LENORE. Von Gottfried August Burger. Lenore fuhr urns Morgenrot Empor aus schweren Traumen; 1 Bist untreu , 1 Wilhelm, oder tot? Wie lange willst du saumen? ” Er war mit Konig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht, Und hatte nicht geschrieben : Ob er gesund geblieben. Der Konig und die Kaiserin, Des langen Haders miide , 2 Erweichten ihren harten Sinn Und machten endlich Friede ; 3 Und jedes Heer, mit Sing und Sang, Mit Paukenschlag und Kling und Klang, Geschmiickt mit griinen Reisern, Zog heim zu seinen Hausern. Und iiberall all iiberall, Auf Wegen und auf Stegen, Zog alt und jung dem Jubelschall Der Kommenden entgegen. Gottlob ! rief Kind und Gattin laut, Willkommen ! manche frohe Braut. Ach ! aber fiir Lenoren War Gruss und Kuss verloren. 4 •S33&-0! Oi.s ^0 X -YT\ Sie frug den Zug wohl auf und ab, Und frug nach alien Namen ; Doch keiner war, der Kundschaft gab, Von alien, so 4 da kamen. Als nun das Heer voriiber war, Zerraufte sie ihr Rabenhaar Und warf sich hin zur Erde, Mit wutiger Gebarde. Die Mutter lief wohl hin zu ihr : — “Ach, dass sich Gott erbarme ! Du trautes Kind, was ist mit dir?” — Und schloss sie in die Arme. — “ O Mutter, Mutter ! hin ist hin ! Nun fahre Welt und alles hin ! Bei Gott ist kein Erbarmen. O weh, o weh mir Armen ! ” — “ Hilf Gott, hilf ! Sieh uns gnadig an ! Kind, bet ein Vaterunser! Was Gott thut, das ist wohlgethan ! 5 Gott, Gott erbarmt sich unser ! ” — “ O Mutter, Mutter ! Eitler Wahn ! Gott hat an mir nicht wohlgethan ! Was half, was half mein Beten ? Nun ist’s nicht mehr vonnoten.” — “ Hilf Gott, hilf ! wer den Vater kennt, Der weiss, er hilft den Kindern. Das hochgelobte Sakrament Wird deinen Jammer lindern.” — — 5 — “ O Mutter, Mutter ! was mich brennt, Das lindert mir kein Sakrament ! Kein Sakrament mag Leben Den Toten wiedergeben.” — “ Hor’, Kind ! wie, wenn der falsche Mann, Im fernen Ungerlande, Sich seines Glaubens abgethan, Zum neuen Ehebande? Lass fahren, Kind, sein Herz dahin ! Er hat es 6 nimmermehr Gewinn ! ' Wann Seel’ und Leib sich trennen, Wird ihn sein Meineid brennen.” — “O Mutter, Mutter! Hin ist hin ! Verloren ist verloren!’ Der Tod, der Tod ist mein Gewinn ! O war’ ich nie geboren ! Lisch 8 aus, mein Licht, auf ewig aus! Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus! Bei Gott ist kein Erbarmen. O weh, o weh mir Armen ! ” — “Hilf Gott, hilf ! Geh’ nicht ins Gericht Mit deinem armen Kinde ! Sie weiss nicht, was die Zunge spricht. Behalt ihr nicht die Siinde ! Ach, Kind, vergiss dein irdisch Leid, Und denk’ an Gott und Seligkeit ! So wird doch deiner Seelen. Der Brautigam nicht fehlen.” — — 6 — “O Mutter! Was ist Seligkeit? O Matter! Was ist Holle? Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit, Und ohne Wilhelm Holle ! — Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus! Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus ! Ohn’ ihn mag ich auf Erden, Mag dort nicht selig werden.” So wiitete Verzweifelung Ihr in Gehirn und Adern. Sie fuhr mit Gottes Vorsehung Vermessen fort zu hadern ; Zerschlug den Busen und zerrang Die Hand, bis Sonnenuntergang, Bis auf am Himmelsbogen Die goldnen Sterne zogen. Und aussen, horch! ging’s trap trap trap, Als wie von Rosseshufen ; Und klirrend stieg ein Reiter ab, An des Gelanders Stufen ; Und horch 1 und horch ! den Pforten- ring Ganz lose, leise, klinglingling ! Dann kamen durch die Pforte Vernehmlich diese Worte : “ Holla, Holla ! Thu* auf, mein Kind ! Schlafst, Liebchen, oder wachst du? Wie bist noch gegen mich gesinnt? Und vveinest oder lachst du?” — — 7 — “Ach, Wilhelm, du? — So spat be ? Nacht? — Geweinet hah’ ich und gewacht; Ach, grosses Leid erlitten ! Wo kommst du hergeritten? ” — “Wir satteln nur um Mitternacht. Weit ritt ich her von Bohmen. Ich habe spat mich aufgemacht, Und will dich mit mir nehmen.” — “Ach, Wilhelm, erst herein geschwind ! Den Hagedorn durchsaust der Wind , 9 Herein, in meinen Armen, Herzliebster, zu erwarmen!” — “ Lass sausen durch den Hagedorn, Lass sausen, Kind, lass sausen ! Der Rappe scharrt ; es klirrt der Sporn. Ich darf allhier nicht hausen. Komm, schiirze, spring’ und schwinge dich Auf meinen Rappen hinter mich ! Muss heut’ noch hundert Meilen Mit dir ins Brautbett eilen.” — “ Ach ! wolltest hundert Meilen noch Mich heut’ ins Brautbett tragen ? Und horch ! es brummt die Glocke noch, Die elf schon angeschlagen.” — “ Sieh hin, sieh her ! der Mond scheint hell. Wir und die Toten reiten schnell. — 8 — Ich bringe dich, zur Wette, Noch heut’ ins Hochzeitbette.” — “Sag’ an, wo ist dein Kammerlein? Wo ? Wie dein Hochzeitbettchen ? ” — “Weit, weit von hier! — Still, kiihl und klein ! — Sechs Bretter und zwei Brettchen ! ” 10 — “ Hat’s Raum fiir mich ? ” — “ Fiir dich und mich ! Komm, schiirze, spring’ und schwinge dich ! Die Hochzeitgaste hoften ; Die Rammer steht uns often.” — Schon Liebchen schiirzte, sprang und schwang Sich auf das Ross behende; Wohl um den trauten Reiter schlang Sie ihre Lilienhande ; Und hurre hurre, hop hop hop! Ging’s fort in sausendem Galopp, Dass Ross und Reiter schnoben, Und Kies und Funken stoben. Zur rechten und zur linken Hand, Vorbei vor ihren Blicken, Wie flogen Anger, Heid’ und Land ! Wie donnerten die Brticken ! — “ Graut Liebchen auch? — Der Mond scheint hell ! Hurra! die Toten reiten schnell! — 9 — Graut Liebchen auch vor Toten?” — “ Ach nein ! — Doch lass die Toten ! ” - — Was klang dort fur Gesang und Klang? Was flatterten die Raben? — Horch Glockenklang ! horch Toten- sang : “Lasst uns den Leib begraben ! ” 11 Und naher zog ein Leichenzug, Der Sarg und Totenbahre trug. Das Lied war zu vergleichen Dem Unkenruf in Teichen. “Nach Mitternacht begrabt den Leib, Mit Klang und Sang und Klage ! Jetzt fulir’ ich heim mein junges Weib ; Mit, mit zum Brautgelage! Komm, Kiister, hier ! Komm mit dem Chor, Und gurgle mir das Brautlied vor ! Komm, PfafP, und sprich den Segen, E1V wir zu Bett uns legend” — Still Klang und Sang. — Die Bahre schwand. — Gehorsam seinem Rufen, Kam’s hurre hurre ! nachgerannt, Hart hinters Rappen Hufen. Und immer weiter, hop hop hop ! Ging’s fort in sausendem Galopp, IO Dass Ross und Reiter schnoben, Und Kies und Funken stoben. Wie flogen rechts, wie flogen links Gebirge, Baum’ und Hecken ! Wie flogen links, und rechts, und links Die Dorfer, Stadt’ und Flecken ! • — “ Graut Liebchen auch ? — Der Mond scheint hell ! Hurra ! die Toten reiten schnell ! Graut Liebchen auch vor Toten?” — “ Ach ! Lass sie ruhn, die Toten ! ” — Sieh da ! sieh da ! Am Hochge- richt 12 Tanzt’ um des Rades Spindel 13 Halb sichtbarlich, bei Mondenlicht, Ein luftiges Gesindel. — “ Sasa ! Gesindel, hier ! Komm hier ! Gesindel, komm und folge mir ! Tanz’ uns den Hochzeitreigen, Wann wir zu Bette steigen ! ” — Und das Gesindel husch husch husch ! Kam hinten nachgeprasselt, Wie Wirbelwind am Haselbusch Durch diirre Blatter rasselt. Und vveiter, weiter, hop hop hop! Ging’s fort in sausendem Galopp, Dass Ross und Reiter schnoben, Und Kies und Funken stoben. 1 1 — Wie flog, was rund der Mond be- schien, Wie flog es in die Feme ! Wie flogen oben liber hin Der Himmel und die Sterne ! — “Graut Liebchen auch? — Der Mond scheint hell ! Hurra! die Toten reiten schnell ! Graut Liebchen auch vor Toten ? ” — “Oweh! Lass ruhn die Toten! “ Rapp’ ! Rapp’ ! Mich diinkt, der Hahn schon ruft. — Bald wird der Sand verrinnen — Rapp’ ! Rapp’ ! Ich wittre Morgen- luft — Rapp’ ! Tummle dich von hinnen ! — Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf ! Das Hochzeitbette thut sich auf ! Die Toten reiten schnelle ! Wir sind, wir sind zur Stelle.” Rasch auf ein eisern Gitterthor Ging’s mit verhangtem Ziigel. Mit schwanker Gert’ ein Schlag da- vor Zersprengte Schloss und Riegel. Die Fliigel flogen klirrend auf, Und iiber Graber ging der Lauf. Es blinkten Leichensteine Rund um im Mondenscheine. 12 Ha sieh ! Ha sieh ! im Augenblick, Huhu ! ein grasslich Wunder ! Des Reiters Roller, Stuck fur Stuck, Fiel ab, wie miirber Zunder. Zum Schadel, ohne Zopf und Schopf, Zum nackten Schadel ward sein Kopf ; Sein Korper zum Gerippe, Mit Stundenglas und Hippe . 14 Hoch baumte sieh, wild schnob der Rapp’ Und spriihte Feuerfunken; Und hui ! war’s unter i'nr hinab Verschwunden und versunken. Geheul ! Geheul aus hoher Luft, Gewinsel knm aus tiefer Gruft. Lenorens Herz, mit Beben, Rang zwischen Tod und Leben. Nun tanzten wohl bei Mondenglanz, Rund um herum im Kreise, Die Geister einen Kettentanz, Und heulten diese Weise : “ Geduld ! Geduld ! Wenn’s Herz auch bricht ! 16 Mit Gott im Himmel hadre nicht ! Des Leibes bist du ledig ; Gott sei der Seele gnadig!” NOTES. 1. Bist du untreu. In poetry and colloquial German the subject is often omitted. Comp. Goethe’s “ Faust ” : Bin weder Fraulein , weder sckon, Kann ungeleitet nach Hause gehn . 2. Des langen Haders mude has become a popular quotation. 3. Frederick the Great, king of Prussia (1740-1786), and Maria Theresia of Austria (1740-1780) had three bloody wars for the possession of Silesia ; the third of these wars (1756-1763), commonly called the Seven Years’ War, ended in Frederick’s favor. The peace was signed at the castle of Hubertusburg, near Dresden. The battle of Prague was one of the first great battles of the Seven Years’ War; it took place on the 6th of May, 1757. Thus, William had not written for six years. Burger has often been criticized for choosing so recent a date as the Seven Years’ War for the background of his poem, and though the poem has been often translated, no translator has dared to imitate him, they all choose the Middle Ages for a background. Erich Schmidt and many others, on the other hand, consider Bur- ger’s idea a felicitous one. 4. The use of so as relative is antiquated. It is often met in Luther’s Bible : Segnet die , so euch Jiuchen ; bittet fur die , so euch beleidigen. 5. The mother quotes the beginning of a popular Protestant hymn by Samuel Rodigast (1649-1708). 13 — 14 — 6. This is an old genitive, still found in some popular phrases: ich bin es miide, ich bin es zufrieden , er hat es Gewinn. 7. Hin ist hin, verloren ist verloren, is frequently quoted. 8. Imperative of the old strong verb leschen; modern : loscken. 9. Shakespeare’s “King Lear ” (III, 4): “ Through the sharp hawthorn blows the cold wind.” 10. Six large boards and two little ones make up the coffin. 11. Thus began an old funeral hymn by Michael Weiss. Notice the effective introduc- tion of the deep vowels a and u in this verse. 12. Hochgericht, place of execution. 13. Axle of the wheel. The wheel was an instrument of torture. The criminals were tied to it, and by turning the wheel, their limbs were broken. 14. Hour-glass and scythe, the emblems of Death. 15. Geduld! Geduld ! Wenn’s Herz auch bricht ! is a very popular quotation. GOTTFRIED AUGUST BURGER. {A us Kluges 1 ‘ L iter aturgesc hie hte. ’ ’ ) Gottfried August Burger wurde den i. Januar 1748 zu Molmerschwende oder — wie der Name des Dorfes jetzt lautet — Molmerswende in der ehemaligen Grafschaft Mansfeld (bei Harzgerode) geboren. In Gottingen, wohin er sich von Halle aus begab, um seine Studien zu vollenden, nahm sich Boie, der sein ausgezeichnetes Dichtcr- talent erkannte, seiner an. Freilich war dieses poetische Talent mit sinn- licher Leidenschaft unglucklich ge- mischt, und von dem wiisten Leben, das er seit seinem Aufenthalt in Halle und in Gottingen fiihrte, konnte er sich nicht mehr beharrlich frei machen. Durch Boies Einfluss erhielt er die Stelle eines Amtmanns im Gerichtsbe- zirk Altengleichen, allein er gab sie wieder auf und wurde Docent und spater Professor an der Universitat Gottingen. Nach einem Leben reich an Verirrun- gen (die erste und dritte unbesonnener- weise eingegangene Ehe war eine hochst ungliickliche), Sorgen und Leiden starb er am 8. Juni 1794 in Reue iiber die eigene Schuld an seinem Lebensgluck — 16 — una nach Schillers strenger Recension seiner Gedichte auch an seinem Dichter- beruf verzweifelnd. Mit Recht konnte er von sich sagen : “ Meiner Palmen Keime starben eines bessern Lenzes wert.” Von ihm gilt dasselbe, was Goethe von Giinther urteilte : “ Er wusste sich nicht zu zahmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dich- ten.” — Durch Percys Sammlung alt- englischer Balladen wurde Burger auf dasjenige Gebiet der Poesie gefiihrt, auf dem er das Vorziiglichste geleistet. Er hat die Ballade in unsere Literatur ein- gefiihrt und sie mit wahrhaft drama- tischer Lebendigkeit zu behandeln ver- standen. Sein Meisterwerk in dieser Gattung, das vor allem Burgers Dichter- ruhm begriindete, ist die 1774 im Got- tinger Musenalmanach erschienene Lenore . Unter den anderen Balladen und Romanzen zeichnen sich durch drama- tische Lebendigkeit und Volkstiimlich- keit aus “ Das Lied vom braven Mann,” “ Der wilde Jager,” “ Der Kaiser und der Abt,” wahrend eine Anzahl die Wiirde der Poesie verletzen. Neben den Bal- laden sind es namentlich seine dem Tone der Volkspoesie sich nahernden Lieder (z. B. das Trinklied : “ Herr Bacchus ist ein braver Mann,” das — i7 — Dorfchen : “Ich riihme mir mein Dorf- chen hier ”), die ihm eine ausserordent- liche Popularitat verschafften. Seine Sonette endlich gehoren mit zu dem Besten, was wir in dieser Form haben. Einige der ausgezeichnetsten sind iiber- schrieben : u Verlust/ ; Liebe ohne Heimat,” u An das Herz.” Selbst Schiller, der Burgers Gedichte so hart beurteilte und eine hohere Richtung in ihnen vermisste, nennt die Sonette Muster in ihrer Art, die sich auf den Lippen des Deklamators in Gesang ver- wandeln. LENORE. Von Erich Schmidt. Thranen der Sehnsucht haben in aller Volkspoesie eine magische Macht. “ Der Angehorigen stetes Weinen brennt den Hingeschiedenen ” lehrt die altin- dische Dichtung. Die littauische Mut- ter erhebt keinen Vorwurf gegen die weinende Tochter, die sie aus der Grabesruhe aufscheucht, aber die mah- rische Mutter steigt aus der Erde empor und mahnt die Tochter dem storenden fruchtlosen Jammer zu entsagen, wie der verstorbene Gatte mit gleicher Bitte an die Witwe herantritt, und wie der serbische Jiingling klagt, dass nicht Erde noch Ahornsarg ihn drticke, son- dern die Seufzer und die verzweifelten Schwiire der Geliebten. Riihrend bittet das Kind im deutschen Marchen die Mutter nicht langer zu weinen, da es all das Augenwasser im Thranenkruglein tragen miisse. Blutig fallen Sigruns Thranen auf Helgis Leiche, bis der Grabhiigel auch der treuen Witwe ein Obdach und Vereinigung liber den Tod hinaus bietet; so erzahlt die Edda in einer tibrigens weit abliegenden Sage. In altdanischen Liedern klopft Herr 18 Aage, der seine Else stobnen h6rt, mit dem Sarg an ihre Thiir und mahnt : Jedmal du dich freuest und dir dein Mut ist froh, Da ist mein Sarg geftillet mit Rosenblattern rot, Jedmal du bist voll Sorgen und dir ist schwer dein Mut, Da ist mein Sarg gefiillet ganz mit geronnen Blut. Der milden Versinnlichung, dass die Liebe auch die Pforten des Todes und der Holle liberwindet, stehen die liber- aus zahlreichen slavischen Lenoren- marchen, die vielleicht von Serbien aus- gingen, auch zu den Magyaren und zu den Littauern kamen und, wie ich zeigen werde, die deutsche Tradition in Oester- reich ansteckten, finster und grausig gegeniiber. Die Grundform ist die, dass die Zahren der Braut, welche uber das Ableben des Geliebten meist unauf- geklart ist, den Verstorbenen wie einen furchterlichen Vampyr aus dem Grabe locken. Er holt das Madchen samt ihrer Aussteuer zu Pferd, in einigen Fassungen zu Fuss, in einer aufge- putzten kleinrussischen Erzahlung gar sechsspannig ab. Manchmal wird die Familie des Madchens erwahnt und der Name genannt. Der Fortgang flihrt selten zu gutem Ende ; wie in Mahren nach langem Harren eine Trauung auf dem Grab, aus welchcm die Hand des — 20 Toten herauswachst, alles abschliesst oder Katinka zur Mutter zurticldauft und durch Messelesen den schon vor sechs Jahren ermordeten Janko aus der Holle befreit ; wie im Spreewald, wo die Dime von dem Handedruck des kopflosen, d. h. teufiischen Reiters auf kopflosem Schimmel eine schwarze, d. h. verbrannte Hand heimbringt, aber ihr Leben rettet. Fast iiberall Wechselrede unterwegs, meist dreimalige in mannigfacher Vari- ation : Der Mond scheint, der Tote reitet, fiirchtest du dich — Nein, ich bin ja bei dir. Manchmal fiigt sie hinzu, man solle die Toten nicht wecken. Im littaui- schen Marchen raunt nicht der Reiter, sondern eine feme Geisterstimme : Des Mondes Licht scheint hell wie der Tag. Es reitet ein Burscli mit seinem Madchen. Lebendcs Madchen, bangt dir nicht mit dem Toten zu reiten? Sie aber beruft sich auf die Treue gegen den Geliebten. Ritt oder Fahrt ist damonisch schnell und bietet gelegentlich das Motiv, dass die Entfiihrte Gebetbuch und Rosen- kranz als Hemmnisse der File weg- werfen muss. Auf dem Friedhof steigt der Tote in sein offenes Grab. Sie soli ihm ihre Habe reichen, und er sucht die Lebendige hinunterzuzerren in die 21 diistere Behausung. Doch sie flieht, Stuck fur Stuck ihrer Ausstattung, wohl auch ihrer Kleidung auf den Kirchhof- pfad streuend, um einen Vorsprung zu gewinnen, denn ihr Verfolger muss jedesmal anhalten und das Hinge- worfene knirschend zerfetzen. So er- reicht sie ein Hauschen am Rande des Friedhofs und riegelt sich ein. Es ist die Totenkammer, und eine Leiche liegt darin aufgebahrt. Der Brautigam bittet den “ Bruder Leichnam ” um Hilfe, die dieser fast immer leistet. In einem grausen Marchen wird sie von den beiden zerrissen ; anderswo wehrt der Tote drinn gutmiitig den schreck- lichen Verfolger ab ; meist will er dem ungestiimen Mahner die Thiir offnen — da kraht der Hahn, und der Spuk der Nacht entschwindet. In einer Version erklettert die Gcangstigte den Ofen und wiirgt krampfhaft den Hahn auf der Stange, bis sein Geschrei die Un- holde verscheucht, wie die Islanderin Gudrun zu ihrer Rettung das Glocken- seil crhascht. Mit einer wahren Virtu- ositat im Gruseligen wird einmal ausge- malt, wie der Leichnam sich von seinem Schragen erhebt, um den Fliichtling fur den da draussen zu greifen, aber von einer Perle ihres Rosenkranzes vor die Stirne getroffen zurucksinkt, doch nur 22 um im nachsten Augenblick den Angriff zu erneuern, worauf die zweite geweihte Kugel ihn niederstreckt, und wie sich dieser Kampf fortsetzt, bis die ganze fromme Munition verschossen ist — da erschallt das rettende Krahen. Im ungarischen Marchen, das auf slavische Einfuhr deutet, hat das Mad- chen gleich mehreren Heldinnen sla- visch-deutscher Versionen und der pol- nischen Lenore des Mickiewicz einen Liebeszauber angewandt. Der tote Soldat holt sie ab. Der Dialog zwischen Janos und Judi lautet dreimal: Ach wie schon scheint der Mond, das Mon- denlicht ! Ach wie schon marschieren die Toten. Furchtest du dich, Judi, meine Seele ? Ich fiirchte mich nicht, so lang ich dich sehe, Janos. Der slavischen Hauptiiberlieferung ge- mass wollen Janos und der aufgebahrte Leichnam sie im Totenhause zerreissen, als der Hahnenschrei die Bosen in Pech verwandelt. Dazu der storende Schluss, dass ein prachtiger Herr kommt, ihr fiir die endliche Vernichtung des Toten in der Kammer, seines siindigen, ge- spenstig umgehenden Bruders, dankt und sie heiratet. Meist stirbt sie rasch dahin nach dem entsetzlichen Erlebnis. Ein Marchen - 23 — aus der Warasdiner Gegend lasst das Madchen sieben Jahre auf dem Heim- w eg verbringen, wie es ihr der Leich- nam in der Totenkammer prophezeite. Ein Marchen aus Laibach erzahlt, dass die Arme erst nach “ vielen Jahren ” ihr Vaterhaus erreicht und sich, da niemand sie erkannte, niemand, auch der Priester nicht, ihre Geschichte glauben wollte, nur durch das Hervorholen ihres verlas- senen alten Eigentums legitimiert habe. Die wichtigen Lenoren marchen Nie- der- und Oberosterreichs zeigen unver- kennbaren Zusammenhang mit der grossen slavischen Gruppe, und es ist meines Erachtens nur aus der Nachbar- schaft Mahrens und Bohmens zu er- kiaren, wenn in diesen heiteren Land- schaften die grausigen Motive der oben erorterten Friedhofscenen wiederkeh- ren, welche, wie in bohmischen Fas- sungen, durch den Kultus der gnaden- reichen Maria gemildert werden. Ana- mirl — so erzahlt man in Heiligenkreuz — sprang nah am Friedhof beim Schul- meisterhaus angstvoll von dem ge- spenstischen Schimmel und barg sich unter den Dachrinnen der Scheune — “ da rief ihr Geliebter ihr zu : ‘ dein Gllick ist’s, dass du herabgesprungen und da hinein bist, sonst hatte ich dich in tausend Fetzen zerrissen. Ich ware — 24 — schon bald erlost gewesen und hab wie- der so weit herkommen miissen ! ’ Dar- auf warnte er sie noch, ja keinen Ver- storbenen mehr zu sich zu verlangen, und verschwand.” Nach einem Miin- chendorfer Bericht nahte eine Dime unter heissen Thranen um den toten Geliebten an einer Schiirze, als eine schone Frau an sie herantrat und sie mahnte, sie moge kein Band annahen, sondern nachste Mitternacht, wo ihr Liebster sie abholen werde, die Schiirze ungekniipft anlegen. Der Herzliebste klopft um zwolf Uhr ans Fenster ; sau- sender Ritt durch die spiegellichte Mondnacht ; dreimalige Frage und Ant- wort ; auf dem Friedhof will er sie ins Grab zerren, aber nur die Schiirze ohne Band bleibt in seiner Hand, sonst hatte er auch die ohnmachtig zuriicksinkende Dime in tausend Fetzen zerrissen ; der Geretteten erscheint nachts die schone Frau wieder : “ Siehst du, es war dein Gliick, dass du mir gefolgt hast ; lass dir das zur Warnung sein und weine ein andermal nicht mehr so, vvenn jemand stirbt, denn dieser hat einen gar schweren Weg machen miissen. Darauf sagte sie noch, dass sie unsere liebe Frau sei, und verschwand. ,, Im Hausruckviertel lebt unter den urdeutschen Bauern die slavische Fas- — 25 — sung in verkiirzter Form fort ; nur ist an die Stelle des Zerrens itn Grabe das Motiv getreten, dass die Dime vom Pferd stiirzt und sogleich in die Toten- kammer fliichtet. Durch den Hahnen- schrei gerettet, “ brauchte sie zwei voile Jahre, um wieder heimzukommen.” Dagegen bietet uns das Innviertel einen ganz vereinzelten Zug, indem es den Wodanschimmel des Totenreiters durch einen eilfiissigen Plirsch ersetzt. Wah- rend hier nur von einem erfolgreichen Kampf des Madchens am Grab erzahlt wird, hauft man im Miihlviertel die Motive : Soldat und Liebchen haben den Schwur eines Besuchs nach dem Tode gewechselt; der pfeilschnelle Schimmel verschwindet vor dem offenen Grabe ; das Madchen entflieht dank dem zerreissenden Schtirzenbande, von dem vorher keine Rede ist ; drei- mal ruft der Verfolger am Fenster der Leichenkammer : “ Toter, gieb mir die Lebendige heraus ” ; das Avelauten streckt den zum Angriff aufstehenden Toten nieder. Ich begniige mich mit einem fliich- tigen Hinweis auf die nur entfernt mit dem Lenorenthema verwandten sehr zahlreichen serbischen, bulgarischen, griechischen, albanesischen Balladen, die in wechselnder Gestalt den treuen 26 toten Bruder besingen. Eine Mutter, deren einzige Tochter sich fernhin ver- heiratet, nimmt ihren neun Sohnen den Eid ab, dass einer in Stunden der Not ihr die Schwester zur Hilfe zufiihren werde. Eine morderische Schlacbt totet alle neun. Konstantin, der jiingste, hort im Grabe die vorwurfsvollen Klagen der vereinsamten Mutter, ge- denkt seines Schwurs, verlasst die Gruft und holt die Schwester aus dem Kreis ihrer Familie ab. Ihre Fragen, warurn er nach Weihrauch dufte und weshalb seine Schulter so moderig grau aussehe, weiss er beschwichtigend zu beant- worten. Als erdie Sohnespflicht erfiillt hat, legt er sich zur ewigen Ruhe nie- der. Da ist es denn ein sehr eigen- tiimliches Zusammentreffen mit unseren Lenorengruppen, wenn unterwegs die von wachsender Angst erfasste Arete die Vogel singen hort: erst “Wer sah je ein schones Madchen von einem Toten gefiihrt?” — dann “ O Jammer, dass wir es mit ansehen miissen, wie die Lebenden mit den . Toten gehn ! ” — endlich “O allmachtiger Gott, o grosses Wunder ! So schone Frau wird von einem Toten entfiihrt.” Ein gutes Bei- spiel fur die weitverzweigte Verwandt- schaft der Volkslieder und Volks- marchen. — 27 — Burger aber war nicht nur einhei- mischer niederdeutscher Volksiiberlie- ferung verpflichtet — wie etwa Adam Mickiewicz seine Ballade “ Die Flucht ” in Erinnerung an ein polnisches Lied- chen dichtete — sondern Burger hat auch hier den Reliques einen kleinen Dankeszoll zu entrichten, obwohl die kecke Behauptung englischer Krittler, welche die begeisterte Aufnahme der “ Lenore ” durch den Vorwurf eines am Suffolk miracle begangenen Plagiates dampfen wollten, langst abgethan ist. Burger kannte die riihrende Geschichte von William -und Margaret mit der ver- klarenden Pflanzensymbolik imSchlusse. Sweet William's ghost kommt aus Schottland stohnend vor Margarets Thiir und bittet sie um Riickgabe seines unerfiillbaren Treuworts, indem er sich gleich ehrlich als Geist zu erkennen giebt. Sie besteht darauf ihm zu fol- gen, und die Zeile she stretched out her lily-white hand ist unschwer in Burgers Erweiterung “ Wohl um den trauten Reiter schlang sie ihre Lilienhande wiederzuerkennen. Wie der Vers “ Den Hagedorn durchsaust der Wind n aus der Heidescene im “Lear” stammt, so sind Lenorens Fragen nach dem Kammerlein den Worten Margarets nacbgebildet : — 28 — Is there any room at your head , Willie ? Or any room at your feet ? Or any room at your side , Willie ? Wherein that I may creep ? Und es wird doch wohl Herders im Sommer 1773 erschienene Uebersetzung dieser Ballade (“ 1 st, Wilhelm, Baum dir noch zu Haupt? Noch Raum zu Fiissen dir?” . . .) den Anstoss zum Gesprach vor dem stiirmischen Auf- bruch gegeben haben. Auch mag Bur- gers Wilhelm dem schottischen Willie seinen Namen verdanken, wahrend die Heldin nach T. Ch. Gunthers leiden- J 0 schaftlichem Abschiedslied “An Leo- noren,” das die Strophenform flir unser Gedicht geliefert hat, getauft worden ist. Im Gegensatze zur freien Art der Volksdichtung, hat Burger die Hand- lung der “ Lenore ” zeitlich und ortlich fixiert : ein preussisches Stadtlein im siebenjahrigen Kriege der Schauplatz ; Wilhelm ein Soldat des xilten Fritz, ge- fallen in jener Prager Schlacht, auf welche der Heldentod Schwerins Glanz warf, deren Andenken in Gleims Gre- nadierliedern verherrlicht wurde und noch durch eine fingierte Erzahlung in Schillers “ Raubern ” poetisch festge- halten wird. Englische Uebersetzer thaten darum sehr unrecht, die “Le- nore ” ins Mittelalter zuriickzuverlegen, — 29 — und Heinrich Heine hat dem bertihmten Maler Ary Scheffer, der ihnen folgte, das Kostiim der Kreuzziige beredt ver- wiesen. Er mochte die emporte Frei- geisterei der Heldin aus dem Zeitalter Friedrichs und Voltaires herleiten, aber starker diirfen wir betonen, dass auch Biirger seiner Dichtung das theologische Moralzopfchen des achtzehnten Jahr- hunderts nicht abgeschnitten hat. Le- nore, die doch nUr wie im Nervenfieber rast, hat schwere Schuld auf sich ge- laden und dadurch einen furchtbaren Racher solcher Gottlosigkeit heraufbe- schworen. Klar wird ihr Verbrechen dahin zusammengefasst : Sie fuhr mit Gottes Vorsehung Vermessen fort zu hadern, nachdem sie Gott und Unsterblichkeit, Abendmahl und letzte Oelung mit wiitiger Gebarde geleugnet. Das Ge- dicht tragt wie Gellerts Fabeln eine Schlussmoral als Stempel, denn tanzende Geister — wunderlich genug — heulen die Lehre, der Mensch solle nicht mit Gott im Himmel hadern. Wilhelm ist kein Toter, sondern der Tod mit Stun- denglas und Hippe, wie er ungefahr- licher einmal an den Kneiptisch des Lessingschen Studenten getreten war. Trotzdem wirkt diese ethisch und — 30 — asthetisch gleich bedenkliche Umgestal- tung gewaltig, auch wenn man Burgers Reiter Tod zu roh und zu wortreich findet. Die Ballade ist mit grossem rechnen- den Kunstverstand aufgebaut. Der epischen Exposition folgt als erster Teil der etwas zu gedehnte, durchweg respondierende Dialog zwischen Mutter und Tochter, worin eine hohe Klimax der Verzweiflung in sicheren Spriingen erklommen und den YVorten der alten Frau, trotz den katholischen Sakramen- ten, trefflich ein Anklang an protestan- tische Kirchenlieder verliehen ist. Ruhig schliesst diese Partie mit den beiden Zeilen vom Aufgang der Sterne ab. Unheimliche Gerausche, ein Trappeln, ein Klingeln, ein Fliistern, eroffnen den zweiten Teil, den wiederum bis zu dem epischen Uebergang “ Schon Liebchen schiirzte ” ein ganz symmetrisch ge- fiihrtes Zwiegesprach ausfiillt “ Dekla- mation macht die Halbschied von dem Stuck aus,” sagt Burger, der, ein neuer Rhapsode, seinen Balladen die grosst- mogliche Klangwirkung zu verleihen suchte. Man muss es horen, nicht le- sen, wie Lenore in leisen Tonen, halb bangend, halb verlangend, zu ihrem Wilhelm spricht, und dieser mit holder Stimme anhebt, um sich allmahlich zu steigern und im Bereich des Schweigens — 3i — eine donnernde Stimmkraft zu entfalten. Die Tonmalerei unserer Ballade liegt am wenigsten in den kindischen Ono- matopoien “ Klinglingling,” “Husch- huschhusch,” “ Hurre hurre hop hop hop,” “ Hui,” “ Huhu,” sondern in der vorziiglichen Periodisierung, in den vol- len dunklen Vokalklangen der spukhaf- ten Totenfeier, den schattenhaft vorbei- wirbelnden Zeilen vom luftigen Gesin- del, den schweratmenden Versen des Rittes, der meisterhaften Accentuation einzelner Worte an hervorragendster Stelle, den Alliterationen beim Aufflie- gen der Friedhofpforte, der gruseligen Wiederholung von “ Schadel ” mit dem breiten “a” und dem grotesken Reim “Schopf” 66 Zopf ” “ Kopf,” dem schneidenden Gewinsel und dem dum- pfen Geheul, das der Verkiindigung des letzten Urteils vorausgeht. Man darf wohl behaupten, dass Burger, der am “ Macbeth ” nichts mehr als die Hexen- scenen liebte und hier seiner Neigung zu Spukscenen ein Fest geben wollte, den Totenritt unnotig durch zweimali- gen Aufenthalt unterbrochen hat ; aber der Vorwurf, das schone u Wie sollte mir grauen, ich bin ja bei dir ” sei dar- tiber verloren gegangen, ist unzutreffend. Wie Burger wahrend des Rittes mit seinen drei Stationen das Signal des — 32 — Galopps steigert : “ hurre hurre ” — “ immer weiter” — “ weiter, weiter,” so hat er durch feine Abstufung in den Antvvorten Lenorens auf die Frage, ob ihr vor Toten graue, der Recitation die Aufgabe gestellt, von dem noch halb vertrauensseligen, halb unbehaglichen “Ach nein, doch lass die Toten ” zu dem angstvoll hervorgestohnten “ Ach, lass sie ruhn, die Toten” und endlich zu dem letzten fast erstickten Todes- seufzer der Verzweiflung “ O well, lass ruhn die Toten ” herabzusinken. Da- fur muss sie ihre ganze Kraft aufwenden, um der Steigerung der Eile gerecht zu werden, die Burger so genial an den vorbeifliegenden Gegenstanden misst, bis Himmel, Mond und Sterne im rasen- den Wirbel dahinzujagen scheinen. Wir pflichten der Prahlerei Burgers liber diese Strophe, die ein gliicklicher Traum ihm eingegeben, willig bei : “1st ein Ritt, wo einem deucht, dass das ganze Firmament mit alien Sternen oben iiberhin fliegt, nicht eine Shake- spearesche Idee ? ” Und trotz manchen Zweifeln und Einwanden mogen auch wir uns W. Schlegels oftcitiertes Wort an- eignen : “ Lenore bleibt immer Burgers Kleinod, der kostbare Ring, wodurch er sich derVolkspoesie,wie der Doge vonVe- nedig dem Meere, fiir immer antraute.”