die Smee'sche Saule und ihre locale Warmeentwickelung der Betrachtung unter- zogen wird. Wir stehen nunmehr in der Darstellung der Entwicke- lung unseres Princips etwa beim Jahre 1860. In dem kurzen Zeitraum von kaum 18 Jahren hatte sich dieser Satz aus ganzlich verborgenem oder wenigstens vollstandig unbeachte- tem Dasein zu einer ini Gesammtbereich der Naturwissen- schaften dominierenden Macht emporgeschwungen , wie man das bis dahin nur etwa von der grossen Entdeckung Newton's erlebt hatte, die sich doch ihrerseits nur auf ein begrenztes Gebiet der Naturerscheinungen bezog. Bei dieser Schnellig- keit der Ausbreituiig ist es nicht zu verwundern, wenn es auch um die genannte Zeit, besonders unter den alteren Physikern, immer noch einzelne gab, die sich mit den neuen Ideen noch nicht recht befreunden konnten. So ist von dem 1) J. Bosscha: Uber das Gesetz der galvanischen Warmeentwicfce- King in Elektrolyten. Pogg. Ann. 108, p. 312, 1859. 88 I- Abschnitt. Historische Entwickelung. genialen Faraday 1 ) bekannt, class er an dem Begriff der potenziellen Energie, so wie ihn Rankine auffasste, Maucherlei auszusetzeri fand. Er wollte sich nicht begniigen mit der einfachen Annahme, dass zwei sich anziehende Korper in grosserer Entfernung eine grossere potenzielle Energie be- sitzen, sondern er suchte fur diese Energie noch ein besonderes physikalisches Substrat in einer veranderten Beschaffenheit des Zwischenmediums, wobei freilich zu bedenken ist, dass hierdurch die Sachlage auch nicht wesentlich geandert wird; denn dieser eigenttimliche Zustand des Zwischenmediums wiirde eben auch nur in einer veranderten Lage seiner klein- sten Theilchen bestehen, so dass wir schliesslich die poten- zielle Energie doch wieder nur in einer veranderten statischen Anordnung der Materie ini Raum zu suchen batten. Dass in der Anwendung des neuen Princips auch ge- legentlich Missverstandnisse mit unterliefen ; darf man bei der Ungewohntheit der durch dasselbe bedingten Denk- und Schlussweise nicht allzu auffallend finden. Schon Helmholtz 2 ) bespricht in seiner ,,Erhaltung der Kraft" einige Einwande, die Matteucci 3 ) aus eigenen Versuchen gegen die Zulassigkeit der neuen Auffassung, die allerdings damals noch nicht zu einem besonderen Princip formuliert war, beigebracht hatte, und deren Begrundung uns am besten zeigt, wie schwer es damals selbst fur einen geschulteu Physiker halten inochte, in den Geist des Princips einzudringen. Outer anderem leitet er einen Einwand her aus der Thatsache, dass Zink bei seiner Auflosung in Schwefelsaure ebensoviel Warme erzeugt, wenn die Auflosung auf gewohnlichem chemischen Wege erfolgt, als wenn man zunachst, unter Benutzung einer Platinplatte als zweiter Elektrode, eiue galvanische (Smee'sche) Kette dar- aus bildet. Denn im ersten Fall wird durch den Process nur Warme produciert, im zweiten aber zugleich Warme und Elektricitat, es miisse daber nach dem in Frage stehenden 1) M. Faraday: On the conservation of force. Phil. Mag. (4), 13, p. 225, 1857; 17, p. 166, 1859 etc. Vgl. M. Rankine: On the phrase 'potential energy' and on the definitions of physical quantities. Phil. Mag. (4) 33, p. 88, 1867. 2) H. v. Helmholtz: Wiss. Abh. 1, p. 66, 1882. 3) Matteucci: Bibl. univ. Geneve Suppl. Nr. 16, 1847, p. 375. I. Abschnitt. Historische Entwickelung. 89 Satz die im letzteren Fall erzeugte Warme kleiner sein um den Betrag des Aquivalents der producierten Elektricitat. Matteucci beach fcete nicht, dass dies Aquivalent am Schluss des Processes =0 ist ; derm die producierte Elektricitat ist wieder verschwunden, sie hat nur als Mittelglied gedient fur die Uberfiihrung der chemischen potenziellen Energie in thermische Energie. Noch ungeheuerlicher erscheint uns die Behauptung, ein Strom miisste nach dem Princip weniger Warme im Schlies- sungskreis erzeugen, wenn er eine Magnetnadel in Ablenkung erhalt, als wenn er dies nicht thut; denn diese Schluss- folgerung beruht auf einer ganzlichen Verkennung des Ar- beitsbegriffes. Aber auch noch in spaterer Zeit treffen wir manchmal auf fehlerhafte Auffassungen. So betrachtete es 1857 Soret 1 ) als ein Postulat des Princips, dass ein galvanischer Strom, welcher durch die elektromagnetischen Wirkungeu eines Theils seiner Schliessuog mechanische Arbeit leistet, in diesem Theile weniger Joule'sche Warme entwickelt als in einem andern von gleichem galvanischen Widerstande, der keine solche Wirkuugen aussert, -- ein Irrthum, der iibrigens auch an- deren Physikern passiert ist. Seheti wir von diesen immerhin sehr vereinzelten Fallen des Missverstandnisses ab, so lasst sich mit aller Bestimmt- heit behaupten, dass um das Jahr 1860 der Kampf um die Anerkennung der neuen Theorie beendigt, und die Entschei- dung endgiltig zu ihren Gunsten ausgefallen war. Das Princip der Erhaltung der Energie hatte sich iiberall, wo man durch die Ausbildung der experimentellen Methoden in den Stand gesetzt war, eine Priifung auszufuhren, als vollkommen zulassig bewahrt und wurde nun in die Zahl der Axiome aufgenommen, die der ferneren Forschung als Grundlage und Ausgangspunkt dienen. Ganz allmahlich biirgerte sich nun auch das Worfc , ; Energie a von England aus auf dern Continent ein, besonders seitdem dasselbe von Clausius in der Warmelehre angenommen worden war. 1) L. Soret: Recherches sur la correlation de 1'electricite dyna- mique et des autres forces physiques Arch, d sc. pbys. 36, p. 38, 1857. 90 I- Abschnitt. Historische EntwickeluDg. Von dieser Zeit ab datiert fur die Entwickelung aller exacten Naturwisserischaften eine neue Epoche. Bisher war man allentbalben 7 wo es nicht, wie in der Mechanik und Astronomic, schon gelungen war, die Grundgesetze zu finden, aus denen alle einzelnen Erscheinungen hervorgehen, auf die rein inductive Metbode angewiesen; von jetzt an war man im Besitze eines Princips, das, auf alien bekannten Gebieten durch sorgfaltige Untersucbungen erprobt, nun aucb fur ganzlich unbekannte und unerforschte Regionen einen vor- trefflichen Fiihrer abgab. Erstens war scbon die ganze Fragestellung, die ja eins der wesentlichsten Elemente einer jeden Erfolg versprechenden Untersuchung ausmacht, in die richtige Bahn gelenkt, und dann batte man an alien Punkten dieser einmal beschrittenen Bahn stets eine unfehl- bare Controlle bei der Hand, deren Anwendung nie ver- sagte. Fur alle naturwissenschaftlichen Speculationen bildet seitdem das Princip der Energie den solidesten Ausgangs- punkt und ist in der That zu dieseni Zweck schon vielfach benutzt worden. Zugleich aber sehen wir, was dieser Rollenwechsel in der Stellung des Princips zu den iibrigen Naturgesetzen fur unsere jetzige Untersuchung im Gefolge hat. Wahrend vor- her diese Stellung eine engbegranzte, die darauf beziigliche Literatur mehr oder weniger scharf von der iibrigen abge- sondert erschien, beginneu jetzt die Anwendungen nach alien Richtungen bin sich auszudehnen mid allmahlich in die Specialgebiete sich zu verlieren, und wenn wir den Spuren der historischen Weiterentwickelung des Princips, sei es auch nur in der Physik, zu folgen trachten, so gerathen wir in die einzelnen und einzelsten Fragen hinein, die zum grossten Theil noch der endgiltigen Losung barren. Es erscheint uns daher im Interesse der tfbersichtlichkeit geboten, diese Fragen 7 soweit sie iiberhaupt noch der Ge- schichte des Princips selber angehoreu und nicht etwa bios Anwendungen desselben auf anderweitige unbewiesene Hypo- thesen betreffen, uicht bier, sondern erst im Zusammenhang mit der Darstellung der verschiedenen einzelnen Energiearten im dritten Abschnitt dieser Schrift zu beharideln, wahrend der zweite der Aufgabe gewidmet sein soil, den Begriff der I. Abschnitt. Historische Entwickehmg. 91 Energie auf Grund der vorangegangenen geschichtlichen Ent- wickelung in seiner Allgeineinheit zu begriinden, die ver- schiedenen Arten der Formulierurig des Princips der Erhaltung der Eriergie zu trennen und iibersichtlich zu ordnen, und endlich iiber die Beweise, die man fiir die Giltigkeit des Princips beibringen kann, und deren Leistungsfiihigkeit eine kritische Umschau zu halten. II. Abschnitt. Formuliernng und Beweis des Princips. Jede physikalische Definition, die Anspruch auf Brauch- barkeit macht, muss den zu definierenden Begriff in letzter Linie zuriickfiihren auf Begriffe, die der unmittelbareii Wahr- nebmung durch die Sinne entspringen, so dass es nur einer directen Beobachtung bedarf, um die betreffende Grosse mehr oder weniger exact in Zahlenwerten auszudrlicken. Da uns nun die Erscheinungen der Natur durch die verschiedeii- artigsten Sinne zum Bewusstsein gebracht werden, so wiirde es uns hier ; wo es sich zunachst um die Aufstellung einer allgemeinen Definition des BegriiFes der Energie handelt, nichts niitzeri, wenn wir uns etwa von vorneherein auf den Standpunkt der mechanischen Naturauffassung stellen wollten ; denn das mechanische Maass, mit dem wir eine jede beliebige Erscheinung messen konuen, ist uns ja iiicht unmittelbar gegeben, es soil im Gegentheil uberhaupt erst gesucht werden. Es wird daher zunachst unsere Aufgabe sein, die Definition der Energie uuabhangig von jeder besonderen Naturauffassung rein auf messbare Thatsachen zu begriinden. Von diesem Gesichtspunkt ausgehend konnen wir auf doppelte Weise verfahren. Wir konnen namlich die Energie eines materiellen Systems definieren als eine Function, deren Wert in bestimmter Weise von den Variabeln abhangt, die den Zustand des Systems bestimmen , also von den Lagen, Geschwindigkeiten, Temperaturen u. s. w. der materiellen Elemente des Systems. Diese Definition setzt aber bereits die Allgemeingiltigkeit des Princips der Erhaltung der Energie voraus; denn um zu wissen, dass eine solche Function uber- haupt existiert und wie sie sich aus jenen einzelnen Grossen II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 93 zusammensetzt, muss man das Princip bereits kenneu und an wend en. Wir geben daher zunachst einer auderen, im wesent- lichen von W. Thomson (S. 64) herriihrenden Definition den Vorzug, welche, ganz ohne Riicksicht auf die Giltigkeit oder Nichtgiltigkeit des Princips, den Wert der Energie eines materiellen Systems berechnen lasst lediglich aus den iiusseren, der Beobachtung zuganglichen Wirkungen, welche das System bei einer gewissen Veranderung seines Zustandes hervorbringt. Danach bezeichnen wir die Energie (Fahigkeit, Arbeit zu leisten) eines materiellen Systems in einem be- stimmten Zustand als den in mechanischen Arbeitseinheiten gemessenen Betrag aller Wirkuugen, welche ausserhalb des Systems hervorgerufen werden, wenn dasselbe aus seinem Zustand auf beliebige Weise in einen nach Willkiir fixierten Nullzustand iibergeht. Zunachst erfordern einige in dem Wortlaut dieses Satzes enthaltene Ausdriicke eine besondere Erlauterung. Unter den ; , ausserhalb des Systems hervorgebrachten Wirkungen" oder kiirzer: unter den ,,ausseren Wirkungen" wollen wir alle am Schluss des Processes in der Natur eingetretenen Veriinderungen verstehen, welche mit der Lage und Beschaffen- heit der umgebenden (nicht in das System einbegriffenen) Korper zusammenhangen , darunter also z. B. auch die Ver- anderung der Lage des Systems relativ zur Umgebung; denn dieselbe hangt (ausser von der Lage des Systems selber) von der Lage der umgebenden Korper ab. Urn die ausseren Wirkungen in ihrer Vollstandigkeit zu erhalten, denkt man sich am besten das System zunachst vollstandig isoliert im unendlichen Kaurn und fiihrt erst dann diejenigen Korper in die Nahe, deren Einwirkuug zur Herbeifiihrung des erforder- lichen Uberganges geeignet ist. Bewegt sich z. B. das System unter dem Einfluss der Schwere, so gehort zu den ausseren Wirkungen auch die Anderung der Lage des Systems relativ zur Erde; der in Arbeitseinheiten gemessene Betrag derselben ist die bei der Bewegung von der Schwerkraft geleistete Ar- beit, welche mithin das Maass fur die Energie des Systems (hier seine lebendige Kraft plus einer additiveu Constanten) bildet. (Naheres hieriiber weiter unten). Etwas auderes ist es 94 II. Abschnitt. Fornmlierung und Beweis des Princips. natlirlich, wenn man die Erde mit in das betrachtete raa- terielle System einbegreift; dann verschwinden die ausseren Wirkungen ganz. Was ferner den in der Definition gebrauchten Ausdruck: ,,Der in rnechanischen Arbeitseinheiten gemessene Betrag" (kurz: Arbeitswert, mechanisches Aquivalent) der ausseren Wirkungen betrifft, so hat derselbe natu'rlich nur unter der Voraussetzung einen bestimmten Sinn ; dass ent- weder die ausseren Wirkungen an sich lediglich mechanischer Natur sind, d. h. in der Erzeugung oder dem Verbrauch von lebendiger Kraft oder Arbeit (im engeren Sinne) bestehen, oder, falls sie von irgend anderer Art sind, dass dann ihr mechanisches Aquivalent schon anderweitig bekannt ist. Sollte diese Voraussetzung aber nicht erfullt sein, nehmen wir z. B. an, die ausseren Wirkungen bestanden in der Erzeugung irgend einer eigentumlicheu Veranderung, etwa eines ge- wissen Agens, dessen Arbeitswert unbekannt sei, so lasst natiirlicherweise die Definition zunachst im Stich, und man muss sich dadurch zu helfen suchen, dass man das neu er- zeugte Agens auf irgend eine Weise wieder fortschafft, iiidem man es etwa zur Leistung mechanischer Arbeit oder zur Hervorbringung solcher Wirkungen verbraucht, die auf me- chanisches Arbeitsmaass reducibel sind. Gelingt dieser Ver- such, so kann man schliesslich doch alle ausseren Wirkungen in Arbeitsaquivalenten ausdriicken und so zum Ziel gelaugen ; dann stellt sich das mechanische Aquivalent einer Wirkung als diejenige Arbeitsmenge dar, in welche sich diese Wirkung verwandeln lasst. (Hiebei bleibt es iibrigens noch ganz dahingestellt , ob die Arbeitsmenge verschieden ausfallt, wenn die Verwandlung auf verschiedene Weise vor- genommen wird.) Es ist aber auch sehr wohl der Pall denkbar, dass es iiberhaupt unmoglich ist, das neue Agens ganz in mechanische Wirkungen zu verwandeln, und in diesem Falle wird die fur den Begriff des Arbeitswertes gegebene Erklarung, also auch die Definition der Energie, hinfallig. Setzen wir z. B. einmal voraus, das mechanische Warme- aquivalent sei noch unbekannt, und wir hatten die Energie irgend eines Korpers bei einer bestimmten Temperatur (unter gewohnlichem Atmosphareudruck) zu berechnen^ der Null- II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 95 zustand des Korpers sei durch eine bestimmte tiefere Tem- peratur (etwa Gels.) charakterisiert. Es ist nun sehr leicht, den Korper durch Entziehung eines gewissen Warmequantums (mittelst Ableitung von Warme) in den Nullzustand zu brin- gen, aber die dabei erzeugte aussere Wirkung, die Erwarmung der Umgebung, lasst sich durch keinerlei Hilfsmittel v o It- stand ig in mechanische Arbeit verwandeln; welche Versuche man auch zu diesem Zwecke anstellen wollte, es bliebe imraer eine gewisse Veranderung iibrig, die sich nicht direct in Ar- beitseinheiten messen lasst. Man konnte z. B. jene Warme durch Ausdehnung des Tr'agers derselben in Arbeit *umsetzen, dann hatte man aber wieder in dieser Ausdehnung eine ge- wisse Wirkung, deren mechanisches Aquivalent nicht bekannt ist, und die sich auch nicht auf mechanisch messbare Ver- anderungen zuriickfuhren lasst, kurz: man wiirde auf diesem Wege nie zu eineru Ausdruck fur den Wert der Energie gelangeri. Daraus folgt, dass in dem angeflihrten Falle die fur den Begriff des ,,Arbeitswertes" einer Wirkung gegebene Er- klarung einer geeigneten Erganzung bedarf ? und diese Er- ganzung konnen wir auf die Thatsache griinden, dass, wenn eine gewisse Wirkung nicht vollstandig in mechanische Ar- beit verwandelt werden kann, sie sich doch stets durch Auf- wand einer gewissen Arbeitsmenge erzeugen lasst. (Siehe jedoch den Einwand S. 96 und dessen Begegnung.) Be- zeichnen wir daher in alien Fallen, wo die erste Erklarung nicht geniigt, als mechanisches Aquivalent einer ausseren Wirkung diejenige Arbeitsmenge, welche aufgewendet werden muss, urn diese Wirkung hervorzubringen, oderkurzer: welche sich in diese Wirkung verwandeln lasst (auf belie- bigem Wege), so gewinnen wir unter alien Umstanden einen Ausdruck fur den Arbeitswert der ausseren Wirkungen und somit fiir die Energie des betrachteten Systems. Dies zeigt sich in der That unmittelbar an dem beschriebenen Beispiel, wo die aussere Wirkung in der Erwarmung eines Korpers besteht. Wahrend es unnioglich ist, diese Wirkung voll- standig in Arbeit zu verwandeln, so stehen dagegen ver- schiedene Methoden zur Verfiigung, urn durch Anwendung rein mechanisch er Mittel diese Wirkung hervorzurufeu, d. h. 96 II- Abschnitt. Formulierung urid Beweis des Princips. den Korper aus der urspriinglich tieferen auf die hohere Temperatur zu bringen, wie: Stoss, Reibung, Compression. (Bei der Anwendung des letzten Mittels hat man dafiir zu sorgen, dass der Korper sich nach erfolgter Compression ohne aussere Arbeitsleistung wieder ausdehnt, damit die durch die Compression erzeugte Warme nicht nachher wieder ver- loren geht, wenn der Korper auf seinen ursprunglichen Druck zuriickgebracht wird.) Das mechanische Aquivalent einer Er- warmung ist also gleich der Arbeitsmenge, deren Verbrauch die Erwarmung hervorruft. Wir sehen hieraus, dass unter Benutzung der angegebenen Festsetzungen die Definition der Energie irgend eines ma- teriellen Systems in alien Fallen (wenigstens) einen (posi- tiven oder negativen) Zahlenwert in bekannten Einheiten liefert, der je nach der Exactheit der zu Gebote stehenden experimentellen Methoden mit grosserer oder geringerer Ge- nauigkeit festgestellt werden kann. Selbstverstandlich ist die Definition unabhangig von jeder hypothetischen Vorstellung, die man sich von der Beschaffenheit der verschiedenen in der Natur wirksamen Agentien bilden kann, insbesondere auch von der mechanisehen Anschauung, da sie einzig und allein auf der directen Messuug mechanischer Arbeitsgrossen beruht; ferner ist sie auch, was besonders bemerkenswert ist, durchaus unabhangig von der Giltigkeit des Princips der Er- haltung der Energie, denn sie lasst es ganz unentschieden, ob man bei Anwendung verschiedener Methoden der Uber- fiihrung des materiellen Systems aus dem gegebenen Zustand in den Nullzustand zu verschiedenen Werten der Energie gelangt oder nicht, ebenso wie es vollstandig offen gelassen ist, ob jeder ausseren Wirkung ein eindeutig bestimmtes me- chanisches Aquivalent entspricht oder nicht. Einen Einwand, der sich der Brauchbarkeit der gegebenen Definition entgegenstellen lasst, miissen wir hier jedoch noch besonders zur Sprache bringen. Es konnte namlich sein, dass der Ubergang des Systems aus dem gegebenen Zustand in den (nach Willkiir fixierten) Nullzustand iiberhaupt gar nicht ausfiihrbar ist. Nehmen wir z. B. an, das materielle System bestehe aus einer gewissen Quantitat Kohleristoff, die in dem gegebenen Zustand, dessen Energie bestimmt werden II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 97 soil, etwa als ainorphe Kohle auftritt, wahrend sie im Null- zustand die Modification des Diaraanten bildet. Hier ist der Ubergang in den Nullzustand durch keine experimentellen Mittel vollziehbar (wenn auch der umgekehrte Ubergang moglich ist) und die Definition der Energie versagt von vorneherein ihren Dienst. Ja, wir konnen nocli weiter geheff; Es sind sehr wohl Falle denkbar, wo der Ubergang in kei- nerlei Richtung, weder aus dem gegebenen Zustand in den Nullzustand noch unigekehrt, bewerkstelligt werden kann, wahrend es doch (was natiirlieh Voraussetzung ist) das nam- liche materielle System ist (d. h. die namlichen chemischen Elemente), das wir in beiden Zustanden vor uns haben. Wahlen wir anch hiefiir ein bestimmtes Beispiel. Dextrose und Levulose sind zwei chemische Individuen von geuau gleicher quantitativer Zusammensetzung, es konnen also die namlichen A tome einnaal zu Dextrose, einmal zu Levulose vereinigt gedacht werden. Doch sind die beiden Verbin- dungen zur Zeit nicht ineinander iiberfiihrbar, auch lasst sich keine von ihnen aus ihren Elementen synthetisch dar- stellen, und man kann es daher bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft durch keinerlei aussere Mittel, auch nicht durch Zerlegung in die Elemente, moglich machen, das System aus dem einen Zustand in den andern zu bringen. Ware daher die Energie eines Quanturns Dextrose (bei beliebiger Tem- peratur u. s. w.) zu bestimmen, bezogen auf dasselbe Quan- tum Levulose als Nullzustand (eine unter Umstanden sehr wichtige Aufgabe), so wiirde die gegebene Definition der Energie vollstandig im Stich lassen; diesem Beispiel lassen sich natiirlieh noch viele andere an die Seite stellen. Wir konnen dem erhobenen Einwand auf zwei verschie- dene Arten begegnen. Einmal konnten wir uns mit gewissem Recht darauf berufen, dass es sich hier gar nicht um eine wirklich ausfiihrbare Messung des Wertes der Energie han- delt, die ja ohnehin niemals mit absoluter Exactheit angestellt werden kanu, und fur die wir gleich weiter unten noch an- dere bessere Methoden finden werden , sondern vielmehr da- rum, den Sinn des Energiebegriffes hinlanglich klarzustelleu, ganz abgesehen davon, ob der Weg, auf dem wir zu diesem Begriff gelangen, nur fur die Vorstellung oder auch fur das Plauck, Energie. 7 98 II- Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. Experiment gangbar ist. Hiezu wiirde aber gewiss der Nach- weis geniigen, dass der beschriebene Ubergang aus dem ge- gebenen Zustand in den Nullzustand iiberhaupt in der Natur moglich ist, d. h. dass die bestehenden Naturkrafte bei geeignetem Zusammenwirken imstande sein wurden, den Ubergang herbeizufiihren. Nun ist zu bedenken, dass das Experimentieren doch nur im rnehr oder weniger willkiir- lichem Combinieren gewisser Naturkrafte besteht, und dass das Gebiet, auf welches sich diese Combinationen erstrecken, jedenfalls ein ausserst beschranktes zu nennen ist im Ver- gleich zu der Mannigfaltigkeit der ohne unser Zuthun in der anorganischen und der organischen Welt taglich von Statten gehenden Wirkungen. Wenn wir auch nicht imstande sind, nach Belieben amorphe Kohle in Diamant zu verwan- deln, so liegt doch nichts im Wege, ja es sprechen viele Analogien dafur, anzunehmen, dass sich, vielleicht durch einen Jahrtausende lang wahrenden Krystallisationsprocess, Diamant aus einer Losung einer gewohnlichen Kohlenstoff- verbindung abscheiden kann, und wenn dies einnial zugegeben ist, so kann man sicher auch von bestimmten ausseren Wir- kungen und deren Arbeitswert reden. Jedenfalls ist noch keine Thatsache bekannt, welche uns hindert zu glauben, dass die Naturkrafte imstande sind, sammtliche Substanzen, auch die organischen und die organ isierten Korper, in sammt- liche andere iiberzufuhren, wofern sie nur aus den namlichen chemischen Elementen gebildet sind; weiter brauchen wir nicht zu gehen. Die principielle Wichtigkeit der hier vorgetragenen Satze verlangt es indessen, dass wir, um in der Definition des Energiebegriffes auch nicht die kleinste Liicke zu lassen, der Moglichkeit einer wenn auch an und fur sich unwahrschein- lichen Annahme Rechnung trageu. In der That konnen wir in jedern Falle, wo aus irgend welchen Griinden unsere De- finition nicht zum Ziele fuhrt, uns immer noch auf eine andere Weise helfen , namlich dadurch, dass wir den be- trefi e enden Fall vorlaufig ganz von der Betrachtung aus- schliessen und die fiir ihn zu gebende Definition des Energie- begriffes erst bei einer spateren Gelegenheit (S. 101) nachholeu, wo wir im Besitze verschiedener Satze sein werden, welche II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 99 die Berechnung des Wertes der Eaergie unter alien Um- standen gestatten. Zu diesen Satzen gelangen wir clurch die Aufstellung des Princips der Erhaltung der Energie, das wir nun fur alle Falle, auf welche die Definition der Energie iiberhaupt Anwendung findet, folgendermassen aussprechen konnen: Die Energie eines materiellen Systems in einem bestimrnten Zustand, genommen in Bezug auf einen bestimmten anderen Zustand als Nullzustand, hat einen eindeutigen Wert, oder mit anderen Worten, wenn wir den Wortlaut der De- finition (S. -93) hier substituieren : Der in mechanischen Ar- beitseinheiten gemessene Betrag (das mechanische Aquivalent, der Arbeitswert) aller Wirkungen, welche ein inaterielles System in seiner ausseren Umgebung hervorruft ; wenn es aus einem bestimmten Zustand auf beliebige Weise in einen nach Willkiir fixierten Nullzustand iibergeht, hat einen ein- deutigen Wert, ist also unabhangig von der Art des Uber- ganges. Indem wir die Frage nach der Beweisbarkeit dieses Satzes einer anderen Stelle iiberweisen, wollen wir den- selben hier einstweilen als gegeben annehmen und im fol- genden zunachst nur den Nachweis fiihren, dass alle an- deren Formen, in denen man das Princip darzustellen pflegt, sich aus dieser einen deducieren lassen und also in ihr enthalten sind. Zunachst das Princip der Unmoglichkeit des perpetuum mobile. Fixieren wir den Nullzustand des materiellen Systems so, dass er mit dem gegebeuen, dessen Energie bestimmt werden soil, identisch ist, so haben wir fiir die Energie den Wert zu setzen, da es dann oifenbar Iiberhaupt keiner ausseren Veranderung bedarf, um von dem urspriinglichen Zustand in den Nullzustand liberzugehen. Dieser Wert ist aber eindeutig fiir jede beliebige Art des Uberganges, folglich haben wir den Satz : Das mechanische Aquivalent der Wirkungen, welche ein inaterielles System in seiner ausseren Umgebung hervorruft, wenn es, von einem bestimm- ten Zustand ausgehend , auf beliebige Weise verandert wird und schiiesslich wieder in den Anfangszustand zuriickkehrt (kiirzer: wenn es einen Kreisprocess durchmacht), ist = 0. 1(30 !! Abschnitt. Formulierung nnd F3eweis des Princips. Wahrend dieser Satz, der die Moglichkeit der Construction eines perpetuum mobile ausschliesst, mit Notwencligkeit aus dem oben angegebenen Princip sich ergibt, so hat er jenes doch seinerseits nieht zur logischen Folge, wie wir gleicli jetzt bemerken und spater ausfiihrlicher nachweisen werden. Eine andere Folgerung aus dem Princip ergibt sich folgendermassen. Wir konrien uns den ganzen Process A N, der das materielle System aus dem Anfangszustand A (durch gewisse Zwischenzustande B 9 C, . . . M hindnrch) in den End- zustand N fiihrt, zerlegt denken in eine beliebige Anzahl aufeinanderfolgender einzelner Processe: A B, B ,..., M N 9 in der Art, dass der Endzustand eines jeden Einzel- processes (bis auf den letzten) zugleich den Anfangszustand des folgenden bildet. Dann ist offenbar der Arbeitswert der ausseren Wirkungen fur den ganzen Process A N gleich der Summe der auf die Einzelprocesse entfallenden respectiven Betrage, und daraus folgt der Satz: Die Energie des Systems im Zustand A, bezogen auf den Nullzustand N ist gleicli der Summe der Energien in den Zustanden A, It, C, . . ., J/ ; be- zogen auf die respectiven Nullzustande : B, C, D , . . ., A 7 ; oder in leicht verstandlicher Bezeichnung: \A1T\- [AS] + [BC\ + [CD-\ + . - + [MN]. Zu diesem Satze fugen wir noch einen zweiten, ebenso einfachen. Nach der soeben abgeleiteten Gleichung in Ver- bindung mit dem Princip der Unmoglichkeit des perpetuum mobile ist: [AN] + IN A] = [AA\= 0. Daraus: [AN} = [NA] d. h. Die Energie des Systems im Zustand A, genommen in Bezug auf den Zustand N als Nullzustand, ist gleich und ent- gegengesetzt der Energie des Systems im Zustand N, genom- men in Bezug auf den Zustand A als Nullzustand. Fiir die ange wand ten Symbole bestehen offenbar ganz die namlichen Rechnungsgesetze wie fiir die geometrische Addition von Strecken. Wir konnen nun die hier abgeleiteten Satze zugleich benutzen, urn die allgemeine Definition des Euergiebegriffs II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 101 dadurch zu vervollstandigen, dass wir sie auch auf diejenigen Falle ausdebnen, welche bisher von der Betrachtung aus- geschlossen bleiben mussten. (S. 98.) 1st n'amlich der Uber- gang aus dem Znstand A in den Zustand N nicht ausfiihrbar, wobl aber der von N zu A (wie in dem einen der oben an- gefiihrten Beispiele), so definieren wir die gesuchte Energie [AN'] als die der Euergie [NA] entgegengesetzte Grosse, und ist das Yerhiiltnis noch complicierter, so fiihren wir beliebige Zwischenzustande B , C, . . . ein und zerlegen dadurch den ganzen Ubergaug von A zu N in eine Reihe Einzeliibergange, welcbe so gewahlt sind, dass sie sich, jeder fiir sich, ent- weder in directer oder in umgekehrter Richtung ausfiihren lassen. Auf diesem Wege miissen wir durcb die Anwendung der angefuhrten Satze stets zu einem Ausdruck der Energie gelangen; deun ware dies nicht der Fall: konnten wir nicht durch Einschiebung entsprechender Zwischenzustande einen Ubergang von A zu N successive vermitteln, so batten wir in diesen beiden Zustanden iiberhaupt nicht das namliche materielle System vor uns, dann ware also die Frage nach dem Werte der Energie von vorneherein absurd. Dass diese Art, die Definition der Energie zu erweitern, nicbt etwa eine kiinstlich herbeigezogene Complication des Begriffes in sicb birgt, sondern in der Natur der Sache begriindet ist, lasst sich am besten daraus erkennen, dass man bei jeder praktischen Berechnung der Energie eines inateriellen Systems (z. B. in der Thermochemie) in der That gerade auf das Verfahren augewiesen ist, wie es unsere Definition vorschreibt; denn es gibt kein Mittel und keine Methode der Messung ; welche gestattet den Weg zu umgehen, auf dem wir zur Bestimmung des Wertes der Energie gelangt sind. Wenn wir die Energie eines materiellen Systems in einem bestimmten Zustand A einmal auf den Zustand N, dann auf einen anderen Zustand N' als Nullzustand beziehen, so folgt aus der Relation: IAN] [AN'] = [AN] + [N'A] = [N'N] dass die durch die verschiedene Wahl der Nullzustande be- dingte Differenz in den Werten der Energie von A durch eine Grosse angegeben wird, die gar nicht von den Eigen- schaften des Zustandes A, sondern allein von der Beschaffen- 102 H. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. heit der beiden Nullzustande abhangt. Lassen wir daher bei der Bestimmung der Energie die Wahl des Nullzustandes ganz offen, so wird in dem Ausdruck der Energie nur eine gewisse additive Constante unbestimmt gelassen. Wir wollen aber jetzt dem Principe noch eine andere Fassung geben, die uns ftir die kiinftigen Betrachtungen von grosster Wichtigkeit sein wird. Denken wir uns ein mate- rielles System durch irgend ein en Process aus einem be- stimmten Zustand A in einen andern Zustand B ubergefuhrt, so ist der Arbeitswert der dabei eingetretenen ausseren Wir- kungen in der von uns gebrauchten Bezeichnung gleich [A If] = [AN] [BN], wobei N einen ganz willkurlich ge- wahlten Zustand des namlichen Systems darstellt, d. h. : durch den ausgefuhrten Process ist die Energie des Systems (be- zogen auf einen nach Willkiir fixierten Nullzustand N) ver- kleinert worden um den Arbeitswert der hervorgebrachten ausseren Wirkungen, oder, was dasselbe ist, die Energie des Systems ist vergrossert (verandert) worden um den Arbeits- wert der Wirkungen, welche ausserhalb des Systems ver- schwunden (verbraucht, aufgewendet) worden sind, um die Zustandsanderung zu bewerkstelligen. Wenn speciell der Process in der Weise vor sich geht, dass in der ausseren Umgebung gar keine Wirkungen statt- finden, dann ist \_AB] = 0, also [AN] = [B N]: die Energie im Zustand A ist gleich der im Zustand B. Die Energie eines materiellen Systems andert sich also nicht, wenn bei Ausfiihrung irgend eines Processes keine aussere Veranderung eintritt, oder mit anderen Worten: wenn in dem System nur innere Wirkungen stattfinden. In dieser Form stellt sich das Princip als das der Erhaltung der Energie dar, und diese Form ist es nun, die durch eine etwas veranderte Auffassung des Begriffes der Energie sich so ungemein bequem fur die directe Anschauung und frueht- bar fur die weitere Behandlung erweist. Im bisherigen haben wir namlich die Energie eines Systems immer als eine Grosse betrachtet, deren Begriff wesentlich verkniipft ist mit dem der ausseren Wirkungen, die das System bei irgend einer Veranderung hervorruft; denn nach der Definition wird der Betrag der Energie nur durch diese ausseren Wirkungen II. Abschnitt. Fornmlieruug mid hk'weis dcs Princips. 103 gemessen, und wenn man daher der Energie in Gedanken irgend ein materielles Substrat unterlegen will, so hat man dasselbe in der Umgebung des Systems zu suchen ; hier allein findet die Energie ihre Erklarung und folglich auch ihre begriffliche Existenz. Solange man von den ausseren Wir- kungen eines materiellen Systems ganz abstrahiert, kann man auch von seiner Energie nicht reden, da sie dann nicht de- finiert ist. In Ubereinstimmung mit dieser Auffassuug steht die Kirchhoff'sche Bezeichnung der Energie als ,,Wirkungs- f unction u . Nun sehen wir andrerseits aus der zuletzt ab- geleiteten Form des Priucips, dass die Energie eines Systems constant bleibt, wenn ein mit ihm ausgefiihrter Process keine ausseren Wirkungen hervorruft, mogen die inneren Wir- kungen noch so ausgedehnt und verschiedenartig sein. Dieser Satz fiihrt uns dazu, die in einem System enthaltene Energie als eine begrifflich von den ausseren Wirkungen unabhangig bestehende Grosse aufzufassen. Das System besitzt ein ge- wisses Quantum Energie, das (bei fixiertem Nullzustand) durch den augenblicklichen Zustand vollstandig bestimnit ist und jederzeit (durch Uberfuhrung in den Nullzustand) berechnet werdea konnte. Dies Quantum bleibt constant, wird erhalten, solange das System keine Wirkungen nach aussen abgibt resp. empfangt, und durch die inneren Wirkungen wird nur seine Form, nicht seine Grosse geandert. Nun haben wir uns die Energie als im System selbst beh'ndlich vorzustellen ; als eine Art Vorrath (nach C. Neumann: ,,Capital"), welcher durch innere Wirkungen unzerstorbar ist, und diese Auf- fassung ist fur die unmittelbare Anschauung iiberaus bequem durch ihre Analogic mit dem Verhalten der Materie, die auch in verschiedene Formen uberfiihrbar, aber nach ihrer Quan- titat (Masse) unveranderlich ist. Ebenso wie die Gesammt- masse eines Korpers sich als die Summe der Massen der einzelnen in deniselben enthaltenen chemischen Substanzen darstellt, so setzt sich die Energie eines Systems zusamnieii aus der Summation der einzelnen Eiiergiearten ? und man kann die Veranderungen und Umwandlungen dieser verschie- denen Arten ebenso bis ins kleinste Detail hinein verfolgen, wie die Veranderungen der Materie, wofur wir in der Folge zahlreiche Beispiele finden werden. Ohne Zweifel beruht 104 If- Abschnitt. Formulierung nnd Beweis des Princips. zum grossen Theil auf dieser Analogie die verhaltnismassig iiberraschende Leiehtigkeit uud die sieghafte Klarheit, mit der sich das Princip der Erhaltung der Energie binnen weniger Jahre die allgemeine Anerkennung eroberte und in der Uber- zeugung eines Jeden festsetzte. Man konnte hier die Frage aufwerfen, ob es denn wirk- lich fiir die gesunde Weiterentwickelung des Princips von Nutzen ist, in dieser Weise von der primaren Definition des Begriffes abzuweichen und ihm eine specielle physikalische Deutung zu geben, die doch schliesslich nur auf einer Ana- logie beruht, also an und fiir sich zu gar keinen Schliissen berechtigt. In der That muss zugegeben werden, dass diese Frage von vorneherein durchaus nicht unstatthaft ist, ja, es lasst sich sogar nachweisen, dass gerade durch diese ver- anderte Auffassung der BegrifF der Energie (nicht ihr Wert, der ja durch die allgemeine Definition ein fur allemal gegeben ist) etwas Unbestimmtes bekommt. Man denke z. B. an die verschiedenen Deutungen, die man dem Begriff der elektro- statischen Energie eines Systems von geladenen Leitern im Gleichgewichtszustand geben kann. Die Einen suchen die Energie in einem Zwangszustand der das Leitersystem um- gebenden Dielektrica, raumlich iiber alle Dielektrica hin er- streckt, die Andern in einer Fernewirkung der elektrischen Ladungen der Leiter, auf den Oberflachen der Leiter ausge- breitet. Solange man den Widerstreit der beiden Theorien unentschieden lasst, d. h. sich auf die Betrachtung von Natur- vorgangen beschrankt, die durch beide gleich befriedigend erklart werden, bleibt diese Frage vollstandig offen; die Un- bestimmtheit liegt dann im Begriff der Energie, man kennt den Platz nicht, den man ihr anweisen soil, und hat auch kein Mittel, ihn zu finden. Ware man dagegen bei der ur- spriinglichen Definition stehen geblieben, so hatte man die Energie ebeu nur als eine bestimnite Zahl, als einen gewissen Arbeitsbetrag, aufzufassen, wobei natiirlich jede Unbestimmt- heit des Begriffes ausgeschlossen ist. Indessen ist doch gerade an dem genannten Beispiel, dem spater noch andere folgen werden, unverkennbar, dass mit der hier in Rede stehenden substanziellen Deutung des Be- griffes der Energie nicht nur eine Veruiehrung der Anschau- II. Abschnitt. Formulierung nnd Beweis des Princips. 1Q5 lichkeit, sonderu auch ein directer Fortschritt in der Er- kenntnis verbunden ist. Dieser Fortschritt beruht auf der Anregung zur weiteren physikalischen Forschung. Man wird sich nun nicht mehr damit begniigen, den Zahlenwert der Energie des Systems zu kennen, sondern man wird versuchen, die Existenz der versehiedenen Arten der Energie an den verschiedenen Elementen des Systems im einzelnen nachzu- weisen, und den Ubergang in andere Formen und zu anderen Elementen ebenso verfolgen, wie die Bewegung eines Quan- tums Materie im Raum. Sobald man aber auf diese Frage eingeht, nimmt die Unbestimmtheit , die vorher im Begriffe selber lag, die Form eines der Losung fahigen physikalischen Problems an, und in der That steht zu erwarten, dass auf diese Weise, durch Erforschung der Wirkungsweise aller in der Natur thatigen Agentien bis ins einzelne, auch die physi- kalische Bedeutung der Energie eine ganz bestimmte werden wird, so dass wir dann die gesammte Energie eines materiellen Systems als ein Aggregat von lauter eiuzelnen Elementen ansehen konnen, deren jedes seinen bestimmten, besonderen Sitz in der Materie hat. Gewiss ist zuzugeben, dass diese (soznsagen materielle) Auffassung der Energie als eines Vor- raths von Wirkungen, dessen Menge durch den augenblick- lichen Zustand des materiellen Systems bestimmt ist, mog- licherweise spater einmal ihre Dienste gethan haben und einer anderen, allgemeineren und hoheren, Vorstellung Platz machen wird: gegenw'artig ist es jedenfalls Sache der physikalischen Forschung, diese Auffassung als die anschaulichste und frucht- barste iiberall bis ins einzelne durchzubilden und ihre Con- sequenzen an der Hand der Erfahrung zu priifen; es lasst sich in dieser Richtung, wie wir spater sehen werden, noch mancher neue Gesichtspunkt auffinden. Indem wir uns nun an die Aufgabe machen, diese Durch- fiihrung systematisch ins Werk zu setzen, wobei wir zugleich auch die fur die Anwendung bequemsten Formen des Prin- cips kennen lernen werden, gehen wir aus von der Betrach- tung eines beliebigen in der Natur mit irgend ein em mate- riellen System vor sich gehenden Processes. Ein solcher Process besteht immer in einer Reihe von Veranderungen, die das System erleidet, und zwar konnen wir hiebei immer zwei 106 II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. Falle unterscheiden. Entweder: die in dem System statt- findenden Veranderungen sind vollkommen unabhangig von der ausseren Umgebung, in der sich das System befindet, so dass der Process genau ebenso verlaufen wiirde, wenn man sich alle nicht zum System gehorige Materie aus dem Rauni entfernt denkt, in diesem Falle sprechen wir nur von inneren Wirkungen. Oder: der Verlauf des Processes ist wesentlich beeinflusst durch das Vorhandensein ausserer Korper dann haben wir ausser den etwaigen inneren Wir- kungen auch aussere mit in Betracht zu ziehen. Es ist klar, dass dieser Unterschied zwischen inneren und ausseren Wir- kungen keiri absoluter ist, sondern wesentlich abhangt von der Wahl des materiellen Systems: wir konnen jede aussere Wirkung dadurch zu einer inneren machen, dass wir die Korper, in denen oder zwischen denen sie stattfindet, mit in das System einbegriffeii denken, und werden es daher, fur einen beliebig angenommenen Process, durch gehorige Aus- dehnung des Systems immer erreichen konnen, dass alle Ver- anderungen sich als innere Wirkungen darstellen. Streng genommen gibt es zwar iiberhaupt keinen Process, der nur in inneren Wirkungen besteht, da ja sammtliche Korper des Weltalls in steter Wechselbeziehung miteinander stehen, so dass, wie weit hinaus wir unser materielles System auch er- strecken mogen, es immer noch ausserhalb desselben Materie geben wird, welche eine Wirkung darauf ausiibt. Indessen: iiberall, wo es auf Zahlen ankommt, genu'gt es, nur diejenigen Grossen in Betracht zu ziehen, welche oberhalb einer gewis- seu kleinen Grenze liegen, so dass wir thatsachlich bei jeder Naturerscheinung trotz der Ausschliessung einer unendlichen Anzahl von Korpern es immer werden dahin bringen konnen, nur innere Wirkungen untersuchen zu miissen. Diese Wahl des Systems wollen wir uns fur die nachstfolgenden Betrach- tungen immer vollzogen denken, so dass wir zunachst stets nur von inneren Wirkungen zu reden haben. Fur diesen Fall spricht sich das Princip der Erhaltung der Energie nach Seite 102 in der Form aus, class die Energie des Systems 'eine constante, mit der Zeit unveranderliche Grosse ist. Bezeichnen wir also den Zustand des Korper- systems zur Zeit des Beginns der Veranderungen als Anfaugs- II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 107 zustand, einen anderen (in endlicher oder unendlich kleiner Zeit) darauf folgenden als Endzustand des Processes, so ist die Energie des Systems im Anfangszustand gleich der im Endzustand, oder: die Differenz der Energien im Aufangs- und Endzustand ist gleich 0. Um nun diesen Satz niit Vor- theil anwenden zu konnen, ist es notig, den allgemeinen Ausdruck der Energie des Systems zu kennen. Die Energie ist aber, wie wir wissen, durch den augenblicklichen Zustand des Systems (bis auf eine additive Constante) vollstandig be- stimmt, sie muss sich also als eine eindeutige Function der- jenigen Grossen darstellen lassen, welche diesen Zustand bestimmen. Es handelt sich daher jetzt vor allem um die Frage: Welches sind die Grossen, die den Zustand eines materiellen Systems bestimmen? und diese Frage fiihrt zu einer naheren Erorterung des Zustandbegriffes uberhaupt. Beschrankt man sich auf die Betrachtung von Bewegungs- erscheinungen, so lasst sich der Zustand eines Systems von Punkten bezeichnen als der Inbegriff der Lagen und der Geschwindigkeiten aller Punkte des Systems. Die Bestim- nitmgsstucke des Zustandes sind also die Raumcoordinaten der Punkte und ihre ersten Differenzialquotienten nach der Zeit, von diesen Grossen allem hangt die Energie des Systems ab; wenn sie gegeben sind, ist uberhaupt der ganze Verlauf der Bewegung, mithin alle Variabeln des Systems als Func- tionen der Zeit bestimmt. Fur beliebige physikalische Er- scheinungen reicht aber diese Definition des Zustandes nicht aus, und wir wollen daher allgemeiner folgendermassen defi- nieren: ,,Der Zustand eines materiellen Systems in eiiiem bestimmten Zeitpunkt ist der Inbegriff aller derjenigen Grossen, durch deren augenblicklichen Wert der ganze zeitliche Ver- lauf des in dem System stattfindenden Processes vollstandig bestimmt ist." (Aussere Wirkungen sind hier ja ausgeschlos- sen.) Die Energie des Systems erscheint dann als eine be- stimmte Function dieser Grossen. Zu diesen ,,Bestimmungsstucken des Zustands" (kurz: ; ,Zustandsgrossen") gehoren, ausser den schon erwahnten auf die Mechanik beziiglichen Variabeln, die Temperatur, die elek- trische und magnetische Dichte, die galvanische Strominten- sitat u. s. w. Ausgeschlossen dagegen sind Grossen wie die 108 II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. Beschleunigung, die Strom irngsgeschwiudigkeit der geleiteten Warme u. s. w., denn diese Grossen sind immer schon durch die vorigen mitbestimmt, ibre Kenntnis ist also nicht niehr erforderlich fur die Bestimmung des zeitlichen Verlaufs eines Processes. Dies gilt auch dann, wenn, wie beim Weber'schen elektrischen Grundgesetz, die Kraft ausser von der Lage und der Geschwindigkeit auch noch von der Beschleunigung ab- hangig gesetzt wird; denn da andrerseits die Kraft pro- portional der Beschleunigung angenommen wird 1 ), erhalt man schliesslich doch iramer eine Relation, welche die Be- schleunigung ein fiir alle Mai auf Lage und Geschwindigkeit zuriickfuhrt, so dass sie nieraals willkiirlich gegeben werden darf, ein Punkt, der manchuial iibersehen worden ist. Im allgemeinen werden die Zustandsgrossen alle von ein- ander unabhangig sein, so dass man, um den Zustand voll- standig angeben zu konnen, den Wert jeder einzelnen dieser Variabeln kenneri muss; indessen kommt es doch auch haufig vor, dass durch feste, von vorneherein gegebene Bedingungen eine Anzahl von Relationen zwischen diesen verschiedenen Grossen vorgeschrieben ist, welche einige derselben als ab- hangig von den iibrigen erscheinen lassen. Einen solchen Fall haben wir z. B. in der Mechanik, wenn zwischen den Coordinaten der beweglichen Punkte bestimmte Bedingungs- gleichungen bestehen, also wenn etwa zwei Punkte mit ein- ander durch eine Gerade von constanter Lange verbunden sind. Dann siiid offenbar Lagen und Geschwindigkeiten nicht von einander unabhangig, sondern der Zustand ist schon durch weniger Variabeln bestimmt, als wenn die Punkte voll- kommen frei sind. Ahnliche Falle treffen wir oft an bei anderen Processen. So z. B. stellt das Ohm'sche Gesetz in seiner Anwendung auf den stationaren Strom einer galvanischen Batterie eine solche Relation zwischen Zustandsgrossen dar. Die elektro- motorische Kraft der Kette (Summe der elektrischen Span- nungen je zweier sich beriihrender Leiter), der Widerstand und die Strornmtensitat sind alles Zustandsgrossen, im all- 1) W. Weber: Elektrodynamisehe Maassbestimmungen, insbeson- dere iiber das Princip der Erhaltung der Energie. Abh. d. k. sachs. Ges. d. Wiss. X. Nr. 1, p. 1, 1871. Vgl. auch IX, p. 573, 1864. IT. Abschnitt. Formulierung uud Beweis des Princips. 1()9 gemeinen miissen daher die Werte aller drei Grossen unab- hangig von einander gegeben sein, wenri der augenblickliche Zustand des ganzen den Strom leitenden Korpersystems be- stimmt sein soil; riur die von vorneherein gestellte Bedingung, dass der Zustand stationar ist, fiihrt eine Abhangigkeit dieser Grossen von einander herbei, so dass eine derselben durch die beiden andern bestimmt erscheint. Lasst man aber diese Bedingung fallen, so hindert nichts, anzunehmen, dass in einem Augenblick eine Stromintensitat besteht, die dem von deni Ohm'schen Gesetz fiir den stationaren Zustand geforder- ten Wert nicht entspricht, ja, so lange sie nicht besonders gegeben ist, clarf man den Zustand gar nicht als bestimmt annehinen; es wird dann im allgemeinen die Stromintensitat nicht constant bleiben, sondern sich in gewisser Weise ver- audern, um eventuell in den stationaren Zustand uberzugehen. Dies zeigt sich z. B. bei der Erscheinung des allmahlichen Ansteigens eines Stromes von dem Augenblick an, wo die Leitung geschlossen ist; die Intensitat wachst dann in kiir- zerer oder langerer Zeit von auf ihre constante Hohe. In seiner Allgemeinheit genommen spricht. aber das Ohm'sche Gesetz durchaus keine Beziehung zwischen Zustandsgrossen aus, da der allgenieine Ausdruck der elektromotorischen Kraft ein Glied enthalt, das von der Induction des eigenen oder eines fremden Stromes herriihrt, und dieses Glied enthalt seinerseits den Differenzialquotienten der Stromintensitat nach der Zeit, der nicht zu den Zustandsgrossen gehort. Betrachten wir noch ein weiteres Beispiel : die temporare Magnetisierung. Setzt man der gebrauchlichen, von Poisson begrundeten, Theorie zufolge in einem magnetisch inducierten Korper, z. B. weichem Eisen, das magnetische Moment pro- portional der magnetisierenden Kraft, so erhalt man damit wieder eine Relation zwischen lauter Zustandsgrossen; denn auch die magnetische Kraft lasst sich ja unmittelbar durch den magnetischen Zustand des Korpers und der Umgebung ausdrucken. Aber andrerseits 'ist auch bekannt, dass diese Relation nur einem gewissen, nach Ablauf einer endlichen Zeit eingetretenen Gleichgewichtszustand entspricht, und dass man, falls diese Zeit mit in Rechnung gebracht wird, sehr wohl von einem Zustand ausgehen kann, in dem das magne- 110 II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. tische Moment noch nicht den Wert erreicht hat, den es zufolge einer bestimmten magnetisierenden Kraft im Gleich- gewichtszustand annehmen wurde. Uberhaupt 1st ersichtlich ? dass jeder stationare und jeder Gleichgewichtszustand eine besondere Bedingungsgleichung zwischen Zustaudsgrossen in- volviert. Was nun diese in gewissen Fallen eintretende Abhangig- keit der Zustandsgrossen von einander fiir unsere Betrach- tungen so wichtig macht, 1st der Umstand, dass sicb in jedem solchen Falle der Ausdruck der Energie in verschiedene For me n bringen lasst und dadurch gerade zu der schon Seite 104 angegebenen Unbestimmtbeit des Begriffes Veran- lassung gibt. Seben wir namlich jetzt zu, wie man in eiuem bestimmten vorgelegten Falle, fur ein gegebenes materielles System in einem bestimmten Zustand, zu dem Ausdruck der Energie gelaugt. Zunachst ist daran festzuhalten , dass der Zahlenwert dieser Grosse, wie er aus der allgememen Defini- tion hervorgeht, stets eindeutig bestimmt ist; man findet ihn aus den Vorschriften der Definition, dadurcb dass man erst nach Willkiir einen Nullzustand fixierfc und dann auf die angegebene Weise den Arbeitswert der ausseren Wirkungen misst, welcbe durch den Ubergang in den Nullzustand her- vorgerufen werden. Ist der Zahlenwert fur einen bestimm- ten Fall gefunden, so hat man damit naturlich noch nicht den allgemeinen Ausdruck der Energie des Systems in seiner Abhangigkeit von den Zustandsgrossen, sondern muss nun weiter untersuchen, wie sich der gefundene Zahlenwert andert, wenn die Bestimmungsstucke des Zustands variiert werden. Diese Untersuchung fallt unter die allgemeine Aufgabe jeder experimentellen Forschung, bei der es sich darum handelt, die quantitative Abhangigkeit einer Erscheinung von einer anderen durch'Versuch festzustellen. Gesetzt nun, es sei das Gesetz dieser Abhangigkeit gefunden, so wird man die Energie des Systems als Function der Zustandsgrossen ausdriicken konnen, und hat so die Aufgabe gelost. Doch werden eben hier zwei Falle zu unterscheiden sein. Wenn die Zustandsgrossen wirklich auf alle mogliche Weise variiert waren, so lasst sich der Wert der Energie nur auf eine einzige Art als Function dieser Grossen darstellen, da II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. HI dann die Variabeln alle von einander unabhangig sind. Diese Function wollen wir im folgenden den ,, primaren" Ausdruck der Energie nennen, er hat allgemeine und unbedingte Gel- tung. Oftmals wird es aber vorkomrnen, dass man nicht von alien moglichen Wertcombinationen der Zustandsgrossen aus- ging, sondern etwa nur von Gleichgewichts- oder stationaren oder iiberhaupt solchen Zustanden, deren Mannigfaltigkeit, wie vorher geschildert, durch eine oder raehrere Bedingungs- gleichungen zwischen den Zustandsgrossen eiugeschrankt ist. In jedem solchen Falle ist der Ausdruck der Energie als Function der Zustandsgrossen nicht eindeutig bestimmt, son- dern kann, mit Benutzung jener Bedingungsgleichungen , in verschiedene Formen gebracht werden, indem irgend eine Variable durch irgend welche andere ersetzt wird; dann ist auch die Entscheidung uber die Form des primaren Ausdrucks der Energie unmoglich und bleibt es, solange man sich auf die betrachteten Zustande beschrankt. Wir sehen also hier- aus unter anderem, dass die Berechnung der Energie aus Gleichgewichts- oder auch nur stationaren Zustanden niemals zum primaren Ausdruck derselben fuhren kann, wie sich dies schon aus dem Seite 104 angefiihrten Beispiel eines elektro- statischen Gleichgewichtszustarides ersehen lasst. Hier ist in der That heutzutage noch nicht mit Bestimrntheit entschie- den, welche der beiden angegebenen Formen den primaren Ausdruck der Energie darstellt, und man kann bis dahin nach Willkiir jede derselben als die primare betrachten. Ahnliches gilt von den andereu Seite 108 f. angefiihrten Fallen. Nehmen wir z. B. einen stationaren galvanischen Strom von der Inten- sitat ?', der elektromotorischen Kraft e, dem Gesammtwider- stand w, dann liisst sich die in dem Widerstand w in der Zeiteinheit erzeugte Joule'sche Warnie auf verschiedene Weise ausdriicken: durch i 2 w oder durch e-i oder auch durch . Welcher von diesen Werten als der primare Aus- druck der Warmeerzeugung anzusehen ist, lasst sich erst dann entscheiden, wenn man von station'aren Stromen zu nichtstationaren iibergeht, d. h. die Bedingung aufgibt, welche hier die Zustandsgrossen aneinarider knlipft; man findet dann, dass allein i' z w den gesuchten primaren Ausdruck darstellt. 112 II. Abschnitt. Formulierimg und Beweis des Princips. Wir wollen nock einen anderen ebenfalls hierher ge- horigen Fall zur Sprache bringen, der die Bestimmung der Energie eines elastischen Korpers betrifft. Wenn ein voll- kommen elastischer (fester oder fliissiger) Korper vermoge der ihm innewohnenden Krafte Bewegungen (Schwingungen) vollfiihrt, ohne dass er dabei von aussen irgend eine Ein- wirkung, die mit Arbeitsleistung verbunden ist, erfahrt, so ist nach unserem Princip seine Energie von der Zeit unab- hangig. Nehmen wir nun weiter an, die Bewegung sei der- art, dass etwaige Temperaturdifferenzen, die in ihrem Verlauf durch die Deformationen entstehen, nicht durch Warme- leitung zur Ausgleichung kommen, wie man das z. B. bei Schallsehwinguugen in der Regel voraussetzen kann, so ist der augenblickliche Zustand des Korpers immer schon be- stimmt durch Lage (Deformation) und Geschwindigkeit aller seiner Theilchen, insbesondere hangt die Temperatur eines Theilchens nur von seiner Deformation ab, und es kann da- her auch der Wert der Energie als Function von Lage und Geschwindigkeit allein dargestellt werden. Da nun die Ge- schwindigkeit immer in der Form der lebendigen Kraft in dem Ausdruck der Energie enthalten ist, so ziehen wir aus der Unveranderlichkeit der Gesammt-Energie den Schluss, dass die Summe der lebendigen Kraft und einer gewissen Function der Deformation wahrend der ganzen Bewegung constant ist. Diese Function der Deformation fiihrt bekannt- lich den Namen Kraftefunction oder Potenzial der elastischen Krafte, sie stellt diejenige Energieart vor, welche durch die Gesammtheit der Deformationen bedingt ist. Indes ist zu bedenken, dass diese Form des Wertes der Energie nicht aus dem allgemeinsten Zustand des Korpers abgeleitet ist, son- dern nur aus solchen Zustanden, die dadurch auseinander hervorgehen, dass man die Warmeleiturig ausschliesst. Wir haben also hier wieder den Fall einer Bedingung zwischen den Zustandsgrossen, und in der That lasst sich leicht zeigen, dass die Kraftefunction nicht den primiiren Ausdruck der Energie bildet; sie verliert daher ihre Bedeutung, wenn man die hier gemachte Beschrankung aufhebt und zur Betrach- tung allgemeinerer Zustande iibergeht. Am klarsten tritt dies hervor bei den Bewegungen soge- II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 113 nannter vollkommener Gase ; well fur sie der primare Ausdruck der Energie allgemein bekannt ist. Betrachten wir einmal em solches Gas, welches Schwingungen ausfiihrt, etwa bei constantem Gesammtvolumen, damit aussere Wirkungen aus- geschlossen bleiben, und berechnen wir zunachst seine Kriifte- function unter der oben gemachten Voraussetzung, dass keine Warmeleitung im Innern stattfindet. Dann ist der Druck p eines Massentheilchens vollstandig bestimnit durch sein Vo- lumen v, es ist n'amlich: G '--*' v c v wobei C eine von der Natur des Gases abhangige Constante, c p und c v die beiden specifischen Warmen bedeuten, und die Kraftefunction nimmt den Wert an: / + const. Zufolge dem Princip der Erhaltung der Energie ist dann die Summe der gesammten lebendigen Kraft der Schwinguugen und der iiber alle Massentheile erstreckten Kraftefunction von der Zeit unabhangig. Die Kraftefunction bildet nun aber nicbt den primaren Ausdruck der Energie, derselbe lautet vielraebr fiir die Masseneinheit : c v ft -}- const., gauz unab- hangig vom Volumen. Hiebei ist # die absolute Temperatur, c v ist auf mechanisches Arbeitsniaass bezogen. Wir konnen also jedenfalls den nanilichen Satz auch fiir den Fall aus- sprechen, dass wir statt der Kraftefunction (auf die Massen- einheit bezogen) den Ausdruck c v - & -f- const, einsetzen. In der That iiberzeugt man sich unmittelbar ; dass unter den hier augenommenen Bedingungen diese beiden Ausdrucke gleichwertig sind ? da Cv v C v denn mit Benutzung des obigen Wertes von p erhalten wir hieraus : i - . p v = #, Cp Cv * Planck, Euergie. 8 114 II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. eine Gleichung, die ganz allgemein fur jeden Zustand eines vollkommenen Gases gilt. So lange man an der hier betrachteten Art der Bewe- gungen festhalt, ist es vollstandig gleichgiltig , welche der beiden Fornien der Energie man der Rechnung und An- schauung zu Grunde legt; die erstgenannte hat sogar den Vorzug, dass man bei ihr die Anderungen der Temperatur gar nicht zu beriicksichtigen braucht; daher bedient man sich ihrer meistens in der Elasticitatslehre. Sobald aber die gemachte Beschrankung durchbrochen wird, ist es notwendig, auf den primaren Ausdruck der Energie zuriickzugreifen. Da, wie wir gesehen haben, die Gewinnung der primaren Form der Energie an die Aufhebung einer jeden beschr'an- kendeii Bedingung zwischen den Zustandsgrossen gekniipft ist, so kann man niemals behaupten, dass wir uns wirklich im Besitze dieser primaren Form befinden; denn wir sind keineswegs sicher, ob die Zustaude, mit denen wir operieren, in der That die allgemeinsten sind. So pflegen wir z. B. als primaren Ausdruck der Energie zweier gegeneinander gravitierender Massen das Product dieser Massen, dividiert durch ihren Abstand, anzusehen, eine Auffassung, die aus der Vorstellung einer unmittelbareii Fernewirkung entspringt. Es ware aber sehr wohl denkbar, und in Anbetracht der Richtung, welche die Entwickelung der physikalischen Theorien in jiingster Zeit genommen hat, sogar nicht imwahrscheinlich, dass man eiiimal von dieser Vorstellung einer unvermittelten, momentan in die Feme wirkenden Anziehungskraft abgeht und an ihre Stelle eine Wirkung substituiert, die sich in niessbarer Zeit durch das Zwischenmediuni vermittelst einer eigentiimlichen Deformation desselben von Theilchen zu Theilchen fortpflanzt. Sollte diese Anschauung wirklich ein- mal Platz greifen, so konnten wir den bisher gebrauchten Ausdruck der Energie nicht mehr als den primaren be- trachten, seine Gilti'gkeit ist an die Bedingung gekniipft, dass die von der einen Masse ausgehende Wirkung bei der andern bereits angelangt ist, und sich im Zwischenmediuni ein station'arer Zustand gebildet hat. Dieser Zustand ist dann aber nicht mehr der allgemeinste , und in der That wiirde dann der primare Ausdruck der Energie seine Form II. Absclmitt. Formulierung und Beweis des Princips. 115 lindern und sich als ein Integral darstellen, das iiber das ge- sammte Zwischenmedium zu erstrecken ist. Selbstverstandlich bleibt diese Frage so lange offen und jeder der beiden Aus- driicke der Energie gleich berechtigt, als man auf die Unter- suclmng eines solchen allgemeineren Zustandes verzichtet. Wie anregend die Frage nach dem primaren Ausdruck der Euergie auf die Forschung nacli neuen Erscheinungeu wirkt, darauf haben wir schon oben (S. 105) aufraerksam gemacht. Wir wollen nun fur das Folgencle die Annahme machen ; dass uns der primare Ausdruck der Energie bekannt ist, so- weit eben die Allgemeinheit der von uns betrachteten Zu- stiinde reicht. Uberall, wo dies nicht mit Sicherheit der Fall ist, beschriinken wir lieber vorlaufig jene Allgemeinheit; wenn wir uns z. B. in der Elektrostatik mit der Betraehtung von Gleichgewichtszustanden (der Elektricitat) begniigen, diirfen wir es ganz unentschieden lassen , ob die elektrostatiscbe Energie mit Faraday-Maxwell im Innern des Dielektricurns oder mit Coulomb- Weber auf der Oberflache der Leiter zu suchen ist, uud nach Belieben jeden der entsprechenden Aus- driicke als den primaren betrachten. Im iibrigen wollen wir uns das zu Gruude liegende materielle System in mog- lichst mannigfaltigen Umstanden befindlich vorstellen: es mogen sich darin bewegte und ruhende Korper befinden, wiirmere und kaltere, leuchtende und dunkle, Leiter und Nichtleiter, elektrische, von Stromen durchflossene uud mag- netische Korper, kurz es mogen alle nur denkbaren physi- kalischen Erscheinungen in dem System vertreten sein. Dann zeigt sich zunacht die merkwiirdige Thatsache, dass der (pri- mare) Ausdruck der Energie in der Form einer Summe auftritt, deren einzelne Glieder aus bestimmten, den einzelnen besonderen Erscheinungsformen entsprechenden Zustands- grossen zusammengesetzt sind. Somit zerfallt der Wert der gesammten Energie von selber in eine Anzahl von Einzel- energien, die untereinander unabhangig sind, und deren jede in besonderer Weise aus einer einzelnen Eigenschaft des be- trachteten Zustandes hervorgeht. Dadurch werden wir ver- anlasst, in dem System verschiedene Arten von Energie zu unterscheiden, so eine mechanische, eine thermische, eine chemische, eine elektrische, eine magnetische Energie; durch 8* 116 II- Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. Summation derselben erhalten wir daraus die Gesammtenergie des Systems. Diese Thatsache, welche wir als das Princip der Uber- einanderlagerung (Superposition) der Energien bezeichnen kounen, hangt wesentlich mit dem Umstand zusammeii, dass viele in der Natur auftretende Erscheinungen ganzlich unab- hangig von einander verlaufen : die 'Erwarmung eines Korpers andert seine Schwere nicht, eine elektrostatische Ladung bleibt ohne Einfluss auf den Magnetismus, u. s. w., mag man nun diesen Umstand als die Ursache oder als die Folge jener Thatsache betrachten. Wir wollen das Princip der Uber- einanderlagerung der Energien, welches die Verallgemeinerung einer ganzen Reihe in der Physik wohlbekannter Satze aus- spricht, hier einfach als durch die Erfahrung gegeben hin- nehmen, es wird uns bei der ferneren Behandlung unserer Aufgabe ein ausserst wertvolles Hilfsmittel fiir die Erschlies- sung weiterer Folgerungen aus dem Erhaltungsprincip ab- geben. Urn die Ubersicht fiber die einzelnen Glieder jener Energiensumme zu erleichtern, hat man nach verschiedenen Gesichtspunkten Eintheilungen derselben vorgenommen, so ausser der bereits von uns erwahnten, die auf die Verschie- denartigkeit der einzelnen Naturerscheinungen basiert ist und wohl als die zunachstliegende gelten kann, die Eintheilung in zwei Summanden: Actuelle und potenzielle Energie (Energie der Bewegung und der Lage ; S. 68). Diese Eintheilung be- ruht auf der Voraussetzung , dass alle Veriinderungen in der Natur mechanischer BeschafFenheit sind, sie rechnet alle Glieder, die nur von den Geschwindigkeiten abhangen, zur actuellen Energie, alle, die nur von den Lagen abhangen, zur potenziellen Energie. Seitdem man allerdings gefunden hat, dass es auch Energiearten gibt, die durch Lage und Geschwindigkeit zugleich bestimmt sind, ist die Art der An- wendung dieser Eintheilung etwas zweifelhaft geworden. Das ist z. B. der Fall bei der sogenannten elektrokinetischen Energie eines galvanischen Stromes, die nicht nur von der Intensitat des Stromes, sondern auch von der relativen Lage der einzelnen Stromelemente abhangig ist; ob diese Energie als actuelle oder als potenzielle angesprochen werden muss, II. Abschnitt. Forinulierung und Beweis des Princips. H7 lasst sich uicht klar ersehen, gewohnlich geschieht allerdings das Erstere (vgl. 3. Abschnitt). Im Grunde koniuit natiirlich nichts darauf an, da der Wert der Gesammtenergie von dieser Yerschiedeuheit der Auffassung unbertihrt bleibt. Eine audere Eintheilungsart liefert die Unterscheidung zwischen ausserer und innerer Energie, wobei man unter ausserer Euergie im wesentlichen dasselbe versteht wie unter me- clianischer Energie im engeren Sinn (Energie der molaren Bewegung), unter innerer Energie aber den Rest der ge- sammteu Energie. Wieder riach einem anderen Gesichtspunkt, n'amlich nach der Moglichkeit der unniittelbaren Verwandlung in mechanisclie Arbeit, hat Helmholtz in neuerer Zeit die Eintheilung in freie und gebundene Energie vorgenommen. Indein wir die Besprechung der einzelnen Energiearten dem letzten Abschnitt dieser Schrift iiberweisen, wollen wir hier zunachst nur auf die Bequernlichkeit hindeuten, welche aus der Giltigkeit des Princips der Superposition der Energien fiir die Auschauung des Begriffes und fiir die Berechnung des Wertes der Gesammtenergie erwachst. Hiernach konnen wir uns die Gesammtenergie des Systems als einen durch einfaches Aneinanderreihen der Einzelenergien entstandenen Vorrath vorstellen, gerade so wie das Gesammtgewicht eines Korpers aus dem Aufeinanderhaufen der einzelnen in ihin enthaltenen chemischen Elemente hervorgeht. Dabei kann die Grbsse jeder einzelnen Energieart fiir sich allein berech- net werdeu, ganz unabhangig von auderen Eigenschaften des betrachteten Systems, wenn man nur die speciellen Zu- standsgrossen kennt, die ihr entsprechen. Wir kommen so dazu, jeder Energieart in Gedanken ihren besonderen Platz in der Materie anzuweisen und erreichen dadurch den prak- tischen Vortheil einer erleichterten Ubersicht fiber die ein- zelnen Energiearten, die uns vor dem Fehler bewahrt, eine derselben bei der Berechuung der Gesammtenergie ausser Acht zu lassen. Im allgemeinen entspricht jeder in dem System wirksamen Kraft, oder iiberhaupt jeder besonderen Eigenschaft des Systems eine besondere Euergieart, die man sich an derjenigen Stelle befindlich vorstellen mag, an welcher jene Eigenschaft zur Erscheinung kommt. Wenn in dem System nur solche Krafte thatig sind, die 118 II. Abschnitt. Formulierung uud Beweis des Princips. nur in unmessbar kleinen Entfernungen wirken, so wird die Wirkung auf irgend ein materielles Theilchen nur abhangig sein von dem Zustand dieses Theilchens selber, resp. seiner unmittelbaren Umgebung, und man erhalt dann die Energie des Systems einfach durch Summation der Energien aller materiellen Theilchen desselben. Wesentlich anders ist es aber, wenn Krafte vorkommen, die unmittelbar in die Feme wirken, da die durch eine solche Kraft bedingte Energie im allgemeinen von denselben Grossen abhangen wird, wie die Kraft selber, also namentlich von der Entfernung der beiden aufeinander wirkenden Elemente. In diesem Fall ist die Eiiergie ihrem Begriffe nach in der gleichzeitigen Lage der beiden Elemente begrtindet, ihr Sitz befindet sich also nicht an einer einzigen Stelle im Raum, und man kann nicht mehr die Gesammtenergie des Systems gleich der Sumnie der Energien der eiiizelnen materiellen Elemeute setzen, vielmehr hat man zu dieser Summe noch diejenigen Energie- arten hinzuzufugen, die durch die Fernewirkungen je zweier Elemente bedingt sind. Gesetzt nun, wir batten den Aus- druck der Gesammtenergie als Summe der einzelnen Energie- arten gefunden, so haben wir ihren Wert fur jede Veranderung des Systems unabhangig von der Zeit zu setzen, wahrend die einzelnen Energiearten ihre Grosse auf gegenseitige Kosten verandern konnen; es lasst sich also jeder Process, der in der Natur vor sich geht, auffassen als eine Umwandlung einzelner Energiearten ineinander, wahrend ihre Summe, der gesammte im System vorhandene Vorrath von Energie, weder vermehrt noch vermindert werden kann. Wir wollen nun um einen Schritt weiter gehen. Die bisherigen Betrachtungen bezogen sich nur auf Veranderungen des Systems, die lediglich von inneren Wirkungen herriihren, wahrend die nicht zum System gehorige Materie gar keinen Einfluss auf dasselbe ausiibte. Wiirde sich die Anwendung des Princips nur auf diesen Fall erstrecken, so konnte man verhaltnismassig wenig Nutzen aus ihm ziehen; denn es liefert dann nur eine einzige Gleichung, eben die, welche die Constanz der Energie ausspricht. Zudem musste man bei einem gegebenen Process, um alle ausseren Wirkungen auszuschliessen, im allgemeinen stets eine betrachtliche An- II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 119 zahl von Korpern in das System tnit einbegreifen , dadurch wiirde die Zahl der den Zustand bestimmenden Grossen cine bedeutende, und die eine Gleichuug des Princips der Er- haltung der Energie wtirde hier wenig leisten. Wir wollen nun aber zeigeu, dass wir fiir irgend einen in einem ma- teriellen System vor sich gehenden Process im allgerneinen nicht nur eine, soudern unendlich viele Gleichungen aus dem Princip herleiten konnen, so dass uns dasselbe oft dazu dienen kann, den ganzen zeitlichen Verlauf des Processes eindeutig zu bestimmen. Hier zeigt sich die Analogic unseres Princips mit dem der Erhaltung der Materie in ihrer ganzen Fruchtbarkeit. Die Summe der in der Natur enthaltenen ponderabeln Massen ist unveranderlich, doch wechseln sie ihre Lage im Raum; betrachten wir also ein bestimmt abgegrenztes Raumvolumen, so ist die darin enthaltene Masse im allgemeinen nicht con- stant, sondern die Anderung (Zunahme) dieser Masse in einem gewissen Zeitraum ist gleich der in dieser Zeit von aussen in das Volumen eingetretenen Masse. Einen ganz ahnlichen Satz leiten wir fiir die Energie ernes materiellen Systems ab. Ebenso namlich, wie die Materie ihre Lage im Raum wechselt, wahrend ihre Summe constant bleibt, so wechselt die Energie ihre Lage und ihre Form in der Materie, so dass wir folgende Betrachtung anstellen konnen. In einem ma- teriellen System, das keinen ausseren Wirkungen ausgesetzt ist, bleibt die Energie constant. Greifen wir aber aus dem System einen beliebigen Complex materieller Elemente her- aus und betrachten sie als ein besonderes System, so wird dasselbe auch seine besondere Energie haben, die nach dem Muster des Ausdrucks der Energie des Gesammtsystems ge- bildet werden kann. Diese Energie wird im allgemeinen nicht constant bleiben, sie wiirde es nur dann sein, wenn das betrachtete System im Verlaufe des Processes gar keine Wirkungen von aussen erlitte, was im allgemeinen nicht der Fall sein wird; daher andert sich die Energie, und zwar eben nach Maassgabe der ausseren Wirkungen. Durch die ausseren Wirkungeu wird also (positive oder negative) Energie von aussen in das System hineingeschafft (transferiert) , in einem Betrage, der angegeben wird durch den auf Seite 102 120 II- Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. entwickelten Satz: Die einer bestimmten Zustandstinderuug eines materiellen Systems entsprechende Auderung (Vergros- serung) der Energie ist gleich dem Arbeitswert der Wirkungeu, welche ausserhalb des Systems aufgewendet worden sind, urn die Zustandsanderung zu bewerkstelligen. Natiirlich ist in diesem Satz der frfihere als specieller Fall ruit enthalten, da, wenn keine ausseren Wirkungen stattfiuden, auch. keihe Energie in das System iibergefiihrt werden kann. Die angezogene Analogic mit der Veranderung der ein bestimmtes Raumvolumeu erfiillenden Materie reicht aber nur bis zu einer gewissen Grenze, die dariu liegt, dass die gesammte in einem Raum befindliche Masse gleich der Sum me der in den einzelnen Raumtheileii enthalteneu Massen ist, wahrend eiu ahnlicher Satz fiir die in einem materiellen System enthaltene Gesammtenergie nicht existiert, wenigstens dann nicht, wenn die actio in distans zugelassen wird. (S. 118.) Die Eriergie eines Systems entbalt vielmelir ausser der Summe der Energien der einzelnen materiellen Theile noch andere Energiearten, und dadurch wird ihr Verhalten ein wenig coinplicierter. Wenn nun durch einen gegebenen Process ein materielles System eine gewisse Zustandsanderuug erleidet, so kann man sich die Berechuung des Arbeitswertes der dabei aufgewen- deten ausseren Wirkungen oft wesentlich erleichtern durch die Uberleguug, dass dieser Arbeitswert ganz unabhiingig ist von dem Wege, auf welchem die Zustaudsiinderung herbei- gefuhrt wird, dass man also statt des gegebenen Processes und statt der gegebenen ausseren Wirkungen beliebige an- dere substituieren kanu, wenn sie nur die gleiche Znstands- anderung des Systems veranlassen; deun dann ist auch der gesuchte Arbeitswert wieder der gleiche. Betrachten wir hiefiir ein Beispiel aus der Mechanik. Die Energie eines in Bewegung begriffenen Korpers (von constanter innerer Be- schaffenheit) ist seine lebendige Kraft; dieselbe bleibt con- stant,, so lange keine ausseren Wirkungen stattfinden. Wenn nun aber mechanische Krafte von aussen auf den Korper einwirken, so wird durch sie Euergie auf den Korper iiber- tragen. Dabei konnen die ausseren Wirkungen hochst mannigfacher Art sein, je nach der Natur der angeiiommeuen IT. AbBchnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 121 Krafte (Stoss-, Reibungs-, in die Feme wirkeude Krafte), es konnen sich also in der Umgebung aussere mechanische oder iimere molekulare oder thermische oder elektrische Anderun- gen vollzogen haben: der Arbeitswert dieser ausseren Wir- kungen ist aber immer gleich der Arbeit, welche die an- genomnieneu Krafte an dem Korper leisten, eirierlei woher sie stammen. Dies also ist der Betrag der in den Korper transferierten Energie, d. h. der Zuwaclis seiner lebendigen Kraft. Man sieht nun leicht, dass die Anzahl der Anwendungen des Princips in seiner letzten Fassung auf einen gegebenen Process geradezu eiue unendliche ist, sowohl nach der Zeit als auch nach der Materie. Deun wir konnen einerseits eine beliebig grosse oder kleine Zeit der Betrachtung zu Grunde legen, insbesondere eine unendlich kleine Zeit, wodurch wir die Anwendung auf Elementarprocesse erhalten, andrerseits eiiien beliebig grossen oder kleinen Complex von materiellen Elernenten, insbesondere einen unendlich kleinen, also einen Elementarkorper ; fur jeden solchen Complex liefert das Princip eine besondere Gleichung. Man hat sich jedesmal diejenige Combination auszuwahlen, fur welche sich die Rech- nung am bequemsten gestaltet, und muss selbstverstandlich dabei stets die Vorsicht iiben, von vorneherein das zu Grunde gelegte materiel le System wir wollen es im folgenden zur Abkiirzung ,,Gr und system" nennen - - genau zu fixieren. Nehmen wir z. B. irgend ein Gasquantum, das durch Compression und durch Warmezufuhr von aussen in seinem Zustand geiindert wird. Solange wir das Gas allein als Gruud- system betrachten, bestehen die aufgewendeten ausseren Wir- kungen in der Lagenanderung des comprimierenden Korpers mid in der Warmeabgabe des benutzten Warmereservoirs, die Energie des Gases wachst also um den Arbeitswert der Com- pression und der zugeleiteten Warme. Dabei ist es voll- standig gleichgiltig, ob die Compression etwa durch einen schweren Stempel bewirkt wird, der durch sein Herabsinken Arbeit leistet, oder etwa durch ein anderes Gas, das sich ausdehnt und dadurch Warme verliert, u. s. w. Es kommt hier einzig und allein auf die mechanische Arbeit an, durch welche gerade diese Compression bewirkt werden kann, auf 122 II. Abschnitt. Fornmlierung und Beweis des Princips. welche Weise, ist einerlei. (S. 121.) Nehmen wir nun speciel- ler an, die Compression werde durch einen mit einem Gewicht belasteten Stempel bewirkt, dessen Schwere dem Druck des Gases das Gleichgewicht halt, imd schliessen wir dies Gewicht mit in das Grundsystem ein, so verschwindet die Compres- sionsarbeit als aussere Wirkung, dagegen tritt statt dessen neu hinzu die Arbeit der von der Anziehung der Erde her- riihrenden, auf das Gewicht wirkenden Schwerkraft, welche der vorigen an Grosse gleich ist. Wenn wir des weiteren auch die Erde noch in das Grundsystem aufnehmen, so ver- schwindet die besprochene Arbeit als aussere Wirkung ganz, dafiir erscheint aber in dem Ausdruck der Energie des Grund- systems ein neues Glied, n'amlich die Energie der Schwere des Gewichtes, als Function der Hohe, auf der es sich be- findet. So einfach und selbstverstandlich diese Uberlegungen fur den vorgelegten Fall erscheinen, so wichtig werden sie, sobalcl man von diesen einfachen zu etwas complicierteren Zustanden iibergeht, in denen z. B. das comprimierende Ge- wicht eine gewisse Geschwindigkeit besitzt und der Druck des Gases nicht mehr gleich ist der Schwere des Gewichts. Vielleicht diirfte es nicht unzweckmassig erscheinen, bei dieser Gelegenheit eines Sprachgebrauches Erwahnung zu thun , der, unrichtig aufgefasst, leicht zu Missverstandnissen Anlass geben kann. Man spricht manchmal von der Energie eines schweren Korpers als von dem Product aus seiner Schwere und der Hohe seines Schwerpunktes. Diese Bezeich- nung ist ungehorig, wenn man sich den Korper als Grund- system denkt; denn die Energie eines Korpers hangt immer nur von seinem eigenen Zustand ab, menials zugleich von der Lagerung ausserer Massen; in der That fiiidet man bei anderen Centralkriiften diese Ausdrucksweise nicht. Um also von der Energie der Schwere reden zu konnen, muss man sich stets (wenn auch stillschweigend) die Erde mit in das Grundsystem einbegriffen denken; andernfalls ist die Arbeit der Schwerkraft nicht als Energieart, sondern als eine aussere Wirkung (der zufallig in der Nahe vorhandenen Erde vgl. Seite 93) in Rechnung zu bringen. Wenn wir die Bedeutung der Verallgemeinerung, die wir mit der urspriinglichen Fassung unseres Priucips vorgenom- II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 123 men haben, naher ins Auge fassen, so beruht dieselbe im wesentlichen darauf, class wir die eine Gleichung, welche die Erhaltung der Energie fur ein alien ausseren Wirkungen ent- zogenes System ausspricht, zerlegt haben in eine Anzahl Gleichungen, welche die Veranderungen der Energie, die Aufnahme und Abgabe derselben in den einzelnen Theilen des Systems regeln, je nach Maassgabe der entsprechendeu ausseren Wirkungen. Hiebei mochten wir jedoch noch auf einen Punkt besonders aufmerksam machen. Theilen wir das ganze System, welches gar keinen ausseren Wirkungen unter- liegt und dessen Energie also constant ist, etwa in zwei Theile, die wir einen nach dem andern als Grundsystem auf- fassen, so ware es irrig anzunehmen, dass die von de'm einen Theil in einer gewissen Zeit aufgenommene Energie gleich ist der von dem andern Theil in derselben Zeit abgegebenen. Dieser Satz wiirde nur dann gelten, wenn die Energie des ganzen Systems gleich der Summe der Energien der beiden Theilsysteme ware, was, wie wir schon wiederholt hervor- gehoben haben, im allgem einen nicht der Fall ist. Nehmen wir als Beispiel zwei materielle Punkte, welche mit einer Centralkraft aufeinander wirken. Die Energie des Systems ist danu die Summe aus den lebeudigen Kraften und dem Potenzial der Centralkraft; sie ist mit der Zeit unverander- lich. Die Energie eines einzelnen Punktes ist seine leben- dige Kraft, ihre Veranderung wird gemessen durch die aussere Wirkung, die der Punkt erleidet, d. h. durch die Arbeit, welche die Kraft an ihm leistet. Dabei kann es offenbar sehr wohl vorkommen, dass in einer gewissen Zeit auf jeden der beiden Punkte positive Energie von aussen iibergefuhrt wird, und infolge dessen die lebendigen Krafte beide zugleich wachsen. Nur wenn die Fernewirkungen ganz in Wegfall kommen, so bei Erscheinungen wie die der elastischen Wellen- beweguug, der Warmeleitung, kann man sagen, dass die auf einen materiellen Complex iibertragene Energie zugleich einem anderen entzogen wird. Uberhaupt spielen die Vorstellungen, von denen man bei der Auffassung der Wirksamkeit der Naturkrafte ausgehts hier, wo wir von der Energie eines beliebig ausgewahlten, materiellen Systems reden, eine noch wichtigere Kolle als 124 II- Abschnitt. Forraulierung und Beweis des Princips. oben, wo wir nur solche Systeme betrachteten, die keinen ausse- ren Wirkungen unterliegen. Dort (S. 110) handelte es sich nur um die primare Form der Energie, die Grosse derselbeu war fiir jeden Zustand des Systems durch die allgemeine Definition bestitnmt; sie ware es auch hier, werm man iinmer imstande ware, die Messung, wie sie die Definition vorschreibt, zu realisieren. Da aber dies infolge der unvollkommenen Beob- achtungsmittel nicht imnier der Fall ist, kanu es vorkommen, .dass fiir die Energie eines bestimmten materiellen Systems je nach den Voraussetzungen ; die man liber die Natur der wirkenden Krafte macht, nicht nur verschiedene Formen, son- dern ganz verschiedene Zahlenwerte erhalten werden, und dass man nicht imstande ist ; die entstehende Differenz auf experimentellem Wege zu schlichten. Ein Beispiel hiefiir liefert die schon wiederholt von uns besprochene Natur des elektrischen Feldes. Die Energie eines beliebig heraus- gegrifFenen Theils eines Dielektricums 1st nach den Faraday'- schen Anschauungen von verschieden, man kann aus der Uberfuhrung dieses Theils aus dem Zwangszustand in den neutralen Zustand Arbeitsleistung erhalten, wahrend uach der Weber'scheu VorstelluDg der Isolator sich stets in dem nam- lichen Zustand befindet (abgesehen von etwaigen secundaren Veranderungen), ob nun freie Elektrieitat in den Leitern vor- handen ist oder nicht. So lange durch speciellere Forschun- gen iiber diese Frage keine endgiltige Entseheidung getroffen ist, wircl es daher uotig sein, ehe man zur Aufstelluiig der Gleichung schreitet, welche das Princip der Energie aus- spricht, jedesmal zuerst genau den Standpunkt zu fixieren, den man in der Auffassung der zu .untersuchenden Vorgange inne halten will. Die von uns vorgenommene Zerlegung der Gleichung der Erhaltung der Energie griindet sich auf die Betrachtung eines aus dem urspriiijglichen System beliebig herausgegriffenen materiellen Complexes als Grundsystem, und der in denselben eintretenden oder austretenden Energie. Statt der Zerlegung des Systems in seine materiellen Theile kounen wir aber mit demselben Rechte, und manchmal niit erheblichem Vor- theil, eine andere Zerlegung vornehmen, namentlich die in die Volumentheile. Ein gegebenes Raumvolumen enthalt II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 125 zu einer bestimmten Zeit immer ein bestimmtes materielles System, und insofern dies System in dem namlichen Zeit- punkt eine bestimmte Energie besitzt, kann man von der Energie des Volumens sprechen. Die Energie eines fixen Raumvolumens wird sich nicht mit der Zeit andern , wenn weder Materie in das Volumen ein- oder austritt, noch ausser-e Wirkungen auf die in ihm enthaltene Materie stattfinden, die Anderung der Energie riihrt also immer her von einer dieser beiden Ursachen, so dass wir den Satz aussprechen konnen: Die in ein Raumvolumen transferierte Energie wird bedingt einmal durch die ausseren Wirkungen auf die darin enthal- tene Materie, und ausserdem durch den Eiutritt neuer Materie. Es wird nun darauf ankommen, ob die Aufstellung der Aus- drticke fiir die so in das Volumen iibertragene Energie durch die naheren Umstande des betrachteten Falles erleichtert wird. In der That finden sich mancherlei Anwendungen, in denen dieser Satz bequeme Dienste leistet. So z. B. bedient sich seiner im wesentlichen Clausius bei der Berechnung der in einem Leiter von einem stationaren galvanischen Strom erzeugten (Joule'schen) Warme, sei es dass, wie bei metal- lischen Leitern 1 ), die Materie des Leiters ruht, oder dass, wie bei elektrolytischen 2 ) , die Materie zugleich mit der Elektricitat im Wandern begriffen ist. Denken wir uns ein beliebiges fixes vom Strom durchflossenes Volumen, so kann die darin enthaltene Energie vergrossert werdeu 1) durch aussere Wirkungen, 2) durch neu eintretende Materie. Bei der Berechnung dieser Vergrosserung kommt es nun aber wesentlich darauf an, von welcher Vorstellung iiber die Natur des galvanischen Stromes man ausgeht. Nehmen wir zu- nachst an, die elektrischen Theilchen verhalten sich wie materielle Atome von verschwindend kleiner Tragheit, die durch die in die Feme wirkende Anziehungs- (Abstossungs)- kraft der gesammten im Leitersystem vorhandenen freien Elektricitat auf ihrer Bahn vorwarts getrieben werden, wobei wir der Einfachheit halber nur Eine Elektricitatsart als be- 1) E. Clausius: Uber die bei einem stationaren Strom in dem Leiter gethane Arbeit und erzeugte Warrne. Pogg. Ann. 87, p. 415, 1852. 2) R. Clausius: Uber die Elektricitatsleitung in Elektrolyten. Pogg. Ann. 101, p. 338, 1857. p. 340. 126 H Absclinitt. Formulierung und Beweis des Princips. weglich voraussetzen konnen, so ist die Energie eines im constanten Strome sich bewegenden materiellen Theilchens (Elektricitat, Jon) von seiner Lage unabhangig (nicht etwa mit der Potenzialfunction veranderlich, well diese von ausse- ren Massen herriihrt). Da nun in einer gewissen Zeit immer gerade ebensoviel Materie in das ,,Grundvolumen" eintritt wie austritt, so wird durch diesen Unistand keine Energie- veranderung bedingt und es bleiben allein zu beriicksichtigen die ausseren Wirkungen. Diese liefern eine Energievermeh- rung gleich der Arbeit, welche die Krafte des Gesammt- sy stems an der im ganzen Volumen stromenden Materie leisten. Um den Betrag dieser Arbeit wird also die Energie des Volumens vergrbssert, und da wegen des stationaren Zu- standes die elektriscbe Energie constant ist, muss die Ver- grosserung der thermischen Energie zu Gute kommen. Etwas anders wird der Gedankengang, wenn man sich die Elektricitat als ein feines incompressibles Fluidum vor- stellt, das durch eine, nur in unmessbar kleine Entfernungen wirkende Kraft (eiue Art Druck) durch den Leiter hindurch- gepresst wird. Auch in diesem Fall ist die Energie eines stromenden Theilchens unabhangig vom Orte (vgl. die Energie incompressible!' Fliissigkeiten, 3. Abschnitt), es wird daher hier ebensowenig wie oben durch den Eintritt von Materie in das betrachtete Volumen eine Energieanderung darin bedingt. Was aber die ausseren Wirkungen betrifft, so reducieren sich diese hier auf die Arbeit der an der Oberflache des Volumens wirksamen Krafte (alles andere sind innere Wirkuugen). Diese Arbeit ist an jedem Orte proportional dem Werte der Potenzialfunction (ebenso wie bei Fliissigkeiten dem Druck), sie ist also an den Eintrittsstellen der Stromung grosser als an den Austrittsstellen, und somit erhalten wir fiir die durch die ausseren Wirkungen geleistete Gesammtarbeit einen posi- tiven Ausdruck, dessen Wert iibereinstimmt mit dem aus der obigen Betrachtung gewonnenen. Nimmt man endlich, wie Einige wollen, an, dass die elektrische Stromung nicht in einer Translation von Materie, sondern, nach Art der Warmeleitung, in einer Fortpflanzung besonderer Bewegungsformen besteht, so ist zur Erklarung der Joule'schen Warme die Aunahrne notwendig, dass die in II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 127 einem gewissen Zeitintervall in ein Volumen eintretende lebendige Kraft dieser Bewegungen urn einen bestimmten Betrag grosser 1st als die austretende, dass also durch den Widerstand des Leiters eine Art Absorption der den Strom constituierenden Schwingungen bedingt wird. Durch die abgeleiteten Satze sind wir offenbar in den^ Stand gesetzt, fur j e des materielle Element (und jedes Volumen- element) eines Korpers aus dem Princip der Energie eine besondere Gleichung abzuleiten, und somit haben wir in der That, wie chon oben bemerkt wurde, fur jeden beliebigen Process unendlich viele Gleichungen zur Verfugung, welche in seinen Verlauf bestimmend eingreifen. Wenn es sich nun aber um die eindeutige Bestimmung des zeitlichen Verlaufs des Processes handelt, so diirfen wir bei den erhaltenen Resultaten nicht stehen bleiben; denn diese weitergeheude Aufgabe sind wir mit den bis jetzt gewonnenen Hilfsmitteln noch nicht zu losen imstande; wir w'aren es nur dann, wenn die Veranderungen eines einzelnen materiellen Elements von einer einzigen Variabeln abhingen (entsprechend der einen Gleichung, die wir fiir das Element aufstellen konnen), was ja im allgenieinen nicht der Fall ist. Wir konnen uns aber doch, wenn wir noch um einen Schritt weitergehen, in vielen Fallen die Mittel verschaffen, welche fur die Losung der angeregten Aufgabe gerade hin- reichend sind; dieser Schritt besteht in der Hereinziehung des schon oben gelegentlich benutzten Princips der Super- position der Energien. Die Energie eines materiellen Systems stellt sich erfahrungsgem'as dar als die Summe aus den einzelnen Energiearten, die unter einander vollstandig unabh'angig sind, und daher zerfallt der Gesammtvorrath von Energie auch dem Begriffe nach in eine Reihe von Einzel- energien, die jede ftir sich bestimmt werden konnen. Wenn nun auf das System Wirkungen von aussen ausgeiibt werden, durch welche Energie in dasselbe transferiert wird, so kann man im allgenieinen auch diese Wirkungen zerlegen in ver- schiedene Arten. Jede dieser Wirkungsarten bringt eine be- stimmte Veranderung der ihr entsprechenden Energieart im System hervor, so dass die Gleichung, welche den Zusaminen- hang der Anderung der Gesammtenergie mit den ausseren 128 II- Absclmitt. Formulierung und Bewcis des Princips. Wirkungen ausspricht, in eine Reihe von Einzelgleichungen zerfallt, deren jede die Veranderung einer bestimmten Energie- art in ihrer Abhaugigkeit von einer besonderen ausseren Wirkung regelt. Wir haben hier also eine weitere Zer- legung der Gleichung der Energie, die sich von der friihe- ren dadurch unterscheidet, dass wir obeii das materielle System in einzelne materielle (oder Volumen-) Theile, hier aber die Energie in einzelne Energiearten getheilt haben. Denken wir uns beispielsweise einen Korper, der sich frei im Raum bewegt. Seine Energie zerfallt in zwei Theile: die lebendige Kraft seiner sichtbaren Bewegung, und seine inn ere (etwa thermische) Energie. Solange keine ausseren Wirkungen stattfinden, bleibt die Gesammtenergie constant. Aber nicht nur diese, sondern auch jede der beiden Energie- arten fur sich bleibt constant: der Korper bewegt sich mit constanter Geschwindigkeit und bleibt auf constanter Tem- peratur, unter keinen Umstanden wird ohne entsprechende aussere Wirkung eine Anderung dieser Grossen stattfinden, obwohl nach dem allgemeinen Princip eine Umwandlung einer einzelnen Energieart in eine andere ja sehr wohl statthaft ware. Denken wir uus ferner, dass auf den Korper gewisse Wirkungen von aussen ausgeiibt werden, welche bestehen mogen einmal in einer aus der Ferae kommenden mecha- nischen Kraft (etwa die Schwere), ausserdem aber in einer Warrnezufuhr (etwa durch Strahlung), so wird die Energie des Korpers wachsen um die Sum me der von der Kraft ge- leisteten Arbeit und der Quantitat der zugefiihrten Warme. Aber wir konnen noch mehr sagen: die ausseren Wirkungen zerfallen hier in zwei verschiedene Arten, deren jede nur die ihr entsprechende Energieart beeinflusst: die Arbeit der Kraft andert nur die Geschwindigkeit, nicht aber die Temperatur des Korpers, und die zugefuhrte Warme erhoht nur die Tem- peratur, nicht aber die Geschwiudigkeit. Die verschiedenen Wirkungen mit den ihnen entsprechenden Energien gehoren ganz getrennten Gebieten an und liefern daher jede eine besondere Gleichung. Allerdings ist wohl zu bedenken, dass die Unabhangig- keit der Energiearten sowohl als auch der ausseren Wirkungs- arten von einander in diesem wie in alien abnlichen Fallen IT. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 129 niemals a priori aufgestellt werden kann, sondern stets zuerst experimeiitell begriindet werden muss. So kann man sicli ja leicht vorstellen, dass die in Atherschwingungen bestehen- den Wlirmestrahlen eine directe mechanische Einwirkung auf den Korper ausiiben, wenn auch bisher eine solche Wirkung nicht mit Sicherheit nacbgewiesen werden konnte, und andrer- seits ist augenscheinlich, dass eine mechaniscbe Kraft, wenn sie nicht aus der Feme, sondern z. B. als Reibung oder Stoss auf die Oberflache des Korpers wirkt, sich wenigstens grossen Theils unmittelbar in Warme umsetzen kann. Es ist auch sehr Vohl denkbar, dass zwei Energiearten , die eine Zeit lang als von einander unabhangig betrachtet worden sind und bei der Berechnuug gewisser Erscheinungen iinmer noch als unabhangig betrachtet werden konnen, einmal bei naherer Erkeuntnis der Naturkrafte in ein Abhangigkeitsverhaltnis von einander treten. flier stossen wir in der That auf eine Grenze der An- wendbarkeit (nicht der Giltigkeit) des Energieprincips; denn wenn die einzelnen Energiearten sich nicht mehr unabhangig von einander, eine jede nach Maassgabe der ihr gerade ent- sprechenden ausseren Wirkungen, andern, so miissen wir mit der Zerlegung der Gleichung der Energie innehalten. Dann liefert das Energieprincip fur ein materielles Element weniger Gleichungen, als zur Berechnung seiner Zustandsanderung erforderlich sind. Hieher gehoren u. A. alle die Falle, in denen die im Innern eines Elements vor sich gehenden Pro- cesse in gar keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den ausseren Wirkungen zu bringen sind, wie z. B. alle explo- sionsartigen Erscheinungen, bei denen minimale aussere Wir- kungen die grossten und verschiedenartigsten Umwandlungen einzelner Energiearten in einander bedingen konnen. Dabei erhebt sich nun die Frage: Nach welchem Gesetz, in welchem Sinne findet in solchen Fallen der Umsatz der Energien statt? Diese Frage tritt aus dem Rahmen unserer gegenwartigen Untersuchungen heraus, ihre Beantwortung lasst sich nicht raehr vom Standpunkt des einfachen Satzes der Erhaltnng der Energie aus in Angriff nehmen, sondern muss auf ganz neue, von jenem Satze unabhangige Principien basiert werden. Ein solches Priucip besitzen wir bereits in dem von Carnot Planck, Knergie. 9 130 II- Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. und Clausius begriindeten zweiten Hauptsatz der mechanischen Warmetheorie , der uns fiber die Richtung Aufschluss gibt, in welcher die Umwandlung der verschiedenen Energiearten in einander von statten geht. Aber migeachtet der dargelegten Beschrankungen bleibt der hohe Wert, welcher der Trennung der aussereii Wir- kungen je nach ihrem Einfluss auf die einzelnen Energiearten innewohnt, ungeschmalert bestehen. Er beruht im wesent- lichen auf der Gewinnung eines festen Standpunktes, von dem aus man die Bedingungen der Umwandlung der Energie- arten unter einander, und damit die Mannigfaltigkelt der Naturkrafte iiberhaupt, iiberschauen kann. Denn man wird dabei stets von Neuem auf die Frage gefiihrt: Welche Um- setzungen von Energie finden unabhangig von einander statt? und die Beantwortung dieser Frage bietet das erste Mittel, in die so verwickelt erscheinenden Vorgange, die sich im Rahmen des kleinsten Processes abspielen, Ordnung zu bringen und sie eiuzeln der experimentellen Untersuchung zuganglich zu machen. Ohne das Princip der Superposition der Energien konnte man die Mechanik nicht trennen von der Warme, die Elektricitat nicht vom Magnetismus, und die Eintheilung der ganzen Physik in ihre verschiedenen Gebiete ware von vorneherein unstatthaft. Ob wir nun in spaterer Zeit ein- mal weniger Energiearten unterscheiden konnen als jetzt, ob sich vielleicht alle auf eine einzige oder zwei reducieren lassen, 1st jetzt ebensowenig zu beantworten, als etwa die Frage, ob die ponderable Materie vom Lichtather essenziell verschieden ist oder nicht. Dass wir aber in der That im- stande sind, allein auf dem jetzt gewonnenen Standpunkt fussend, mit Hilfe der entwickelten Formulierungen des Prin- cips der Erhaltung der Energie die Grundgesetze der Mechanik sowohl, als auch der iibrigen Theile der Physik in derselben Form abzuleiten ? wie dies gewohnlich von verschiedenen Ausgangspunkten her unternommen wird, werden wir im letzteu Abschnitt dieser Schrift aufs deutlichste zu zeigen uns bemuhen; zugleich wird uns diese Aufgabe bemerkenswerte Anwendungen der hier vorgetragenen Satze auf die einzelnen Euergiearten in Fiille darbieten. Indem wir hiemit die Untersuchungen beschliessen, II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 131 welche uns zur Aufstellung des Princips der Erhaltung der Energie in einer fur die Anwendung moglichst bequemen Form gefuhrt haben , wollen wir den Ausgang dieses Ab- schnittes dazu benutzen, uni die Zahl und die Bedeutung der Beweise, die man fiir die Richtigkeit des Princips bei- bringen kann, einer Musterung zu unterwerfen. Es ist aller- dings in neuerer Zeit auch die Behauptung laut geworden, dass das Princip iiberhaupt eines Beweises weder fahig noch bediirftig sei, weil es a priori gelte, d. h. eine uns von der Natur mitgegebene, notwendige Form unseres Anschauungs- und Denkvermogens vorstelle; es geht hier wie mit so man- chen anderen Wabrheiten, deren Erkenntnis durch jahr- bundertelange Arbeit erkampft worden ist, dass dieselben hinterher, wenn die Macht der Gewohnheit in ihr Recht tritt, als selbstverstandlich und angeboren hingestellt wer- den. Daher bedarf es zu unserer Rechtfertigung wohl nur eines Hinweises auf die geschichtliche Entwickelung des Princips , wenn wir eine derartige Behauptung kurzer Hand ablehnen. Wie bei jedem Beweis eines naturwissenschaftlichen Satzes, so lasst sich auch bei unserem Princip von einer doppelten Methode sprechen: dem deductiven und dem in- ductiven Verfahren. Wahrend die erstere den Satz in seiner ganzen Allgerueinheit als ein logiscjies Resultat des Zusam- menbestehens einer Reihe von anderen, sei es aus der Er- fahrung oder anderswoher gewonnenen, allgemein fiir richtig anerkannten Satze erscheinen lasst, geht umgekehrt die in- ductive Methode darauf aus, an der Hand der Erfahrung die einzelnen Folgerungen zu priifen, welche aus dem zu be- weisenden Satze fliessen, wenn man ihn einstweilen als giltig annimmt und mit anderen hinreichend begriindeten Satzen combiniert. Kommt dann eine einzige Folgerung zum Vor- schein, die mit der Erfahrung nicht ubereinstimmt, so ist der Satz entschieden zu verwerfen, ist dies nicht der Fall, so kaim er bestehen bleiben; immer aber lasst sich auf in- ductivem Wege nur ein gewisser Grad von Wahrscheinlich- keit der Wahrheit des zu Beweisenden erzielen, welche in dem Maasse wachst, als die Versuche variiert werden. Nichts- destoweniger wird man der inductiven Beweismethode stets 9* 132 II. Abschnitt. Formulierung nnd Beweis des Princips. einen besonders hohen Wert beimessen; denn da die Wahr- heit unserer ganzen Naturwissenschaft in letzter Linie sich auf die Erfahrung griindet, so wird der Glaube an die Rich- tigkeit eines Satzes um so fester in unserer Uberzeugung wurzeln, je naher der Satz mit einer direct durch die Er- fahrung zu constatierenden Thatsache zusammenhangt. Darum werden wir jedesmal, wenn es sich um die Feststellung eines neuen Princips handelt, demselben von alien moglichen Seiten durch Experiment und Beobachtung beizukommen suchen, und kein Physiker wird sich mit der reinen Deduction eines naturwissenschaftlichen Gesetzes von einiger Tragweite be- gniigen, er wird womoglich immer noch die hochste Instanz, die Erfahrung, zu Rathe ziehen. Blicken wir von diesem Gesichtspunkt aus auf das von uns behandelte Princip, so geniigt ein Blick auf die im vor- angehenden und im folgenden Abschnitt dargestellten An- wendungen, von denen keine einzige der Erfahrung widerspricht, um uns die Gesammtheit der inductiven Beweise, die sich iiber alle uns bekannten Naturerscheinungen hin erstrecken, als eine geradezu imposante Macht erscheiuen zu lassen, welche in bestimmtester Weise fur die unbeschrankte Richtig- keit des Princips eintritt. Es hiesse die ganze Entwickelungs- geschichte desselben wiederholen, wenn wir an dieser Stelle versuchen wollten, einen Uberblick fiber die verschieden- artigen Erfahrungsbeweise zu geben, die man im Laufe der Zeit zusammengetragen hat; fast jede neue Anwendung brachte auch einen neuen Beweis, von der Reibungswarme an, die, unabhangig von dem Material der sich reibenden Korper, von ihren Geschwindigkeiten, Temperaturen u. s. w. einzig und allein bestimmt ist durch die aufgewendete me- chanische Arbeit, bis zu den Vorgangen der galvanischen Induction, welche die Bewegung eines Magneten hervorruft, unabhangig von der Beschaffenheit des Leiters, in dem sie erzeugt wird. Und doch: so iiberwaltigend uns die Zahl und Bedeutung dieser inductiven Beweise entgegentritt, es diirfte Niemand ein so eingefleischter Empiriker sein, dass er nicht noch das Bediirfnis empfande nach ein em anderen Beweise, der, auf deductiver Grundlage aufgebaut, das Princip in seiner gauzen II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 133 umfassenden Bedeuturig als ein einziges geschlossenes Ganzes aus gewissen noch allgemeinereu Wahrheiten entspringen lasst. Denn wenn auch die Vielh'eit der gemachten einzelnen Erfahrimgen uns mit Notwendigkeit zu der Aunahnie dieses Gesetzes zu driingen scheint, so biirgt ja Niemand dafiir, dass nicht doch noch einmal eine vereinzelte, bisher aus irgend welcheu Griinden (ibersehene Klasse von Thatsachen aufgefunden werden kann, welche sich den Forderungen des Princips nicht ftigt. Es lasst sich auch wohl kaum dariiber streiten, dass wir die voile beruhigende Gewissheit, welche die Uberzeugung von der Wahrheit eines Satzes verleiht, uns nicht auf dem Wege der Induction alleiu verschaffen konnen, sondern nur zugleich dadurch, dass wir von einem hoheren Standpunkt herab den Satz als eine vollkommene Einheit ins Auge fasseu. Wie ware es sonst auch denkbar, dass zu einer Zeit, wo ausser den in weiteren Kreiseu wenig beachteteii Untersuchungen von Mayer und Colding nur eine geringe Auzahl von Joule's Versucheu vorlag, wo man also von einein inductiven Beweise noch kaum sprecheu konute, der Gedanke an die Erhaltung der Energie doch so iiber- raschend schnell an vieleu Stellen zugleich Wurzel schlug und auf den verschiedeusten Seiten zu ueuen Untersuchuugen anregte, wenn nicht eben die Erkenntnis jener unmittelbaren Einheit, wie sie nur durch Deduction gewonnen werden kann, sich einfach und klar alien Kopfen aufgedrangt hatte. Fur uns erhebt sich nun aber die Frage, auf welche Weise man denn durch Deduction zu der Aufstellung unseres Princips gelangeii kann, beziehungsweise ob es tiberhaupt eirien de- ductiven Beweis gibt ? der auf streng wissenschaftliche Be- deutung, wie sie heutzutage in der Naturwissenschaft verlangt wird, Anspruch erheben darf. Gehen wir auf diese Frage etwas uaher ein. Da jede folgerichtige Deduction einen allgemein als wahr anerkannteri Obersatz voraussetzt, dessen Umfang iiicht kleiner sein darf als der des zu beweisendeu Satzes ; so wird fur unsern Fall die Hauptschwierigkeit darin bestehen, einen solchen Obersatz zu linden, der einerseits eine so allseitige Anerkennung geniesst, dass er als sichere Gewahr fur die Richtigkeit unseres Princips dienen kann, andrerseits aber 134 II* Abschnitt. Form aliening und Beweis des Princips. auch umfassend genug 1st, um das ganze Princip mit seiner enormen Tragweite in sich einzuschliessen. Man sielit auf den ersten Blick, dass die Auswahl unter den Satzen, welche beiden Forderungen geniigen, keiue grosse sein wird; trotz- dem lassen sich ihrer verschiedene namhaft inachen, die im Lauf der Zeiten die Stelle eines Obersatzes in der deductiven Schlussfolgerung beansprucht haben. Die alteste Deduction greift nicht weniger weit hinauf als bis zur Person des Schopfers selbst, der in seiner Ewig- keit und Unveranderlichkeit diese seine Eigenschaften auch der von ihm geschaffenen Natur und ihren Kraften mittheilt, woraus dann hervorgeht, dass die in der Welt enthalteue gesammte ,,Menge von Bewegung" fur alle Zeiten einen un- zerstorbaren, constanten Wert hat. Da diese, von Descartes (vgl. S. 8) herruhrende Betrachtung oifenbar darauf abzielt, ein allgemeines Naturgesetz zu begriinden, das die Summe der in der Natur wirksamen Krafte ebenso regelt, wie die Menge der vorhandenen Materie, so darf sie gewiss mit dem Princip der Erhaltung der Energie in Zusammenhang ge- bracht werden; jedenfalls liessen sich diese Ideen auch auf die gegenwartige Form unseres Princips ohne weiteres iiber- tragen. Wesentlich in demselben Gedankengang, wenn auch von einem etwas bescheideneren Standpunkt aus, bewegt sich die Beweisfuhrung, die Colding (S. 30 f.) fur die Erhaltung der Kraft beizubringen suchte. Er appelliert zwar nicht mehr gerade an die allerhochste Instanz ? wohl aber erblickt er den Grund der Unveranderlichkeit der Naturkrafte in dem Um- stand, dass diese Krafte , eben weil sie die Natur so voll- kommen beherrschen, selber iibersinnliche ; geistige Wesen sein niusseu, die als solche unmoglich dem natlirlichen Tode oder der Verganglichkeit unterworfen sein konnen. Immerhiii halt er es fiir angezeigt, diesen Satz auch durch die Erfahrung zu priifen, und stellt in diesem Sinn seine Versuche an. Da nach den heutigen Anschauungen jeder Beweis eines naturwissenschaftlichen Satzes, dessen Bedeutung auf meta- physischem Boden wurzelt, von vorneherein seine Kraft ver- loren hat, so konnen wir fiber diese und ahnliche Deductionen kurz hinweggehen. II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 135 Mehr Beachtung verdient schou die Vorstellungsweise, die Mayer (S. 21 f.) seineii Auseinandersetzungen au die Spitze stellte. Dieselbe bewegt sich zwar noch auf etwas schwan- kender Grundlage, kann aber doch gewiss nicht mehr als inetaphysisch bezeiclmet werden. Seinen Hauptsatz: Causa aequat effectum: die Ursache ist gleich der Wirkung, er- lautert er dahin, dass in der Natur jede Ursache zu einer ihr eigentumlicheu Wirkung komme, und umgekehrt: dass in der Wirkung Nichts enthalten ist, was nicht schon in der Ursache (unter irgend einer Form) gelegen war. Daher be- stehen alle Veranderungen, die in der Natur vor sich gehen, nicht m der Erzeugung, sondern nur in der Umwandlung von Kraften nach bestimmten constanten Maassverhaltnissen ; die verschiedenartigen Krafte sind also in gewissen bestimmten Verhiiltnissen eiriander iiquivalent, sie konnen mithin sammt- lich in gemeinsamem Maass gemessen werden, und die in diesem gemeinschaftlichen Maass ausgedruckte Summe aller in der Welt vorhandenen Krafte bleibt mit der Zeit constant. - Man darf wohl zugeben, dass diese Ableitung etwas Be- strickendes hat, derm das Gesetz von Ursache und Wirkung bildet ja das Postulat unseres ganzen Naturerkennens; doch ist andererseits wohl zu bedenken, dass der Reiz, den die Mayer'sche Deduction auf uns ausubt, ganz bedeutend an Starke verlieren wiirde, wenn wir eben nicht schon aus an- deren Griinden die Wahrheit des Satzes erkannt und uns durch jahrelarige Ubung an den Gedanken, den er ausspricht, gewohnt hatteu; auf Jemanden, dem die Sache vollstandig neu ware, wtirde damit wohl kaum ein grosser Eindruck erzielt werden konnen. Wird man daher den geschilderten Jdeengang als eine vorzugliche Erlauteruug des Erhaltungs- principes a posteriori wohl gelten lassen konnen, so diirfte demselben der Rang eiues im physikalischen Siune bindeiiden Beweises entschieden abzusprechen sein. Dazu ist die Be- deutung des aequat viel zu unbestimmt: ware die Ursache der Wirkung wirklich gleich, so gabe es iiberhaupt keine Veranderuug in der Natur. Die erste wirklich physikalische Deduction, durch die das Energieprincip in seinem vollen Uinfang bewiesen wurde, ist die, welche Helmholtz in seiner Abhandlung tiber die 136 II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. Erhaltung der Kraft gegeben hat: sie basiert auf der mecha- nischen Naturauffassung, specieller auf der Voraussetzung, dass alle in der Natur wirksamen Krafte sich auf losen lasseu in Punktkrafte, fiir welche die Newton'schen Axiome gelten. Diese Voraussetzung ist verbunden entweder mit der An- nahme, dass alle Elementarkrafte Centralkrafte sind, oder mit der, dass die Construction eines perpetuum mobile un- moglich ist. Uber die Ausfuhrung dieser Gedanken haben wir schon im vorigen Abschnitt (S. 35 ff.) das Wesentlichste beigebracht. Hienach wiirde sich das Princip der Erhaltung der Energie im wesentlichen auf den mechanischen Satz der Erhaltung der lebendigen Krafte reducieren, und wir hatten die gesammte Energie der Welt als aus nur zwei Arten : der actuellen (lebendige Kraft) und der potenziellen (Spann- kraft) bestehend aufzufassen. Wenn man bedenkt, dass die mechanische Naturan- schauung schon von Alters her, lange vor dem Bekanntwerden des Energieprincips, in der Naturphilosopie eine bedeutende Rolle spielte, wohl hauptsachlich weil sie unserem Causalitats- bedurfnis, welches nach moglichster Einheit der den Er- scheinungen zu Grunde liegenden Krafte strebt, so vortreff- lich entgegenkommt, wenn man ferner iibersieht, wie ungemein anschaulich sich von dem mechanischen Standpunkt aus die Definition des Begriffes der Energie, die Formulierung und endlich der Beweis des Princips geben lasst, so ist es sehr wohl erklarlich, dass gerade dieser Beweis unter den deduc- tiven Methoden den Vorzug erhalten hat und auch wohl heutzutage als der am haufigsten gebrauchte anzusehen ist. Nach dem Vorgang von Helmholtz wurde er von anderen Physikern adoptiert (Mayer hat bekanntlich die mechanische Naturauffassung nicht getheilt) , wahrend gleichzeitig auch von England aus durch Joule, dem sich Rankine und Thom- son anschlossen, die mechanische Theorie verbreitet und zur Anerkennung gebracht wurde. Demungeachtet mochte es mir scheinen, als ob man mit grosserem Rechte das Princip der Erhaltung der Energie zur Stiitze der mechanischen Naturanschauung, als umgekehrt die letztere zur Grundlage der Deduction des Energieprincips rnaehen wiirde, da doch dies Princip weit sicherer begrundet II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 137 ist, als die wenn auch noch so plausible Annahme, dass jede Veranderung in der Natur sich auf Bewegung zuruckfuhren lasst. In unzahligen entscheidenden Fallen hat sich das Energieprincip als richtig bewahrt, wahrend die Griinde, die man fur die mechanische Theorie anfiihren kann, wenigstens soweit sie auf der unmittelbaren Erfahrung beruhen, zum grossten Theil (nicht ausschliesslich, vgl. die Gastheorie) auf die Erhaltung der Energie recurrieren, aus der sie sich iibrigens keineswegs mit Notwendigkeit ergeben (vgl. S. 51). Vergeblich hat man sich bisher noch bemuht, die Gesammt- heit der elektrischen und magnetischen Erscheinungen auf einfache Bewegungen zuriickzufiihren, und in der Anwendung auf die organische Welt (auf die wir den Beweis des Princips der Erhaltung der Energie doch ebensowohl ausdehnen wollen und mils sen) lasst sich noch nicht einmal die Spur eines Anfangs nachweisen. Der Ansicht aber, die jetzt wohl auch rnanchmal ge- aussert wird, dass man die mechanische Theorie als ein a priori -Postulat der physikalischen Forschung zu acceptieren habe, mlissen wir mit aller Entschiedenheit entgegentreten ; dieselbe kann nicht von der Verpflichtung befreien, jene Theorie auf legalem Wege zu begriinden. Die Naturwissen- schaft kennt iiberhaupt nur Ein Postulat: das Causalitats- princip; denn dasselbe ist ihr Existenzbedingung. Ob dies Princip selber erst aus der Erfahrung geschopft ist, oder ob es eine uotwendige Form unseres Denkens bildet, brauchen wir hier nicht zu untersuchen. Mir scheint es daher dem bisher so glanzend bewahrten empirischen Charakter unserer modernen Naturwissenschaft besser zu entsprechen, die mechanische Naturauffassung als das moglicher- und wahrscheinlicherweise zu gewinnende Ziel der Forschung zu betrachten, als voreilig ein noch gar nicht sicher gestelltes R'esultat zu anticipieren , um es zum Ausgangspunkt des Beweises eines Satzes zu machen, dessen Allgemeingiltigkeit gesichert erscheint wie die weniger an- derer der ganzen~ Naturwissenschaft. Die hohe Bedeutung der mechanischen Naturanschauung bleibt durch diese Be- trachtuug vollstandig ungeschmalert : dieselbe weist uns die Richtung an, in der die Forschung sich zu bewegen hat; 138 II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. denn nur auf dem Wege der Erfahrung kanu die Frage iiach der Zulassigkeit dieser Theorie eutschieden werclen. Man wird daher alle nur erreichbaren Mittel anwenden, um die mechanische Auffassung in alien Gebieten der Physik, Chemie u. s. w. bis in die letzten Consequenzen durchzufiihren, und in diesem Sinne haben die hierauf gerichteten Bestrebungen ihren principiellen Wert, um so mehr, da sie bisher schon glanzende Resultate zu Tage gefordert haben. Aber es ist docli noch ein grosser Unterschied, ob man eine Hypothese als wahrscheinlich betrachten darf, oder ob man sie an die Spitze einer solchen Deduction stellt, wie die ist, urn welche es sich hier handelt. Durch die angewendete Vorsicht sichern wir uns zugleich vor unliebsameu Enttauschungen. Denn sollte man wirklich einmal die merkwiirdige Erfahrung machen, dass unsere Raum- und Zeitanschauung nicht all- gemeiu genug ist, um die Fiille der Erschehmngen , die uns die N.atur darbietet, zu beschreiben J ) ; so werden wir deshalb nicht gleich, wie es in ahnlichen Fallen schon geschehen ist, andere wohlbegrimdete Satze mit fallen lassen, sondern wer- den leicht imstande sein, das bewiesene Wesentliche von dem nichtbewiesenen Unwesentlichen zu trennen. Da wir nach den gemachten Ausfiihrungen uns nicht entschliessen konnen, dem mechanischen Beweis des Princips der Erhaltung der Energie diejenige Bedeutung beizumesseu, die er gemeiniglich zu geniessen pflegt, so uberuehmen wir damit umsomehr die Verpflichtung , uns nach einem andern Satze umzusehen, der durch festere Begriindung besser ge- eignet ist, der Deduction als Ausgangspunkt zu dienen. Nun gibt es in der That noch einen solchen Satz ; der die er- forderlichen Eigenschaften in geniigender Weise zu besitzen scheint, es ist der Erfahrungssatz, welcher die Unmoglichkeit des perpetuum mobile und seiner Umkehrung ausspricht, uiid zwar ganz unabhaugig von jeder besonderen Naturauffassung. Im Anschluss an unsere fruhere Terminologie (S. 99) konnen wir ihn folgenderrnassen formulieren: ,,Es ist unmoglich, mit eiuem materiellen System einen Kreisprocess (der das System 1) E. Mach: Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit. Prag, 1872, Calve. Ubrigens kann ich mich nicht mit alien hier dargelegten Ansichten einverstauden erklaren. II. Abschnitfc. Formulierung und Beweis des Princips. 139 genau in semen Anfangszustand zuriickbringt) so auszufiihren, dass die iiusseren Wirkungen einen von verschiedenen (po- sitiveu oder negativen) Arbeitswert haben u . (Uber den Be- griff des Arbeitswertes einer ausseren Wirkung siehe S. 94 f.) oder kiirzer: ,,Positiver Arbeitswert kann weder aus Nichts entstehen noch in Nichts vergehen"; die Umkehrung ist raii wesentliche Voraussetzung. Was nun zunachst die Begriindung dieses Satzes an- belangt, so ist zu erwagen, dass an ihr Jahrhunderte gear- beitet haben; gab es doch Menschen, die sich nicht scheuten, Gut und Leben darau zu setzen, um durch Erschaffung von Arbeitswert aus dem Nichts die Behauptungen des Satzes zu widerlegen. Wenn man daher iiberhaupt einen durch Er- fahrung gewonnenen indirecten Beweis gelten lassen will, so hat man es in diesem Falle zu thun, und wird dann auch den Preis, um welchen die fur die ganze Menschheit so wertvolle Wahrheit erkauft wurde, nicht allzu kostbar finden. Thatsache ist jedenfalls, dass wir heutzutage nicht austehen, Jeden, der sich mit der Construction eines perpetuum mobile abgibt, kurzweg fur einen Thoren zu erklaren. Etwas schwacher steht es allerdings mit dem Beweis des umgekehrten Satzes, dass Arbeitswert nicht in Nichts ver- schwinden kann. Es hat wohl kaum jemals einen Menschen gegeben, der sich mit dem Problem, Arbeit zu vernichten, praktisch befasst hat, ebensowenig wie etwa mit dem, Gold in Blei zu verwandeln. Wir konnen daher von einem Er- fahriwigsbeweis der Unmoglichkeit der Losung dieses Problems nicht in dem vollwichtigen Sinne reden, wie von dem des ersten Satzes, sondern miissen uns auf die Constatierung der Thatsache beschranken, dass noch nie ein Process beobachtet worden ist, durch den weiter nichts bewirkt wird als Ver- nichtung von Arbeitswert. Mit dieser Thatsache miissen wir uns an Stelle eines Beweises begniigen; denn von einer De- duction des umgekehrten Satzes aus dem directen kann des- halb nicht die Rede sein, weil sich nicht jeder Naturprocess umkehren lasst. Logisch genommen wurde durchaus kein Widerspruch in der Annahme liegen, dass Arbeit zwar nicht aus Nichts entstehen, wohl aber unter Umstanden in Nichts vergehen kann. (Clapeyron's Ansicht S. 16.) 140 II. Abschnitt. Formulierimg und Beweis des Princips. Uberhaupt muss ja eingeraumt werden, class auch der Erfahrungsbeweis des directen Satzes: der Uumoglichkeit der Erzeugung von Arbeit aus Nichts, nur auf eiuem ver- haltnismassig sehr beschrankten Theile des Gesammtbereichs der Naturkrafte gefiihrt worden ist; sind uns doch schon heutzutage viel mannigfaltigere Erscheinungen bekannt und zugiinglich, als damals, wo man auf die praktische Gewinnung des perpetuum mobile abzielte. Inwiefern man nun berechtigt ist, die friiher in engerem Gebiete gewonnenen Erfahrungen auf alle Wirkungen in der Natur auszudehnen, lasst sich gegenwartig nicht leicht beurtheilen, da wir durch die Ver- trautheit mit dem Energieprincip doch schon zu sehr an die Allgemeingiltigkeit dieser Wahrheit gewohnt sind, um vor- laufig ganz von ihr abstrahieren zu konnen. Wie dem auch sei: Wir stellen an die Spitze der folgen- den Ausfiihrungen den Satz der Unmoglichkeit des perpetuum mobile und seiner Umkehrung im Kreise der gesammten auorganischen und organischen Natur, und wollen, ganzlich unabhangig von der mechanischen Naturanschauung, unter- suchen, ob und unter welchen Bedingungen sich dieser Satz zum Beweise des Princips der Erhaltung der Energie ver- werten lasst. Eriunern wir uns zuniichst an die S. 99 ge- machte Bemerkung, dass alle verschiedenen Pormen des Princips enthalten sind in dem einen Satz: ,,Die Energie eines materiellen Systems in einem bestimmten Zustand, be- zogen auf einen bestimmten Nullzustand, hat einen ein- deutigen Wert u , so wird es sich hier nur darum handeln, diesen Satz aus der Unmoglichkeit 'des perpetuum mobile zu deducieren, und zwar unter Zugrundelegung der Definition, die wir (S. 93) fiir den Begriff der Energie aufgestellt haben. Als Beweismethode wahlen wir die indirecte, indem wir zeigen, dass in jedem einzelnen Fall, wo sich aus der De- finition zwei verschiedene Werte der Energie ergeben wlirden, die Construction eines perpetuum mobile ermoglicht ware, Nehmen wir also an, man habe das materielle System aus dem gegebenen Zustand A auf einem beliebigeu Wege in den Nullzustand A T gebracht und dabei den Arbeitswert der ausseren Wirkuugen gleich a gefunden; es sei aber auch ein anderer Weg der Uberfiihrung moglich, und dieser liefere II. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. 141 fur die ausseren Wirkungen den von a verschiedenen Ar- beitswert a'. Dann wird sich immer ein perpetuum mobile herstellen lassen, freilich nicht auf die Weise, wie man es manchmal angegeben findet, dass man das System auf dem einen Wege in den Zustand N, und auf dem andern Wege von da wieder zuriick in den Zustand A bringt; denn der betr. Process braucht ja nicht umkehrbar zu sein. Wir werden vielmehr das System, nachdem es auf die eine oder die andere angegebene Weise in den Zustand N gelangt ist, auf irgend einem beliebigen Wege zuriick in den Zustand A iiberfuhren und dadurch den Kreisprocess schliessen. Be- zeichnen wir den Arbeitswert der bei der Riickkehr von N nach A eintretenden ausseren Wirkungen mit Z> ? so haben wir iiber zwei Kreisprocesse zu verfugen, welche die respec- tiven Arbeitswerte (a + V) und (a + b) producieren. Da nun nach den gemachten Voraussetzungen diese beiden Grossen uugleicb sind, so muss wenigstens eine von ihnen von verschieden sein, und damit ware die Moglichkeit des perpetuum mobile (oder seiner Umkehrung) gegeben. Als wesentliche Bedingung der Brauchbarkeit dieses Be- weises niiissen wir allerdings die allgemeine Voraussetzung anerkennen, dass die Uberfiihrung eines materiellen Systems aus einem gegebenen Zustand in irgend einen andern stets auf irgend eine Weise moglich ist; ohne sie wird die ganze Deduction illusorisch. In der That: Betrachten wir einmal die ausseren Wirkungen, welche die Verwandluug des Dia- mant in amorphe Kohle hervorruft, wenn dieselbe etwa ein- mal auf chemischem, einmal auf physikalischem (galvanischem) Wege vorgenommen wird. Wiirden diese Wirkungen nicht den namlichen mechanischen Arbeitswert besitzen, so ware trotzdem gewiss Nieinand in der Lage ; diesen Umstand zur Construction eines perpetuum mobile zu verwerten, da wir nicht imstande sind ; die Kohle in Diamant zuriickzuverwandeln und so den Kreisprocess zu schliessen. Indess glaube ich, dass der Ein wand, den man aus diesem Umstand gegen die allgemeine Zulassigkeit der gegebenen Deduction ableiten konnte, nicht stichhaltig ist. Denn es kommt nicht darauf an, ob die Kunst des Menschen imstande ist, den Ubergang aus einem Zustand in einen andern nach Willkiir zu voll- 142 IT. Abschnitt. Formulierung und Beweis des Princips. ziehen, sondern darauf, ob dieser Ubergang in der Natur wirklich vorkommt oder auch nur bei geeignetem Zusammen- wirken von Naturkriiften vorkomnien konnte. Wollte man diesen Schluss nicht anerkennen, so klime dies darauf hinaus, den Satz von der Unmoglichkeit des perpetuum mobile nicht einein Naturgesetz, sondern dem Mangel an Geschicklichkeit des Menschen entspringen zu lassen, was doch gewiss dem Wesen des Satzes zuwiderlauft. Nach alien unseren Erfah- rungen ist nun die angefiihrte Bedingung immer als erfiillt zu betrachten; denn die Natur schafft fortwahrend Alles, was sie hervorbringt, aus den einfachsten Elementen, sie be- reitet, allerdings auf uns zum Theil ganzlich unbekannte Weise, mit gleicher Leichtigkeit unorganische Substanzen und die compliciertesten Organismen, und lost sie daun wie- der in ihre Bestandtheile auf. Dieselbe Frage haben wir schon bei friiberer Gelegenheit in demselben Sinne besprochen (S. 98). Wir glauben daher nicht irre zu gehen, wenn wir (im Gegensatz zur beschrankten Umwandlung der Energiearten) die Verwandelbarkeit der Materie aus alien moglichen Zu- standen in alle moglichen andern (wenn die chemischen Elemente erhalten bleiben) als unbeschrankt voraussetzen, und damit ist die Deduction des Satzes der Erhaltung der Energie mit alien seinen Consequenzen aus dem Satze des perpetuum mobile gesichert. Wir stehen in der That nicht an, diesem Beweis unter den deductiven Methoden die vor- nehmste Stelle anzuweisen; es bleibt dabei durchaus nicht ausgeschlossen, dass, wenn einmal die Naturwissenschaft auf eine hohere Entwickelungsstufe gelangt ist, ein anderer Er- fahrungssatz, etwa die mechanische Naturanschauung , mit besserem Rechte der Deduction zu Grunde gelegt werden wird. III. Abschnitt. Verschiedeiie Arten der Energie. Bevor wir uns an die Aufgabe machen, die im vorigen Abschnitt entwickelten Begriffe und Satze durch entsprechende Anwendung auf die verschiedenen Energiearten einzeln zu verwerten, wollen wir zuerst einen orientierenden Blick auf das vor uns liegende Gebiet werfen und dabei zugleich die Methode fixieren, die uns bei den folgenden Untersuchungen leiten soil. Wiihrend es sich oben lediglich urn die Fest- stellung der Principien handelte und die etwa besprochenen besonderen Falle lediglich zur Illustration der allgemeinen Satze dienten, haben wir hier in der systematischen Durch- arbeitung jener Satze durch alle Theile der Physik den Zweck unserer Darstellung zu suchen, durch welche dann allerdings auch andrerseits wieder die Principien selber in ein helleres Licht gesetzt werden. Was aber die hier vorzunehmenden Anwendungen ihrem Wesen nach von den im vorigen Ab- schnitt gemachten principiellen Auseinandersetzungen unter- scheidet, ist der Urnstand, dass sie nicht, wie jene, ihre Be- deutung stets unveranderlich beibehalten, sondern dass sie sich mit der fortschreitenden Entwickelung unserer physi- kalischen Anschauungen selber in gewisser Weise modificieren konnen; es ist daher um so wichtiger, diesen Punkt beson- ders hervorzuheben, damit nicht etwa die friiher gewonnenen Resultate, die immer in gleicher Weise fortbestehen, einmal gefahrdet erscheinen. Die Definition des Begriffes und das Princip der Erhaltung der Energie gilt unveranderlich fur alle Zeiten, doch die Form seiner Anwendung auf eine con- crete Naturerscheinung unterliegt einem Wechsel, und zwar deshalb, weil der BegriflP der Energiearten (nicht ihr in Zahlen 144 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. ausgedruckter Wert) ganz von dem Charakter der jeweiligen Naturanschauung abhangig ist. Hiefur bietet schon die ge- schichtliche Entwickelung der Physik mehr als ein Beispiel dar: wie oft haben die Vorstellungen liber das Wesen der in der Natur wirksamen Agentien gewechselt; und auch in unserer Darstellung haben wir Gelegenheit gehabt, diese Thatsache hervorzuheben. (S. 125 f.) Welchem Endziel dieser stete Wechsel in der Auffassung des Wesens der Naturkrafte zustrebt, ist schwer zu sagen: bei dem gegenwartigen Ent- wickelungszustand der Physik liegt das Hauptmoment in dem Streben nach Zuriickfuhrung aller Naturerscheinungen auf mechanische Veranderungen ; gleichzeitig fangt auch eine andere Tendenz an sich geltend zu machen, n'amlich die, alle directe Wirkung in die Ferae zu ersetzen durch Krafte, die nur in unendlich kleinen Entfernungen merkliche Grosse haben. Wir werden im folgenden wiederholt, besonders bei der Besprechung der elektrischen und der magnetischen Energie, Veranlassung nehmen, auf dieses bestandige Fluc- tuieren der Grundbegriffe unserer Naturauffassung zuruckzu- kommen, ein Pluctuieren, das iibrigens nicht als ein Hin- und Herschwanken, sondern als ein bestandiges Fortschreiten in einer bestimmten Richtung anzusehen ist; denn darin, dass sich eine Veranderung der Auffassung als notwendig heraus- stellt, liegt jedesmal zugleich eine Steigerung der Genauig- keit der beschriebenen Naturerscheinungen, und somit eine Steigerung der Erkenntnis begriindet. Fur unsere gegenwartigen Zwecke wollen wir von dem eben Ausgefiihrten das Eine festhalten, dass es, bevor man an die Anwendung des Princips der Erhaltung der Energie auf eine bestimmte Naturerscheinung geht, vor allem not- wendig ist, sich von vorneherein (durch Erfahrung) gewisse Vorstellungen uber die Natur der zu untersuchenden Erschei- nungen zu verschaffen, und dieselben bei den folgenden Be- trachtungen consequent festzuhalten. Nur auf diese Weise kann man sich von Fehlern vollkomrnen frei halten und namentlich der Gefahr entgehen, eine gewisse Energieart ent- weder ganz zu iibersehen, oder, was auch vorkommen kann, aus Versehen doppelt in Rechnung zu bringen. Je nach der Genauigkeit der beanspruchten Resultate III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 145 wird man die Vorstellung, von der man ausgeht, einfacher oder complicierter gestalten. Operiert man z. B. mit einer tropfbaren Fliissigkeit, so geniigt es fur gewisse Zwecke schon, sich dieselbe als vollstandig incompressibel zu denken und die Satze, die sich aus dem Princip der Energie fur in- compressible Fliissigkeiten ableiten lassen, in Anwendung zu bringen. Im Interesse grosserer Genauigkeit liegt es jedoch, sich die Krafte, die im Innern der Fliissigkeit wirken, als durch Ver'anderungen der Dichte hervorgerufen zu denken. Aber selbst mit dieser Vorstellung wird man in manchen Fallen nicht auskommen, sondern man wird sich genotigt sehen, den angenommenen Druckkraften noch gewisse an- dere hinzuzuf tigen , namlich die, welche aus der sogenann- ten Zahigkeit der Fliissigkeit entspringen, und die wir mit dem Namen der ,,Reibung" charakterisieren. Hiemit ist die Reihe der Steigerungen der Genauigkeit des Resultates noch nicht erschopft. Hat man bisher die Fliissigkeit als ein Con- tinuum angenommen, so lehrt eine genauere Betrachtung, dass sie in den kleinsten Theilchen discontinuierliche Eigen- schaften zeigt, und die Beriicksichtigung derselben erfordert ein noch naheres Eiugehen auf die zur Wirksamkeit kom- menden Krafte ; die dann als Molekularkrafte auftreten. Jeder dieser verschiedenen genannten Vorstellungen entspricht eine besondere Form der Energiearten und also eine ver- schiedene Anwendung des Princips der Erhaltung der Energie; dabei werden um so genauere Resultate erhalten, freilich auf Kosten der Einfachheit der Rechnung, je hoher in der auf- gezahlten Reihenfolge die Stellung ist ; welche die zu Grunde gelegte Anschauung einnimmt. Um nun den Standpunkt, von dem man bei der Berech- nung ausgehen will, gehorig zu charakterisieren, ist es notig, sich iiber die Zahl und die Art der unabhangigen Variabeln, von denen man die zu untersuchenden Zustande des betrach- teten materiellen Systems abhangen lassen will, genau zu orientieren; je kleiner diese Zahl, um so einfacher die An- schauung und die Rechnung. Die Energie des Systems wird sich dann immer als eine bestirnmte Function dieser unab- hangigen Variabeln darstellen, wobei es vollkommen gleich- giltig bleibt, ob diese Function auch wirklich der ,,primaren" i'lauck, Energie. 10 146' HI. Absehnitt. Verscliiedene Arten der Energie. (S. Ill) Form der Energie entspricht oder nicht. Vgl. hier- iiber auch S. 114f. Im iibrigen bedienen wir uns bei den kommendeii Be- rechnungen der ini vorigen Absehnitt abgeleiteten Satze, von denen wir die hauptsachlichsten hier rioch einmal zusammen- stellen wollen: 1) Die einer bestimmten Zustandsanderung eines mate- riellen Systems ' entsprechende Anderung seiner Energie ist gleich dem Arbeitswert der Wirkungen, welche ausserhalb des Systems aufgewendet werden miissen , um die Zustands- anderung (auf irgend eine Weise) hervorzubringen (S. 120). Finden also keine ausseren Wirkungen statt, so bleibt die Energie des Systems ungeandert. 2) Die Anderung der Energie eines bestimmten Volumens ist bedingt eiuerseits durch die ausseren Wirkungen auf die in dem Volumen enthaltene Materie, andrerseits durch den Eintritt neuer Materie in das Volumen (S. 125). 3) Die Energie eines materiellen Systems ist die Summe der einzelnen in dem System vorhandenen von einander un- abhangigen Energiearten, und jede aussere Wirkung verandert nur die Energieart, die ihr gerade entspricht. (Princip der Superposition, S. 127.) 1. Mechanische Energie. Das einfachste materielle System ist em materieller Punkt, dessen inuere Beschaffenheit allein durch seine (unverander- liche) Masse m bestimmt ist. Seine Energie ist die lebendige Kraft: plus einer willkiirlichen Constanten, die wir, wie es gewohn- lich geschieht, gleich setzen. Die lebendige Kraft bleibt nach dem Princip der Erhal- tung der Energie constant, so larige keine Wirkungen von aussen her auf den Punkt stattfiuden. Tritt aber eine aussere Wirkung ein, d. h. werden von andereu materiellen Punkten her Kr'afte auf den betrachteten Punkt ausgeiibt, so rufen dieselben in einem gewissen Zeitraum eine Anderung der III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 147 Energie des Punktes hervor, deren Grosse gegeben ist durch den Arbeitswert dieser Wirkungen, d. h. durch die Arbeit, welche die Krafte in der angenommenen Zeit an dem be- trachteten Punkte leisten, und zwar gilt dies ganz allgemein, aus welcher Quelle auch die genannten Krafte stammen mogen. (S. 120 f.) Beschranken wir die Anwendung auf ein Zeitelement dt, so hat die Summe der entsprechenden Ar- beiten aller Krafte, die auf den Punkt wirken, die Form: Xdx + Ydy + Zdz wobei X, Y y Z die Componenten der resultierenden Kraft sind, genommen nach den Richtungen der 3 Coordinaten- axen. Aus der Benutzung des angefuhrten Satzes ergibt sich nun, dass das Wachstum der Energie in der unendlich kleinen Zeit dt, also das Differenzial des obigen Ausdrucks der leben- digen Kraft, gleich ist der hier angegebenen Arbeitsgrosse. Somit hatten wir durch die Anwendung des Princips der Erhaltung der Energie eine Gleichung gefunden, der die Bewegung des Punktes gehorcht; indes reicht diese eine Gleichung noch nicht aus, um die Abhangigkeit jeder der 3 Veranderlichen x t y, z von der Zeit t zu bestimmen. Wir konnen uns aber die erforderliche Anzahl von Gleichungen verschaffen durch die Anwendung des Satzes, den wir auf voriger Seite unter 3) reproduciert haben. Be- achten wir, dass der Ausdruck der Energie des betrachteten Punktes sich darstellt als eine Summe von 3 symmetrisch gebauten Gliedern, deren jedes sich auf eine bestimmte Coordinatenrichtung bezieht und allein von der betreffenden Variabeln abhangt. Die Gesammtenergie setzt sich also zu- sammen aus 3 von einander unabhangigen Energiearten. Ganz dieselbe Eigenschaft bemerken wir aber auch bei dem Ausdruck der Arbeit der von aussen wirkenden Krafte. Auch diese Grosse zerfallt in 3 Summanden, deren jeder einer bestimmten Coordinatenaxe entspricht und einen von den beiden andern unabhangigen Wert hat; jede der einzelnen ausseren Wirkungen ist also einer bestimmten einzelnen Energieart zugeordnet. Es liegt nun nahe anzunehmen, dass nicht nur die Veranderung der Gesammtenergie gemessen wird durch die Gesammtarbeit der ausseren Krafte, sondern dass noch specieller jede der genannten Eiuzelenergien nur 10* 148 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Knergie. von der ihr gerade entsprechenden Einzelwirkung beeinflusst wird, ganz unabhangig von den beiden anderu. Nehmen wir diesen Gedanken als richtig an, so zerfallt die eine oben angefuhrte Gleichung in 3 einzelne, deren jede sich auf eine bestimnite Coordinateiirichtung bezieht: Ydy Zdz und durch Ausfiihrung der Differenziation ergeben sich die Newton'schen Bewegungsgleichungen : Ofe welche zur Darstellung der ganzen Bewegung gentigen. Selbstverstandlich kann diese Ableitung keinen Auspruch erheben auf den Rang eines Beweises der beiden ersten Newton'schen Axiome, da der benutzte Satz der Ubereinander- lagerung der Energien uicht a priori angewendet werden kann. Seine Bedeutung beruht vielmehr, wie wir schon S. 130 ausfuhrlicher hervorgehoben haben, und wie auch in der letz- ten Darstellung betont ist, wesentlich auf seinem heuristischen Wert. Ebenso wie hier die drei Ooordinatenrichtungen den Grund liefern zur Eintheilung sowohl der Energie als auch der ausseren Wirkungen in die entsprechenden Theile, so haben wir ein anderes Mai andere Gesichtspunkte, etwa ther- mischer oder elektrischer Natur, welche eine Zerlegung der Wirkungen in verschiedene von einander ganzlich unab- hangige Einzelglieder bedingen, die sich dann einfach durch Addition zur Gesammtwirkung zusammensetzen. Wo diese Zerlegung aber wirklich durchfiihrbar ist und zu richtigen Folgerungen fiihrt, kann nur die Erfahrung lehren; denu III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 149 dass z. B. die Wirkungen nach den 3 Coordinatenrichtungen unabhangig von einander erfolgen, ist doch auch ein Er- fabrungssatz, iiber den wir unter keinen Umstanden, bei keiner Darstellungsart, hinauskommen. Gibt man ihn jedoch einmal zu, so wird die obige Ableitung aus dem Princip der Erhal- tung der Energie vollkommen streng. Nacbdem wir gesehen haben, dass die beiden ersten Newton'schen Axiome (das dritte folgt weiter unten S. 157 ff.) sich aus den von dem Energieprincip gelieferten Satzen ent- wickeln lassen, erhebt sich die Frage, ob es nicht iiberhaupt im Interesse einer noch rationelleren Auffassung der Mechanik gelegeu sei, bei der Darstellung derselben einen dem eben angewandten ahnlichen Ausgangspunkt definitiv an Stelle des jetzt gebrauchlichen zu setzen. Gegenwartig pflegt man fast allgemein die Mechanik mit dem Satze der Proportionality von Kraft und Beschleunigung einzuleiten, sei es nun, dass man, mit Newton und W. Thomson 1 ), den Begriff der Kraft in letzter Linie auf den des Druckes, wie er uns durch den Muskelsinn (Tastsinn, Gefiihlssinn) direct iibermittelt wird, zuriickfuhrt, oder dass man, mit Kirchhoff 2 ), gleich von, vorneherein durch Definition Kraft und Beschleunigung iden- tificiert, wobei dann allerdings der Kraftbegriff an Bedeutung verliert, da auf die Empfindungen des Muskelsinns keine Ruck- sicht genommen wird. Aus der Kraft wird dann die Arbeit, die Energie u. s. w. hergeleitet. Dem gegeniiber steht die andere, zuerst von Huygens 3 ) cultivierte Auffassung, die den Begriff der Energie (Arbeit, lebendige Kraft) an die Spitze der Mechanik stellt, und die andern Grundbegriffe, so nament- lich den der Kraft, in eine secundare Stellung weist. Augen- scheinlich hat der letztere Standpunkt den Vorzug fur sich voraus, dass der fur ihn charakteristische Begriff der Energie eine fur alle verschiedenen Zweige der Physik definierte 1) W. Thomson und P. G. Tait: Handbuch der theoretischen Physik. Deutsch von H. Heluiholtz und G. Wertheim. Braunschweig 1871, I. 207. 2) G. Kirchhoff: Vorlesungen uber mathematische Physik. Mechanik. Leipzig 1877, p. 5, 23. 3) E. Mach: Zur Geschichte des Arbeitbegriffes. Wien. Ber. (2) 68, p. 479, 1873. 150 H[. Abschoitt. Verschiedeue Arteu der Eaergie. Grosse 1st, so class mau nichfc nur die Mechanik ; sondern auch die Theorie der Warme , der Elektricitat u. s. w. auf den nainliehen Begriff griinden kann, wodurch ohne Zweifel eine einheitlichere, hohere Auffassung der physikalischen Erschei- nungen bedingt ist, und ich glaube auch, dass iiber kurz oder lang sich diese Auffassung allenthalben Bahn brechen wird, sobald wir uns nur erst einmal durch vielfache Ubung etwas mehr an diesen verhaltnismassig noch zu weuig gebrauehten Begriff gewohnt haben werden; jedoch ist andrerseits wohl zu beachten, dass der Begriff der Kraft, auf den sich seit Newton die Mechanik ausschliesslich aufbaut ? eiuen Vorzug aufzuweisen hat, welcher dem der Energie mangelt: es ist der Umstand, dass wir einen Sinn besitzeu, den Muskelsinn, durch welchen wir einen Druck (zwar nicht exact messen, wohl aber) unmittelbar empfinden konnen, wahrend uns ein Euergiesinn ganz und gar abgeht (vgl. unten S. 153 beziig- lich der Warme); dieser Uinstand ist auch ohne Zweifel mit ein Grund gewesen, weshalb im Verlauf der geschichtlichen Entwickelung der Mechanik der Begriff der Kraft den der ^Arbeit so in den Hintergrund zu drangen uud seinerseits das entschiedene tfbergewicht zu erringen verraochte. Die Kraft erscheint uns, wenigstens in der Newton'schen Auffassung, als das primare, als die Ursache, die Bewegung aber, die Arbeitsleistung u. s. w. als die Wirkung (obwohl doch Kraft und Beschleunigung der Zeit nach zusammenfallen), und das aus keinem anderen Grunde, als weil, wenn wir einen Korper durch Muskelaction fortbewegen, der physiologische Vorgang in uns der eintretenden Bewegung in der That zeitlich vor- ausgeht. Wenn sich nun ein Korper unabhangig von unserer Muskelthatigkeit, etwa durch Attraction eines andern, in Bewegung setzt, so konnen wir uns doch immer vor- stellen, dass wir, nach Beseitigung des anziehenden Korpers, die namliche Beschleunigung durch eigene Anstrengung her- vorrufen, und insofern auch in diesem Falle in ganz bestimm- tem Sinne von einer Kraft sprechen, welche diese Bewegung hervorruft. Dass wir ein quantitatives Maass dieser Kraft erst durch Beobachtung der eingetreteuen Bewegung gewin- nen konnen, liegt nur an der Unvollkommenheit unseres Muskelsinns und andert an dem Begriff der Kraft Nichts. III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 151 Da wir nach dem Gesagten, in Ubereinstimmung mit der geschichtlichen Entwickelung, die wesentliche Bedeutung des Kraftbegriffes in seinem Zusammenhang niit den uns durch den Muskelsinn vermittelten Empfindungen erblicken, so konnen wir uus auch nicht entschliessen, mit KirchholF durch Aufhebung dieses Zusammenhangs den Begriff der Kraft zu einem rein kinematischen zu stempeln. Gewiss ist zuzugeben, dass aus dem Begriff der Beschleunigung allein sich ein grosser Theil der Mechanik construieren lasst, vor Allem die ganze Astronomic, und iiberhaupt alle diejenigen Bewegungsvorgange, die nur durch das Auge wahrgenommen vverden. Aber die Physik hat es doch mit der Beschreibuug aller Erscheinungsfbrmen zu thun, nicht nur derer, die uns durch den Bewegungssinn, sondern auch derer, die uns durch den Muskelsinu, den Temperatursinn, den Farbensinn u. s. w. vermittelt werden, und dementsprechend sind die fundamen- talen physikalischen BegrifFe direct aus den specifischen Sin- nesempfindungen abzuleiteu. Exact niessen konnen wir zwar eine Teniperatur ebensowenig durch den Temperatursiun, wie eine Kraft durch den Muskelsinn, oder eine Farbennuance durch den Farbensinn, weil dazu die Scharfe unserer Sinnes- empfindungen nicht ausreicht, sondern wir mussen uns zur Erreichung dieses Zweckes nach anderen Erscheinungen um- seheii, die erfahrungsgemass mit den genaimten Empfindungen in einem notwendigen Zusammenhang stehen uud den Vor- theil einer quantitative!! Messung darbieten , das sind in der Regel Bewegungserscheinuugen: bei der Teniperatur die Aus- dehnung, bei der Kraft die Beschleunigung, bei der Farbe die Wellenlange, u. s. w. ; aber deshalb werden wir uns doch nicht veranlasst sehen, Temperatur, Kraft, Farbe u. s. w. fur kinematische Begriffe zu erklaren. So wenig wir mit dem Worte ,,blau" in erster Linie die mechanische Vorstellung einer bestimmten Schwingungszahl oder einer bestimmten Wellenlange des Athers verbinden, die uns doch allein das exacte physikalische Maass der Farbe liefert, ebenso sollten wir, wenn wir von der ,,Anziehungskraft 4< eines Magneten auf ein Stuck Eisen reden, zunachst nicht an die (mit der Masse multiplicierte) Beschleunigung denken, die der Magnet dem Eisen ertheilt, sondern vielmehr an die, allerdings nicht 152 HI- Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. zur exacten Messung geeignete, Druekempfindung, die wir in den Muskeln verspiiren, wenn wir, nach Beseitigung des Magneten, durch eigene Action dem Eisen die namliche Be- schleunigung ertheilen. Indem Kirchhoff in seiner bewun- derungswiirdigen Darstellung der Mechanik den Begriff des Causalzusammenhangs auf das zuriickfuhrte , was er wirklich bedeutet, namlich die Notwendigkeit der zeitlichen Aufein- anderfolge, glaubte er leider zugleich auch die durch den Muskelsinn vermittelten Empfindungen aus dem Fundament der Mechanik entfernen zu miissen, obwohl dieselben uns doch mit genau dem gleichen Rechte zu physikalischen Be- griffen verhelfen wie etwa die Empfindungen des allerdings verhaltnismassig scharferen Gesichtssinnes. Fiir den gegen- wartigen Stand der Mechanik diirfte es allerdings im wesent- lichen auf das Namliche hinauskommen, ob man den Begriff der Kraft von vorneherein mit den Empfindungen des Muskel- sinns in Zusammenhang bringt oder ob man diesen Zusam- menhang erst hinterher einfuhrt (denn dass er iiberhaupt einmal eingefiihrt werden muss, ist selbstverstandlich , schon mit Riieksieht auf die Theorie der ersten und altesten Ma- schinen: derer, die durch Muskelkraft bewegt werden); aber die Mechanik ist ja ebensowenig wie irgend ein anderer Theil der Physik eine abgeschlossene Wissenschaft, wenn sie auch auf einer verhaltnismassig sehr hohen Stufe steht: wahrend die einmal beobachteten Thatsachen bleiben, und durch fortwahrend neue erganzt und vervollstandigt werden, konnen die Anschauungen in oft ungeahnter Weise wechseln. Der einzige feste und unangreifbare Ausgangspunkt liegt fiir uns anerkanntermassen in den durch die Sinnesempfin- dungen gelieferten Erscheinungen , und es diirfte daher in hohem Grade rationell sein, uns auch die Benutzung aller unserer Sinne zur steten Verfiigung zu halten und nicht von vorneherein auf die Verwertung eines derselben zu ver- zichten, der fiir das Verstandnis und die Entwickelung des Begriffes der Kraft, wie schon der Name besagt, der Wissen- schaft bisher die wichtigsten Dienste geleistet hat uod mut- masslich noch leisten wird. Kommen wir nun zuriick auf die oben angeregte Frage, ob es fiir die Darstellung der Mechanik zweckmassiger sei, III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 153 das Gesetz der Proportionality von Kraft und Beschleunigung aus dem Princip der Erhaltung der Energie abzuleiten, oder umgekehrt, so mochten wir ~ dy ' ~W In diesem Fall wird die Grosse der in einer beliebigen end- lichen Zeit geleisteten Arbeit gemessen einfach durch die Abnahme dieses Potenzials, einerlei welche Bahn der Punkt ^ beschrieben hat. Der zuletzt abgeleitete Satz lautet dann folgendermassen : Wenn ein ruhender Punkt sich zu bewegeu anfangt unter Einwirkung von Kraften, die ein nur von der Lage des Punktes abhangiges Potenzial haben, so geschiebt -^ dies immer in der Weise, dass das Potenzial abnimmt. Gehen wir nun weiter zur Betrachtung eines materiellen Punktes, dessen Beweglichkeit durch gewisse aussere von vorneherein festgestellte Bedingungen beschrankt ist, so konnen wir hier zun'achst zwei Arten von Kraften unter- scheiden: 1) diejenigen, welche den Punkt in gewisser Weise zu bewegen streben wir wollen sie im folgenden die treibenden Krafte nennen, ihre Grosse und Richtung ist III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 155 im allgemeiuen unmittelbar bekannt, und 2) diejetiigen, welche durch 'die Existenz der festen Bedingungen hervor- gerufen werden wir nennen sie Widerstandskrafte; diese Krafte sind nur dadurch charakterisiert, dass ihre Wirk- samkeit immer gerade den Erfolg hat, die festen Bedingungen unter alien Umstanden aufrecht zu erhalten. Beide Arten von Kraften zusammen bestimmen die Bewegung des Punktes nach den allgemeinen Bewegungsgesetzen , die fiir einen freien Punkt gelten. Die Unbestimmtheit, welche noch in den Werten der Widerstandskrafte enthalten ist, lasst sich durch folgenden Satz beseitigen, der auf der Zerlegung der Gesamnitarbeit in die der einzelnen Krafte beruht: Wenn die (durch irgend welche mechanische Vorrichtungen zu er- zielende) Verwirkliehung uud Aufrechterhaltung der festen Bedingungen weder mit Aufwand noch mit Erzeugung von Energie verbunden ist, so ist die Arbeit der Widerstands- krafte an dem betrachteten materiellen Punkt iramer gleich 0; denn in diesem Falle kann dem Punkt durch die Wirkung der festen Bedingungeu keine Energie mitgetheilt werden, sonst wtirde diese Energie aus Nichts entstehen. Dies tritt immer ein , wenn die Bedingungen nicht von der Zeit ab- hangen, wenn z. B. der Punkt gezwungen ist, auf einer im Raume festen Flache oder Curve zu bleiben. Ein Punkt also, auf den gar keine treibenden Krafte wirken , wird sich auf einer festen Flache oder Curve mit constanter Geschwin- digkeit bewegen. Setzen wir nun, unter Festhaltung des angenommenen Falles, voraus, der Punkt befinde sich anfangs in Ruhe, ge- rathe aber in Folge der Einwirkung gewisser treibender Krafte in Bewegung, so muss nach dem oben abgeleiteten Satz die Gesamnitarbeit sammtlicher auf den Punkt wirkenden Krafte positiv sein; da aber, wie wir eben sahen, die Arbeit der Widerstandskrafte gleich ist, so folgt, weil die Ge- sammtarbeit aller Krafte die Summe der Arbeiten der ein- zelnen ist, der Satz, dass ,,bei jeder eintretenden Bewegung die Arbeit der treibenden Krafte fiir sich allein positiv ist"; mit andern Worten: die Richtung der Resultante der trei- benden Krafte bildet mit der Richtung der Bewegung, die der Punkt einschlagt, einen spitzen Winkel. Fiir den spe- 156 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. ciellen Fall, dass die treibenden Krafte ein Potenzial haben, folgt, dass beim Beginn der Bewegung das Potenzial ab- nimmt. Hieraus ergibt sich unmittelbar der Satz der vir- tuellen Verriickungen : Wenn unter alien Verschiebungen, die der Punkt in Folge der festen Bediugungen erleiden kann, sich kerne einzige befindet, fur die die Arbeit der treibenden Krafte positiv ist, kann iiberhaupt gar keine Be- wegung zustande kommen, dann muss Gleichgewicht bestehen ; denn ware dies nicht der Fall, wiirde Bewegung eintreten, so ware bei der entstehenden Verschiebung die Arbeit der treibenden Krafte oder negativ, was mit dem angefiihrten Satz unvereinbar ist. Sind XYZ wieder die Componenten der Resultante der treibenden Krafte, so ist also Gleich- gewicht vorhanden, we-nn fiir jede zulassige virtuelle Ver- riickung dx, 8y, dz die Bedingung gilt: Xdx+ Fiir den gewohnlich vorkommenden Fall, dass die festen Be- dingungen alle durch Gleichungen (nicht durch Unglei- chungen) zwischen den Coordinaten des beweglichen Punktes ausgedriickt sind, wird, wenn irgend eine Verschiebung dx, dt/j dz mit den Bedingungen vertraglich ist, immer auch die entgegengesetzte : dx, dy, dz zulassig seio, so dass die fur das Gleichgewicht geforderte Bedingung nur dann erfiillt ist, wenn fiir alle zulassigen Verrijckungen : Xdx + Ydy + Zdz = 0. Haben die treibenden Krafte ein Potenzial, so lautet die Gleichung: d V = 0. Diese Bedingung ist immer dann erfiillt, wenn fiir den betreffenden Raumpuukt der Wert des Potenzials ein Maximum oder ein Minimum ist, und zwar ist unmittelbar ersichtlich, dass im ersten Fall das Gleichgewicht ein labiles, im zweiten ein stabiles ist. Denn bringt man den materiellen Punkt an eine weuig von seiner Gleichgewichtslage entfernte Stelle, so wird er nicht mehr im Gleichgewicht sein, sondern in Bewegung gerathen, dqch so, dass das Potenzial abnimmt. Wenn also in der Gleichgewichtslage das Potenzial ein Minimum ist, so muss er dorthin zuriickkehren , im entgegengesetzten Fall ist dies unmoglich. Dazwischen gibt es Falle, in denen das Gleich- gewicht fiir gewisse Verschiebungen labil, fiir andere aber III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 157 stabil ist; danu erreicht der Wert des Potenzials weder ein Maximum noch ein Minimum. Wir haben alle diese Folgerungen mit einer gewissen Umstandlichkeit abgeleitet, die durch Benutzung gewisser einfacher Satze (z. B. dass die Widerstandskraft einer Flache oder Curve stets senkrecht auf ihrer Ricbtung wirkt) etwas abzukiirzen gewesen ware, indess haben wir dafur den Vor- tbeil gewonnen, die angewandte Betrachtung im wesentlichen unverandert auf Systeme von beliebig vielen materiellen Punkten zu iibertragen (S. unten). Aus dem Princip der virtuellen Ver- riickungen lassen sich bekanntlich nicht nur die Gleichge- wichtsbedingungen, sondern aucb die Bewegungsgleichungen des materiellen Punktes ableiten, vorausgesetzt, dass man zu den Componenten der treibendeu Krafte noch die Grossen m dt* > ~di* > dt* hinzufugt. Wir wollen daher nun gleich ubergehen zur Behandlung eines Systems von mehreren beweglichen Punkten, und zwar zunachst von zwei Punkten, um fur dasselbe die Giltigkeit des Princips der Wirkung und Gegenwirkung abzuleiten: hiebei seien zunachst alle Wirkungen von anderen Massen ausgeschlossen. Bezeichnen wir die Coordinaten eines Punktes mit xyz, seine lebendige Kraft mit T, die Componenten der von dem anderen Puukt her auf ihn wirkenden Kraft mit XYZ, wobei der angefiigte Index 1 oder 2 dem Punkt ent- spricht, auf den gewirkt wird, so ist fur jeden einzelnen Punkt das Wachsthum seiner Energie gleich der Arbeit der auf ihn wirkenden Kraft, also: dT, = X,dx, + Y,dy, + Z,dz, , Nehmen wir andrerseits beide Punkte zusammen als ,,Grund- system" (S. 121) an, so sind die ausseren Wirkungen 0, und die Energie daher constant. Diese Grosse wird aber natur- lich im allgemeinen nicht allein aus den lebendigen Kraften (der actuellen Energie) der beiden Punkte bestehen, sondern es wird hiezu noch ein Glied hinzutreten, das auch von der Lage der Punkte im Raurn abhangig ist, und sich als neue 158 in. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. Energieart neben die andere lagert. Bezeichnen wir diese Energieart (die potenzielle Energie) mit U, so haben wir: T 7 ! + T 2 + U = const, also dT, + dT 2 + dU = 0. Hieraus liefern die beiden oben aufgestellten Gleichungen zusammen genommen: X^dxt + Y^dy^ +Z^dz { + X 2 dx^+ F 2 dy^ + Z^dz 2 = ~ dU. Die Gesammtarbeit der wirkenden Krafte bildet also das voll- standige zeitliche Differenzial einer nur von dem augenblick- lichen Zustand (Lage und Geschwindigkeit) der beiden Punkte abhangigen Function, und diese Bedingung ist geeiguet, gewisse notwendige Eigenschaften der Krafte abzuleiten. Lassen wir zunachst U nicht nur von der Lage, sondern auch von der Geschwindigkeit der beiden Punkte abhangen, so wurde -TT- auch die Beschleunigung in sich enthalten, wor- aus nach der letzten Gleichung folgt, dass die Kraftecompo- nenten XYZ, ebenfalls von der Beschleunigung abhangen naiissten. Diese Annahme findet sich in der That durch- gefiihrt in den Grundgesetzen , welche W. Weber 1 ), B. Rie- mann 2 ) und R. Clausius 3 ) fiir die Wirkung zweier elektrischer Punkte aufeinander aufgestellt haben. Allerdings wird hie- durch sowohl die Vorstellung von der Wirkungsweise der Krafte als auch die Rechnung selber sehr viel complicierter, und da die Annahme dieser Gesetze keineswegs notwendig erscheint, vielmehr gegen jedes einzelne derselben noch be- sondere anderweitige Griinde sprechen, so wollen wir hier den angenommenen Fall nicht weiter ausfiihren. Dann bleibt nichts anderes iibrig, als anzunehmen, dass U nur von der Lage der beiden wirkenden Punkte abhangt, 1) W. Weber: Elektrodynamische Maassbestimmungen , Abh. d. k. sachs. Ges. d. Wise. X, p. 1, 1871. Vgl. auch Fogg. Ann. Jubelband, p. 212, 1874. 2) B. Riemann: Schwere, Elektricitat und Magnetismus , bearb. v. Hattendorff, Hannover 1876, p. 326. 3) R. Clausius: Uber ein neues Grundgesetz der Elektrodynamik. Pogg. Ann. 156, p. 657, 1875. Crelle J. 82, p. 85, 1876. Die mechanische Behandlung der Elektricitat. Braunschweig 1879, p. 277. III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 159 und zwar, wie wir gleich hinzufiigen konnen, von ihrer Ent- fernung r, da dies die einzige physikalische Grosse ist, welche durch die Lage der beiden Punkte vollstandig definiert wird. Wir haben also: wobei U = f(r). Wenn nuii auch die Glieder, in die das Differenzial dU zerfallt, den Grossen einzeln zugeordnet erscheinen, aus denen sich der obige Ausdruck der Arbeit (= d U) zu- sammensetzt, so ist man deshalb noch nicht berechtigt, je 2 ehtsprecheiide Glieder einander gleich zu setzen, also O TT O TT X __ ___ o_u_ y 5LL _ $. , = _ ^!2 u . a. w. zu machen. Dies ware nur dann geboteu, wenn 1) die Differenziale dx { dy^ .... unter einander ganzlich unab- hangig waren, und zugleich 2) die Grossen Jfj JP t . . . . von diesen Diiferenzialen (d. h. von den Geschwindigkeiten) un- abhangig waren. Denn wenn eine von diesen beiden Be- dingungen nicht erfiillt ist, lassen sich immer von ver- schiedene Grosseu auffinden, welche zu den eben angegebenen Werten der Componenten X^ Y^ . . . . hinzugefugt werden konnen, ohne dass dadurch der Wert der Arbeit: X^ dx { + F } dy\ -}-...., also auch der von dU, geandert wird. Diese ,,Zusatz a krafte haben also die Eigenschaft, dass die von ihnen geleistete Arbeit gleich ist. Solcher Krafte lassen sich in der That verschiedene namhaft machen, und zwar zerfallen sie, entsprechend den beiden angefuhrten Be- dingungen, in zwei gesonderte Arten. Die einen, welche aus einer Abhaugigkeit der Coordinaten von einander entspringen, riihren her von dem Bestehen fester Bedingungen zwischen den beiden wirkenden Punkten, sie spielen wegen der Be- quemlichkeit ihrer mathematischen Behandlung in der Me- chanik eine bedeutende Rolle, und wir werden auf sie spater 160 III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. noch etwas eingehender zuruckkommen, hier wollen wir aber das Eine hervorheben, dass diese Art Kriifte (wir haben sie oben als Widerstandskrafte bezeichnet) in der Natur durch- aus keine primare Existenz habeu, sondern sich stets in letzter Liriie auflosen lassen in solche Krafte, welche durcb den Zustand der Punkte selbststandig gegebeu sind; denn jede feste Bedingung kann in der Natur nur durch gewisse mechanische Mittel hergestellt werden ? also durch passende Gruppierung passender Korper, und indem wir diese Korper auflosen in ihre einzelnen Punkte, zerlegen wir die Wider- standskrafte in ihre Elemente, welche alle durch ,,treibende" (S. 154) Krafte dargestellt werden. In letzter Linie muss jeder Punkt als frei beweglich betrachtet werden. Es bleibt also nur noch die andere Art von Zusatz- kraften zu besprechen iibrig: Krafte, die von den Geschwin- digkeiten der beiden (freien) Punkte derart abhaugen, dass ihre Gesammtarbeit an beiden Punkten immer gleich ist, wir nennen ihre Componenten X } ' Y{ Z/ X 2 Y 2 Z 2 . Un- bedenklich konnen wir annehmen, dass die Grosse dieser Krafte nicht von den absoluten Coordinaten und Geschwin- digkeiten, sondern nur von den relativen Werten abhangt, da die ersteren iiberhaupt keine physikalische Bedeutung haben. Soil dann die Arbeit dieser Krafte: X^dXi + F/rfy, + Zjdzi + X 2 'dx. 2 + Y 2 dy 2 + Z 2 dz 2 identisch verschwinden, so haben wir, wie sich leicht zeigen lasst: also die Krafte an beiden Punkten an Grosse gleich, an Richtung (die beliebig ist) entgegengesetzt. Setzen wir zur Abktirzung : x l x 2 = x, y^ ?/ 2 = y, Zi z 2 = z, so ist noch die Bedingung zu befriedigen: X^dx + Y{dy + Z{dz == 0. Die allgemeine Losung dieser Gleichung ist: III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 161 p d y ~ H ^Tt dt ' dt d dx wobei P, Q, R beliebige Punctionen der (relativen) Coordi- naten und Geschwindigkeiten darstellen. Auf die Vertrag- lichkeit derartiger Krafte mit dem Princip der Erhaltung der Energie hat Lips chit z 1 ) aufmerksam gemacht. Specialisieren wir die Ideen noch etwas mehr, um eine deutlichere Vor- stellung von dem Wesen dieser Krafte zu gewinnen, so ware zunachst noch die Bedingung zu" befriedigen , dass bei einer Drehung des Coordinatensystems um den Anfangspunkt eben- sowenig eine Anderung der Abhangigkeit der Kraftecompo- nenten von den Coordinaten und deren Differenzialquotienten eintritt, wie wir dies schon fiir eine Parallelverschiebung der Coord inatenaxen angenommen haben. Diese Bedingung wird erfuilt, wenn wir setzen: wobei () eine beliebige Function von r darstellt. Wird Q umgekehrt proportional der Entfernung r genommen, so geht die hierdurch definierte Kraft iiber in diejenige, welche ein ruhendes Stromelement nach Ampere auf einen ruhenden Nordpol ausiibt, vorausgesetzt, dass die Stromcomponenten proportional den Grossen -^, ~ , -^ angenommen werden. Eine derartige Kraft ist also sehr wohl vorstellbar; da sie aber nach einem weniger einfachen Gesetz wirkt, als die Centralkrafte, so wiirde man ihr erst dann eine physikalische Existenz zuschreiben, wenn es sich zeigen sollte, dass gewisse in der Natur beobachtete Bewegungserscheinungen ohne sie nicht zustande kommen konnen; dies ist bis jetzt nicht der Fall gewesen. Man darf hier nicht die erwahnte Wechselwirkung zwischen Stromelementen und rnagnetischen Polen als Be- 1) H. v. Helmholtz: Wiss. Abh. I, p. 70. Planck, Energie. \\ 162 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. weis fur das Vorhandensein solcher Krafte anfuhren; jene Wirkungen bedeuten nichts welter als " eine kurze und bequeme Zusammenfassung der Krafte , welche geschlossene Stronie und vollstandige Magnete aufeinander ausiiben; ein vollstandig isoliertes Stromelement hat uberhaupt keine phy- sikalische Existenz, da stets eine aussere Kraft dazu gehort, um den Strom aufrecht zu erhalten. Erst dann ware die Einfiihrung der fraglichen Krafte berechtigt und geboten, wenn in der Wechselwirkung zwejer oder mehrerer von ausseren Einfliissen vollstandig isolierter Punkte oder Korper eine Erscheinung constatiert werden konnte, die jenen Kraften eigentiimlich ware. Eine solche Erscheinung wiirde sich leicht verrathen: zwar gentigen die fraglichen Krafte dem Satz von der Erhaltung der Bewegung des Sehwerpunktes, weil sie an je zwei Punkten mit gleicher Grbsse und in ent- gegengesetzten Richtungen wirken, aber sie widersprechen dem Satz von der Erhaltung der Flachen, weil ihre Richtungen nicht mit der Verbindungslinie der Punkte zusammenfallen, sondern auf ihr senkrecht stehen und daher ein Drehungs- moment liefern. Wahrend also die lebendige Kraft der Be- wegung constant bleibt, andert sich fortwahrend die Summe der Momente der Bewegungsgrossen in Bezug auf eine feste Axe. Mithin wiirde jede etwa beobachtete Abweichung der Bewegung irgend eines Punktsy stems, das keinen ausseren - - Wirkungen unterworfen ist, von dem Gesetz der Flachen zur Annahme der hier besprochenen Krafte fuhren mtissen. Da die Richtung dieser Krafte nicht in die der Ver- bindungslinie der beiden Punkte fallt, zwischen denen sie wirkeu , so stehen sie auch in Widerspruch mit dem Princip der Wirkung und Gegenwirkung und werden daher hinfallig, sobald man dies Princip als allgemein giltig voratissetzt. Auf diese Weise hat Helmholtz 1 ) sich ihrer entledigt; wir mochten hier jedoch der Gleichformigkeit der Behandlung halber das Princip von Wirkung und Gegenwirkung nicht unmittelbar als gegeben hinstellen, sondern . viel in ehr darlegen, unter welchen Voraussetzungen sich dasselbe als eine Folge des von uns iiberall durchgefiihrten Energieprincips erweist. 1) H. v. Helmholtz: Wiss. Abh. I, p. 70. III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 163 Gehen wir aus von der obigen Gleichung der Erhaltung der Energie : X } dx i + F l dt/ i +Z l dzi + X 2 dx 2 + F 2 dy 2 + Z 2 dz 2 = dU wobei U = f(r) , also d so konnen wir zunachst ohne weiteres annehmen, dass die Kraftecoinponenten nur von den relativen Coordinaten x # 2 , y\ y>n z \ z i abhangen, da ihre Grosse durch eine Pa- rallel verschiebung der Coordinatenaxen nicht geandert wird. Dann wird notwendig: x, + x 2 - o, r t + F 2 = o, z, + z, = o, und: X t d( Xl - xj + r t d(y, - y t ) + Z i d(z l - z t ) = -dU. Wenn wir nun nicht nur die beiden ganzen Ausdrucke fiir dUj sondern auch je -zwei entsprechende Glieder dieser Aus- driicke einander gleich setzen, so erhalten wir das Resultat: d. h. die von beiden Punkten ausgehenden Krafte sind ein- ander gleich und entgegengesetzt, und ihre Eichtungen fallen rait der Verbindungslinie zusammen. Das Princip der Wir- kung und Gegenwirkung (3. Axiom von Newton) folgt also aus dem Princip der Erhaltung der Energie mit Hilfe der Annahme, dass nicht nur die Gesammtarbeit der zwischen zwei Punkten wirkenden Krafte die Ver'anderung ihrer po- tenziellen Energie ausdriickt, sondern dass auch jeder einzelne der auf die 3 Coordinatenaxen beziiglichen Theile, aus denen sich die Gesammtarbeit zusammensetzt, den der betreffenden Axe entsprechenden Zuwachs der Energie misst. Es ist dies abermals nichts Anderes als eine Anwendung des Princips der Ubereinanderlagerung der Energien, welches die Bedeu- tung hat, eine Reihe von ausserlich verschiedenartigen Satzen unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt zusammenzufassen, und wegen dessen wir nur wieder auf die Bemerkungen S. 147 f. und S. 130 verweisen konnen. 11* J64 HI. Abschnitt Verschiedene Arten der Energie. Somit haben wir die zwischen zwei Punkten wirkeuden Krafte zuriickgefiihrt auf Centralkrafte, die ein nur von der Entfernurjg abhangiges Potenzial V haben, wobei U zugleich den Wert der potenziellen Energie der beiden Punkte aus- driickt. Bis jetzt ist in der Natur keine einzige Erscheinung entdeckt worden, die der Annahme widerspricht, dass sich sammtliche Krafte in letzter Linie zuriickfuhren lassen auf solche Centralkrafte (die insbesondere auch unabhangig sind von den Geschwindigkeiten). Hiegegen lasst sich aus der Abhangigkeit der elektrodynamischen Wirkungen von der Stromstarke und sogar von deren Differenzialquotienten nach der Zeit ebensowenig ein Einwand herleiten, wie etwa aus der Thatsache, dass der Druck eines Gases abhangig ist von der Temperatur, also auch von der lebendigen Kraft der inneren Bewegungen. Denn wie man vor wenigen Jahrzehnten ge- lernt hat die letztere Kraft durch die Gesetze des elastischen Stosses zu erklaren, welche sich ihrerseits gewiss auf die Wirkungen von Centralkraften reducieren lassen, so ist auch gegriindete Aussicht vorhanden, die elektrodynamischen Er- scheinungen in ahnlicher Weise aufzulosen. Man muss sich nur die elektrodynamischen Krafte vorstellen nicht als primar bedingt durch das blosse Vorhandensein der stromenden Elektricitat, sondern viehnehr als hervorgehend aus einer eigentiimlichen , einstweilen noch unbekannten, Anordnung der wirkenden Centren, die selber erst eine Folge der Thatig- keit des Stromes ist. Geheu wir nun weiter zur Betrachtung eines Systems von mehreren Punkten (in endlicher Anzahl), die in end- lichen Entfernungen aufeinander wirken, so denken wir uns die hier auftretenden Krafte zerlegt in solche, die nur zwi- schen je zwei bestimmten Punkten wirken und fiihren dadurch alle Wirkungen auf Centralkrafte zuriick. Dass eine der- artige Zerlegung iiberhaupt moglich ist , insbesondere dass die zwischen zwei Punkten wirkenden Krafte in ihrer Grosse und Richtung gar nicht beeinfmsst werden durch die von anderen Punkten ausgehenden Wirkungen, versteht sich durch- aus nicht von selbst, sondern bildet wieder einen Fall der .Anwendung des Princips der Ubereinanderlagerung der Wir- kungeu, das uus schon zu wiederholten Malen die Handhabe III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 165 zur Verwertung des Princips der Erhaltung der Energie ge- liefert hat. - - Hiedurch erklart sich auch, weshalb der Satz von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung auch fiir solche Krafte gilt, welche nicht unmittelbar in der Form von Centralkraften erscheinen, wie: Reibung, unelastischer Stoss u. dgl. Solche Krafte sind doch immer als zusammengesetzi anzusehen aus einer Anzahl von Centralkraften, und da die letzteren einzeln dem genannten Satz geniigen, miissen es auch die Resultanten thuu. Haben wir nun ein solches System von frei beweglichen Punkten, auf das keine iiusseren Wirkungen ausgeiibt werden, dessen Energie also constant ist, so lassen sich die Com- ponenten der Resultante aller auf einen Punkt xyz wirken- den Krafte auf die Form bringen: Y _ du _ du du ~ dx' ~ du> ~d*' U ist das Potenzial der wirkenden Krafte, es wird gebildet durch eiufache Addition der Poteuziale je zweier Punkte auf- einander. Fiir einen einzelnen Punkt gilt wieder der Satz, class die Veranderung seiner Energie (leb. Kraft) gleich ist der Arbeit der Kraft, die auf ihn wirkt. Summiert man alle hiedurch entstehenden Gleichungen und bezeichnet mit T die Summe aller lebendigen Krafte, so ergibt sich hieraus: dT= 2(Xdx + Ydy + Zdz)=* dU oder: T+ U= const. Die Energie des Systems besteht also immer nur aus den beiden Theilen : der actuellen oder kinetischen und der poten- zielleii Energie, von denen die erste durch die Summe der lebendigen Krafte, die zweite durch das Potenzial der Cen- tralkrafte gebildet wird. Wenn zu den betrachteten Krafteii noch Wirkungen von aussen hinzutreten, so andert sich die letzte Gleichung dahin ab, dass die in einer gewissen Zeit vor sich gehende Veranderung der Energie (d. h. die von aussen auf das System iibertragene Energie) gleich ist der Summe der Arbeiten, die in derselben Zeit von den aussereu Kraften an alien Punkten des Systems geleistet werden. Durch diesen Satz ist man in den Stand gesetzt, die Gleichung der Energie auf einen ganz beliebig aus dem System heraus- gegriffenen Complex von Punkten anzuwendeu. 166 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. Fiir ein System freier Punkte, wie wir es bis jetzt an^ geuommen baben, ist die Aufstellung der Bewegungsgleichun- gen ebenso einfach wie fiir eiiien einzelnen freien Punkt. Etwas anders wird es, wenn die Bewegungen der Punkte durcli feste Bedingungen eingeschrankt werden, da in diesem Fall zu den treibenden Kraften noch gewisse Wider- standskrafte hinzutreten, deren Grosse und Richtung nicht unmittelbar durch die Lage der Punkte gegeben sind. Doch gelangt man bier zum Ziel durcb die Benutzung einer fiir alle Widerstandskrafte charakteristischen Eigenscbaft. Welcbe feste, von der Zeit unabbangige, Bedingungen wir namlicb aucb in der Natur beobacbten mogen (feste Flacben und Linien, starre Korper, vollkominen biegsame und unausdebn- bare Faden und Membrane, incompressible Fliissigkeiten) : fiir alle gilt der Satz, dass die Gesammtarbeit der von ihnen ber- riibrenden Widerstandskrafte stets gleich ist, und zwar aus dem Grunde, weil die Aufrechterbaltung dieser Bedingungen weder mit Aufwand noch mit Erzeugung von Energie ver- bunden ist. Denn da weder die Arbeit einer ausseren Kraft erforderlicb ist, um die Wirksamkeit der genannten Verbin- dungen zu unterbalten, nocb aucb die Korper, welche die Verbindungen constituieren, bei beliebigen Bewegungen irgend eine innere Veranderung erleiden, so kann aus den Wir- kungen der den Bedingungen entsprecbenden Widerstands- krafte in ihrer Gesammtbeit aucb keine Arbeit oder leben- dige Kraft bervorgeben ; dieselbe ware sonst aus Nichts entstanden. Sobald allerdings einer der genannten beiden Umstande in Wegfall kommt, bort aucb die von uns gemachte Argumentation auf, biudend zu seiu. So z. B. wird zur Auf- recbterbaltung der festen Bedingungen im allgemeinen immer dann die Arbeit einer ausseren Kraft erfordert, wenn die- selben von der Zeit abbangig sind, wenn also z. B. ein Punkt gezwungen ist, auf einer Flacbe zu bleiben, die sicb auf bestimmte gegebene Weise bewegt. In diesem Fall wird die Widerstandskraft der Flacbe eine von verschiedene Arbeit an dem Punkte leisten, und zwar genau von dem Betrage der Arbeit, die erforderlicb ist, um die Flache in ibrer Be- wegung zu erhalten. Andrerseits haben wir eine innere Veranderung der die feste Bedingung bildenden Korper bei- III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 167 spielsweise dann zu verzeichnen, wenn ein Punkt sich auf einer reibenden Fliiche bewegt; hier leistet die von der Flache ausgehende Kraft auch eine Arbeit, aber dafiir bleibt die Flache nicht ,unverandert, sondern sie wird erwarmt, elek- trisiert u. s. w. Wenu wir derartige Falle, die einer beson- deren Behandlung bediirfen, von der Betrachtung ausschliesseu, so konnen wir allgemein den Satz aufstellen : Die Gesammt- arbeit aller Widerstandskrafte ist = 0. Dabei konnen nattir- lich die Widerstandskrafte an einzelnen Punkten sehr wohl Arbeit leisten, wie z. B. die Spannung eines unausdehiibaren Fadens, d. h. sie konnen Energie von einem Punkt zum andern iibertragen, ohne deren Gesammtbetrag zu andern. Aus diesem Satz folgt also fur ein System von Punkten, das beliebigen festen Bedingungen unterworfen ist, und auf das sonst keine ausseren Krafte wirken, unmittelbar wieder die obige Gleichung der Erhaltung der Energie: T + U = const. ganz unabhaugig von den festen Bedingungen. Wenn das System durch die Wirkung der treibenden Krafte aus dem Ruhezustand in Bewegung versetzt wird, so ist, da dann dT > 0, iinmer dU < 0, d. h. die Bewegung geht dann immer in dem Sinne vor sich, dass die poteuzielle Energie, das Potenzial der treibenden Krafte, abnimmt. Hieraus resultieren sogleich die Gleichgewichtsbedingungen des Systems. Denn es kann offenbar keine Bewegung eintreten, wenn fur alle Verschiebungen dx, dy,dz, die die Punkte vermoge der festen Bedingungen iiberhaupt erleiden konnen, d/i>0, da dann die zum Eintritt einer Bewegung notwen- dige Bedingung nicht erfullt ist. Sind die festen Bedingungen derart, dass fur jede mit den Bedingungen vertragliche Ver- schiebung auch zugleich die entgegengesetzte zulassig ist (was z. B. nicht der Fall, wenn ein Faden wohl undehnbar, aber uicht unzusammendruckbar ist), so kann die letzte Be- dinguug nur dadurch erfullt werden, dass fur alle zulassigen Verschiebungen : d U= oder : S (Xdx + Ydy + Zdz) = 0. Gleichgewicht ist also in alien Zustanden des Systems vor- handen, fur welche U ein Maximum oder ein Minimum ist. Dass der erste Fall dem absolut labilen, der zweite dem 168 III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. absolut stabilen Gleichgewicht entspricht, ist unmittelbar ein- leuchtend und von uns bereits fur einen einzigen Punkt (S. 156) erortert worden. Schliesslich konnen wir jeden beliebigen Bewegungs- zustand nach dem Vorgang von d'Alembert dadurch auf einen Gleichgewichtszustand zuruckfiihren ; dass wir zu den Oom- ponenten der treibendeu Kraft X, F, Z an jedem Punkt die d z x d z v d z z i i Grossen m -^ , m ^f , m -^ beziehungsweise ad- dieren. Wir erhalten dann aus dem obigen Satz der virtuel- len Verschiebungen : I JS 1 V f\ und konnen daraus nach bekannten Methoden, die vorzugsweise von Lagrange und von Hamilton entwickelt sind, die Be- wegungsgleichungen fur jeden einzelnen Punkt in verschie- denen Formen ableiten. Da diese Untersuchungen wesentlich mathematisehes Interesse besitzen, so haben wir hier auf deren Besprechung nicht einzugehen, wollen jedocb vor dem Ubergang zu weiteren Aufgaben eine Bemerkung von prin- cipieller Wichtigkeit anfiigen. Die Energie eines Systems von Punkten stellt sich uns dar als aus zwei Arten bestehend, von denen die eiiie, 7, das Potenzial der treibenden Krafte, nur von der Lage, die andere, Tj die Summe der lebendigen Krafte, nur von der Geschwin- digkeit der Punkte abhangt. In der von uns gebrauchten Form sind die Werte der beiden Energiearten durch ihre primaren Ausdriicke (S. Ill) gegeben, dieselben behalten da- her durchweg ihre Giltigkeit und ihre Bedeutung, wie ver- schiedeuartig auch die festen Bediiigungen angenommen wer- den mogen. Indessen ist es oft von Vortheil, mit Benutzung der gegeben en Bedingungen statt der rechtwinkligen Coor- dinaten der Punkte andere Variabeln zur Bestiminung der Zustande des Systems zu verwenden, namentlich solche, die von einander unabhangig sind, was ja bei den Coordinate!! irn allgeuieinen nicht der Fall sein wird. Haben wir z. B. n Punkte, also 3 n Coordinaten, und m feste Bedingungen, so wird man oft bequemer die Bewegungen des Systems auf III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 169 (3n m) von einander unabhangige Variabeln zuruckfiihren, zumal es meistens gerade die unabhangigen Variabeln sind, die der Naturbeobachtung am unmittelbarsten zuganglich er- scheinen. Infolge dieser Transformation verlieren dann die Ausdriicke der Energiearten ihre primare Form und nehmen zum Theil andere Eigenschaften an. Nennen wir die unab- hangigen Variabeln etwa p lf /? 2 >---- un ^ nehmen an, dass durch die Werte aller p diejenigen aller xyz bestimmt sind, so lassen sich die rechtwiukligeu Coordinaten alle durch die p, die Geschwindigkeiten aber durch die p und - zugleich ausdriicken. Durch Substitution erhalt man dann die Werte von U und T durch die neuen Variabeln dargestellt. Aber wahrend die potenzielle Energie immer noch als eine Function der Variabeln selber erscheint, andert die kinetische Energie ganz ihren Oharakter. Zwar bleibt sie eine ganze quadratische homogene Function der Differenzialquotienten der Variabeln nach der Zeit, jedoch enthalt sie im allgemeinen nicht mehr nur die reinen Quadrate, sondern auch die Producte je zweier solcher Differenzialquotienten, und ausserdem sind die Coefficienten dieser Function nicht H mehr Constante , sondern abhangig von den Variabeln p. In dieser Form hort also die kinetische Energie auf, von der Lage der Punkte des Systems unabhangig zu sein , - - ein Umstarid , der fiir die Anwendung der mechanischen Principien auf Warme und Elektricitat von fundamentaler Bedeutung ist, wie sich z. B. zeigt an dem von Maxwell aus den allgemeinen mechanischen Gleichungen abgeleiteten Ausdruck der kinetischen Energie ernes Systems von galvanischen Stromen, die ja eine ganze quadratische homogene Function der Geschwindigkeiten der Leiter und der Stromintensitaten ist, wahrend ihre Coefficien- ten von der Lage der Leiter abhangen. Die von uns im Bisherigen fiber die mechanische Energie gemachten Erorterungen finden nur auf den Fall unmittel- bare Anwendung, dass die Anzahl der Variabeln, von denen der Zustand des materiellen Systems abhangt, eine endliche ist; sie bediirfen aber einer Erganzung, sobald sich jene Anzahl ins Unendliche steigert, sobald also z. B. die betrach- teten Punkte einem stetig ausgedehnten Korper angehoren, 170 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. wie das ja bei den meisten Anwendungen zutrifft. Mail konnte nun die oben gewonnenen Resultate vermittelst eines geeigneten Grenziibergangs auch direct auf den bezeichneten Fall iibertragen, indes ist es weit einfacher, und fur die An- wendung des Energieprincips interessanter, die hier auftreten- den Fragen einer besonderen Behandlung zu unterwerfen. Wir wollen uns also jetzt zunachst mit einem als stetig vorausgesetzten Korper beschaftigen , einerlei, ob derselbe sich im festen, fliissigen oder gasformigen Aggregatzustand befindet; zu den festen Korpern konnen wir auch den Licht- ather rechnen. Betrachten wir zuerst ein Element des Korpers, und stellen fiir dasselbe die Gleichung auf, welche das Princip der Energie ausspricht. Die einer bestimmten Zustands- anderung des Elements entsprechende Anderung seiner Ener- gie ist gleich dem Betrage der mechaiiischen Arbeit (oder einer ihr aquivalenten Wirkung), die ausserhalb des Elements aufgewendet werden muss, um die Zustandsanderung auf irgend eine Weise hervorzubringen. (S. 146.) Um diese Gleichung auf die Veranderung anzuwenden, welche das Ele- ment im Laufe einer beliebigen Bewegung des Korpers wah- rend des Zeittheilchens dt erleidet, fassen wir zunachst die ausseren Wirkungen ins Auge, die geeignet sind, die betref- fende Zustandsanderung herbeizufuhren. Diese lassen sich in verschiedene Arten zerlegen, deren Einfliisse sich einfach superponieren. Einmal haben wir die Arbeit der Krafte zu beriicksichtigen, die von aussen auf die ganze Masse des Elements wirken, nach Art der Schwere, und deren Grosse wir als proportional der Masse und als von vorneherein be- kannt voraussetzen wollen. Bezeichnet also dx das Volumen, fi die Dichte des Elements, so haben wir fiir die Arbeit dieser Krafte einen Ausdruck von der Form: (1) (Xdx+ Ydy + Zdz)'^-dr. XYZ sind dabei die Componenten der auf die Masseneinheit wirkenden Kraft, dx, dy , dz die Componenten der Verschie- buiig, die der materielle Punkt, dessen Coordinaten zur Zeit t x t y,z sind, im Zeitelement dt erleidet. Wir haben hier der besseren Unterscheidung wegen von einer Bezeich- III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 171 nung der Differenzialgrossen Gebrauch gemacht, die wir auch im folgenden iiberall durchftihren werden, indem wir nam- licli das Zeichen d fiir ein Differenzial benutzen, in welchem als unabhangige Variabeln vorausgesetzt sind die Zeit t und irgend 3 Grossen, die ein en bestimmten materiellen Punkt charakterisieren, wahrend dagegen sich das Zeichen d auf ein Differenzial beziehen soil, das genommen ist in Bezug auf die 2Jeit t und die 3 Raumcoordinaten (hier x, y, z) als un- abhangige Variabeln. So z. B. entspricht der Differenzial- quotient ~ der zeitlichen Anderung, die die Dichte in einem bestimmten (sich bewegenden) materiellen Punkt erleidet, der Differenzialquotient ~ der zeitlichen Anderung, die die Dichte an einer bestimmten Stelle im Raum erleidet. Beide Grossen hangen zusamuien durch die Gleichung: ^=?_^4_^i _i_ ^ ^# j_ ^ ^ dt ~~ dt "~ 3x dt ~r dy dt ~^ dz dt' Die Arbeit der auf die Masse des Elements aus der Perne wirkenden Krafte gentigt aber im allgemeinen nicht, um die Zustandsanderung des Elements hervorzubringen, sie kann z. B. nie eine Drehung desselben veranlassen; dagegen kon- nen wir die in Rede stehende Veranderung, wenigstens was den mechanischen Zustand betrifft, stets dadurch herbeifiihren, dass wir uns gewisse Krafte angebracht denken, die von alien Seiten auf die Oberflache des Elementes wirken. Die Grosse der von ihnen geleisteten Arbeit ist leicht zu berech- nen. Denken wir uns das Volumen des Elements zur Zeit t als ein rechtwinkliges Parallelepiped, dessen, mit den Coor- dinatenaxen parallele, Kanten die Langen dx, dy, dz haben, so wird der ganze Betrag der in der Umgebung des Elements durch die Wirkung dieser Druckkrafte aufgewendeten Arbeit erhalten, wenn man die einzeluen Arbeiten an den 6 Seiten- flachen des Parallelepipeds addiert. Dabei wird die an einer Seitenflache geleistete Arbeit proportional sein der Grosse dieser Flache, so dass wir z. B. fiir die Seitenflache, welche durch den Punkt x, y, z geht und der TZ-Ebene parallel ist, den Arbeitswert haben: (X x dx+ F x dy + 172 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. X x Y x Z x bezeichnen die Componenten der von aussen auf die Placheneinheit derjenigen Flache wirkenden Kraft, deren inuere Normale durch die vom Index x bezeichnete Richtuiig dargestellt ist. In diesem Sinne wird z. B. in einem Gase der Druck X x stets positiv, in einein in der Richtung der X Axe gespannten Draht dagegen negativ. An der gegeniiberliegenden Seitenflache , die durch den Punkt x -|- dx, y, z geht, wird aber in derselben Zeit eine Arbeit geleistet, die der obigen an Vorzeichen entgegen- gesetzt ist und sich an Grosse von ihr nur dadurch unter- scheidet, dass x in x + dx iibergegangen ist, wahrend y und z constant bleiben, so dass wir als Betrag der ganzen Arbeit an dem betrachteten Flachenpaar verzeichnen konnen: Y x dy + Z x dz)-dx dydz Hiezu kommen noch die Arbeiten an den beiden anderen Paaren von Seitenflachen: - (XydX + Yydy + Zydz] \ dX >dx + Y' z dy + Z z t (2) Die Summe der drei letzten Ausdrficke zusammen mit dem Ausdruck (1) stellt somit die gesanimte mechanische Arbeit dar, welche wahrend der Zeit dt ausserhalb des Elementes aufgewendet wird und daher zur Vergrosserung der Energie desselben beitragt. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass im allgemeiuen diese mechanische Arbeit nicht die eiuzige Wirkung darstellt, welche in der Umgebung des Elementes stattfindet, dass viel- mehr noch andere Wirkungen hinzukommen , die nicht etwa erst auf Kosten der eben berechneten Arbeit entstehen und also schon in ihr einbegriffen sind (wie^fc. B. die Compressions- warme), sondern die gleichzeitig neben dieser Arbeit in der Umgebung auftreten. Dahin gehoren einmal die durch Tem- peraturdiiferenzen hervorgerufenen Erscheinuugen der Wiirme- leitung (und Strahlung), von denen wir aber hier ganz ab- sehen konnen, da sie sich unabhiingig neben die rnechauischen Wirkungen lagern, ferner die durch Geschwindigkeitsdifferenzen bedingten Vorgange der Reibung und des Stosses, durch III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 173 welche Energie nicht nur in der Form ausserer mechanischer Arbeit, sondern auch in Form der Molekulararbeit und Warme unmittelbar iibertragen wird. Wenn wir indessen diese Erscheinungen vorlaufig ganz- lich ausser Acht lassen, also die Untersuchung beschranken auf vollkommen elastische (auch der Nachwirkung nicht unter- worfene) Korper, so diirfen wir jedenfalls den oben gewon- nenen Ausdruck der mechanischen Arbeit als den Gesammt- aufwand der Wirkungen betrachten, die ausserhalb des Elements in der Zeit dt stattgefunden haben. Dieselbe misst die gleichzeitige Anderung der Energie, zu deren Berechnung wir nun iibergehen. Die Gesammtenergie des Elements be- steht aus zwei Theilen: der ausseren (kinetischen) und der iuneren (potenziellen) Energie. Die erstere hat den Wert: die letztere hangt nur von dem inneren Zustand des Ele- ments ab, der ausser durch die Lagerung der kleinsten Theil- chen noch durch die Temperatur des Elementes bedingt ist. Die Temperatur ist aber ihrerseits bei vollkommen elastischen Korpern, in denen keine Warmeleitung stattfindet, einzig und allein abhangig von der mechanischen Veranderung (Defor- mation) des Elements, da hiedurch iiberhaupt die gesammte Zustandsanderung , einschliesslich der ausseren Wirkungen, bestimmt ist. Wir konnen daher die innere Energie des Elements ansehen als eine Function allein derjenigen Grossen, welche die augenblickliche Deformation desselben bestimmen, und deren es bekanntlich, bei endlichen wie bei unendlich kleinen Veranderungen , immer 6 gibt. Denn jede Verande- rung eines Elementes kann als lineare Veranderung angesehen werden 1 ) und ist also durch 12 Coefficienten gegeben; von diesen eiitsprechen aber 6 einer Translation und einer Rota- tion des Elements, haben also keinen Einfluss auf die Deformation (Dilatation nach 3 aufeinander senkrechten Rich- tungen), fur deren Bestimmung die 6 anderen iibrig bleiben. Dabei kann man die Verschiebungen von einem ganz nach Willkiir gewahlten Nullzustand aus rechnen, bei festen Kor- 1) G. Kirchhoff: Mechanik, 1877, p. 107. 174 in. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. pern am bequemsten vom natiirlichen Zustand, bei Gasen von einem beliebigen Zustand gleichmassigen Druckes aus. Setzen wir ausserdem die innere Energie proportional der Masse, so ergibt sich fur sie ein Ausdruck von der Form: U p dx. Selbstverstandlich ist U hier nicht der prim are (S. Ill) Aus- druck der inneren Energie der Masseneinheit ; sondern nur giltig fiir den behandelten Fall, er bezieht sich aber natiir- lich niclit etwa auf Processe, die bei constanter Temperatur vor sich gehen, sondern auf Vorgange, die in der Warme- lehre als adiabatisch bezeichnet werden. Die nahere Bestim- mung der Form der Function U verschieben wir noch ein wenig, um nicht schon hier die Unterscheidung zwischen unendlich kleinen und endlichen Bewegungen einfuhren zu miissen. Das Wachstum der Energie des Elements in der Zeit dt ist demnach: und , da die zeitliche Anderung d (ft d x) = : Diese Grosse den summierten Ausdriicken (1) und (2) gleich- gesetzt ergibt die Gleichung des Princips der Erhaltung der Energie fiir das Element eines vollkommen elastischen Korpers. Weitere Schliisse gestattet das Princip selber nicht zu ziehen; nichtsdestoweniger konnen wir uns unter Benutzung des Princips der Ubereinanderlagerung der Wirkungen durch Zerlegung der angefuhrten Gleichung nach gewissen einfachen unmittelbar einleuchtenden Voraussetzungen (von denen man sich iibrigens unter keinen Emstan^en unabhangig machen kann) gerade soviel Gleichungen verschaffen, als zur Bestim- mung der Bewegung erforderlich sind. Zunachst ist an der Form des Ausdrucks (2) ersichtlich, dass der Wert der ausser- halb des Elements aufgewendeten Arbeit bedingt ist durch zwei verschiedene Umstande, namlich durch die Art der rauni- lichen Ver'anderlichkeit 1) der Druckcomponenten X^, Y x , 2) der Geschwindigkeitscomponenten ^j, ~ t ^; sind bei- derlei Grossen im ganzen Raum constant, so verschwindet III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 175 die ganze Arbeit. Nun wollen wir die Annahme machen, dass jeder dieser beiden Umstande auch in besonderer Weise auf die Anderung der Energie hinwirkt: die Veranderlichkeit des Druckes im Raume soil namlieh lediglich den Wert der kinetischen Energie, die Veranderlichkeit der Geschwindigkeit lediglich den Wert der potenziellen Energie beeinflussen ^ eine Veranderung der lebendigen Kraft kann also nur dann zustande kommen, wenn der Druck im Raume ungleieh- massig vertheilt ist, und eine Deformation kann nur dann eintreten, wenn die Geschwindigkeit von Ort zu Ort variiert, Folgerungen, deren Berechtigung in die Augen fallt. Ebenso versteht es sich, dass die Arbeit, welche von den auf die ganze Masse des Elements aus der Feme wirkenden Kraften aufgewendet wird, nur der kinetischen Energie zu Gute kommt. Zerlegen wir also nun die Gleichung der Energie in die auf die beiden verschiedenen Energiearten beziiglicheii Theile, so erhalten wir unter Weglassung des Factors dr einmal fur die kinetische Energie: ,o\ , , , , , (3) , t {- s .-d x + dy + ^ d = (Xdx + Ydy + Zdz) dy und hieraus unter weiterer Zerlegung nach den 3 Coordi- natenaxen, indem wir die Coefficienten von dx, dy, dz auf beiden Seiten einander gleich setzen, die bekannten Pois- son'schen Gleichungen: dX, (4) " ___ v v-t*-x VJ*~y _ dt* = dx ' ' dy ' ' ds ~dP ^ P ' ' ~W "~dy W ^ ti 7 Y*~1L v *J :. ~dP = -* L *' ~ ~W ~dy~' "W 176 HI- Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. Andrerseits bleibt fiir die inn ere Energie die Gleichung: -) dx y c/" I Y ivy i t/t* y dy~ y J?T ' y ' dy , ddx , ddy . 7 ddz 2 ' a*> "T" * * " Q ~T~ ^ z ' p)- Uj die innere Energie der Masseneinheit, ist nach den obigen Ausfiihrungen eine Function der 6 Grossen, welche die De- formation des Elements bestimmen, insbesondere ist U un-, abhangig von der Drehung, die das Element als Ganzes erlitten hat. Nun stellen bekanntlich die Ausdriicke: __ ddy ddx __ ddz ddy __ ddx dy dz ' dz dx ' dx ' ' dy die doppelten Componenten der unendlich kleinen Drehung vor, welche das Element in der Zeit dt erleidet, folglich kann dU nicht von diesen Differenzen, sondern nur von den entsprechenden Summen abhangen, woraus sogleich folgt: Ebenso wie fiir ein unendlich kleines Element, gelten natiirlich diese Betrachtungen ftir einen beliebigen endlichen Theil des Korpers, da das Wachstum der Energie immer gleich ist der aufgewendeten ausseren Arbeit. Zu dem nam- lichen Resultat gelangt man direct durch Integration der fur ein Massenelement geltenden Gleichung der Energie iiber eine endliche Masse. Ist der ganze Korper sich selbst iiber- lassen, so bleibt seine Gesammtenergie constant; wenn er dann aus dem Zustand der Ruhe in den der Bewegung iiber- geht, wobei also die kinetische Energie wachst, so nimmt deshalb die potenzielle Energie ab, woraus ebenso wie S. 156 III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 177 der Satz folgt, dass dem Minimum der Function U der sta- bile Gleichgewichtszustand entspricht. Der allgemeine endliche Ausdruck von U ist nur bekannt fur vollkommene Gase und incompressible Flussigkeiten, wir beschranken uns daher zunachst auf die Betrachtung sehr kleiner Bewegungen, wie sie in festen Korpern, Fliissigkeiten und Gasen stattfinden konnen, und zu denen auch die Schall- und die Lichtbewegung zu rechnen sind. Bei festen Korpern ist diese Beschrankung ohnehin in der Regel geboten durch die Notwendigkeit der Einhaltung der Elasticitatsgrenze. Der Bequemlichkeit halber fiihren wir neue Bezeich- nungen der Variabeln ein. Wir nennen x, y, z die Coordi- naten, die ein materieller Punkt in dem (Null-) Zustand hat, von welchem aus die Verschiebungen gerechnet werden, und w, v y w diese (kleinen) Verschiebungen selber. Dann wird durch x, y, z ein bestimmter materieller Puukt definiert, der zur Zeit / die Lage x -j- u, y + v, z -j- w einnimmt. In den bisherigen Gleichungen haben wir uns also uberall x + u, y -\- v, z + w statt x, y, z gesetzt zu denken. Wenn u, v, w in endlichen Intervallen der Variabeln nicht sehr viel Maxima und Minima besitzen, so sind auch die Differenzialquotienten dieser Grossen nach Ort und Zeit sehr klein und konnen, wenn der Korper endlich ausgedehnt ist, gegen die von x, y, z vernachlassigt werden. Wir erhalten dann aus (5), da nun eine Vertauschung der Ordnung der Differenziation zulassig ist: Wir setzen zur Abkiirzung: 3u _ dv _ dw _ dx ~ -*1 ~dy~ y ^ W z " dw_ . dv_ fiu _,_ dw ~dy~^W s z y y*i W^~J^~ ~~* x ~fa +Jj = =y* ===x y Plauck, Energie. 12 178 HI. Absclmitt. Verschiedene Arten der Energie. Diese 6 Grossen bestimmen ? unabhangig von einander, die Deformation des Elements und folglich auch den Wert von U. Durch Vergleichung der beiden Gleichungsseiten ergibt si eh dann: X L dU V i 3U 7 , dU Ax ~ ~~* Y ~ ~ ~ ~ Y Y ~ - Es handelt sich noch um den Ausdruck von U. Derselbe lasst sich, da die Variabelu, von denen er abhangt, sehr klein sind, nach Potenzen derselben entwickeln. Bleiben wir bei den quadratischen Gliedern stehen, so werden die Druck- componenten lineare Functionen der Variabeln. Ob U in homogener Form auftritt oder nicht, kommt an auf die Wahl des Nullzustandes (x x == = x y = . . .). Zunachst ent- halt U eine willkiirliche additive Constante, die wir gleich setzen wollen, so dass fur den Nullzustand U = wird. Machen wir weiter die Annahme, dass der Nullzustand einen Gleichgewichtszustand darstellt, in welchem bei gleichmassiger Dichte [i Q uberall ein gleichmassiger, auf jedes Flachenelement senkrecht wirkender Druck/? (z.B. Atmospharendruck) herrscht, so ist fiir diesen Zustand X x =Y y = Z z =pQ, Zy == X z = Y x == . Dann reduciert sich der lineare Theil von U auf den Aus- druck: Q- (x x + y y + z g ). Fiir feste Korper und tropf- f*0 bare Fliissigkeiten (fiir Gase nur in beschrankteren Fallen) kann p Q auch gleich angenommen werden. Der quadratische Theil von U endlich enthalt im all- gemeinen 21 constante Coefficienten, deren Zahl sich jedoch bei der Existenz von Symmetrien in der Structur des Korpers verringert und fiir isotrope feste Korper in bekannter Weise auf 2 reduciert, fiir fliissige und gasformige dagegen auf 1. Ist nun U bekannt, so ergeben sich daraus unmittelbar die Werte der Druckcomponenten und damit die Bewegungs- gleichungen im ganzen Korper. Der Factor ^, der in den Ausdrucken der Druckcomponenten vor den Differenzial- quotienten von U steht ; und der in der iiblichen Darstellung III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 179 der Elasticitatslehre gewohnlich fehlt, kann bei den hier be- trachteten kleinen Bewegungen, wenigstens wenn p () = ist, als constant = ^ behandelt werden, bei endlichen Bewe- gungen (GleichuDg (5)) dagegen ist seine Veranderlichkeit zu beachten. Von besonderer Wichtigkeit werden diese Gleichungen fur die Ableitung der Bewegungsgesetze periodisclier Schwing- ungen, fortschreitender oder stehender Wellen, in elastischen Medien. Die Energie einer jeden derartigeii Schwingung besteht aus zwei Theilen, der kinetischen und der potenziellen Energie, deren Summe constant bleibt, solange keine aus- seren Wirkungen stattfinden. Der Umstand, dass zwei ver- schiedene Wellen durch geeignete Interferenz sich gegenseitig schwachen und sogar vernichten konnen, involviert keinen Widerspruch gegen das Princip der Erhaltung der Energie. Denkt man sich etwa zwei ebene Wellenziige von gleicher Schwingungsdauer, gleicher Fortpflanzungsrichtung und glei- cher Amplitude mit dem Ganguuterschied von einer halben Wellenlange iibereinandergelagert, so wird allerdings die resultierende Welle verschwinden, jedoch ist zu beachten, dass diese Interferenzerscheinung keinen selbstandigen. Pro- cess, sondern nur die eine Seite eines viel umfassenderen Naturvorgangs vorstellt. Die Wellen, welche von zwei ver- schiedenen Erregern (Licht-, Schallquellen) ausgehen, konnen niemals uberall mit gleicher Phase zusammentreffen, sondern sie werden sich stets an einigen Orten verstarken, wenn sie sich an anderen schwachen. Die Vorstellung einer ebenen Welle ist iiberhaupt nur eine Abstraction; wenn z. B. die beiden angenommenen ebenen Wellen etwa Stiicke zweier Kugelwellen sind, die von unendlich entfernten Centren aus- gehen, so wird allerdings in der Endlichkeit der Gangunter- schied constant sein konnen, aber dafur wird an entsprechen- den unendlich entfernten Stellen das Verhaltnis ein anderes sein, so zwar, dass im ganzen keine Energie verloren geht, wie das aus unseren Gleichungen folgt. Urn die Energie einer Licht- oder Schallquelle zu rnessen, reichen die Leistungen unserer specifischen Sinnesorgane nicht aus; dieselben setzen uns hochstens in den Stand, die Gleich- heit oder die graduelle Verschiedenheit der Energien von 12* 180 III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. Wellen gleicher Schwingungsdauer mit grosserer oder ge- ringerer Genauigkeit zu beurtheilen. Eine absolute Messung der Energie einer Welle ist nur dadurch moglich, dass man diese Energie in eine andere Arbeitsform verwandelt resp. daraus hervorgehen lasst, in welcher sie einer' genaueren Messuugsmethode zuganglieh ist*, dahin gehort vor Allem die Verwandlung in Warme durch Absorption. Ein naheres Eingehen auf die Theorie der Wellenbewe- gung diirfte hier zu weit fiihren, da diese Theorie, soweit sie neue, von den bisher erorterten unabhangige Gesichtspunkte enthalt, doch noch etwas zu sehr von hypothetischen Vor- stellungen durchsetzt ist, um als eine Folge des Princips der Erhaltung der Energie dargestellt werden zu konnen. Letz- teres gilt besonders von der Optik, wenn auch gerade in neuerer Zeit der Anfang gemacht worden ist, das Energie- princip fur diesen bisher gewohnlich ziemlich getrennt davon behandelten Theil der Physik fruchtbar zu machen. Wenden wir uns nun zuriick zur Betrachtung e n d 1 i c h e r Bewegungen (in fliissigen und gasformigen Medien), also zu den Gleichungen (4) und (5), mit Wiedereinfiihrung der dor- tigen Bezeichnungsweise. Die charakteristische Eigenschaft der fliissigen und der gasformigen Korper ist: wobei p eine bestimmte von der Natur des Mediums ab- hangige Function von p. Somit wird aus (4) : . dp dt* d*y F _ dp dt* = ~f* J " dy dp dt* die allgemeinen hydrodynamischen Bewegungsgleichungen, bei deren Benutzuug man sich nach Belieben entweder durch- weg der Differenzialzeiehen d (Euler'sche Form) oder der Zeichen d (Lagrange'sehe Form) bedienen kann. III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 181 Ferner erhalt man aus (5) fiir die Bestimmung der in- neren Energie der Masseneinheit: U Nun ist, wie eine einfache kinematische Uberlegung zeigt: < + ' Folglich: f'JL J c oder, wenn man setzt: p= I-ZZ- (6) U-P-&. Eine additive Constante bleibt in P und U willkiirlich. Hier- aus lasst sich die innere Energie der Masseneinheit berechnen, sobald p als Function von p bekannt ist. Fiir ein vollkommenes Gas hat man z. B.: p = c ' p k (Warmeleitung ist ausgeschlossen) , wobei C constant, k das Verhaltnis der beiden specifischen Warmen. Daraus folgt: Dieser Wert der inneren Energie ist derselbe wie der aus der Temperatur abgeleitete (vgl. oben S. 113). Fiir eine incompressible Fliissigkeit ist^=const. (also eine feste Bedingung im Sinne von S. 166), folglich p = 1 - und U = 0. In der That bleibt ja bei einer incom- pressiblen Fliissigkeit der innere Zustand constant, es kann also auch nicht durch Veranderung desselben Arbeit geleistet werden. In der Anwendung auf einen endlichen Massentheil der Fliissigkeit erhalten wir ganz ebenso den Satz, dass in irgend einem Zustand die gesammte aussere und innere Energie der 182 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Euergie. Fltissigkeit gleich ist dem Gesammtbetrag der Arbeit, welcher von einem bestimmten Zeitpunkt ab in der Umgebung auf- geweudet worden ist, um diesen Zustand hervorzubringen ; diese Arbeit ruhrt her einmal von den aus der Ferae auf die Masse wirkenden Kraften, und dann von den auf die Oberflache wirkenden Druckkraften. Bei der stationaren Bewegung ist der Zustand in einem bestimmten Raumpunkt xyz von der Zeit uuabhangig, so dass alle nach dt genommenen Differenzialquotienten ver- schwinden. In diesem Falle lasst die Gleichung der Energie, auf ein einzelnes Element bezogen, eine allgemeine Integra- tion nach der Zeit dt zu, welche ergibt: d. h. die gesammte, innere und aussere, Energie der Massen- einheit ist gleich der Abnahme der Potenzialf unction der Massenkrafte : V (die als vorhanden vorausgesetzt wird) und des durch die Dichte dividierten Druckes. Etwas einfacher lautet diese Gleichung nach (6): 1 (fdx\2 , (dy\i . (dz\*\ y \(W) + (w + (si) I + p + v = const Indem wir hiemit die Betrachtung der Bewegungen voll- kommen elastischer Korper beschliessen ; wollen wir unter den complicierteren Erscheinungen , welche nur durch eine Abweichung von den einfachen S. 172f. gemachten Voraus- setzungen erklart werden konnen, und die sich zur Zeit noch etwas schwieriger der Behandlung durch die von uns ein- geschlagene Methode fugen, wenigstens eine herausgreifen, uamlich die Rei bungs vorgange bei der Bewegung einer incompressiblen Fliissigkeit. Die innere Reibung in einer P^liissigkeit lasst sich mit den Erscheinungen der Reibung und des unelastischen Stosses fester Korper unter einen Ge- sichtspunkt bringen. Beide Vorgange sind bedingt durch das Auftreten einer Kraft, die nur von der relativen Be- wegung sich beruhrender Massen abhangt und deren Wirk- samkeit stets auf die Ausgleichung der Geschwindigkeiten gerichtet ist. Dabei geht immer lebendige Kraft der Molar- beweguug verloren, die sich entweder in Molekularbewegung III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 183 (Warme) oder in Molekulararbeit umsetzt. Diese Vorstellung geniigt, um mit Hilfe unseres Princips auf dem sclion oben eingeschlagenen Wege die Bewegungsgleichungen einer rei- benden Flussigkeit abzuleiten. Berechnen wir zunachst wieder den Ausdruck derjenigen Arbeit (oder der ihr aquivalenten Wirkungen), die in der Zeit dt ausserhalb eines Fliissigkeitselements aufgewendet werden muss, beziehungsweise wirklich aufgewendet wird, um die in derselben Zeit erfolgende Zustandsanderung des Elements hervorzubringen. Dahin gehort zunachst wieder die Arbeit der aus der Ferae auf die Masse des Elements wirkeuden Kraft (Schwere), deren Ausdruck oben unter (1) augegeben ist: (7) (Xdx + Ydij + Zdz) - [idr . Ausserdem bleiben uns nur noch die Wirkungen zu betrachten ubrig, welche durch den Druck der Flussigkeit in Verbindung mit den eigenturnlichen Kraften, welche die Reibung aussert, durch die Oberflache des Elementes hindurch in die Um- gebung fortgepflanzt werden. Diese Wirknngen sind im allgemeinen, nach Analogic der Reibung und des Stosses fester Korper, zweierlei Natur. Einmal wird durch sie auf die angrenzenden Theile eine Kraft geaussert in dem Sinne, die Geschwindigkeiten zu verandern (Molarwirkung), zweitens wird durch sie in der Umgebung eine Veranderung der in- neren Energie bewirkt (Molekularwirkung), die im allgemeinen mit einer gewissen Deformation verbunden sein kann, in unserem Falle sich aber lediglich als Temperaturanderung documentieren wird. Hiernach haben wir fur die aussereii Wirkungen erstens den mechanischen Arbeitsbetrag zu setzen, der genau dieselbe Form hat wie der allgemeine Ausdruck (2) : (8) - (x x dx + Y x dy + Z x dz) - - (X z dx + Y 9 dy + Z z dz) dr . Was nun den zweiten Theil der ausseren Wirkungen be- trifft, die Warmeerzeugung, welche ausserhalb des Elementes 184 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. durch die Arbeit der an der Oberflache thatigen Reibungs- krafte veranlasst wird, so ist deren Betrag jedenfalls pro- portional den Seitenflachen des Elements; jedoch ist leicht zu erkennen, dass derselbe gegen die iibrigen in Betracht kommenden Wirkungen unendlicb klein ausfallt, und zwar aus dem Grunde, weil die an der Grenzschicht erzeugte Warme gegen diejenige, welche im ganzen Innern des Ele- ments produciert wird, jedenfalls verscbwindet. Es liegt hierin ein wesentlicher Unterschied gegeniiber den Erschei- nungen, welche die Reibung fester Korper begleiten, da bei letzteren nur an einer einzigen Reibungsflache Molekular- arbeit entwickelt wird, die infolge dessen einen Wert von gleicher Grossenordnung besitzt wie die durch die Reibung iibertragene Molararbeit. Somit batten wir f'iir die ausseren Wirkungen eiuen Ausdruck von genau derselben Form gefunden, wie bei der Bewegung elastischer Korper. Anders wird es aber niit der Energie des Elements: dieselbe besteht einmal aus der lebendigen Kraft, deren Zuwachs in dem Zeitelement dt ge- geben ist durch: /n\ /d z x , . d z u , , d*z , \ (9) (_ ax + -gjjf dy + ^ dz) p9r, und ausserdem, da die Fliissigkeit incompressibel ist, nur noch aus der durch die innere Reibung erzeugten Warme. Die in der Zeit dt erfolgende Erwarmung wird im allge- meinen von dem Geschwindigkeitszustand des Elements ab- hangen, doch nicht von den Geschwindigkeitscomponenten df ' rff' ~dt (^ urzer: u> > v > *") se lber denn bei gleich- formiger Geschwindigkeit findet iiberhaupt keine Reibung statt sondern von ihren ortlichen Anderungen, also von den 9 Differeuzialquotienten der Grossen u, v, w nach den Coordinaten x, y, z. Da aber die Grossen: d_w_ dv_ du &w_ dv_ du dy dz ' da doc > dx dy ' nur eine Drehung des Elements als Ganzem, keine Defor- mation bezeichnen, so wird die Erwarmung auch nur von den 6 Grossen III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 185 du dv dw fa> dy> dz dw_\dv_ ^ . dw_ dv , du Jy^dz 1 ds"v*W dlc~T~dy abhangen. Sind dieselben hinreichend klein, so konnen wir bei der Entwickelung des Ausdrucks der Erwarmung nach Potenzeu der Variabeln bei der zweiten stehen bleiben. Das absolute Glied ist gleich 0; denn wenn die Variabeln = sind, verschwindet die Reibung und somit die Erwarmung; da ferner die letztere wesentlich positiv ist, so fallen auch die linearen Glieder fort. Im iibrigen muss die Form des Ausdrucks,, d. h. die Grosse der Coefficienten , unabhangig sein von der Wahl des Coordinatensystems. Diese Bedingung fiihrt ganz ebenso wie bei der Bestimmung der inneren Energie des Elements eines isotropen elastischen festen Korpers (S. 178) auf einen Ausdruck, der nur von zwei Coefficienten abhangt. Fiigt man schliesslich noch hinzu die Bedingung der Incompressibilitat : ^ j_ ? j_ ^ o dx~r~ dy^W = so reduciert sich die Grosse der durch die Reibung verur- sachten Erwarmung des Fliissigkeitselements in der Zeit dt auf den mechanisch gemessenen Wert: Dies ist der einzige Ausdruck, der den gestellten Bedingungen geniigt, er enthalt nur den einzigen unbestimmten Coeffi- cienten k, den Reibungscoefficienten der Fliissigkeit; derselbe ist positiv. Hieraus erhalten wir nun die Gleichung des Princips der Erhaltung der Energie, wenn wir die Summe der Aus- drucke (9) und (10), die Zunahme der Energie des Elements, gleich setzen der Summe der Ausdriicke (7) und (8), dem Betrage der aufgewendeten ausseren Wirkungen. Ferner er- geben sich durch Zerlegung dieser Gleichung in eine, die 186 HI- Abschnitt. Verschiedeue Arten der Energie. sich auf die aussere Energie (lebeudige Kraft) und in eine andere, die sich auf die innere Energie (Warme) bezielit, zunachst wieder die allgemeinen Bewegungsgleichungeii (4), ausserdem aber eine Gleichuug, welche der Gleichung (4#) entspricht: 1 (<^ I ^\ 2 J_ J_ (^ JL. <^Y 2 (fig "1 dx) ~ 2 \dx ~t~ dy) y * v \ = P) X y =r,=... = 0, wodurcb wegen der Incompressibilitatsbedinguug in der That die Gleichung befriedigt wird. 1st k aber von verschieden, so treten zu den Werten der Druckcomponenten noch Glieder hinzu, die offenbar am einfachsten in folgeuder Weise aus der Gleichuug bestimmt werden : . -- wodurch in bekannter Weise 1 ) die Werte der Druckkrafte ? die in einer reibenden incompressibeln Fliissigkeit wirken, gegeben sind. Damit ist die ganze Bewegung bestimmt. Wir haben in unseren Ausfiihrungen fiber mechauische Energie zu zeigen versucht, dass sich die Gesetze der Mechauik, einschliesslich der Newton'schen Axiome, vollstiindig ableiten lassen aus dem Princip der Erhaltung der Energie, allerdings 1) G. Kirchhoff: Mechanik, 1877,, p. 370. III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 187 nicht durch streuge Deduction denn die Mechanik lasst sich ebensowenig wie irgend ein anderer Theil der Physik auf rein deductivem Wege construieren sondern mit wie- derholter Benutzung gewisser inductiver Schlussfolgerungen, die aber alle wesentlich auf einem und demselben Gedanken beruhen. Hatten wir nanilich fur einen Punkt oder ein Masseuelement die Gleichung aufgestellt, welche die Ver- anderung seiner Energie durch das Aquivalent der ausseren Wirkungen nrisst, so zerlegten wir diese Gleichung in 2 oder mehrere Einzelgleichungen , wodurch jedesrnal der Satz ausgesprochen wurde, dass die Gesammtenergie zerfallt in eine Summe von einzelnen Energiearten, die sich unabhangig von einander verandern, eine jede nach Maassgabe der gerade ihrer Eigenthiimlichkeit entsprechenden ausseren Wirkungen. So zerfallt die kinetische Energie ernes Punktes in die 3 ein- zelnen Arten, welche den 3 Dimensionen des Raums ent- sprechen. Dieselben konnen sich niemals direct ineinander verwandeln, sondern jede verandert sich unabhangig von den andern nur infolge der ihr gerade entsprechenden ausseren Arbeit. Ahnlich verhalt es sich mit der Zerlegung der Energie eines Elementes in die aussere (Molarenergie) und iunere (Molekularenergie). Wie die Eintheilung der Energie aber jedesmal vorzunehinen ist, muss in jedem besonderen Falle die Erfahrung lehren. Dies Princip der Superposition spielt in der ganzen Physik, wie wir schon wiederholt betont haben, eine hochst bedeutende Rolle, ohne dasselbe wiirden alle Erscheinungen sich initeinander vennengen und es liesse sich eine Abhangigkeit der einzelnen von einander nicht mehr constatieren ; denn wenn jede Wirkung die andere stort, hort naturlich die Moglichkeit auf, den causalen Zusammenhang zu erkennen. Uber dies Princip kommen wir deshalb nie hinweg, wir mogen es ausdrucklich betonen oder stillschwei- gend beuutzen, dasselbe liegt im Tragheitsgesetz ebensogut enthalten, wie im Satz des Parallelogramms der Krafte uud dem der Wirkung und Gegenwirkung. Was aber der hier eingeschlagenen Methode einen wesent- lichen Vorzug verleiht, ist einerseits die klare Ubersichtlich- keit, rait welcher der Zasammenhang der abgeleiteten Satze und die Art ihrer Abhangigkeit von dem Princip der Erhal- 188 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. tung der Energie hervortritt: wieviel davon als notwendige Folge des Princips selber, und wieviel als durch besondere, davon unabhangige Erfahrung festgestellt anzusehen ist; andrerseits aber ist der Umstand von entscheidender Wich- tigkeit, dass sich auf dem eingeschlagenen Wege alle Theile der Physik vollstandig gleichm'assig und einheitlich behan- deln lassen. Die Euergie ist ein Begriff, der sein Maass und seine Bedeuturig in jeder Naturerscheinung findet, und das Princip der Superposition beherrscht ebenfalls alle Natur- wirkungen; wir konnen daher sicher sein, dass, im Falle irgend ein noch unbekanntes Agens entdeckt werden sollte, das Princip der Ubereiuanderlagerung der Wirkungen zwar nicht dazu dienen konnte, die Gesetze der neuen Kraft aus dein Energieprincip zu deducieren, wohl aber uns zur Stel- lung derjenigen Frag en verhelfen wiirde, deren Beantwortung durch die Erfahrung das einzige Mittel gewahrt, um die Gesetze der Erscheinungswelt aufzudecken. 2. Thermische und chemische Energie. Den unmittelbarsten und gewaltigsten Einfluss hat die Entdeckung des Energieprincips auf die Gestaltung der Warmelehre gehabt, weshalb man sogar heutzutage noch nianchmal geneigt ist, diesen Theil der Physik als das eigent- liche Feld der Anwendung des Princips zu betrachten, ob- wohl dazu ausser den erwahnten historischen Thatsachen durchaus kein specieller Grund vorliegt. Ja, man kann sagen, dass die Warmetheorie ihre Ausbildung und die Erfolge, die sie in der neueren Zeit erzielt hat, nicht einmal hauptsach- lich der Entdeckung des Energieprincips verdankt, wenn auch von diesem der erste Anstoss zur Umgestaltung ausging, sondern in ganz demselben Maasse und vielleicht noch mehr einmal der Anwendung des von diesem ganz unabhangigen Carnot'schen Princips ; welches Clausius als zweiten Haupt- satz in die Warmetheorie einfuhrte, und ausserdem der von Joule, Kronig und Clausius begriindeteri mechanischen Auf- fassung der Warme, die ebenfalls von dem Energieprincip vollstandig unabhangig ist. Durch die letztere, bisber sehr gut bewabrte Annahme ist die Warmetheorie zu einern Theil der Mechanik gemacht worden, und die thermische Energie III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 189 leitet daher auf die mechanische zuriick ; die wir soeben be- handelt haben. Deshalb soil es hier unsere Aufgabe sein, die Folgerungen des Energieprincips nur unter Beniitzung der nachstliegenden Erfahrungsthatsacben zu entwickeln, ganz unabhangig von der mechariischen Auffassung der Warme, also von jeglicher Hypothese iiber die Molekularstructur der Korper, und ebenso auch von dem Carnot'schen Princip. Immerbin ist das Feld, welches sich unter diesen beschriin- kenden Voraussetzungen der Anwendung darbietet, uocb ein weites zu nennen. Wir benutzen im folgenden wieder den Satz, dass die Zunahme der Energie eines materiellen Systems gleicb ist der entsprecbenden ausserbalb des Systems aufgewendeten Arbeit oder deren Aquivalent. Die ausseren Wirkungen konnen sowobl in mechanischen als auch in thermischen Ver- anderungen bestehen, und fur den letzten Fall haben wir das mechanische Aquivalent einer solchen Veranderung zu- vorderst durch eine besondere Betrachtung festzustellen. Nach Seite 94 und 95 ist der Arbeitswert irgend einer Verande- rung gleich dem Betrage der mechanischen Arbeit, welche diese Veranderung entweder hervorbringt, oder welche durch sie hervorgebracht wird, gleichgiltig auf welchem Wege dies geschieht. Nun konnen wir Warme zwar nicht ohne weitere Nebenanderungen (wozu auch Volumerivergrosserung gehorfc) in Arbeit verwandeln, wohl aber umgekehrt Arbeit vollstan- dig in Warme, und die Versuche haben gezeigt, dass eine Erwarmuug stets hervorgebracht werden kann durch Auf- wand einer Arbeit, deren Betrag zu der Menge der erzeugten Warme in einem constanten Verhaltnis steht, unabhangig von Materialien, Temperatur u. s. w. ; jede Warmernenge (praciser: jede Erwarmung) ist also eiuer bestimmten Arbeits- menge Equivalent. Diese Thatsache konnte nur durch Er- fahrung festgestellt werden, und erst auf Grund dieser beson- deren Erfahrung wird eine Anwendung des Princips der Erhaltung der Energie auf thermische Processe moglich. Die Aquivalenz von Warme und Arbeit lasst sich kernes wegs aus dem Energieprincip deducieren, letzteres liesse auch noch fur ganz andere Auffassungen Raum, wie z. B. die Carnot'sche, nach welcher mechanische Arbeit nicht einer Warmemenge, 190 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. sondern dem Product aus Warmemenge und Teraperatur aqui- valent ware. (Vgl. S. 13 f.) Die Zahl, welche das Verhalt- nis einer Warmemenge zu der ihr aquivalenten Arbeit an- gibt, wurde bekanntlich (S. 53) von Joule im metrisctien System und bezogen auf Gels. Grade zu 423,55 . g festgesetzt; indes haben wiederholte neuere Messungen ergeben, dass diese Zahl zu klein ist und an Stelle derselben etwa 428 g gesetzt werden muss. Immerhin diirfte die dritte Zifferstelle mog- licherweise noch um 1 oder 2 Einheiten ungenau sein. Von den Zusammenstellungen aller der zahlreichen, auf den ver- schiedensten Wegen ausgefiihrten Berechnungen dieser Con- stanten erwahnen wir noch ausser den im ersten Abschnitt S. 82 f. bereits genannten die von Sacchetti 1 ) und besonders die von Rowland. 2 ) Wenn man als Warmeeinheit diejenige Warme festsetzt, welche der Arbeit 1 aquivalent ist, so wird das mechanische Warmeaquivalent = 1, und die Ausdriicke vereinfachen sich entsprechend ; von diesem Maasssystem werden wir im fol- genden Gebrauch machen. Nachdem wir nun in den Stand gesetzt sind, den Arbeits- wert der ausseren Wirkungen zu messen, welche einer bestimmten Zustandsanderung des betrachteteu materiellen Systems entsprechen, so konnen wir daraus die dadurch be- dingte Anderung der Energie des Systems berechnen. Doch wird hier ebenso wieder wie oben bei der Untersuchung der elastischen Krafte auf Grund des Superpositionsprincips eine Auflosung der Energiegleichung in 2 Einzelgleichungen und dadurch eine Vereinfachung der Aufgabe ermoglicht. Einmal zerfallt namlich die Energie des materiellen Systems in 2 Theile: die mo la re Energie (lebendige Kraft der Massen- bewegung, Potenzial der Schwere u. s. w.) und die moleku- lare Energie (Warme, chemische Energie) ; andrerseits kann 1) G. Sacchetti: Considerazioni intorno all' origine della teoria raeccanica del calore. Memor. dell' Ace. di Bologna VIII (2) p. 149, 1869. 2) H. A. Rowland: On the mechanical equivalent of heat, with subsidiary researches on the variation of the mercurial from the air thermometer and on the variation of the specific heat of water. Proc. Amer. Acad. (2) VII, p. 75, 1880. III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 191 man auch die ausseren Wirkungen imnier in 2 Theile zer- legen, deren einer alle diejenigen Wirkungen umfasst, welche auf die molare Energie Einfluss haben, der andere diejenigen, welche die molelmlare Energie verandern. Indem man nun die Auderungen der beiden Energiearten einzeln den auf sie bezuglichen ausseren Wirkungen gleich setzt, erhalt man 2 Gleichungen, von denen nur die eiue hier von speciellerem Interesse 1st, da die andere der Mechanik, also dem vorigen Abschnitt, angehort. Dass diese Scheidung sich in der Regel mit grosserer oder geringerer Leichtigkeit wirklich vollziehen lasst, ist deshalb einleuchtend, weil die molare Energie schon von vorneherein bekannt ist; man hat nur den ganzen Process sich zerlegt zu denken in einen auf Molarbewegung und einen auf Molekularbewegung bezuglichen Theil. So wirkt die durch Leitung oder Strahlung von aussen zugeleitete Warme (direct) nur auf die molekulare Energie, wahrend die mechanischen ausseren Wirkungen (Druck, Stoss, Reibung) im allgemeinen sowohl molare als auch molekulare Verande- rungen hervorrufen. Wir wollen uns daher fortan die Aufgabe vereinfacheii (lurch Untersuchung lediglich solcher Zustande eines (end- lichen oder unendlich kleinen) Korpersystems , in denen die molare Energie gar nicht in Betracht kommt. Bezeichnen wir dann die molekulare Energie mit 7, ferner die wahrend einer beliebigen (endlichen oder unendlich kleinen) Zustands- anderung in der Umgebung verschwundene (durch Leitung oder Strahlung in das System iibergegangeue) Warme mit Q (mechanisch gemessen), endlich die dabei in der Umgebung aufgewendete mechanische Arbeit mit A, so ist der Arbeits- wert der aufgewendeten ausseren Wirkungen Q -\- A 9 mithin: (1) U' - U = Q + A wobei U und U r die Werte der Energie des Systems im An- fangszustand und im Endzustand des betrachteten Processes bezeichnen. Die Art des Uberganges ist gleichgiltig. Geht man naher auf die mechanische Natur der Warme ein, so bietet sich eine Scheidung von U dar: in actuelle Energie (freie Warme) und potenzielle Energie (innere Arbeit, chemische Energie); da indes diese beiden Energiearten nicht 192 HI- Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. an specielle aussere Wirkimgen gekniipft sind, werden wir im folgenden von dieser Scheidung keinen Gebrauch machen. Je nach der Beschaffenheit der Zustandsanderung kann man aus der obigen Gleichung verschiedene Satze iiber das thermische oder chemische Verhalten des Systems ableiten. Setzen wir zunachst einen Korper voraus, dessen Zustand durch eine einzige Variable bestimmt 1st, so lasst sich V jeden falls als Function dieser einen Variabeln auffassen. Im allgerneinen wird die Wahl der unabhangigen Variabeln be- liebig sein 5 daher kann U in verschiedenen Pormen auftreten, die jedoch alle einen und denselben Wert darstellen. Haben wir z. B. eine Fliissigkeit oder ein Gas, das bei constantem Volumen durch Warmezufuhr von aussen unendlich wenig erwarmt wird, so ist Q= c v d&, A = 0, wobei c v die Warmeeapacitat bei constantem Volumen, # die absolute Temperatur, nach dem Luftthermometer gemessen, bedeutet. (Die exacte Defini- tion der Temperatur ist allerdings nur init Hilfe des Carnot'- schen Princips moglich, indes stimmt dieselbe erfahrungs- gemass innerhalb ziemlich weiter Grenzen niit der durch die Ausdehnurig der Luft gewonnenen iiberein.) Es folgt aus Gleichung (1): Fiihren wir nun unter Beibehaltung der angenommenen Be- dingungen einen endlichen Process aus, so konnen wir -O 1 als einzige unabhangige Veranderliche ansehen und erhalten: U = f c v d&, wobei c v natiirlich nur von # abhangt. Eben- sogut konnen wir aber auch eine andere, durch # und v bestimmte Grosse, etwa den Druck p, als unabhangige Variable einfiihren, und sowohl ^ als auch U durch dieselbe ausdriicken ; denu da v constant ist, bestimmt auch der Wert von p den ganzen Zustand. -- Nehmen wir nun den allge- meineren Fall an, dass bei der Zustandsanderung auch das Volumen v verandert wird , jedoch so, dass eine bestimmte Relation zwischen Volumen und Temperatur existiert: / (v, #) = (wie z. B. bei adiabatischen Zustandsanderungen), wobei f irgend eine Function zweier Variabeln bedeutet, so hangt der Zustand auch wieder nur von einer einzigen Variabeln ab: # oder v oder p, von welchen 3 Grossen ja III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 193 stets eine durch die beiden andern mitbestimmt ist. Dem- gemass kann die Energie U je nach Belieben als Function von -9 1 , v oder p dargestellt werden, und solange man sich auf die eingefiihrte Bedingung beschrankt, ist es ganz gleich- giltig, welche dieser 3 verschiedenen Formen man als den primaren Ausdruck der Energie betrachten und der Anschau- ung zu Grande legen will. Gehen wir aber zu Processen fiber, deren Verlauf durch 2 von einander unabhangige Variable bestimmt wird, so schwiri- det die Willkiir in der Darstellung von V um einen Grad. Wenn ein Korper seine Temperatur um d& und zugleich, unabhangig davon, sein Volumen um dv andert, wodurch auch die Anderung des Druckes dp mitbestimmt ist, so andert sich seine Energie jedenfalls um einen bestimmten Betrag dU. Dadurch ist dann, wie immer, auch das mechanische Aqui- valent der entsprechenden aussereu Wirkungen: die Summe der aufgewendeten Arbeit und der zugeleiteten Warme, ge- geben, und zwar ist dabei im allgemeinen eine dieser beiden Grossen (etwa die aussere Arbeit) noch willkiirlich, die andere dann dadurch bestimmt. Wir wollen aber nun annehmen, dass die aussere Arbeit gerade in der Uberwindung des Druckes p besteht; dann ist sie: A = p-dv, also nach (1): dU = Q p-dv. Die zugefiihrte Warme Q lasst sich ausdriicken durch die Warmecapacitaten bei constantem Volumen: c vf und bei con- stantem Druck : c p , indem man etwa annimmt, dass der Kor- per zuerst bei constantem Volumen durch Warmezufuhr vom Drucke p auf den Druck p -f- dp, und dann bei constantem Druck (p + dp) vom Volumen v auf das Volumen v + dv gebracht wird. Benutzen wir mm der Bequemlichkeit halber v und p als unabhangige Variable, so erhalten wir durch leichte Rechnung filr die ganze von aussen zugeleitete Warme: mithin fur die Anderung der Energie: Planck, Energie. 13 194 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. woraus sogleich folgt: Sind speciell c v und c p constant, wie bei vollkommenen Gasen, so wird hieraus: In der That 1st dann: Ferner ergibt sich dann aus (2): c v U = - pv oder = c v - &. Jede dieser beiden Formen der Energie ist gleich berechtigt, so lange man die Relation zulasst, welche das vereinigte Mariotte- und Gay Lussac'sche (Boyle- und Charles'sche) Gesetz ausspricht. Man kann also die innere Energie eines Gases sich dann ganz nach Belieben entweder als Span nkr aft vorstellen, wodurch das Ausdehnungsbestreben des Gases etwa denselben Charakter bekame, wie das eines Systems ruhen- der sich abstossender Punkte, oder auch als lebendige Kraft, wobei dann die Druckkraft durch den Stoss frei um- herfliegender Molekiile geliefert wird. Fasst man aber das Gay Lussac-Mariotte'sche Gesetz nicht als eine von vorne- herein geltende Identitat, sondern, wie es in der mechanischen Warmetheorie geschieht, als die besondere Eigenschaft eines stationar gewordenen Zustandes, indem der Druck p iiber- haupt nur dann definiert ist, wenn die Geschwindigkeiten der Molekiile eines Gaselements (relativ zu der ihres Schwer- punktes genommen) sich nach Grosse und Richtung in be- stimmter Weise ausgeglichen haben, dann kann die primare, allgemein giltige Form der Energie nicht mehr vom Druck abhangen, und man muss notwendig recurrieren zu dem Aus- druck c v - O 1 , den man, bei geeigneter mechanischer Definition der Temperatur, unter alien Umstanden festhalten kann. Ganz Ahnliches gilt fur die Energie U eines beliebigen Korpers, dessen Zustand von 2 Variabeln abhangt. Da durch die sogenannte Zustandsgleichung stets eine Relation zwischen III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 195 Druck, Volumen und Temperatur gegeben ist, so lasst sich U immer durch beliebige zwei dieser drei Grossen ausdrucken und deuten. Bei der mechanischen Auffassung aber wird immer diejenige Form als die primare auftreten, welche sich auf die unabhangigen Variabeln v und # bezieht, weil der Druck einen erst aus diesen beiden Grossen unter beson- deren Umstanden abgeleiteten Begriff darstellt. Der innere Zustand eines auf beliebige Weise deformier- ten im elastischen Gleichgewicht befindlichen homogenen isotropen Korpers hangt ab von 7 Variabeln, namlich den 6 Deformationsgrossen (S. 173), und der Temperatur. Dem- gemass stellt sich auch die innere Energie des Korpers als Function dieser 7 Variabeln dar, und nur unter beson- deren Bedingungen (z. B. wenn, wie S. 173 angenommeu wurde, die Deformation bei verhinderter Warmezufuhr statt- findet) kann die Zahl der Variabeln reduciert werden. Die Anwendung des Princips der Erhaltung der Energie geht auch hier wieder nach Gleichung (1) vor sich. Die 'aussere Arbeit A lasst sich im allgemeinen leicht mit Hilfe der For- ineln der Elasticitatslehre berechnen, wahrend die von aussen zugeleitete Warme Q nicht unmittelbar durch die bekannten, von der Natur des Korpers abhangigen Constanten ausge- driickt werden kann, da die Kenntnis der Warmecapacitaten bei constantem Druck und bei constantem Volumen hiezu nicht ausreicht. Je complicierter iiberhaupt die Eigenschaften der zu untersuchenden Korper werden, von um so mehr Variabeln wird der Wert der Energie abhangen, und um so weniger willkurlich wird der primare Ausdruck sein, den man allgemein fur die Energie eiries Korpers aufstellen kann. Eine besondete Beachtung verdient noch eine gewisse bisher noch unberucksichtigt gebliebene Art der molekularen Energie einer Korpers, die im Gegensatz zu den bisher be- handelten Arten als Oberflachenenergie bezeichnet wird. ! ) Die Erfahrung zeigt, dass die Energie eines Korpers im all- gemeinen nicht allein von dessen inrierem Zustand, sondern ausserdem auch noch von der Form seiner Oberflache ab- 1) Vgl. J. 01. Maxwell: Theory of heat. Deutsch von F. Neesen, Braunschw. 1878, p. 318. 13* 196 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. hangig 1st, dass also dem bisher betrachteten Ausdruck der Energie noch ein Glied hinzugefiigt werden muss, das von der Beschaffenheit der Oberflache und von der Natur des an- grenzenden Korpers abhangt. 1m Grunde genonimen ist allerdings diese Energieart ihrem Wesen nach durchaus nicht verschieden von den bisher behandelten Arten; denn man hat sich ja die Beriihrung zweier Korper niemals so zu den- ken, dass der innere Zustand der Korper an alien Stellen bis unmittelbar an die Oberflache der namliche ist und dann plotzlich der Sprung ins benachbarte Medium erfolgt, sondern man hat es immer mit einer korperlichen Grenzschicht, von geringer, aber endlicher Dicke, zu thun, in welcher Krafte wirksain sind, die von der Beschaffenheit der beiden Medien zugleich abhangen; und die innere Energie dieser Grenzschicht ist es ebeu, die man als Oberflachenenergie ein- zufiihren pflegt. Durch diese Auffassung erledigt sich zu- gleich auch die Frage, ob es geboten ist ; den Betrag der Oberflachenenergie uberhaupt mit zur Energie des Korpers zu rechnen, da dieselbe doch nicht allein von dem Zustand des Korpers selbst, sondern auch von dem seiner Umgebung ab- hangt. Rechnet man eben die Grenzschicht mit zu dem betrachteten System, so ist die Oberflachenenergie mit in den Ausdruck der Energie des Systems aufzunehmen, im andern Falle bleibt sie daraus fort, und alle Oberflachenanderungen sind dann als aussere Wirkungen in Anschlag zu bringen. Die wichtigste Rolle spielt die Oberflachenenergie bei den Korpern, deren Oberflache sich leicht verandert, also bei den Fliissigkeiten. Auf ein einzelnes Oberflachenelement bezogen wird die Energie uatiirlich der Grosse dieses Elements proportional sein ; daher ist die Energie eines endlicheu Stiicks der Oberflache, falls an alien Punkten desselben der Zustaiid der Grenzschicht der namliche ist, gleich der Grosse dieses Flachenstiicks, multipliciert mit einer Constanten, die von der Beschaffenheit der beiden aneinandergrenzenden Medien, ihrer Temperatur u. s. w. abhangig ist. Aus diesem Satz ergeben sich mit Leichtigkeit die Bedingungeu des capillaren Gleich- gewichts. Wenn durch die Thatigkeit der an der Oberflache wirksamen Krafte Bewegung eintritt, so verwandelt sich Oberflachenenergie in lebendige Kraft der Molarbewegung, III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 197 und zwar muss dabei die Oberflachenenergie iraraer abneh- men, well die lebendige Kraft von dem Werte ab not- wendig wachst. 1st also in einem Zustand der Ruhe die Oberfliichenenergie eiu Minimum, so kann keine Bewegung eintreten, weil die Oberflacheneuergie nicht mebr abnehmen kann, d. h. es herrseht in diesem Fall stabiles GleichgewichL In ahulicher Weise erledigt sich die Aufgabe, wenn man ausser den Oberflachenkraften noch die Schwere als wirksam annimmt. Gehen wir nun weiter zur Betrachtung von Processen, die nicht nur aus physikalischeu Veranderungen der betheilig- ten Korper, sondern auch aus chemischen Wirkungen gebildet sind, sei es dass es sich handelt urn chemische Verbindungen im engeren Sinn, also Reactionen nach festen Gewichtsver- haltnissen, oder auch um sogenannte chemische Mischungen, wohin auch die Vorgange der Absorption, Auflosung u. s. w. zu rechnen sind. In jedem derartigen Pall geht die An- weudung des Energiepriucips nach der Gleichung (1) vor sich; die durch den Process bewirkte Zunahme der Energie des ganzen veranderten Systems ist gleich der Summe der von aussen zugefuhrten Warme und der von aussen aufge- wendeten Arbeit. In sehr vielen Fallen ist der Wert der letzteren verschwindend klein gegeniiber den ubrigeii hier in Rechnung kommenden Energiebetragen, er verschwindet ganz, wenn die Wirkung bei constantem Gesammtvolumen vor sich geht, kann aber auch bei auderen Reactionen, die etwa unter constantem Druck (Atmospharendruck) erfolgen, haufig ver- nachlassigt werden, namentlich bei festen und flussigen Kor- pern, die ihr Volumen in der Regel so wenig andern, dass die dabei geleistete anssere Arbeit in Wegfall kommt. Selbst wenn es sich um die Ausdehnung von Gasen handelt (wie bei Verbrennungs- oder Explosionserscheinungen), bildet der Wert der ausseren Arbeit oft einen so geringen Bruchtheil der im iibrigen sich umsetzenden Energiemengen , dass man selbst bei bedeutenderen Volumenveranderungen diese Arbeit vernacblassigen kann. Lasst man sie fort, so reduciert sich die Gleichung auf: U U = Q. Die von aussen zugefiihrte Warme alleiii ist also gleich der 198 HI. Abschuitt. Verschiedene Arteu der Energie. Zuuahme der Energie, ihre Grosse hangt daher nur ab von dem Anfangs- und Endzustand des Systems, nicht aber von der Art des Uberganges. Hiedurch 1st der altbekannte Satz (S. 20) ausgesprochen, dass die durch eine Reihe von chemi- schen Reactionen erzeugte Warme unabhangig ist von der Ordnung, in der man die einzelnen Reactionen vornimmt. Natiirlich gilt dieser Satz nur dann, wenn man entweder, wie wir es hier thun, von der ausseren Arbeit ganz absieht, oder doch besonders dafur sorgt, dass sie (wie bei Reactionen unter constantem Druck) einen von der Reihenfolge der Zustandsanderungen unabhangigen Wert hat. Da die Warme Q direct beobachtet werden kann, so wird durch die aufgestellte Gleichung eine Messung der Energie- anderung ermoglicht. Von hervorragender Wichtigkeit ist der Fall, wo das System nach Beendigung der Reaction wieder die anfangliche Temperatur (und den anfanglichen Druck) annimmt. Dann ist Q sehr haufig negativ (exothermische Reaction), d. h. das System hat Warme nach aussen abge- geben, und in diesem Sinne wird der Betrag von Q als Reactionswarme, Warmetonung, Warmewert, Bildungswiirme u. s. w. bezeichnet ein Begriff, der bekanntlich wohl zu trennen ist von dem der chemischen Verwandtschaft oder Affinitat. Ein besonderer Umstand ist noch bei der Bildung des Wertes U der Energie eines chemisch zusammengesetzten Korpers in irgend einem Zustand zu beachten. Es versteht sich, dass dieser Wert stets auf den namlichen Nullzustand (S. 102) bezogen werden muss, der zwar anfanglich nach Willkiir gewjihlt werden kann, nachher aber, beim Ubergang zu anderen, auch chemisch differenten, Zustauden beizube- halten ist. Da nun die einem beliebigen Zustand ent- sprechende Energie stets definiert wird durch den Arbeits- wert der ausseren Wirkungen, die beim Ubergang in den Nullzustand zuni Vorschein kommen, so wird man die Wahl des Nullzustandes am besten mit Riicksicht darauf einrichten, dass der Ubergang in denselben moglichst leicht zu voll- ziehen ist. So lange es sich daher nur um physikalische Anderungen des Korpers handelt, wird man als Nullzustand irgend einen bequem gelegeneu Zustand des namlichen Korpers III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 199 uehmeii; dann ist der Ubergaug in den Nullzustand nur ein rein physikalischer Vorgang. Wenn aber cliemische Ande- rungen in Betracht kommen, so wird im allgemeinen jener Ubergatig mit chemischen Wirkungen verbunden sein miissen. Gesetzt z. B., es handle sich um die vollstandige oder theil- weise Zersetzung (oder Bildung) einer Quantitat Wasser, so wird man behufs Auffindung des Wertes der Energie als Nullzustand am bequemsten die entsprechenden Mengen Sauer- stotf und Wasserstoff vollstandig getrennt nebeneinander, etwa bei Gels, und 1 Atmosphare, annehmen. Dann ist in jedeni Zustand des Systems, bei beliebig vorgeschrittener Zersetzung, die Energie leicht zu definieren; denn fur irgend eine getrennte iSauerstoff- oder Wasserstoffmenge ist sie durch den physikalischen Ubergang zu Cels. und 1 Atmosphare Druck gegeben, wahrend dagegen fur ein Quantum Wasser noch die chemische Zerlegung in die beiden Elemente hinzu- koinmt. (Dass man statt dessen auch den umgekehrten Vor- gang: die Bildung von Wasser, zur Definition der Energie beiiutzen kann, ist oben Seite 101 allgemein ausgefuhrt worden.) Hieraus erhellt, dass, sobald es sich um Anderungen in der chemischen Zusammensetzung eines Korpers handelt, zu der physikalischen Energie des Korpers noch eine additive Constante hinzuzufiigen ist: die chemische Energie, welche immer gleich und entgegengesetzt ist dem Warme wert der Bildung des Korpers aus seinen Bestandtheilen. Beim Ubergang in den Nullzustand (Zersetzung des Korpers) tritt dann die chemische Energie als (positive oder negative) Warme auf. Dies gilt auch fur Losungen, Mischungen u. s. w.: so ist die Energie irgend einer Salzlosung gleich zu setzen der negativen Losungswarme des Salzes. Dieser Wert ge- iiiigt, wenn man sich beschrankt auf die Untersuchung von Veranderungen in dem Procentgehalt der Losung; dehnt man aber die Betrachtung aus auf Processe, in denen das Salz oder das Losungsmittel selber Zersetzungen erleiden, so ist in den Ausdruck der Energie noch em weiteres Glied auf- zunehmen, welches gleich ist der bei der Zerlegung der be- treffenden Substanz in ihre weiteren Bestandtheile frei wer- denden Warme. Bei der Anweudung des Energieprincips auf chemische 200 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Euergie. Processe 1st es natiirlich ebensowenig, wie in andereu Fallen, notwendig, alle an der Reaction Theil nehmenden Korper als Ein System (Grundsystem S. 121) aufzufassen, vielmehr kann man gauz nach Belieben einen bestimmten, endlichen oder unendlich kleinen, materiellen Complex herausgreifen uud dessen Energieanderung untersuchen. Dieselbe ist, wie iin- mer, gleich dein mechanischen Equivalent der ausseren Wir- kungen, welche bei der betreffenden Zustands'anderung auf- gewendet werden. Im iibrigen bedient man sich zur prak- tischen Bestimmung der chemischen Energie mit Vortheil der Satze, die wir im vorigen Abschnitt Seite 100 f. erortert haben. 3. Elektrische und magnetische Energie. Unter alien Schlussfolgerungen, die das Princip der Er- haltung der Energie auf die Wirkungsgesetze der versehie- denen in der Natur thatigen Krafte zu ziehen gestattet, beanspruchen ein besonders hervorragendes Interesse die auf Elektricitat und Magnetismus beziiglicheu; denn in keinem anderen Theile der Physik kommt die Fruchtbarkeit jeues Princips so zui reinen, unmittelbaren Geltung. Was narnlich zunachst die Mechanik betrifft, so hatte dieselbe schon eine be- trachtliche Zeit vor der Entdeckung des allgemeineu Energie- princips einen hohen Grad ihrer Ausbildung erreicht, es blieb also fur die Anwendung des Princips auf die Lehre von den Bewegungserscheinungen nichts anderes ubrig, als dessen Ubereinstimmung mit den bereits auf anderem Wege hin- langlich sicher festgestellten Gesetzen hinterher nachzuweisen und so Einen bekanuten Satz an einem andern bekannten zu verificieren. Etwas anders verhielt es sich schon in der Warmelehre: hier griff das neu entdeckte Princip machtig gestaltend ein in die Entwickelung der Vorstellungen, die man sich von der Natur der thermischen Vorg'ange zu bilden suchte; doch auch auf diesem Gebiete der Forsch-ung blieb es nicht lange der einzig anerkannte und bewahrte Fiihrer. Seitdem sich die hohe Fruchtbarkeit der mechanischen Auf- fassuug der Warme gezeigt hat, ist man in der Regel viel mehr geneigt, sich bei der Betrachtung thermischer Processe von der Vorstellung rein mechanischer Vorgange leiten zu lassen, als auf das allgemeine, von diesen Vorstellungen III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Euergie. 201 imabhangige Euergieprincip zuruckzugehen; denn das 1st ja ohne weiteres einleuchteud, dass die Riicksichtnahme auf letzteres allein bei weitem uicht jene zur Erzielung einer deutlicheii Anschauung erforderliche Specialisierung der Ideen gewiihrt, welche uns gerade die mechanische Vorstellung so wertvoll macht. Von den eben geschilderten ganz versehiedenartige Ver- haltnisse treffen wir nun aber auf dem Gebiet der Elektricitat und des Magnetismus an. Bisher ist es noch keineswegs gelungeii, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen , die uns hier eiitgegentreten , unter eine einheitliche Anschauung zu- sammenzufassen , d. h. auf eine durchgreifende Analogic mit Erscheinungen, die uns von anderer Seite her bekannt und durch Gewohnheit vertraut geworden sind (z. B. mechanischer Natur), zuriickzufiihren , und es ist vielleicht zweifelhaft, ob dies je gelingen wird; jedenfalls aber sehen wir uns bei der Ubernahme der Aufgabe, die Gesetze der Elektricitat aufzu- tinden, von vorneherein im Besitz keines anderen zuverlas- sigen Hilfsmittels der Forschung, als einzig und allein des Princips der Erhaltung der Energie. Hier tritt also die Bedeutung des Princips am klarsten zu Tage: abgelost von alien Nebenvorstellungen bildet es den einzig sicheren Aus- gangspunkt der Untersuchung, iudem es den leitenden Ideen- gang angibt, der fiir die rationelle Verwertung der Ergeb- nisse von Experiment und Beobachtuug wesentliche Vorbe- dingung ist. Allerdings muss hier gleich die Bemerkung angefiigt werden , dass es im Interesse einer bequemen und verstand- lichen Ausdrucksweise oft unausweichlich geboten erscheint, sich in der Anwendung des Princips auf bestimmte einzelne Processe einer Terminologie zu bedienen, die an gewisse specielle Vorstelluiigen von der Wirkungsweise der Elektrici- tat erinuert; wir reden z. B. von der Elektricitat, als ob sie ein besonderer Stoff ware, der sich bewegt, der Krafte aus- iibt u. s. w. Indes involvieren diese Ausdrucke keineswegs irgend ein Urtheil (iber die Natur der elektrischen Wirkungen, dieselbe bleibt vielmehr vollkommen offen; ja sogar die der eudgiltigen Entscheidung jetzt schon einigermassen nahe ge- riickte Frage, ob Elektricitat und Magnetismus unvermittelt 202 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. in die Feme wirken, oder ob vielmehr die Wirkungen durch entsprechende Veranderungen des Z wischenmediums zustande kommen, konnen wir vorlaufig noch ganz unentschieden lassen, wiewohl wir manchmal, um die Ansehauung einiger- massen zu fixieren, genotigt sein werden. unseren Bezeich- nungen die cine oder die andere Vorstellungsweise zu Grunde zu legen. Alle elektrischen und magnetischen Wirkungen lassen sich in zwei grosse Gruppen eintheilen, je nachdem sie Be- wegungen der ponderablen Materie selber (Stromleiter, mag- netisierte Korper u. s. w.) oder Verauderungen des inneren elektrischen oder magnetischen Zustandes der Korper ver- ursacheu. Wir wollen diese beiden Arten von Wirkungen, wie es gewohnlich geschieht, als ponderomotorische (mechanische) und als Inductions- (elektromotorische, niagnetomotorische) Wirkungen kennzeichiien; bei jeder An- wendung uuseres Princips haben wir auf beide Riicksicht zu nehmen. Beschaftigen wir uns nun zunachst iirit Processen, welche hervorgerufeu werden durch die Wirkungen voii Elektricitats- mengen, die in den Korpern ruhen. Gesetzt: eine Anzahl materieller Puukte, ein jeder mit einem bestimmten Quantum Elektricitat geladen, beh'nde sich in einem isolierenden Me- dium (Luft); dann werden sich die Wirkungen der Elektri- citateu auf die ponderomotorischen beschranken, uud die Punkte werden sich unter dem Einfluss derselben zu bewegen anfangen, wobei wir einfach annehmen wollen, dass das Medium der Bewegung keinen merkbaren Widerstand ent- gegensetzt. Der Vollstandigkeit halber tniissen wir allerdings noch eine andere Voraussetzung hier mit aufnehmen, die wir auch in der Folge beibehalten werden, namlich die, dass die relativen Geschwindigkeiten der sich bewegenden Korper stets verschwindend klein sind gegen die sogenannte kritische Geschwindigkeit (300000 Km. in der Secunde) weil sonst zu den elektrostatischen gewisse elektrodynamische Wirkungen hinzutreten, die wir erst spater zu berucksichtigen haben. Daun wird uns die bequeinste Anschauung des gauzen Ver- laufs der Bewegung durch die Vorstellung gewahrt, dass die Elektricitaten in die Feme aufeinander wirken, die gleich- III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 203 namigen abstossend, die ungleichnarnigen anziehend, nach deiii allgemeinen Newton'schen Gravitationsgesetz. (Polari- sation der Dielektrica s. unten S. 206 ff.) Wenn keine ausseren Wirkungen auf das System aus- geiibt werden, so ist seine Euergie constant; dieselbe besteht aber aus zwei Theilen: der lebendigen Kraft der bewegten Punkte, und dem Potenzial der wirkenden (Central-) Krafte (S. 165). Dies Potenzial: wobei e und e (mit entsprechenden Vorzeichen) die elek- trisclien Ladungen zweier Punkte (jede Combination einmal genommen), r ihre Entfernung (stets positiv) bezeichnet, ist also in diesem Falle als elektrostatische Energie U anzusehen. Ihre Anderung in einer gewissen Zeit ist gleich und entgegengesetzt der in dieser Zeit von den elektrisch- ponderoinotorischen Kraften geleisteten Arbeit. Aus dem Ausdruck von P ist leicht zu sehen, dass das elektrische Potenzial mehrerer Systeine gleich ist der Summe der Potenziale der Systeme aufsich selbst, ver- mehrt um die Summe der Potenziale je zweier Systeme aufeiuander. Da P als Energie die Dimension einer Arbeitsmenge besitzt, so wird durch die obige Gleichung zugleich das elektrostatische Maass der Elektricitat vermittelt; hiemit er- ledigt sich auch eine Frage, die man gelegentlich aus Schiiler- mund zu horen bekommt: welches denn das mechanische Aquivalent der Elektricitat (genauer: des elektrischen Po- tenzials) sei. Dasselbe ist =1, und zwar im elektrostatischen ebenso wie im magnetischen Maasse, fur welches letztere allerdings die obige Gleichung nicht mehr gilt. Greift man aus der ganzen Menge der Punkte eine be- schriinkte Zahl heraus und betrachtet sie als Grundsystem (S. 121), so verandert sich die Energie dieses Systems um den Betrag der aufgewendeten ausseren Wirkungen. Der- selbe ist hier offenbar die Arbeit der ponderomotorischen Krafte, welche von den ausserhalb gelegenen Punkten an den Punkten des Grundsystems geleistet wird. Etwas anders gestaltet sich der Vorgang, wenii als Tra- 204 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. ger der Elektricitat nicht einzelne Punkte, sondern raumlich ausgedehnte Leiter erscheineu, weil in diesem Fall zu den ponderomotorischen noch Induction swirkungen hinzutreten. Wir konnen annehmen, dass die zur Herstellung des elek- trischen Gleichgewichts innerhalb eines Leiters erforderliche Verschiebung der Elektricitaten rait einer gegen die Be- wegungen der Leiter unendlich grossen Geschwindigkeit von statten geht; dann entspricht einer jeden Constellation des Leitersystems eine bestimmte Anordnung der Elektricitaten in den Leitern, welche durch die Bedingung gegeben ist, dass der Wert der elektrischen Potenzialfunction: fur alle Punkte eines und desselben Leiters constant ist, wahrend im umgebenden Isolator iiberali die Bedingung: /\ cp = gilt. Hiedurch und durch die gegebenen Ladungs- quantitaten der Leiter ist die Function (p bestirumt, wahrend die elektrische Dichte an der Oberflache eines Leiters den Wert hat: - ~- . wenn n die nach dem Inuern des Iso- 4:n cn ; lators gezogeue Norniale bedeutet. Nehmen wir nun an, dass die Leiter sich unter dern Einfluss der von ihren Ladungen ausgehenden Krafte be- wegen ; und betrachten wir die Anderung, welche das elek- trische Poterizial des ganzen Systems auf sich selbst: P = . oder auch = ' in einem Zeitelement erleidet. Zu diesem Zwecke zerlegen wir die gauze unendlich kleine Anderung, die das System erfahrt, in zwei Theile: 1) die Leiter verandern ihre Lage im Raum, wahrend die Elektricitaten in ihnen fest liegen, 2) die Elektricitaten nehmen in den Leitern, wahrend diese selbst ruhen, die durch die veranderte Constellation bedingte iieue Gleichgewichtslage an. Durch jeden dieser beiden Vor- giinge wird P verandert werdeu, uud zwar ist leicht einzu- sehen, dass die erste Anderung nichts anderes ist als die negative Arbeit der ponderomotorischen Krafte, ebenso wie in dem vorher behandelten Fall, wahrend die zweite Anderung III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 205 gegen die erste unendlich klein 1st. Denn die neue elek- trische Vertheilung unterscheidet sicb von der anfanglichen dadurch, dass zu jedem urspriinglich vorhandenen elektrischen Theilchen e ein unendlich kleines (positives oder negatives) Theilchen de hinzugetreten ist, und die hiedurch bedingte Anderung des gesammten elektrischen Potenzials ist nach S. 203 gleich dem Potenzial aller neuhinzugekommenen Elektricit'aten de auf die gauze urspriinglich vorhandene Ladung e. (Denn das Potenzial der neuhinzugekommenen Elektricitaten auf sich selbst ist klein von hoherer Ordnung.) Die gesuchte Anderung betragt also: (cpde) und diese Summe ist fiir jeden einzelnen Leiter gleich 0, da (p in ihm iiberall den namlichen Wert hat, und seine Gesammtladung e unverandert bleibt. Mithin wird die zeitliche Anderung des Potenzials: d P, vollstandig dargestellt durch die negative ponderomotorische Arbeit, d. h. durch die Abnahme der lebendigen Kraft der sich bewegenden Leiter; die Summe des Potenzials und der lebeudigen Kraft ist also constant. Da nun andrerseits die Gesarnmtenergie des Systems constant bleibt, so folgt, dass zu der kinetischen Energie noch eine elektrostatische U hin- zutritt, die auch in diesem Fall wieder gemessen wird durch das positive elektrische Potenzial P. Daher bestehen die Wirkungen, die durch einen Bewegungsvorgang wie den eben betrachteten hervorgerufen werden, lediglich in der wechselseitigen Umsetzung elektrostatischer und kinetischer Energie. Die Inductionswirkungen, welche dabei in den Leitern vor sich gehen, haben keinen endlichen Arbeitswert und konnen daher auch keine Stromwarme liefern; denn wiewohl durch einen Querschnitt eines Leiters in einer end- lichen Zeit im allgemeinen eine endliche Elektricitatsmenge hindurchfliesst, so ist doch die dabei von ihr geleistete Ar- beit unendlich klein, well der Strom kein endliches Poten- zialgefalle hat. Eine thermische Wirkung findet nur dann statt, wenn zwei Leiter in solche Nahe kommen, dass sie ihre Ladungen gegenseitig ausgleichen konnen. In diesem Fall tritt in dem Werte der elektrostatischen Energie eine schnelle Verminderung ein, die aber nicht der lebendigen Kraft der Leiterbewegung, 206 HI- Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. sondern der Molekularenergie zu Gute kommt. Handelt es sich um Warmeerzeugung (bei der Entladung elektrischer Batterien), so ist hiedurch direct die Menge der Entladungs- warme in mechanischem Maasse gegeben. Die Verwandlung der Elektricitat in Warme erfolgt allerdings riicht momentan, sondern es spielen sich in der Regel mehr oder weniger complicierte elektrodynamische Vorgange (z. B. oscillierende Entladung) ab ; indessen sind im Endzustand alle Energie- arten wieder reduciert auf thermische (und elektrostatische) Energie. Gehen wir nun weiter fiber zu dem Fall, dass ausser den Leitern auch noch Dielektrica im System vorhanden sind. Der Einfachheit halber wollen wir im folgenden die Die- lektrica, wie die Leiter, zunachst als starr voraussetzen , und nur die letzteren mit gewissen gegebenen Elektricitatsmengen geladen annehmen; beide Arten von Korpern mogen sich frei in einem vollstandig isolierenden unpolarisierbaren Me- dium bewegen. Die Constitution eines Dielektricums definieren wir nach Faraday dahin, dass in ein absolut isolierendes Medium eine sehr grosse Anzahl von sehr kleinen leitenden Korperchen eingefiigt ist, in denen unter dem Einfluss elek- trischer Krafte eine elektrische Vertheilung gerade so indu- ciert wird, wie in endlich ausgedehnten Leitern. In der mathematischen Behandlung fiihrt diese Annahme zu der von Poisson begriindeten Theorie der dielektrischen (oder magne- tischen) Polarisation, nach welcher das auf die Volumeneinheit bezugliche dielektrische Moment in irgend einem Punkte eines Dielektricums an Richtung gleich und an Grosse pro- portional ist der an diesem Punkte wirkenden elektrischen Kraft, und ausserdem einer von der Beschaffenheit des Di- elektricums abhangenden Constanten. Die Componenten dieses Moments geniigen also den Gleichungen: CD * ..*, -*; * '& Je grossere Werte die (positive) Constante x annimmt, um so mehr nahert sich das Verhalten des Dielektricums dem eines Leiters. Fur x = verschwindet dagegen die Polari- sation ganz. III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 207 Da durch die oben zu Grunde gelegte Vorstellung die dielektrische Polarisation vollstandig zuruckgefuhrt ist auf die Erscheinungen, welche vollkommene Leiter darbieten, so diirfen wir die S. 205 fur die Anwendung des Energieprincips gewonnenen Resultate ohne weiteres auf diesen Fall iiber- tragen. Der Wert der elektrostatischen Energie U ist also auch hier gegeben durch das elektrische Potenzial des ganzen Systems auf sich selbst, d. h. durch den Ausdruck: Da nun in einem jeden der kleinen leitenden Korperchen, aus denen ein Dielektricum zusammengesetzt ist, cp einen con- stanten Wert besitzt, und ausserdem die betreffende Ladungs- quantitat gleich ist, so verschwindet diese Summe fur alle Elektricitatsmengen e, die sich in den Dielektrica befinden, mid braucht allein auf die mit endlichen Ladungen ver- sehenen Leiter ausgedehnt zu werden. Das Vorhandensein eines Dielektricums hat auf den Wert der elektrostatischen Energie nur insofern Einfluss, als die Potenzialfunction cp dadurch moclificiert wird. Das Charakteristische der Wirkungsweise eines Dielek- tricums wird der Anschauung erheblich naher geruckt und der Rechnung besser zuganglich gemacht durch den bekannten Satz, dass sich die in einem Dielektricum befindlichen Elek- tricitaten bezuglich aller ihrer physikalischen Wirkungen vollstandig ersetzen lassen durch eine einfache elektrische Schicht, welche auf der Oberflache des Dielektricums aus- gebreitet ist und in irgend einem Punkte derselben die Dichte hat: - {A cos (nx) + p cos (ny) + v cos (nz)} = K ^ , wobei n die Richtung der nach dem Innern des Dielektricums gezogenen Normale bedeutet. Die Gesammtmasse dieser Schicht ist gleich 0. Wahrend also die Potenzialfunction cp mit ihren Differen- zialquotienten in alien Punkten des Raumes, innerhalb und ausserhalb der Dielektrica, den namlichen Wert behalt, wenn man die elektrische Vertheilung in einem Dielektricum er- 208 HI. Abschuitt. Verschiedene Arten der Energie. setzt durch die genannte fingierte Flachensehicht, so ist doch wohl zu beachten, dass dasselbe nicht der Fall ist mit deni Werte des Potenzials aller im System vorhandenen Elek- tricitat auf sich selbst. Denn der allgemeine Ausdruck dieses Potenzials : P = e < liefert hier einen von dem obigen verschiedenen Wert, wie man sogleich erkennt, wenn man denjenigen Theil der Summe ins Auge fasst, der von den Elektricitaten e der fingierten Flachenschiehten lierriihrt. Da namlich auf der Oberflache eines Dielektricums die Po- tenzialfunction cp nicht iiberall constant ist, so wird die ent- sprechende Summe im allgemeinen einen von verschiedenen (negativen) Wert annehmen, wahrend sie doch in dem oben, auf voriger S. betrachteten Fall, auf die Elektricitaten e des Dielek- tricums bezogen, wurde. Andrerseits erhalten wir dagegen fur die in den Lei tern enthaltenen Elektricitaten e genau die namlichen Zahlen wie oben; daher wird der resultierende Wert des Potenzials P hier jedenfalls ein anderer (kleinerer) sein als in dem vorher betrachteten Falle. Aus dem Ge- sagten geht hervor, dass man, sobald die elektrische Ver- theilung in einem Dielektricum ersetzt gedacht wird durch die ihr physikalisch aquivalente Oberflacherischicht, zwischen den Begriffen: Potenzial P und Energie U zu unterscheiden hat; denn letztere Grosse bleibt natiirlich vermoge ihrer physikalisch en Bedeutung in beiden Fallen die namliche. Dieser Unterschied ergibt sich auch dann unmittelbar, wenn wir eine schon friiher angestellte Uberlegung benutzen, um aus dem Potenzial die Energie abzuleiten. Betrachten wir die unendlich kleine Anderung dP, welche das Potenzial P bei der Bewegung der Leiter und Dielektrica in einem Zeitelement erleidet, so konnen wir uns dieselbe in zwei Theile zerlegt denken: 1) die Anderung infolge der raum- lichen Verschiebung der Leiter und Dielektrica, wahrend die Elektricitaten in ihnen fest liegen , 2) die Anderung infolge der neuen Anordnung der Elektricitaten in den Korpern, wahrend diese selbst im Raum fixiert sind. Die erste An- derung stellt die negative Arbeit der ponderomotorischen Krafte vor ? also die Abnahme der lebendigen Kraft T, die zweite aber ist gleich dem Potenziale aller neu hinzugetretenen III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 209 Elektricitaten de auf die urspriinglich vorhandenen e (S.205), also = 2 (qp^tf), mithin haben wir: dP= 6T+ 2 (tpde), oder, da die Gesammtenergie : T + U = const. : dP=dU + 2 ( beim Durchgang durch die Dop- pelschicht in positiver Richtung (d. h. von der negativen zur positiven Schicht) um 4;r co =

== ir^, e ' 9 un ^ untersuchen wir die Anderung, welche diese Grosse in einem Zeitelement erleidet, wenn sich die beiden (fest verbundenen) Leiter gleichzeitig ruit den andern im elektrischen Felde befindlichen Leitern unter dem Einfluss der elektrischen Krafte bewegen. Diese Anderung dP lasst sich auch hier wieder successive hervorgebracht denken 1) durch eine Verschiebung der Leiter, wahrend die Elektricitaten in ihnen fest liegen (negative ponderomotorische Arbeit oder Abnahme der lebendigen Kraft: 8T), 2) durch eine Veranderung der elektrischen Anordnung in den ruhenden Leitera, wobei man sich vor- stellen kann, dass zu jedem elektrischen Theilchen e des Systems ein positives oder ein negatives de hinzutritt. Dann ist die entsprechende Anderung des Gesammtpotenzials gleich dem Potenziale der Elektricitaten de auf die urspriinglich vorhaudenen e (S. 205) also = 27 (go de). Fur einen isolierten Leiter ist diese Summe gleich 0, da y> in ihm constant, da- gegen fur das fest verbundene Leiterpaar ist sie, wie man leicht einsieht, gleich qp d E } wenn

welche zur Molekular- energie beitragt. Die ubrigen Anderungen von lebendiger Kraft und Molekularenergie werden geliefert von der eigenen elektrokinetischen Energie des Leiterkreises. Bemerkenswert ist bier ferner der Umstand, dass vermoge der besondereu Form, in der die elektrokinetische Energie auftritt, die Ge- sammtenergie der beiden Stromleiter nicbt die einfacbe Summe der Energien der einzelnen Leiter ist, wahrend in dem Falle eines Leiters und ernes Magneten der entsprecbende Satz Giltigkeit bat. Geben wir nun zuriiek zu dem allgemeinen Fall beliebig vieler permanenter Magnete und Strome, und fassen den Ausdruck der dadurcb gegebenen Energie Q = U W noch etwas naher ins Auge. Derselbe enthalt kein Glied, welches, analog der lebendigen Kraft bewegter ponderabler Massen, auf eine Tragheit der bewegten Elektricitaten schliessen lasst 1 ), ebensowenig eins, welches eine directe Wechselwirkung zwischen Elektrieitat und ponderabler Materie anzeigt 2 ), son- dern bestebt nur aus dem magnetischen und dem elektro- dynamischen Potenzial. Auf den ersten Anblick mochte es als eine Art Ungereimtheit erscheinen, dass das magnetische Potenzial U mit positivem Vorzeichen, das elektromagnetische V gar nicht, das elektrodynamische W dagegen mit negativeni Vorzeichen in den Wert der Energie eingeht; denn da wir die elektromagnetischen und die elektrodynamischen Wir- kungen direct aus den rein magnetischen abgeleitet haben, 1) H. R. Hertz: Versuche zur Feststellung einer oberen Grenze fur die kinetische Energie der elektrischen Stromung. Wied. Ann. 10, p. 414, 1880, Wied. Ann. 14, p. 581, 1881. 2) Vgl. E. Colley: Nachweis der Existenz der Maxwell'schen elektrom. Kraft Y me . Wied. Ann. 17, p. 55, 1882. III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 235 so liegt die Vermutuog nahe, die drei genannten Potenziale als vollkommen gleichartig und gleichberechtigt anzusehen, und in der That: sobald wir einen Magneten mit einem Strom geradezu identificieren , ist der Schluss unvermeidlich, dass dann auch das magnetische Poterizial bei der Energie- bildung genau dieselbe Rolle spielt wie das elektromagnetische mid das elektrodynamische. Indessen liegt die Sache hier anders. Wir haben die Ableitung der elektromagnetischeii und elektrodynamischen Wirkungen aus den magnetischen allein auf den allgemein erwiesenen Erfahrungssatz (S. 227) gegriindet, dass ein Strom genau dieselbeu (ponderomoto- rischen und Inductions-) Wirkungen ausiibt wie eine mag- netische Doppelschicht von entsprechenden Eigenschaften. Daraus folgt aber noch nicht, dass Strom und Magnet sich liberhaupt identisch verhalten ; denn sonst mtissten sie caeteris paribus auch dieselben Wirkungen erleiden. Aber nur be- ziiglich der ponderomotorischen Krafte lasst sich eine Gleich- heit auch der passiven Wirkungen aus dem mechanischen Princip der Wirkuiig und Gegenwirkung ableiten (S. 229), dagegen ist fiir die Inductionswirkungen diese Identitat keines- wegs vorhanden. Wahrend namlich in einem Strome durch iiussere elektromotorische Krafte gewisse Energieanderungen hervorgerufen werden, bleibt der innere Zustand eines ent- sprechenden an dieselbe Stelle gesetzten permanenten Mag- neten (der immer als nichtleitend fiir Elektricitat vorgestellt werden kaim) nach der von uns aufgestellten Gleichung der Erhaltung der Energie vollkommen ungeandert. Dieser Umstand wird gut illustriert durch folgendes Beispiel. Denken wir uns einen permanenten Magneten in der Form einer gleichmassig magnetisierten Doppelschicht, und damit fest verbunden einen linearen constanten (etwa hydroelektrischen) Strom, der die Grenzlinie der magnetischen Flache so durchfliesst, dass die von dem Magneten aus- gehenden Wirkungeu gerade aufgehoben werden ; dies System wird, ob es sich bewegt oder nicht, keinerlei Krafte, weder ponderomotorische noch inducierende, in der Uingebung aus- iiben. Wenn nun ein anderer permanenter Magnet (oder auch Strom) sich in der Nahe irgendwie bewegt, so wird derselbe sich genau ebenso verhalten, als ob er ganz allein 236 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. im Raume vorhanden ware: seine Geschwindigkeit bleibt ungeandert u. s. w. Nicht so ist es aber mit unserem com- binierteu System von Magnet und Strom. Wahrend im Magneten sich Nichts andert, werden ini Strom durch die Bewegung des ausseren Magneten Inductionswirkungen her- vorgerufen, also molekulare Energie erzeugt (und zwar kann man, ohne den Arbeitswert dieser Wirkungen zu alterieren, den Widerstand der Stronileitung so gross annehmen, dass der inducierte Strom gegen den schon bestehenden constauten vernachlassigt werden kann). Die so erzeugte Energie ent- steht aber offenbar hier nicht auf Kosten der lebendigen Kraft des inducierenden Magneten, sondern auf Kosten der inagnetischen Energie U, die durch das Vorhandensein der beiden Magnete bedingt ist. Wird der Strom unterbrochen (wozu keine Arbeitsleistung gehort), so kommt diese Energie zur ponderomotorischen Wirksamkeit. Ahnlich verhalt es sich, wenn an die Stelle des ausseren Magneten ein Strom gesetzt wird, nur kommt dann nicht die magnetische, sondern die elektrokinetische Energie: das negativ genommene elektro- dynamische Potenzial W ins Spiel. Man sieht hieraus, wie notwendig es ist, die Trennung in dem Verhalten perma- nenter Magnete und dem ihnen aquivalenter Strome durch- zufiihren. [Die im Vorstehenden durchgefiihrte Anwendung des Princips der Erhaltung der Energie auf die Wechselwirkungen von Magueten und Stromen griindet sich allein auf That- sachen der Erfahrung, sie ist insbesondere, worauf wir na- mentlich Wert legen, unabhangig von jeglicher specielleren Vorstellung iiber die Natur des Magnetismus. Wenn wir uns nun aber der von vorneherein sehr plausiblen Annahme Amperes anschliessen, dass die Maguete nichts anderes sind, als Systeme von entsprechend orientierten Molekularstromen, so erleidet die Anwendung des Energieprincips eine wesent- liche Modification. Alle magnetischen und elektromagnetischen Wirkungen gehen dann in elektrodynamische fiber und miissen als solche behandelt werden. Es gibt nur noch ein elektro- dynamisches Potenzial, dessen Grosse ist: (U + F+ W), und dementsprechend nur eine elektrokinetische Energie, die dem Potenzial gleich und entgegengesetzt ist. Ferner ist III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 237 die innere Energie eines permanenten Magneten nicht mehr constant, sondern - nnd fiber diesen Schluss kann keine Hypothese iiber die Natur der Molekularstrome hinweghelfen sie andert sich in endlicher Weise bei einer endlichen Anderung des magnetischen Feldes, in dem er sich befindet. Wie man sich diese Veranderlichkeit im einzelnen vorzu- stellen hat, ist eine Frage, die nicht hieher gehort, wo wir es nur mit de-n nnmittelbaren Ergebnissen der Erfahrung zu thun habeii, und die erst im Zusammenhang mit allgemei- neren, weiter unten kurz zu beriihrenden Problemen beant- wortet werden kann.] Wie bei der Wechselwirkung linearer unverzweigter Strome und permanenter Magnete, so lassen sich die Gesetze von Ampere und F. Neumann auch in dem allgemeineren Falle korperlich ausgedehnter (geschlossener) Leiter und be- liebiger niagnetisierbarer Korper mit gleich befriedigendem Erfolge der Anwendung des Energieprincips zu Grunde legen, nur hat man dann wieder wie bei den rein magnetischen Wirkungen (S. 225) zwischen magnetischer Energie U und magnetischem Potenzial P zu unterscheiden; im librigen be- halten die vorgetragenen Satze ihren Wortlaut vollstandig bei. Eine besondere Bemerkung erfordern noch die durch das Vorhandensein von Gleitstellen in korperlich aus- gedehnten Leiterri bedingten Wirkungen, schon weil die- selben in der historischen Entwickelung der Theorie der Stromwirkungen eine interessante Rolle spielen. Wir haben schon oben (S. 230) darauf besonders aufmerksam gemacht, dass die bei irgend einer Veranderung des elektromagnetischen Feldes von den Stromen und Magneten geleistete pondero- motorische Arbeit gemessen wird nicht etwa durch die wirkliche, vollstandige zeitliche Abnahme des gesammten magnetischen, elektromagnetischen und elektrodynamischen Potenzials V + V + W , sondern durch diejenige partielle Abnahme dieser Grosse, welche bei unveranderlich gedachten Stromintensitaten und Magnetismen durch die Bewegungen der Korper hervorgerufen wird. Wenn nun korperlich aus- gedehnte Leiter, die auch mechanische Deformationen erleiden konnen oder mit Gleitstellen behaftet sind, sich im Felde bewegen, so hat man die Unveranderlichkeit der Strom- 238 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. intensitaten dahin zu verstehen, class in jedem ponderablen Theilchen die Stromintensitat die namliche bleibt; daher konnen sich (bei Deformationen oder Gleitstellen) die Stroni- fadeu bei der Bewegung biegen oder dehnen, diirfen aber nicht abgerissen werden. Man kann sich niimlich in jedem beliebig gegebenen Falle die vollstandige zeitliche Anderung des Potenzials zusammengesetzt denken aus zwei nacheinander erfolgeuden partiellen Anderungen, die folgenden beiden Vor- gangen entsprechen : 1) die ponderablen Leitertheile gehen in ihre neue Lage fiber, wahrend die Stromfaden in ihnen erhalten bleiben, 2) die Stromfaden und Stromintensitaten nehmen, wahrend die Leiter ruhen, die durch die neue Con- stellation bedingte Grosse und Richtung an. Nur die erste partielle Anderung kommt bei der Berechnung der pondero- motorischen Arbeit in Betracht. Die Anwendung dieser Yorschrift fiihrt stets zu richtigen Resultaten; denn alle Einwande, welche gegen diesen (in der vorliegenden verall- gemeinerten Form zuerst von Helmholtz j ) ausgesprochenen) Satz erhoben worden sind, beruhen auf einer unberechtigten Verwechslung der beschriebenen partiellen Anderung des Potenzials mit der vollstandigen (welche fur gewisse elektro- dynamische Rotationen = ist). Denken wir uns z. B. den einfachen Fall, dass ein linearer Stromleiter L mit seinem einen Ende langs der Oberflache eines * leitenden Korpers K (etwa Quecksilber) gleitet. Der Strom, der durch L nach K fliessen rnoge, verbreitet sich beim Austritt aus L nach alien Seiten durch K. Die bei der angenommenen Bewegung geleistete ponderomotorische Arbeit findet man durch die Betrachtung einer unendlich kleinen Verschiebung des Leiters langs der leitenden Ober- flache, etwa voni Punkte A der Flache zu einem benachbarten Punkt B, und durch Berechnung derjenigen (partiellen) An- derung des Gesammtpotenziales des Stromes auf sich selbst, die sich ergibt, wenn die Stromintensitat dabei in alien Leiter- theilen constant gedacht wird. Der Strom ist also nach vor- genommener Verschiebung nicht etwa von L durch B direct nach K fliessend vorzustellen, sondern von L durch B erst 1) H.'v. Helmholtz: Wiss. Abh. I, p. 692. III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 239 linear nach A, und von da in der namlichen Weise wie vorher dorch K hindurch. Hiebei heben wir noch besonders hervor, dass in dem Ausdruck des Potenzials, wie immer bei Selbst- potenzialen, jede Combination zweier Strornelemente nur einmal vorkommt. (Vgl. den allgemeinen Ausdruck der ponderomotorischen Arbeit S. 230.) Ganz ahnlich, wenn auch etwas verwickelter, gestaltet sich die Anwendung des F. Neumann'schen Inductionsprincipes auf den vorliegenden Fall. Bei der Berechnung der zeit- lichen Anderung des Potenzials aller Strome (und Magnete) auf eine vom Strome 1 durchflossene Leitung hat man genau zu unterscheiden zwischen den Veranderungen der Strome (und Magnete) ; die inducierend wirken, und den Verande- rungen der Stromleitung, in welcher eine elektromotorische Kraft induciert wird. Bei den ersteren ist immer die wirk- liche, vollstandige Anderung der Stromintensitaten (einerlei ob Gleitstellen vorhanden sind oder nicht) und der Magne- tismen in Rechnung zu bringen, in der letzteren dagegen ist der Strom 1 in derselben Weise unveranderlich fliessend zu denken, wie es oben dargestellt wurde, d. h. so, dass die Strornfaden auch bei eintretenden Deformationen ihre Lagen in den ponderablen Leitertheilen behalten und auch bei Gleit- stellen nicht abgerissen werden. Um also z. B. die Selbstinduction des vorhin betrachteten Stromes zu finden, der durch den linearen Leiter L in den korper lichen Leiter K fliesst, langs dessen Oberflache L gleitet ; hat man zunachst zu bilden das Potenzial (zur Zeit t) des Stromes L A K auf die vom Strome 1 durchflossen ge- dachte namliche Leitung L A K, und diesen Ausdruck zu subtrahieren von dem Potenzial (zur Zeit t + di) des vollstandig veranderten Stromes, der mit seiner neuen In- tensitat i -f- -^- dt durch Z fliesst und sich von dem neuen Beriihrungspunkt B aus direct in den Leiter K verbrei- tet, auf die vom Strome 1 durchflossen gedachte Leitung L B A K, wobei die Stromfaden in K gerade so liegen, wie zur Zeit t. Dividiert man die gefundene Differenz durch dlj so ergibt sich die inducierte elektromotorische Kraft. Hier hat man es natiirlich nicht mit einem Selbst- 240 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. potenziale zu thun; denn jede Combination zweier Elemente kommt doppelt vor, je nachdem eins derselben vom Strome i resp. * -f- -TT ^ oder vom Strome 1 durchflossen gedacht wird. (Vgl. S. 231.) Nur unter Beachtung der angegebenen Regel fiihrt das Neumann'sche Inductionsprincip auch fiir korperliche Leiter immer zu richtigen Resultaten. Bei der gleichformigen elektrodynamischen Rotation ist die Stromstarke i und die elektrokinetische Energie constant, in der That findet man leicht, dass die ponderomotorische Arbeit gleich ist dem Arbeitswert der elektromotorischen Wirkungen, d. h. dass die zur Aufrechterhaltung der Rotation (Uberwindung der Reibungswiderstande) notige Arbeit ge- liefert wird von der molekularen Energie der Stromleiter. Auch die Erscheinungen der magnetelektrischen (einschliess- lich der sogenannten unipolaren) Induction finden auf die angegebene Weise ihre unmittelbare Erklarung. Allerdings bleibt hiebei die Frage nach den in den einzelnen Leiter- theilen wirkenden ponderomotorischen oder elektromotorischen Kraften noch vollstandig offen 1 ). So tritt uns die Ampere -Neumann'sche Theorie der Wechselwirkungen geschlossener Strome und Magnete als ein durch das Energieprincip innerlich zusammenhangendes voll- endetes System entgegen, welches die feste, durch die Er- gebnisse zahlreicher Experimente gesicherte Basis fiir fernere Untersuchungen bildet. Ob man sich dabei die Wirkungen der einzelnen Stromelemente nach dem Ainpere'schen oder nach dem Grassmann'schen 2 ) Elementargesetz oder auch nach dem Helmholtz'schen Potenzialgesetz erfolgend denken will, bleibt dem Geschmack des Einzelnen iiberlassen. Eine inner e Liicke 3 ) zeigt diese Theorie nur dann, 1) Vgl. hieriiber E. Riecke: Zur Theorie der unipolaren Induction und der Plucker'schen Versuche. Gott. Nachr. 1876, p. 332. (Wied. Ann. 1, p. 110, 1877.) Wied. Ann. 11, p. 413, 1880. Ferner F. Koch: Untersuchungen iiber magnetelektrische Rotationserscheinungen. Wied. Ann. 19, p. 143, 1888. 2) H. Grassmann: Neue Theorie der Elektrodynamik. Pogg. Ann. 64. p. 1,' 1845. 3) H. Hertz: Uber die Beziehungen zwischen den Maxwell'schen III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 241 wenn man eine am Anfang von uns gemachte Voraussetzung (8. 228) fallen lasst, namlich die, class die Schnelligkeit der Anderungen cles elektromagnetischen Feldes gegen die kri- tische Geschwindigkeit nicht in Betracht kommt. In dieseni Falle niachen sich gewisse Erscheinungen geltend, die als Ausserungen des Umstandes aufzufassen sind, dass die elek- tromagnetischen Wirkungen zu ihrer Fortpflanzung Zeit brauchen. Bezeichnender Weise sind bis jetzt alle fiber das Wesen der Elektricitat aufgestellten Theorien, so wesentlich sie sich auch nach Ursprung und Ideengang unterscheiden selbst diejeriigen, welche von der Voraussetzung einer unmittelbaren Fernewirkung ausgehen bei ihrer weiteren Entwickelung an diesem Einen Punkte angelangt. Schon Gauss ') betrach- tete die Ableitung der durch die Bewegung der Elektricitat hervorgerufenen Krafte aus einer nicht instantanen, sondern sich mit endlicher Geschwindigkeit fortpflanzenden Wirkung als den ,,Schlussstein" der Elektrodynanrik und bezeichnete das Scheitern seiner dahin gerichteten Bemuhungen geradezu als den Grund, weshalb er das von ihm aufgestellte elektrische Grundgesetz noch nicht als reif fiir die Offentlichkeit erachte. B. Riemann 2 ) verfolgte ahnliche Gedanken, und C. Neumann 3 ) gelang es in ausgezeichneter Weise, das Weber'sche Grund- gesetz zuruckzufiihren auf die Annahme, dass das gewohn- liche elektrostatische Potenzial sich mit bestimmter Geschwin- digkeit nach alien Seiten gleichmassig ausbreitet und dass diese Ausbreitung die alleinige Ursache ist, weshalb die elektrischen Krafte auch von den Gesehwindigkeiten und Beschleunigungen der wirkenden Elektricitatstheilchen ab- h'angig erscheinen. elektrodynamischen Grundgleichungen und den Grundgleiclmngen der gegnerischen Elektrodynamik. Wied. Ann. 23, p. 84, 1884. 1) C. F. Gauss: Brief an W. Weber. Werke V, p. 627. Vgl. B. Clausius : Uber die von Gauss angeregte neue Auff'assung der elektrodynamischen Erscheinungen. Pogg. Ann. 135, p. 606, 1868. 2) B. Riemann: Ein Beitrag zur Elektrodynamik. Pogg. Ann. 131, p. 237, 1867. 3)C. Neumann: Die Principien der Elektrodynamik. Gott. Nachr. 1868, p. 223. Ferner: Math. Aunal. I, p. 317, 1868. VIII, p. 555, 1875. Planck, Energie. 16 242 III.-Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. Es fragt sich nun aber, ob eine solche Vorstellung iiber- haupt noch vertraglich ist mit der Annabme einer unver- raittelten Fernewirkung , und ob nicht die Voraussetzung einer endlichen Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrischen Wirkungen direct dazu notigt, mit Faraday, Maxwell und vielen andern Physikern eine die Fortpflanzung begleitende und vermittelnde Veranderung des Zwischenmediums anzu- nehmen. Denn der Zu stand eines elektrischen Systems kann doch nicht von der Zeit explicite abhangig sein, son- dern nur von den physikalischen Anderungen, welche die materiellen Theile des Systems (einschliesslich des Athers) in clem betreffenden Zeitpunkt erlitten haben. Auch das Clausius'sche l ) Grundgesetz, welches ohne jede Rucksicht auf ein vorhandenes Zwischenmedium abgeleitet ist, kann der Mitwirkung eines solchen nicht entbehren, da eine wirklich ,,absolute a Geschwindigkeit physikalisch gar nicht definier- bar ist. Wenn nun schon die wesentliche JBedeutung des Zwischen- mediums fur das Zustandekommen der elektrisch-magnetischen Wirkungen anerkannt wird, so liegt der Gedanke nahe, die reine Fernewirkung ganz aufzugeben, und dem Zwischen- medium die vollstandige Vermittelung jener Wirkungen zu iibertragen, oder mit andern Worten: nach einer Aus- drucksweise von C. Neumann - - alle ,,teleskopischen" Wir- kungen auf ,,mikroskopische" zuriickzufiihren. Vor dieser principiellen Frage miissen nach meinem Dafurhalten alle andern zuriickstehen, wie die, ob man zwei verschiedene Arten von Elektricitat zu unterscheiden hat, ob es ungeschlossene Strome gibt, und wenn ja, wie sich darin die Wechselwirkungen zweier Stromelemente aus den Wech- selwirkungen geschlossener Strome ableiten lassen, ferner wie man sich die Molekularstrome in den Magneten zu den ken hat, welches endlich das Grundgesetz der elektrischen Wir- kungen ist, u. s. w. Denn je nach der Beantwortung der Hauptfrage wird die Reihe der Vorstellungen und damit der 1) R. Clausius: Uber ein neues Grundgesetz der Elektrodynamik. Pogg. Ann. 156, p. 657, 1875. Crelle J. 82, p. 85, 1876. Die mecha- nische Behandlung der Elektricitat. Braunschweig, 1879, p. 277. III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 243 Gang der Speculation in ganzlich verschiedeiiartige Bahnen gelenkt, ja, dieselbe bedeutet eventuell eine formliche Um- walzung aller unserer durch Newton iiberkommenen und zur Gewolmheit gewordenen Anschauungen fiber das Wesen der in der Natur thatigen Krafte. Denn wenn wir auch nach Newton's eigenem Vorgang nur die Erscheinung als das Gegebene betrachten und die Frage nach Processen, die sich etwa sonst noch irgendwo abspielen mogen, die sich aber einstweilen der Wahrnehmung entziehen, ganzlich unberuhrt lassen, so wird unsere jetzige Naturanschauung doch im Grossen und Ganzen durchdrungen und beherrscht von der Vorstellung der unmittelbaren Wirkung in die Feme, in der kosmischen wie in der molekularen Welt, d. h. wir glauben, dass zwischen den Gestirnen, zwischen den Atomen Nichts weiter vor- geht, was mit den Bewegungen dieser Korper in einem not- wendig bedingenden Zusaminenhang steht eine Anschauung, die darin ihren guten Grund hat, dass wir in der That bei der Bewegung der Gestirne von derartigen Vorgangen keine Wahrnehmung haben, wahrend sie bei den Atomen nur auf einem Analogieschluss beruht. Und doch : sollte es definitiv gelingen, - - und dafur ist gegenwartig ein holier Grad von Wahrscheinlichkeit vor- handen die Gesammtheit der elektrischen Erscheinungen auf Krafte zuruckzufiihren, die nur in unendlich kleinen Entfernungen wirken ? so kann wohl kaum ein Zweifel dar- iiber obwalten, dass wir uns auch daran werden gewohnen miissen, die Wirkungen der Gravitation, die doch so viel einfacheren Gesetzen folgen, und infolge dessen auch die chemischen Erscheinungen, von demselben Gesichtspunkt aus zu betrachten; denn die Vereinfachung, die durch die neue Anschauung in alle unsere Naturvorstellungen gebracht wird, kann, wie wir noch in der Folge n'aher darzuthun uns be- miihen werden, nicht leicht hoch genug geschatzt werden. An dieser Aufgabe wird die Unbequemlichkeit, einer durch lange Zeiten hindurch festgewurzelten Ideenverbindung zu entsagen, Nichts aiidern konnen ; denn so gut es der miih- samen Arbeit vieler Jahrhunderte bedurfte, die Vorstellung einer unmittelbaren Fernewirkung zur lebendigen Gewohn- heit zu machen, so gut muss es gelingen, diese Gewohriheit 16* 244 HI. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. wieder abzustreifen , wenn einraal wirklich festgestellt ist, dass jene Vorstellung ihreri Dienst gethan hat. Ohne allzu voreilig der endgiltigen Entscheiduug dieser fundamentalen Frage vorzugreifen , wollen wir am Schluss unserer Untersuchungen noch die hauptsachlichsten Folgen hervorheben, welche aus der allgemeinen Durchfuhrung der neuen Theorie fur die Anwendung des Princips der Erhal- tung der Energie entspringen. In Ermangelung eines kurzen passenden Namens fiir diese Theorie werde ich mir im folgen- den erlauben, dieselbe als Infinitesiinaltheorie zu bezeichnen. Zunachst ist es wichtig zu betonen, dass die beiden sich gegeniiberstehenden Theorien keineswegs als coordiniert zu betrachten sind, sondern dass die Theorie der Fernewirkung sich als die allgemeinere erweist, geradeso wie eine endliche Grosse eine unendlich kleine als speciellen Fall in sich ent- halt. Denn nach der Infinitesimaltheorie hangen die Kraf'te, welche auf die Theile eines Korpers wirken, nur von seinem eigenen Zustand ab, nach der andern Theorie dagegen ausser- dem noch von sammtlichen Korpern, welche das ganze Uni- versum erfiillen; dieser Umstand bildet auch den Grund, weshalb wir uns in unserer bisherigen Darstellung und Aus- drucksweise mehr an die allgemeinere Vorstellung der direc- ten Fernewirkung gehalten haben. Wenn die Infinitesimal- theorie sich also bestatigt, so ist damit zugleich ein neues allgemeines Naturgesetz erwiesen, namlich das Gesetz, dass alle Veranderungen, die in und an irgend einem materiellen Element vor sich geheu, vollstandig bestimmt sind durch die augenblicklichen Vorgauge innerhalb und an der Grenze des Elements. Es versteht sich, dass dieser Satz tief hineingreift in das Wesen und die Wirkungsweise aller Naturkrafte. Dadurch gewinnt nun auch der Begriff der Energie eine wesentlich einfachere Bedeutung, indem sich das Verhalten der Energie noch enger an das der Materie anschliesst. Die Menge der Materie kann in der Welt weder vermehrt noch vermindert werden ; aber, was noch mehr sagt, Materie kann auch nicht an einem Orte verschwinden , um gleichzeitig an einem andern endlich davon entfernten Orte wieder aufzu- tauchen, sondern sie kann nur stetig mit der Zeit ihren Platz wechseln. Die Menge der in einem geschlosseuen Raum III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 245 befindlicheu Materie kann nur dadurch verandert werden, dass durch die Grenzflache des Raumes Materie ein- oder austritt, und die Grosse der Veranderung wird gemessen gerade durch das die Flache passierende Quantum. Mit der Energie steht es anders, solange die Theorie der Fernewirkung aufrecht erhalten wird. Zwar bleibt die Suname der Energien in der Natur unverandert, jedoch kaun die Energie plotzlich aus einem Korper in einen endlich davon entfernten ubergehen, ein Planet kann seine lebendige Kraft unmittelbar auf einen andern iibertragen, ein Magnet erzeugt durch die Energie seiner Bewegung momentan Warme in einer inducierten Stromleitung u. s. w. Nach der Infini- tesimaltheorie dagegen kann Energie, wie Materie, nur stetig mit der Zeit ihren Ort verandern. Die in einem geschlos- senen Raum befindliche Energie kann vermehrt oder vermin- dert werden nur durch solche aussere Wirkungen, die durch physikalische Vorgange in der Grenzflache des Raumes ver- mittelt werden, man kann also auch hier von einem Hindurch- gehen der Energie durch diese Flache reden. Dann lasst sich die Energie eines materiellen Systems stets in Elemente zerlegen, deren jedes Einem bestimmten materiellen Element zukomint und in diesem ihren Platz findet (wahrend z. B. die poteuzielle Energie zweier aus der Feme auf einander wirken- den Korper immer nur als ein untheilbares Ganze auftritt). Wenn daher mehrere materielle Systeme in ein einziges zu- sammengefasst werden, so ist die Energie des Gesammtsystems gleich der Summe der Energien der Einzelsysteme ein Satz, der der Infinites! maltheorie eigentiimlich ist. (Vgl. S. 123.) Bei dieser grossartigen Vereinfachung der Naturanschau- ung, wie sie die Infinitesimaltheorie bietet, wird es der physi- kalischen Forschung um so dringender nahe gelegt, die Be- rechtigung dieser Theorie eingehend zu priifen, indem ihre Consequenzen bis ins Einzelne aufgedeckt werden; denn nur dadurch erlangt man die Mittel, sie entweder zu bestatigen oder zu widerlegen. Und zwar ist es offenbar zunachst von grosster Wichtigkeit, das Wesen dieser Theorie vollkommen zu treunen von alien Hypothesen, mit denen man der An- schauung zu Hilfe kommt, die aber mit der Theorie an und 246 HI- Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. fur sich nichts zu thun haben. Die Schwierigkeiten, welche dabei unserem Vorstellungsvermbgen erwachsen koimen, koinmen durchaus uicht in Betracht; dass z. B. der Ather sich nicht so verhalt wie einer der uns bekannten festen, fliissigen oder gasformigen Korper, ist em Umstand, welcher der Infmitesimaltheorie nicht die mindeste Verlegenheit be- reitet. Wir werden uns mit der Zeit an die specifische Wir- kungsweise des Athers ebenso gewohnen konnen, wie an die Eigenschaften, die uns irgend ein anderer Korper zeigt, und werden dieselbe dann bald in die Reihe der uns durch viel- fache Erfahrung vertrauten Erscheinungen aufnehmen. Allerdings ist nicht zu laugnen, dass durch die Annahme eines besonderen, von alien bekannten so wesentlich ver- schiedenartigen Korpers unserem Streben nach moglichst ein- facher Naturbeschreibung nicht gedient wird; indes ist ja doch die Vereinfachung, welche die eiiiheitliche Durchfiihrung der Infinitesimaltheorie im ganzen Bereich der Natur ge- wahrt ; unendlich viel hoher zu veranschlagen, als der Nach- theil, der durch die Einfuhrung eines neuen Korpers erwachst, welcher ja ohnehin in der Theorie des Lichtes unentbehrlich ist und schon dort durch seinen hohen Grad von Elasticitiit uud seine minimale Dichte in der Reihe der festen Korper eine ganz exceptionelle Stellung einnimmt. Jedenfalls darf die endgiltige Entscheidung dieser Frage als eine der wert- vollsten Errungenschaften bezeichnet werden, welche fiir die nachste Zeit der naturwissenschaftlichen Forschung in Aus- sicht stehen. Schliesslich mochte ich hier noch auf eine bemerkeiis- werte Analogic hinweisen. Man glaubte friiher, dass alles Geschehen in der Natur, der geistigen wie der physischen, seinen Grund und seine ausreichende Erklarung findet nicht allein in gleichzeitig wirkenden Umstaiiden, sondern dass im allgemeinen sowohl Vergangenes wie auch Zuktinftiges (Te- leologie) direct mitbestimmend in den Gang der Dinge ein- greift und so das Causalitatsgesetz beeinflusst. Die moderne Naturwissenschaft und darin beruht gerade der machtige Vorsprung, den sie vor der antiken voraus hat hat diesen Glauben zerstort, sie nimmt an, dass in letzter Linie der gegenwartige Zustand: das, was gerade augenblicklich in der III. Abschnitt. Verschiedene Arten der Energie. 247 gesammten Welt vorgeht, die vollstandig bestimmende Ur~ sache dessen bildet, was im nachsten Moment eintreten wird, dass also in der fortlaufenden Kette der Veranderungen jedes Glied durch das unmittelbar vorhergehende selbststandig und in seinem ganzen Umfange bedingt wird. Mit anderen Worten: In bezug auf zeitliche Wirkungen ist die Infinite- simaltheorie zur durchgreifeiiden Anerkennung gelangt. Den nachsten Jahrzehnten dtirfte es vorbehalten sein, dasselbe fur die raumlichen Wirkungen durchzufiihren, indem gezeigt wird, dass es einen unvermittelten Einfluss aus der rauni- lichen Feme ebensowenig gibt wie aus der zeitlichen Feme, sondern dass alle raumlichen Wirkungen ebenso wie die zeit- lichen in letzter Linie zusamniengesetzt erscheinen aus solchen Wirkungen, die sich von Element zu Element verbreiten. Dann findet jede Erscheinung ihre vollstandige Erklarung in den raumlich und zeitlich unmittelbar benachbarten Um- standen, und alle endlichen Processe setzen sich aus Infini- tesimalwirkungen zusammen. Dieser zweite Schritt scheint sich inir vollkommen ebenbiirtig an den ersten anzureihen, denr wir in so hervorragenden Maasse die Erfolge der heu- tigen Naturwissenschaft verdanken, und man ist berechtigt zu erwarten, dass auch er sich von ahnlich weittragender Bedeutung fur ihre Weiterentwickelung erweisen wird. UNIVERSITY OF CALIFOR BERKELEY RETURN TO' IVUJVl^" 2 3 4 5 6 ALL BOOKS MAY BE RECALLED AFTER 7 DAYS DUE AS STAMPED BELOW SENT ON ILL MAR 2 4 1998 U. C. BER CELEY SEP 05 2001 FORM NO. DD 19 UNIVERSITY OF CALIFORNIA, BERKELEY BERKELEY, CA 94720 U.C.BERKELEY LIBRARIES