D "I gü-e tht/t Sajis fn the /ou i/«j.f ff a Cellrge inlhh Catinyi' DIVINITY SCHOOL TROWBRIDGE LIBRARY gjgBHj^SagggEg; DIE SYNOPTISCHEN EVANGELIEN. DIE SYNOPTISCHEN EVANGELIEN IHR URSPRUNG GESCHICHTLICHER CHARAKTER. VON DR HEINRICH JULIUS HOLTZMANN, AUSSERORDENTLICHEM 1'JIOFESSOB. DER THEOLOGIE IN HEIDELBERG UND ¦LEIIL.EK AM EVANGELISCHEN FP.EDIGEUSEMINAR DASELEST. LEIPZIG, VERLAG VON WILHELM ENGELMANN. 1863. DEN HOCHWtfEDTGEN FACULTÄTEN DER EVANGELISCHEN THEOLOGIE zu HEIDELBERG UND WIEN DANKBARST ZUGEEIGNET. Vorwort. indem ich hiermit ein Werk veröffentliche, welches, höhere Ge walt vorbehalten, zugleich als erster Beitrag zu einer umfassenderen, -historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament betrachtet werden mag, nehme ich die Gelegenheit wahr ,. über den Begriff der genannten Disciplin selbst ein abschliessenderes Wort zu reden, als mir zur Zeit der Veröffentlichung meines Aufsatzes in den » Studien und Kritiken « 1860, S. 410-416 möglich war. Nachdem Hup feld gegen Andere sowohl, wie auch gegen mich seinen Standpunkt aufs Neue bestimmt und begründet hat (» Studien und Kritiken,« 1S61, S. 3 — 28), handelt es sich im Grunde nur noch um eine doppelte Möglichkeit, die schon von Riehm in derselben Zeit schrift (1862, S. 392 ff.) richtig formulirt worden ist. Entweder näm lich ist die biblische Einleitung zu betrachten als ein Glied in dem Ge- sammtorganismus der Wissenschaften, ,d. h. als ein besonderer Abschnitt aus der allgemeinen Literaturgeschichte (Geschichte der hebräischen Nationalliteratur, Geschichte der christlichen Literatur des apostolischen Zeitalters) , oder aber sie wird aufgefasst als Glied des Organismus der theologischen Wissenschaften, sie wird in eine bestimmte Beziehung zu den andern theologischen Disciplinen gesetzt. Ich war durch meine dogmengeschichtliche Arbeit »Kanon und Tradition « veranlasst, die Sache zunächst von der letzteren Seite aufzu fassen, und bin heute noch der Ansicht, dass im Ganzen einer theolo gischen Encyklopädie nur der Begriff des Kanonischen es ist, durch dessen Anwendung als Maassstab gerade diese, sonst doch immerhin ziemlich willkürlich erscheinenden, Grenzbestimmungen gewonnen werden können , innerhalb welcher die sogenannte biblische Einleitung herkömmlicher Weise das Gebiet ihrer Arbeit findet. Unter diesem Ge- •yill Vorwort. sichtsptinkte fasste ich daher die Disciplin in der oben erwähnten Ab handlung in's Auge. Auch Riehm erkennt an, dass eine solche Betrachtungsweise neben der anderen ihre Berechtigung habe; nur glaube ich mit dem » richtigen Gefühl «, von dem in dieser Beziehung meine früheren Auf stellungen allerdings eingegeben gewesen sein sollen, mich nicht ganz zufrieden geben zu können, da die Sache vielmehr dem Gebiete des klaren Bewusstseins angehört. Ich meinestheils habe von dem Charak ter der Theologie als einer Wissenschaft bis zur Stunde keine andere Ansicht zu gewinnen vermoqht, als die Schleiermacher'sche, wor- nach eine Eeihe von Disciplinen, die der Sache nach in das Gebiet der Geschichte, der Philosophie und der Philologie gehören, von dem blos praktischen Gesichtspunkte der Kirchenleitung aus in eine, jeder dieser Disciplinen an sich fremde, Association versetzt wurde. Ganz dasselbe rein praktische Interesse, welches solcher Gestalt als zusammenhaltende Klammer für die sonst mannigfach divergirenden Beschäftigungen der »theologischen Facultät« im Allgemeinen dient, kommt meines Bedün- kens nur auch im einzelnen Palle wieder zum Vorschein, wenn, wie hier, ein, auf historischem Wege zu erklärender, dogmatischer Begriff es ist, welcher die verschiedenartigen Stoffe der biblischen Einleitungs- wissenschaft zu einer einheitlichen Disciplin verbunden hat (vgl. auch S. 9 f. 13 f. der H u p f e 1 d'schen Abhandlung). Gerade so lange näm lich eine »Kirche« bestehen wird, so lange wird auch jene eigenthüm liche Association verschiedenartiger Pächer in einer »theologischen« Wissenschaft bestehen , und so lange wird hinwiederum auch in jeder einzelnen Disciplin dieses allgemeine Verhältniss gleichsam im Minia- turbilde sich abspiegeln. Mir scheinen daher diese Gegensätze alle ge nau aneinanderzuhängen : ein bestimmtes kirchliches Lebensgebiet einerseits, allgemeine Ausgleichung des religiösen und sittlichen Factors in dem menschheitlichen Gesellschaftsleben andererseits ; ferner theo logische Wissenschaft einerseits, eine Reihe von geschichtlichen, philo logischen, philosophischen (wissenschaftlich organisirte Phänomenolo gie des religiösen Geistes) Disciplinen andererseits; endlich auch bibli sche Einleitungsdisciplin, durch den Begriff des Kanonischen äusser lich abgegrenzt, einerseits, Literaturgeschichte des Volkes Israel oder des TJrchristenthums andererseits. Sobald aber der Zusammenhang die ser Gegensätze klar erkannt wird, ist der gegenwärtige Krieg zwischen den beiden Auffassungsweisen unserer Disciplin beendigt , und wie ich selbst, wenn man mir die sachliche Berechtigung meiner Begründung Vorwort. IX der Disciplin zugibt, es schon geschehen lasse, dass das zu Gebot stehende Material mit der Zeit unter einen mehr absoluten Gesichts punkt gebracht wird, kraft dessen es als naturwüchsiger Zweig am grossen Baume der allgemeinen literarhistorischen Wissenschaften er scheint : so wird, wenn die Gegensätze sich in der That verhalten soll ten, wie gezeigt wurde, z. B. Riehm, wiewohl er S. 393 Dem ganz bei stimmt, was Hupfeld gegen meine Auffassung sagt, vielleicht doch gerade dieser letzteren eine weiter gehende Berechtigung zuzugestehen geneigt sein, und es wird unser Streit hinter neu aufgegangenen, weiter reichenden Gesichtspunkten zurücktreten. Denn die Definition der biblischen Einleitung dahin stellen, dass diese zur » literargeschichtli- chen Charakteristik der Bibel als der Beurkundung der göttlichen Of fenbarung« wird, wie Riehm thut (S. 394), indem er sogar die Auf nahme eines neuen Stoffes in unsere Disciplin bestimmt fordert, näm lich eben des »Nachweises des Verhältnisses, in welchem die einzelnen Schriften, und sie alle zusammengenommen, zu der Offenbarung stehen « : das heisst doch wohl die ganze Sache am entschiedensten unter einen bestimmt theologischen Gesichtspunkt stellen, wie auch Häv er nick, der meines Wissens zuerst (Einl. I, S. 3) etwas Derartiges be hauptet hat, keinen Anstand nimmt, anzuerkennen, dass Dogmatik die Basis der Einleitung sei. Doch glaube ich meinerseits an die weitere Möglichkeit, das ganze Gebiet als theologische Domäne zu cultiviren, auch wenn man von solcher »Aufnahme des neuen Stoffes« Umgang nimmt. Denn die .Einleitung hat mit einem dogmatischen Capitel weder zu beginnen, noch zu schliessen; damit gebe ich gern zu, was Hup feld S. 26 ff. gegen meine frühern Aufstellungen geltend gemacht hat. Nicht nur die Eintheilung der allgemeinen Einleitung kann principiel- ler disponirt werden, als dort von mir geschehen ist, sondern es muss sammt allem »Erbaulichen« namentlich auch alle und jede dogmatische Besprechung aus der Disciplin ausgeschlossen werden. Nur darin allein besteht die theologische Etiquette, die an der biblischen Einleitungs- wissenschaft haftet, dass derselbe dogmatische Begriff Veranlassung zu ihrer Entstehung gegeben hat, der andererseits wieder in erster Linie durch den Befund ihrer Resultate betroffen werden wird. Dass das, un sere Disciplin aufrecht erhaltende, Interesse gerade auf diese Auswahl urchristlicher Schriften, wie sie zwischen dem ersten und letzten Buch staben des N. T. steht, sich concentrirt hat, das ist nun einmal schlech terdings nicht ohne Herbeiziehung des Begriffs der Kanonicität begreif lich zu machen. Damit aber, dass die dogmatische Tendenz beachtet X Vorwort. wird, die aus dem grossen Umfang altkirchlicher Literatur gerade nur diese, später als kanonisch gekennzeichnete, Partie herausgreift, ist ja noch lange nicht die Einleitung zur »Magd der Dogmatik« gemacht worden, und schwerlich darf man als der meinigen entgegenstehende Thesis die andere hinstellen : die Einleitung müsse vielmehr der Dog matik »in die Hände arbeiten « (Riehm, S. 395), da ja gerade ein solcher Ausdruck es ist, in dem selbst die Baur'sche Auffassung der Sache mit der Riehm'schen sich zusammenfindet, wofern der Letztere nämlich nichts einzuwenden findet gegen die Baur'sche Formel: »Die Frage, um welche es sich handelt, ist nicht die dogmatische, wie viel wir ge winnen oder verlieren, je nachdem das Urtheil über den Ursprung und die Verfasser dieser Bücher so oder anders lautet, sondern nur die rein geschichtliche, mit welchem Recht bei der ursprünglichen Fixirung des Kanons die zu ihr gehörenden Bücher als apostolische in ihr aufge nommen worden sind« (Theol. Jahrbücher, 1851, S. 307). Nachdem so Friede zwischen den beiden , an sich möglichen , Be trachtungsweisen der Sache hergestellt ist, bedarf es nur eines Winkes, um verstehen zu lernen, wesshalb in der Regel alttestamentliche Theo logen es sind, welche die Einleitung kurzweg als Literaturgeschichte, neutestamentliehe hingegen, welche sie als Kritik der kanonischen Bücher auffassen. Die hebräische Literatur fällt eben mit der alttesta- mentlich kanonischen unmittelbar zusammen, während Entsprechendes von der Literatur des apostolischen Zeitalters in ihrem Verhältniss zu der Auswahl, die im neutestamentlichen Kanon steht, bekanntlich nicht gesagt werden darf. Im N. T. kann jedenfalls nur der herkömmliche Begriff des Kanonischen eine einigermassen deutliche Demarcationslinie ziehen helfen und unsere Isagogik abhalten, Dimensionen anzunehmen, die das Maass einer gesonderten Disciplin nach allen Seiten überragen. Aber selbst im A. T. macht sich Aehnliches geltend, und nur praktische Gründe können auch nach Riehm (S. 392) dazu führen, die Apokry phen, die Pseudepigraphen, ja den Philo und Josephus auszuschliessen. So lange ich daher über Einleitung in das Neue Testament zu lesen haben werde, wird es mir schwerlich je rathsam erscheinen, von einem andern, als von dem gekennzeichneten Begriffe der Disciplin auszu gehen. Denn so gewiss die entgegenstehende Definition eine leichtere Handhabe darbietet, um unsern Stoff in den Gesammtorganismus aller Wissenschaften einzureihen, so habe ich doch andererseits — und darin steht es mit meinen Herren Opponenten gerade ebenso — zunächst die Einleitung als ein theologisches Collegium zu behandeln und in dersel- Vorwort. XI ben denjenigen Umfang von Stoff zu verarbeiten, dessen man herkömm licher Weise in diesen Stunden glaubt Herr werden zu können. So sicher ich, um nur Weniges hervorzuheben, meiner Definition zufolge ver fahre, wenn ich auf eine Darstellung der spätem, kritisch nicht mehr bedeutsamen, Üebersetzungen und auch auf eine ausführliche Geschichte der Auslegung Verzicht leiste, so viele Bedenken würde mir dieses Ver- saumniss erregen unter Zugrundelegung der andern. Endlich muss ich wiederholen, dass mir die Zeit noch lange nicht gekommen zu sein scheint, wo alle neutestamentlichen Schriften mit einer gewissen Sicher heit rangirt, und ihnen die Stellen , die sie im geschichtlichen Process eingenommen haben, endgültig angewiesen werden können. Es sollte mir lieb sein , wenn in dieser Beziehung auch durch vorliegenden Bei trag zur speciellen Einleitung ein entschiedener Schritt vorwärts ge schehen wäre. Was nun diese meine Arbeit über die Synoptiker betrifft, so bin ich mir vielfacher Unvollkommenheiten derselben wohl bewusst. Die Resultate vertragen namentlich eine noch viel schärfere Ausbildung nach der Seite der sogenannten niederen Kritik, indem gerade der Text des maassgebenden (zweiten) Evangeliums auch in den Lachmann' - schen und Tischendorfschen Ausgaben noch hier und da bedeuten deren Schwankungen ausgesetzt ist , bei deren Beseitigung auch die ge sicherten Erkenntnisse über das Abhängigkeitsverhältniss der Evange lien mehr als einmal den Ausschlag geben können. Wenn diese Seite an der Sache hier weniger in Betracht gezogen wurde , so ist doch auf Lesearten in allen den Fällen Bedacht genommen worden, wo von dem Ausfall der Textkritik auch die Resultate der historischen Kritik we sentlich berührt werden müssen. Solcher Fälle gibt es aber nicht gerade viele, und namentlich unter unseren Voraussetzungen könnten selbst die, von den parallelen Texten am weitesten abweichenden , Varianten, die Hitzig im »Johannes Marcus« S. 17 ff. vorgeschlagen hat, sämmt lich im zweiten Evangelium ursprünglich gestanden haben, ohne dass dadurch die hier aufgestellten Thesen über das Verhältniss des Marcus zu den beiden Seitenreferenten irgendwelche Modiflcation erlitte. Wenn derselbe Kritiker, um den Wortlaut des ältesten Evangeliums zu bestim men, auch zur Conjectur greift, so war für unseren Zweck, auch ohne diesen Weg zu betreten, fast Alles zu erreichen. Dagegen können wir uns selbst die kühne, den Sinn wesentlich umgestaltende, Vermuthung, wornach Hitzig Mr. 9, 12 anoxcifriaTÜvai liest (vgl. »Monatsschrift des wissenschaftlichen Vereins in Zürich," 1S56, S. 64) aneignen, ohne dass XII Vorwort. wir von dem S. 88 über diese Stelle Gesagten etwas zurückzunehmen hätten. Vielmehr gewinnt die Rede Jesu, wie sie dort aus Matthäus und Marcus zusammengestellt wurde, so erst eine noch abgerundetere und durchsichtigere Gestalt, und ihre Ursprünglichkeit ist um so mehr er wiesen. Die Abschreiber aber und der erste Evangelist haben aus Miss verstand des hebräischen Ausdrucks (Subject mit Particip als Vorder satz) diesen- mannigfach gedreht und gewendet, ohne etwas Klares und Verständliches an seine Stelle zu bringen. Mit Berücksichtigung der angedeuteten Conjectur nämlich würde Jesus geradezu sagen: »Wenn, wie ihr meint, Elias zuerst Alles restauriren soll, mit welchem Fug und Recht könnte dann vom Messias geschrieben stehen,1 dass er leiden müsse ? Elias aber ist allerdings schon gekommen (Dies die Antwort auf die Frage Mr. 9, 11), nur ist er, weit entfernt, Alles zu restauriren, viel mehr verkannt und getödtet worden : auch darin aber ist er gerade der Vorläufer des Messias, der gleichfalls erst sterben muss (Dies die Ant wort auf die Frage Mr. 9, 10), wie ja auch von ihm geschrieben steht. « Es bleibt mir jetzt nur noch übrig, verschiedener literarischer Er scheinungen Erwähnung zu thun, die in dem vorliegenden Werke, des sen Druck schon im Februar 1862 begonnen wurde, nicht mehr Berück sichtigung finden konnten. Dahin gehört vor Allem eine Kundgebung Hilgenfeld's, der mein S. 43 ausgesprochenes Lob, auch hier der Letzte auf dem Platze geblieben zu sein, durch seine neueste Entgeg nung gerechtfertigt hat, die in der Schrift »Der Kanon und die Kritik des Neuen Testaments, « 1863, S. 210. 213 zu lesen ist. Die Antwort auf seine Einwürfe ist im vorliegenden Buche selbst an mehr als einer Stelle gegeben. Zu den S. 41 verzeichneten Anhängern der Marcushy pothese wäre zu meiner Freude ausser dem mir zu spät bekannt gewoi" denen Schriftchen von C. Ferd. Ranke (De libris historicis Novi Te- stamenti, 1855) auch Herr Pfarrer C. Wittichen zu zählen, der in seinen »Bemerkungen über die Tendenz und den Lehrgehalt der synop tischen Reden Jesu« (Jahrbücher für deutsche Theologie, 1862, S. 3 1 4 ff . ) mancherlei ziemlich kühne Griffe gewagt hat, deren Beurtheilung ich mir noch vorbehalte, da sie nicht unmittelbar in die hier vorliegende Aufgabe, die Bahn für eine historische Forschung mit den Mitteln der Kritik, zu öffnen, einschlagen. Ausserdem hat soeben der Gymnasial lehrer Hermann Jacoby in Landsberg a. d. W. »vier Beiträge zum Verständniss der Reden des Herrn im Evangelium des Lucas« (Nord hausen, 1863) veröffentlicht. Auch hier dürfte sich Manches modifici- ren lassen in Folge der allseitiger in's Auge zu fassenden Stellung des Vorwort. XIII Lucas zu den andern Synoptikern. Dass die Gleichnisse dieses Evange listen sich weniger im Gebiet des natürlichen, als des geschichtlichen Lebens bewegen, ist richtig. Daraus aber zu entnehmen, dass »Lucas nicht der stille, sinnige Geist ist, der in die wunderbaren, geheimniss vollen Vorgänge des Naturlebens sich versenkt, « dass vielmehr » der scharf beobachtende Blick des Historikers, der praktische Verstand « etc. aus seinen Gleichnissen rede — das heisst viel zu vorschnell verfahren. Alles erklärt sich vielmehr 'einfach aus dem S. 140 f. über des Lucas Verhältniss zur Redesammlung und S. 458 ff. über den Gesichtskreis des in der Redesammlung Sprechenden Bemerkten. Dieser Letztere ist eben Beides, der » Seelenforscher « und der » Gemüthskundige, « wie auch der »sinnige Naturforscher,« welche Auszeichnungen Jacoby (S. 22) auf Lucas und Matthäus vertheilt. In der Abhandlung über die Bergpredigt ist der Verfasser zu Anfang noch auf der richtigen Fährte, in dem er in der Form des Lucas Spuren socialer Kämpfe entdeckt, während Matthäus sich ganz auf das Innenleben zurückzieht (S. 12). Anstatt aber davon Veranlassung zu nehmen, in der kurzen Rede des Lucas eine grössere Ursprünglichkeit zu vermuthen, lässt er sich durch die Be ziehungen der matthäischen Rede auf jüdische Verhältnisse verleiten, die offenbare Composition für. das Geschichtliche zu halten (S. 19). Das S. 174 f. 481 f. dieses Werkes Gesagte diene gegen derartige Verirrun- gen einer, beim Einzelnen stehen bleibenden und in willkürlichen Ex perimenten sich verfangenden, Untersuchung zur Abhülfe. Erfreulich war es, dass auch Reville in seiner von der Haager Gesellschaft zur Vertheidigung des Christenthums gekrönten Schrift (Etudes critiques sur l'evangile selon St. Matthieu, 1862) sich denS. 250 verzeichneten Vertheidigern der »Redesammlung« angeschlossen hat. Auch er hält das erste kanonische Evangelium für eine Combination die ser Quelle mit dem ersten Marcus. Seine Hypothese leidet aber wesent lich an dem Uebelstand, zu ausschliesslich auf der Untersuchung jenes einen, ersten Evangeliums erbaut zu sein und das Verhältniss der über Marcus hinausgehenden Redestoffe des Matthäus zu den gleichen Par tien des Lucas zu wenig in Betracht gezogen zu haben. Es passt auf sie genau das S. 128 ff. gegen Tobler u. A. Bemerkte. Je weniger aber Hilgenfeld mit dieser Arbeit zufrieden ist (Kanon und Kritik, S. 213 ff), desto zuversichtlicher stützt er sich auf eine gleichzeitige literarische Erscheinung, die sich den S. 250 f. genannten Gegnern der »Spruchsammlung« anschliesst, auf Anger's Ratio, qua loci Veteris Testamenti in evangelio Matthaei laudantur, quid valeat ad illustran- XIV Vorwort. dum hujus evangelii originem, quaeritur, 1861 und 1862. »Jeder kann nun sehen — ruft er aus — wie es mit der Marcus-Hy pothese, in welcher sich der Widerspruch gegen die neuere Kritik hauptsächlich vereinigt hat, wirklich be stellt ist. « — Ich meinerseits nehme mir die Freiheit, dieses Wort, seines ironischen Sinnes entkleidet, an die Spitze der nachfolgenden Untersuchungen zu stellen, die, wie ich hoffe, den Gesundheitszustand jener Hypothese immer noch als einen sehr blühenden constatirt haben werden. Wenn aber Hilgenfeld einigen Werth auf den Beifall der jeweils neuesten kritischen Untersuchungen zu legen scheint, so bin ick schliesslich noch in dem Falle, mich auf Bäumlein's Aufsatz in den »Studien und Kritiken,« 1863, S. 1 1 1 berufen zu können, wo die Spruch sammlung gleichfalls anerkannt, und das rj Xe%d-evza rj Trgaxd-evza des Papias eben im Hinblick auf derartige Versuche erklärt wird, ausschliess lich entweder blos die Reden, oder blos die Thaten Jesu zu verzeichnen. Indem ich diese Bemerkungen als Nachträge zu den betreffenden Partien des vorliegenden Werkes zu betrachten bitte, empfehle ich der Nachsicht des Lesers noch einige Versehen und Incorrectheiten ; na mentlich bitte ich um Correctur folgender Stellen : S. 47, Z. 12 v. u. Nr. 8-12 statt Nr. 6, - 51, - 14 v. u. ist der Name Gfrörer zu streichen, 77, - 17 v. o. ¦¦§¦. 12 statt §. 13, - 79, - 1 8 v. o. Nr. 59 statt Nr. 90, - 96, 21 v. o. Nr. 117 statt Nr. 149, 149, - 7 v. u. Nr. 57 statt Nr. 88. 109, -151, 16 v. o. Nr. 59 statt Nr. 90, - 152, - 12 v. u. gemeint statt genannt, 176, - 1 v. u. Marcus statt Matthäus, -189, - 14 v.u. Nr. 68 statt Nr. 100, - 228, - 7 v. o. Lucas statt Matthäus, - 232, - 18 v. o. 9, 43—47 statt 9, 43. 47, - 261, 13 v. o. S. 32 statt §. 32. Heidelberg, den 10. November 1862. Inhal tsverzeiehniss. Seite §. 1. Einleitung. ... j Erstes Capitel. Das Problem und seine geschichtliche Entwickelung. §. 2. Verwandtschaftliches Verhältniss der Synoptiker . . 10 §. 3. Geschichte des Problems . . lä 1. Die Benutzungshypothese .15 2. Die Urevangeliumshypothese . . 16 3. Begründung der kirchlich-traditionellen Ansicht. .'•¦ 20 4. Neue Gestalten des Urevangeliums . ... 23 5. Vermittlungen ... 25 6. Umsturz und neue Anfänge . . 27 7. Die Tendenzkritik . ....... .32 8. Die Reaction . . . .35 9. Die Marcushypothese . . . . 38. §. 4. Die heutige Gestalt des Problems 44 1 . Das Urevangelium . ........ . . 44 2. Die Benutzungshypothese . ... . . . 53. 3. Combinationshypothesen . 64 Zweites Capitel. Composition des .Harens. — Quelle A (Urmarcus). §. 5. Aufstellung der Quelle A (Nr. 1 — Sl). . . . .67 §. 6. Allgemeiner Charakter der ersten Quelle . 99 7. Vergleichung der Texte als dreier Modificationea von A . 103 3. Das zweite Evangelium und A .... . . . 107 3. Die Griesbach'sche Hypothese .... .113 Drittes Capitel. Composition des Matthäus und Lucas. — Quelle A (llrniattbäus). §. 10. Die zweite Hauptquelle . . . 126 1. Nachweis der Existenz. ... . . 126 2. Aufstellung der zweiten Quelle 140 §.1!. Quellen des Matthäus und Lucas .157 S. 12. Composition des Matthäus (1 — 107) . 1G9 ]. Persönliche Vorgeschichte Jesu (1, 1 — 2, 23) . . 171 2. Messianische Vorgeschichte (3 , 1 — 4,25) . . .172 3. Die Bergpredigt (5, 1—7,29) .174 4. Jesu Wunderwirksamkeit (8, 1—9, 34) .178 5. Der Gegensatz (9, 35 — 13, 5b) . H2 6. Die Mitte der Wirksamkeit Jesu (14, 1 — 18, 35). . . . !90 7. Jesu letzte Reise und Ende (19, 1 — 28, 20) . ... . . 196 XVI Inhaltsverzeichnis.?. Seite §. 13. Composition des Lucas (1—135) 2°6 1. Persönliche Vorgeschichte (1, 1—2,52) 210 2. Messianische Vorgeschichte (3, 1 — 4, 15) 211 3. Bis zur Constituirung des Apostelkreises (J, 16 — 7, 10) 214 4. Die kleine Einschaltung (7, 11—8, 3) 220 5. Jesu galiläische Wirksamkeit (8, 4—9, 50) 221 6. Die grosse Einschaltung (9, 51— 18, 14) 225 7. Letzte Reise und Tod (IS, 15— 24, 53) 233 Viertes Capitel. Proben. §. 14. Der Prolog des Lucas 243 15. Das Zeugniss des Papias 248 §. 16. Die Doubletten 254 17. Alttestamentliche Citate 258 18. Die Ursprache des ersten Evangeliums 264 19. Der Spraehcharakter der Synoptiker 271 1. Allgemeines .... 271 2. Vergleichung der parallelen Texte 275 3. Die Quelle A 281 4. Styl des Matthäus 292 5. Abwandlungen von A durch Matthäus . . 297 6. Tendenz der Abwandlungen 298 7. Abhängigkeit des Matthäus von A 301 8. Styl des Lucas 302 9. Wörterbuch des Lucas 307 10. Lucas und Paulus 31g 11. Abwandlungen von A durch Lucas 326 12. Hebraismen des Lucas 332 13. Die Quelle A 335 14. Marcus 341 15. Gegen die Griesbach' sehe Hypothese 344 16. Einfluss von A auf Matthäus und Lucas 346 17. Einfluss von A auf Matthäus und Lucas 354 18. Neutrales Gebiet 355 Fünftes Capitel. Die synoptischen Evangelien als Geschichtsquellen. §. 20. Traditionelle Voraussetzungen über Matthäus 359 §.21. Traditionelle Voraussetzungen über Marcus 366 §. 22. Traditionelle Voraussetzungen über Lucas 373 §. 23. Dogmatischer Charakter des Matthäus 377 §. 24. Dogmatischer Charakter des Marcus 384 §. 25. Dogmatischer Charakter des Lucas 389 §. 26. Zeitliche und örtliche Abfassungsverhältnisse 401 §. 27. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien 418 §. 28. Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen 443 §. 29. Lebensbild Jesu nach der Quelle A 468 §. 30. Die synoptischen Wunderberichte 497 §.1. Einleitung. Vorliegende Untersuchungen werden1 — das verhehlen wir uns nicht — auf manche' theologische Leser den Eindruck eines; allen religiösen Interessen ferne liegenden, ja auf mehr als' einem Punkt den selben sogar feindselig gegenüber tretenden , Reclienexempels mächen, aus dessen Behandlung und Lösung, abgesehen von einer, zweifelhaften Werth besitzenden, Uebung des Scharfsinns, kein weiterer Gewinn da vonzutragen wäre. Und1 doch sind wir überzeugt, dass nur auf dem liier beschrittenen Wege es möglich sein wird , über die geschichtlichen An fänge des Christenthums eine Auseinandersetzung herbeizuführen ', die nicht mehr so unvermeidlich, wie dies seitdem S trau ss'scheri Werk gewöhnlich der Fall war, gleich beim ersten Schritt auf Discussioneri allgemeineren Inhalts und auf ein Gebiet führen muss , das der Ver ständigung über den geschichtlichen Gegenstand als solchen fast un- übersteigliche Schwierigkeiten entgegenstellt. Für uns nämlich handelt es sich hier einfach 'um die Frage, ob es dermalen noch möglich sei , die geschichtliche Gestalt Dessen, auf den das Christenthum nicht blos seinen Namen und Bestand zurück führt, sondern dessen Person es auch zum Mittelpunkt seiner eigen thümlichen religiösen Weltanschauung gemacht hat, in einer Weise nachzuzeichnen , die allen gerechten Ansprüchen der fortgeschrittenen historisch- kritischen Wissenschaften' genügt; ob es möglich sein werde, Das, was der Stifter unserer Religion an sich war, also das ächte und naturgetreue Bild seines Wesens, herauszustellen unter Anwehdüng' der allein legitimen Mittel einer ge\vissenhaften, historischen Kritik '— oder ob wir ein für allemal auf die Erreichung eines derartigen Zieles zu ver zichten haben. '¦ Diese Frage ist es, deren Beantwortring heutzutage mehr als je eine unausweichliche Vorarbeit bildet für jeden Versuch, eine aufrichtige und' ehrliche Verständigung auf religiösem Gebiet zu vermitteln. Für die grosse Menge freilich /ist die Frage, schon beantwortet. Thut ja auf der einen Seite die harmlose Erbaulichkeit immer noch, als wäre nichts geschehen, und fährt fort, das schon fertige, vom Holtzmann. 1 2 Einleitung. Dogmatismus entworfene , Bild von Jesu Person und Werk , wie sie es zur Erforschung der Quellen bereits mitgebracht hat, ohne Weiteres in denselben auch wiederzufinden. Auf der anderen Seite genügt es dem ordinären Philister der heutigen Durchschnittsbildung vollkommen , zu wissen , dass Jesus von Nazareth in Folge eines vor nun bald dreissig Jahren erschienenen Buches unter die mythologischen Figuren versetzt worden ist. Selbst Männer von sonst bewährtem geschichtlichem Blick finden es kaum der Mühe werth , die Umrisse der Nebelgestalt zu fixi- ren, in welche der Stifter des Christenthums sich verwandelt hat. » Wenn wir ihn aus den Evangelien kennen lernen wollen , ohne dabei die Reminiscenzen unseres Katechismus in's Spiel zu bringen , so wer den wir kein sehr, deutliches Bild empfangen « — meint im Namen Vie ler Julian Schmidt; ' und der berühmte Verfasser des »Lebens Jesu« wenigstens hat es nicht an dem Nothwendigen mangeln lassen, um der artigen sehnellfertigen Urtheilen seinerseits einen Freibrief für die wei testen Kreise der ganzen gebildeten Welt auszustellen. Wir meinen natürlich die bekannte Vorrede von David Friedrich Strauss zum dritten Theil seines Hütten. ? Das dort gesprochene Wort gleicht freüich weniger der gewichtigen Last, die in die Fluth gesenkt wird als solider Grundpfeiler eines solchen Brückenbaues, wie wir ihn bei den dermaligen Zerwürfnissen als unentrathsamstes Bedürfniss empfin den; es gleicht aber dem , aus freier Hand geworfenen Steine, dessen Aufprallen auf der Oberfläche des Gewässers dem Ohre wohl einen viel schärferen Klang zuführt, dessen Wirkungen sich auch dem Auge in deutlich gezogenen und bis in die entferntesten Regionen der religiösen Gleichgültigkeit fortschreitenden Wellenkreisen erkennbar genug ge macht haben. Dazukommt, dass Strauss selbst sich in jener öffent lichen Rede auf die »Tübinger Schule« berufen hat, deren eindringende kritische Thätigkeit mehr als genug geleistet habe, um die Voraussetzun gen seines »Lebens Jesu« zu rechtfertigen. Endlich hat ein Aufsatz inSy- bel's »historischer Zeitschrift« 3 es unternommen, die Resultate dieser, gar Vielen bisher nur dem Namen nach bekannten, Tübinger Schule gleichfalls für weitere, nicht theologische Kreise zugänglich zu machen. Es darf nun in diesem Augenblicke die gedachte Schule wohl als abgeschlossen betrachtet werden. Zwar hat die, unter Hilgenfeld's Leitung erscheinende, »Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie a schon seit mehreren Jahren nicht blos das Erbe der eingegangenen » Theologischen Jahrbücher « angetreten , sondern dasselbe seither auch 1) Grenzboten, 1860, S. 353. — 2) Vgl, meine Bemerkungen in Schenke l's »Allgemeiner kirchlicher Zeitschrift«, 1861, S. 65 ff. — 3) 1860, 3, S, 90—173 s »Die Tübinger historische Schule«. Einleitung. 3 in beächtenswerther Weise vermehrt. Doch aber ist der Charakter die ser neuen Unternehmung, wie schon das Verzeichniss der Mitarbeiter und manche Einzelleistung zeigt, ein von dem früheren Standpunkte abweichender, wenigstens ein allseitigerer. Ueberdies ist am 2. De- cember 1860 das Haupt der »Tübinger Schule«, der berühmte Professor von Baur nach einem, für die Wissenschaft ungemein bedeutungs vollen, Leben mit Tod abgegangen, so dass die zweite Auflage seines Buches über »das Christenthum der drei ersten Jahrhunderte«, die zweite Auflage seiner Broschüre über » die Tübinger Schule « und sein Aufsatz über den » Menschensohn «' den Abschluss seiner überaus vielseitigen Thätigkeit darstellen. Strauss stellt das Verhältniss seiner Leistungen zu denen seines grossen Lehrers bekanntlich so dar, dass er' in den Werken des Letz teren in ähnlicher Weise die wissenschaftliche Weiterführung und »Ueberwindung« seines »Lebens Jesu« erblickt, wie zuvor Feuerbach in Bezug auf die S t r a u s s 'sehe Glaubenslehre »das Tüpfchen auf das I gesetzt hatte«. Wenn Strauss vor fünf und zwanzig Jahren den gesammten Inhalt des Lebens Jesu glaubte auf die sagenbildende Phan tasie der urchristlichen Gemeinde zurückführen zu können, so habe seither — das ist sein Gedanke — Baur erwiesen, dass diese, vielleicht etwas übertriebene, Zumuthung, die man an die poetische Zeugungskraft einer grösseren Gemeinschaft stellte, gar nicht erhoben zu werden brauche, indem man die evangelischen Quellenschriften in noch viel entsprechenderer Weise aus der absichtlichen literarischen Thätigkeit gewisser urchristlichen Parteien zu erklären vermöge, welche die Ge schichte in Dienst nahmen. Sonach beliefe sich denn der Fortschritt, der zwischen Strauss und Baur statt hat, so ziemlich auf das Maass desjenigen allgemeinen geistigen Bildungszuwachses, der etwa in der Geschichte der Literatur zwischen der Fabel, als einer Anfangsstufe, und dem Roman, als einer vollendeteren dichterischen Gestalt, in der Mitte liegt. •' Wir unsererseits sind nun allerdings nicht der Meinung , dass ein solcher »Fortschritt«, angewandt auf die evangelische Geschichte, ge eignet wäre, der im Allgemeinen noch herrschenden Rathlosigkeit zu steuern. Für den unbefangenen geschichtlichen Blick stellt sich je länger, je mehr die gesehraubte Absichtlichkeit, die von Tübinger Seite öfters auch in der beiläufigsten Notiz erkannt werden sollte,, unter den selben Gesichtspunkt, wie die eintönigen, von Strauss beglaubigten, Orakel jener mährchenspinnenden, sagenhaften Sibylle, die den leben digst gefärbten , individuellsten Erinnerungen, welche sich von einer 1) Zeitschrift für -wissenschaftliche Theologie, 1S60, S. 274 ff. 4 Einleitung. unerfindbaren Persönlichkeit erhalten hatten , vampyrartig das Blut aus den Adern zieht, um dann die ausgesogenen verbleichten Schattenbilder Stück für Stück in das Todtenreich des abstracten Gedankens zu ver weisen. Nichtsdestoweniger schlagen wir den Theil Wahrheit, der, auch im Irrthum verborgen zu sein pflegt, hinsichtlich der sogenannten »Tübinger Kritik« doch unvergleichlich höher an, als bezüglich der Strauss 'sehen Mythen, die fast überall, wo sie Raum finden können oder müssen, bereits vorher von Schleiermacher, De Wette u. A. in mehr oder weniger zutreffender Weise nachgewiesen waren. Dage gen hat die Tübinger Kritik in Bezug auf, die dogmatische Eigenthum-, lichkeit der Evangelien Resultate angebahnt, die z. B. bezüglich des Matthäus und Lucas nur einer Abstreifung des allzu Doctrinären und Tendenziösen bedurften, um zu richtigeren Erkenntnissen in Bezug auf die Entstehung dieser Werke Veranlassung zu geben. Noch mehr sollte jetzt, wo die Akten des langen Streites fast geschlossen sind, aner kannt werden, dass auch der Blick für das Geschichtliche am Leben und an der Persönlichkeit Jesu in der Tübinger Schule sich mehr und mehr geschärft und zuletzt zu Wahrnehmungen geführt hat, die für den bedeutungsvollsten Punkt in der historischen .Theologie von der gröss ten Wichtigkeit sind, zumal da dieselben auf Strauss'schem Stand punkte rein unmöglich waren. Auch der Anonymus der S y b e l'schen Zeitschrift weist nach, dass Strauss freilich nur zu sagen gewusst habe, was die historische Person Jesu nicht gewesen ist, dass aber, was sie wirklich gewesen sein muss, erst auf Grundlage der Baux'- schen Resultate erkannt werden könne. Sollen wir aber den Grund namhaft machen, der bei Strauss wirksam war, ihm eine wirkliche Er kenntniss der » urchristlichen Thatsache « als Thatsache zu verschliessen, während seine Tübinger Freunde zu einer, ohne alle Frage geschichts massigeren, Beurtheilung der Sache fortschreiten konnten, so liegt der selbe nahe genüg. Es war zuerst der »sächsische Anonymus«, der gegen alle, ihm vorausgegangenen Bearbeitungen des Lebens Jesu den Vorwurf erhob , dass sie es unternehmen wollten , eine Kritik der evangelischen Geschichte zu geben, ehe sie eine Kritik der evangelischen Quellen unternommen und es darin zu einigermaassen haltbaren Resultaten ge bracht hätten.1 Seither ist es eine gemeine Rede geworden, die das besagte Urtheil in erster Linie auf das Buch von Strauss angewandt hat; und er selbst hat in seinem genannten Programm dieser Rede eigentlich Recht gegeben. Mit der Absicht , den wesentlichen Mangel. 1) Die Evangelien, ihr Geist, ihre Verfasser und ihr Verhältniss zu einander, 3, 3 ff. Einleitung. 5 eines solchen Unterbaues zu ergänzen, machten sich dann Baur, Köst lin, Ritsch 1 u.A. an die Untersuchung jener Quellen; und siehe da, vermöge einer schrittweise sich vollziehenden Annäherung an deut lichere Vorstellungen von der Entstehung unserer Evangelien stellte sich auch immer unabweisbarer das Bewusstsein davon ein, dass schon um ihrer, in immer frühere Zeiten aufgerückten, Entstehung, noch mehr um der noch so individuell und lebensgetreu gezeichneten Umrisse willen , in denen sich die Ereignisse selbst spiegeln , diese Evangelien keineswegs als ein phantastisches Echo von sagenhaften Geisterstim men, sondern als schriftliche Ausprägungen einer Ueberlieferung darstel len, die zu einem keineswegs geringen Theil dem Munde solcher Män ner entstammte, die mit gutem Bewusstsein und bei gesundem Verstände zeugten, was sie gehört, und redeten, was sie gesehen hatten. ' So- war es möglich, dass von Tübinger Seite ein Buch ausging, das, wie das Köstlin 'sehe zum Theil ganz treffliche Beobachtungen bietet in Be ziehung auf das schriftstellerische Verhältniss, in welchem die einzelnen Evangelisten zu einander stehen ; dass ferner, von seiner ursprünglichen nähern Verwandtschaft mit Baur weiter abtretend, Ritschi einen ganz entschiedenen Schritt vorwärts that; und dass endlich Ewald in seihen polemischen Auseinandersetzungen mit Baur auf Resultate ge führt wurde, die, ihrem wesentlichen Gehalte nach, von der neueren Forschung nicht mehr ignorirt werden durften. Die wegwerfende Art, wie die Ewald'schen Arbeiten von Strauss behandelt werden, liefert einen neuen Beweis, wie sehr ihm, als er nach jahrzehntelangem Pausiren sich mit diesem Theil biblischer Forschungen wieder bekannt zu machen anfing, doch sehr Wesentliches entgangen ist. Er nimmt nämlich ausschliesslich diejenige Seite der Ewald'schen Leistungen in Anspruch, die unmittelbar für die Wissenschaft vom »Leben Jesu« in Betracht kommen. Da war es nun freilich leicht, sich der eigenen, wasserklaren Verneinung gegenüber der oft schillernden und weniger handgreiflichen Gestalt, in welcher bei Ewald die Bejahung auftritt, zu rühmen. Eine unbefangenere Prüfung der Sache hätte zeigen müs sen, dass die Stärke der Ewald'schen Aufstellungen, dass der für Strauss empfindlichste Theil Ewald'scher Resultate die Kritik nicht sowohl der evangelischen Geschichte, als vielmehr der evangeli schen Quellen betrifft. Hat es auch nur mit einem Zehntheil dieser Resultate seine Richtigkeit, so kann man immer noch darüber streiten, ob sich die evangelische Geschichte ausgenommen habe, wie Ewald meinte: Eines aber ist dann unwidersprechlich bewiesen, dass sie nämlich sich nicht so könne ausgenommen haben, wie Strauss ein für allemal glaubt erwiesen zu haben. Ja, wir sind es weiter der Wahr heit schuldig, zu bekennen, dass in dem kleinen Büchlein, welches (3 Einleitung. schon: vor zwölf Jahren Ewald über die ersten drei Evangelien heraus gegeben hat, sich genug der brauchbarsten, öfters mit feinster Beobach tungsgabe der Wirklichkeit abgelauschten , Bemerkungen über die ge schichtliche Gestalt des Wirkens Jesu finden, während das »Leben Jesu« von Strauss ein überreiches Feld von weltgeschichtlich gewordenen und in ihren Folgen nicht minder klar erkennbaren Wirkungen mit einem trüben , dichten Nebel überzogen hat in einer Weise , wie dies auf keinem anderen Gebiete der geschichtlichen Wissenschaften wieder vorgekommen ist. Würde darum unser Urtheil über die Erfolge des Strauss 'sehen Buches innerhalb der letzten fünf und zwanzig Jahre neben dasjenige gestellt werden sollen, das der Verfasser in eigener Sache ausgesprochen hat, so würde es wesentlich anders lauten. Es würde sieh in Kürze etwa so gestalten. Durch die Kritik der Geschichte, die Strauss gegeben hat, musste zunächst das Bedürfniss einer Vorarbeit erweckt werden, die von Strauss als vollbracht vorausgesetzt worden war, ohne dass die Aufgabe bis auf den heutigen Tag wirklich vollzo gen worden wäre. Allerdings aber haben die Leistungen der Tübinger Schule und derjenigen Gelehrten, die sich näher oder entfernter an sie anschlössen oder in wissenschaftlichen Gegensatz zu ihr traten , heuti gen Tags die Fragestellung in einer Weise erleichtert, die uns hoffen lässt, dass noch zu unseren Lebzeiten eine allgemeinere Uebereinstim mung in der Lösung der Frage zu erreichen sein werde. Die Haupt sache aber ist , dass diese Quellenforschung , zu der man aus Anlass des Lebens Jesu zurückging, mehr und mehr solche Resultate ans Tages licht brachte, die von den Voraussetzungen^ auf denen das » Leben Jesu « ruhte, auf's Bedeutendste abweichen, ja ihnen widersprechen. Dass dies selbst in Bezug auf diejenigen Ergebnisse der Fall ist, bei denen zuletzt Baur ankam, wird noch im Verlauf unserer Untersuchungen erhellen (§. 29.). Hat er doch auf Veranlassung der Uhlhorn'schen Angriffe sogar das Verhältniss, in welchem der Apostel Paulus zu Christus selbst stand, auf eine Formel zurückgeführt, gegen die im All gemeinen nichts einzuwenden ist; * denn dass sich die Urapostel zu nächst an die historische Form, an die nationale Seite des Selbstbewusst- seins Jesu anschlössen, während Paulus mit überraschender Energie das allgemeine, das religiös-sittliche Moment desselben geltend machte, ist unbestreitbar. Schon Köstlin hatte darauf aufmerksam gemacht, wie gerade jene Elemente südpalästinensischer Ueberlieferung, mit de nen Lucas die synoptische Grundschrift ergänzte, es sind, durch welche 1) Die Tübinger Schule, S. 30 ff. Christenthum der drei ersten Jahrhunderte. 2. Ausg. 1860, S. 47 ff. — Einleitung. 7 »die Hervorbildung der paulinischen Lehre aus dem ursprünglichen Christenthum leichter begreiflich wird«.1 Ebenso sieht Baur in der Lehre des Paulus den energischeren Ausdruck des zweiten der, die Person Jesu constituirenden , Elemente, vollzogen unter bestimmter Anknüpfung an die eigenen Selbstbezeugungen Christi. Dass er dieses Wechselverhältniss nicht innig und bestimmt genug erkannte, daran ist zumeist seine unrichtige Vorstellung vom paulinischen Lehrbegriff, die Verkennung der wahren Mittelbegriffe desselben Schuld; nicht minder auch sein hartnäckig festgehaltenes Vorurtheil für die Griesbach'sche Ansicht von dem synoptischen Quellenverhältniss. So ist es z. B. in der ermähnten Abhandlung über den » Menschensohn « lediglich seine ungerechte Eingenommenheit gegen Marcus, die ihn zu ganz falschen Unterstellungen führt. Auch in diesem Theile , wie fast auf allen an dern Punkten der neutestamentlichen Kritik wird man daher Baur den Ruhm, Anregung gegeben zu haben, ebensowenig streitig machen kön nen, als es andererseits Zeit ist, die »süsse Gewohnheit des Scru- pelfangg«, der sich Baur und Hilgenfeld nie ganz entziehen konn ten, hinter einer nüchternen, dem allzuschlauen Spürsinn der Tendenz kritik entsagenden, Betrachtung des Einzelnen verschwinden zu lassen. Dass diese Zeit , wo man , unbeirrt durch die Einseitigkeiten der Meister, aus dem, von der Tübinger Schule tüchtig umgeackerten, Saat feld der neutestamentlichen Kritik geniessbare Früchte zu ziehen ver mag, im Anbruch ist, hat das kürzlich erschienene Schriftchen eines, von Baur ausgegangenen, Theologen bewiesen, worin in der That Grundzüge sowohl, wie feinere Linien behufs einer acht geschichtlichen Darstellung des Christusbildes in so reicher Fülle gegeben sind, dass wir diese 44 Seiten unbedingt zum Dankenswerthesten rechnen müssen, was uns in Betreff des Lebens Jesu die Arbeit des ganzen Zeitalters ein gebracht hat. »Die menschliche Entwicklung Jesu Christi« — unter diesem Titel veröffentlicht Professor Keim eine akademische Antrittsrede, die dem himmelstürmenden Hochfluge des frommen christo logischen Schwindels allerdings mehr , als ein blosses ironisches Kopf schütteln , die ihm die ganze Macht und Klarheit der unmittelbar em pfindbaren Wirklichkeit entgegensetzt. »Ich kenne keinen höhern Namen, der mein ganzes Bewusstsein füllt, als den Namen Jesu Christi, des Weltheilandes, und ich glaube im Interesse der Frömmigkeit selbst zu schreiben, indem ich ehrlich, offen, unerschrocken mich an der Auf gabe betheilige, das Leben Jesu herausgewickelt aus allen Binden und Tüchern der Ungeschichtlichkeiten , Halbheiten und Verwicklungen, welche uns demnächst bis in's Jahr 2000 selbst im Centrum des Christen- 1) Die synoptischen Evangelien, S. 399. 8 Einleitung. thums nicht zur ganzen Wahrheit kommen lassen, in seiner reinen und dann gewiss majestätisch auferstehenden Geschichtlichkeit zu ent hüllen. k1 Damit hat Keim eine Ueberzeugung ausgesprochen, die sich seit den letzten Jahrzehnten und gerade in Folge; der immer fühlbarer werdenden Willkürlichkeiten der Tübinger Kritik allen. Vernünftigen in steigendem Maasse aufgedrungen hat, dass es nämlich e,ine gesicherte Anschauung des, Lebens Jesu nicht gibt, so lange man nicht die Quel len richtig zu handhaben,: so lange man nicht ihr gegenseitiges Verhält niss im Ganzen wie im Einzelnen sich stets wieder zu vergegenwärtigen versteht. Bekanntlich tritt einem dahin gehenden Streben /gleich von vorn herein die grosse Schwierigkeit entgegen, dass die ersten und einzigen Quellen, die zu Gebote stehen, selbst sich unter einander auszuschlies- sen scheinen — wie denn gerade die Tübinger Theologie; Alles gethan hat, um uns zwischen dem vierten Evangelium und den Synoptikern höchstens die Wahl , nirgends aber die Möglichkeit einer Verbindung beider übrig zu lassen. W*1' sm(i nun allerdings der Meinung , dass be sonders Weizsäcker, der Nachfolger Baur 's, durch seine Arbeiten in den »Jahrbüchern für deutsche Theologie« sich; das Verdienst erwor ben hat, gezeigt zu haben, dass sich jenes Dilemma auch noch von einer ganz andern Seite her umgehen lässt, als dies da versucht yird, wo man nur schlechtweg die Synoptiker in den Johannes überträgt. Keim nun theilt diesen Standpunkt nicht; er steht ganz nur zu den älteren Evan gelien. Und allerdings wird man ihm unbefangener Weise zugeben müssen, dass die Spuren der ringenden Entwicklung^ des durchschnei* denden sittlichen Kampfes in dem ruhigen Erinnerungsbild des vier ten, theologisirenden Evangeliums fast ganz ausgelöscht sind ; auf der Oberfläche dieser Gewässer scheint keine Welle sich zu 'regen. Aber dass in Wirklichkeit doch auch hier eine allmälig anschwellende Flu- thung statt gehabt hat, das geht nicht blos aus Stellen, wie 5, 20 her vor , wo der im Selbstbewusstsein des Sohnes statthabende Reflex der göttliphen Thaten als ein sich entwickelnder, folglich auch die »Einheit seines Thuns mit Gott« als eine sich immer fort kräftigende und stei gernde,2 dargestellt ist, sondern das bekennt auch der Verfasser selbst eben dadurch, dass er von einem Höhepunkte weiss, in dem das ganze Sein und Wesen Jesu in so unauflöslicher Weise zusammengefasst erschien, dass allerdings auch die frühere Darstellung mannigfach da durch bedingt ist (Joh. 131 — 3). Ist das vierte Evangelium auch von vorn herein nach dem Grundgedanken angelegt, oxi ano &eov itjriXd-sv , so 1) Die menschliche Entwicklung Jesu, S. 5. — 2) Gegen Hilgenfeld 's Ein rede: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1862, S. 33. Einleitung. 9 hätte doch Hilgenfeld nicht verkennen sollen, dass Joh. 13, 1—3 den Culminationspunkt des Wissens um diesen Ausgang darstellen will. So ist es ja auch Eigenschaft der Synoptiker, dass sie nur »unge sucht, fast wider Willen und unbewusst in flüchtigen und versteck ten Zügen die fortschreitenden Elitfaltungen des Jünglings und des Mannes bringen. « 1 Doch möchten wir diese unsere Gegenbemerkung keineswegs so verstanden wissen , , als läge es im Interesse der Wissen schaft, nur kurzer Hand synoptische und johanneische Stellen zusam menzuwerfen und eine Lebensgeschichte Jesu daraus zu construiren. Vielmehr muss erst sowohl das synoptische, wie das johanneische Christusbild für sich gezeichnet werden, so dass jedes niir aus eigenen Mitteln lebt. Erst dann kann von einer fruchtbringenden Vergleichung beider die Rede sein. Wir nun nehmen in vorliegender Arbeit die beschriebene Aufgabe an dem einen der beiden Endpunkte auf; wir unternehmen es, die synoptischen Evangelieu so zu bearbeiten, dass sich schliesslich auf' die Frage1, inwiefern sie als Quellen für ein aufzustellendes synoptisches Christusbild gelten können, eine vollkommen gesicherte und nach älleü Seiten gerechtfertigte Antwort ergeben muss. Wir sehen also vollstän dig ab von dem vierten1 Evangelium; wo wir im Verlauf unserer Erör terungen an dasselbe erinnern , da wird dies niemals in der Weise ge schehen , als ob wir etwa aus einem solchen Seitenblick irgendwelchen Schluss zu ziehen gedächten'; höchstens werden wir in der Lage seih, hier und da Anhaltspunkte zu nötiren für eine künftige Bearbeitung des johanneischen Evangeliums nach gleichen Grundsätzen. Ebenso bestimmt werden wir alle Folgerungen vermeiden, die etwa erst ander weitig zu beweisende Aufstellungen über das Verhältniss' anderer neu- testamentlicher Schriften , wie z.: B. der Apokalypse , zu unsern Evan gelien voraussetzen. Nur die stillschweigend geschehene' Anerken nung, dass das dritte Evangelium und die Apostelgeschichte von dem selben' Verfasser herrühren, bedarf wohl keiner Entschuldigung." Für uns fällt also vollständig hinweg die Schwierigkeit, 'so ver schiedene Lichtbilder, wie die Gestalt Christi im synoptischen und im johanneischen Spiegel reflectirt, zum Zweck einer Art voi 'stereoskopi schem Sehen arrangiren zu müssen; wir haben es blos mit dem einen dieser Bilder zu thun , das aber bekanntlich selbst wieder dreifach ge1 zeichnet ist in Figuren, deren Umrisse bald völlig sich decken, bald aber auch 'eine auffällige Ungefügigkeit zeigen. ' Die Ursache dieser' Er scheinungen erklären, heisst die synoptische Frage lösen. 1) Keim, S. 11. Erstes Capitel. Das Problem und seine geschichtliche Entwickelung. §. 2. Verwandtschaftliches Verhältniss der Synoptiker. ' Die an räthselhaften und bis auf den Tag unerledigten Aufgaben so reiche neutestamentliehe Kritik bietet, gleich in Betreff der drei ersten Schriften des Kanons der wissenschaftlichen Forschung einen gordischen Knoten zur Lösung dar, welcher ebenso sehr durch die höchst eigenthümlichen Verwandtschaftsverhältnisse, die zwischen jenen Büchern obwalten, als durch die nichtsdestoweniger oft am unerwartetsten Orte eintretenden Differenzen geschlungen wird. Was nun jenes erste Moment betrifft, so verdanken ihm die. drei ersten Evangelien schon ihren gemeinsamen Namen. Eben um der inneren und äusseren Verwandtschaft willen stellte man sie übersichtlich zu sammen und nannte sie Synoptiker, welchen Namen die theologi sche Rabulistik neuerdings freilich als das TCgoZzov ipevdog der rationali stischen Betrachtung unserer Evangelien geächtet hat. * Die Ver wandtschaft besteht nun I. In der Anordnung des Ganzen. Der Stoff zerfällt nämlich bei allen Dreien gleichmässig in gewisse Hauptmassen. 1) Vorgeschichte. Während Marcus Geburt und Kindheit Jesu übergeht, berichten die beiden ersten Capitel des Matthäus und Lucas in ganz differenter Weise darüber. Aber die Uebereinstimmung besteht darin, dass wenigstens von Zweien überhaupt eine derartige Geschichte gegeben wird, 2) Antritt des messianischen Amtes. Bei allen Dreien folgen Be richte über Taufe und Versuchung (Mt. 3, 1—4, 11. Mr. 1,1 — 13. Lc. 3, 1—4, 13). 3) Oeffentliche Lehrthätigkeit Jesu in Galiläa. Bei allen Dreien wird dieselbe in parallelen Abschnitten ausführlich erzählt (Mt. 4, 12 — 18, 35. Mr. 1, 14—9, 50. Lc. 4, 14—9, 50). 1) De Wette (Einleitung, II, §. 79, 80. 6. Ausg. S. 144 ff.) , Credner (Ein leitung, S. 160 ff.). — 2) Hengstenberg: Das Evangelium des h. Johannes, I, 1861, S. 303. Das Problem. 1 1 4) Reise nach Jerusalem. Hier weicht blos Lucas ab, der, nachdem er 9, 51 den Beginn der Reise erzählt hat, einen ganzen Abschnitt voll zum grössten Theil eigenthümlichen Stoffes gibt (9, 51— 18, 14). Im Uebrigen aber sind Mt. 19, 1—20, 34. Mr. 10, 1—52. Lc. 18, 15—19, 28 parallel. 5) Einzug in Jerusalem und Wirksamkeit daselbst, in parallelen Abschnitten (Mt. 21—25. Mr. 11—13. Lc. 19, 29—21, 38). 6) Leiden, Tod und Auferstehung. Hier finden sich, besonders den letzteren Punkt anlangend, grosse Differenzen in Mt. 26 — 28. Mr. 14—16. Lc. 22— 24. Aber auch darin stimmen diese Berichterstatter überein, dass sie ihren Geschichtsstoff nicht in fortlaufender Rede entwickeln, sondern in einer Reihe einzelner kleiner Erzählungen, die durch eigene Anfänge und besondere Schlussformeln sich in einer Weise isoliren, als wären sie erst von unseren Schriftstellern mosaikartig zusammengestellt wor den. Es lässt sich nun eine ziemliche Anzahl solcher kleiner Sectionen unterscheiden, die, von geringen Differenzen abgesehen, bei allen Dreien sich vorfinden '. Diese auffallende' Uebereinstimmung in der Totalanlage und in der Hauptmasse des Stoffes ist aber keineswegs etwa als durch die Geschichte selbst und durch die wirkliche Folge von Begebenheiten vorgezeichnet anzusehen. Denn die wirklich vorhandene Zusammenstimmung unserer Evangelien erstreckt sich zu weit in's Spe- cielle, und die ihren Umfang bestimmende Verbindung des Stoffes be ruht zu sichtlich auf besonderer Wahl, als dass wir zu ihrer Erklärung blos auf das Objective der Geschichte verwiesen sein könnten2. Wenn Jesu Lehrthätigkeit ohne Zweifel etwas örtlich und zeitlich Getheiltes war, woher kommt es, dass die Synoptiker alle denselben Rahmen dafür mitbringen? wenn er zweifelsohne ungezählte Reden gehalten hat, warum beschränken sich alle Synoptiker fast auf dieselbe Auswahl? wenn Jesus so viele Kranke geheilt hat , warum theilen alle Drei nur die gleichen Beispiele mit ? wenn er über Chorazin und Bethsaida ein Wehe ruft, warum berichten Mt. 11, 21 — 24 und Lc. 10, 13— 15 zwar beide das Wort, keiner aber die Thaten, die das Wehe verdienen? Offenbar beruhen diese Thatsachen auf schriftstellerischer Anordnung, auf der Abhängigkeit der Synoptiker von einem schon geformten Erzäh- lungstypus3. 1) Wilke (Urevangelist) in seiner ersten Tafel (S. 4-8) zählt 57 solcher Ab schnitte, Credner (Einleitung, S. 161 f.) sogar 65. Derselbe führt (S. 163 ff.) noch 23 Parallelstellen zwischen Mt. u. Mr., 39 zwischen Mt. u. Lc. , 18 zwischen Mr. u. Lc. auf. — 2) Wilke, S. 11. — 3) Man braucht — wofern man das vierte Evan gelium für authentisch hält — nur noch seine Relation mit der synoptischen zu ver gleichen, so vermisst man nicht blos jene auffallenden Wunder von Kana und Betha- 12 Erstes Capitel. II. Im wörtlich übereinstimmenden Detail, 1) Einzelne Berichte sind bei allen Dreien ganz in derselben Weise verknüpft.; so die Abschnitte von Taufe, Versuchung und Rückkehr nach Galiläa, vom Seesturm und den Gadarenern, vom Gichtbrüchi gen und Zöllner Matthäus, vom Aehrenausraufen und verdorrter Hand, von Herodes' Urtheil und der Speisung der 5000, von Petrusbekennt- niss und der Leidensweissagüng , von Blinden zu Jericho und Jesu Einzug in. Jerusalem Noch . mehr Abschnitte verhalten sich wenig stens, bei zwei Evangelisten gleich in,Bezug auf die Akoluthie. 2) Einzelne Thatsachen werden in einer bis auf's Wort sich er streckender* Uebereinstimmung : von allen Dreien, häufiger noch von Zweien geschildert; z. B. die Speisungsgeschichte Mt. 14, 19. 20 = Mr. 6,/41. 42 =: Lc, 9, 16. 17 ; die Verklärungsgeschichte Mt. 17, 5 = Mr, 9, 7,.== Lc. 9, 35. Ein classisches Beispiel von Uebereinstimmung ganzer Abschnitte liefert die Erzählung vom Gichtbrüchigen Mt. 9, 1—8 = Mr. 2, 1—12, = Lc. 5, 17 — 26. 3) Ebenso sind einzelne Redeabschnitte bei allen Dreien, häufiger noch bei Zweien buchstäblich gleich referirt, was im griechischen Aus druck um so mehr befremdet, da Jesus aramäisch sprach. So z. B. die eschatologischen Weissagungen Mt. 24 = Mr. 13 = Lc. 21, wo nicht blos, die affectvoljeu Stellen sogar wörtlich gleich lauten, sondern auch in unbedeutenderen Nebenpartien fast ganz dieselbe Bestimmtheit und Ausführlichkeit der Rede anzutreffen ist. ... 4) Es werden Wendungen . und Ausdrücke von allen Dreien ge braucht, die sonst selten sind. So das dmxgfrfj vom Bräutigam Mt. 9, 15, = Mr. 3 ,'20 .== Lc.;5, 35 — das Bild ymowvcai S-avdzovMt. 16'y 2.8 = Mr. 9,1= Lc. 9, 27 — das ungewöhnliche Wort dvoxoXcog Mt. 19, 23= Mr. 10, 23 . == Lc. 18,-24 — das Diminutiv loxiov Mt. 26, 51 = Mr. 14', 47= Lc. 22, 51 — die anstössige Form dcpeojvzai Mt. 9, 2. 5, = Mr. 2, 5. 9 = Lc. 5, 20.: 23 — das verdoppelte Augment dtiexctTEOzäd-r] Mt. 12, 1,3 ^ Mr. 3, 5 = Lc. 6, 10 — die vlol zov vv/4cpüjvog Mt. 9,. 15 = Mr. 2, 19. = Lc. 5, 34 — der Gebrauch von tfliiiovod-a.L Mt. 16, 26 =,Mr. 8, 36 = Lc. 5, 25. — Woher nur Mt. 27, 12 = Mr- H, .61. = Lc. 23, 9 anexgivaxo , während sonst immer das, Passiv steht? Woher das ei Ss firj (ye), womit alle Evangelisten Mt. 9, 17 = Mr. 2, 21 = Lc. 5, 37 das Verbot, neuen Wein in alte Schläuche zu fassen, fortführen ? nien, sondern es stellt sich auch die Lehrthätigkeit Jesu in Galiläa als durch öftere Reisen nach Jerusalem und eine daran sich s'chliessfende judäische Wirksamkeit unter brochen dar. Um so mehr würde die Verknüpfung der Berichte , der Umfang , die Auswähl des Stoffes bei den Synoptikern nicht durch die historischen Data selbst, sondern durch die schriftstellerische Vermittlung, auf die sie gewiesen waren, bedingt erscheinen. Das Problem. 13 5) Es werden dieselben Verba mit > denselben Präpositionen ver bunden. So, um Beispiele zu erwähnen, wo je Zwei -zusammengehen , Mt. 7, 5 = Luc. 6, 42 : xat tote diaßXiipsig. Mt. 15, 9 = Mr. 7 , 6 ccnexei an ifiov. Mr. 6, 41 = Lc. 9, 16 xal Karixlaoe. 6) Es kommen gleiche Citate vor, die übereinstimmend sowohl vom hebräischen Texte abweichen, als (auch mit den LXX nicht wörtlich stimmen. So ngoaxvvrjaEtg -x.vgt.ov tov &eov o ov Mt. 4, 10 = Luc. 4, 8, während LXX Deut. 6, 13 cpoßrj&rjor] = a-pn haben. Vgl. auch Jes; 40, 3—5: Mr. 1, 3 = Mt. 3, 3 = Lc'3, 4. ^-Jes. 29, 13: Mt. 15, 8.-9. = Mr. 7, 6. 7. 7). Die allen Dreien gemeinsamen Citate sind aus den LXX, die dem Mt„ eigenen aus dem Urtext. Vgl. §. 17. < Daraus' geht hervor, dass an eine solche Entstehungsweise der Synoptiker, wornach jeder unabhängig geschrieben hätte, nicht mehr gedacht werden kann. Vielmehr hat die Kritik zu erklären, welche ge genseitige Beziehungen unter ihnen statt gehabt haben müssen', um dieses auffallende Verwandtschaftsverhältniss erklärlich erscheinen zu lassen. ! - i : X Ist nun aber die Uebereinstimmung in der Anlage des Ganzen^ wie! im einzelnen Bericht schwer zu erklären, so macht doch noch mehr Schwierigkeiten, der Umstand, dass, oft in denselben Stellen, die auf eine gegenseitige Berührung und Wechselwirkung der einzelnen Evan gelien schliessen lassen, sich wieder auffallende Verschiedenheiten dar bieten , welche häufig sich bis zu scheinbaren oder wirklichen Wider sprüchen steigern. .So erzählt Lucas beispielshalber von Erscheinungen des Auferstandenen blos in Judäa, Matthäus blos in Galiläa.' Oefters beginnen auch die Synoptiker, als wollten sie eine und dieselbe Ge schichte übereinstimmend erzählen, siei harmoniren wörtlich durch län gere Partien und aneinander hängende Periöden • des Textes, besonders in Darstellung der Hauptpointen des Berichts; danü aber gehen sie plötzlich auseinander, um alsbald wieder zusammenzutreffen' bis aufs Wort. So z. B. in der Geschichte vom Hauptmann in Kapernaum Mt. 8, 5 — 13 = Lc. 7, 1 — 10. Oder aber es besitzt Einer Bestand-1 theile, die dem Anderen geradezu ganz abgehen. So kommt, was Marcus von Reden mittheilt, mit Matthäus und Lucas verglichen, einer ziem lich dürftigen Auswahl gleich. Andererseits weiss besonders Lucas von einer ganzen Reihe wichtiger Reden , als da sind die Gleichnisse vom verlorenen Sohn, vom barmherzigen Samariter und andere, von wel chen die beiden ersten Evangelisten keine Kunde verrathen. Mati thäus aber bietet Redestücke von gleichartigem Inhalt in grossem Zu sammenhange gruppenweise dar, wie in Cp. 5 — 7. 13. 18. 23—25. Oef ters weicht dabei Lucas, der diese Reden zertheilt an verschiedenen 14 Erstes Capitel. Punkten seines Berichts anbringt , in Angabe der empirischen Veran lassungen zu einzelnen Redestücken von Matthäus bedeutend ab (vgl. §. 10). Gar nicht selten aber finden sich Berichte, welche nicht blos schwer, sondern überhaupt gar nicht zusammen in Einklang gebracht werden können, wie z. B. die Berufung des Petrus entweder so, wie Matthäus und Marcus, oder so, wie Lucas sie hat, vorgestellt werden mag, auf keine Weise aber beide Erzählungen zusammenzubringen sind. Dazu kommen noch die vielerlei Schwierigkeiten, die sich aus der sogenannten Akoluthie ergeben, insofern der eine Schriftsteller die ge meinsame Aufeinanderfolge bald gegen den abweichenden dritten 'fest hält, bald sie aufgibt an einem Orte, wo wieder die beiden andern zusam menstimmen. So wirft Matthäus, wie es scheint, den von Mr. [r 40 — 3, 1 2 und Lc. 5,12 — 6, 1 9 in übereinstimmender Akoluthie erzählten Stoff auseinander, um ihn ganz anders zu vertheilen. Dieses Verhältniss gilt es nun aufzuhellen ; [d. h. es handelt sich um die Frage : woher Uebereinstimmung und Abweichung, beides in so auffallend hohem Grade? Es gab eine Zeit, wo man im Hinblick auf die wirr sich durch kreuzenden Fäden zahlloser Erklärungsversuche an der Möglichkeit einer leichten und ungezwungenen Lösung des Räthsels hätte verzwei feln mögen. Joachim Christian Gass schrieb im J. 1807 bezüglich unseres Problems an Schleiermacher: »Diese Untersuchungen über den Ursprung unserer Evangelien gefallen mir, ob ich gleich zweifle, dass man damit viel weiter als zu einer docta ignorantia kom men werde.«1 Aber auch diese letztere wäre ja, wofern unwider leglich constatirt, schon als Gewinn anzusehen. Abweichungen und Uebereinstimmungen zwischen den Synop tikern — sie bilden also die Prämissen unserer Untersuchung: und das zu untersuchende Factum zugleich. »Das wird gefragt: was setzt das Textverhältniss , wie es vorhanden ist, sei es auch durch noch so viele Läuterungsprocesse hindurchgegangen — was setzt es, wie es vor liegt, nach kritischen und exegetischen Ergebnissen als Bedingung voraus? Kann dies nicht ausgemacht werden, so ist die ganze Unter suchung vergeblich; aber auch dies, dass sie vergeblich sei, ist erst dann ein Resultat, wenn alle erforderlichen Anstrengungen versucht sind. «* Billig beginnen wir darum mit einer Vergegenwärtigung der ver schiedenen Versuche, die, um das synoptische Verwandtschaftsverhält niss aufzuhellen, unternommen worden sind mit der Zuversicht, es werde dem combinirenden Verstände möglich sein , in dem vorliegen- 1) Briefwechsel, S. 20. — 2) Wilke, S. 21. Geschichte des Problems. 15 den Verhalten der Synoptiker zu einander eine bestimmte Regel, ein durchgeführtes Gesetz zu entdecken. Wir werden dabei zugleich den Vortheil erreichen, unsern eigenen Standpunkt als das von selbst sich ergebende Resultat eines nunmehr, wie wir glauben, abgelaufenen histo rischen Frocesses zu erweisen. Denn mit Weiss1 erstreben auch wir in der Hauptsache keinen andern Ruhm, als den, die reife Frucht alles Dessen gepflückt zu haben, was längst von verschiedenen Seiten her an gebahnt und durch eine fast schon unübersehbare Menge der gründlich sten Einzelforschungen verarbeitet ist. §. 3. Geschichte des Problems. * 1) Das kirchliche Alterthum, unter dem Einflüsse der alexandrinisch- jüdischen Inspirationsidee stehend, musste die sachliche und wörtliche Uebereinstimmung ganz in der Ordnung finden; blos die; Differenzen fielen auf, kamen bereits im Osterstreite zur Spraqhe und gaben den Kir chenlehrern zu mannigfachen Betrachtungen Veranlassung,3 als deren Ab schluss wohl Augustin's Evangelienharmonie betrachtet werden darf. Hier wurde Matthäus durchaus zu Grunde gelegt, Marcus aber war, wie jedoch lediglich aus seinem Inhalte geschlossen wurde, Matthacum sub- secutus tanquam pedissequus ; im Ganzen freilich befolge Jeder suum quendam narrandi ordinem ; ut quisque meminerat et ut ciuique cordi erat vel brevius, vel prolixius eandem tarnen explicare sententiam, ita eos explicasse manifestum est.4 Trotz der streng dogmatischen Auffas sung begegnet uns demnach schon hier das Minimum aller von der Or thodoxie zu machenden Zugeständnisse : dass die Evangelisten mit Be ziehung aufeinander schrieben, sich der Geschichten aber nicht immer auf dieselbe Weise erinnerten , und so durch Einflüsse von rein subjec tiver Natur der parallele Lauf der drei Linien ihrer Erzählung öfters gestört werde. Waren so die dogmatische und ein Anfang von historischer Auf fassung in Erklärung des sonderbaren Räthsels zum Theil auch noch während des Mittelalters unvermittelt nebeneinander hergegangen, so bedienten sich die protestantischen » Harmonistiker «, wie sie seit Andreas Oslander genannt wurden (vgl. §. 27), vollständig blos der ersteren. Die wörtliche Uebereinstimmung machte, als aus der sug- 1) Studien und Kritiken, 1861, S. 94. — 2) Vgl. Baur (Kritische Untersuchun gen über die kanonischen Evangelien , 1847, S. 1 — 76), Hilgenfeld (Die Evange lien nach ihrer Entstehung und geschichtlichen Bedeutung, 1854, S. 1 — 42. — Zeit schrift für wissenschaftliche Theologie, 1861, S. 1 — 71, 137—204.)— 3) Epiphanius (haer, 51, 6), Chrysostomus (hom, I in Mtth, §. 2. 3), — 4) De consensu evan- gelistarum, 1, 2. 4, 12, 16 Erstes Capitel. gestio: v.erborum erklärbar, >Niemandem Bedenken. Die Differenzen aber sollten auf ein- blos quantitatives Maass zurückgeführt werden.. Alle solche Versuche aber bilden, als noch in 'keiner Weise auf Quellenkri tik- eingehend, im Verein mit einigen andern Studien, worunter er wähnt werden mag, 'dass Cärlstadt den Marcus für ein compendium Matthaei * , hielt ,. höchstens die Vorgeschichte der hier einschlägigen Literatur. ¦ ¦ ¦ v. " - - '¦ i Einen weitereri /.Fortschritt iund zugleich1 den Uebergang zu den jetzt noch in Betracht kommenden Ansichten darf man in dem Gedan ken Storrs2 finden, die Methode der Harmonistik zu bestimmen nach der Ordnung, in welcher. die Evangelien geschrieben seien. Bisher hatte man sich in dieser Beziehung ganz unbefangen an die Priorität des Matthäus gehalten ; man liess überhaupt die Evangelisten gerade* in der selben Ordnung schreiben, in der sie auch im Kanon stehen. 3 Dieses. Dogma wurde zuerst wankend gemacht von Koppe 4, später auch' von J. D. Michaelis aufgegeben.5- Störr endlich machte geradezu den Marcus zum Verfasser des Petrusevangeliums und damit zum ersten Evangelisten; ihn sollte Lucas vor Äugen gehabt haben, ^während Mat thäus, der Sachordnung folgend, unabhängig schrieb. Seine Hypothese war aber das erste Glied in :einer langen Reihe. von Versuchen, von denen nun, um für das Verhältniss der drei Evan gelien zu einander die adäquateste Formel zu finden, das ganze' Gebiet der Möglichkeit ausgemessen wurde; und zwar war es, nachdem' man, sich einmal von der Priorität des Matthäus emancipirt hatte, ausser Mar cus auch Lucas , mit dem man es versuchte. Dies thaten Busch in gs und Evan son7 so, dass Marcus, Vogel8 so, dass Matthäus als der letzte in der Reihe erschien. Uebrigens sprachen sich auch später noch Rödiger9 und Schneckenburger 10 für den Vorgang des Lucas aus. 2), Möglicher Weise ist es ja aber auch weder Matthäus, noch- Mar cus, noch Lucas, der je den beiden andern zu Grunde liegt, sondern sie weisen alle Drei auf ein verloren gegangenes -Urevangelium zurück. 1) Credner: Zur Geschichte des Kanons, S. 291 ff. — 2) Ueber den Zweck der evangelischen Geschichte und der Briefe Johannis , 1786, S. 274 — 295. De fontibus evangeliorum Mijtthäi et Lucae,: 1794 in Velthusen's commentt. theoll. III, S. 140 ff. — 3) So Grotius, Mill, Wetstein, Bengel, Townson: Abhandlungen .über die vier Evangelien (Discourses on the four Gospels), aus dem Englischen von Sem ler, 1783, I, S. 275. II, S. 1 ff. — 4) Marcus non epitomator Matthaei, 1782. In der sylloge commentationum theoli. von Pott und Ruperti, I, S. 35—69. — '5j Einlei- tung in die Schriften des neuen Bundes, 4. Ausg. 1788, II, §. 144. — 6) Harmonie der vier Evangelisten, mit ihren eigenen Worten zusammengesetzt, 1766, S. 109. — 7);The disso'nänce of the four generally'received evangelies, 1792. — 8) Gabler: Journal für theol. Literatur, I, 1804, S.'i^-63.'— 9)'Symbolae, 1827j S. 10. — 10) Beiträge zur Einleitung, S. 16 ff. Geschichte des Problems. 1 7 So hatten schon Lessing, 1 Semler 2 und Niemeyer 3 das Hebräer evangelium, Corrodi,4 Schmidt5 u. A. das hebräische Original des Matthäus für die gemeinsame Quelle gehalten. Hiernach sollten die Synoptiker also auf einer griechischen Uebersetzung des Urmatthäus be ruhen. Wenn aber die Urevangeliumshypothese in dieser Gestalt offen bar noch beeinflusst ist durch die dogmatische Rücksicht auf die Priori tät des Matthäus, so befreite sie endlich Eichhorn auch von dieser Fessel, indem er das Princip der Einheit, welches die Orthodoxen in der unsichtbaren Wirksamkeit des heiligen Geistes gefunden hatten, in das materielle Substrat eines, das Gemeinsame aller Synoptiker enthal tenden, durchaus selbstständigen Urevangeliums verlegte. So hat er die Evangelien zuerst unter den Gesichtspunkt eines in ihnen sich voll ziehenden schriftstellerischen Fortschrittes gestellt. Wie Eichhorn der eigentliche Begründer der Evangelienkritik ist, so die beiden For men seiner Hypothese die ersten Schlüssel, die ausdrücklich mit der Bestimmung gefertigt wurden, das, unserer Untersuchung zu Grunde liegende, Räthsel aufzuschliessen. Die erste Gestalt der Eichhorn'schen Hypothese6 charakterisirt sich vornämlich dadurch, dass sie das Urevangelium syrochaldä- isch, und zwar um 35, verfasst sein liess. Es enthielt die den Syn optikern gemeinsamen Stücke, die Hauptdata der evangelischen Ge schichte , in einer im Ganzen guten Folge. Dasselbe ging durch viele Hände , Abschreiber trugen aus dem Munde glaubwürdiger Menschen Manches nach; so entstanden verschiedene Recensionen, und in dieser Form fanden unsere Evangelisten das Urevangelium vor. In einer weit läufigen Reihe von Schriften wurde hiernach das Urevangelium überar beitet und alterirt, bis es endlich seine jetzige dreifache Gestaltung an- 1) Neue Hypothese über die Evangelisten, als blos menschliche Geschichtschreiber betrachtet, 1778, zuerst herausgegeben inLessing's theologischem Nachlass, 1784, S. 45 ff. Sämmtliche Werke, Carlsruhe, XI (Theologische Schriften, III), S. 1 ff. — Berliner Ausgabe, VI, S. 225 ff. Vgl. Schwarz : Lessing als Theologe, S. 183 ff. — 2) In seiner Vorrede zu Baumgar ten's Untersuchung theologischer Streitigkeiten (1762, S. 52) war er noch der herkömmlichen Benutzungsordnung gefolgt. Mehrere hebräische oder syrische Urquellen nahm er an in der Uebersetzung von Townson's Abhandlungen über die vier Evangelien (1783, 1, S. 146ff. 221. 290). Endlich erkannte er Stroth's Entdeckung (Eichhorn's Repertorium, 1777, I, S. 1 ff.) über das Hebräer evangelium an Programmata academica, 1779, S. 427 ff. :). — 3) Conjecturae ad illu- strandum plurimorum N. T. scriptorum silentium de primordiis vitae Jesu Christi, 1790 S. 8 ff. 4) Versuch einer Beleuchtung der Geschichte des Bibelkanon, II, 1792,' S. 150 ff. — 5) Einleitung in das N. T. I, S. 68 ff. — 6) Allgemeine Bibliothek der bibl. Literatur, V, 1794, S. 759 ff. Uebrigens hatten schon seine Schüler Haifeld (Commentatio de origine quatuor evangeliorum, 1794) und Russwurm in Göttinger Preisschriften die Sache bekannt gemacht; später schrieb der Letztere noch: Ueber den Ursprung der drei ersten Evangelien, I, 1797. Holtzmann. * 18 Erstes Capitel. nahm, in welcher zwar zum Theil das Gemeinsame geblieben ist, zum Theil aber auch durch mannigfache Abstufungen bedeutende Abwei chungen eingetreten sind. Kein Synoptiker hat also den andern benutzt, aber auch in keinem der synoptischen Evangelien haben wir mehr den reinen Urtext, sondern dieselben stellen griechische Üebersetzungen ein zelner Recensionen mit selbstständigen Zusätzen dar. 1 Herbert Marsh2 glaubte diese Hypothese von einem wesent lichen Mangel zu befreien, indem er schon das Urevangelium griechisch übersetzt werden liess. Aber auch das hebräische Original sollte ver schiedenerlei Bearbeitungen erlitten, und eine, in differenten Exempla ren existirende, hebräische Gnomensammlung mit auf die Abfassung unserer Synoptiker eingewirkt haben. So nahm Marsh für alle über einstimmende Elemente zweier Evangelien neue Quellen an. Das Prin cip dieser Hypothese ist mithin ganz das Eichhorn's; sie selbst aber übertrifft die des Letzteren noch an Künstlichkeit. 3 Eichhorn nahm in der zweiten Ausarbeitung seiner Hypothese, die den Glanzpunkt seines grösseren Werkes bildete,4 die gemachte Cor rectur seines Systems im Wesentlichen an , glaubte aber den weiteren Fortbau der Hypothese anders construiren zu sollen. Eine griechische Uebersetzung des Urevangeliums wurde jetzt statuirt, griechische Re censionen derselben gleichfalls. Selbstständig sollte allein das Urevan gelium sein , dagegen aber auch keiner unserer Synoptiker den anderen benutzt haben. Vielmehr wurde Alles wieder durch eingeschobene Mit telglieder erklärt.5 Wo immer zwei Evangelisten übereinstimmen, da 1) Im Einzelnen stellt sich die Sache so : Unseren Synoptikern lagen vier aramä ische Bearbeitungen zu Grunde : A für Matthäus ; B für Lucas ; C, aus A und B com binirt, für Marcus ; D für Matthäus und Lucas. Matthäus stellte die erste Hälfte von A in andere Ordnung, indem er Vieles aus D einschaltete ; daher stimmt Matthäus mit Marcus, ist aber reicher und berührt sich mit Lucas. Lucas schaltete aus D Vieles in den Zusammenhang von B ein und benutzte noch eine beliebige andere Schrift, die weder Matthäus, noch Marcus kannten. Marcus übersetzte C und machte wenige Zu sätze. Was alle gemeinsam haben, stand mithin im Urevangelium; was Matth'äus und Lucas miteinander haben, kam aus D ; was Lucas und Marcus haben, aus B ; was Mat thäus und Marcus haben , aus A. — 2) Anmerkungen und Zusätze zu Michaelis' Einleitung, aus dem Englischen von Rosenmüller, II, 1803, S. 140 ff. 166 ff. 284 ff. — 3) Der hebräische Matthäus entstand aus der ersten und dritten Bearbeitung, combinirt mit der Spruchsammlung ; Lucas aus der zweiten und dritten Bearbeitung, der Spruchsammlung und dem griechischen Urevangelium ; Marcus aus derselben grie chischen Version , verbunden mit der ersten und zweiten Bearbeitung ; der griechische Matthäus ruht auf Grundlage aller vorhandenen Quellen. — 4) Einleitung in das Neue Testament, I. 1804, S. 353 ff. — 5) Im Einzelnen hat sich die Reihenfolge jetzt fol- gendermaassen gestaltet: 1 : Hebräisches Urevangelium. 2: Griechische Uebersetzung. 3: Erste Recension von 1. 4: Griechische Uebersetzung von 3 mit Benutzung von 2. 5: Zweite Recension von 1. 6: Dritte Recension von 1, aus 3 und 5. 7: Vierte Recen sion von 1 mit Zusätzen. 8 : Griechische Uebersetzung von 7 mit Benutzung von 2. Geschichte des Problems. 1 g ist ein besonderer hebräischer Text vorauszusetzen, der durch verschie dene Hände hindurchgegangen war, bis er in zwei etwas differiren- den Exemplaren in die Hände des einen und des andern gelangte. Das Gemeinsame aller Drei aber erklärt sich schliesslich auf der Grundlage der ältesten griechischen Uebersetzung des Urevangeliums. Eine weitere beachtenswerthe Umwandlung erfuhr die Hypothese vom schriftlichen Urevangelium durch Gratz, i bei dem die Evange lien in ihrer Reihenfolge umgestellt, im Uebrigen aber wo möglich noch unselbstständiger erscheinen, als bei Eichhorn. 2 Andere Modificatio- nen nahmen Ziegler,3 Hänlein4und Kühnöl5 vor, indess Bau,6 Feilmoser,7 Weber,8 Thiess9 wieder mehr auf das Lessing'- sche Urevangelium oder auf das Hebräerevangelium des Matthäus zu rückgingen, mit dessen Anerkennung B ölten die Benutzungshypo these zu vereinigen bemüht war. 10 Aber kein Anderer hat »mit so fleischlich sicherer Selbstgewissheit«11 der Urevangeliumshypothese ge huldigt, wie Berthold t. Aller Wahrscheinlichkeit nach sei es von sämmtlichen Aposteln in Jerusalem entworfen, von einem Einzigen concipirt und dann in den öffentlichen Gebrauch gegeben worden ; vor nämlich aber habe jeder Apostel und Evangelist als eine Art Lehrin- struction ein Exemplar dieser Schrift erhalten, damit auf solche Weise Einheit und Uebereinstimmung in den historischen Vortrag der neuen 9: Hebräischer Matthäus , aus 3 und 7. 10: Griechischer Matthäus , aus 9, mit Be nutzung von 4 und 8. 11: Marcus, aus 6, mit Benutzung von 4 und 5. 12: Lucas, aus 5 und 8. Hiernach würde also das Urevangelium schon aramäisch in fünffacher Gestalt (1. 3. 5. 6. 7.), griechisch dann in dreifacher (2. 4. 8.) exi- stirt haben. Die letzteren drei Recensionen sind aber unabhängig von einander entstanden, nur wurde 2 bei Abfassung von 4 und 8 zuweilen zu Rathe gezogen, woraus sich die Uebereinstimmung in Uebersetzungsfehlern und Ausdrucksweisen in unseren, auf jene Recensionen basirten, Evangelien nicht minder erklärt, als die we sentlichen Differenzen. — 1) Neuer Versuch die Entstehung der drei ersten Evangelien zu erklären, 1812. — 2) Das Wesentliche besteht in Folgendem: 1: Aramäisches Ur evangelium. 2 : Griechisches Urevangelium , früh für die Antiochener übersetzt, mit vielen Zusätzen. 3 : Einige kürzere Documente. 4 : Marcus und Lucas bereichern in ihren Evangelien 2 aus 3. 5: Hebräischer Matthäus, entstanden aus 1 und einer Spruchsammlung, von der auch Lucas eine Recension besessen hatte. 6 : Griechischer Matthäus unter Vergleichung des Marcus. 7 : Interpolationen im Matthäus und Lucas durch wechselseitiges Uebertragen der Parallelstellen. — 3) Gabler's theologisches Journal, 1800, IV, S. 417 4) Einleitung in das Neue Testament, III, S. 30 ff. — 5) Commentarius in libros N. T. historicos, I, 1807, S. XVI. 1823, S. 4 ff. — 6) De praecipuis causis varietatis et inconstantiae, quae in evangeliis reperitur, 1805. — 7) Ein leitung in die Bücher des N. T. S. 59 ff. — 8) Beiträge zur Geschichte des neutesta mentlichen Kanon, 1791, S. 21 f. — Unterschungen über das Alter und Ansehen des Evangeliums der Hebräer, 1806. — 9) Commentar über das N. T., I, 1804, S. 18 f. — 10) Deutsche Übersetzung der Evangelien Matthäus (1792), Marcus (1795), Lucas (1796). — 11) Baur: Theologische Jahrbücher, 1851, S. 77. 2* 20 Erstes Capitel. Lehre gebracht werde. Wie so viele neutestamentliehe Schriften, so war für Berthold t natürlich auch dieses apostolische Normalbuch aramä isch geschrieben. i Jedenfalls ist es hiernach das Verdienst Eichhorn's, zuerst das vorliegende Problem in seiner ganzen Grösse erkannt und gewürdigt zu haben. Dies hatte ihn aber weiter auch dazu geführt, die Evangelien bestimmter, als bisher unter einen geschichtlichen Gesichtspunkt zu stellen, und so wurden sie bei ihm mit einem male secundäre Producte, entstanden im Verlauf eines literarhistorischen Processes , wenn gleich Eichhorn selbst die Tragweite seiner kritischen Resultate nicht er kannte, und es ihm namentlich mehr oder weniger entging, dass unter seiner Voraussetzung die alte Tradition über die Verfasser der synopti schen Evangelien allen Credit verlieren muss. 3) Lange stand die Urevangeliumshypothese in hohem Ansehen; aber bereits war, wie man sieht, in der Mitte ihrer Vertheidiger wieder die alte Streitfrage nach der Priorität des einen Evangelisten vor dem andern erwacht. Zwar dachte jetzt Niemand mehr daran, dem Lucas den zeitlichen Vortritt zu vindiciren; wohl aber schrieb Eichhorn einen solchen dem Matthäus, Gratz dem Marcus zu. Damit stand nun Eichhorn, dessen Marcus ja auf Grund einer, von Matthäus und Lucas benutzten, Recension erbaut sein soll, ganz auf Seiten Gries- bach's, der eben damals seine berühmte Hypothese aufgestellt hatte,2 die später von Saunier,3 Theile,4 Sieffert,5 Ammon,6 Fritz- sehe,7 Gfrörer,8 Bleek,9 A. Maier10 und Delitzsch11 näher ausgeführt und vertheidigt wurde. Hiernach hätte nun also Marcus den Matthäus und den Lucas zur Basis seiner Schrift gemacht und wäre, da er nicht viel Neues hinzubringt, eine Stufe tiefer, als die beiden andern Evangelien, zu stellen. Damit war nun aber der Benutzungshypothese ein neuer Vorschub 1) Historisch-kritische Einleitung, III, S. 1205 ff. — 2) De fontibus, unde evange- listae suas de resurrectione Domini narrationes hauserint, 1784 (Opuscula academica ed. G a b 1 e r, II, S. 241 ff.) — Commentatio, qua Marci evangelium totum e Matthaei et Lucae commentariis decerptum esse monstratur, 1789, 1790 (Opuscula academica, II, S. 358—425). Unmittelbare Vorgänger waren Owen (Observations of the four Gospels, 1764) und Stroth (Eichhorn's Repertorium, IX, S. 144). — 3) Ueber die Quellen des Evangeliums des Marcus, 1823. — 4) De trium priorum evangeliorum necessitu- dine, 1825. — Winer's und Engelhardt's Kritisches Journal, V, 4, S. 400f. — Zur Biographie Jesu, 1836. — 5) Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums, 1832. — 6) L>e Luca emendatore Matthaei, 1805. — 7) Ad Marcum, 1S30, S, XXXV ff. — 8) Geschichte des Urchristenthums, II, 2 (heilige Sage), S. 212 ff. — 9) Einleitung, II, S. 243—257. Synopsis, I, S. 4 f. II, S. 122ff. — 10) Freiburger Zeitschrift, 1849^ S. 70. — 1 1) Zeitschrift für lutherische Theologie und Kirche, 1850, S. 492. Neue Untersuchungen über Entstehung und Anlage der kanonischen Evangelien, 1853. Geschichte des Problems. 21 geleistet, und der Eichhorn'scheWeg wurde mehr und mehr verlassen, seitdem auch Hug sich gegen jeden aramäischen Urmatthäus, gegen jede aramäische Urschrift, gegen jedes Urevangelium überhaupt ausgespro chen hatte. 1 »Es ist, wie wenn er der Eichhorn'schen Hypothesen kühnheit gegenüber mit aller Ruhe und Sicherheit , selbst mit einer ge wissen Kälte, den Beweis auf sich nehmen wollte, dass es trotz aller entgegengesetzter Behauptungen auf allen Hauptpunkten der neutesta mentlichen Kritik auch ferner bei der hergebrachten Meinung sein völ liges Verbleiben habe. «2 Demnach steht Hug in dem Punkte auf Seite Eichhorn's gegen Griesbach, dass er die Evangelisten ganz in der selben Ordnung schreiben lässt, in welcher sie im Kanon stehen. 3 So macht er, ohne ein Zeichen von Verlegenheit oder Anstrengung zu ver- rathen, unser Problem nach allen Dimensionen glatt : jeder Spätere hat eben den Früheren benutzt und zugleich kritisirt. Matthäus schrieb griechisch ; denn er wollte auch noch nach der bevorstehenden Auflö sung des jüdischen Staates verstanden werden ; und diese Sprache war damals die am weitesten verbreitete. Alle Facta sollen dann weiter dafür sprechen, dass Marcus blos den Matthäus vor Augen gehabt haben konnte ; er arbeitete denselben aber nach der Zeitfolge um unter Beifü gen von kritischen Notamina. Lucas endlich ergänzte beide nach einer neuen Revision der Quellen. Das Eigenthümliche, das Hug in jedem Evangelium bemerkt, sieht er dann als Zweck des betreffenden Schrift stücks an. Sonach verfolgte Matthäus einen dogmatischen Zweck, näm lich den Juden die Messianität Jesu zu beweisen. Rein historisch ver fuhr Marcus, der Mehreres, was Matthäus schon erzählt hatte , ausliess, sonst aber nach den von Petrus eingezogenen Nachrichten manchen Vorkommnissen eine andere Stellung anwies; insbesondere will Hug die Bescheidenheit dieses apostolischen Gewährsmannes darin erkennen, dass Marcus Alles auslässt, was zur Auszeichnung des Petrus beitragen konnte. Lucas endlich benutzt beide Vorgänger , hält sich übrigens in der Anordnung an Marcus und trägt das Ganze in gräcisirender Diction vor. Alle Drei aber wetteifern miteinander an historischer Genauigkeit und Zuverlässigkeit, corrigiren sich daher gegenseitig rücksichtslos, so dass wir, wo Differenzen eintreten, eben einfach immer dem spätesten Berichterstatter zu glauben haben. »Wo ist nun überall — ruft Hug aus 4 — eine Geschichte, wie diese, durch so unbefangene Anstrengung und durch so viele aufeinander kommende Correcturen wetteifernder Schriftsteller in Ansehung des reinen Strebens nach Wahrheit so ver- 1) Einleitung in die Schriften des Neuen Testamentes, II, 1808 (von uns citirt), S. 51 ff. 93 ff. 105 ff. 130 ff. 164 ff. — 4. Ausg. 1847. — 2) Baur: Theol. Jahrb., 1851, S. 71. — 3) Unmittelbarer Vorgänger Hugs war Seiler: De tempore et ordine, quo tria evangelia scripta sint 1805, 1806. — 4) II, S. 166. 22 Erstes Capitel. sichert, wie diese aus unseren Untersuchungen hervorgeht?« — Bei die ser Sicherheit seines apologetischen Standpunktes ist es ihm freilich ent gangen, dass er, vermöge der kritischen, corrigirenden Stellung, die er jeden Evangelisten im Verhältnisse zu seinen Vorgängern einnehmen lässt, jenen rein äusserlichen und quantitativen Gesichtspunkt, unter welchem selbst Eichhorn noch die Evangelienbildung auffasste, be reits durchbrochen und damit einer qualitativen Auffassung, wie sie nachher von der Tendenzkritik geübt wurde, vorgearbeitet hat. 4) Von einem ganz anderen Ausgangspunkte aus fasste die Frage in's Auge Schleier mache r.1 Er geht zunächst wieder auf den Stand punkt Eichhorn's zurück, aber so, dass er, da ihm die Annahme eines einheitlichen Ursprungs der Evangelienbildung keineswegs nothwendig erscheint, jenes eine Eichhorn'sche Urevangelium vervielfältigt. Schon Clericus hatte auf eine Mehrheit schriftlicher Quellen hinge wiesen und die Synoptiker aus verwandten Quellen fliessen lassen. 2 Aehnliche Voraussetzungen finden sich in den schon erwähnten Schrif ten von Sem ler, J. D. Michaelis und Koppe; vornämlich aber ist Paulus 3 als unmittelbarer Vorläufer Schleiermache r's zu betrach ten, wenn auch seine Manier wenig Anklang fand , wornach zunächst Maria, Johannes u. A. über Ereignisse einzelner Tage schon frühe Be richte aufgesetzt hätten , aus welchen Tagebüchern dann Denkschriften (dnofj.vrjf.iovEvfj.aza), und aus diesen endlich die Evangelien hervorge gangen wären. 4 An die Stelle der Denkschriften treten nun bei Schleiermacher die sogenannten Diegesen : ausführlichere Auf zeichnungen über einzelne Begebenheiten. Dieselben verdanken ihre Entstehung nicht sowohl, wie das Urevangelium, dem Bedürfnisse der Lehrenden, als vielmehr dem natürlichen Verlangen der Gläubigen. Und zwar waren es die Christen ausserhalb Palästina' s, die auf solche Weise merkwürdige Begebenheiten aufzeichneten. Um ein Gutes spä ter, als die Paulus'schen Denkwürdigkeiten, wäre daher eine ganze 1) Kritischer Versuch über die Schriften des Lucas, 1817. (Werke, I, 1 , S. 1 — 220.) Vgl. seine Einleitung in's Neue Testament (Werke, I, 8, S. 217 ff.) — 2) Hist. eccl. II prim. saec. 1716, S. 429. — 3) Der übrigens in seiner Introductio , 1799, S. 250 noch an eine Art von Hebräer- Urevangelium, später an die Gie s eler'sche Hy pothese geglaubt und damit seine Theorie in Verbindung gesetzt hat. Wir verweisen auf seinen Aufsatz in der Haller Allgemeinen Literaturzeitung, 1815, Nr. 105, S. 11 ff., auf sein Conservatorium, I, 1822, S. 124 f. , auf sein Exegetisches Handbuch über die drei ersten Evangelien, 1830, S. 11 ff. 27 ff. Zugleich huldigt Paulus der Theorie von der Originalität des Matthäus und Lucas gegenüber Marcus. Vgl. besonders Conserva torium, S. 37 ff. 75 ff. 95 ff. 152 ff. — Exegetisches Handbuch, I, S. 37. — 4) Neu bildungen dieser Theorie bei Er. Eis eher (Einleitung in dieDogmatik, 1828, S. 122 ff.), der den Lucas, sowie das Hebräerevangelium aus den Lc. 1, 1 — 4 erwähnten Diegesen ableitete, und bei Lange: Leben Jesu, I, S. 215 f. Geschichte des Problems. 23 Reihe solcher Diegesen entstanden, die dann nach und nach zu grösse ren literarischen Werken verknüpft wurden. Die zusammenhangslose Mannigfaltigkeit des Stoffes sei das Erste, Ursprüngliche, die Einheit der evangelischen Geschichte erst das Spätere, Gemachte. Nur unter dieser Voraussetzung glaubt Schleierm acher die Gestalt unserer Synoptiker erklären zu können; denn der wiederkehrende Wechsel von gemeinschaftlichen und eigenthümlichen Geschichtstheilen deute eben auf eine Mehrheit gemeinschaftlicher Quellen. Man müsse aber, anstatt alle drei Evangelien nur zu vergleichen, vielmehr jedes einzelne für sich durchgehen und in ihm nach den Regeln und Gesichtspunkten forschen, vermöge deren die Verknüpfung der Begebenheiten zu Stande komme. ' So stellen sich ihm die Synoptiker dar als Aggregate einzel ner Erzählungen und Quellen, kleinerer Aufsätze und mündlicher Tra ditionen) als Bearbeitungen, entstanden im nachapostolischen Zeitalter, ohne gemeinsame Direction, ohne chronologische Gewissheit. Und zwar — so führte Schleiermacher in seiner Einleitung, 2 zunächst im An schlüsse an De Wette die Sache weiter aus — beruhe Lucas ganz nur auf Diegesen , Marcus aber sei am meisten apokryphisch und beruhe auf einer für uns ganz undurchsichtig gewordenen Bearbeitung des papia- nischen Urmarcus, Matthäus aber sei eine ähnliche Bearbeitung der von Papias erwähnten Redesammlung des Apostels. In diesen Ansichten über die beiden letzteren Evangelien ist immerhin insofern ein Fort schritt wahrzunehmen, als hier an die Stelle rhapsodischer Diegesen be reits grössere Grundschriften , wie die löyia des Matthäus und das pa- pianische Original des Marcus, gesetzt werden. 3 Unmittelbar nach Schleiermacher's »Versuch« trat Gieseler ebenfalls mit einem solchen hervor in der Absicht, das Verwandtschafts verhältniss der Synoptiker aufzuhellen.4 Unter energischer Einsprache gegen Eichhorn, dessen Annahme eines vorkanonischen Anfangs der Evangelienbildung er übrigens festhält, führt er aus, dieser kenne nur den Weg schriftlichen Verkehrs. Es lasse sich aber ein anderer Weg, der Alles besser erkläre, historisch rechtfertigen, der der mündlichen Tradition. Vorgearbeitet hatte in dieser Beziehung bereits Ecker mann,5 der einen gleichförmigen mündlichen Vortrag der Apostel voraussetzte, womit er zuerst ein kleines schriftliches Urevangelium verband, während er später die Tradition erst in dem aramäischen Mat thäus sich fixiren liess. Eben dahin neigten auch im Anhang zur Schrift 1) Versuch, S. 16 (12). — 2) Werke, I, 8, S. 244 ff. 305 ff. — 3) Vgl. Ueber die Zeugnisse des Papias«: Stud. u. Krit. 1832, S. 736 ff. (Werke, I, 2, S. 363—392). — 4) Historisch-kritischer Versuch über die Entstehung und die frühesten Schicksale der schriftlichen Evangelien, 1818. — 5) Theologische Beiträge, 1796, V, 2. S. 148. — Erklärung aller dunklen Stellen des Neuen Testamentes, I, 1806, S. Xlf. 24 Erstes Capitel. »von Gottes Sohn« Herder1 und Kaiser,2 abgesehen von der Anlei tung allgemeinerer Art, welche durch die historisch - kritischen Unter suchungen von Wolf und Niebuhr zu derartigen Constructionen ge geben waren. Gieseler erinnerte zunächst daran, dass nur durch Nothwendigkeit die Apostel überhaupt bewogen werden konnten, die Feder zu ergreifen. Sonst aber mochte mündliche Tradition allen an fänglichen Bedürfnissen genügen. Eine stereotype Diegese der evange lischen Geschichte aber stellte sich ein im Gefolge der Nothwendigkeit der Bildung apostolischer Gehülfen und Evangelisten, und nicht minder musste durch die Anforderung, dieselbe Geschichte den Bekehrten so oft zu erzählen , die Uniformität, sowohl was Inhalt, als Form betrifft, sich steigern. Es entstand die mündliche Norm von selbst, indem das Gedächtniss den Stoff stereotypisirte, wie es bei Menschen ohne ge. lehrte Bildung überhaupt zu geschehen pflegt. Im gegebenen Fall aber trat der gleichmässige Gebrauch des Alten Testamentes noch unter stützend ein. Dieser feststehende Typus bildete dann die natürliche Grundlage der schriftlichen Aufzeichnungen. Sobald nämlich bei den Zuhörern das Verlangen nach naqddoaig eyygag>og sich einstellte, haben unsere im engeren Sinne so genannten Evangelisten den gang und gäbe gewordenen Stoff fixirt mit der aus der Natur der Sache sich ergeben den Freiheit, jeder in eigenthümlicher Weise, obwohl im Ganzen und auch in vielen Einzelheiten mit voller Uebereinstimmung. Die Lage der Dinge brachte es aber mit sich, dass schon in der lebendigen Evan gelientradition eine zwiefache Grundgestalt hervortreten musste, je nachdem die Objecte der Belehrung verschiedene waren. Es erklären sich die Differenzen der Synoptiker somit aus den Modificationen, welche die Tradition selbst vermöge der verschiedenen Richtungen des Urchri- stenthums schon erlitten hatte ; so stellt Matthäus den judenchristlichen, Lucas mehr den heidenchristlichen Typus dar. Natürlich Hessen schon bei der mündlichen Verkündigung die einzelnen referirenden Apostel auch besondere Reminiscenzen einfliessen. Die Abweichungen in der Reihenfolge der Begebenheiten ergaben sich von selbst bei der Freiheit, die der mündliche Evangelientypus lassen musste. Da übrigens die Auf zeichnung Privatsache war, kann auch die verschiedene Auswahl des vorhandenen Reichthums von Stoff nicht befremden. Zusammentreffen im Ausdruck, Abweichungen in Synonymen, eigenthümliche Hinzu fügung von Nebenumständen, Umstellungen, Alles schien jetzt erklärt. Schwierigkeiten machte nur die Sprache. Die chaldäische Zunge 1) Von der Regel der Zusammenstimmung unserer Evangelien, 1797. (Sämmtliche Werke, zur Theologie, XH, S. 1 — 55.) — Als die ursprünglichste Eorm der schriftli chen Eixirung erscheint hier Marcus. — 2) Biblische Theologie, I, S. 224 ff. Geschichte des Problems. 25 der mündlichen Tradition soll sich bis ins 2. Jahrhundert erhalten haben und dann mit grösster Vorsicht in's Griechische übersetzt worden sein. Die Griechen , wie sie überhaupt schreibseliger waren, fingen nun an, die Tradition durch den Buchstaben zu fesseln, wobei es sich von selbst versteht, dass die ersten Versuche nur sehr unvollkommen ausfallen konnten. So ist es gekommen, dass die Sprache bei allen Evangelisten, selbst bei Lucas, der es sonst besser gekonnt hat, ein hebraisirendes Griechisch ist. 5) Im Ganzen war dazumal Hug mit seiner Benutzungshypothese durchgedrungen, nur wollte man nicht gelten lassen, dass die Evange listen gerade in der Ordnung, wie sie im Kanon stehen, sich gegensei tig benutzt und kritisirt hätten ; überdies fühlte man das Gewicht der Gieseler'schen Gründe1 und strebte nach Vermittlungen. Diesen eklektischen Standpunkt nehme'n, besonders auf Griesbach und Gie- seler fussend, schon Schwarz,2 Schott3 und Neudecker,4 in sonderheit aber D e W e tt e und Credner ein . Der Erstere hat in seiner ersten Aullage 5 zwischen Matthäus und Lucas eine gemeinsame münd liche Quelle statuirt ; die ganze Anlage ist aber bei Matthäus und Lucas so übereinstimmend, dass man entweder den Matthäus, oder einen ge meinsam berücksichtigten Quellenschriftsteller als ihren Urheber be trachten muss. Jedenfalls aber soll der Einfluss , den Matthäus auf Lu cas, und auch auf Marcus gehabt, kein unmittelbarer, sondern ein durch Erinnerung vermittelter gewesen sein. So kam es, dass Marcus, wie wohl er den Matthäus und Lucas kannte, doch die Reden vergessen hat. Ueberhaupt spielt Marcus bei De Wette immer die untergeord netste Rolle. Vergleichen wir vollends die letzten Ausgaben,6 so er scheint er geradezu als Epitomator der beiden Andern. Aber auch sonst ist D e Wette später von manchen früheren Behauptungen zurückge kommen; namentlich hat jetzt nicht blos Marcus, sondern auch Lucas den Matthäus unmittelbar vor Augen gehabt,7 und sind dafür einige andere Mittelglieder zwischen eingetreten, mit deren Annahme De Wette aller Zuhülfenahme von Parteitendenzen ihre Berechtigung ent rissen zu haben glaubt. Immerhin aber erklären sich bei ihm die Ueber- einstimmungen leichter, als die Differenzen. Eine andere Gestalt von Weiterbildung der Benutzungshypothese 1) Sartorius (Drei Abhandlungen über wichtige Gegenstände der Theologie, 1820, S. 50 ff.), Rett ig (Ephemerides exegetico-theologicae, 1 — 3, 1824). — 2) Unter suchungen über das Verwandtschaftsverhältniss der synoptischen Evangelien, 1844, S. 27 ff. — 3) Isagoge, 1830, S. 33 ff. 55 ff. — 4) Lehrbuch der Einleitung, 1840, S. 142 ff. 167 ff. — 5) Einleitung, II, 1826, S. 145 ff. — 6) Wir citiren im Folgenden die sechste, von Messner u. Lünemann 1860 herausgegebene, Auflage, S. 168 ff. — 7)A. a. O. S. 191. 26 Erstes Capitel. bietet Credner, der, nachdem schon Knobel gegen die Griesbach- sche Hypothese aufgetreten war, * dieselbe völlig aufgab. 2 Nachdem er aus inneren Gründen die Nichtapostolicität des Matthäus erwiesen (wie denn überhaupt nur das dritte Evangelium als authentisch anerkannt wird), sucht Credner zuerst aus der Nachricht des Papias zu bewei sen, dass die hebräischen sogenannten Xöyia des Apostels Matthäus die Grundschrift des kanonischen Matthäus seien. Dieser Letztere sei her vorgegangen aus der durch einen Palästinenser veranstalteten Zusam menstellung des ächten Marcus und der Xoyia. Gleich dieser Quelle sind auch die von Papias erwähnten Notizen des Marcus nach und nach verloren gegangen, seitdem sie in ihrer jetzigen Ueberarbeitung als zweites Evangelium erschienen waren. Lucas endlich besass in den Xö yia, in Matthäus, in Marcus und anderen Diegesen die reichsten Quel len, schrieb übrigens nicht blos ab, sondern beherrschte seinen Stoff selbstständig. Credn er's Hypothese kann um so mehr als combinirende Zusammenstellung aller bisherigen Versuche angesehen werden, als er auch Gieseler gerecht zu werden strebte, indem er als unterstes Fun dament der Evangelienbildung eine Art von mündlichem Urevangelium annahm, das aber farblos war und bald Gefahr lief, in Sage überzu gehen. Desshalb sah man sich bald zu schriftstellerischer Thätigkeit veranlasst, und so fanden nach der Zerstörung Jerusalems unsere Syn optiker ihre Entstehung. Bemerkenswerth insonderheit ist, dass Cred ner, wie er niemals eine Benutzung des Matthäus durch Marcus ge lehrt hatte, den Letztern immer entschiedener als Urevangelisten aufzu fassen vermochte. 3 Einen ähnlichen, in einfacher Weise combinirenden, Standpunkt nimmt Lachmann ein,4 der gleichfalls von mündlicher Tradition aus ging, welche dann gruppenweise zu Papier gebracht worden sei. So entstanden fünf Corpuscula evangelischer Erzählungen , deren erstes im Täufer, das zweite im messianischen Auftreten Jesu, das dritte in der gali läischen Lehrthätigkeit, das vierte in seinem späteren Wirken, das letzte in seiner Reise zum Tod seinen Mittelpunkt fand. Diese Corpuscula wurden alsdann verbunden zu einer Evangelien schrift, mit der zunächst Marcus stimmt. Matthäus aber ist eine Combination dieser Tradition mit der Redesammlung des Apostels Matthäus. Nach so vielen Versuchen schien nun zwar die Unmöglichkeit, das erste Evangelium auf apostolischen Ursprung zurückzuführen, einleuch tend gemacht (siehe die Literatur in §. 20), sonst aber blos die Unsicher- 1) De evangelii Marci origine, 1831. — 2) Einleitung in das Neue Testament, 1836, S. 57 ff., besonders S. 196 ff. — 3) Das Neue Testament nach Zweck, Ursprung und Inhalt, 1843, II, S. 242. — 4) De ordine narrationum in evangeliis synopticis: Studien und Kritiken, 1835, S. 570 ff. Geschichte des Problems. 27 heit und Haltungslosigkeit des ganzen kritischen Standpunktes, den man einnahm, offenbar geworden zu sein. Willkürliche Fictionen, vage Vorstellungen, abstracte Theorien, schwindelhafte Hypothesen waren in Masse zu Tage getreten ; aber nach einem sicheren Resultate sah man sich vergeblich um. 6) Eine neue Epoche beginnt ohne alle Frage mit dem Auftreten vonD.F. Strauss. Nach Lessing's Vorgang1 hatte schon Schleier macher mit aller Bestimmtheit den synoptischen Anfangs- und Schluss punkt der Geschichte Jesu für mythischen Charakters erklärt. Es gehört nicht hierher, auszuführen, wie dann einerseits D e Wette eine solche Be trachtungsweise der Lebensschicksale Jesu noch weiter ausgedehnt, Hase -andererseits in manchen Punkten die Menschheit Jesu auf das gewöhn liche Maass reducirt hatte. Strauss selbst spricht im Hinblicke auf diese seine Vorgänger von einer List der Vernunft , die den Arbeitern die Aussicht auf das ganze Gebiet ihres Thuns benimmt , damit diesel ben desto unerschrockener am Theile arbeiten und so ihr gemeinsames Werk um so nachhaltiger fördern möchten. 2 Er selbst sollte nun den Ueberblick geben über das ganze Gebiet der kritischen Thätigkeit. Zwar zur synoptischen Frage selbst steht sein Werk 3 nur in mittelbarer Be ziehung. Sein Raisonnement lautet eigentlich blos : ist der Inhalt aus der Luft gegriffen, so sind auch die Schriften weder von Augenzeugen, noch von genau Unterrichteten , und es verliert das kritische Interesse an den Schriften von vornherein seinen vornehmsten Anhaltspunkt. Nur sehr in zweiter Linie beschäftigt sich daher die mythologische Theo logie mit unserem Problem, bleibt aber im Ganzen im Geleise der, auf die mythische Fassung direct hinweisenden , Traditionshypothese , nur dass sie die Ueberlieferung lebendiger, concreter, dem Geiste der alter- thümlichen Anschauungsweise angemessener auffasste. Die ursprüng lichere Form dieser Tradition fand Strauss im Matthäus, Lucas dage gen gebe eine paulinische Färbung, und Marcus sei ein Auszug, was G r i e s b a ch »zur Evidenz erhoben. « 4 Bei diesem Schema hatte es dann vorläufig sein Bewenden auch auf Seiten derjenigen Kritik, die nach träglich einen wissenschaftlichen Unterbau zu der, als mangelhaft erkann ten,8 Geschichtsanschauung des »Lebens Jesu« zu liefern unternahm. 1) Von Lessing's »Duplik« (1778) sagt Weisse (Evangelische Geschichte, S. 64) sogar, dass sie dem Strauss' sehen Werk jedes Verdienst der Originalität genommen habe. — 2) Charakteristiken und Kritiken, 1844, S. 285. — 3) Leben Jesu, 1835, I, S. 11—76. 677 ff. — 4. Ausg. I, 1840 (von uns citirt), S. 61 ff. 597 ff. 702 ff. — 4) Le ben Jesu, I, S. 67. — 5) Vgl. Hilgenfeld (Zeitschrift für wissenschaftliche Theo logie, 1861, S. 145) über Strauss: »Ueber die Entstehung der Evangelien hat er nicht nur nichts Neues , sondern nicht einmal etwas Bestimmtes vorgetragen , da er sich mit Ausnahme der Behauptung einer doppelten Abhängigkeit des Marcus von Matthäus und 28 Erstes Capitel. Denn dass eben nach dieser Seite hin das , gegen die positive Auf fassung der evangelischen Geschichte so kühn aufgeworfene, Bollwerk eine offene Seite bot, konnte der sogenannten Tübinger Theologie, die sich jetzt dahinter verschanzte, nicht entgehen. War doch das einzige Verdienst, das sich Strauss auf dem Gebiet der Evangelienkritik er worben hatte, von sehr zweifelhafter Natur. Er hatte einfach, wie er selbst mit gewohnter Schärfe sich ausdrückt, alle jene Lichter histori scher Zeugnisse, mit denen man bisher die Entstehung der Evangelien zu beleuchten gewohnt war, ausgelöscht und es Andern überlassen, in der eingetretenen Finsterniss ihre Augen wieder an die Unterscheidung des Einzelnen zu gewöhnen. x Leider hat es gerade die, ihm gegenüber tretende, apologetische Literatur mit dieser, ihr gestellten, Aufgabe all zu leicht genommen. Der einzig legitime Modus der Erwiederung hätte darin bestanden, die vorausgesetzte ägyptische Finsterniss vorläufig ein zuräumen , aber nun vermittelst des Tastsinnes sich von der nicht hin weg zu disputirenden Realität der evangelischen Quellen, zunächst der synoptischen, zu überzeugen , ihre Beschaffenheit und ihr gegenseitiges Verhältniss genau zu untersuchen und dann zu fragen : welcherlei ge schichtliche Vorgänge setzt das Entstandensein solcher Schriften mit solchem Inhalt als ihre Veranlassung voraus? Aber gerade in dieser Hinsicht stehen auch die bedeutendsten Gegenarbeiten um keine Stufe höher, als das »Leben Jesu.« Bei Neand er 2 bleibt die Frage nach den Quellen völlig im Hintergrund; nur bei Tholuck, der eine schlagende Polemik gegen die Griesbach'sche Hypothese liefert3, tritt sie mehr hervor. So vielen Scharfsinn aber auch Wieseler4 auf die chronologi sche Seite seiner Arbeit verwendet hat, und so treffenden Witz Ebrard5 oft im Einzelnen gegen die Mythentheologie aufzubieten weiss, so gilt doch von Ersterem gerade so gut, was Bleek von Letzterem sagt, seine Aufstellungen über die Entstehung der Synoptiker seien » durchaus un befriedigend, ohne Zweifel die schwächste Partie des Werks.«6 Nicht besser sieht es aus mit den apologetischen Bemühungen von Harless7 und Anderen. Bios Weisse hat, von ganz anderen Interessen aus gehend, auf den oben bezeichneten entscheidenden Punkt sowohl im Lucas , lediglich auf die Unsicherheit der kirchlichen Ueberlieferung beschränkt und im Allgemeinen auf den Ursprung der Evangelien aus mündlicher Ueberlieferung hin gedeutet hat.« — 1) Leben Jesu, I, S. 108. — 2) Das Leben Jesu Christi in seinem. geschichtlichen Zusammenhang und seiner geschichtlichen Entwicklung, 1837, 4. Ausg. 1845 (im Folgenden citirt), S. 10 ff. — 3) Glaubwürdigkeit der evangelischen Ge schichte, S. 248 ff. — 4) Chronologische Synopse der vier Evangelien, 1843. — 5) Wis senschaftliche Kritik der evangelischen Geschichte, 1842, 2. Ausg. 1850. — 6) Beiträge zur Evangelien - Kritik 1846, vgl. besonders die bedächtige, aber scharfe Kritik Ebrard's S. 1—91. — 7) Lucubrationes evangelia canonica spectantes, 1841. Geschichte des Problems. 29 Allgemeinen, als auch insbesondere auf die primäre Bedeutung, die hier für der synoptischen Frage zukommt, ein anerkennenswerthes Gewicht gelegt.1 Sein Werk bewies allerdings zum ersten mal die Möglich keit einer, den höchsten Forderungen der historischen Wissenschaft entsprechenden, Darstellung der Lebensgeschichte Jesu, zu deren Herstellung er sich eines treffenden kritischen Apercu's als Handhabe bediente. 2 Auf diese Weise ist bei ihm allerdings der kritische Appa rat für die Darstellung noch nicht von der letzteren selbst gesondert ; er hat aber nach beiden angedeuteten Seiten nicht blos in jenem Buche, sondern auch in der siebenten Rede »über die Zukunft der evangeli schen Kirche, « wo er eine vollständige Selbstdarstellung des synopti schen Christus zu geben unternimmt, 3 sowie in einigen späteren Nach trägen* so Eingehendes geleistet, dass es ihm zu der neuerdings erho benen Klage, man habe rechter, wie linker Seits den von ihm einge setzten Hebel ignorirt, keineswegs an Grund fehlt.5 Uebrigens findet er in Schlei ermacher's Aufstellungen über Matthäus, in denen Lachmann's über Marcus die Prämissen zu jeder zukünftigen Schluss folgerung; Matthäus erscheint ihm daher als Zusammenarbeitung der Redesammlung des Apostels und des ursprünglichen Marcus, von dem unser kanonischer Marcus eine defecte Gestalt darstellt, — so wenig stens in den Nachträgen. 6 Man kann sagen, dass Weisse die Marcushypothese eigentlich neu entdeckt und zum erstenmal wissenschaftlich begründet hat. Ist sein Werk auch bei der seither unendlich fortgeschrittenen mikroskopi schen Detailuntersuchung heutzutage zurückgetreten, so muss doch immer noch jede ernste, auf die Resultate der Vorgänger gestützte und nach soliden Angelpunkten für die geschichtliche Auffassung des Le bens Jesu ringende Untersuchung mindestens von ihm ab ihren Aus gangspunkt nehmen, da dasselbe in letzterer Beziehung trotz seiner etwas schwerfälligen Sprache ohne Vergleich mehr geleistet hat, als hundert jetzt verschollene glatt geschriebene Antistrausse, die nur das eine In teresse ihrer Urheber bekunden, auf eine möglichst compendiarische und bequeme Weise über alle Schwierigkeiten hinauszukommen. In dessen verschlang früher das Interesse an der Geschichte noch alles Andere, und eben in dieser Beziehung »verwarf Weisse zu Vieles in 1) Die evangelische Geschichte, kritisch und philosophisch behandelt, 1838. Vgl. besonders I, S. 29 — 83.— 2) Evangelische Geschichte, I, S. IV.— 3) Reden über die Zukunft der evangelischen Kirche, 2. Ausg. 1849, S. 214 ff. — Philosophi sche Dogmatik, I, S. 149 ff. — 4) Die Evangelienfrage in ihrem gegenwärtigen Sta dium, 1856.— 5) Protestantische Kirchenzeitung, 1860, Nr. 52. — 6) Evangelien frage, S. 155—165. In der Evangelischen Geschichte (I, S. 54) glaubt er noch an die Ursprünglichkeit des jetzigen Marcus. 30 Erstes Capitel. den Evangelien als ungeschichtlich, als dass sein Gegensatz gegen Strauss grösseren Erfolg hätte erreichen können. 4 Nicht minder gilt das Letztgesagte von dem gleichzeitigen Werke Gfrörer's, das immer hin interessante Anhaltspunkte für die Beurtheilung des geschichtlichen oder sagenhaften Inhalts der Evangelien in Menge bietet, dagegen aber in seiner Zurechtlegung der Synoptiker (Lucus soll zuerst geschrieben haben auf Grund der relativ besten Quellen, später und unsicherer Mat thäus , Marcus schreibt beide aus 2) allzu oberflächlich gearbeitet ist, als dass es von Einfluss hätte sein können. Dagegen bahnte einen weiteren entschiedenen Fortschritt ebenfalls zu ganz gleicher Zeit Wilke an, indem er der nebelhaften Unbestimmtheit eines mythenbildenden Zeit- bewusstseins gegenüber die sichere und folgenreiche Thatsache der Eigenthümlichkeit der einzelnen Synoptiker betonte. Sein Buch war, ohne alle Beziehung zu der von Strauss angeregten Streitfrage, aus zehnjährigen mühevollen Studien entstanden und gründet durchaus auf der Beobachtung, dass die Evangelisten nicht blos in dem gedächtniss- mässigen, sondern auch in dem reflexionsmässigen Antheil ihrer Berichte meist bis auf Zufälligkeiten des Ausdrucks übereinstimmen,3 während die am meisten in's Auge fallenden Abweichungen des Einen vom Andern nicht auf Tradition , sondern auf schriftstellerische Reflexion zurück geführt werden müssen. 4 Indem so Wilke — allem hochfahrigen Construiren direct entgegen tretend — eine Menge mühsamer Einzel forschungen zusammenstellte, hat er wieder auf das schwierige Rechen- exempel aufmerksam gemacht, welches zuerst zu lösen ist, ehe die be liebte Frage »historisch oder mythisch« mit Erfolg behandelt werden kann. »Es werden Missgriffe in der Exegese dieser Schriften und in der Behandlung ihres Textes kaum zu vermeiden sein, so lange ihr ge netisches Verhältniss zu einander unaufgeklärt bleibt, oder darüber fal sche Bestimmungen adoptirt werden. Die sogenannte Einleitung in's Neue Testament erweckt schon an ihrer Stirn Misstrauen gegen sich, wenn sie über den Ursprung der Evangelien nichts Gründliches sagen kann, oder, sobald sie den Mund öffnet, um über die ersten Schriften zu reden , mit Voraussetzungen anfängt , denen sogar vorhandene Data widersprechen. «5 Um so mehr wurde das Buch freilich von der hoch- müthigen Negation und der nicht minder hochmüthigen Position igno rirt. Begegneten sich doch diese beiden Richtungen in derselben aprio- risirenden Sicherheit, womit man den mühevollsten Theil der Unter- 1) Hilgenfeld: a. a. O. S. 11. — 2) Geschichte des Urchristenthums, II (Die heilige Sage), 1838. 1 , S. 82. 2, S. 81 ff. 123 ff. 249. — 3) Der Urevangelist , oder exegetisch kritische Untersuchung über das Verwandtschaftsverhältniss der drei er sten Evangelien. 1838, S. 30. — 4) S. 99. — 5) Urevangelist, S. 19. Geschichte des Problems. 31 suchung als bereits abgemacht ansah. Die Schärfe des Wilke'schen Buches ist gleichermaassen gegen beiderlei Verkehrtheiten gerichtet. So lange sie noch tauben Ohren predigen, verdienen diese seine Worte unausgesetzte Wiederholung: »Es muss Jedem, der sich für Wahrheit aufrichtig interessirt, wehe thun, ein Verhältniss, auf dessen Durchfor schung eine wichtige Entscheidung beruht, verkehrt zu sehen, oder be merken zu müssen, dass das Wahre verborgen bleibt darum, weil man Das, was wirklich vorhanden ist, nicht sehen will. Sieht man aber, wie eine Sache, die allseitig ohne angestrengtes Studium nicht erkannt wer den kann, ganz ohne alles Bestreben, sie wirklich zu erkennen, nur nach der Oberfläche beurtheilt wird, und dass da, wo man sich anstellt, Resultate von Untersuchungen zu geben, wie vom Dreifusse herab, Aus sprüche, die sich auf gar keine Untersuchung gründen , mit der Zuver sicht, als ob nichts wahrer und gewisser sei, als eben Das, was sie offen bar Falsches enthalten, den Wissbegierigen geboten werden : dann fühlt man die Regungen eines geheimen Unwillens, und es wird der stille Wunsch zur Sehnsucht, dass die Wahrheit an den Tag gebracht, und der Irrthum verdrängt werde. « ' So hat diese Schrift das Verdienst, den Wegweiser für die For schung richtig gestellt und die Länge und Schwierigkeit der Reise fühl bar gemacht zu haben. Insonderheit wendet sich Wilke gegen die, um ihrer Incommensurabilität willen weit verbreitete Traditionshypothese,2 die er zwar zuerst noch scharfsinniger, als dies bereits geschehen war, zu begründen sucht,3 aber nur um zu zeigen, dass vor ihr selbst das anti- quirte Urevangelium noch manche Vorzüge besessen habe. 4 Nicht min der schlagend ist die Widerlegung der Diegesentheorie. 5 Hiernach — so schliesst Wilke weiter — kann im Gegensatz gegen die beiden eben zurückgewiesenen Hypothesen das Verhältniss der synoptischen Evan gelien nur in der Annahme eines, in ihrem eigenen Umkreis zu suchen den , Urevangeliums seine Erklärung finden ; dann aber liegt es schon von vornherein am nächsten, als diesen Inbegriff des Gemeinsamen das zweite Evangelium aufzufassen, dessen ganzer Inhalt mit Ausnahme weniger Verse in 'Matthäus und Lucas übergegangen ist. So gelangt Wilke auf entsetzlich weitläufigem Wege zu einem Resultate, für des sen Richtigkeit er in alle Ewigkeit Brief und Siegel gegeben zu haben glaubt, dass nämlich Marcus die gemeinschaftliche Wurzel und Grund lage des synoptischen Textes sei. 6 Die Mängel seines Verfahrens be ruhen in der zu einseitig formalistischen und quantitativen Betrach tungsweise des Verfassers einerseits , in den ebenfalls gar nicht seltnen 1) S. 22. — 2) S. 26 ff. 156 ff. 656. — 3) S. 36 ff. - 4) S. 156 ff. — 5) S. 560 ff. 657 f. — 6) S. 26—161. 478 f. 684. 32 Erstes Capitel. Willkürlichkeiten in Bezug auf Eliminationen und Textkritik überhaupt andererseits, l während der , von Seiten der Tübinger Schule erhobene Vorwurf, die Wilke' sehe Arbeit baue ihre Resultate blos auf die logi schen Verhältnisse der einzelnen Texte, statt auf den dogmatischen Cha rakter der Evangelien und ihre geschichtlichen Verhältnisse im Ganzen und Grossen, 2 ihr für einen andern theologischen Standpunkt eben so gut zum Lob gereichen konnte. 7) Aber schon Wilke, obschon er im Allgemeinen sein Resultat ganz unabhängig von dem Urtheil über den Inhalt stellt, hatte doch so wohl die schriftstellerische Selbstständigkeit der einzelnen Synoptiker behauptet , als auch insonderheit die Differenzen derselben dadurch zu erklären gesucht, dass er sie in den Bereich des Bewussten und Absicht lichen verlegte; sie zeugen ihm also von Reflexion, von Tendenz der Schriftsteller. Ja sogar das Urevangelium selbst war für ihn weniger durch geschichtlichen Zusammenhang, als durch vorausgesetzte allge meine Sätze bedingt, zu denen der Evangelist nach alttestamentlichen Typen Beispiele erfindet. 3 Ebenso verwandelten sich die Mythen, die bei Strauss ganz den Charakter des Unbewussten tragen, bei Weisse vielfach in die Producte bewusster Symbolik und Allegorie. Ja schon Hug, indem er die früheren Evangelien einer bewussten Correctur durch die späteren unterworfen werden liess , schon Gieseler, indem er dem paulinischen Charakter des Lucas das Wort redete , hatten der sogenannten Tendenzkritik vorgearbeitet. Ehe diese nun in ihrer clas sischen Tübinger Gestalt auftrat, sollten indess einige exorbitante Aus läufer die äussersten, möglichen und unmöglichen, Consequenzen der ganzen Richtung darthun. So wollte der » sächsische Anonymus « nachweisen, dass die Evangelisten nichts weniger, als jene »schlichten Fischerseelen« seien, wozu die gutherzige Faselei sie gemacht, sondern »kein einzig Wörtchen in ihren Schriften, auch nicht das unschein barste, ohne die bewussteste Absicht und einen ganz speciellen Sinn gewählt« sei. 4 Er zog daher besonders gegen Lucas in's Feld, welcher nach paulinischem Parteiinteresse die Tradition entstellt habe. Densel ben paulinischen Einfluss statuirte ein preussischer Anonymus sogar mit Bezug auf Matthäus. 5 Bruno Bauer aber that, was sich Strauss am Schlüsse seiner Einleitung ausdrücklich verbeten hatte, er machte aus 1) Weisse: Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, 1838, S. 613 ff. Schwegler: Theologische Jahrbücher, 1S43, S. 208 ff. — 2) Schwegler: A. ». 0. S. 212 ff. 225 f. 231. Hilgenfeld: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1861, S. 158. — 3) S. 670 f. 684. — 4) Die Evangelien, ihr Geist, ihre Verfasser und ihr Verhältniss zu einander, 1845. S. 28. — Zweite unveränderte Aufl., 1852. — 5) Mel- cher: z/o? fioi nov arco, oder das AbhängigkeitBverhältniss der vier kanonischen Evan gelien, 1847. Geschichte des Problems. oo dem Nicht- Wissen, was geschehen sei, ein Wissen, dass Nichts ge schehen sei. ] Ihm erscheint daher das »Leben Jesu« seines Vorgängers als ein Buch vollendeter Nullität, die Tübinger Kritik als Apologetik. Für ihn giebt es kein allgemeines mythenschaffendes Bewusstsein, son dern nur einzelne Individuen erfinden Mythen ; das Selbstbewusstsein des schöpferischen Urevangelisten hat Alles producirt vermöge des, in ihm sich vollziehenden, dialektischen Processes des religiösen Geistes. Dieser schöpferische Urevangelist ist — nach dieser Seite beruft sich Bauer ausdrückhch auf Wilke, dessen Resultate er sich aneignet — kein Anderer, als Marcus, der aus dem »urchristlichen Selbstbewusst sein« die evangelische Geschichte selbst erfunden und Anlass zur ganzen Bewegung des Christenthums gegeben hat mit einem, in die Welt ge schleuderten, Buche, welches die plastische Darstellung der Revolution gegen die gesetzliche Welt enthielt. Unsere Evangelien aber sind theils, wie Marcus, glücklichere, theils, wie Matthäus und Lucas, verunglückte Variationen jenes Urberichtes. So ungünstig derartige Ueberstürzungen auf die Marcushypothese zurückwirken mochten , so fand dieselbe doch gerade in jener Zeit wei tere besonnene Vertretung von Seiten So mm er's2 und Hitzig's, der eine Reihe von schlagenden Einzelbeobachtungen beifügte. 3 Selbst ein katholischer Theologe, Sepp, legte den Marcus seiner geschichtlichen Darstellung zu Grunde, 4 und Lange behauptete wenigstens seine Un abhängigkeit von den andern Synoptikern.5 Aber das grosse Fahrwasser der Tendenzkritik hatte schon zuvor eine andere Richtung genommen. Erst Baur will den »wahrhaft historischen« Weg, die Differenzen der Synoptiker zu erklären, betreten haben. War bei Strauss noch die erste Frage die nach der objectiven Realität des Erzählten, so ist bei ihm die erste Frage vielmehr : wie verhält sich das Erzählte im Bewusst sein des erzählenden Schriftstellers ? was wollte und bezweckte der Ver fasser eines Evangeliums ? So vertiefte und ergänzte Baur die mythi sche Theorie durch eine Quellenkritik, in der er alle früheren Unter suchungen mit durchschlagendem Erfolg zusammenzufassen schien, in dem nun aus Allem, was ein Evangelium Specifisches, Individuelles, rein Subjectives hatte, sein eigenthümlicher Charakter erschlossen, und dieser Charakter wieder aus den dogmatischen Gegensätzen des Urchri- stenthums erklärt werden sollte. Er überliess indessen seinen Schülern 1) Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker, 1841, 1842. Obwohl von Zeller (Theol. Jahrbücher, 1843, S. 35 ff.), Schwegler (Ebendaselbst, S. 241 ff.), Baur (Evangelien, S. 63 ff.) hart angelassen, gab er seine Ansichten noch einmal her aus: Kritik der Evangelien und Geschichte ihres Ursprungs, 1850 — 1852. — 2) Synop tische Tafeln, 1842. — 3) Ueber Johannes Marcus, 1843, S. 37—62. — 4) Das Leben Christi, 1846. 2. Ausg. 1855. — 5) Leben Jesu, I, S. 223. — Holtzmann. 34 Erstes Capitel. auf diesem Theil des grossartigen, durch ihn cultivirten, Arbeitsfeldes die Initiative. Schwegler eröffnete die Erklärungen der Tübinger Schule mit der Behauptung, das Verwandtschaftsverhältniss der synoptischen Evan gelien werde wohl nie völlig aufzuhellen sein ; wenn aber einiges Licht in die verwickelte Frage gebracht werden könne, sei dies jedenfalls nur zu erreichen vermöge einer Zusammenstellung der synoptischen Evan gelien mit jenen Verhältnissen und Controversen , in welchen sich die älteste christliche Kirche überhaupt bewegte.1 In engster Beziehung auf diese Verhältnisse stehe nun aber die Ueberlieferung von einem petrini schen Einfluss auf die Abfassung des zweiten , von einem paulinischen auf die des dritten Evangeliums ; bei näherer Betrachtung erweise sich freilich Marcus vielmehr als Epitomator, und der wahre Repräsentant des Judenchristenthums sei Matthäus, ein Buch, das mit dem Hebräer evangelium in nächste Verwandtschaft gebracht wurde. 2 Sonach sind die Evangelien Tendenzschriften , aus der Ansammlung und verschie denartigen Färbung bruchstückartiger Ueberlieferungen entstanden. 3 In dieser Richtung hatte demnach Schwegler, der schon 1846 seine Resultate zusammenfassen konnte,4 beinahe auf allen Punkten Baur vorgearbeitet. Auch Baur betrachtete in seinem, hier einschlägigen, Haupt werke5 den Matthäus als den ursprünglichsten Evangelisten, seine Schrift als die relativ glaubwürdigste Darstellung der Geschichte Jesu, insofern sie noch viele ächte Reden, wie z. B. c. 5 — 7. 13 enthalte und in solchen Theilen auf apostolischen Quellen beruhe. So sehr aber die ses Evangelium sich demnach dazu eignete , Grundlage der übrigen zu werden, so dürfen wir doch nicht vergessen, dass es in seiner jetzigen Gestalt selbst schon durch ein Medium hindurchgegangen ist, das wir nicht mehr zu durchschauen im Stande sind. Es gehört nämlich zu den Grundvoraussetzungen der Tübinger Aufstellungen eine Traditionshypo these, welche den evangelischen Geschichtsstoff als ein, jedweder will kürlichen Gestaltung fähiges, Product der Ueberlieferung auffasst; die hauptsächlichste Aufgabe dieser Kritik besteht daher darin, aus den Eigenthümlichkeiten der einzelnen schriftlichen Fixirungen der Tradi tionen nach den Parteigegensätzen zu forschen, auf die sie zurückzu führen sein möchten. So war also das älteste, aramäisch geschriebene, Werk jenes apostolische EvayyiXiov xad-' hßgaiovg, welches vollkommen die Anschauungen des Ebionitismus darbot und unter dem Namen des 1) Theologische Jahrbücher, 1843, S. 235 f. — 2) A. a. O. S. 233. 236 ff. — 3) A. a. O. S. 265. — 4) Nachapostolisches Zeitalter, I, S. 197—259. 455 — 481. II, S. 39 — 73. — 5) Kritische Untersuchungen über die kanonischen Evangelien, 1847. Geschichte des Problems. 3 5 Matthäus oder des Petrus cursirte. Aus diesem Originalwerke gingen dann andere Recensionen hervor, namentlich auch unser griechischer Matthäus , welcher als freie Bearbeitung des, seines streng judenchristli chen Charakters entkleideten , Hebräerevangeliums gelten muss, daher der kanonische Matthäus sowohl judaistische, als universale Elemente enthält, so dass er, weil das Judaistische mit dem Nationalen überhaupt zusammenfällt, als keine Tendenzschrift im strengen Sinne des Wortes gelten darf. Ein, vom kanonischen Lucas zu unterscheidender, Urlucas folgte als zweites Werk; derselbe erscheint auch hier, wie beim »sächsischen Anonymus«,1 als einerein patilinische Tendenzschrift. Auf Grundlage dieses Urlucas und des kanonischen Matthäus entstand nun aber zu nächst unser Marcus, ein im Interesse der Neutralität geschriebener, die beiderseitigen Spitzen abbrechender oder umgehender, Auszug. Doch schreibt Marcus nicht geradezu ab ; er giebt oft mehr , hat aber keine neuen Quellen, keine »eigenen Mittel«, sondern spinnt blos einzelne Züge weiter aus in meist rationeller Weise. 2 Erst jetzt entstand unser kanonischer Lucas, dessen sehr verschie denartige Elemente auf Grund des marcionitischen Lucas geschieden sein wollen; die bisher schon als paulinisch erkannten Züge des Evan geliums werden daher in den Urlucas verlegt, während die mehr judai- sirenden Stellen einem unionistisch gesinnten Redactor zur Last fallen.3 8) Diese Tendenzkritik hielt es im Allgemeinen mit der, damals eben in Misscredit kommen wollenden, Griesbach'schen Hypothese,4 im richtigen Gefühl, dass eine Anerkennung irgend welcher Selbst ständigkeit des Marcus ihr tödtlich sein werde. 5 In ihren eigenthümli chen Aufstellungen fand diese Kritik aber fast blos innerhalb der Tü binger Schule Beifall, ward, ohne einer recht umfassenden Theilnahme sich zu erfreuen, in den » Theologischen Jahrbüchern« verhandelt , von den Apologeten aber verworfen, ohne in ihrer Beweisführung wirklich erschüttert zu werden. Diesem letzt angedeuteten mühelosen Geschäfte lagen namentlich ob einerseits Thiersch, der zuerst mit der Giese- ler'schen Mündlichkeit,6 dann mit Eingehen in die Marcushypothese, die er als festen Wall zur Vertheidigung der geschichtlichen Wahrheit des Evangeliums preist, womit er aber dennoch die Echtheit des griechi schen Matthäus vereinigen zu können glaubt , 7 die überall einsinken- 1) S. 571 ff. 574 ff. 620 f. — 2) S. 548 ff. — 3) S. 428 ff. 502 ff. — 4) Schweg ler: Theologische Jahrbücher, 1843, S. 203 ff. Nachapostolisches Zeitalter, I, S. 457ff. Baur: Evangelien, S. 548 ff. Marcusevangelium, S. 110 ff. Theologische Jahrbü cher 1853, S. 54 ff. — 5) Vgl. Weisse: Evangelienfrage, S. 73. — 6) Versuch zur Wiederherstellung des historischen Standpunktes für die Kritik des Neuen Testamen tes 1845, S. 119 ff. — 7) Kirche im apostolischen Zeitalter, 1852, S. 100 — 104. 3* 3g Erstes Capitel. den Trümmer der traditionellen Vorstellung stützen wollte ; andrerseits Hengstenberg, der in charakteristischer Weise den, oben gekenn zeichneten, Standpunkt Hugs aufs Neue einnahm. l Ein weiteres Stadium in der Behandlung unserer Frage beginnt 1849 mit Ewald. 2 Er hat die Forschung zuerst wieder aus einer Sackgasse herausgeführt, in welche sie sich vermöge der Tendenzkritik verirrt hatte , hätte sie sogar noch rascher und allseitiger in andere Geleise fü gen können , wenn er so manche tüchtige Vor- und Mitarbeit wie z. B. Wilke's Buch3 hätte beachten wollen. Die Tübinger Kritik hatte, in dem sie das Räthsel der Evangelienbildung durch dogmatische Analyse zu lösen strebte, die eigentlich kritische Seite an der Sache fast gänzlich vernachlässigt. Von Sprachvergleichung und allen jenen, auf das Ge biet des Formellen fallenden, Untersuchungen und Beobachtungen, die jeder, aus sachlichen Gründen entnommenen, Entscheidung vorangehen müssen, hatte die Tübinger Kritik, von dem einzigen Zeller abge sehen, fast völlig Umgang genommen; überall war es nur die Tendenz, der man nachspürte, bis in das harmloseste Detail der unscheinbarsten Nachricht herein. Dies war es, was der, gegen seine frühern CoUegen von Tübingen leidenschaftlich eingenommene, Ewald als »niedrige Gesinnung«, als »viehische Wildheit« der »trübseligen Tübinger Schule« bezeichnete, der gegenüberzutreten er sich gedrungen fühlte. Dabei hat er das gute Bewusstsein , keine unüberwindlichen Schwierigkeiten zu finden. »Nichts ist verhüllt, was nicht aufgedeckt, noch verborgen, was nicht offenbar würde« — mit dieser, jedoch schon vom »sächsischen Anonymus« vorweggenommenen, Losung geht er an die Arbeit. Bei ei ner schon so vielfach ventilirten Frage verstand es sich freilich von selbst, dass auch Ewald nur theilweise einen neuen Weg einschlagen konnte. Obwohl er daher seine Vorgänger ignorirt, beschreibt er doch die An fänge der historischen Literatur ähnlich, wie Schleiermacher. Er geht von der Tradition und ihren Trägern, den Reiseevangelisten, aus, weist auf das entstehende Bedürfniss hin, theure Erinnerungen zu fixi- ren, die einzelnen Erzählungen aber zu verbinden. So kam es zu einer gruppenweisen Aufzeichnung von Hauptpunkten, z. B. der Leidensge schichte. Endlich versuchte man, diesen ganzen Erzählungsstoff in grösseren Zusammenhang zu bringen. Einen solchen Erstlingsversuch stellte die erste erkennbare Quelle Ewald's dar. Dieselbe war ur- 1) Evangelische Kirchenzeitung, 1858, S. 627 ff. Das Evangelium des heiligen Johannes, I, S. 93. — 2) »Ursprung und Wesen der Evangelien« in den Jahrbüchern I, S. 113 -154. II, S. ISO- 224. III, S. 140 — 146. — Die drei ersten Evangelien übersetzt und erklärt, 1850 (erklärt durch neunfachen Druck das Quellenverhältniss ad oculos). — Geschichte Christus, 1855 (von uns citirt), S. IX, 103 ff. 2. Aufl. 1857, S. XI, 125 ff. — 3) Vgl. Göttinger Anzeigen, 1S61, S. 1938. Geschichte des Problems. 37 sprünglich hebräisch vom Evangelisten Philippus geschrieben — eine Darstellung der merkwürdigsten Ereignisse und Reden, der »höchsten Spitzen«, um die sich der übrige Erzählungsstoff gleichsam an schwemmte — immer noch eine verhältnissmässig kurze Schrift ohne lange Reden , ohne Vorgeschichte. Dagegen traten die Momente der Taufe und der Verklärung besonders in dieser Erzählung hervor. Die Schrift wurde viel gebraucht, von Lucas in der Einschaltung benutzt, von Marcus fast ganz aufgenommen. Indessen bildete sich gleichzeitig auch eine Sammlung von Sprüchen Jesu, die aber von vornherein gruppirt und planvoll angereiht wurden, wie dies jetzt noch aus der Bergrede, aus den Gleichnissen u. s. w. her vorgeht. Dieses denkwürdige und vollendete Werk, das Ewald sehr ausführlich beschreibt, enthielt die Aussprüche Christi fast vollständig mit kurzen, erzählenden Einleitungen. Verfasser war der Apostel Mat thäus, der es hebräisch geschrieben hat. Aber schon Papias kannte meh rere griechische Bearbeitungen davon. Jedoch ist es nur eine dieser Üebersetzungen, die von allen Synoptikern, am vollständigsten jedoch von Matthäus (3 . 5 — 7. 10 — 13. 23 — 25), gebraucht wurde. Auf Grund beider Schriften, ohne dass dieselben übrigens vollstän dig aufgenommen worden wären, entstand dann drittens unser zweites kanonisches Evangelium, in dessen gerechterer Beurtheilung Ewald wieder den Faden der Forschung dort anknüpfte, wo er von den Tübin gern abgerissen worden war. Nach seiner Weise erkennt Ewald darin »frische Lebendigkeit und malerische Ausführlichkeit, « »Schmelz der fri schen Blume« und »volles , reines Leben der Stoffe. « Marcus, der zu gleich aus dem mündlichen Berichte des Petrus Manches aufnahm , hat dieses erste Evangelium in Rom verfasst. Aber unser jetziger Marcus ist nicht mehr ganz der ursprüngliche, sondern theils (z. B. 1 , 2. 1 6, 9 — 20) interpolirt, theils abgekürzt. Ja — nach späterer Modiflcation — wäre Marcus sogar erst in einer dritten Gestalt, die er nach Erscheinen des Matthäus erhielt, in den Kanon gekommen. 1 Da indessen diese Schrift, wie auch die erste Quelle, doch nur äus- serliche Daten zusammenreihte, mussten jetzt auch die »Höhen der Ge schichte« zur Darstellung kommen, es mussten die der inneren Herrlich keit Christi entsprechenden Momente fixirt werden. Dazu bot zwar auch Marcus Ansätze, wenn er z. B. die Verklärung erzählt und den Vorhang im Tempel zerreissen lässt. Aber eine ganze Reihe von Höhebildern, die himmlische Fortbewegung der Geschichte darstellend, hat sich zwar später am vollkommensten im vierten Evangelium zusammengefunden ; doch unterscheidet Ewald schon eine frühere vierte Quelle als ein sol- 1) Geschichte Christus, S. IX f. 38 Erstes Capitel. ches Buch der höheren Geschichte, worin z. B. die Geschichte der Ver suchung und des Todes Jesu ausführlicher erzählt, Jerusalem fj ayia noXig (Mt. 4, 5. 27, 53) genannt wird u. s. f. Besonders Matthäus und Lucas benutzten diese Quelle. Auf der fünften Stufe erscheint dann unser Matthäus, der alle vier Quellen , besonders die zweite, nebst einer Vorgeschichte , verarbeitete in wesentlich auf das Sammeln gerichteter Tendenz. Verfasser ist ein Juden christ, der für Juden und Judenchristen schrieb. Nun finden sich aber auch Spuren von wirklich poetischer Ge schichtsschreibung (wie z. B. das Loblied der Maria). Ewald nimmt daher noch drei Quellen an , um die Eigenthümlichkeiten des Lucas zu erklären. Das »sechste, nachweisbare Buch« soll sich übrigens durch Lieblichkeit und Zartheit der Rede, das siebente durch abgerissene, schwerfällige Diction auszeichnen, während gewisse Reste in ein achtes, aramäisch geschriebenes , verwiesen werden, Als Abschluss des synoptischen » Schriftthums« erscheint nun neun tens Lucas, ein grosses Sammelwerk, dessen Grundlage die genannten Quellen mit Ausnahme des Matthäus bildet ; seine Eigenthümlichkeiten erklären sich aus den letztgenannten Büchern vollkommen. 9) Es folgt eine Reihe von Auseinandersetzungen, aus welchen neue Mittelgestaltungen- hervorgingen. Dabei drehte sich die Haupt frage immer entschiedener um Marcus. Die Combinationen von Baur fanden innerhalb der Schule selbst Widerspruch. Hilgenfeld stellte den zweiten Evangelisten jetzt wieder in die Mitte zwischen Matthäus und Lucas, that seine Unabhängigkeit von Lucas klar dar und ver suchte, in die innere Oekonomie des Marcus tiefer, als bisher geschehen war, einzudringen. J In einem fünfjährigen Streit mit Baur hat er seine Position im Ganzen siegreich behauptet und zugleich die, von den Tübingern statuirten, Gegensätze gemildert. War doch schon dies ein Schritt näher zur Möglichkeit einer concreteren Auffassung der evange lischen Geschichte, dass Hilgenfeld's Methode, — die er im Gegensatz zu Baur's Tendenzkritik die literarhistorische nennt — nicht sowohl in dem Spätesten, dem vierten Evangelium, als vielmehr in dem Aeltesten und Ursprünglichsten ihren Ausgangspunkt findet und von da aus hauptsächlich zwei Positionen vertheidigt. Einmal soll der apostolische Kern des ersten Evangeliums, eine streng judenchristliche Schrift, die in unserem Matthäus eine universalistische Bearbeitung erlitt , den An- 1) Das Marcusevangelium, 1850. — Kritische Untersuchungen über die Evange lien Justins, 1850. — Theologische Jahrbücher, 1852, S. 102 — 132. 259 — 293.— Die Evangelien nach ihrer Entstehung und geschichtlichen Bedeutung, 1854. — Das Urchristenthum, 1855, S. 14 ff. — Theologische Jahrbücher, 1857, S. 417 ff. — Zeit schrift für wissenschaftliche Theologie, 1861, S. 178 ff. Geschichte des Problems. 39 fang aller Evangelienbildung bezeichnen, und zweitens soll der stetige Fortschritt der evangelischen Geschichtschreibung wesentlich an der Stellung des Marcus vor Lucas hängen, so dass in dem milden Petrinis- mus des Marcus eine Versetzung des ersten kanonischen Evangeliums mit Traditionen der römischen Kirche, im Lucas aber eine Bearbeitung aller früheren Quellen im entschieden paulinischen Sinne vorliege. So sehr nun der Verfasser bemüht ist , dieses Verfahren als ein von der Tübinger Kritik genau zu unterscheidendes darzustellen , und so sicher anzuerkennen ist, dass Hilgenfeld hinsichtlich des zweiten Evange liums, das er wenigstens nicht mehr aus Lucas erklärt, und des dritten, dem er keinen marcionitischen Lucas vorangehen lässt, einen Fortschritt über Baur angebahnt hat, so vollkommen eins ist doch seine Methode mit der Baur'schen hinsichtlich des ersten Evangeliums, dessen Ent stehungsweise er niclit etwa aus eingehender Vergleichung mit dem Text des Marcus und Lucas, sondern kurzer Hand aus den verschiedenen dogmatischen Standpunkten zu bestimmen sucht, die er in demselben wahrnimmt. Baur begriff daher nicht, wo das Recht einer solchen, im Princip doch übereinstimmenden, Abweichung von seinen Aufstellungen liegen solle und protestirte gegen jede Vermittlung, indem er die Griesbach'- sche Hypothese nur desto fester hielt,1 während nunmehr Ritschi — auch über Hilgenfeld hinausgehend und im Widerspruch mit den Antecedenzien seiner eigener Forschung2 — in einer epochemachenden Abhandlung den Marcus geradezu für die Quelle des Matthäus er klärte. 3 Hatte schon Hilgenfeld das literarische Verhältniss an der Sache wieder mehr betont, so ging nun der gerechteste und eingehendste Ver mittlungsversuch von Karl Reinhold Köstlin aus, einem Schüler Baur's und billigen Beurtheiler Ewald's. Richtig fühlt er, dass eine Beurtheilung blos nach der doctrinellen Tendenz ebenso einseitig sei, als auf anderer Seite die rein literarische Untersuchung. Indem er daher auf dem Wege angestrengter Detailuntersuchung eine kunstvolle und com plicirte Combination des qualitativen und des quantitativen Maassstabes herzustellen strebt, gelangt er zu Resultaten, die ebenfalls in der Mitte lie gen zwischen den bisher aufgetretenen Gegensätzen.4 Wie Ewald nimmt er eine grosse Anzahl von Quellenschriften und Mittelgliedern an, unter 1) Das Marcusevangelium, 1851. — Theol. Jahrbücher, 1853, S. 51 ff. — Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1859, S. 373 ff. — Christenthum der drei ersten Jahr hunderte, 1860, S. 24 f. — Tübinger Schule, S. 51. — 2) Vgl. das »Evangelium Mar cions,« S. 174. — 3) »Ueber den gegenwärtigen Stand der Kritik der synoptischen Evangelien« in den Theologischen Jahrbüchern , 1851, S. 480—538. — 4) Ursprung und Composition der synoptischen Evangelien, 1853, S. 2—5. 40 Erstes Capitel. denen besonders der (papianische) Urmarcus hervorragte. Aus einer Verschmelzung desselben mit der mündlichen Tradition und der Rede sammlung des Matthäus resultirte dann unser Matthäus. Während da her die Redesammlung noch dem Standpunkt des Urchristenthums an gehört, stellte Urmarcus einen halben (petrinischen) Universalismus dar, Matthäus endlich ist ganz correct katholisch. Auf Grundlage des Urmarcus entstand zunächst das Petrusevangelium ; und, alle genannten Quellen benutzend, wurde Lucas in Kleinasien componirt. Unser ka nonischer Marcus dagegen erscheint im Allgemeinen , ganz wie bei Baur, als Epitomator des Matthäus und Lucas, nur dass er zugleich als selbstständige Umarbeitung des Urmarcus auftritt. So vereinigt Köst lin alle drei möglichen Stellungen des Marcus, indem er einen Urmar cus postulirt, allen Synoptikern vorangehend, ein Petrusevangelium, das den Uebergang von Matthäus zu Lucas bildet und einen Epitomator in Griesbach'scher Weise. Der einfache Grund dieser überkünstli chen Construction ist aber der, dass ihm die Griesbach-Baur'sche Ansicht a priori feststeht, während er a posteriori bemerkt, dass sie nicht überall ausreicht. J Wenn sonach Köstlin in seinem Vermittlungsversuch manchmal näher zu Ewald rückt, als zu Baur, so hat seinerseits Guericke gegen die, auch von Köstlin noch im Uebermaass bewerkstelligte, Einschiebung von so zahlreichen Mittelgliedern, Protest eingelegt. 2 Höchstens zur Erklärung des Gemeinsamen zwischen Matthäus und Lucas ist nach Reuss eine solche Quelle anzunehmen; im Uebrigen sieht er in unserem Marcus die nicht sehr tief gehende Umarbeitung einer älteren Schrift des Marcus unter Benutzung anderer Quellen. Auf Grundlage der Spruchsammlung aber und wahrscheinlich unseres Mar cus entstand dann der kanonische Matthäus. 3 Noch einfacher glaubt Meyer, früher ein Anhänger Griesbach's, der aber seit 1853 zu Ewald hält, 4 das Quellen verhältniss bestimmen zu können , indem er — was Reuss leugnet 5 — geradezu den Mat thäus von Lucas benutzt werden lässt; dagegen setze Marcus die Spruchsammlung voraus und sei selbst wieder die Grundlage für den 1) S. 334 f. — 2) Gesammtgeschichte des Neuen Testamentes, 2. Ausg. 1854, S. 240 f. — 3) Geschichte der heil. Schriften des Neuen Testamentes, 3. Ausg. 1860, S. 174 ff. 189 ff. — Nouvelle revue de Theologie, II, S. 15—72. Hiermit sind zu ver gleichen die Bemerkungen von Scherer über die Synoptiker in derselben Zeitschrift III, S. 306 — 321. 371—383. IV, S. 36 — 60. 65—77. 339-349. — 4) Meyer war früher Anhänger der Griesbach'schen Hypothese, ging aber in der dritten (1853) und vierten (1858, von uns citirten) Auflage seines Commentars zu Matthäus, sowie in der dritten (1855) und vierten (1860, von uns citirt) zu Marcus und Lucas über. — 5) Geschichte, S. 191. — Revue de Theologie, X, S. 65 ff. XI, S. 165 ff. XV, p. 1 ff. Geschichte des Problems. 41 griechischen Matthäus und für Lucas, so jedoch dass Matthäus, der durch allmälige Erweiterung der Xöyia entstand, blos der Form nach abhängig von Marcus sein soll, während der von ihm gelieferte Stoff an sich auch ursprünglicher, als der des Marcus, sein kann. 1 Mehr oder minder in dasselbe Fahrwasser der Marcushypothese lenkten die neuesten Bearbeiter der synoptischen Frage ein : Tob ler ; der den Matthäus aus Marcus und der Spruchsammlung zusammengear beitet sein lässt, den Lucas aber als späteres Sammelwerk betrachtet;2 Plitt, der sich an Ritschl's Untersuchungen anschliesst; 3 und na mentlich Weiss, der jedoch zwischen Matthäus und Marcus ein wech selseitiges Abhängigkeitsverhältniss , oder vielmehr eine gemeinsame Quelle Beider, neben der Matthäus aber doch noch den Marcus brauchte, annehmen zu müssen glaubt. 4 Nachweis dieses Verhältnisses vermit telst einer genauen Analyse der parallelen Abschnitte ist daher Haupt inhalt seiner fleissigen Arbeit. Auch B u n s e n's » Bibelwerk « sieht in Marcus den einfachsten Typus der ältesten Ueberlieferung, dem Mat thäus, als Vertreter der ersten Gemeindeanschauungen, in der Ordnung des Kanons den Rang ablief. 5 Als mehr oder weniger ausserhalb dieses Zusammenhangs von ge genseitigen Hülfsleistungen zur Erreichung gemeinsamer Resultate stehend, müssen noch einige Erscheinungen Erwähnung finden, von denen etliche als Nachtriebe der Tendenzkritik auftreten. Doch gilt dies nicht von einem Aufsatz Kalchr euter's, der jedes schrift stellerisch vermittelte Abhängigkeitsverhältniss überhaupt leugnet und die Einheit in die christliche Erinnerung verlegt , wie die alte Ortho doxie , als deren anachronistisches Echo der Aufsatz gelten kann, sie in den erinnernden Geist verlegt hatte.6 Dagegen macht Volkmar jetzt den Marcus wieder zum Urevangelisten. 7 Als man an der aposto lischen Hoffnung auf die baldige Parusie anfing, irre zu werden, schrieb Marcus, um die Blicke von der Zukunft in die Vergangenheit zu wen den, das » urchristliche Epos von der ersten Parusie « in paulinischem Geist. Jetzt erhob das Judenchristenthum aber aufs Neue sein Haupt und machte sich über das paulinische Evangelium hinaus wieder Luft. Zwar der »Sohn Gottes« war durch Marcus durchgesetzt, aber man identiflcirte diesen theologischen Begriff mit dem des Messias. So in 1) Zu Matthäus, 1858, S. 12 f. 32 ff. 36 f. — 2) Die Evangelienfrage, zur Eeier des 25jährigen Bestehens der Universität Zürich, 1858, S. 18. 26 ff. — 3) De compo- sitione evangeliorum synopticorum, 1860. — i) »Zur Entstehungsgeschichte der synop tischen Evangelien« in denStudien und Kritiken, 1861, S. 29—100. 646—713. — 5) I, S. XL ff. 6) »Das Urevangelium«, Jahrbücher für deutsche Theologie, 1861, S. 507 —521. — 7) Die Religion Jesu, 1857, S. 195 ff. 291 ff. 347 ff. Die geschichtstreue Theologie und ihre Gegner, 1858, S. 14 ff. 42 Erstes Capitel. judaistischen! Interesse der, den Marcus überarbeitende, ursprüngliche Matthäus. In Folge einer hierdurch hervorgerufenen neuen Kraftan strengung des Paulinismus entstand, als Antwort auf den Matthäus, unser Lucas, der aber seiner Extravaganzen wegen wenig Glück machte und daher von freisinnigen Judenchristen in unserem kanonischen Evangelium Matthäus verarbeitet wurde. Damit war aber die rechte Mitte gefunden , und wir befinden uns auf der grossen Heerstrasse der katholischen Kirche. So meint Volkmar die B au r'schen Resultate so gründlich ver arbeitet zu haben, dass allen Späteren nur noch die Nachlese übrig bleibt. J Uebrigens hat dann , bauend auf seine Willkürlichkeiten, Schulze eine Evangelientafel herausgegeben, die auch desshalb nicht ganz unbrauchbar geworden ist , weil sie zugleich unter dem Einflüsse des Wilke'schen Buches steht. 2 Uebrigens tritt der Volkmar'schen Kühnheit und Willkürlich keit ziemlich ebenbürtig zur Seite die sogenannte Verfälschungshypo these des neuesten Anonymus, der unter dem Namen »Christianus« schreibt. Nach ihm hat Matthäus eine hebräische Schrift in dreifacher Form hinterlassen. Das Erste waren die Xoyia (Jac. 5, 12. 2Ptr. 1, 17), das Zweite die sogenannte nitrische Handschrift, deren Text später mit dem der Kirche ausgeglichen wurde, das Dritte die griechische Quelle des Papias. Diese Worte Christi sind aber im zweiten Jahrhundert von der römischen Kirche systematisch verfälscht worden. So entstand zuletzt erst nach Justin unser Matthäus, nachdem zuvor schon die Urschrift verloren gegangen war. Marcus schrieb die noch von Justin als Petrus evangelium benutzten, anofivrjfiovEv/naza twv anooxoXwv, die älteste erzählende Schrift, welche von Marcion umgewandelt und durch spätere Einschaltungen aus Lucas zu unserem Marcus ausgestaltet wurde. Erst nach Marcion entstand unser , von der römischen Kirche verfälschter, kanonischer Lucas. 3 Hilgenfeld hat sowohl das Ungeheuerliche in der Volkmar' schen Hypothese nachgewiesen,4 als auch gegen Christianus mit Recht bemerkt, dass ein solcher Einfluss der frühesten römischen Kirche auf die Bildung des Kanons in's Reich des Fabelhaften gehöre. 5 1) Geschichtstreue Theologie, S. 68. 73 f; — 2) Evangelientafel als eine übersicht liche Darstellung der synop tischen Evangelien in ihrem Verwandtschaftsverhältnisse zu einander, 1861. — 3) Der Ursprung der Evangelien nach den neuesten Forschungen für das Volk bearbeitet, 1 860 (Abdruck aus der zweiten Auflage vom »Evangelium des Reichs«), S. 7 ff. 11. 19. 22. 29 ff. 37. 39 ff. 42. 51 f. — 4) Theologische Jahrbücher, 1857, S. 386 ff. 421 ff. — Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1859, S. 252 ff. 1861, S. 183 ff. — 5) Literarisches Centralblatt, 1860, Nr. 41, S. 639 ff. — Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1861, S. 197 ff. Geschichte des Problems. 43 So ist unter den competenten Grössen bis jetzt Hilgenfeld ohne Frage der Letzte auf dem Platze geblieben ; er hat seine alten Ansichten unermüdlich, wie gegen Weisse,1 Meyer,2 Tobler, 3 Weiss,* so auch gegen einige kurze Bemerkungen des Verfassers vorliegender Schrift5 vertheidigt;6 freilich nicht ohne eine gespitzte Bemerkung bezüglich des Wagnisses, dass ein »erst 1858 auf den akademischen Lehrstuhl Gestiegener« sich Einwendungen gegen das eigene, in jahre langen Verhandlungen mit Baur, Ritschi, Volkmar u. A. heran gereifte, Urtheil erlaube. Ich besitze das Zutrauen zu meinem Gegner, er werde aus vorliegender Arbeit Veranlassung nehmen, mir wenigstens das Recht einer Berufung auf selbstständige Studien nicht mehr streitig zu machen. 7 1) Theologische Jahrbücher, 1857, S. 381 ff. — 2) A. a. O. S. 382 ff. — 3) Zeit schrift für wissenschaftliche Theologie, 1859, S. 252 ff. 1861, S. 193 ff. — 4) A. a. O. 1861, S.195 ff. 1862, S. 10 f. — 5) Schenkel's Allgemeine kirchliche Zeitschrift, 1861, S. 395 ff. 493 ff. — 6) Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1861, S. 196. 1862, S. 5 — 8. 33.40. — 7) Es könnte auffallen, dass wir mit Ausnahme von H u g keines katholischen Beitrags zur Lösung unserer Frage eingehendere Erwähnung ge than haben. In der That ist es keine erfreuliche Wahrnehmung, zu bemerken, wie wenig den katholischen Theologen der erforderliche Eifer und die Lust zu derartigen Untersuchungen zu Gebote zu stehen pflegen. Selbst Adalbert Maier, dessen exe getische Leistungen auf anderem Gebiete der Verfasser gern anerkannt hat , bringt in seiner »Einleitung in die Schriften des Neuen Testamentes« (1852, S. 29 ff.) eine so dürftige, zuletzt auf Griesbach's Hypothese sitzen bleibende, Erörterung, wie man bei hermetischer Absperrung gegen die schärfere Zugluft der protestantischen Kritik nur erwarten kann. Freilich lässt sich diese Ansicht immer noch hören gegenüber Reith- mayr's Behauptung, unter den verschiedenen Hypothesen, die zur Erklärung des synoptischen Verhältnisses aufgestellt worden , gebe die von Augustin aufgestellte das meiste Licht (Einleitung in die kanonischen Bücher des neuen Bundes, 1852, S. 346). Als ganz unanständig und tactlos aber sind zu bezeichnen die Manieren des Breslauer Professors Friedlieb, der in seiner »Geschichte des Lebens Jesu Christi« 1855, S. V den protestantischen Bearbeitern der evangelischen Quellen vorwirft, dass sie »statt vorhandene geschichtliche und andere Schwierigkeiten in dem Leben Jesu gewissenhaft zu lösen, oder wenn sie dies nicht vermochten, ihrenKräf- ten mehr entsprechende Arbeiten zu suchen, sich darin gefielen, Schwie rigkeiten aller Art zu häufen etc.« Es fehlte in der That nur noch, dass man zu der totalen wissenschaftlichen Impotenz, von welcher das genannte Buch Zeugniss ablegt, derartige windbeutelige Verachtungsphrasen hinzufügte über Leistungen, deren Maasse man gar nicht übersehen kann: so musste der widrige Eindruck aufs Höchste gestei gert werden, den jeder anständige Mensch immer wieder aufs Neue empfindet, wo er sieht dass ein schimpfliches Kokettiren mit wissenschaftlicher Methode und Form sich es im Ernst einfallen lassen darf, mit dem entschlossenen Streben nach ganzer und voller Wahrheit zu rivalisiren. 44 Erstes Capitel. §. 4. Die heutige Gestalt des Problems. Es ist im gegenwärtigen Moment der Entwicklung nicht mehr nöthig, die aufgeführten Erklärungsversuche der Reihe nach, jeden einzelnen mit gleicher Ausführlichkeit, zu behandeln , da sie sich theil weise bereits unter einander selber zerrieben haben. Ein guter Theil des erwähnten kritischen Materials gilt heutzutage anerkanntermaassen als ausgebrannte Schlacke, an der das Feuer der Kritik sein Werk defini tiv gethan hat. Indem wir daher vor Allem die brennenden Fragen von den bereits verlöschten zu scheiden uns bemühen, bringen wir zugleich die Masse der einzelnen Hypothesen in Reihe und Glied; wir stellen allgemeine Kategorien auf, um für das Einzelne forthin desto umfas sendere Gesichtspunkte zu gewinnen. Schon Eichhorn hat das Dilemma aufgestellt: entweder haben sich die Drei unter einander gebraucht, oder sie hängen von einer ge meinschaftlichen Quelle ab ; 1 d. h. entweder ist die Verwandtschaft eine unmittelbare, begründet durch den Gebrauch, den ein Evangelist von den Schriften des, resp. der andern machte, oder sie ist eine mittel bare, begründet durch den Gebrauch einer, vielleicht auch mehrerer gemeinsamer Quellen. Als Tertium Hesse sich dann eine Combination beider Möglichkeiten denken, wie solche ja auch in der That versucht worden ist. I. Wir beginnen mit der Untersuchung des vorausgesetzten Ur- evangeliums, und zwar zunächst des schriftlichen. Rein unmöglich ist nun jedenfalls die erste Hypothese Eich horn's; denn unsere Evangelien können keine üebersetzungen sein. Üebersetzungen werden an der Gezwungenheit der Diction und an Sprachfehlern erkannt; beide Kriterien lassen aber keine Anwendung auf die Synoptiker zu. Am wenigsten können unsere Evangelien als von einander unabhängige Üebersetzungen gelten ; dies beweisen die gemeinsamen schwierigen Ausdrücke. Welch ein wunderbarer Zufall wäre es z. B., dass die hebräischen Aoriste mit derselben griechischen Zeitform von allen Dreien wiedergegeben werden ! oder dass dieselben Präpositionen, dieselben seltenern Flectionen an bestimmten Stellen von allen Dreien -in Anwendung gebracht sind ! Wie auffallend , dass das hebräische "ifiü in gleicher Weise Mt. 6,11 und Lc. 11,3 mit dem befremdlichen Worte iniovotog übersetzt wurde ! Nicht minder lassen sich auch die übereinstimmenden Citate nur erklären auf Grund eines. gemeinsamen Textes. 1) Einleitung, I, S. 155. Gestalt des Problems. 45 Eine Umarbeitung dieser Hypothese war daher schlechterdings ge boten. Eichhorn liess somit den Matthäus zuerst aramäisch schreiben und dann mit Hülfe des griechischen Urevangeliums seine Schrift in's ' Griechische übersetzen. Aehnlich beruhen auch die anderen Evangelien zuletzt auf gemeinsamen Üebersetzungen. So angesehen hat die Hypothese vom schriftlichen Urevangelium einen unvergänglichen Wahrheitskern , indem sie auf an sich ganz rich tigen Beobachtungen beruht. Denn Eichhorn geht von den Stücken aus, in denen alle Drei sich treffen. Solche stellenweise Uebereinstim mung kann aber nicht blos daher rühren , dass die Verfasser durch per sönliche Gegenwart oder durch mündliche Ueberlieferung eine gleich umfassende Kenntniss von den Begebenheiten gehabt hätten. Vielmehr wenn sonst Geschichtschreiber als Zeugen oder Referenten derselben Thatsachen auftreten, pflegt jeder nach seinem individuellen Charakter, von seinem eigenthümlichen Gesichtspunkte aus , mit seiner Auswahl, mit seinen Worten zu erzählen. Hingegen findet sich in den Evange lien eine derartige Uebereinstimmung in Beziehung auf Form und In halt, namentlich auch in der Anreihung ganzer Folgen von Begeben heiten, dass dieselbe sich nur unter Voraussetzung des gemeinsamen Gebrauchs schriftlicher Denkmäler erklären lässt. 1 So gewiss aber die Harmonie der Synoptiker von der Art ist, dass sie gemeinsame literarische Quellen erfordert, so werden doch die Differenzen bei Eichhorn zu künstlich erklärt durch Einschiebung einer langen Reihe von Mittelgliedern, deren Existenz zur völligen Unmöglichkeit wird, wenn sie alle in einen so kurzen Zeitraum verlegt werden sollen , wie Eichhorn in Abhängigkeit von der kirchlichen Tradition über die Entstehung unserer Evangelien verlangt. Aber auch abgesehen davon , fragt man doch wohl : wenn die Verfasser dieser Mit telglieder die Urschrift variirten, warum konnten es nicht gleich unsere Synoptiker selbst thun? warum sollen Matthäus, Marcus, Lucas von ihren Quellen nur unter der Bedingung abweichen dürfen, dass schon zuvor ein Urmatthäus, ein Urmarcus, ein Urlucas Dasselbe gethan haben? Von Eichhorn datirt eben jenes, auch noch lange nachher bemerkbare Streben, die Verwandtschaftsverhältnisse auf eine, die Will kürlichkeit und Selbstständigkeit der einzelnen Evangelisten so viel wie möglich ausschliessende, Weise zu erklären, als ob die Willkür oder Selbstständigkeit weniger Willkür oder Selbstständigkeit sei und in dem Maasse begreiflicher werde, als wir sie auf Rechnung von unbekannten, statt bekannten, Grössen, bringen. Diese, den Fortschritt der Evangelien bildung nach rein quantitativem Maassstabe bemessende, Methode führte 1) Einleitung, I, S. 154 f. 46 Erstes Capitel. zuletzt dahin, die Verfasser unserer Evangelien in ein ganz mechanisches Verhältniss zu ihren Quellen zu setzen und sie mit kleinlicher Pedanterie zu Werk gehen zu lassen. Mit Recht erklärt Schleiermacher, er könne sich nicht denken »unsere guten Evangelisten von 4, 5, 6 aufgeschlage nen Rollen und Büchern, in verschiedenen Zungen noch dazu, umgeben, abwechselnd aus einem in's andere schauend und zusammenschreibend, « ganz nach Art »einer deutschen Bücherfabrik des XVHI. oder XIX. Jahrhunderts. « * Dazu kommt dann noch die complicirte Künstlichkeit, womit jene Mittelglieder in's Leben gerufen und in Reihe und Glied gestellt werden. Hier gerade wird eine Menge historischer Facta vor ausgesetzt, für die sich keine Zeugnisse aufführen lassen. Der wirkli chen Entstehung unserer Evangelien würde auf diese Weise ein so rei cher Literaturapparat vorangegangen sein, wie wir — auch abgesehen von dem Mangel bestimmter Zeugnisse — ihn schon von vornherein in die unschriftstellerische Zeit von circa 70 n. Chr. nicht hineinver legen können. Die Hypothese führt also einen willkürlichen Bau mit willkürlichen Materialien in eine willkürliche Höhe. Was nicht will kürlich daran ist, Das ist blos das Fundament der Beobachtung. Ausserdem haben die bedeutendsten Gegner der Eichhorn- Marsh-Gratz-Bertholdt'schen Hypothesen (also namentlich Hug, Gieseler, Schleiermacher, De Wette, Wilke) mit Recht geltend gemacht , dass die Vorstellung eines derartigen schriftlichen Ur- evangeliums in sich selbst unhaltbar sei. Schneidet man nämlich aus den Synoptikern die gleichartigen Elemente heraus, so erhält man ein ziemlich mageres Gerippe, worin z. B. die Auferstehung fast so gut, wie gar nicht, berührt wäre. Mit einem solchen Schema aber hat die urchristliche Geschichtsschreibung allerdings nicht anfangen können. Ja es lässt sich dies Experiment gar nicht wirklich anstellen. Es ist, wie ein Vorblick auf unsere Tafel in §. 5 zeigen mag, unmöglich, blos aus dem Context aller Drei das ihnen Gemeinsame herauszuschneiden und zu einem in sich zusammenhängenden Ganzen zu verbinden. Ferner soll der Zweck einer solchen Aufzeichnung in der Mission gelegen haben; nach Bertholdt war das Formular sogar von den Apo steln selbst aufgesetzt worden, als »Normalbuch des Apostelvereins,« »ganz der Analogie des Alterthums gemäss; denn auch andere Conso- ciationen (im Alterthum) , die sich dem öffentlichen Unterrichte wid meten, hatten ihre Societätsschriften. «a Diese Schrift sollte dann den Missionaren zugleich zur Beglaubigung dienen. Aber hierfür kam es doch jedenfalls nicht an auf ein solches breviarium vitae Jesu Christi. Nach Act. 15, 27 ff. hat man nicht Schriftstücke den Sendboten zur 1) Versuch, S. 6 (5). — 2) Einleitung, III, S. 1206. Gestalt des Problems. 47 Beglaubigung mitgegeben , sondern vielmehr Sendboten zur Beglaubi gung von Schriftstücken. Uebrigens war auch die früheste Predigt in erster Linie dogmatischen, nicht historischen Inhalts. Von minderer Bedeutung war es , wenn man die Hypothese auch aus dem Neuen Testament selbst glaubte widerlegen zu können. Das gänzliche Stillschweigen desselben und des ganzen christlichen Alter thums Hesse sich auch sonst noch erklären. Freilich ist es Täuschung, wenn Bertholdtbei Paulus 1 Kor. 11, 23—25. 1 Thess. 4, 3 und in den dnofivrjf.iovEVfiaza des Justin Spuren des Urevangeliums finden will;1 aber, wenigstens unter den oben angegebenen historischen Vor aussetzungen, Hessen sich in der Apostelgeschichte Andeutungen davon erwarten. Dass dagegen Luc. 1, 1 — 4 kein Urevangelium erwähne, dass nach 1 Thess. 2, 13. Rom. 10, 14 — 18 die älteste evangelische Verkün digung eine mündliche gewesen sei, dass Papias davon schweige u. s. f. sind doch nur Argumente , die höchstens in Verbindung mit anderen einiges Gewicht erlangen könnten. — Uebrigens fällt unter die Kategorie des schriftlichen Urevange liums auch die Summe schriftlicher Aufsätze — Memorabilien oder Die gesen genannt — die man als gemeinsame Grundlage der Synoptiker hat aufstellen wollen. Doch hat selbst Schleier mache r, der gewand teste Vertreter dieses Standpunktes, seine Theorie nur in Beziehung auf Lucas durchgeführt, ohne ihr eine deutliche Beziehung auf das Ver wandtschaftsverhältniss im Ganzen zu geben. Während sich daher bei Eichhorn die Harmonie, nicht aber die Differenz der Synoptiker er klärt, so tritt bei Schleiermacher nur die Ursache der Differenzen, nicht aber der, in Anordnung und Abtheilung des Ganzen sich offen barenden, Uebereinstimmung zu Tage, wie denn auch, was er in seiner »Einleitung« über das Verwandtschaftsverhältniss der Synoptiker sagt, in keiner Weise etwas Genügendes enthält. z Abgesehen aber von dem §. 19, Nr. 6 zu erweisenden einheitlichen Sprachgebrauch des ganzen Evangeliums, lässt sich nichts beweisen aus jenen Formeln, an denen Schleiermacher die Grenzscheide zwi schen zwei kleinen, aneinandergereihten Quellen entdecken wollte. Er hielt sich dabei besonders an solche Stellen, wo Lucas sich von specia len Thatsachen zu allgemeinen Notizen wendet, und verfuhr nach dem Kanon, dass eine fortlaufendeJgLrzählung vom Einzelnen nicht in's 1) A. a. O. S. 1208 ff. — 2) Vgl. gegen Schleiermacher: Allgemeine Li teraturzeitung, 1817, Nr. 283. — Planck: Observationes de Lucae evangelio, 1S19. — Roediger: Symbolae ad N. T. evangelia, 1827. — Wilke, S. 476 ff. 517 ff. 5öl ff. — Strauss: Charakteristiken, S. 45 ff. — Ritschi: Evangelium Marcions, S. 211 ff. — Bleek, Einleitung, H, S. 240. Ag Erstes Capitel. Allgemeine überspringen werde , ausser wenn sie zugleich den Gegen stand ganz verlasse. So oft daher eine vorangehende Erzählung mit einer allgemeinen Schlussformel beendigt wird , folgert Schleiermacher, dass nun im Folgenden ein anderer Erzähler anhebe, als derjenige war, der die Schlussformel geschrieben.1 »Allein dieser verliess ja dort wirk lich den Gegenstand, nämlich im engeren Sinne diese bestimmte Ge schichte eines einzelnen Wunders z. B., um hierauf, innerhalb dessel ben Gegenstandes im weiteren Sinne, zu anderen Einzelheiten , z.B. Wundergeschichten, überzugehen. «2 So folgt z. B. nach der Heilung des Dämonischen in Kapernaum die Schlussformel 4, 37 nal sgsnogsvsTO vyog nsgl avTov slg ndvza zönov Ttjg nsgiyiagov. Aber es folgt nun die Geschichte von der Schwiegermutter des Petrus, die sich ganz anerkann- termaassen unmittelbar an das Vorhergehende anschliesst und mit diesem dieselbe allgemeine Situation (erstes Auftreten in Kapernaum) gemein hat, als selbstständige Quellenschrift betrachtet aber mehr als Duodez format voraussetzt. Daher wird Schleierm acher selbst zuweilen seiner Theorie untreu, wenn er z. B. die Schlussformel 8, 15 nur für eine partielle erklärt, weil im Folgenden Rückweisungen auf das in jener Formel Abgeschlossene sich finden.3 Der Grundsatz lässt sich also im concreten Fall nicht durchführen , und ist auch an und für sich nicht haltbar. Denn, auch wo der Gegenstand wirklich ein anderer wird, lässt Dies keineswegs darauf schliessen, dass zwei Aufsätze ver schiedener Verfasser zusammengestellt worden sind. » Hier könnte eben so gut derselbe Schriftsteller einen Abschnitt in jener Weise schliessen und nun auf etwas Anderes übergehen. «4 Von derselben mehr als zwei felhaften Beschaffenheit sind die S chleiermacher'schen Kriterien fast durchweg. Beispielshalber meint er, Lucas 20 und 21 müsse ur sprünglich eine isolirte Aufzeichnung gebildet haben, weil erst 22, 2 das Osterfest erwähnt werde, was schon 20, 1 hätte geschehen müssen, wenn Alles in einem Zusammenhang geschrieben worden wäre.5 »Aber dort (20, 1) war ja das Fest noch nicht so nahe, als hier (22, 1), und die Nähe desselben, sofern sie eine Gelegenheitsursache für Judas ward, konnte dort noch nicht erwähnt werden, und eben Dies, dass der Er zähler diese Erwähnung noch aufschob, giebt den Beweis, dass er der postulirte Fragmentist nicht, sondern der Schreiber eines Fvangeliums war, der seinen Bericht fortzusetzen im Sinne hatte. Wie könnte man auch die beiden Capitel Lucas 20 und 21 für eine isolirte Aufzeichnung halten, da sie ja aller Zeitbestimmung ermangeln (denn dass sie in die Tage vor dem Pascha gehören, erfährt man erst Lucas 22, 1), und der 1) Versuch, S. 21 (16). — 2) Strauss: A. a. 0. S. 45. — 3) Versuch, S. 123 (90). — 4) Strauss, S. 46. -r 5) S. 251 (183). Gestalt des Problems. 49 Anfang 20, 1 iv fjiä tüv fjfiEgüv ganz sichtbar auf ein Vorhergegange nes zurückweist ? « J Dagegen hat S chlei er mache r da kein Auge für Fugen und Einschnitte gehabt, wo sie wirklich sind. So überbrückt er den Ueber gang von 8, 3 zu 8, 4 mit der Fiction, als sollten die Gleichnisse vom guten Land und die Geschichte von den Verwandten Jesu zur Verherr lichung der 8 , /3 genannten Frauen dienen, z während in Wahrheit an dieser Stelle eine Einschaltung absch%sst, und Lucas wieder zur Haupterzählung zurücklenkt. Dass nun freilich schon diese Quelle einen zum Theil fragmentarischen Charakter trägt, Bruchstück an Bruchstück anreiht mit ganz ähnlichen Anfangs- und Schlussformeln, wie Schleier macher sie im Lucas wahrnimmt: in diesem Umstand haben wir die eigentliche Veranlassung zur Entstehung der Diegesen- kritik und zugleich den Grund ihres Scheins von Wahrheit, so weit ein solcher ihr zukommt, zu erkennen. Während aber, wie wir sehen werden, in seiner zusammenhängenden Hauptquelle jene Bemerkun gen mehr zur Verknüpfung der einzelnen Abschnitte , als zu ihrer ge genseitigen Abstossung dienen , indem sie die Allmähligkeit des erreg ten Aufsehens und der entstehenden Feindschaft notiren , verlieren sie, ihres natürlichen Fortschritts beraubt, bei Lucas viel von ihrer Bedeu tung;3 und Schleiermacher, der dies fühlt, will ihnen erst wieder eine solche verleihen. Dies gelingt ihm aber nur vermöge eines seltsam verwöhnten Scharfsinnes, der z. B. aus einer, von Lucas blos anticipir- ten (§. 13, Nr. 6), Schlussformel über das Geschick des Täufers 3, 18 — 20 Folgerungen zu ziehen weiss, durch welche das Vorangehende sogar um die Ehre gebracht wird, Aufsatz eines Christen zu sein. 4 Wir wenden uns von den Hypothesen, die eine einheitliche, oder eine multiplicirte, immerhin aber schriftliche Unterlage postuliren, zu der Theorie vom mündlichen Urevangelium, die sich bis auf Guericke,5 Ebrard6 und Thiersch7 herab vielen Beifalls zu er freuen gehabt hat. Den conservativen Theologen musste sie sich natür lich um so mehr empfehlen , als die kirchliche Tradition, wornach alle Synoptiker selbstständig geschrieben hätten, nur in dieser letzten Zu fluchtsstätte sich geborgen fühlen konnte, und als die Differenzen auf diesem Wege einen möglichst unschuldigen Schein gewinnen. Man würde sich nämlich daran zu erinnern haben, dass doch in jene münd liche Ueberlieferung niemals eine solche mechanische Uebereinstim- 1) Wilke, S. 564. — 2) S. 116 (85). — 3) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 69 f. — 4) Versuch, S. 59 (44). — 5) Einleitung, 2. Ausg., S. 257 ff. — 6) Wis senschaftliche Kritik, §. 139. — 2. Ausg. §. 137. — 7) Versuch zur Herstellung, S. 137 ff. Iloltzmann. 4 50 Erstes Capitel. mung und Abgeschlossenheit in Beziehung auf die Form gebracht wer den konnte , dass nicht dabei individuelle Variationen ihren Raum ge habt hätten. l Nichtsdestoweniger ist die Hypothese aufzugeben. Es kommt ihr zwar das Verdienst zu, den Geist des Alterthums insofern richtig erfasst zu haben, als das lebendige Wort überall das Erste, die Schrift das Se cundäre war, als daher auch der Inhalt unserer Evangelien lange Zeit blos traditionsweise fortgepflanzt worden war , ehe er schriftlich fixirt wurde. In keiner Weise aber kann sich diese mündliche Tradition gleich ursprünglich zu allen drei Synoptikern verhalten haben. Dies fing man besonders seit Wilke2 an zu merken, so dass zuletzt Giese- ler selbst seine Hypothese angesehen haben soll, 3 wie zuvor Eich horn die seinige, als er in der Vorrede zur zweiten Auflage seines ersten Bandes auf das Urevangelium wie auf einen schönen Traum zu rückblickte. Vor Allem kann jene mündliche Tradition nicht in der Weise als eine stereotype angesehen werden, wie Gieseler annehmen zu dürfen meinte. Denn nicht blos widerstrebt der hierzu nöthige Me chanismus des Auswendig- und Einlernens dem lebendigen Geiste der apostolischen Zeit, sondern es widersprechen auch bestimmte Data, die daraufhinweisen, dass die Tradition keineswegs blos conservativ, son dern auch productiv war. Schon der Umstand , dass sich die verschie dene Zeit, in der die Synoptiker schrieben, an gewissen Modificationen der eschatologischen Bestimmungen erkennen lässt (§. 26), zeigt, dass die mündliche Tradition in einem lebendigen Flusse begriffen war, ehe sie, um nicht den authentischen Charakter zu verlieren, aufgezeichnet wurde. Wie nothwendig und zeitgemäss diese schriftliche Fixirung be reits war, zeigen eben die verschiedenartigen Bildungen, in die zuwei len schon zur Zeit unserer drei Evangelien die allgemeine synoptische Tradition auseinandergegangen war. 4 Und dennoch sind die Verschie denheiten unserer Synoptiker nur zum kleinsten Theil aus diesen , im Einzelnen bereits divergirenden, Richtungen der ursprünglichen einheit lichen Tradition zu erklären, sondern meistens sind es Differenzen, nicht wie sie zwischen verschieden gearteten Traditionen, sondern wie sie zwischen verschieden gearteten Schriftstellern vorkommen, welche ihren Stoff als etwas bis zu einem gewissen Grade Modiflcables betrachten. 5 So wäre auch unter Voraussetzung einer regulirten Tra- 1 ) Vgl. als ein sprechendes Beispiel für diesen orthodoxen Instinct die von Bur ger herausgegebene »Chronologie und Harmonie der vier Evangelien« von K rafft, 1848, S. 32 f. — 2) Vgl. S. 26—161. — 3) Bleek: Beiträge, S. 68. — 4) Nehmen wir das vierte Evangelium als authentischen Bericht an, so wird die Hypothese vol lends zur Unmöglichkeit. Vgl. Meyer: Zu Matthäus, S. 27 f. — 5) Wilke, S. 99 -108. Gestalt des Problems. 51 ditionsweise die total verschiedene Motivirung derselben Reden bei Matthäus und Lucas unbegreiflich, die verschiedenen Exemplare für ein und dieselbe Erzählung unerklärbar. Man sehe darauf hin nur manche der wichtigsten Relationen , z. B. die Geschichte vom Leiden und Auferstehen des Herrn an. ' Was hingegen in unseren Evangelien sich als der mündlichen Tradition offenbar entnommen darstellt, das sind einzelne Züge, wie vom Schacher am Kreuz, die aber gerade der Gieseler'schen Hypothese zufolge, weil nur von einem der Evange- Hsten hereingeschoben , aus dem Zusammenhang des gemeinsamen Ty pus ausgeschlossen werden müssen. 2 Indessen möchten am Ende die Differenzen noch leichter auf diesem Wege zu erklären sein, als die Uebereinstimmung. 3 Wie diese Letztere bis in's Minutiöse des Ausdrucks hinein , z. B. bis auf die, Mr. 3, 5 = Mt. 12, 13 = Luc. 6, 10 sich findende, doppelt augmentirte Form ansxaTEüTddr], sich erstrecken könne, wird niemals deutlich zu machen sein. Bleek verweist beispielshalber auch auf folgende Parallele : 4 Mt. 12, 27. 28 nal et || Lc. 1 1, 19. 20. sl de eyoj iv BssX^sßovX ix.ßdXXu> tcc daifiövia, ol vlol ificSv iv t'ivi ixßdX- Xovaiv ; did tovto avTOi xgiTal soovxai vfiwv \\ v/jcov xgizal soovtüi El OS EV nvsvfiaTi d-sov iyco \\ öanTvXi^ d-sov ixßdXXco xd Saifiövia, aqa scpd-aosv i(p v/jag rj ßaoiXsla zov d-sov. Unmöglich konnte sich der complicirte Satz in so streotypen Aus drücken, in so fixirter Wortfolge fortgepflanzt haben, dass zwei Schrift steller ihn unabhängig von einander und buchstäblich übereinstimmend (bis auf die bewusste Abweichung: datcTvXoj) hätten niederschreiben können. Andere schlagende Beispiele führt De Wette an3, aus denen jedenfalls dieses hervorgeht, dass die Synoptiker, selbst wenn sie im Alterthum verglichen und interpolirt worden wären, doch nur auf Grund gemeinsamer schriftlicher Quellen zu erklären sind. Endlich ist schon von Hug6 und Weisse 7 treffend darauf hinge wiesen worden , wie der Lehrvortrag der Apostel niemals von der Art war, dass Geschichtsbücher daraus entstehen konnten. Besonders schla gend ist in dieser Beziehung Weisse's Argumentation aus den neute stamentlichen Briefen.8 Aber selbst die sogenannten Evangelisten haben sich schwerlich je mit Erzählung einer Art von Biographie Jesu be- 1) Nähreres bei Wilke, S. 43—87. — 2) Wilke, S. 87—91. — 3) Wilke, S. 159. — Baur: theologische Jahrb. 1851, S. 33. — 4) Beiträge, S. 69 f. Einleitung, II, S. 259. — 5) Einleitung, H, S. 147. — 6) Einleitung, II, S. 102. — 7) Evangeli sche Geschichte, I, S. 20 ff. — 8) A. a. O. S. 22 ff. Evangelienfrage, S. 136 ff. 4* 52 Erstes Capitel. schäftigt. Wahrscheinlich gaben sie nur summarische Zusammenfassun gen von Jesu erlösender Thätigkeit in der Art von Act. 10, 37 — 42. Was sie der Welt verkündigten, das war das Factum seiner wunderba ren Erscheinung, seines einzigartigen Selbstbewusstseins, seiner Verherr lichung im Tod; nicht aber waren es einzelne Wanderungen, Tageser eignisse, Gelegenheitsreden . J Bios vom Apostel Petrus berichtet die alt kirchliche Tradition, er habe den Römern historischen Bericht über die evangelische Geschichte erstattet, aber von ihm heisst es ausdrücklich : ov fiivzoi zd^si (§. 1 5). Directe Zeugnisse stehen also dieser Hypothese nicht zur Seite. Vielmehr liefert der einzige Evangelist, der von seinen Quellen wirklich redet, Lc. 1, 1 — 4 ein directes Gegengewicht, indem er schriftstellerischer Vorarbeiten Erwähnung thut. 2 — Die gemeinsame Anlage ist es daher, die immer eine Hauptinstanz gegen die unmittelbare Zurückführung aller drei Synoptiker auf eine mündliche Quelle bilden wird, ganz davon abgesehen, dass diese münd liche Quelle ja aramäisch floss, und nicht griechisch, und dass der Mo dus des Uebergangs aus der aramäischen Tradition in eine, ebenso stereo typen Charakter tragende griechische, Form niemals vorstellbar ge macht werden kann. 3 Nachdem wir aber so die Unhaltbarkeit der Hypothese in der con creten Gestalt, in welcher sie Existenz und Namen gewonnen hat, dar- gethan, muss um so entschiedener die allgemeine Wahrheit, die ihr zu Grunde liegt, betont werden.4 Beides steht fest, sowohl dass der gesammte Inhalt unserer Evangelien zuerst nur mündlich fortgepflanzt worden ist, als auch das Andere, dass einzelne Bruchstücke unserer Synoptiker unmittelbar dieser Quelle entstammen. So werden wir denn an diesem Orte unserer Untersuchungen es wenigstens als an sich möglich hinstel len dürfen , wenn zunächst das ganze zweite Evangelium sich als auf mündlicher Tradition ruhend herausstellen sollte, wenn aber auch eine Reihe von Eigenthümlichkeiten des Matthäus auf der einen , des Lucas auf der andern Seite aus derselben Quelle erklärt werden, die selbst da mals noch frisch floss, als ihr Hauptinhalt bereits schriftlich fixirt wor den war. Wenn selbst Hegesipp, dem kanonische und apokryphi- sche Evangelien in grösserer Auswahl vorlagen, noch auf die 'Iovdainrj aygacpog nagddooig zurückgehen mochte, so wird Dasselbe noch sicherer in der Competenz unseres ersten und unseres dritten Evangelisten ge legen haben. Es gilt daher heutzutage als anerkannt, dass die mündliche Ueberlieferung als unterste Grundlage der ganzen EvangelienHteratur zu betrachten ist;8 daher denn auch die in den Synoptikern vorlie- 1) Wilke, S. 151 ff. — 2) Wilke, S. 108 ff. — 3) Wilke, S. 143 ff. — 4) Vgl. hierfür besonders Weisse: Evangelienfrage, S. 132—141. — 5) Bunsen: Bibelwerk, I, S. XXXIX, XL. Gestalt des Problems. 55 gende Geschichtserzählung noch vollkommen deutlich den Charakter eines Aggregats einzelner besonders denkwürdiger Ereignisse und Reden trägt, nicht aber den einer streng und continuirlich fortschreitenden, d. h. einer eigentlich biographischen Darstellung. »Alle synopti schen Evangelien, selbst das dritte nicht ausgeschlossen, sind streng ge nommen nichts, als schriftliche Fixirungen einer Ueberlieferung, die eine Zeit lang blos in der Form mündlicher Erzählung sich fortgepflanzt hatte, nur mit der näheren Bestimmung, dass sie schon nicht mehr der ursprünglichste Ausdruck derselben sind, sondern ihre Darstellung be reits durch eine ihnen vorangegangene erstmalige schriftliche Gestal tung des traditionellen Stoffes vermittelt ist. « J II. Die Benutzungshypothese bietet eine andere Möglich keit zur Erklärung des Räthsels dar. War ein selbstständiger Ursprung der Synoptiker aus dem, allen Dreien unmittelbar zu Grunde liegenden, schriftlichen oder münd lichen, Urevangelium ausgeschlossen, so schien wenigstens ein gesi chertes Resultat aus so vielen Kämpfen gewonnen zu sein : die Synop tiker können nicht unabhängig von einander entstanden sein. Das führt aber direct zurück auf die sogenannte Benutzungs hypothese, insofern diese zunächst dahin verstanden wird, dass Einer den Andern, und der Dritte entweder alle Beide oder doch Einen von Beiden zu Grunde gelegt haben sollte. Wie dieser Erklärungsversuch eigentlich noch näher liegt, als das Urevangelium, so ist er — wie wir sahen — auch in der That der älteste und der jüngste zugleich. Neuerdings ist er bekanntlich besonders von Hug wieder aufge nommen worden. Hug hält sich an jene S. 44 erwähnte Alternative Eichhorn's und fragt, warum der erste jener beiden in abstracto mög lichen Wege in concreto unmöglich sein solle.2 Eichhorn glaubte von - Abschnitt zu Abschnitt darthun zu können , dass keiner der Drei den Anderen in den gemeinschaftlichen Stellen durchweg vor Augen ge habt haben könne um der Abweichungen in den Reden und um der Widersprüche in der Chronologie willen. Aber — sagt Hug — wider sprechen sich nicht auch Polybius und Livius geradezu? Und doch hat der Letztere den Ersteren gekannt, er citirt ihn sogar. Daraus geht hervor, dass ein Schriftsteller, der einen andern vor sich hat, darum in keiner Weise veranlasst oder genöthigt ist, in allen Stücken Dasselbe zu erzählen. Sonst würde er ja besser ganz schweigen. Also ist an sich die Möglichkeit einer gegenseitigen Benutzung zuzugeben. Hier fragt es sich nun zunächst um die Ordnung, in der die ein zelnen Evangelisten einander abgelöst haben sollen. Im Allgemeinen 1) Köstlin, S. 387. — 2) Einleitung, H, S. 54 ff. 54 Erstes Capitel. hielt man sich hier an die Reihenfolge des Kanons ; so ergiebt sich mit hin als erster der sechs möglichen FäUe folgender : 1) Matthäus i T So combinirten Grotius, Mill, Wet- Marcus ) stein, Bengel, Bolten, Townson, Benzenberg, Seiler. Am Geschicktesten aber ist diese Hypothese vertreten worden durch Hug. Neuerdings suchen sie noch orthodoxe Theologen, wie Hengstenberg und, in Verbindung mit der Gie- seler'schen, auch Ebrard, von anderer Seite Hilgenfeld zu halten. Dass die genannte Hypothese am meisten Anspruch hat, die kirch liche genannt zu werden, erklärt sich auch aus dem Umstände, dass man den Matthäus für ein apostolisches Werk hielt und von der Vor aussetzung ausging, einem Apostel müsse eo ipso die Priorität zu kommen. Nun war aber auch noch eine andere Reihenfolge des Kanons in der alten Kirche gebräuchlich. Man ordnete nämlich die beiden evange listischen Apostel zusammen und liess den Marcus erst am Ende folgen, wie derselbe ja auch nach Bleek nicht blos von Matthäus und Lucas, sondern auch von Johannes abhängig sein soll. l In der That wurde auch in der alten Kirche, einer vereinzelten Nachricht zufolge, die Ent stehung des Marcus hinter die des Matthäus und Lucas gestellt. 2 Für die Synoptiker ergiebt sich dann folgende Reihenfolge : 2) Matthäus / ,.. Dies die sogenannte Griesbach'sche s Marcus. ° Lucas I Hypothese, die schon von Owen und Stroth vorbereitet, dann von Griesbach viel schärfer ausgebildet worden ist, als die Hug'sche. Ihr fielen nicht blos viele Zeitgenossen zu, sondern sie ist auch durch A m m o n , Saunier, Theile, Sieffert, Fritzsche, Gfrörer, Kern, De Wette, Bleek, Delitzsch, Neudecker, Schwarz, besonders aber von Baur, Schwegler und Köstlin, auch dem » sächsischen Anonymus « vertreten. Frei lich vergisst Baur, dass Griesbach's Argumentation nicht so ohne Weiteres für ihn brauchbar ist, indem ja der kanonische Lucas nach Baur jünger ist, als Marcus. Nach Griesbach's Ausführung kann aber Marcus nur ein Auszug aus dem jetzigen Text des Matthäus und des Lucas sein. Als die bedeutendsten Gegner dieser Combination sind Eichhorn, Bertholdt, Hug, Wilke, Ritschi, W eiss aufge treten (§. 9). 3) Marcus \ j Diese Combination wurde zuerst von Matthäus J ' Storr aufgestellt und hat grossen Beifall gefunden bei Ritschi, Thiersch, Meyer u. A. Indessen wurde 1) Einleitung, II, S. 2S9. — 2) Eusebius: K. G. 6, 14. Gestalt des Problems. 55 zur selben Zeit auch Widerspruch erhoben von De Wette, Baur und Hilgenfeld. A\ ATarcus ) j Matthäus So Wilke, Bruno Bauer, Volkmar. 5) Lucas )t,t c t, ¦¦ ¦, ¦ t, ^ * M ti-Vr \ M-3-1"™8- oo Busching, Ui vanson, Gfrörer. ,, ( Matthäus. So einst Vos; el. Marcus j ° In Anbetracht der zahllosen ausgedehnten Analysen, welchen man die Synoptiker ausgesetzt hat, um aus jeder einzelnen Trias von Paral lelstellen womöglich ein Urtheil über die Abhängigkeitsverhältnisse der Schriften überhaupt abzuleiten, dürfen wir uns wohl einmal eine, wesent lich im Interesse der Kürze getroffene, Behandlung der Sache erlauben, bei der wir, zahllosen Wiederholungen aus dem Wege gehend, jede «inzelne Beobachtung immer auch nur an einem Orte unserer ganzen Untersuchung, dort nämlich, wo sie eben am besten am Platze ist, an bringen zu können gedenken. Wir begnügen uns daher an diesem Orte, nur mit allgemeinen Gründen unsere Berechtigung, weder im Matthäus, noch im Lucas, mit etwas eingehendem unser gutes Recht, auch im Marcus nicht den Urevangelisten zu erblicken, auseinanderzusetzen , indem wir es nicht für nöthig halten, ein gutes Theil von Material, das später doch wieder, unter den Kategorien der §§. 5. 7. 8—10. 12—14. 16—20. 26. 27. 29 .zusammengestellt werden muss, in der in sich ordnungslosen Folge abdrucken zu lassen, wie dasselbe einem Solchen, der zum erstenmal selbstständig und auf eigene Hand diesen Weg geht, sich darbietet. Dem Sachverständigen, der vielleicht schon hier nach Details verlangt, wer den diese Vorweisungen genügen , um sich in jedem einzelnen Falle noch genauer zu orientiren. Am wenigsten hat sich seit Wiederaufnahme der ganzen synopti schen Frage die Hypothese von der Priorität des Lucas irgend welcher Anerkennung zu erfreuen gehabt. Sie ruht auf dem, durch Beza ein geführten, Irrthum, dass Lucas in seinem Prolog seine Vorgänger tadle ¦(§. 14). Weil man nun den Apostel Matthäus nicht getadelt wissen wollte, griff man zu der Ausflucht, den Lucas zum ersten Evangelisten .zu machen. Andererseits ist es freilich sehr verkehrt, mit Hug aus dem jtaqmoXovd-r)Y.(x>g Lc. 1, 3 zu schliessen, dass Lucas apostolische Schrif ten benutzt, dass mithin Apostel, wie Matthäus, vor ihm Evangelien .geschrieben haben müssen; 1 aber auch abgesehen von dem Prolog, in welchem er sich selbst eine secundäre Stellung zuschreibt, und von der 1) Einleitung, II, S. 101. 56 Erstes Capitel. zu constatirenden spätem Abfassungsweise des Evangeliums — ist dem ursprünglichen Stoffe allzu deutlich eine paulinische Richtung eingear beitet (§. 25), und ruht die ganze Composition zu nachweisbar auf frem dem Grunde (§§. 7. 13), als dass von einer Originalität des Lucas noch sollte die Rede sein können. Vornehmlich kommen hier in Betracht die sogenannten Einschaltungen, welche ganz deutlich den Zusammenhang des Marcus und Matthäus unterbrechen (§. 10). Je weniger sich daher Lucas als Original empfiehlt, desto mehr ka men Matthäus und Marcus als Urevangelisten in Aufnahme : der Erstere mehr in früherer, der Letztere mehr in neuerer Zeit. Aber auch die Matthäus-Hypothese ist heutzutage als überwunden zu betrachten. Denn abgesehen davon, dass von einer apostolischen Abfassung des ersten Evangeliums nicht mehr die Rede sein kann (§. 20), lässt sich dieses letztere auch schon darum nicht als das Original der andern betrachten, weil vielmehr Marcus sich als Träger eines geschlosseneren und ur sprünglicheren Zusammenhanges der synoptischen Tradition erweist (§§. 27. 29), da bei ihm allein die Reihenfolge der einzelnen Momente eine sachgemässe ist, und aus ihm allein die Abweichungen der beiden anderen sich erklären (§. 7). Gerade das erste Evangelium weist die Spuren der Quellenverarbeitung noch in sich selbst so sicher auf, wie das dritte. Von vornherein schon ist es schwer denkbar, dass aus erstmaliger schriftlicher Aufzeichnung der Tradition ein so übersichtlich angeleg tes und wohl geordnetes Werk habe entstehen können. Köstlin hat gegen eine solche Annahme noch insonderheit eine Reihe von Stellen geltend gemacht, die allerdings auf Incongruenzen zwischen einem, dem Matthäus vorliegenden, spröden Material und seiner eigenen Anord nung schliessen lassen ; l wir können dieselben erst an einem späteren Orte besprechen, weisen aber hier einstweilen vor auf die in §§. 7 und 1 0 verzeichneten Beobachtungen hinsichtlich der offenbaren Fugen, die im ersten Evangelium in Folge des spröden Verhaltens seiner schriftli chen QueUen zu einander entstanden sind. Heutzutage argumentiren wir nur ex concesso, wenn wir von dem secundären Charakter des ersten Evangeliums ausgehen. Auch die Tü binger Kritik ist darin mit uns einverstanden; und nur Dieses fragt sich noch, wo die ersten Bestandtheile dieser Composition Hegen, und ob gerad ihr die Priorität zukomme gegenüber Marcus und Lucas. Hilgenfeld, der neueste und hartnäckigste Vertheidiger der Ori ginalität des Matthäus gegenüber den andern Synoptikern, zieht sich regelmässig auf den, angeblich von ihm nachgewiesenen, Unterschied der ursprünglichsten Bestandtheile des Matthäus und der später hinzu- 1) Evangelien, S. 98 f. Gestalt des Problems. 57 gekommenen zurück,1 giebt also die Hauptsache, worauf es uns hier an kommt, zu : dass nämlich unser Matthäus jedenfalls als eine Composi tion aufzufassen ist. Jenen Unterschied will er nun erstens nachweisen an den Fugen und Näthen, die in unserem Matthäus anzutreffen seien; so auch wir, nur dass wir zeigen werden, wie diese Fugen und Näthen im einzelnen Fall immer nur der eigenthümlichen Anordnung ange hören, in welcher der Stoff des Marcus und Lucas bei Matthäus erscheint (§§. 7. 12), so dass schon desshalb keiner der beiden Letzteren von Mat thäus abhängig sein kann. Zweitens aber beruft sich Hilgenfeld auf die verschiedenartige Tendenz der Bestandtheile des jetzigen Matthäus, glaubt sich daher berechtigt, Stücke, die von der Verstocktheit der Juden und von der Bekehrung der Heiden handeln, wie Mt. 8, 11. 12. 12, 21. 20, 1 — 16. 21, 33—44. 22, 1—14. 24, 14. 28, 19 ohne Weiteres dem Bearbeiter zuzuschieben, wie andererseits die Thatsache, dass Stücke von der letzteren Art sich auch bei Marcus finden, z.B. 12, 1 — 12, ihm genügt, diesen Evangelisten von dem fertigen Matthäus abhängig er scheinen zu lassen. 2 Uns nun scheint diese Methode der Tendenzkritik, von dem erst auf kritischem Wege zu Erweisenden , den urchristlichen Parteiverhältnissen, seinen Ausgangspunkt bei der kritischen Operation selbst zu nehmen, ein illegitimes Verfahren. Wir beginnen vielmehr mit rein kritischen Untersuchungen über das sprachliche und logische Verhältniss der Textabschnitte, um unser Urtheil über den Tendenz charakter unserer Evangelien am Schlüsse unserer Untersuchung (§§. 23 — 25) als ein rechtmässig gewonnenes Resultat erscheinen zu lassen. Hier constatiren wir einstweilen blos die Thatsache, dass unser Matthäus auch seinem letzten Vertheidiger als mixtum compositum er scheint. Es lag daher nahe , die Grundlage der übereinstimmenden Partien bei Matthäus und Lucas im Marcus zu suchen. Schon Storr und Her der hatten daran gedacht. Dann begegneten sich, ziemlich unabhängig voneinander, Lachmann, Hitzig, Sommer, Reuss zu gegensei tiger Ueberraschung auf diesem Wege. Insonderheit hat, was allgemeine Gründe für Selbstständigkeit und Priorität der Relation, wie sie im zweiten Evangelium vorliegt, an langt, Weisse mit fast erschöpfender Gründlichkeit geredet, 3 so dass auch Wilke's Leistungen nur Dasselbe, was Weisse aus der Anlage des Ganzen erweist, aus Vergleichung der einzelnen Perikopen aufs Neue bestätigen, ja auch Ewald's berühmte Schilderung4 nur Ergän- 1) Evangelien, S. 116 f. — Theologische Jahrbücher, 1857, S. 404 f. — Zeit schrift für wissenschaftliche Theologie, 1861, S. 194. — 2) Theologische Jahrbücher, 1857, S. 417. — 3) Evangelische Geschichte, I, S. 56 ff. Evangelienfrage, S. 144 f. — 4) Jahrbücher, II, S. 204. 58 Erstes Capitel. zendes bieten konnten. Dass nichts desto weniger zwischen Weisse und Ewald die Marcus- Hypothese fast zehn Jahre lang nur vereinzelte Vertreter finden, und Ritschi noch 1851 erklären konnte, dieselbe be sitze dermalen keine »officielle Existenz auf dem Gebiet der theologi schen Literatur , « 1 erklärt sich aus der , dem gläubigen Hunger nach Fleisch wenig geniessbaren , Form , in der die Hypothese bei Weisse und Wilke aufgetreten war, und aus den Uebtrtreibungen Bruno Bauers. Bald jedoch fielen ihr, einen früheren Standpunkt verlassend, nunmehr auch Credner, Ritschi, Meyer zu; und unter den Neue ren hat vielleicht am compendiösesten und vollständigsten Weiss die Eigenthümlichkeiten des zweiten Evangeliums zusammengestellt. 2 Wir glauben in den Tafeln §§. 5. 12 und 13 für die grosse Mehrzahl der evangelischen Perikopen die Abhängigkeit der beiden Seitenreferenten von dem Text des Marcus ad oculos demonstrirt zu haben. Indem wir auf diese Ausführungen verweisen , nehmen wir vorläufig das Recht in Anspruch, mit Thiersch3 in der Durchführung der Marcus-Hypo these durch die genannten Gelehrten einen grossen Schritt zur Orienti- rung im Labyrinth der synoptischen Frage vorwärts geschehen sein zu lassen. Indessen ist näher besehen diese Uebereinstimmung des bei weitem grösseren Theils der neueren Forscher mehr eine scheinbare , als eine wirkliche. Nur wenige erklären, wie Ritschi und Meyer, geradezu unseren kanonischen Marcus für eine Quelle der beiden anderen Synop tiker. Wenn früher Ritschi sagte: »es handelt sich gegenwärtig darum, ob Matthäus und Lucas die Quellen des Marcus sind, oder Mar cus eine Quelle für Matthäus und Lucas, «4 so hat sich diese Alterna tive seither aufgelöst. Schon Lachmann hatte keineswegs in diesem Sinne für die Priorität des Marcus votirt , vielmehr kommt er auf einen ursprünglichen Kanon der evangelischen Geschichte hinaus, der beson ders rein im Marcus erhalten wäre , während Matthäus und Lucas man ches alterirt hätten. Auch Wilke, dessen positive Beweisführung für die Nichtigkeit aller Urmarcus-Hypothesen gar nichts besagen will, s sah sich alsbald genöthigt, eine ganze Reihe von späteren, in den Text unseres Marcus gekommenen , bald längeren , bald kürzeren Interpola tionen zu statuiren, wobei er sich ausdrücklich von aller äusseren Kri tik emancipirt ; so beseitigt er Mr. 1, 2. 13. 3, 6. 17. 4, 10. 6, 9. 37. 7, 3. 4. 13. 8, 1—9. 20. 9, 6. 32. 35. 38. 39. 10, 16. 31. 46. 11, 24. 25. 14, 47. 51. 52. 15, 10 und manches Andere. G Ferner ist aber auch 1) Theol. Jahrbücher, 1851 , S. 508. — 2) S. 646 ff. — 3) Kirche im apostoli schen Zeitalter, S. 102. — 4) Theol. Jahrb. 1851, S. 510. — 5) Urevangelist, S. 677 —680. — 6) Urevangelist, S. 286. 323 ff. 552 ff. 672. u. a. a. O. Gestalt des Problems. 59 das Urevangelium Bruno Baue r's mit dem jetzigen Marcus keineswegs identisch, sondern in diesem Letzteren giebt es spätere Zusätze, wie in 1, 2. 2, 14. 3, 6. 22. 6, 48—50. 9, 7. 38—41. 43—50. 14, 18. 15, 21. l Aehnlich nahm auch Weisse später einen Urmarcus an, der noch mehrere, in den beiden andern Synoptikern nachweisbare, Stücke in sich begriffen haben soll (Mt. 3, 7 — 12=Lc. 3, 7—9. 17. Mt. 4, 3— 10=Lc. 4, 3—12. Lc. 6, 20—38. 41—44. 46—49. Mt. 8, 5—10 = Lc. 7, 2 — 10. Mt. 11, 2— 19=Lc. 7, 18—35. Mt. J2, 22-32=Lc. 11, 14—23. Mt. 12, 22. 27. 28. 30=Lc. 11, 14. 19. 20. 23). 2 Nach Hitzig hat Lucas dem zweiten Evangelium nicht blos den Schluss an gesetzt, sondern auch einige Spuren seines eigenen Sprachgebrauchs aufgeprägt. 3 Besonders aber seit E w a 1 d's Auftreten verstehen die Mei sten unter der sogenannten Priorität des Marcus blos Dies , dass er im Verhältnisse zu den beiden Andern den ursprünglichsten Typus der Erzählung erkennen lasse. Dagegen sollen nach Ewald sogar zwei Vorstufen unserem heutigen Marcus vorangehen, so dass wir jetzt den Urmarcus blos in einer, durch Interpolationen , durch absichtliche Ver kürzungen und durch unabsichtliche Verluste entstellten , Gestalt be- sässen. * Köstlin versichert, »dass diese Annahme eines älteren Mar cus überhaupt nothwendig ist, um das Problem der Entstehung der Evangelienliteratur zu lösen.«5 Andererseits stellt Tob ler die Ver suchungsgeschichte, die Bergrede, die johanneische Perikope von der Ehebrecherin in den Urmarcus herein. 6 Hilgenfeld sieht sich auf die Frage zurückgedrängt, ob wir das zweite Evangelium in seiner ur sprünglichen Gestalt besitzen, oder ob es früher einen weiteren , auch die Bergrede begreifenden, Umfang gehabt habe. 7 Ja auch Volkmar nimmt, wenn auch nicht so zahlreiche, wie Wilke, doch ziemlich beträchtliche Interpolationen an, die in alle Handschriften gedrungen seien.8 Reuss construirt einen Urmarcus, der blos Mr. 1, 21 — 6, 44. 8, 27 — 13, 37 umfasste. 9 Sogar Ritschi sieht sich doch wenigstens zu der einen Cautele genöthigt, man müsse den Urmarcus nicht mit dem textus receptus, der den Parallelstellen angepasst sei, verwech seln. lü Dieselbe Wahrnehmung einer eigen thümlich doppelseitigen Be schaffenheit des zweiten Evangeliums , insofern es bald dem Matthäus 1) Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker, II, S. 68. 356. 365. — 2) Evangelienfrage, S. 156 ff. — 3) Johannes Marcus, S. 191 ff. 202 f. — 4) Jahrbü cher, II, S.207. VI, S. 70. Geschichte Christus, S. IX. — 5) S. 99. — 6) S. 13 f.— 7) Marc'usevangelium , S. 92 f. Evangelien Justin' s , S. 97. — Von dieser Ansicht kam jedoch Hilgenfeld später wieder zurück, da ihn sein Zusammentreffen mit Ewald ärgerte. Vgl. Theologische Jahrbücher, 1857, S. 419. — 8) Religion Jesu, S. 204 ff. - 9) Nouvelle revue, II, S. 71. — 10) S. 525. 60 Erstes Capitel. und Lucas gegenüber als das ursprünglichere , bald wieder als das spä tere erschien , hat auch Veranlassung gegeben zu den Hypothesen von Köstlin, der ein älteres Evangelium dem Marcus zu Grunde legt, diesen selbst aber in seiner heutigen Gestalt als Compilatiou aus Matthäus und Lucas auffasst, 1 und von Weiss, der von der Ursprünglichkeit der Relation im Marcus zwar ausgeht, % sich aber eine Reihe von Er scheinungen, in denen Marcus Abhängigkeit von Matthäus verrath,3 nicht anders zu erklären weiss, als so, dass er eine ältere Quelle dem zweiten, wie dem ersten Evangelium vorangehen lässt, die dann also im Marcus nur zur halben Reproduction gelangt wäre ; 4 woraus dann be greiflich gemacht werden soll, warum oft in einer und derselben, dem Matthäus und Marcus gemeinsamen , Perikope die Züge der Abhängig keit so bunt durcheinander laufen. 5 Die Thatsache , dass sämmtliche Vertreter der Marcus - Hypothese mit mehr oder weniger Bestimmtheit nicht unsern Marcus, sondern eine demselben vorangehende Schrift, die manche dem Marcus in Anlage und Inhalt sehr nahe kommen lassen und als Urmarcus bezeichnen, zu ihren Erklärungsversuchen des Matthäus oder Lucas herbeiziehen , lässt uns vermuthen, dass das zweite Evangelium gewisse, im fortgesetzten Operiren mit demselben als undurchdringlichen Rest sich darstellende, Spuren eines secundären Charakters aufweist; und dass eben Dieses die Wand ist, vor der das Denken eines Jeden der genannten Forscher stille hielt, um endlich Umkehr zu machen. In der That steht es fest, dass unser kanonischer Marcus kein Ori ginalwerk sein kann. 1) Es finden sich offenbare Abkürzungen, welche der Klarheit der Erzählung Abbruch thun. Es fehlt die unentbehrliche Veranlassung zu 3, 22 (vergl. Mt. 12, 22 — 24). Auch wer die Versuchungsgeschichte ursprünglich schrieb, konnte sie nicht in der unverständlichen Art 1, 13 beschreiben. Eine ganz entschiedene Lücke aber findet sich 14, 65, wo die Kriegsknechte zwar rufen nqoqprjxsvoov , was aber nur zu ver stehen ist aus Lc. 22, 64 zig saxiv b naioag os. 2) Einzelne Erzählungen bieten bei Marcus mehr sagenhafte Ele mente oder sind offenbar bei Matthäus ursprünglicher. So macht die Darstellung der Geschichte vom kananäischen Weibe bei Marcus es ge radezu unmöglich, ihn hier als Quelle des Matthäus gelten zu lassen. So hat Marcus die Weissagung von der Verleugnung des Petrus sowohl, als auch die Geschichte von der Verleugnung selbst durch einen zwei maligen Hahnenschrei ausgeschmückt, während der einfachere Bericht 1) Evangelien, S. 356. — 2) Studien und Kritiken, 1861, S. 44 ff. — 3) S. 61—6 — 4) S. 59 ff. — 5) S.-68 ff. Gestalt des Problems. 61 sich noch ursprünglicher im Lucas und Matthäus findet, als im jetzigen Marcus. 3) Oft kürzt. Marcus gewisse Reden ab, wie das Fortlaufende der selben bei Matthäus und Lucas beweist. So die Rede des Täufers und die Rede Jesu wider die Anklage dämonischer Allianz, insonderheit aber 9, 38—50, wo sogar Zusammenhang und Klarheit ausgehen. 4) Marsh hat seiner Zeit behauptet, dass Lucas nie mit Matthäus übereinstimme , als da , wo auch Marcus Dies thut. * Hiernach wäre freilich Marcus als Mittelglied der dreifachen Uebereinstimmung erwie sen. In der That aber stimmen Matthäus und Lucas auch überein in der Wahl einzelner Wörter und Ausdrücke, die Marcus an der betreffenden Stelle nicht hat, wiewohl sie seinem sonstigen Charakter nicht immer widerstreben. Mt. 3, 16 (dvstp'%&r}Gav ol ovgavoi) = Lc. 3, 21 (ävs(p%frrjvai tov ovgavöv) gegen Mr. 1, 10 sidsv oyi^ofisvovg zovg ovgavotg. Mt. 8, 24 = Lc. 8, 25 ngoosX&övxsg gegen Mr. 4, 38. Mt. 8, 27 = Lc. 8, 25 idavfiaoav, von Mr. 4, 41 ausgelassen. Mt. 9, 2 = Lc. 5, 18 -xal Iöov gegen Mr. 2, 3 xal EQ%ovxai. Mt. 9, 2 = Lc. 5, 18 inl xXivrjg gegen Mr. 2, 3, der auslässt. Mt. 9, 2 = Lc. 5, 20 xal löwv gegen Mr. 2, 5 Iöojv ds (?). Mt. 9, 7 = Lc. 5, 25 dnfXd-Ev slg xov olxov avTov gegen Mr. 2, 12 i!;rjXd-sv ivavTiov navxwv. Mt. 9, 16 = Lc. 5, 36 ovöelg iitißdXXsi gegen Mr. 2, 21 sni- gdnTEi. Mt. 9, 17 = Lc. 5, 37 si öi ftf ys gegen Mr. 2, 22 sl ös firj. Mt. 9, 20 = Lc. 8, 44 xgdonsöov gegen Mr. 5, 27, der es auslässt. Mt. 9, 20 = Lc. 8, 44 ngoasXdovaa onia&sv gegen Mr. 5, 27 iX- d-ovoa iv zip o%Xa) ojzia-d-sv. Mt. 10, 2 = Lc. 6, 14 Simon, Andreas, zwei Brüder, Jakobus gegen Mr. 3, 16. 17 : Simon, Jakobus — Andreas. Mt. 10, 9 = Lc. 9, 3 firjös dgyvgiov gegen Mr. 6, 9 firj %aXxöv. Mt. 10, 11 = Lc. 9, 4 etg rjv av gegen Mr. 6,10 onov av slg. Mt. 10, 14 = Lc. 9, 5 igsqxofisvoi dnö xfjg nöXsug ixsiviqg gegen Mr. 6, 1 1 ixnogsvöfisvoi exeid-ev. Mt. 12, 1 = Lc. 6, 1 iodisiv gegen Mr. 2, 23. Mt. 12, 47 = Lc. 8, 20 soxrjxaai gegen Mr. 3, 32, wo es ausfällt. Mt. 12, 48 = Lc. 8, 21 6 ös äno*qids\g slns gegen Mr. 3, 33 -xal dnsyiQid-r] aixoig oder xal dnoxgidslg Xeysi. Mt. 1 3, 1 1 = Lc. 8, 10 t« fivOTrjQia gegen Mr. 4, 1 1 to fivoxrjgiov. Mt. 14, 14 = Lc. 9, 11 Heilungen, von Marcus 6, 34 ausgelassen. 1) Anmerkungen, II, S. 242. 62 Erstes Capitel. Mt. 16, 21 = Lc. 9, 22 iv t% Tqizrj rjfiigqi iysq&fjvai gegen Mr. 8, 31 ftSTa Tgslg fjftiqag dvaoxfjvai. Mt. 16, 26 = Lc. 9, 25 ti yaq wcpsXsiTai av&qwnog gegen Mr. 8, 36 xi yaq ojcpsXrjOEi oder wrpslsl avdqianov. Mt. 17, 17= Lc. 9,41 anoxgid-slg öi c 'Irjoovg slrtsv u> ysvsd anioxog xal öisaxqafifisvrj gegen Mr. 9, 19 6 de dnoxqdslg Xsysi ut ysvsd anioxog. Mt. 17, 22 = Lc. 9, 44 fisXXsi naqaöiöood-ai gegen Mr. 9, 31 naqaölöoxai. Mt. 19, 22 = Lc. 18, 23 axovöag gegen Mr. 10, 22 oxvyvdoag. Mt. 20, 30 = Lc. 18, 37 ist von naqäysiv oder naqeqxsodai die Rede gegen Mr. 10, 47. Mt. 21, 3 = Lc. 19, 31 igsixs gegen Mr. 11, 3 sl'naxs. Mt. 22, 19 = Lc. 20, 24 (int)ösigaxe fioi gegen Mr. 12 v 15 cps- qsxi fioi %va l'öa). Mt. 22, 27 = Lc. 20, 32 voxsqov (de nävxiov) gegen Mr. 12, 22 l'oxaxov ndvxwv. Mt. 22, 45 = Lc. 20, 44 xaXsi avxov xvqiov gegen Mr. 12, 37 Xsysi avxöv xvqiov. Mt. 24, 2 = Lc. 21, 6 Ög ov xaxaXvd-ijosxai gegen Mr. 13, 2 8g ov firj xaTaXvdfj. Mt. 26, 16 = Lc. 22, 6 itfixEi svxaiqiav gegen Mr. 14, 11 Hjjtei ncSg svxaiqojg. Mt. 26, 75 = Lc. 22, 62 i^sXdwv l%io gegen Mr. 14, 72 inißaXiöv. Mt. 27, 54 = Lc. 23, 47 6 exaxövxaqxog gegen Mr. 15, 39 6 xsv- xvqiiov. Mt. 27, 59 = Lc. 23, 53 ivsxvXi^sv gegen Mr. 15, 46 ivslXrjosv. Mt. 28, 6 = Lc. 24, 6 oüjc saxiv wde, rjysqd-rj gegen Mr. 16, 6, der beide Ausdrücke umstellt. Diese Stellen könnten noch vermehrt werden, wenn wir — bei dem bekannten schwankenden Charakter des Marcustextes, i welcher gemäss seinem höheren Alter auch anerkanntermassen viel verdorbener ist, als der Text der andern Synoptiker — nach den textkritischen Grundsätzen Derer verfahren würden, die zum Theil die auffallendsten, von allen Parallelen abweichenden, Lesarten für die ächten halten, also z. B. mit Hitzig nach der St. Galler Handschrift Marcus 10, 9 Xioqi^iod-ü) oder 8, 37 xi yaq avxäXXayfia xfjg xpvxfjg avxov lesen wollten. 2 5) Matthäus und Lucas vereinigen sich öfters an denselben Stellen I) De Wette: Exegetisches Handbuch, I, 2, S. 3. — 2) Johannes Marcus, S. 17 -29. — Volkmar: Religion Jesu, S. 247. Gestalt des Problems. 63 der Relation im Ausschlüsse einzelner Formeln und Sätze, mit welchen der historische Vortrag des Marcus unterwebt ist. So sehr nun a priori schon die Wahrscheinlichkeit zugestanden werden muss , dass zwei Be arbeiter desselben Textes auch unabhängig von einander zuweilen die selbe Formel (z. B. 10, 23 nsqißXsipdfisvog) , dieselbe Notiz (z. B. 10, 49 xai opwvovoi xöv xvgpXöv Xiyovzsg avxoj- d-dqosi s'ysiqe, cpojvsl os), dasselbe Gespräch (z. B. 9, 21 — 24) auslassen konnten, so blieben aus dem Verzeichnisse dieser Eigenthümlichkeiten l doch noch eine Reihe von Stellen übrig, die so offenbar Zusätze zum gemeinschaftlichen Texte sind , dass die Vertheidiger der Ursprünglichkeit sich hier den siegrei chen Bemerkungen der Tübinger Schule gegenüber nur mit Annahme von Interpolationen und Einschiebseln oder mit dem Machtgebot : »Man lasse diese Worte weg ! «2 helfen können. Namentlich kann sich der scharfsinnigste Verfechter des Urtextes, Wilke, gegen solche Wahrnehmungen nur schützen, indem er die ge gen Marcus gerichteten Parallelen von Matthäus und Lucas durch An nahme einer Abhängigkeit des Ersten vom Zweiten erklärt. 3 Aber alle seine beigebrachten Beweise, mit Ausnahme der Reden des Täufers, sind hergenommen aus solchen Stellen, wo sowohl bei Matthäus, als bei Lu cas gar nicht mehr von der mit Marcus irgendwie zu identificirenden Quelle die Rede sein kann, wo vielmehr Lucas in den Zusammenhang der ersten aus einer zweiten Quelle, die auch dem Matthäus zu Ge bote gestanden haben muss, einschaltet; wie Wilke selbst einsieht: »Bei Diesem (Lucas) ist es ein Abgesondertes für sich, das Nämliche, das bei Matthäus ebensowohl, als es von der Hand eines compilir enden Schriftstellers einem andern Stoffe beigemischt ist, durch seine Natur sich als ein Besonderes aus den Mischungen scheidet«4 Die Erörterung dieser Stellen gehört also in unsere Untersuchungen über das Vorhan densein einer, von Marcus unabhängigen, zweiten Quelle (§. 10). Die Reden des Täufers anlangend , die allerdings bei allen Dreien aus der selben QueUe stammen, mag vorläufig an Wilke's Bemerkung erinnert werden, dass die Textbearbeitungen des Matthäus und Lucas entweder den Text des Marcus , » oder einen früheren Text , den Marcus reiner, als jene ausgedrückt hat, voraussetzt.«5 Wenn aber gewöhnlich rei ner, so steht nichts im Wege, dass Marcus in Fällen diese Grund schrift auch unvollständiger giebt. Wilke wäre sicherlich zu noch viel treffenderen Resultaten gelangt, wenn er das Gefühl festgehalten hätte, welches ihn, da er eben an einem Hauptabschnitt seines Werkes angekommen ist, beschleicht: dass nämlich sein Resultat noch zwi- 1) Vgl. ein solches bei Wilke, S. 323. 552 ff. — 2) Wilke, S. 463. 3) S. 460 ff. - 4) S. 461. — 5) S. 417. 64 Erstes Capitel. sehen den beiden Möglichkeiten schwankt, dass entwe der Matthäus und Lucas aus Marcus, oder alle Drei aus einer gemeinschaftlichen, ausser Marcus gelegenen, Quelle geschöpft haben müssen.1 So hat sich die Benutzungshypothese nach keiner der an sich offen stehenden Richtungen als gangbar erwiesen. Bei jeder Combination stellen sich Schwierigkeiten heraus, die nicht in der Rechnung aufgehen wollen. Wäre Dies aber auch nicht der Fall, so unterliegt die genannte Hypothese noch an sich selbst bedeutenden Bedenken.2 Man erwäge die wenig schreibende Zeit, die der christlichen Schriftstellerei ungün stigen Verhältnisse, die Kargheit im Schreiben, die auch bei Jedem un serer Evangelisten bemerklich ist, und man wird es befremdlich finden, wie solche Schriftsteller sich zur Ausarbeitung eines neuen Buches ent- schliessen mochten, wenn dieses doch in seiner Hauptmasse nur eine Ueberarbeitung schon vorhandener Schriften war, und es viel näher ge legen hätte , den Vorgänger mit Supplementen zu versehen, anstatt ihn ab- und auszuschreiben. — Und wie wäre dieses Ab- und Ausschrei ben beschaffen gewesen ! Woher dann die Differenzen im Einzelnen und in der Stellung und Reihenfolge ganzer Erzählungen? warum er setzt der Nachfolger deutlichere Erzählungen seines Vorgängers mit un genaueren ? warum schreibt er bald wörtlich ab , um alsbald unmotivirt wieder abzuweichen? woher besonders die Auslassungen? warum fehlen wichtige Stücke aus Matthäus und Lucas, etliche selbst aus Marcus bei je den beiden Andern (§§. 8. 11)? So entspricht sowohl die Art, wie die Bearbeitung des Einen durch den Andern vor sich gegangen sein musste, wenig dem schriftstellerischen Charakter unserer Autoren, als auch bleibt, man mag sie ordnen, wie man will, immer noch gar Man ches übrig , was der spätere übergangen hätte, ohne dass man einen zu reichenden Grund dafür auffinden könnte. ¦ — III. Combinationshypothesen haben daher gegenwärtig in allen Richtungen der Evangelienkritik Eingang gefunden. Wie man sieht, kann von einem Gegensatze der beiden abgehandelten Hypo thesen gar nicht mehr geredet werden. Denn es besteht ja die Theorie vom schriftlichen Urevangelium fast blos noch in der Form, dass man entweder den Marcus oder eine Grundschrift desselben, aus serdem aber auch höchstens, wo man noch an Griesb ach hängt, die Urschrift des Matthäus zum Urevangelisten macht, mithin in der Form des Uebergangs zur Benutzungshypothese. So stellt auch Bleek, der das Urevangelium zur Grundlage des Matthäus und Lucas macht, nur eine Combination zwischen den Standpunkten von Eichhorn und von 1) S. 466. — 2) Gieseler, S. 35 ff. Gestalt des Problems. 65 Griesbach dar. Ebenso wird auch die Hypothese vom mündlichen Urevangelium von keinem ins Gewicht fallenden Forscher mehr in ihrer ursprünglichen Form vertreten, seitdem De Wette und Cred ner sie mit der Benutzungshypothese combinirt und so auf das rich tige Maass von Wahrheit zurückgeführt haben. Wie nahe auf solchem Wege aber auch diese Richtung den andern gekommen ist, zeigt insbe sondere Credner, der schliesslich ganz auf die Seite Derer getreten ist, die dem Marcus die Priorität zusprechen. Aehnlich steht es aber endlich auch mit der Benutzungshypo these. Meyer, ihr neuester Vertreter, sagt: »Die Ansicht, nach wel cher ein Evangelist den andern benutzt hat, wobei aber die evangelische Tradition, wie sie längst vor der schriftlichen Aufzeichnung lebendig war (Lc. 1, 2), sowie alte, vor unseren Evangelien verfasste, schriftliche Documente (Lc. 1 , 1) wesentlich mit in Rechnung kommen, ist allein geeignet, das synoptische Verhältniss natürlich und geschichtsgemäss zu begreifen. «x Das heisst aber nichts Anderes, als die Benutzungshypo these zwar festhalten, aber sie doch mit den übrigen allen combiniren. Beachtet man ferner, dass auch Meyer nunmehr entschieden dem Mar cus die Priorität gibt, so scheint auch die positive Seite des Resultates aller bisherigen Untersuchungen ziemlich auf der Hand zu liegen ; ausser allen Zweifel gesetzt ist jedenfalls die negative Seite: dass nämlich mit dem alten Gewirre sich durchkreuzender Hypothesen aufgeräumt, und dass mit dem Titel der Urevangeliums-, Benutzungs- oder Traditions theorie kein jetzt noch möglicher Standpunkt genau bezeichnet ist. Es käme daher darauf an, unter den Combinationen, wie sie seit Neudeckeru. A. an der Tagesordnung sind, zu wählen. Hier werden wir nun von vornherein Credner und De Wette darin Recht geben, da"ss eine mündliche Tradition jedenfalls allen schriftstellerischen Versuchen vorangegangen sein muss. Nur wird man das erste Auftreten der Letzteren nicht erst auf circa 70 herabsetzen dür fen. Der Umstand, dass allerdings unsere Synoptiker um diese Zeit ent standen sind (§. 26), dass sie aber bereits auf gemeinsamen Quellen ruhen, nöthigt uns, einen früheren Beginn der schriftstellerischen Thä tigkeit anzunehmen. Aber auch unter den Combinationen wird eine gewisse Sorte als nicht zum Ziel führend auszuscheiden sein. Die meisten Combinations- versuche sind nämlich durch Verbindung der Griesbach'schen Hypo these mit der Gieseler'schen entstanden. So der von De Wette, dessen Kritik sich auch in ihrem weiteren Fortgang in einem unglück seligen Schwanken befindet und in der That Nichts erklärt. Er hielt zu 1) Zu Matthäus, S. 25. Holtzmann. 66 Erstes Capitel. sehr den blos historischen Zweck fest, der nun einmal keineswegs allein bestimmender Leiter der evangelischen Geschichtsschreibung gewesen ist. »Man erfährt nicht recht, welches der ursprüngliche Gehalt der Evangelien oder die Grundlage des Berichtes sein solle, ob die münd liche Ueberlieferung, dass bei deren Wiedergabe und Ausdruck schrift liche Aufsätze als Nebensubsidien benutzt worden wären , oder ob der schriftliche Entwurf, dass zu dessen Vervollständigung der Stoff aus mündlichen Nachrichten entlehnt, und also die Sage erst eine Neben quelle wäre.«1 »Matthäus und Lucas, angeblich die originellen Evan gelisten, sollen, weil sie Gleiches hier in gleicher, dort in verschiedener Ordnung, und Ungleiches neben Gleichheiten haben, bald durch die Sage, bald durch den Gebrauch schriftlicher Aufsätze mit einander in Zusammenhang gekommen sein. Jedenfalls würde hierüber bestimmter geurtheilt werden können , und die Ansicht würde vielleicht total ge ändert, wenn zuvor bestimmt würde, was am Matthäus zur Urform der Schrift gehöre, und was das, davon zu trennende, Spätere sei.«2 Mit einem Wort : weder Matthäus, noch Lucas verträgt eine Beurtheilung, die von der Voraussetzung der Originalität des einen oder des andern Schriftwerkes ausgeht, insonderheit abpr ist die Griesbach'sche Hy pothese haltungslos (§. 9). Das einzige positive Resultat, das sich uns bisher ergeben hat, ist Dies, dass die Verwandtschaftsverhältnisse der Synoptiker auf eine ge meinsame Grundschrift zurückweisen. Ob sie ausserdem auch noch ge genseitig sich benutzt haben, ob ausser der noch fliessenden mündlichen Tradition noch andere schriftliche Quellen, und welche, angenommen werden müssen, kann erst später entschieden werden. In jener obersten Behauptung aber bestärkt uns die Wahrnehmung, dass beinahe alle neue ren Forscher hier zustimmen. Fast durchgängig legt man eine Schrift zu Grunde, die man entweder als ein ausführliches, aus bioser Combi nation des dreifach gemeinsamen Inhaltes noch nicht zu gewinnendes, Urevangelium fasst, oder aber geradezu Urmarcus nennt; so erklärt man dann unseren Matthäus als Combination dieser Quelle mit einer neuen; wie endlich auch Lucas, abgesehen von seinen ganz eigenthüm lichen Bestandtheilen, auf den, auch im Matthäus immanenten, Urmar cus oder geradezu auf den Matthäus selbst zurückgeführt wird. Um nun aber diese erste Quellenschrift, auf die wir jedenfalls gewiesen sind, nicht in einem präjudicirlichen Lichte erscheinen zu lassen , wer den wir im Folgenden nicht sowohl von einem Urmatthäus oder Urmar cus, als von einer Grundschrift (A) reden. Ihre Gestalt, so weit sich Dies thun lässt, zu ermitteln, wird nun unsere nächste Aufgabe sein. 1) Wilke, S. 167. — 2) Wilke, S. 168. Gestalt des Problems. 67 Wir werden zeigen, dass in der That, unter Voraussetzung einer sol chen, jetzt ohne allen Vergleich dem Marcus am nächsten stehenden, Quelle das verwandtschaftliche Verhältniss, in welchem alle Drei zu einander stehen, mit nn^g^ds^bbrechender ; Evidenz zu erweisen ist. Die Hauptkriterien, wornach wir bei Unterscheidung des Gemeinsamen und des Besondern verfahren, haben wir in den §§. über die Compo sition des Matthäus (12) und Lucas (13), über Doubletten (16), Ci tate (17) und Sprachgebrauch (19), und nicht minder auch über die verschiedenen Modificationen der evangelischen Geschichte bei den einzelnen Synoptikern (27) zusammengestellt. Nachdem daher unsere Methode schon jetzt als die Consequenz des Historischen von einer Seite her befestigt ist, steht es dem Leser frei, bei vorliegender Unter suchung seinen Ausgang vom zweiten, dritten, vierten oder fünften Ca pitel zu nehmen ; er wird sich stets von andern Gesichtspunkten aus mit zwingender Nothwendigkeit auf dasselbe Resultat gewiesen sehen. Nur das erbitten wir uns zum Voraus, man möge ein definitives Urtheil nicht fällen, ehe man diejenige Methode, der man vorzugsweise gefolgt ist, mit den Resultaten der andern verglichen und sich alsdann die Frage vorgelegt habe, ob es aus dem fünffach geschlungenen Netze überhaupt noch einen anderen, unsere wesentlichen Resultate zerreissenden , Aus weg geben könne. Zweites Capitel. Composition des Marcus — Quelle A (Urmarcus). §. 5. Aufstellung der Quelle A. 1) Mr. 1, 1 — 6. Mt. 3, 1—6. Lc. 3, 1—6. Der Täufer. Hier mit, und nicht mit einer Vorgeschichte, beginnt die Grundschrift.1 Schwerlich lässt sich aber der wörtliche Anfang von A noch herstellen, da gleich die kurzer Hand erfolgende Bezeichnung Jesu als vlög dsov auf die, Mr. 6, 3 sicher zu erkennende, Hand des Bearbeiters führt. Aut jeden Fall aber ist das Citat 2 von Marcus hereingebracht (§. 17), dage gen das andere Citat 3 von Jedem der erweiternden Evangelisten blos anders gestellt, von Lucas überdies, um gleich recht gründlich zu Werk zu gehen, aus LXX ergänzt. Anstatt Mt. 2 stand aber in A xrjqvooiov 1) Wilke, S. 611—647. 68 Zweites Capitel. ßdnziofia fisxavoiag sig agpsaiv dfiagxiwv Mr. 4 = Lc. 3;1 dass aber auch Marcus bereits hier zu verkürzen beginnt, zeigt die von ihm aus gelassene neglytogog xov 'Ioqödvov Mt. 5 = Lc. 3. 2) Mr. 1, 7. 8. Mt. 3, 7 — 12. Lc. 3, 7—9. 16. 17. Zeugniss des Täufers über Jesus. Auf jeden Fall in A stand Mr. 1, 7. 8 = Mt. 3,11= Lc. 3, 16, wahrscheinlich aber die ganze Busspredigt. Marcus hat gemäss dem aUgemeinen Charakter seines Evangeliums, wornach er für Reden geringeres Interesse zeigt, blos den Schluss auf genommen, der das Verhältniss des Vorläufers zum Messias in prägnan ter Weise darstellt. 2 Dabei wollte er das iyw ßanx'iQw iv vöaxi zuerst auch noch auslassen, nachträglich aber setzte er es als um des Gegen satzes willen unentbehrlich bei, jedoch mit Auslassung des iv. 3 Na türlich fiel dann auch das xal nvgl, als bei Auslassung von Mt. 3, 10. 12 zu abrupt, hinweg, wodurch schliesslich der drohende Inhalt der Rede ganz verschwand, und nur die Vergleichung des zum Wohlthun Mächtigeren mit dem minder Mächtigen übrig blieb. 4 — Das xvipag soll von Marcus eingearbeitet sein;5 aber die beiden Andern können es ebenso gut übergangen haben. 3) Mr. 1, 9—11. Mt. 3, 13. 16. 17. Lc. 3, 21. 22. Taufe Jesu. In A hat Jesus das Gesicht und wird im Moment der Taufe nvsvfiaxo- cpöqog, was dann die späteren Vorgeschichten um circa 30 Jahre vorrück ten. 6 Nur Seitenblicke auf das vierte Evangelium können die Ur sprünglichkeit des Berichtes im Marcus verkennen lehren. 7 Uebrigens kommen die ovqavol oyi^öfisvoi vielleicht auf Rechnung des Marcus, der schon an ein äusserliches Phänomen dachte. 8 4) Mr. 1, 12. 13. Mt. 4, 1 — 11. Lc. 4, 1 — 13. Versuchung Jesu. Nach Vieler Urtheil besässen wir in Marcus eine noch unent wickelte, in den Späteren eine ausgebildetere Gestalt der Sage.9 In die sem Falle hätten also Matthäus und Lucas Bereicherungen von A gege ben. Unbefangener Weise muss jedoch zugestanden werden, dass die Rede des Teufels si viög sl xov dsov zurücksieht auf das unmittelbar vorhergegangene ov sl 6 viög fiov. Das kategorische Wort Gottes soll 1) Es mag der Ausdruck immerhin einem trübenden Einfluss, hervorgebracht durch die Vergleichung der christlichen Taufe , entstammt sein ; aber Marcus hat ihn keinenfalls erfunden, -wie Weiss (S. 61) meint. — 2) Ewald (Evangelien, S. 157), Köstlin (Evangelien, S. 330), Bleek (Synopsis, I, S. 165), Weisse (Evangelienfrage, S. 164 f.). — 3) Weiss, S. 61. — 4) Wilke, S. 102. — 5) Wilke (S. 180), Gfrörer (Urchristenthum, n, 2, S. 127), Weiss (S. 61). — 6) Strauss (Leben Jesu, I, S. 423), Schwegler (Nachapostolisches Zeitalter, I, S. 250 f.), Ewald (Evangelien, S. 171), Hilgenfeld (Evangelien, S. 56 f). — 7) Gegen Bleek: Einleitung, II, S. 246 f. — 8) Bleek: Synopsis, I, S. 177. Doch vgl. Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 474. — 9) Eichhorn, Wilke, Weisse, Meyer, Ewald: Evangelien, S. 161 ff. Aufstellung der Quelle A. 69 durch eine hypothetische Verwandelung auf das Gebiet des Fraglichen herüberversetzt werden, wie Gen. 3, 2. »An die Taufweihe des Messias, an seine Erklärung zum Gottessohne schliesst sich die Versuchung als Bewährung dieser , vom Teufel wohl erkannten , Gottessohnschaft un mittelbar an.«1 Dagegen konnte, wer die Versuchungsgeschichte zum erstenmal erzählte, sie füglich nicht so erzählen, wie Marcus Dies that,2 da nicht in dem abstracten Factum der Versuchung, sondern in der Ausmalung concreter Situationen das frische Product der Sagenbildung zu erkennen ist. Nur gegenüber dem Teufel, der weichen muss, und gegenüber dem vorausgehenden Fasten haben auch die zum Dienst her zutretenden Engel ihre contextmässige Beziehung, 3 während die be treffende Notiz bei Marcus offenbar abgerissen und unvermittelt er scheint und ihr Dasein blos dem epitomatorischen Verfahren verdankt, das rasch zum letzten Satze des abzukürzenden Abschnittes hineilt. 4 Der Anfang der Perikope lautete aber , wie aus den Parallelstellen er hellt : xal svdvg xö nvevfia avxöv ixßdXXsi sig xfjv eqrjfiov xa\ rjv iv xfj iqrjfiw rjfisqag TsaasqdxovTa nsiqatpfisvog vno tov öiaßöXov xal ovx s'cpayev ovösv — eine Redeweise, die, was Umständlichkeit, Sprachge brauch (doppelte Verneinung, Zeitbestimmung, Wörter) betrifft, voll kommen charakteristisch für A ist, während die abglättenden Wendun gen der erweiternden Evangelien hier deutlich ihre Abhängigkeit zur Schau tragen. 5 Ebenso aber bleibt das Verhältniss auch im ganzen Fort gang, wie unwiderleglich die Citate aus LXX beweisen, die dem Grund text entsprechen würden , wofern Matthäus das Stück nach der Tradi tion frei gebildet und in den Zusammenhang von A eingefügt , Lucas aber den Matthaus benutzt hätte (§. 17). In der That sehen wir den Mar cus hier, wie immer, »dem am meisten betretenen Weg der Geschichte nachgehen und das gar zu Auffallende, Abnorme, Abenteuerliche und darum auch Vereinzelte und Zusammenhangslose auf der Seite liegen lassen, « 8 wesshalb auch Weisse sich genöthigt sah, im Text des Mar cus hier wieder Lücken anzunehmen, 7 wie andererseits Wilke darin schlaue Interpolationen aus Lucas entdeckt. 8 An die Stelle des Ver kehrs mit dem Bösen tritt aber bei Marcus das apokryphische Element 1) Hilgenfeld: Evangelien, S. 59. — 2) Schwegler (Nachapostolisches Zeitalter, I, S. 461 ff.), Reuss (Nouvelle revue, II, S. 48). — 3) Weisse (Evange lienfrage. S. 163), Weiss (S. 61 f.), Hengstenberg (Evangel. Kirchenzeitung, 1858, S. 629). — 4) Bleek: Einleitung, II, S. 247 f. Synopsis, I, S. 202. — 5) Weisse: Evangelienfrage, S.163. — 6) Baur: Marcusevangelium, S. 139. Köst lin erklärt sich (S. 322) zwar gegen diese Ansicht, so aber, dass er die Erzählung des Matthäus für eine Einschaltung aus mündlicher Tradition hält (S. 73), welcher Behaup tung Hilgenfeld (Evangelien, S. 59) mit Recht entgegengetreten ist. — 7) Evan gelienfrage, S. 163. — 8) Urevangelist, S. 664 f. 70 Zweites Capitel. rjv fisxd xwv drjqiwv, das, wäre es in A gestanden, von Matthäus und Lucas wohl nicht übersehen worden wäre. l 5) Mr. 1, 14. 15. Mt. 4, 12. 17. Lc. 4, 14. 15. Jesu Rückkehr nach Galiläa. Dieselbe wird mit dem Schicksal des Täufers in Zu sammenhang gebracht, der am untern Jordan gefangen genommen wor den war ; aber blos Matthäus verknüpft beide Ereignisse pragmatisch. A geht über zur Angabe des Themas der Predigt , mit welcher von nun an Jesus in Galiläa in die Oeffentlichkeit trat. 2 Ich habe früher die An sicht ausgesprochen , dass die Mt. 4, 13 = Lc. 4, 31 erhaltene Notiz, wornach Jesus Nazareth verlassen habe, um seinen Wohnsitz nach Ka pernaum zu verlegen, nach Mr. 1, 15 ausgelassen worden sei.3 Eben diese Erwähnung hätte dann Lucas benutzt, um sein Programm 4, 1 6 — 30 vorher einzuschieben. Allein wenn Lucas die Angabe Mt. 1 3 von einer beabsichtigten förmlichen Uebersiedelung gekannt hätte, so würde er die von ihm so sehr hervorgehobene Bedeutsamkeit der Verwerfung Jesu in seiner Vaterstadt durch dieselbe noch erhöht haben, was Lc. 4, 31 jedoch nicht geschieht. 4 In A aber ist es mehr zufällig, dass Jesus, indem er zuerst am galiläischen See hinwandelt, nach Kapernaum ge- räth (Mr. 1 , 21), weil daselbst die am Seeufer berufenen Fischer wohn ten. Also nur in Folge seiner Bekanntschaft mit Petrus hat Jesus seine Wohnstätte daselbst aufgeschlagen. 5 6) Mr. 1, 16 — 20. Mt. 4, 18— 22 (Lc. 5, 1—11). Die vier älte sten Apostel. Marcus hat den anschaulicheren Bericht mit genauer Zeichnung der Situation. Das naqdywv naqd xrjv ddXaaaav xfjg TaXi- Xaiag weist auf 14 zurück. Das fisxd xwv fiiadwxwv ist ebenfalls kein Zusatz — etwa um zu erklären, wie der Vater ohne Impietät verlassen werden konnte 6 — sondern gehört zur Detailmalerei , so gut wie dfigpi- ßdXXovxsg 16 und das — auch von Mt. 21 aufgenommene — Netze flicken. Während daher Simon und Andreas die ihnen eigen gehörigen Netze (avxwv 1 8) verlassen , verlassen Jakobus und Johannes — nicht das Schiff, wie Mt. 22 verstanden hat — sondern ihren Vater mit seinen 1) Dass die ganze Sage nach Analogie von Gen. 3 gebildet ist, und dass dem Ver sucher die Schlange entspricht, wurde von Baur (Evangelien, S. 540) und Hilgen feld (Evangelien, S. 126) mit Recht hervorgehoben. Es ist daher nicht unwahrschein lich, wie dieselben Kritiker annehmen , dass auch das fisrct tcov d-rjQlcov des Marcus aus dieser paradiesischen Wendung und Vergleichung mit dem ersten Adam entsprun gen ist. Doch war damit schon Gfrörer (Urchristenthum, II, 2, S. 127) vorausge gangen. Unseres Erachtens aber würde in diesem Falle von der, in A angedeuteten, Schlange (= äiäßokog) die Ideenassociation, die auf die Thiere führte, ausgegangen sein. — 2) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 316. — 3) Schenkel's »Allge meine kirchliche Zeitschrift,« 1861, S. 499. — 4) Weiss (S. 79), Ewald (Evange lien, S. 194). — 5) Wilke, S. 573. — 6) De Wette und Bleek: Synopsis, I, S. 213. Aufstellung der Quelle A. 71 Genossen, deren Arbeit in dem Schiff sie getheilt hatten.1 Da also nicht gesagt ist, dass das Schiff selbst ihnen gehörte , ist auch aus der beiläu figen, von Matthäus als überflüssig ausgelassenen,2 Notiz fiexa xwv fiiadwxwv nicht mit Ewald herauszulesen, dass sie ein so schwung haftes Geschäft mit Resignation verlassen hätten. 3 7) Mr. 1, 21— 28. Lc. 4, 31— 37. Heilung des Dämoni schen in Kapernaum. Von Matthäus ausgelassen, weil ihm A Mr. 5, 1 — 20 ein sprechenderes Beispiel von Dämonenheilungen schien.4 — Unser und das nachfolgende Stück berichten nun von den Vorgängen an einem einzigen Sabbat, der als Eröffnungstag für das Wirken Jesu gelten kann. Richtig haben daher Ewald 5 und Meyer 6 bemerkt, dass mit Mr. 21 die bisherige skizzenhafte Arbeit einer grösseren Ausführ lichkeit Platz macht. Dies ist auch der Grund, wesshalb Reuss 1 — 20 für eine später vorgesetzte Einleitung halten konnte. 7 Unbegreiflicher dagegen bleibt, wie Baur die Stelle Mr. 27 = Lc. 35 als ein schlagen des Beispiel für die Abhängigkeit des Marcus, der hier einen verwirr ten Nachklang aus Lucas biete, aufführen und gegen Hilgenfeld's dringliche Vorstellungen8 taub bleiben konnte.9 Man braucht aber zur Zurechtlegung der Sache auch nicht seine Zuflucht zu Varianten und Textänderungen zu nehmen, 10 da nur das oti vor xax3 igovalav sicher mit Lachmann, Tischendorf und Meyer zu streichen ist. A las also xi saziv xovxo ; öiöayfj xaivrj xax sgovaiuv , was keineswegs dahin als Missverständniss misszuverstehen ist, als ob Jesus, wiewohl er eben ein Wunder gethan, doch ob seiner öiöayrj gepriesen werde. Denn die öiöaxrj xax igovalav blickt offenbar auf 22 zurück und so bezieht sich der ganze Satz 27 erstens auf Jesu Lehre, zweitens auf seine Heilung, also auf beide Seiten der jetzt eben vorliegenden Wirksamkeit. u Will man aber auch dies nicht zugeben, so bleibt immer noch übrig, anzu nehmen , dass die Wunder bei Marcus als die augenfälligste Beglaubi gung der reinen Lehre auftreten und daher in das innigste Verhältniss zur xaivr öiöaxrj Jesu gesetzt werden. Wie Hilgenfeld diese Anschau ung von der Wunderbeglaubigung für die alterthümlichere hält,12 so ist andererseits der doppelsinnige Ausdruck xig ö Xöyog ovxog ganz augen scheinlich der spätere. l3 Denn eben um der scheinbaren Schwierigkeit 1) Weiss, S. 652. — 2) Wilke, S. 575 f. — 3) Evangelien, S. 192. — 4) Weiss, S. 44. — 5) Evangelien, S. 194. — 6) Zu Marcus und Lucas, S. 21. ~ 7) Geschichte der h. Schriften, S. 172. 174. 230. Nouvelle revue, II, S.48 ff. —Dagegen Scherer: Nouvelle revue, III, S. 306 ff. — 8) Evangelien, S. 128. — 9) Marcusevan gelium, S. 7 ff. Theol. Jahrbücher, 1853, S. 68 ff. — 10) Gegen Ewald (Evangelien, S 195), Ritschi (Theol. Jahrbücher, 1851, S. 525 f.). - 11) De Wette, Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 23. - 12) Evangelien, S. 127 f.!- 13) Hilgenfeld : A.a. O. S. 169. 72 Zweites Capitel. des Ausdrucks willen lässt Lucas die öiöaxrj xaivrj xut il-ovoiav aus, zumal da er auch 32 die Sache selbst schon mitgetheilt hat, wie auch in dem Xöyog 36 der Begriff, auf den es ankam, bereits zu liegen schien.1 Bestätigt wird diese Auffassung schliesslich noch durch die Wahrneh mung, dass Lucas überhaupt dem Ausdruck öiöaxrj aus dem Wege geht und ihn blos 32 aus A hat. 8) Mr. 1, 29—34. Mt. 8, 14—17. Lc. 4, 38—41. Heilungen im Hause des Petrus. Der Schluss ist Mr. 34 verkürzt, Lc. 41 er weitert. Was man zu Gunsten der Griesbach'schen Hypothese aus unserer Stelle hat ableiten wollen,2 wird sich §. 9 erledigen. Sollte wirklich ein Nacherzähler dem Simon auch den Namen des Andreas zu gefügt haben, oder haben nicht vielmehr die Nacherzähler den Andreas ausgelassen, da im Folgenden nur Simon in Betracht kommt?3 9) Mr. 1, 35—39. Lc. 4. 42—44. Reisepredigt in Galiläa. Eines der sprechendsten Stücke für die Ursprünglichkeit der Relation des Marcus. Das Erzählte findet unmittelbar nach dem vorangegange nen Sabbat statt. Jesus zieht sich in eine abgelegene Gegend zurück, Petrus holt ihn zurück, man will ihn in Kapernaum halten, er aber er klärt, sein Beruf führe ihn nach allen Städten Galiläas — dies Alles ist bei Matthäus und Lucas verwischt. 10) Mr. 1, 40 — 45. Mt. 8, 2 — 4. Lc. 5, 12 — 16. Heilung eines Aussätzigen in einer galiläischen Stadt. Seltsamer Weise will man in dem so individuellen Gepräge 41 — 44 noch Spuren späterer Ueberarbeitung entdecken. 4 Nach diesem ersten öffentlichen Hervortreten, das schon Aufsehen genug erregt hat, zieht sich Jesus wieder zurück. 11) Mr. 2, 1—12. Mt. 9, 1—8. Lc. 5, 17—26. Heilung eines Paralytischen. Wenn irgendwo so trägt hier -die malerische Dar stellung des Marcus das Gepräge factischer Wahrheit. B Jesus ist übri gens jetzt zum zweitenmal in Kapernaum, und, da man befürchtet, es werde seine Anwesenheit wieder nicht lange dauern, wendet man alle Eile an, sie zu benutzen — was bei Matthäus, der die Sache später stellt, wegfällt. 6 Uebrigens soll »das Stück zeigen, wie Jesus den phari säisch Gesinnten verdächtig zu werden anfing.«7 12) Mr. 2, 13—22. Mt. 9, 9-17. Lc. 5, 27—39. Berufung des Levi und Mahl in Jesu Hause. Der Text des Marcus kann hier blos bei der interpolirten Recepta als Combination aus Matthäus und Lucas erscheinen. Nur Marcus 18 scheint Verlegenheiten zu bereiten. 1) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 81. — 2) Bleek: Einleitung, II, S. 244 f. — 3) Weiss, S. 654. — *> Weiss, S. 62. 656 f; — 5) Weisse: Evan gelische Geschichte, I, S. 479 f. — 6) Wilke, S. 608. — 7) Wilke, S. 612. Aufstellung der Quelle A. 73 Aber rjaav vrjaxsvovsg gibt keineswegs eine »archäologische Notiz,«1 sondern deutet an, dass damals diese Jünger eben um den Verlust ihres Meisters trauerten (vgl. 19 und Joh. 3, 29). Desshalb ist die Ursprüng lichkeit von xal ol 0aqiaaloi nicht in Abrede zu stellen, da auch sie ge rade einen Fasttag begehen konnten; um von der Möglichkeit zu schweigen, dass Marcus aus der Frage, darin der Pharisäer Erwähnung geschieht, das Subject ergänzt. Die Antwort Jesu ist nicht etwa an einen unbestimmten Frager,2 sondern wirklich an die Johannesjünger gerichtet, 3 wie auch Matthäus diese allein nennt. 13) Mr. 2, 23—28. Mt. 12, 1—8. Lc. 6, 1—5. Aehrenausrau- fenam Sabbat. Hier hat Marcus den ursprünglichen Bericht, dem zufolge die Jünger nicht um zu essen, sondern um Weg zu bahnen, Aehren ausraufen und daher getadelt- werden dafür, dass sie das an sich schon Unerlaubte am Sabbat thun. 4 Jesu Antwort ist daher eine dop pelte. Er erinnert zuerst an einen mustergültigen Frommen, der in einem anderen Nothfall , da ihn hungerte, sich über das gesetzlich Un erlaubte hinwegsetzte, indem er die Schaubrode ass. Daher das so nahe liegende, auch von den Exegeten lange Zeit über stets neu producirte, Missverständniss des Matthäus und Lucas, als hätten auch die Jünger durch Essen Anstoss erregt. Zweitens beweist Jesus , dass der Sabbat hier keinen Unterschied mache. Dabei hat Marcus allein die Basis der Argumentation 27 beibehalten und schliesst daraus 28 mit waxs , wie A auch sonst (Mr. 10, 8 = Mt. 19, 6) thut. Die Schlussweise war übri gens dem Apostel Paulus wohl bekannt aus sachlichen Gründen, wird daher 1 Kor. 11,9 auf einen anderen Fall angewandt. Dass Matthäus und Lucas die auffallende Sentenz übergehen, berechtigt nicht, in ihr mit Baur 5 eine rationelle Erklärung des Epitomators zu finden. Seine nähere Begründung hierfür, dass Jesus sich unmöglich öffentlich auf seine Messianität berufen konnte, ja dass man den Ausdruck 6 viög zov dsov erst nach seinem Tode als gleichbedeutend mit Messias betrachtet habe, wesshalb das ganze Dictum als commentirende Glosse gelten müsse 6 — hängt eng zusammen sowohl mit seiner falschen Erklärung jenes Danielischen Ausdrucks, als auch mit seiner verkehrten Auffas sung des, zwischen Matthäus und Marcus statthabenden, Abhängigkeits verhältnisses (§. 9). Nur das oxs xq^iav saxs 25 scheint von Marcus ein gearbeitet, T Mt. 5. 6 vielleicht (§. 12, Nr. 34) ausgelassen worden zu sein. 1) Gegen De Wette (Zu Marcus und Lucas, 1846, S. 177), Fritzsche (Marcus, g_ g2 f.). 2) Gegen Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 482. — 3) Ewald (Drei Evangelien, S.201), Meyer (ZuMatthäus, S.221), Bleek (Synopsis, I, S.390). 4) Die richtige Auslegung bei Mey er : Zu Marcus und Lucas, S. 35 ff. — 5) Zeit schrift für wissenschaftliche Theologie, 1860, S-. 290. — 6) A. a. 0>, S. 287 ff. — 7) Wilke, S. 190, der übrigens falsch S. 464 auch Vers 27 für Glosse hält. 74 Zweites Capitel. 14) Mr. 3, 1—6. Mt. 12, 9—14. Lc. 6, 6 — 11. Heilung der verdorrten Hand. Wird von Lucas auf einen andern, von Mat thäus auf denselben Sabbat verlegt , wie das Aehrenausraufen. Marcus hat hier wieder am individuellsten (vgl. 5) erzählt; an ihn hält sich Lucas, während Matthäus aus anderen Quellen einschaltet. Jesus scheint übrigens hier wieder in Kapernaum zu sein. * 15) Mr. 3, 7 — 12. Mt. 12, 15. 16. Lc. 6, 17—19. Summari scher Bericht über die Krankenheilungen, als Einleitung zur Bergpredigt. Diese Stelle, die bei Marcus allein in gesunder Natur frische zu Tage tritt, zeigt, wie die Anderen Notizen von A blos gele gentlich benutzen. Denn schon die Akoluthie bürgt dafür, dass die Stelle des Matthäus als Parallelstelle anzusehen ist; einzelne Züge waren aber schon bei der ersten summarischen Schilderung Mt. 4, 24. 25 benutzt worden. — Wie allgemein übrigens das Aufsehen war, welches Jesus nach und nach erregt hatte, beweist die Nachricht, dass auch aus Judäa und Peräa ihm Viele nachfolgten , was nur in der Stellung bei Matthäus 4, 25 übertrieben erscheinen würde, weil dort allerdings »bei dem ersten Auftreten Jesu«2 statthabend. 16) Mr. 3, 13 — 19. Mt. 10, 2—4. Lc. 6, 12—16. Erwählung der Zwölf, im Anfang von Marcus abgekürzt. Die SteUung des Kata logs bei Matthäus erklärt sich aus Anticipation der Bergpredigt. Uebri gens zählt Marcus auf in Berücksichtigung theils des Alters der Jünger schaft, theils der Beinamenschaft ; Matthäus dagegen, der die Erwählung unmittelbar mit der Aussendung verknüpft, legt nach Maassgabe von A Mr. 6, 7 ein Interesse für paarweise Aufführung, 3 Lucas ein solches für Synonymität an den Tag. Darnach wurde die Stellung in A verän dert. Matthäus und Lucas haben am Anfang die Brüderpaare zusam mengestellt, während Marcus die Vertrauten zuerst nannte. Im Allge meinen liegt den drei Katalogen aber die Rangordnung zu Grunde, ver möge deren Petrus als primus inter pares voran , Judas Ischarioth als Verräther zuletzt steht. Marcus. Matthäus. Lucas. Petrus. Andreas. Jakobus I. und Johannes. Andreas. Philippus und Bartholomäus. 1) Ewald: Drei Evangelien, S. 203. — 2) Hilgenf el d: Evangelien, S. 61. — 3) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 401. Aufstellung der Quelle A. 75 Matthäus und Thomas. Jakobus II. Thaddäus = Lebbäus. Simon. Judas Jacobi (vgl. Joh. 14, 22.) Judas Ischarioth. 17) Lc. 6, 20—49. Bergpredigt, von Mt. 5—7 überarbeitet. Dass die Rede bei Matthäus in ihrem Grundkerne identisch ist mit der des Lucas hätte man schon im Hinblick auf Anfang und Schluss beider Predigten niemals bezweifeln sollen. Uebrigens findet sich mit Aus nahme weniger Sätzchen der gesammte Inhalt von Lucas im Matthäus wieder; es liegt mithin klar zu Tage die Selbigkeit des Stoffs.1 Wir haben also nur zu beweisen, dass diese Rede auch in A , und zwar hier, gestanden haben muss. Wie anders sollte es aber zugegangen sein, dass die erweiternden Evangelisten bei ihrer sonst durchgehenden Abweichung in der Bestim mung der Stellen, welchen sie den in Marcus fehlenden Apophtegmen anweisen, gerade hier, in der Art und Weise der Einführung jener Aus sprüche , welche den ihnen gemeinsamen Grundstamm der Bergpredigt ausmachen, in so auffallender Weise harmoniren? Darüber kann kein Zweifel sein, dass Matthäus sowohl, als Lucas diejenigen Bestandtheile, welche ihren beiderseitigen Reden gemeinsam sind, schon bei einem schriftstellerischen Vorgänger gefunden haben müssen, und zwar bei einem Vorgänger, der nicht blos Redestücke zusammengereiht hat, son dern der Thatsachen erzählte , wie Jesu Hingang auf den Berg, seine Anrede an die Apostel und besonders die Akoluthie der Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum beweist, die bei Lucas unmittelbar auf die Bergrede folgt, bei Matthäus blos durch das nachgetragene Fragment aus Mr. 1, 40 — 44 davon getrennt ist — eine Uebeseinstimmung in der An ordnung, wie wir solche sonst nur bei den Stücken antreffen, welche die anderen Evangelisten mit Marcus gemein haben.2 Sehr nichtssagend sind daher die Gründe, mit denen Wilke die Existenz der Bergpredigt im Urevangelium bestritt; 3 und seine Anstrengungen, ihre Herkunft nicht aus Marcus, sondern aus Lucas abzuleiten, 4 kommen auf unserem Standpunkte, wo der Marcus Wilke's = A, und im betreffenden Fall A = Lucas ist, von vornherein nicht mehr in Betracht. Dagegen hat zuerst Ewald mit scharfsinnig entwickelten Gründen auf die Wahr scheinlichkeit hingewiesen, dass hinter den Worten Mr. 3, 19 xal 1) Bleek: Synopsis, I, S. 220 f. — 2) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 73. Evangelienfrage, S. 157. — 3) Urevangelist, S. 584. — 4) S. 685 ff.. 76 Zweites Capitel. sqxovxai sig olxov eine bedeutende Lücke ist, die nur durch die Berg predigt und die Geschichte vom Hauptmann in Kapernaum auszufüllen ist1 — ein Zweifel, von dessen objectiver Berechtigung man um so sicherer überzeugt sein darf, als Ewald den ursprünglichen Ort der Bergrede gar nicht, wie wir, in A, sondern in einer vorausgesetzten anderen Quelle , der Redesammlung, suchte. Seinem Bedenken ist zu nächst Weisse beigetreten und hat es sogar auf eine ganze Reihe von Erzählungen ausgedehnt, die bei Lucas auf die Bergpredigt folgen.2 Auch Tobler stimmt bei.3 Am instructivsten aber sind für unsere Sache die, im Wesentlichen auch durch Baur4 bestätigten, Erörterungen Ritschl's über die Bergpredigt. B Denn obwohl er diese Rede nicht in das Urevangelium verlegt, sondern sich zunächst an die Relation des Matthäus hält, fühlt er doch ganz richtig heraus , dass die Predigt aus schliesslich an die Jünger Jesu gehalten sein muss0 und lässt es unent schieden , wie die leitenden Gedanken des Matthäus - Textes über die Verhältnisse Jesu zum Gesetz motivirt sein mochten. In der That lösen sich die Schwierigkeiten , welche die Bergrede (vgl. 5 , 17, 1 8) im Ge gensatz zu den gesetzesfreien Aussprüchen des Marcus, ja auch zu dem weiteren Verlauf der Rede selbst macht, völlig nur, wenn man den Cha rakter dieser ganzen Rede als einer Compilation im Sinne des ersten Evangelisten erkannt hat (§. 12, 10). Wie aber im umgekehrten Fall Lucas der ursprünglichen, so reichen Bergrede mit aller anatomi schen Kunst seines, ärztlichen Berufs »ihren eigentlichen Kern ausge schnitten« haben sollte — hat weder Baur,7 noch sonst Jemand be greiflich zu machen verstanden. Wohl aber hat E w a 1 d mit richtigem Takt die geschichtliche Stel lung der ursprünglichen Bergrede im Zusammenhang des Marcus nach gewiesen. 8 Vgl. hierüber §. 29. Die Form, in welcher diese, an die Jünger gerichtete, die festen Grundzüge des Gottesreichs im Zusam menhang vortragende, Rede in A enthalten war, ist aber folgende: 1) Lc. 20 — 26, vier Makarismen mit genau entsprechendem Wehe. Es geht nicht an , diese Verse als spätere Ausprägung zu fassen , 9 da sie vielmehr dem Vorgang des alttestamentlichen Gesetzgebers Deuter. 27, 1 1 ff. entsprechen. 10 Ueberhaupt ist nicht abzusehen, wesshalb Lucas 1) Evangelien, S. 208 f. — 2) Evangelienfrage, S. 159. 161 f. Anders noch in der »Evangelischen Geschichte,« I, S. 85. II, S. 27 ff. — 3) Evangelienfrage, S. 14. 4) Christenthum der drei ersten Jahrhunderte , S. 36 f. — 5) Altkatholische Kirche, 1857, S. 35 f. — 6) So Kühnöl, Ebrard, Wieseler, Bleek (Synopsis, I, S. 224. 227), Hilgenfeld (Evangelien, S. 61 f.), Weiss (S. 71). — 7) Evangelien, S. 461. — 8) Evangelien, S. 205. 207. — 9) Gegen Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 329 f.), Hilgenfeld (Evangelien, S. 173). — 10) Gfrörer : UrchTistenthlim, II, 2, S. 146. Aufstellung der Quelle A. 77 die reichere Form des Matthäus, wenn er sie vorfand, verkürzt, noch weniger, wesshalb er die vier Antithesen hinzugefügt haben sollte; denn » der ebionitische Geist ist dem Pauliner Lucas fremdartig, « " wäh rend es im Geist des ersten Evangeliums liegt , die überlieferten Maka rismen auf die Siebenzahl zu bringen. 2 Weil aber bei Lucas nicht blos specielle Beziehungen auf Scenen späterer Verfolgung vorkommen, 3 sondern der Sprachgebrauch auch zum Theil speciell lucanisch ist (ifi- nifinXdvai, oxiqxcjiv, xaxd xavxa noislv), ist eine theilweise sprachliche Bearbeitung der Quelle anzunehmen. — 2) Lc. 27 — 42 : Leidenswillig keit und Feindesliebe, das Erste im Christenthum. Nur zwei Verse standen hier nicht in A, nämlich Lc. 39 = Mt. 15, 14; Lc. 40 = Mt. 10, 24. 25, »welche er offenbar an einer andern Stelle fand, die ihm nur ihres Inhaltes wegen hier am passendsten zu stehen schienen« * — daher auch die plötzHche Unterbrechung des Zusammenhangs mit slnsv öi xal naqaßoXrjv avxolg. — 3) Lc. 43 — 49. Schlussgleichnisse von verschiedenen Bäumen und verschiedenem Hausbau. Hier hat Lu cas höchstens etwas zusammengezogen; 45 aber ist ursprünglich (§. 13, Nr. 38). 5 Nach dem Dargelegten dürfte das Urtheil Bau r's, wornach die Berg rede des Lucas nach einstimmigem Urtheil der Exegeten an Zusam- menhangslosigkeit leidet,6 auf ziemlich untergeordneten Werth zu redu- ciren sein. Vielmehr ist gerade der Charakter dieser Rede im Gegensatze zu der de Matthäus der der enggeschlossenen Einheit des Gedankens (§. 29). Wie aber auch Meyer der Rede des Lucas einen fragmentari schen und unvollständigen Charakter zuschreiben kann, 7 versteht man um so weniger, als er selbst es ist, der die ursprüngliche Ideenassocia- tion an den wenigen Stellen , wo man zweifelhaft sein könnte (Lc. 6, 27. 31. 43. 46), richtig nachgewiesen hat. 18) Lc. 7, 1 — 10. Mt. 8, 1. 5—10. 13. Heilung des Sohnes des Hauptmanns von Kapernaum. Der mittlere Ausdruck nalg (von Matthäus verstanden = viög, vgl. 17, 15. 18) wurde von Lucas falsch ausgelegt = öovXog. 8 Nur Lucas 7 ist nalg unvermerkt stehen geblieben, was deutlich genug die Abhängigkeit beweist. 9 Die Sorge des Herrn um einen öovXog würde nicht blos voraussetzen, dass der- 1) Meyer: Zu Marcus und Lucas, 1860, S. 330. — 2) Für die Siebenzahl vgl. Ewald (A. a. O. S. 210), Köstlin, (S. 50), Meyer (Zu Matthäus, 1858, S. 129). — 3) Ewald: a. a. O. S. 211. — 4) Ewald: Drei Evangelien, S. 223. So auch Gfrörer (Urchristenthum, II, 2, S. 147 f.), Bleek (Synopsis, I, S. 323) , Weisse (Evangelienfrage, S. 158). — 5) Gegen Weisse: Evangelienfrage, S. 158. — 6) Evan gelien, S. 462.— 7) Zu Matthäus, S. 191. — 8) So Strauss, Baumgarten- Crusius, Neander: Leben Jesu, S. 407. — 9) Der »sächsische Anonymus« (S. 56), Baur (Evangelien, S. 478). — 7 g Zweites Capitel. selbe der einzige Knecht des Hauptmanns gewesen , 4 sondern auch, dass dieser ein besonderes Interesse an ihm gehabt, was daher Lucas ergänzt (svxifiog hat unter den Synoptikern blos Lucas 7, 2 und 14, 8). Die andere Differenz, dass nach Matthäus der Hauptmann Jesu entge genläuft, während er nach Lucas zuerst Aelteste, dann Freunde schickt, könnte zwar auch so erklärt werden wollen, dass Matthäus, wie sonst auch, die Geschichtserzählung verkürzt und vereinfacht habe ; 2 in der That aber hat Lucas hier verändert (§. 13, Nr. 25). 3 Dass aber eine Quelle beiden vorlag, erhellt aus den fast wörtlich übereinstimmenden Reden des Hauptmanns (Mt. 9 = Lc 8) und Jesu (Mt. 10 = Lc. 9). Dass diese Quelle A war, geht, wie aus dem Sprachcharakter,4 so aus der Akoluthie im Verhältnisse zur Bergpredigt , auch wohl aus der aus geprägten Verwandtschaft mit der Geschichte von der Kananäerin ° her vor. Dass Marcus , wo er A wieder aufnimmt, ausser der Bergpredigt auch noch Anderes übergangen habe, zeigt das, den Weg vom Berg bis vor das Haus ignorirende xal eqxovxai sig otxov 3, 19, »und so gut, wie die ganze Bergrede ausgelassen ist, kann auch noch dieses erste Glied eines neuen Erzählungsstüokes ausgelassen sein. «6 19) Mr. 3, 20—30. Mt. 9, 32—34. 12, 22—32. Lc. 11, 14—23. Jesu Rede wider die pharisäische Anklage. Jesus wird von seinen Verwandten (ol naq' avxov, wozu vgl. die Commentare und Polyb. 23, 1, 6) für wahnsinnig, von den Gegnern für besessen erklärt. Noch ehe er sein Haus betritt , erfolgt die , von Marcus ebenfalls noch ausgelassene, wunderbare Heilung des Stummen. Dann erst nimmt Mar cus den, durch Auslassung der Bergrede unterbrochenen, Zusammen hang von A wieder auf. Schon der ganze Charakter von Mt. 12, wo eine zusammenhängende Reihe früherer Stücke nachgeholt wird, be weist, dass das Wunder in A erzählt war. Dagegen haben Matthäus und Lucas ausgelassen, was Marcus allein mittheilt , die anstössige Notiz 3, 20. 21. Gegen Marcus, der mit der Heilung auch Dieses weglassen musste, berichten Beide wieder Mt. 9, 33 = Mt. 12, 23 = Lc. 11, 14 vom günstigen Eindruck auf das Volk. Alle Drei aber treffen zusammen in der Wiedergabe von A, wo der ganz entgegengesetzte Eindruck, den Jesu Verhalten auf die Pharisäer machte, berichtet wird. Gegen ihre Schmähung richtet sich die Rede Jesu 23 — 30=Mt. 25 — 32=Lc. 17 — 23. 1) So unwahrscheinlich genug Meyer: Zu Matthäus, S. 201 . — 2) So N e a n d e r (S.406 f.), Krabbe (S. 280), Lange (L. J. II, 2, S. 646 ff.), Ewald (Drei Evange lien, S. 225), Meyer (Zu Matthäus, S. 200). — 3) So Strauss, De Wette, B. Bauer, Bleek: Synopsis, I, S. 347 f. — 4) Ewald: Drei Evangelien , S. 225. Was Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 44) dagegen anführt, bedeutet gar nichts, da Parallelstellen unser Urtheil nur bekräftigen. — 5) Weisse: Evangelienfrage, S. 161. ~ 6) Ewald : Drei Evangelien, S. 225. Aufstellung der Quelle A. 79 Zuerst aber musste die veranlassende Situation Mr. 22. 23 modificirt werden, weil das wirkliche Motiv, das Wunder, ausgelassen war. Das »Wissen der Gedanken« Mt. 25 = Lc. 17 war also das Ursprüngli chere. Die Rede selbst hat Marcus im Ganzen in der Form von A. Wir haben hier also zuerst (24. 25) zwei Beispiele bestimmt auseinan dergehalten und in conformer Weise durchgeführt, dann 26 ihre An wendung. Hierauf aber hat Marcus ausgelassen Mt. 27. 28. = Lc. 19. 20, wesshalb dann das Folgende bei ihm etwas abrupt steht. J Dagegen stimmt 27 wieder mit Mt. 29: ausgelassen ist wieder Lc. 23 = Mt. 30 und die, schon um des nvevfia dxddaqxov und um des ganzen dämono- logischen Zusammenhangs willen hierher gehörige,2 Rede Lc. 24 — 26 = Mt. 12, 43 — 45, die dann ihrerseits wieder vorbereitet auf das Wort von der Lästerung des Geistes Mr. 28. 29. Uebrigens sind diese Worte in A nicht, wie bei Mt. 31. 32 und Lc. 12, 10 in den Gegensatz ge stellt zu den Reden wider des Menschen Sohn, sondern überhaupt zu allerhand Versündigungen; woraus aber nicht sofort eine »innigere Verbindung des Gottesgeistes mit der Person Jesu« zu schliessen ist,3 son dern vgl. §. 1 3, Nr. 90. Dass Marcus die ganze Rede mannigfach verkürzt und zur Verständigung die Bemerkung 30 hinzugefügt hat, 4 liegt ganz in der Manier der Bearbeitung, die A in Marcus überhaupt erfährt. 20) Mr. 3, 31 — 35. Mt. 12, 46 — 50. Lc. 8, 19 — 21. Jesus und seine Verwandten. Auf diesen Abschnitt wiesen schon die Verse 3, 20. 21 hin, was Ebrard vergeblich leugnet. * Den nur bei Marcus klaren Geschichtspragmatismus hat Lucas übrigens gänzlich alterirt. 21) Mr. 4, 1—34. Mt. 13, 1—15. 18 — 23. 31—34. Lc. 8, 4—18. 13, 18 — 21. Die Gleichnisse. Vom Schiffe aus redet Jesus zum Volke das Gleichniss vom verschiedenen Ackerland 1 — 9. Nirgends geben sich die Seitenberichte auffallender als abglättende Paraphrasen der harten Wortstellung in A kund. B Wer Mr. 8. 20 = Mt. 8. 23 die Stufenfolge der Fruchtbarkeitsgrade in ursprünglicher Form hat, lässt sich schwer mehr entscheiden ; nur ist zuzugeben , dass Marcus im De tail hier gleichfalls frei zu Werke geht. 7 Nach Vortrag des Gleichnisses zieht sich Jesus zurück und gibt Erläuterungen über seine parabolische Lehrmethode 10—12 = Mt. 10—15 = Lc. 9. 10. Das Object der 1) Bleek: Synopsis, I, S. 490. Vgl. auch Weisse: Evangelienfrage, S. 162 ge gen sich selbst (Evangelische Geschichte, II, S. 75) und Wilke (S. 453 f.), dem zu folge die Bemerkung Mr. 30 beweisen soll, dass er Mt. 27. 2S=Lc. 19. 20 nicht gelesen haben könne. — 2) Gfrörer: Urchristenthum, II, 1, S. 240. — 3) Gegen Köstlin (S. 318), Hilgenfeld (Evangelien, S. 132). — 4) Weiss, S. 64. — 5) Wissen schaftliche Kritik, Ausg. 2. S. 359 ff. Sonderbarer Weise will auch Weisse (Evange lienfrage, S. 162) die Verse 20. 21 vor 31 rücken. — 6) Weisse: Evangelische Ge schichte, I, S. 488. — 7) Weiss, S. 63. 80 Zweites Capitel. Frage der Jünger betrifft nach Matthäus den Grund, warum Jesus über haupt in Gleichnissen rede, nach Marcus und Lucas aber (wo auch ein grösserer Jüngerkreis vorausgesetzt ist) den Sinn des eben vorgetrage nen Gleichnisses. Bleek entscheidet sich für Matthäus, besonders weil Dieser allein die Stelle Jes. 6, 9 vollständig nach LXX gebe, Marcus aber dieses ausführliche Citat vor Augen gehabt haben müsse. 4 So rich tig diese Gründe dargelegt sind, so beweisen sie doch für uns nur, dass Mt. 14. 15 in A gestanden, von Marcus und Lucas aber, als nach A Mr. 12. Mt. 13. Lc. 10 überflüssig, weggelassen wurden, und wir wer den mit Neander2 und Weiss3 urtheilen müssen, dass bei Matthäus die Form der Frage nach dem Anfang der Antwort Jesu gestaltet ist, wozu noch ein weiteres, später §. 27 zu beleuchtendes, Motiv hinzukam. Ebenso verhält es sich mit der Antwort Jesu, die nach Marcus und Lu cas so ausgefallen ist, dass Jesus eine besondere Qualification der Jünger für Empfängniss der Deutung, mithin auch sein Eingehen auf ihre Bitte als gerechtfertigt statuirt, während freilich dem Volke gegenüber er über die parabolische Form nicht hinauskomme, damit sie bei solchem scheinbaren Besitze den Jesaianischen Spruch von ihrem blos scheinbaren Annehmen des Wortes zur Erfüllnng brächten. Mat thäus nun schwächt der gewöhnlichen Exegese zufolge jene auffallende Pointe des Jesaianischen Citates so weit ab, dass das Nichtsehen des Volkes nicht als Erfolg, sondern als Veranlassung des parabolischen Lehrvortrags erscheint. Wäre diese Erklärung richtig,4 so fände offenbar die prophetische Stelle eine nur ganz gelegentliche Unterkunft im Zusammenhang; sie würde ganz fehlen , wenn sie nun einmal in A nicht an der Stelle ge standen hätte; dort aber deutete sie, wie sonst überall im N. T., auf die göttliche Teleologie des Unglaubens hin. Aber auch bei der schnur stracks entgegengesetzten Erklärungsweise Wilke's findet hier ein Zu sammenhang von Missverständnissen der Grundschrift statt. 5 Auf jeden Fall erscheinen die Parabeln selbst im, Zusammenhang des Matthäus kei neswegs durchweg als das Verständlichere, Leichtere, vielmehr bricht überall wieder die Anschauungsweise von A hervor, wo die Nothwen digkeit einer Auslegung der Parabel dargestellt wird. Nur so versteht sich auch bei Matthäus die Einschaltung von 16. 17. Denn »wie könnte man auch die Jünger darüber selig gepriesen denken vor dem Volke, dass ihrer Unkenntniss in Betreff Dessen , was um der grösseren Leich tigkeit willen für das Verständniss des Volkes passend schien, abgehol fen ward«?0 Uebrigens ist aus ol l'gw Mr. 11 nicht mit Wilke zu 1) Synopsis, I, S. 512. 517. — 2) Leben Jesu, S. 166. — 3) S. 50. — 4) Vgl. dagegen Baur: Marcusevangelium, S. 30 ff. — 5) Urevangelist, S. 206. 352 f. 502. 6) Wilke, S. 205. Aufstellung der Quelle A. gl schliessen, dass xaxd fiövag vom Schiff zu verstehen sei. 1 Ueber ol nsql avxöv aber vgl. §. 12, Nr. 41. Jedenfalls ist Jesus in seinem Hause und betritt erst 4, 36 wieder das Schiff. — Es folgt nun 13—20 die privatim geschehende Auslegung der Parabel, und hierauf 21 — 25 eine Mahnung an die Jünger , ihre Fähigkeit zum Verstehen beim Anhören von Para beln auch zu gebrauchen. Weiss sieht in den letztaufgeführten Versen ein Werk schriftstellerischer Composition und Reflexion. 2 Aber Mat thäus (§. 12, Nr. 41) und Lucas (§. 13, Nr. 30) beweisen, dass das Stück in A stand, abgesehen davon, dass die Ermahnung, nachdem eben gesagt war, wie die Jünger die Parabel nicht verstanden, ganz am Platze ist, so gut wie 8, 17— 21. 3 Eingefügt von Marcus könnte nach dem Paralleltexte des Lucas blos 24 das iv q> fiixqcp ftexgslxs fisxqrjdijaexai vfilv xal nqoaxsdijasxat vfilv sein, welches Marcus bei dieser passenden Gelegenheit aus der ausgelassenen Bergpredigt Lc. 6, 38 = Mt. 7, 2 eingefügt hätte. Aber ebenso wahrscheinlich haben Matthäus und Lucas auch hier ausgelassen, was Jeder schon vorher hatte. * Hierauf folgt 26 — 29 ein zweites Gleichniss (von der wachsenden Saat), das von den Andern aus Gründen (§. 8) ausgelassen wurde; end lich ein drittes 30 — 32 vom Senfkorn. A stellte also an dieser Stelle drei, demselben Naturgebiet entnommene, Gleichnisse zusammen, welche das Reich Gottes als ein werdendes darstellen sollten, wess halb denn auch die Verbindung des Gleichnisses vom Sauerteig mit dem vom Senfkorn einer andern Quelle angehören muss. — Ein Schluss folgt 33. 34, der keineswegs Auslassungen des Marcus aus A anzudeu ten braucht.6 Wohl aber weist der Schluss darauf hin, dass 26 — 32 wieder als vor dem Volke gesprochen zu denken ist, und es mag leicht das xoig oxXoig Mt. 34 ursprünglicher sein, als das avxolg Mr. 33 — wie ja derartige leichte Modificationen von A bei Mr. vorkommen.6 Vollkommen verfehlt ist es aber, wenn Baur Mr. 33 aus Lucas den Zweck aufgenommen wissen will, durch Parabeln sich dem Volke ver ständlich zu machen, als Gegengewicht zu dem 11. 12 aus Mt. angeb lich aufgenommenen Zweck, durch Parabeln zu verhüllen.7 Denn gerade den letztgenannten Zweck deutet Lucas 8, 10 viel schärfer, Matthäus jedenfalls nur zweideutig an, und zu Mr. 33 gibt es gar keine Parallele im Lucas. 8 — Der ganze Abschnitt aber vertritt in A allerdings die Stelle eines Probestücks der, mit Rücksicht auf die Jünger zu ihrer Einübung damals von Jesu gehaltenen, Lehrvorträge, ohne dass man 1) S. 206. 603. — 2) S. 65. Vgl. auch Bleek: Synopsis, II, S. 118 f. — 3) Wilke , S. 337 f. 376, wo die Ursprünglichkeit des Marcus zur Evidenz gebracht ist. 4) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 492. — 5) Gegen Ewald (Drei Evangelien, S. 236), Köstlin (S. 311). — 6) Weiss, S. 63. — 7) Marcusevange lium, S. 32 f. — S) Weiss, 8. 690. Holtzmann. 6 82 Zweites Capitel. desshalb irgend welche Ursache hätte, es für die Bergrede des Urevan geliums zu halten. * 22) Mr. 4, 35 — 41. Mt. 8, 18. 23-27. Lc. 8, 22—25. Jesus im Sturm schlafend. Nur Mr. 35 tritt das Unvorbereitete, das diese Ueberfahrt charakterisirt, hervor, nur hier knüpft die Erzählung auch an eine Scene an/ die am Seeufer vorgeht. 2 Man sieht also nicht, wo bei Marcus die Spuren einer secundären Darstellung zu Tag liegen sollen . 3 23) Mr. 5, 1—20. Mt. S, 28 — 33. Lc. 8, 26—39. Der Gada- renischc Besessene. Am ursprünglichsten bei Mr., am kürzesten bei Matthäus. Das xal ifidxiov ovx iveöiövoxszo Lc. 27 ist keineswegs, wie Ewald meint,4 Marcus 3 ausgefallen, sondern vgl. §. 13, Nr. 33. 24) Mv. 5, 21 — 43. Mt. 9, 18—26. Lc. 8, 40—56. Vom Töch- tcrlein des Jairus und der Blutflüssigen. Marcus hat nur wenig (vgl. das ausgelassene xgdanEÖov , die Flötenspieler Mt. 23 und vielleicht5 den Schluss Lc. 56), Lucas mehr verkürzt, ist jedoch im Vergleich mit Matthäus noch ausführlich. Wenn dieser die Jairusge- schichte so offenbar und gewaltsam zusammenzieht, hätte man um so weniger seinen Bericht über die Blutflüssige für ursprünglicher halten sollen.0 Aus dem Zustande tiefer Krankheit, in dem das Kind beim Weggang des Vaters sich befand, machen Matthäus und Lucas, Jeder mit selbstständigen Ausdrücken, den vollendeten Tod. 25) Mr. 6, 1—6. Mt. 13, 53—58. Jesus in Nazareth. Lucas hat 4, 16 — 30 eine ausführlichere Gestalt der Ueberlieferung. Uebri gens hatte A, wie aus der Uebereinstimmung der abhängigen Stellen Mt. 13, 55 = Lc. 4, 22 hervorgeht, wohl die Frage : ovy ovxög iaxiv 6 xsxxwv, 6 viög 3Iwarj(p; welch letztere Bezeichnung der dogmatische Standpunkt des Marcus in den Marien söhn,7 nicht aber (was vielmehr Matthäus thut) in den Zimmermannssohn verwandelte.8 Dagegen nah men beide Seitenreferenten Anstoss an dem, bei Marcus ursprüngli chen,9 xsxxwv, als welcher daher bei Matthäus nicht sowohl Jesus selbst, als sein Vater erscheint. 26) Mr. 6, 7—13. Mt. 10, 1. 9—11. 14. Lc. 9, 1—6. Aussen dung der Zwölf. Dabei hat Mr. zunächst, wie die Uebereinstimmung Mt. 10, 1 = Lc. 9, 1. 2 zeigt, hinter 7 einige Worte ausgelassen, welche den Zweck der Sendung enthielten. Das si fifj qdßöov fiovov 8 wurde kei neswegs von den beiden anderen Synoptikern in firjöi qaßöovg oder firjxs 1) Wilke, S. 103 f. 379. 583. — 2) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 194. — 3) Gegen Weiss, S. 63. — 4) Evangelien, S. 241. — 5) Ewald: Evan gelien, S. 242 f. — 6) Gegen Strauss (Leben Jesu, II, S. 88), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 68), Weiss (S. 59 f.). — 7) Bleek: Einleitung, II, S. 250. — 8) Ge gen Hilgenfeld: Evangelien, S. 135. — 9) Reuss: Nouvelle revue, H, S. 19. o Aufstellung der Quelle A. 83 qdßöov verwandelt, was auf »eingedrungene Uebertreibung « zurück zuführen wäre1 : sondern das Verbot des Stocktragens ist acht und mit Beziehung auf Schutzmittel gegen etwaige Angriffe gesprochen, wurde aber von Marcus, der wahrscheinlich qaßöovg las, in angegebener Weise gemildert , indem er zugleich den Stock anders , nämlich als eine bei Fuss wanderun gen gewöhnliche Stütze auffasste. 2 Auch das die Con struction störende dXXd vjroösösfisvovg aavöaXia sieht ganz aus, wie eine absichtliche Correctur 3 — wenn nicht vielmehr in A der Sandalen gar keine Erwähnung geschah. 4 — Uebrigens beschränkt sich die Rede auf drei Punkte: 1) was die Jünger thun sollen, lehren und Kranke heilen, 2) wie sie sich tragen sollen, 3) wie in den Häusern verhalten. Zweck und Art der Reise ist es also , was dem ursprünglichen und kei neswegs unvollständigen Bericht von A seine Einheit gibt. 5 27) Marcus 6, 14 — 10. Mt. 14, 1. 2. Lc. 9, 7—9. Gedanken des Herodes über Jesus. Die Ursprünglichkeit des Berichtes bei Marcus ist nicht blos an der Umständlichkeit und Ungefeiltheit dessel ben zu erkennen , sondern auch an dem pragmatischen Moment, das in dem oft missverstandenen xal rjxovasv liegt , was sich blos auf die vor herberichtete Thätigkeit der Zwölf beziehen kann ; qpavsqöv ydq iyivsxo xö ovofia avxov heisst also : es blieb nicht verborgen, dass diese, allent halben erscheinenden, Jüngerpaare Jesu angehörten. Die zweimalige Aeusserung des Herodes beruht keineswegs auf gedankenloser Wieder holung von Mt. 14, 1 und Lc. 9, 7—9 bei Marcus; wir brauchen auch nicht unsere Zuflucht zu der Lesart s'Xsyov zu nehmen nach B und D ;6 sondern das zweitemal bezieht sich die Aeusserung des Herodes entweder auf die Meinungen Anderer, oder A wollte bei Gelegenheit einer zwei ten Aeusserung die nähere Veranlassung mitberichten. Hier zeigt sich übrigens auch ganz deutlich, dass Lucas weder von Matthäus (vgl. Lc. 8 =Mr. 1 5), noch von Marcus abhängig sein kann (vgl. das Mt. 1 und Lc. 7 stehen gebliebene TiTqdq%rjg). 28) Mr. 6, 17—29. Mt. 14, 3—12. Tod des Täufers Johan nes, nachträglich beigebracht auf Veranlassung der Aeusserung des Herodes, die im Vorigen berichtet war. Es soll dadurch erklärt werden, wie Herodes Jesum für den auferstandenen Johannes habe halten können. 7 29) Mr. 6, 30—44. Mt. 14, 13—21. Lc. 9, 10—17. Speisung der Fünftausend. Nachdem Aden, mit Aussendung der Zwölf ge gebenen , natürlichen Ruhepunkt zu einer Einschaltung , die das Ge- 1) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S.77. — 2) Bleek: Synopsis, I, S. 423 f. - 3) Bleek: Synopsis, I, S.424. — Baur: Marcusevangelium, S. 48. — 4) Hitzig: Joh. Marcus, S. 54. — 5) Wilke, S. 331. — 6) So Fritzsche, Lachmann, Ritschi, Ewald: Evangelien, S. 258. — 7) Wilke, S. 585. 6* 84 Zweites Capitel. schick des Täufers betraf, passend benutzt hatte1, folgt nun die Be schreibung der Rückkehr. In hervorspringendem Gegensatz zu Mat thäus ist hier schon die Art, wie A die Geschichte motivirt, individuell und treffend. Jesu Jünger kehren nämlich von ihrer Mission zurück, und Jesus will ihnen — da wieder die Volksmassen hinderlich sind — Ruhe gönnen, führt sie daher von Kapernaum über den See in die Wüste; die Volksmassen aber laufen um den See herum, kommen vor Jesu an, so dass er schon bei seinem Austritt aus dem Schiff sie vorfin det, was selbst Lucas 9, 1 1 nicht mehr deutlich genug ausdrückt. 2 Daran schliesst sich alsbald die Speisungsgeschichte an. Weder ist also Mc. 34 eine Einschaltung (siehe vielmehr §. 12, 30. 45), noch 35 diqa noXXi] aus wga naqfjXdsv und ebenso wqag noXXfjg aus öxplag ysvofisvrjg~M.t. 14, 15 entstanden, noch Mr. 37 — 40 eine Paraphrase. Der Schluss 44 ist nicht von Marcus hinzugefügt, sondern von Mt. 14, 21. (15, 38.) mit einem ihm eigenthümlichen Zusatz abgeschrieben. 3 30) Mr. 6, 45 — 52. Mt. 14, 22—27. 32. 33. Jesu Wandeln auf dem Meer. Er hatte seine Jünger vorangeschickt, um sich allein desto unbemerkter dem Volk entziehen zu können. 31) Mr. 6, 53—56. Mt. 14, 34—36. Wunder im Lande Ge ne zareth. Jesus schliesst nun seine Jünger wieder enger um sich und durchreist mit ihnen die nördlichsten Gegenden. 32) Mr. 7, 1—23. Mt. 15, 1—11. 15 — 20. Vom Händewa schen. Eine Scene im Lande Genezareth. Wilke hält Mr. 2—4 und das xal nagöfioia xoiavTa noXXd noistxs 13 für Einschiebsel. 4 Aber ob die letztere Phrase zweimal (8 und 1 3) oder nur einmal, an einer der beiden Stellen, stand, ist eine Frage der Textkritik. Allerdings aber haben wir in dem xovx saxiv dvinxoig 2, sowie in dem Satze 3. 4 sach liche Erörterungen, in 21. 22 vielleicht auch eine Erweiterung des Sündenregisters von Seiten des Marcus anzuerkennen. Wie sich aber Mr. 6. 7 als Auszug aus Mt. 8. 9 und Mr. 18 — 23 als Paraphrase dar stellen solle,5 ist absolut nicht einzusehen; da vielmehr in dieser ganzen Partie offenbar Matthäus umgestellt und geändert hat. G Dagegen ist sehr treffend bei Marcus der Gedanke in seine zwei Glieder gespalten, deren jedes mit dem spöttlichen xaXwg beginnt. Höchstens hat hier Marcus das dxfifjv Mt. 1 6 in ovxwg verwandelt. 7 33) Mr. 7, 24—30. Mt. 15, 21—28. Das kananäische Weib. Jesus reist aus dem Lande Genezareth8 in die Gegend, welche die Grenze zwischen Phönicien und Galiläa bildete (fisdöqia, wodurch der Sinn 1) Weiss, S. 40 f. — 2) Ewald: Evangelien, S. 260. — 3) Gegen Weiss, S. 62. - 4) Uregangelist, S. 673 f. — 5) Weiss, S. 64. — 6) Wilke, S. 577. - 7) Ewald, Evangelien, S. 265. — S) So Kühnöl, Fritzsche, De Wette, Meyer: Zu Matthäus, S. 302. 308. Aufstellung der Quelle A. 85 der andern Lesart oqia nicht ausgeschlossen ist). So gibt Marcus am Anfang und am Ende der Erzählung den geschichtlichen Hintergrund treu nach A, dagegen aber mildert er 27 das Wort Jesu durch die vor angeschickte Bemerkung, dass die Kinder wenigstens zuerst Sättigung finden sollen,1 — welchen Ausdruck Keim geradezu doctrinär nennt,2 während Volk mar darin ein Zeichen der Ursprünglichkeit sucht.3 Ferner lässt Marcus das Gespräch Mt. 23—25 ganz aus4 und motivirt mit dt« xovxov xöv Xoyov 29 die letzte Resolution Jesu. s 34) Mr. 7, 31 — 37. Heilung des Taubstummen. Aus dem Gebiet von Tyrus ist Jesus nördlich weitergereist und über Sidon in das Ostjordanland gekommen,6 wo er im halbheidnischen Lande dieses eigenthümliche Wunder vollbringt. Dass die Stelle ursprünglich ist und schon dem Matthäus vorgelegen hat, ist von Wilke7 und Köstlin8 erwiesen worden. Matthäus hat diesen Abschnitt, sowie den andern Mr. 8, 22 — 26 weggelassen, weil sie beide blos Beispiele der Heil wirksamkeit Jesu sind, dergleichen der erste Evangelist in dem frühern Abschnitt vgl. 8 und 9 bereits genug gesammelt hatte. 9 35) Mr. 8, 1—10. Mt. 15, 32—39. Speisung der Viertau send. Zum mindesten muss zugestanden werden, dass die Referate über beide Speisungen in noch höherem Grade, als die Facta ähnlich waren, sich ähnlich gestaltet haben.10 Wahrscheinlicher aber wurde das selbe Factum so mannigfach wiedererzählt, dass schon der Concipient von A zwei abweichende Gestalten des Berichts aufnehmen konnte.11 Er bringt daher den zweiten Bericht hier, wo Jesus wieder einmal in der Nähe des Sees und zwar am östlichen Ufer (7, 31) weilt, gelegent lich unter, aber nicht ohne den sonst tadellosen Zusammenhang in die ser ganzen Partie seiner Darstellung zu stören. Denn einmal sieht man 8, 1 gerade so wenig ein, woher das viele Volk kommen soll, als 6, 32. 33 die Anwesenheit desselben wohl motivirt ist. Wohl aber schliesst sich 8, 1 1 ff. genau an die letzten Verse des siebenten Capitels. Denn weil Jesus von dem Volke wegen der effectvollen Heilung des Taub stummen so hoch gepriesen wird (7, 37), kommen die Pharisäer , um das Vermögen des Gepriesenen noch weiter zu versuchen und so die Be wunderung des Volks wo möglich herabzustimmen. Jetzt erst fällt auch 1) Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 95), Weiss (S. 62), Hilgenfeld (Evan gelien, S. 137), Baur (Marcusevangelium, S. 56.) — 2) Menschliche Entwicklung Jesu, S. 40. — 3) Geschichtstreue Theologie, S. 38. — 4) Ewald: Evangelien, S. 266. — 5) Weiss, S. 62. — 6) Welche Reise Wilke, S. 578, ganz willkürlich beseitigt. - 7) Urevangelist, S. 680 f. — 8) Evangelien, S. 346.— 9) Weiss, S. 45. 10) Meyer: Zu Matthäus, S. 312. — 11) Schleiermacher, Schulz, Kern, Credner, Hase, De Wette, Neander, Ewald, Hilgenfeld: Evangelien, S. 88. 86 Zweites Capitel. die Ungehörigkeit hinweg, dass Jesus, der 7, 31 im Gebiet der Dekapo hs weilt, zweimal hinter einander auf das westliche Ufer übersetzt, nämlich zuerst Mr. 8, 10 = Mt. 15, 39, dann Mr. 8, 13. 22 = Mt. 16, 5. Denn das Bethsaida Mr. 8, 22 ist eben das allein im Neuen Testament vorkommende westliche (über Lc. 9, 10 vgl. §.13, Nr. 37). Daher denn auch die Jünger sich gewarnt glauben , in dem Gebiet des Hero des, das sie in Bethsaida betreten sollten, Brod zu kaufen. Eben darum aber, weil mit Dalmanutha (dem heutigen Dämon1) und Bethsaida zweimal westliche Punkte als Ziel der Ueberfahrt genannt waren, sah sich auch Matthäus zu einer geographischen Correctur bewogen : er än dert den Namen Dalmanutha um in Magadan; denn so, nicht Magdala, ist mit Lachmann und Tischendorf zu lesen. Um dieser Schwie rigkeiten willen, die er nicht zurechtzulegen vermochte, hat Wilke unseren ganzen Abschnitt für einen späteren Zusatz aus Matthäus er klärt. 2 36) Mr. 8, 11 — 13. Mt. 16, 1—4. Zeichen der Zeit. Jeden falls hat hier Mt. erweitert. 37) Mr. 8, 14—21. Mt. 16, 5 — 12. Warnung vor dem Sauer teig der Pharisäer. Jesus fährt wieder über und redet noch im Schiff ,aus dem Unmuthe seines Herzens gegen die Pharisäer heraus, Worte, die von den Jüngern total missverstanden werden. Das Körnige von A bei Marcus , wo die Kvfiij auch nicht wie bei Mt. 1 2 die Lehre, sondern nur den Charakter der Pharisäer und des Herodes bedeuten kann. 3 Um der eingesetzten zweiten Speisung willen, hat der Verfasser von A den Vers 20 gebildet, wiewohl die Frage ov ftvrjfiovsvszs sich nur auf weiter in der Vergangenheit Zurückliegendes beziehen kann. 4 Wie bewusst der Verfasser verfährt in seiner Berücksichtigung zweier Spei sungsgeschichten , zeigen besonders die unterscheidenden Ausdrücke xöopivoi und anvqlösg; der Verfasser hat also beide Abschnitte zuvor nachgelesen, ehe er dem unsrigen diese Gestalt gab. 38) Mr. 8, 22 — 26. Der Blinde von Bethsaida. Dass die Stelle ursprünglich ist und schon dem Matthäus vorgelegen haben muss, hat Wilke erwiesen.5 Genau analog allen andern Fällen (1, 40. 5, 23. 28. 6, 56. 7, 32. 9, 18) geben auch hier 22 die Personen, die Hülfe begehren, das Verfahren an, wie Jesus helfen soll.6 39) Mr. 8, 27—9, 1. Mt. 16, 13 — 28. Lc. 9, 18 — 27. Jesus wird von Petrus als Messias anerkannt. A findet sich bei Marcus und Lucas , bei Letzterem etwas verkürzt, während bei Marcus 1) Robinson: Palästina, III, S. 514. — 2) Urevangelist, S. 567 f. — 3) Bleek: Synopsis, II, S. 43. — 4)sWilke, S. 568. — 5) Urevangelist, S.682. — 6) Wilke, S. 669. — Aufstellung der Quelle A. 87 nur Jeremia, dessen Nennung blos für Juden verständlich war, weg fiel, ' wofern man nicht einen Zusatz des Matthäus annehmen will, 2 der allein auch sonst (2, 17. 27, 9) den Jeremias nennt. » Hat sich den Jüngern nun die Einsicht in sein wahres Wesen als des Messias aufgeschlossen, so enthüllt ihnen Jesus ferner das diese Mes sianität von dem jüdischen Messiasbilde wesentlich Unterscheidende, sein zukünftiges Leiden. «3 Um jeder falschen Auffassung der Messiani tät im Sinne der herkömmlichen theokratischen Selbstsucht entgegenzu treten, musste aber auch noch ein Anderes geschehen; es musste die selbe Aussicht, wie für ihn selbst, mit aller Bestimmtheit auch eröffnet werden für alle seine Nachfolger. Gegen De Wette, der in dem oyJXog Mr. 34 eine Erweiterung der ndvxsg (nämlich fiadrjxal Mt. 24) Lc. 23 findet,4 vgl. §. 13, Nr. 38. Ferner wollte man aus Mr. 38 den epitomatorischen Charakter des Marcus erweisen, der mit Mt. 16, 27 die frühere Stelle Mt. 10, 33 = Lc. 12, 9 combinirt habe, worin ihm dann Lc. 9, 26 gefolgt sei. 5 Aber die beiden Stellen der Seitenreferenten weichen unter sich weiter von einander ab, als jede einzelne von Marcus ; 6 insonderheit hat Matthäus, wie oft, so auch 16, 27, den Ausdruck von A verallgemeinert, weil er das Dictum bereits 10, 33 aus anderer Quelle hatte. Freilich soll Marcus auch aus Mt. 12, 39. 16, 4 die ysvsd fioixaXig aufgenommen haben; allein eben diesen Ausdruck hat Matthäus hier in Folge der angedeute ten Operation verwischt und Lucas geht ihm auch da aus dem Wege, wo er ihn sonst antrifft, vgl. Mt. 12, 39 = Lc. 11, 29. Uebrigens ist wohl zu beachten die Verschiedenheit der in einer ganz anderen Quelle vorkommenden Form ysvsd novrjqd xal fioixaXig Mt. 12, 39. 16, 4 und der unsrigen ysvsd fioixaXig xal afiaqxwXög A Mr. 8, 38. Dass Marcus in diesem Abschnitt hier und da eigene Formeln denen aus A substituirt, wurde schon S. 62 anerkannt; aber gerade das von Weiss aufgeführte7 awaei 35 gehört nicht hierher, da auch Lucas es hat, und nur Mt. 25 svqrjasi setzt. 40) Mr. 9, 2—13. Mt. 17, 1 — 13. Lc. 9, 28—36. Verklärung. Der Bericht des Marcus ist vielfach 8 aufs Ungerechteste beurtheilt wor den. Denn mag die Vergleichung mit dem Walker 3 als Zusatz betrach tet werden können, immerhin ist ebenso möglich, dass den beiden An dern das Gleichniss zu weit hergeholt schien ; 9 die Bemerkung 1 0 ist 1) Ewald: Evangelien, S. 271. — 2) So Wilke (S. 366 f.), Weiss (S. 51). — 3) Hilgenfeld: Evangelien, S. 89. — 4) Zu Marcus und Lucas, 1846, S. 209. — 5) Hilgenf eld (Theol. Jahrb. 1857, S. 406 f.), Weiss (S. 64 f.). — 6) Weisse: Evangelienfrage, S. 147 f. — 7) S. 64. — 8) Baur, Meyer, Weiss, S. 62. — 9) Ewald: Evangelien, S. 275. 88 Zweites Capitel. kein Zusatz im Interesse der Verständnissschwäche der Jünger, sondern ganz im Charakter von A gehalten (§. 27); ebensowenig versucht Mar cus das übereilte Wort des Petrus zu entschuldigen durch die widersin nige Begründung mit ov yaq fjösi xi drroxqidfj 6 (Lc. 33 firj siöwg o Xsysi) und Anticipation von Mt. 17,6 (vgl. vielmehr §.12, Nr. 55). Die Worte wollen blos besagen, dass Petrus aus Consternation nicht wusste, was er eben gesprochen hatte. — Dass das Gespräch beim Herabsteigen vom Berg wegen innerer Schwierigkeiten von Matthäus abgekürzt wor den ist, hat schon Hitzig bewiesen. ' Aber man darf nicht übersehen, dass auch Marcus abgekürzt hat, wie denn von dem Doppelanstand der Jünger, der sich auf Todtenerstehung und Eliaserscheinung bezog, glei cherweise dann auch von der Doppelantwort Jesu, Marcus auf die er stere , Matthäus auf die letztere Seite den Accent legt. 2 Mit Recht hat daher Ewald die ursprüngliche Gestalt der Antwort in einer Combina tion von Matthäus und Marcus gesucht.3 Jesus sagt nämlich: Mr. 12, Mt. 1 1 cHllag iXdwv nqwxov dnoxadioxdvsi nävxa • xal nwg yiyqan xai ini xöv vlöv zov ävdqwnov 'iva noXXd nddrj xal s^ovÖEvrjd-fj; Mr. 13a. Mt. 12 a Xiyw öi vfilv oxicHXiag rjörj rjXdsv , xai ovx ins- yvwaav avxöv dXXd inoirjoav sv avxcp oaaijdiXrjaav. Mr. 13 b. Mt. 12b ovxwg xai 6 viög tov ävdqwnov fiiXXsi naaxsiv vn avxwv, xadwg yiyqanxai in avxöv. Dies die , aus dem Schicksal des Vorläufers auf das eigene argumentirende, Antwort Jesu auf die Frage nach Elias' Wie derkunft, wozu die Jünger durch die Erwähnung der Todtenerstehung oder vielmehr durch die damit verbunden erachtete Errichtung des messianischen Reiches4 veranlasst waren. 41) Mr. 9, 14 — 29. Mt. 17, 14 — 21. Lc. 9, 37 — 42. Heilung des epileptischen Knaben. Marcus gibt A in voller Ausführlich keit und Sachgemässheit ; namentlich hat er allein das Gespräch 21 — 24. Dass die Nebenrelationen das nvsvfia aXaXov xai xwcpöv nicht aufneh men, liegt an der Unverständlichkeit dieser Bezeichnung, da der Kranke doch schreit, und Jesus ihn anspricht. Vgl. daher für den »tauben und stummen Dämon« die Erklärung Hitzig's. s 42) Mr. 9, 30—32. Mt. 17, 22. 23. Lc. 9, 43—45. Zweite Vor herverkündigung des Todes Jesu. Bei Lucas motivirt durch den Erfolg, der die Jünger siegestrunken machen wollte. Dagegen tritt bei Marcus das wahre Motiv zur Wiederholung der Erklärung hervor, weil die Jünger sich wundern , warum Jesus diesmal das Incognito in Galiläa beobachten will.6 1) Joh. Marcus, S. 47—51. - 2) Hilgenfeld: Evangelien, S. 90 f. 139 f. — 3) Evangelien, S. 275. Geschichte Christus, S. 340. — 4) Weisse: Evangelienfrage, S. 234. — 5) Joh. Marcus, S. 52. — 6) Wilke, S. 218. Aufstellung der Quelle A. 89 43) Mr. 9, 33—37. Mt. 18, 1—5. Lc. 9, 46 — 48. Rangstreit der Jünger. Marcus und Lucas haben die Quelle A, deren Sinn ent weder daraufhinausläuft: »schon wer ein solches Kind, darum dass es in euerem Kreise steht, aufnimmt, nimmt mich auf: ihr habt also alle eine hohe Würde ! « 1 oder aber der Verfasser hat , indem er von nun an bis zu Ende des Capitels blos anreiht, gar keinen Zusammenhang zwischen 35 und 36 gedacht. 2 Das Letztere ist wahrscheinlicher ; dann hat aber auch schon Marcus den Beginn eines neuen Abschnittes 36 et was verwischt. 44) Mr. 9, 38—41. Lc. 9, 49. 50. Der fremde Wunderthä- ter. Ein Stück, [dessen Aechtheit Wilke zu leugnen beliebt. 3 Es ist vielmehr die Antwort Jesu von Lucas sehr abbreviert^ und auch der Schluss 4 L ist nichts weniger, als eine zusammenhangslose Reminiscenz aus Mt. 10, 42. 4 Vgl. §. 12, Nr. 30. 58. 45) Mr. 9, 42 — 50. Mt. 18, 6—9 (10). 15. 21. 22. Lc. 17, 1—4. Warnung vor Aergerniss. Schon am Anfang hat Marcus ver kürzt, indem er das starke Wort Mt. 7 = Lc. 1 ausliess ; am Schlüsse aber hat er, ausser vielleicht Mt. 10, jedenfalls noch einige Reden aus gelassen, die sich darauf bezogen , welche Waffen dem Jünger, der, an statt Aergerniss zu geben, selbst geärgert wird, zu Gebote stehen ; näm lich Lucas 3, wovon Mt. 15 der Anfang steht, und Lc. 4, was unmittel bar hinter A Mt. 15 seine Stellung hatte5, da die Frage des Petrus Mt. 2 1 nur so motivirt erscheint. Jesus hat gesagt : selbst wenn sieben mal ein Bruder gegen dich fehlt, sollst du ihm vergeben. Die Jünger fragen nun, ob es damit genug sei. 6 46) Mr. 10, 1. Mt. 19, 12. Reise Jesu nach Jerusale'm. Als Ziel seiner Reise werden die oqia xfjg 'Iovöaiag xal nigav xov Ioqöavov bezeichnet, d. h. die Grenzgegenden von Judäa und Peräa; wenn nicht doch die Lesart öid xov niqav den Vorzug verdient, wornach Jesus jen seits des Jordans sich Judäa genährt hätte. Mag auch Weiss darin Recht haben, dass 1 0, 1 keine directe Tendenz nach Jerusalem angedeu tet ist,7 so nähert er sich doch von nun an der Hauptstadt sichtlich (10, 32). 47) Mr. ,10, 2—12. Mt. 19, 3—12. Von der Ehescheidung. Durch das fehlende xaxd näaav aixiav des Mt. 19, 3 ist der Frage^kei- 1) Wilke, S. 104. 219. — 2) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 75 f. — 3) S. 635 ff. — 4) Vgl. vielmehr Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 124. — 5) Ewald (Evangelien, S. 301). Köstlin (Evangelien, S. 60). — 6) So richtig die Umschreibung des Hebräerevangeliums bei Hie ronymus : Contra Pelagium, 3, 2 : Si peccaverit, inquit, frater tuus in verbo et satis tibi fecerit , septies in die suscipe eum. Dixit illi Simon , discipulus ejus : septies in die ! Respondit Dominus et dixit ei : etiam, ego dico tibi, usque septuagies septies. — 7) S. 670. 90 Zweites Capitel. neswegs ihre versuchliche Pointe genommen. J Auch hat Marcus die Momente des Gesprächs in richtiger Folge; namentlich passt 9 als Schluss der Rede viel besser, als in der Ordnung des Mt. 19, 6.2 Die Worte, die Jesus zuletzt privatim (10 ist nicht Einschaltung) vor den Jüngern spricht, hat Marcus theils erweitert 12 durch selbstständige Anwendung des Grundsatzes auch auf den weiblichen Theil im In teresse heidnischer Leser, 3 theils verkürzt durch Auslassung von Mt. 1 9, 10—12, was anstössig scheinen konnte,4 in der That aber erst die Krone des Ganzen ist. 5 48) Mr. 10, 13 — 16. Mt. 19, 13 — 15. Lc. 18, 15 — 17. Segnen der Kinder. Dieselben wurden ihm wie zum Abschied aus befreun deten Häusern gebracht. ° Marcus folgt fast ganz der Quelle A, die übrigens 13 das missverständliche avxolg (vgl. Mt. 13 = Lc. 15) bot, wofür entweder Marcus, oder ein späterer Abschreiber (vgl. xovg yqafi- fiaTslg 9,16) das Glossem xoig nqoacpiqovaiv setzte. 49) Mr. 10, 17 — 31. Mt. 19, 16- 30. Lc. 18,18—30. Vom reichen Jüngling. Hier ist Marcus durchweg concreter und eigenthümlicher, als die Andern; keineswegs aber ist Marcus 21 "v aoi vazsqEl verkürzt aus Mt. 20 xi sxi voxsqw,7 vielmehr ist die letztere Frage aus A gebil det und macht für den Gang des Ganzen keinen Unterschied. s Eine Milderung des Marcus gegenüber A Mt. 19 , 23 = Lc. 18, 24 liegt Mr. 24 in xovg nsnoidöxag vor. 9 50) Mr. 10, 32—34. Mt. 20, 17 — 19. Lc. 18, 31 — 34. Vorher verkündigung des Leidens. Auf dem Weg nach Jerusalem spricht Jesus, der als Führer entschlossen voraneilt (vgl. das eigenthüm liche Gepräge von A Mr. 10, 32), von seinen Leiden in noch bestimm terer Weise als zuvor. Doch ist das dnoxTsvovaiv bei Marcus und Lu cas ursprünglicher, als das aTavqwaai des Matthäus. 51) Mr. 10, 35 — 45. Mt. 20, 20 — 28. Ehrgeiz cler Söhne des Zebedäus. Die Bittende war nicht, wie Mt. 20 sagt, die Mut ter, was Marcus, weil die Antwort Jesu nur an die Jünger gerichtet ist, weggelassen haben musste, 10 während er doch sonst ursprünglicher ist (vgl. 38 und 42); Marcus lässt sich überhaupt auf derartigen Umbildun gen nie betreffen. Dazu kommt, dass die Antwort Jesu und der gegen die Brüder gerichtete Unwille der Jünger selbst bei Matthäus die Alte- 1) Gegen Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 134) schon Wilke (S. 580), uuter den Neuern aber besonders Harless: Die Ehescheidungsfrage, 1861, S. 30. — 2) Wilke, S. 580. — 3) B a u r (Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1859, S. 371 ff.), Bleek (Synopsis, I, S. 270 f.), Harless (S. 25 f.).— 4) Hilgenfeld: Evangelien, S. 141. 149. — 5) Ewald: Evangelien, S. 306. — 6) Ewald: Evange lien, S. 306. — 7) So Paulus: Commentar, II, S. 829. — 8) Wilke, S. 226 f. — 9) Hilgenfeld: Evangelien, S. 141. 149. — 10) Meyer: Zu Matthäus, S. 379 f. Aufstellung der Quelle A. 91 ration desselben nicht anerkennen ; wie denn der Uebergang der Er zählung, falls Matthäus das Ursprüngliche hätte, auch etwa so gelautet haben würde : du weisst nicht, was du bittest, und hingewendet zu ihren Söhnen, sprach er u. s. w. ' 52) Mr. 10, 46—52. Mt. 20, 29—34. Lc. 18, 35—43. Heilung des Bartimäus. Der Name stand vielleicht in A, wenn diese Quelle nicht einfach xvcpXög Tig hatte;2 jedenfalls aber rührt das vorausge schickte ö vlcg Tifiaiov von Marcus her und hat seinen Grund in der Bekanntheit des Timäus. 3 53) Mr. 11, 1—11. Mt. 21, 1-11. Lc. 19, 28—38. Einzug in Jerusalem. A besonders bei Marcus und Lucas, die übrigens nur von einem nwXog, nicht gerade von einem Eselsfüllen reden. 4 Abends zieht sich Jesus nach Bethanien zurück Mr. 1 1 . 54) Mr. 11, 12—14. Mt. 21, 18. 19. Verfluchung des Fei genbaums. Morgen des zweiten Tages; das ö ydq xaiqög ovx rjv av- xwv nöthigt nicht gerade zur Annahme eines, an sich ja wohl mög lichen, Zusatzes. Je unerklärlicher es ist, desto erklärlicher seine Auslassung bei Matthäus. 6 55) Mr. 11, 15—19. Mt. 21, 12— -17. Lc. 19, 45—48. Tempel reinigung. Der Schluss des zweiten Tages Mr. 19 angedeutet. Da gegen hat Marcus das avXi^siv iv Brjdavio: Mt. 17 ausgelassen. An dererseits braucht das nSai xoig sdvsaiv 1 7 nicht nothwendig ein Zusatz des Marcus zu sein; es stammt aus Jes. 56, 7 und wurde von den An dern ausgelassen, weil nicht die Bestimmung, sondern der Name hier die Hauptsache ist. e 56) Mr. 11, 20— 26. Mt. 21,20— 22. Betrachtungen über den Feigenbaum. Diese Reden geben ganz natürlich Veranlassung zu Aussprüchen über das Gebet, namentlich zu Ermahnungen zum Vertrauen (23. 24) und zu Hervorhebung der Bedingung eines erhör- lichen Betens (25. 26), so dass die beiden letzten Verse also, hier ur sprünglicher sind. ' 57) Mr. 11, 27—33. Mt. 21, 23 — 27. Lc. 20, 1 — 8. Frage und Gegenfrage über die Autorität Jesu und des Täufers. Nach A Mr. 28 hat das xavxa seine richtige Rückbeziehung auf die Tem pelreinigung, nicht auf das Lehren Jesu. 8 58) Mr. 12, 1—12. Mt. 21, 33—46. Lc. 20, 9—19. Gleich niss vom Weinberg. Matthäus hat am meisten geändert, namentlich 1) Wilke, S. 576 f. — 2) Wilke, S. 673. — 3) Meyer: Zu Marcus und Lu cas, S. 113. — 4) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 573. — 5) Reuss: Nou velle revue, H, S. 21. — 6) Wilke, S. 233 f. - 7) Gegen Weiss, S. 66, — 8) Wilke, S. 234 f. 92 Zweites Capitel. 4L die , von Marcus ausgelassene , Antwort der Pharisäer Lc. 1 6 dazu benutzt, die Pointe des Gleichnisses ihnen selbst in den Mund zu legen. Dagegen soll nach Weiss das sxi iva vlöv elysv dyanrjxöv Mr. 6 ein Zusatz sein, um das Folgende vorzubereiten. 1 Endlich wurde Mt. 44 = Lc. 1 8 entweder von Marcus ausgelassen, 2 oder es ist bei Matthäus un- ächte Uebertragung aus Lucas. 59) Mr. 12, 13—17. Mt. 22, 15—22. Lc. 20, 20—26. Politi sche Frage der Pharisäer. Das in den Nebenrelationen fehlende öwfiEv fj fifj öivfisv Mr. 1 4 » ist der Sache selbst, der Weise, wie man zu fragen pflegt, abgelauscht. «3 60) Joh. 7, 53—8,11. Die Ehebrecherin. Es ist nunmehr all gemein anerkannt, und zum Ueberfluss auch durch den neuest aufge fundenen Bibelcodex bestätigt, dass diese Perikope nicht in den Zusam menhang des vierten Evangeliums gehört, worein sie erst spät (vielleicht mit dem losen Kitte der Bemerkungen 7, 53 xai inoqsvdrj sxaaxog sig xöv olxov aixov und 8, 12 6 'irjaovg avxolg iXdXrjas) eingemauert wurde. Es war mithin dieser Abschnitt als vereinzeltes Stück in die Hände der Kirche gekommen und wurde zuerst an den Schluss der vier Evangelien, dann, nachdem so der Irrthum, als gehöre es zu Johannes, veranlasst war, an einen passend scheinenden Ort im vierten Evange lium placirt. Ebenso anerkannt ist heutzutage, dass der Abschnitt voll kommen synoptischen, am allerwenigsten johanneischen Charakter trägt. Daher kein ovv, sondern öi ; oqdqog, inifiivsiv, dvafidqxrjxog sind wenigstens keine johanneischen, und ol yqa/jfiaxslg und xaxaxqlvsiv bestimmt synoptische Ausdrücke. Hitzig, der die Perikope unter den Neueren am gründlichsten untersucht hat, kommt auf das Resultat, dass schon die Anschaulichkeit der Schilderung und das sprachliche Verhältniss des Abschnittes auf Marcus hinweisen. 4 Allerdings kommt xvxpag ausser 6. 8 nur Mr. 1, 7 vor, und gehört sig xadstg 9 zum eigen sten Sprachgebrauch des Mr. (14, 19). Den Vocativ aber hebraisirend durch den Nominativ mit dem Artikel auszudrücken 10, ist Sitte in Mr. 5, 8. 9, 25. 10, 47. 14, 36. 15, 18. 29. 34. Auch der ganze Satz 2 xai näg ö Xaög rjqxsxo nqog avxöv xai xadiaag söiöaaxsv avxovg kehrt Mr. 2, 13 wieder xal nag ö (%Xog rjqxsxo ngog aixöv xai iöiöaaxsv av xovg und das fehlende xadiaag steht 9, 35. Kleinere Abweichungen erklären sich theils daraus, dass der Sprachgebrauch des Marcus doch nicht unmittelbar mit dem von A zusammenfällt (§. 19, 14), theils aus der, bekanntlich in dieser Perikope ganz beispiellosen, Textunsicher heit. 5 1) S. 64. — 2) Ewald: Evangelien, S. 320. — 3) Hitzig: Joh. Marcus, S. 57. — 4) Johannes Marcus, S. 219. — 5) Hitzig, S. 220. Aufstellung der Quelle A. 93 Das Stück gehört nun aber offenbar in die Geschichte des Aufent haltes Jesu in Jerusalem ; es versetzt uns in die letzten Tage des Herrn, in jene Festzeit, wo der Herr öfters auf den Oelberg hinausgeht und in den Tempel zurückkehrt. Hitzig bestimmt daher seinen Platz zwischen Mr. 12, 17 und 18,1 und allerdings reiht es sich rückwärts an die ver suchliche Pharisäerfrage, vorwärts an die Casuistik der Sndducäer hin sichtlich des siebenfach verheiratheten Weibes, wobei gleichfalls des mosaischen Gesetzes gedacht wird, vortrefflich an; das 'iva avxöv äyqsv- awai Xoyiii wäre somit Ueberschrift für zwei aufeinanderfolgende Vor fälle, und an das xal idavfiatpv in avxtp Mr. 12, 17 reiht sich selbst die Notiz Joh. 7, 53 vortrefflich an. Auch die Aehnlichkeit von nst- qdtpvxEg avxöv iva sxwai xaxrjyoqslv aixov mit Mr. 12, 13 'iva dyqsv- awaiv und 15 xi fis nsiqd^sxs zeigt, dass die beiden Abschnitte hinterein ander weg geschrieben wurden, wie 5, 23 naqsxdXsi avxöv noXXd sich aus 5, 10 wiederholt hat. 2 In unserer, wie in der vorhergehenden Peri kope sind die Pharisäer als Widerpart auf der Scene. Während sie aber zuerst sich die Herodianer als Bundesgenossen erlesen haben, wo es sich um eine rein politische Sache handelt, treten jetzt, wo das mosaische Gesetz in Frage steht, die yqaftfiaxslg zu ihnen; an die beiden Vor gänge mit den Pharisäern schliesst sich dann Mr. 12, 18 — 27 noch der mit den Sadducäern an. Wir nun würden diesen, von Hitzig weiter ausgeführten, Grün den ohne Weiteres beitreten, wenn nicht unser Stück ein gleichfalls sehr ausgeprägtes Verwandtschaftsverhältniss zu einer Stelle des dritten Evangeliums, nämlich Lc. 21, 37. 38 verriethe. Schon dass es im Al terthum an den Schluss dieser Verse zuweilen angeheftet wurde, erklärt sich aus der Identität der äusseren Staffage und wohl auch aus der Ver wandtschaft des Sprachcharakters. Gemeinsam ist beiden Stellen das oqog xwv iXaiwv , darauf sich Jesus zum Uebernachten begibt ; ferner kehrt er des Morgens von da zurück zum Tempel. In unserer Stelle heisst es 2 no.qsyivsxo sig xö Isqöv xai iöiöaaxsv, Lc. 37 fjv öiöaaxwv iv xrp Isqip, und vom Volke xai nag b Xaög rjqxsxo nqog avxöv Joh. 2, wofür Lc. 38 hat xal nag 6 Xaög wqdqi^sv nqog aixöv; aber selbst das hier einzig abweichende wqdqi^sv kommt bei Lucas nie wieder vor und correspondirt nur dem oqdqov Joh. 2. Nun hatLc. 21, 37. 38 offenbar den Zweck, über Jesu Lebens weise während der. letzten Tage zu berichten, indem es die einzelnen Notizen, die A darbot, und die Lucas bisher consequent übergangen hat, zusammenfasst ; er nimmt daher seinen Stoff zu beiden Versen aus A Mr. 11, 19 (ii-iqxEodai) = Mt. 21, 17 (avXi^stv) und aus dem Anfange 1) A. a. O. S. 221 ff. - 2) Hitzig, S. 222. 94 Zweites Capitel. unserer Perikope. Lc. 21, 37. 38 ist daher ein Beweis, dass Joh. 8, 1.2, mithin die ganze Perikope , irgendwo in den Partien von A, die Lucas an jener Stelle schon hinter sich gelassen hat, gestanden haben muss; und dass in der That die Stellung, die Hitzig der Perikope ge geben hat, die richtige ist, erhellt noch zum Ueberfluss aus der Art, wie Mt. 22, 23, nachdem die Perikope ausgelassen war, den Faden von A wieder aufnimmt: iv ixsivrj xfj rjfiiqa. Diese Formel, sowie die ver wandten iv ixsivrj xrj wga, iv ixsivw xtp xaiqijj stehen bei Matthäus noch siebenmal, nie aber bei ordnungsmässigen Uebergängen, sondern stets nur dann, wenn Matthäus entweder naeh Einschaltungen, oder nach Auslassungen wieder den Zusammenhang mit A herzustellen das Be dürfniss fühlt (§. 19, 5). Der Abschnitt ist also weder aus Marcus, noch aus Lucas ausge fallen, sondern er ist von allen drei Synoptikern in gleicher Weise aus gelassen worden aus dem auf der Hand liegenden Grunde, weil man an der Behandlung, welche hier der Ehebruch von Seiten Jesu erfuhr, An stoss nahm. Nach Eusebius 1 haben dagegen die Ebioniten das Stück in ihr Hebräerevangelium aufgenommen, aber offenbar erst, nachdem sie die Erwähnung des Ehebruchs ausgemerzt hatten (nsql yvvaixög ini noXXatg dfiaqxiaig ötaßXrjdsiarjg). 2 61) Mr. 12, 18—27. Mt. 22, 23—33. Lc. 20, 27 — 38. Saddu- cäerfrage. Von Matthäus geglättet, von Lucas rhetorisch erweitert. 62) Mr. 12, 28-34. Mt. 22, 34—40. Lc. 20, 39. 40. Frage nach dem grössten Gebot. Allein bei Marcus in ursprünglicher Gestalt, so dass selbst De Wette hier die Spur des Ueberarbeiters nicht mehr verfolgen kann ; 3 bei Lucas fast ganz ausgelassen, bei Mat thäus sehr verkürzt, so dass die Antwort gar nicht weiter betrachtet und die, auch noch hei Lucas erhaltene, Schlussformel ausgelassen wird. 63) Mr. 12, 35 — 37. Mt. 22, 41—46. Lc. 20, 41—44. Frage über Psalm 110. In A (Marcus und Lucas) ergreift Jesus die Initiative, wirft noch zum Schluss vor allem Volke die Frage nach der Natur des Messias auf und berührt so eine theologische Schwierigkeit, darüber die berufenen Schrifterklärer das Volk bisher im Dunkeln gelassen hatten. A hat »Jesu Worte als ein von ihm aufgegebenes Räthsel unbefangen und um dessen Lösung unbekümmert aufgenommen. «4 64) Mr. 12, 38-40. Lc. 20, 45 — 47. Rede gegen die Pha risäer. Von Matthäus in den Zusammenhang der grossen Rede 23, 6. 7. (14) gebracht. Dass sie nicht in dieser längeren Form in A stehen konnte, beweist schon die genaue Uebereinstimmung von Marcus und 1) K.-G. 3, 39. - 2) Hitzig, S. 224. — 3) Einleitung, II, S. 195. — 4) Hitzig: Joh. Marcus, S. 133. Aufstellung der Quelle A. 95 Lucas — abgesehen von der inneren Einheit der Rede, wornach Jesus an den Pharisäern rügt 1) Ehrgeiz, 2) Habsucht, 3) Scheinheiligkeit. 65) Mr. 12, 41—44. Lc. 21, 1 — 4. Wittwe am Gotteskasten. Bei Lucas verkürzt ; das kleine Bild fand nach der grossen Strafrede bei Matthäus keinen Platz mehr. 1 66) Mr. 13, 1 — 37. Mt. 24, 1—25. 29—36. 42. Lc. 21, 5 — 36. Eschatologische Rede. Die Härten von A sind am ineisten noch bei Marcus zu erkennen ; Matthäus und Lucas haben sie, Jeder in seiner Weise, abgeglättet.2 Die Veranlassung zu der Rede hat Mr. 1 — 4 am ursprünglichsten. 3 Die Rede selbst zerfällt in drei Momente : 1) die dqxai wölvav werden einerseits beschrieben nach ihrem welthistorischen Charakter 5 — 9, andererseits nach ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Reiches Gottes (Zeit der Mission 9 — 13) ; 2) die Zerstörung Jerusa lems selbst mit dem, damit zusammenfallenden, Culminationspunkte der dXlxpig, 14 — 23. Hier hat Marcus im Interesse seiner Leser die Bezug nahme auf Daniel 4 (Mt. 24, 15, was aber auch Lucas gelesen hat, wie er 21, 22 xov nXrjadfjvai nävxa xd ysyqafifiiva andeutet3) und in Folge dessen auch die bestimmte Bezeichnung des Tempelplatzes 14 ver wischt0 und das firjös aaßßäxw 18 vielleicht ausgelassen;7 3) die Parusie 24 — 37. Hier ist Marcus durchaus ursprünglich, abgesehen von der unbestimmteren Ausdrucksweise 24. 67) Mr. 14, 1. 2. Mt. 26, 1—5. Lc. 22, 1. 2. Anschlag des Synedriums. Ursprüngliche Form bei Marcus und Lucas. 68) Mr. 14, 3 — 9. Mt. 26, 6—13. Salbung in Bethanien. Indessen hat Marcus vielleicht 7 xal oxav diXrjxs övvaads avxolg sv noifjaai epexegisirt. 8 Es erscheint aber diese Geschichte keineswegs als Episode, die ohne näheren Geschichtszusammenhang eingeführt wird, 9 auch nicht als Einschiebsel des Bearbeiters, 10 sondern die Erzäh lung nimmt diesen ihren Platz aus innern Gründen ein , weil damit der Uebergang gemacht werden sollte von dem Todesanschlag des Syne driums zu dem ihm entgegenkommenden Verhalten des Verräthers Ju das, in welchem angesichts dieses ihm höchst widerwärtigen Auftrittes eine psychologische Krisis eintrat. 69) Mr. 14, 10. 11. Mt. 26, 11 — 16. Lc. 22, 3 — 6. Verrath des Judas. 1) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 163. — 2) Weisse: Evangelienfrage, g, KJ9. 3) Vgl. Meyer (Zu Matthäus und Lucas , S. 167) gegen Bleek: Synop sis, II, S. 353. — 4) Ueber die Textgestaltung vgl. Wilke, S. 261. — 5) Köst lin, S. 158. — 6) Bleek (Synopsis, II, S. 369) gegen Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 169. — 7) Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 169), Bleek (Synopsis, II, S. 371). — 8) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 180 f. — 9) Meyer : Zu Matthäus, S. 484. — 10) Hilgenfeld: Evangelien, S. 101. 96 Zweites Capitel. 70) Mr. 14, 12—16. Mt. 26, 17—19. Lc. 22, 7—13. Vorberei tungen zum Passah. Während Meyer im Ganzen den ursprüng lichen Berieht fälschlich bei Matthäus findet, l kann er doch nicht um hin, ein Kennzeichen der Originalität in der Zweizahl Mr. 13 zu er kennen. 2 Wie schon die Uebereinstimmung mit Lucas beweist, stellt Marcus die Form von A, also die ursprüngliche, 3 dar. Ebenso wenig ist eine andere Abweichung (die Stellung der Frage, Antwort und Sen dung) auf Rechnung des Marcus zu setzen. — Das#Wunder des Wis sens erklärt sich übrigens aus der, schon 6, 4 ausgesprochenen, An schauung von dem prophetischen Charakter Jesu, vgl. 2 Kön. 6, 12. 71) Mr. 14, 17 — 21. Mt. 26, 20—25. Lc. 22, 14. 21—23. Be zeichnung des Verräthers. Zuerst allgemeines Fragen unter den Jüngern, dann Andeutung Jesu, dass es Einer aus seiner nächsten Tischumgebung sei , und Wehe über ihn. Von einer directen Bezeich nung (Mt- 25) stand in A so wenig etwas, als von der Entfernung des Judas. Warum anders hätten sonst alle drei Synoptiker das letztere Moment vergessen ? Dagegen liess sich der erste Evangelist von dem Schein der Bestimmtheit in b iadiwv, b iftßanxöftsvog (vgl. aber 1 4, 42) leiten.4 72) Mr. 14, 22 — 25. Mt. 26, 26—29. Lc. 22, 17—20. Abend mahls Stiftung. Ueber die Parallele des Lucas siehe §. 13. Nr. 149. Den Bericht von A hat am ursprünglichsten Marcus, der namentlich in dem , vor die Einsetzungsworte gestellten , smov ig avxov nävxsg sich noch unabhängig von der späteren liturgischen Sitte erweist. 5 Da in dem Bericht von A xovxo noislxs sig xrjv ifirjv aväfivrjoiv ganz fehlt, so liegt nach dieser Quelle kein Grund vor für Wiederholung des Actes. G 73) Mr. 14, 26-31. Mt. 26, 30-35. Lc. 22, 31 — 34. Verwar nung der Jünger und des Petrus. Bei Lucas liegt eine andere Relation zu Grunde. Matthäus und Lucas aber geben A, jedoch so, dass Marcus gegen Matthäus und Lucas eine spätere Ausprägung des Wortes von der dXsxxogoopwvia gibt, die sich gebildet hatte nach dem Zahlverhältnisse der Verleugnung. 7 74) Mr. 14, 32—42. Mt. 26, 36-46. Lc. 22, 39—46. Kampf in Gethsemane. Hier sind die Züge von A vertheilt bei Matthäus und Marcus. Das Hysteron Proteron dßßä b naxrjq Mr. 36 stand wohl 1) Zu Matthäus, S. 490. — 2) Zu Marcus und Lucas , S. 181. — 3) Schulz, Ewald, Schleiermacher, Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 601. — 4) Hitzig (Joh. Marcus, S. 60), Weisse (Evangelische Geschichte, I, S. 601 ff.). — 5) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 182. Gegen Baur. — 6) Weisse: Ev. Ge schichte, I, S. 606 f. — 7) Meyer (Zu Matthäus, S. 502. Zu Marcus und Lucas, S. 183), Bleek (Synopsis, II, S. 422). Aufstellung der Quelle A. 97 schon in A. Am meisten differiren Mr. 39 — 40 und Mt. 42 — 44. Nach Ewald soll letztere Stelle ursprünglicher sein. ' Aber sowohl einzelne Züge, wie ovx rjösioav xi dnoxqiduaiv «w^~und anixsi 41 sprechen für die Originalität des Marcus, als auch hat Matthäus offenbar das nqoa- rjvgaxo xöv aixöv Xöyov slnwv, das A schon beim zweiten Gebetsact hat, an die dritte Stelle herabgerückt, um so die Dreizahl der Gebets- acte deutlicher hervortreten zu lassen. 75) Mr. 14, 43—50. Mt. 26, 47—56. Lc. 22, 47—53. Jesu Ge fangennahme. Die Ursprünglichkeit zeigt sich in den aufgeregten Worten des Judas 45 und der kurzen Relation des Schwertschlags. Auch gab A keine Antwort Jesu auf den Judaskuss ; die späteren Evangeli sten gaben eine, aber eine differente. Ganz grundlos leugnet Wilke die Ursprünglichkeit der Notiz vom Gebrauch des Schwerts. 2 76) Mr. 14, 51. 52. Der fliehende Jüngling. Soll nach Wilke wieder interpolirt sein. 3 Aber vgl. S. 108. 77) Mr. 14, 53 — 65. Mt. 26, 57 — 68. Lc. 22, 54. 55. 63—71. Jesu Verhör. Der Name des Hohepriesters , in dessen Hause Jesus verurtheilt wird, war in A Mr. 14, 53 = Lc. 22, 54 nicht genannt. Dagegen verrath sich 58 in dem Gegensatz der Prädicate x8100710^0? und dxsiq ono irjxog allerdings die eigenthümliche Reflexion des Marcus,1 während die ursprüngliche Form rasch wieder durchblickt Mr. 15, 29 ;5 ebenso hat er das schwierige an aqxi Mt. 64 = ano xov vvv Lc. 69 weggelassen. Nicht minder ist 65 das einfache nqocprjxsvaov (Mt. 26, 68=Lc. 22, 64 : xig iaxiv 6 naiaag as) eine offenbare Verkürzung, da die beiden Andern nicht wörtlich gleich ergänzen konnten, wie Meyer6 und Weiss 7 meinen. 78) Mr. 14, 66—72. Mt. 26, 69—75. Lc. 22, 56—62. Verleug nung des Petrus. Während Lucas eine andere Tradition einmischt, finden sich die Züge von A bei Matthäus und Marcus. Die erste Ver leugnung geschah im inneren Hofe auf Veranlassung einer Magd. Hier hat Marcus A ganz gegeben. Hierauf macht sich Petrus davon und will durch den nvXwv (Mt. 71) in das ngoavXtov (Mr. 68), so dass die locale Differenz in dieser Beziehung eine geringe ist. Jetzt aber fügt Marcus aUerdings einen ersten Hahnenschrei in den Zusammenhang von A ein. Die zweite Verleugnung — von Marcus getreu nach A berich tet — hat statt, als dieselbe Magd (Mr. 69) das umstehende Gesinde von ihrer Entdeckung benachrichtigt, was Petrus noch hört. Gleich darauf aber (fisxd fiixqöv Mr. 70. Mt. 73) gehen einige Knechte ihm nach und 1) Evangelien, S. 351. — 2) Urevangelist, S. 491 f. — 3) Urevangelist, S. 492. — 4)Meyer (Zu Marcus und Lucas , S. 186 f.) , Ewald (Evangelien, S. 354). — 5) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 196. — 6) Zu Marcus und Lucas, S. 188. — 7) S. 55. Holtzmann. 7 98 Zweites Capitel. führen ihn mit seinem galiläischen Dialekte (Mt. 73, was Marcus um seiner römischen Leser willen weglässt) ad absurdum. Da plötzlich (A las nicht sx ösvxiqov Mr. 72, sondern svdiwg Mt. 74, vgl. naqaxqfjfia Lc. 60) kräht der Hahn. Marcus schiebt 72 noch einmal das öig ein. Uebrigens geschieht das Ganze schon gegen Morgen ; nur Lucas verlegt die Verleugnung in die Nacht. 79) Mr. 15, 1—5. Mt. 27, 1. 2. 11 — 14. Lc. 23, 1—5. Jesus wird vor Pilatus verklagt. Lucas weicht ab. 80) Mr. 15, 6—20. Mt. 27, 15 — 18. 20—23. 26—31. Lc. 23, 18 — 25. Verhandlungen vor Pilatus. Lucas weicht ab. 81) Mr. 15, 21—41. Mt. 27, 32—56. Lc. 23, 26—49. Kreuzi- gungund Tod. Marcus hat A am reinsten, doch fügt er 21 die Vater schaft des Simon, schwerlich (vgl. S. 107) 25 die Stunde der Kreuzigung ein. Von Worten des Gekreuzigten hat A (auch Marcus und Matthäus) blos das EH Eli. Auch die Rede des Jesum tränkenden Soldaten acpsrs Mr. 36 ist ursprünglich und wurde erst von Matthäus, dem die Pointe des Hohns entgangen war, l in die leichtere Relation umgesetzt. Von Wundern bei Jesu Tod waren blos die Finsterniss und das Zerreissen des Vorhangs berichtet. 82) Mr. 15, 42—47. Mt. 27, 57 — 61. Lc. 23, 50—56. Begräb- niss. Dabei ist 44 die Erkundigung des Pilatus, ob der gekreuzigte Christus schon lang verschieden sei, allein von Marcus beibehalten. Seltsam nimmt sich die Notiz am Anfang aus 42 insi rjv nagaaxsvr), o iaxiv ngoaäßßaxov , welche Lc. 54 am Schlüsse hat in der Form xai fjfiiqa rjv naqaaxsvfj- aäßßaxov iniopwaxsv, und Matthäus bringt die naqaaxsvfj ebenfalls erst am Schluss 62 xfj öi inavqiov rjxig iaxiv fisxd xrjv naqaaxsvrjv , welcher Ausdruck sich allerdings nur so erklärt, dass Matthäus entweder eben in der Stellung, wie Lucas A wiedergibt, das Wort gelesen, oder in der Meinung gestanden haben muss, jenen Tag zuvor, etwa am Anfang des Abschnitts, wie Marcus thut, naqaaxsvrj genannt zu haben. 83) Mr. 16, 1 — 8. Mt. 28, 1. 5—8. Lc. 24, 1. 2. 9. 10. Die Frauen am Grabe. Am Abend des Sabbat kaufen sie Kräuter und Salbe, Sonntags nach Tagesanbruch gehen sie gegen das Grab, finden es offen,, erhalten von einem Engel Auftrag an die Jünger, richten denselben aber nicht aus vor Furcht. Ursprünglich ist hier durchaus der Bericht des Marcus, der im Anschluss an 15, 40 Salome nennt, das An kaufen der Specereien (gegen Lc. 23, 56) auf den Sabbatabend verlegt und die Bedenken der Frauen in die oratio directa fasst. Dem Marcus 1) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 197. Aufstellung der Quelle A. 99 selbst könnte angehören das störende dvaxsiXavzog xov fjXiov 2, 1 wenn es nicht als ein Hebraismus von A gelten darf. 2 84) Mt. 28, 9. 10. 16—20. Der Aufers tandene. Nur so kann der Schluss von A im Wesentlichen gelautet haben;3 ihn im Einzelnen mit Genauigkeit wieder herzustellen , ist nicht möglich. 4 Wahrschein lich erzählte A zuerst von einer Erscheinung Jesu, die den zaudernd dastehenden Weibern zu Theil ward. Diese bestellten die Jünger nach Galiläa, und dort, auf dem Berge, wo er ihnen einst die Grundlage sei nes Reiches mitgetheilt , sehen sie den Verklärten ; mit einem Summa- rium der Reden und Befehle desselben schloss die Quelle. §. 6. Allgemeiner Charakter der ersten Uuelle. Kann auch die Beschaffenheit der Quelle A nicht immer mit wört licher Gewissheit angegeben werden (doch vgl. §. 19, 3), so wird doch im Verlauf unserer Untersuchungen die einheitliche Manier, der be stimmte Inhalt dieser Grundschrift immer deutlicher zu Tage treten; wir werden uns immer gründlicher davon überzeugen, dass die aufge stellte Reihe von Abschnitten als eine besondere , gemeinsame Quellen schrift constituirend zu betrachten ist. Schon jetzt aber lehrt ein ver gleichender Seitenblick auf die vorhandenen Evangelien, wie fast alle Abweichungen des Matthäus und des Lucas von dem aufgestellten Plane in gewissen Bereicherungen ihren Grund haben, mit denen das kürzere Evangelium A ausgestattet wurde. 5 Ihre beiderseitige Anlage ist nämlich unter Voraussetzung von Avoll kommen begreiflich. Nach Voraussendung der Vorgeschichte beginnen sie, wie Marcus, mit Johannes dem Täufer und folgen sodann der Ord nung von A, bis bei Gelegenheit der öffentlichen Thätigkeit in Galiläa die Ordnung zuerst so unterbrochen wird, dass nur noch Marcus und Lucas am Faden der Grundschrift weiter erzählen. Matthäus hat un mittelbar nach der Berufung der ältesten Apostel die Bergpredigt als Programm der öffentlichen Lehrthätigkeit des Herrn antieipirt und bringt die Abschnitte von A nur nachträglich und ohne Ordnung und Vollständigkeit. Bald aber lenkt dann wieder Matthäus mehr und mehr in die Folge von A ein, während dafür Lucas, durch die Anticipation des Auftritts in Nazareth veranlasst, auf kurze Zeit in ein fast ebenso ordnungsloses Aneinanderreihen von Thatsachen hineingeräth. So zeigt 1) Bleek: Synopsis, II, S. 497. — 2) Hitzig: Joh. Marcus, S. 99. - 3) Wilke (Urevangelist, S. 647), Ewald (Evangelien, S. 363), Volkmar (Religion Jesu, S. 100 f.). — 4) Weisse : Evangelische Geschichte, H, S. 359 f. — 5) Vgl. Wilke, S. 663. 7* 100 Zweites Capitel. sich gleich hier evident die grössere Ursprünglichkeit der Ordnung des Marcus. Endlich treffen bei der Speisung der 5000 wieder alle Drei zu sammen; aber alsbald laufen blos Matthäus und Marcus ganz harmo nisch nebeneinander her , während Lucas durch eine Reihe von Tacte völlig pausirt, bis er bei Gelegenheit des Petrusbekenntnisses wieder in den Zusammenhang von A eingeht, denselben bis zu Ende der galiläi schen Wirksamkeit festhält, dann aber mit Beginn der grossen Ein schaltung 9, 5 1 völlig fallen lässt. Erst von dem Abschnitte der Kin dersegnung an wird auch Lucas wieder parallel und bleibt es, von ge ringen Versetzungen und Auslassungen abgesehen. — Von allen diesen, bei Matthäus und Lucas wahrnehmbaren , offenbaren Unterbrechungen eines geschichtlichen Zusammenhangs hat nun Marcus nichts. Wir durf ten also bei ihm, ohne ihn zur Quelle der übrigen machen zu wollen, eine treue Befolgung des ursprünglichen Contextes voraussetzen und in diesen letzteren nicht blos die allen Dreien gemeinsamen Stücke verlegen, sondern auch die, welche blos Marcus hat, zumal wenn die Ursache der Auslassung bei den andern klar vor Augen liegt; zu diesen fügten wir ferner auch die wenigen, die sich blos bei Matthäus und Lucas in der Weise finden, dass zugleich Marcus offenbar ausgelassen oder abgekürzt haben muss. Namentlich wo Lucas und Matthäus buchstäblich harmo- niren in einfacher Weiterführung des Zusammenhangs, ist Grund A'or- handen, Auslassungen bei Marcus anzunehmen. Endlich gibt es wenige Notizen, die sich nur in völliger Vereinzelung erhalten haben. Die be deutendste liegt in Nr. 60 vor, welches Stück sogar ausserhalb unserer synoptischen Evangelien seine Fortexistenz fristete. Eine gemeinsame Quelle nach den gegebenen Gesichtspunkten zu reconstruiren , berechtigte uns mithin vor Allem das klare Hervortreten der eingeschalteten Aggregate bei Lucas und der grösseren Compositio- nen des Matthäus. Was nämlich die beiden längeren Einschaltungen des Lucas betrifft, so macht die erste derselben 7, 1 1- — 8, 3 eine Tren nung zwischen der Geschichte vom Hauptmann und der Parabel vom Säemann; die zweite 9, 51 — 18, 14 trennt die Erzählungen vom frem den Wunderthäter und von der Einsegnung der Kinder. Beidemal er kennt Matthäus, übereinstimmend mit Marcus, diese Trennung nicht an ; was er aber Stoffliches mit Lucas gegen Marcus gemein hat, das er scheint bei ihm in ganz anderer Ordnung , nicht sowohl eingeschaltet, als »um die Zweige des gemeinschaftlichen Stammes herumgeflochten;«1 und zwar wird aus einer Analyse der beiden grösseren Evangelien her vorgehen, dass alle diese Unterbrechungen durch den übereinstimmen den Text, dessen Inhalt, sie vermehren, schon vermöge der Art, wie er 1) Wilke, S. 12. Allgemeiner Charakter der ersten Quelle. 101 zu diesem Behufe umgebogen und neu construirt wird, als ein Fremd artiges, in den ursprünglichen Organismus erst Hereingekommenes aus geschieden werden. — Hier kommt es uns nur noch darauf an, unsere erste Quelle , die offenbar dem ehemaligen »Urevangelium« am nächsten kommt, gegen Verwechslungen mit andern Urevangeliumshypothesen sicher zu stellen. Wir erinnern zunächst an die Combination des Eichhorn'schen und Griesbach' sehen Standpunktes bei Bleek, der sich, um das Verhält niss des Matthäus zu Lucas zu erklären , zur Annahme eines Urevange liums genöthigt sieht, dessen Gestalt er, so weit Dies noch thunlich ist, zu beschreiben unternimmt. ' Es ist nämlich dem Scharfsinne Bleek's nicht entgangen, dass sich das dritte Evangelium keineswegs, wie sonst die Anhänger der Griesbach'schen Hypothese gewöhnlich thun, als auf Grundlage des ersten entstanden betrachten lässt ; von Abschnitt zu Abschnitt weist er vielmehr richtig nach, dass unseren beiden Evange- Hsten ein griechisch abgefasster Urbericht gemeinsam zu Grunde gele gen haben muss. Dabei versucht er, die Reihenfolge aus Matthäus und Lucas herzustellen und gewinnt auf diesem Wege ein Gedankenbild, dem — von ganz wenigen , auf Missverständnissen beruhenden , leicht zu lösenden, Differenzen abgesehen — unser zweites Evangelium als Wirklichkeit vollkommen entspricht. Denn eine evangelische Schrift, in welcher der Abschnitt Lc. 9, 51 — 18, 14 gar nicht vorkommt, in welchem die Erzählung von der Aussendung der Apostel nach der Ge schichte vom Jairus , diese hinwiederum nach der Stillung des Sturms und der Scene in Gadara folgt, in welcher der Speisung der 5000 die Meinungsäusserung des Herodes vorhergeht und die Erzählungen Lc. 9, 18 — 50 erst nachfolgen — Das ist eben unser leibhaftiger Marcus. Wo nicht, so ist ein literarisches Wunder geschehen. Es hat nämlich Mar cus zwar sein Urbild nicht gekannt, hat aber die völlig in Unordnung gerathenen Erzählungen blos zufällig" (durch ziemlich unmotivirte Hinüber- und Herüberschau) wieder gerade in ihre ursprüngliche Ord nung gebracht; er war z.B. namentlich auch so glücklich, ausLc. 9, 51 — 18, 14 nichts aufzunehmen, so nahe es ihm auch gelegt gewesen wäre, den reichen Abschnitt zu benutzen. — Hier, sollten wir denken, sei denn doch der Punkt erreicht, wo das Möglichste von Wahrschein lichkeit für diejenige Ansicht spricht, die in Bezug auf das zweite Evangehum von uns vertreten wird. 2 Dagegen unterscheidet sich unsere erste Quelle von dem Urevange lium B 1 e e k's ganz bestimmt darin, dass wir nur die wenigsten Stellen, 1) Einleitung, II, S. 271. — 2) Vgl. meine Bemerkungen in Schenkel's »All gemeiner kirchlicher Zeitschrift,« 1862, S. 91. 102 Zweites Capitel. die dem Matthäus und Lucas gegen Marcus gemeinsam sind, in jene Grundschrift verlegen. Es wird sich nämlich später zeigen (§. 10), dass die meisten dieser Partien in gar keinem Zusammenhang mit der Er zählung in A stehen , sondern deutlich als Einschaltungen zu erkennen sind. Somit werden wir also z. B. nicht, wie Bleek thut, 4 aus Stellen wie Mt. 11, 20 ff. = Lc. 10, 13 ff. Mt. 23, 37—39 = Lc. 13, 34. 35 Folgerungen für die Beschaffenheit des Urevangeliums ziehen. Wird mithin unsere erste Quelle dem Umfange nach kleiner sein, als die von Bleek vorausgesetzte, so stellt sie doch andererseits einen ungleich ausführlicheren Bericht dar gegenüber dem dürftigen Schema Eichhorn's oder dem noch mangelhafteren Philippusevangelium Ewald's. Diese Ausdehnung aber, wodurch allein die vorausgesetzte Quelle Halt und Zusammenhang in sich selbst gewinnt , erreichen wir, indem wir, im Gegensatz zu den älteren Vertheidigern des Urevange liums, in die ers^e schriftliche Fixirung der mündlichen Tradition nicht blos die übereinstimmenden, sondern auch differirende Berichte, wie z. B. Nr. 1 8 , verlegen , wofern nur Inhalt und Akoluthie es gebieten. So gewinnen wir ein Evangelium, länger als unser Marcus, aber von derselben Anordnung, wie dieser. Die Differenzen im Detail sind dann aber auch nicht durch willkürlich eingeschobene Mittelglieder , Recen sionen u. dgl. zu erklären, sondern sie erwuchsen aus den schriftstelle rischen Eigenthümlichkeiten und Tendenzen der Evangelisten selbst. Denn nur als Variationen einer Erzählung können sie betrachtet wer den, und es wird sich darum für uns die weitere Aufgabe dahin stellen, ein Princip dieser Variationen für jeden einzelnen Evangelisten zu finden. Wir erblicken also in A einen ersten zusammenhängenden Bericht der galiläischen Wirksamkeit Jesu; nur die Katastrophe inJerusalem und ihre unmittelbaren Antecedenzien konnte der Schriftsteller natür lich nicht übergehen. Diese Schrift muss vielfache Verbreitung gefun den haben, da sie der nachfolgenden evangelischen Literatur einen constanten Typus verlieh. Ihre griechische Originalität isl um so mehr über allen Zweifel erhaben, als die Künste, womit einst Hal feid,2 Eichhorn,3 Bertholdt4 manche Differenzen auf Rechnung verschiedener Üebersetzungen zurückführten, jetzt verschollen sind. Schon die Wahrnehmung, dass mit Ausnahme von Mr. 1, 2=Mt. 11, 10 =Lc. 7, 27, alle gemeinsamen Citate der Synoptiker den LXX folgen, ist entscheidend. 5 Eine hebräische Urschrift würde nach dem S. 12 schon Gesagten überhaupt nichts erklären. 1) Einleitung, II, S. 270. — 2) De origine quatuor evangeliorum, 1794, S.9— 39. — 3) Einleitung, I, S. 167 f. 198. 281 f. — 4) III, S. 1176 ff. — 5) Bleek: Einleitung, II, S. 268 f. Vergleichung der Texte als dreier Modificationen von A. 103 §. 7. Vergleichuug der Texte als dreier lodificationeu von A. Es ist anerkannt, dass trotz aller Abweichungen und Widersprüche sich ein Faden der Erzählung durch alle drei Evangelien hindurch zieht, und zwar kann dies nur der Faden von A sein; gerade in den Freiheiten, die sich Matthäus und Lucas bei den mannigfachen Verwick lungen und Verschlingungen dieses Fadens nehmen, gibt sich die Kraft des Widerstandes zu erkennen, welche die Erzählungsreihe von A, als eine in sich geschlossene Masse, einer völligen Durcheinanderwerfung ihrer Bestandtheile entgegensetzt. Keiner der Synoptiker stellt A dar. Marcus hat wenigstens ausge lassen ; Matthäus und Lucas haben auch modificirt, umgestellt und an derweitige Quellen hereingebracht. Dies musste die Störung des ge meinsamen Zusammenhangs zur nothwendigen Folge haben. Zwar drin gen diese Modificationen nicht in den eigentlichen Kern der Sache, aber sie sind doch so bedeutend, dass wir, ohne Marcus, der sich allein ganz treu an den Grundfaden der Erzählung hält, von dem wirklichen Gang der evangelischen Geschichte nicht mehr leicht eine Vorstellung ge winnen könnten. Wir stellen das Verhältniss Beider zu A dar. Matthäus folgt in der Darstellung des öffentlichen Auftretens Jesu der Ordnung von A bis zur Bergrede. Aus der Voranstellung derselben einerseits, A aus der Bemühung zu gruppiren andererseits erklären sich alle Abweichungen seines Geschichtsfadens von A. Diese Confusion er streckt sich aber fast ausschliesslich auf 4, 22 — 14, 14, wo der Zusam menhang ein ganz anderer ist, als in Marcus und Lucas, indem nämlich Matthäus als zwiefache Explication von 4, 23 zuerst ein Muster der Lehrweise Jesu (cp. 5 — 7), sodann eine Auswahl seiner Wunderthaten (cp. 8. 9) gibt. 2 Was über dieser Composition aus dem früheren Theile von A verloren ging, das wird dann 10, 1 — 14, 14 nachgeholt. Ver bunden bleiben aber — und schon Dies weist auf Abhängkeit des Mat thäus — in dieser ersten Partie doch wenigstens die Abschnitte vom Aehrenraufen und der verdorrten Hand einerseits (12, 1 — 14), die Hei lung des Paralytischen und die Berufung des Zöllners (9, 1 — 17) an dererseits. Mt. 14, 15 aber kehrt Matthäus wieder zur gemeinsamen An ordnung zurück und hat aus A von jetzt an blos noch zwei Heilwunder weggelassen. Diese Umstellung hatte nun aber folgenden Einfluss auf die Ge schichtsdarstellung. 3 Das Evangelium beginnt 4, 1 7 mit dnö xoxs rjqgaxo b 'Irjaovg xrj- 1) Zuerst von Lachmann (Studien und Kritiken, 1835, S. 577 f.) aufgespürt. — 2) Bleek: Synopsis, I, S. 206. — 3) Wilke, S. 618 ff. 104 Zweites Capitel. gvaasiv, wie wenn es eine allmälig aus den ersten Anfängen sich ent wickelnde Geschichte geben wollte. Jesus siedelt über nach Kapernaum und beruft die vier ersten Jünger. Gleich von hier ab nimmt aber die Darstellung eine Wendung in's Allgemeine : Jesus geht nicht mit dem berufenen Petrus in sein Haus, sondern zieht in Galiläa umher. Als ob die speciellen Wunder, die A vor der Bergpredigt erzählt, alle schon geschehen wären , strömt viel Volks zusammen , vor welchem dann der Herr die Bergpredigt hält, die als Continuum gar nicht historisch zu begreifen ist. Dann steigt er herab und trägt, wiewohl von der ganzen Masse umgeben, einem Geheilten auf, keinen Menschen seine Heilung erfahren zu lassen. Hierauf erst nimmt Jesus seinen festen Wohnort im Haus des Petrus, um freilich gleich darauf zu sagen, des Menschen Sohn habe nicht, da er sein Haupt hinlege. Er verrichtet jetzt bald Wunder vor allem Volk, bald befiehlt er strenges Geheimniss — er schickt seine Jünger aus mit einer Rede , die zum guten Theil nur auf die spätesten Verhältnisse seines Lebens passt, aber die Jünger sind alsbald wieder bei ihm , als wäre nichts geschehen ; er ruft Wehe über Chorazin und Bethsaida, als stünde er bereits am Ende seiner Laufbahn, und doch wird erst nachher die Einrede erzählt, womit die Pharisäer Jesu Wun derthaten gleich von Anfang an unschädlich zu machen gedachten. Dann erst kommen die Versuche, die schon zuvor ganz fertigen und ausge sandten Apostel im Verständnisse einfacher Parabeln zu üben. Dies ist die chronologische Ordnung, für die man noch überall da schwärmt, wo das Nichtverstehenwollen erste theologische Maxime geworden ist. Lucas hingegen ist an eigenthümlichen Momenten, was Reden und was Thatsachen betrifft, noch reicher als Matthäus. Unter den Ersteren fallen besonders auf die vielen unschätzbaren Gleichnisse, sowie die mancherlei Erweiterungen paralleler Reden. Unter den Letzteren be sonders die ganz eigenthümlichen Angaben von Veranlassungen zu Re den, die Matthäus in grösseren Zusammenhang hineingearbeitet hat. Ebenso tritt klar zu Tage, dass Lucas eine Zeit lang sich an A hält, diese Quelle aber zuerst durch die kleine, dann durch die grosse Einschal tung unterbricht. Vorher fügt er blos genealogische und chronologische Notizen ein, nachher bereichert er besonders die Leidensgeschichte durch eine grosse Anzahl von Nachrichten, die ihm durch die mündliche Tra dition zugekommen waren, so dass nur einzelne Sätze, wie 22, 10 — 13. 23, 3. 44. 52 in vollständiger Abhängigkeit von A geschrieben sind;1 desshalb hat Reuss sogar erweisen wollen, das von Lucas be nutzte Exemplar von A habe keine Leidensgeschichte enthalten2 — « 1) Reuss: Nouvelle revue, II, S. 55. — 2) A. a. O. S. 60 ff. Vergleichung der Texte als dreier Modificationen von A. 105 eine Behauptung, die mit einer gleich zu erwähnenden und zu wider legenden andern auf einer Linie steht. Es ist ferner zu bemerken , dass Lucas beidemal , wo er A durch Einschaltungen unterbricht, nicht unmittelbar dort, wo er stehen ge blieben , den Faden wieder aufnimmt^ sondern zuerst die Verhandlun gen im Hause Jesu mit Denen, die ihn für besessen oder wahnsinnig halten , auslässt , um später das Wesentliche davon nachzutragen ; bei Gelegenheit der grossen Einschaltung aber lässt er unmittelbar vorher die Warnung vor Aergerniss, unmittelbar nachher die Rede über Ehe scheidung (wegen 16, 18) aus. Schliesslich gehört es zu seinen Eigenthümlichkeiten, dass er ganze Abschnitte von A mit anderen, eine belebtere oder inhaltreichere Dar stellung enthaltenden, Exemplaren vertauscht. Nur weil die Gründe, die schon S to rr für diese Wahrnehmung aufstellte, 4 mit unglücklichen Hypothesen versetzt waren, konnte Eichhorn Dies noch schroff leug nen. 2 Jene eingeschalteten Exemplare sind, wie besonders geformt, so auch anders gestellt, und treten in der Regel zwischen solche Stücke ein, welche bei Matthäus und Marcus nebeneinander stehen.3 So ver hält es sich mit 4 , 16 — 30.5,1 — 11. 7,2—10.36—50. 10,25—37. 11, 14 — 28. 22, 24 — 30. Ebenso ist die Auslassung einiger Stücke zwi schen der Speisungsgeschichte 9, 10 — 17 und dem Petrusbekenntniss 9, 18 — 27 bestimmt motivirt.4 Hier nämlich fallen aus A folgende Stücke weg : Nr. 30 — Jesu Wandeln auf dem Meer — schien überflüs sig neben der andern Erzählung vom Seesturm. Nr. 31 — Wunder im Lande Genezareth — wurde übergangen, weil Lucas summarische Be richte überhaupt nicht liebt und mit früheren Stellen in dieser Be ziehung genug gethan zu haben glaubt. Nr. 32 — vom Händewaschen — sollte ersetzt werden durch die grössere Strafrede gegen das eitle Satzungswesen 11, 37 — 52. Nr. 33 — vom kananäischen Weib — mochte an sich bedenklich scheinen, konnte aber füglich wegfallen, als gedeckt nach der einen Seite hin (insofern die Heidenannahme das tertium com- parationis bildet) durch 7, <2 — 10, nach der anderen (insofern der Anti- typus zu den Thaten des Elias tertium comparationis) durch 7, 11—17. Nr. 34 — der Taubstumme — soll seine Parallele noch erhalten 11, 14. Nr. 35 — Speisung der Viertausend — bot neben der eben erzählten Speisung der 5000 kein Interesse. Nr. 36 — Zeichen der Zeit — soll seine Parallele erhalten 11, 29—32. 12, 54—56. Nr. 37 —Warnung vor dem Sauerteig — kommt noch 12, 1. Nr. 38 — der Blinde in Bethsaida 1) Ueber den Zweck der evangelischen Geschichte und der Briefe des Johannes, S. 275 ff. — 2) Einleitung in das N. T., I, S. 388—395. - 3) Wilke, S.566 ff. 572. -4) Wilke, S. 569 ff. 586. 106 Zweites Capitel. — schien überflüssiges Vorspiel zum BHnden von Jericho. Es waren mithin auf der Hand liegende Ursachen der Sparsamkeit, welche zur Auslassung dieser Perikopenreihe führten. l Mit dieser Beobachtung sind wir aber wieder über eine ganze Reihe willkürlicher Hypothesen hinweggekommen , mit denen man sich über die erklärten Thatsachen beruhigen wollte. Wir brauchen jetzt nicht mit Reuss dem Lucas eine Ausgabe von A oder Marcus zur Benutzung unterzulegen, worin Mr. 6,45 — 8, 26 fehlt;2 wir brauchen noch viel we niger mit Weisse den Umstand auf Rechnung der Fahrlässigkeit des Lucas zu schreiben;3 wir brauchen am allerwenigsten mit Hug an einen Ausfall in den Handschriften des Lucas zu denken. 4 Die letztere Annahme würde sich noch am ehesten empfehlen, indem man dem be rührten Fall etwa noch einen andern an die Seite stellen und von Joh. 7, 53 — 8, 11 behaupten könnte, das Stück sei hinten am Schlüsse von Lc. 21 ausgefallen. Von allen Evangelisten erzählt Lucas allein nichts von der Salbung in Bethanien. Auch diese Geschichte hätte aber zwi schen 21, 36 und 22, 3 erzählt werden müssen. Es könnte daher schei nen, als ob auf Lc. 21, 36 unmittelbar Joh. 7, 53 — 8, 11 und ein länge rer mit Lc. 21, 37. 38 schliessender Abschnitt gefolgt wäre; so dass, da Lc. 21, 37. 38 sich sprachlich genau mit Joh. 8, 1. 2 berührt, hier so wohl, wie in Lc. 9 (doppelte Speisung) ein Homoioteleuton Ursache der Auslassung gewesen wäre. Näher besehen erklärt sich aber, wie wir S. 93 zeigten, die Peri- rikope von der Ehebrecherin viel einfacher , und die Salbung in Betha nien wurde ausgelassen wegen Lc. 7, 36 — 50. Die Hypothese, wornach wir das dritte Evangelium nicht mehr in seiner integeren Gestalt be- sässen, zerfällt daher in sich selbst. Bei beiden Nebenreferenten geht übrigens öfters die Klarheit ver loren, womit in A der ganze Stoff übersehen und beherrscht ist.5 Weder bei Matthäus, noch bei Marcus ist erhalten die Beziehung zwischen Mr. 3, 21, wo die Verwandten Jesu ausgehen, sich seiner zu bemächti gen, und Mr. 3, 31, wo sie in seinem Hause anlangen. Ebenso ist es Plan und zeugt von richtigem Tact, wenn zwischen das Aussenden und die Rückkehr der Apostel Mr. 6, 13. 30 eine, den leeren Raum ausfül lende Erzählung, eingeschoben wird. Das yatycpvXäxiov Mr. 12, 41 war wohl so angebracht, dass beim Ein- und Ausgehen der Tempelbe sucher Jesu Weg daran vorüberführte; gegenüber vom Gotteskasten, d. h. noch innerhalb des Tempelbezirks, beobachtet daher Jesus die 1) Storr: Evangelische Geschichte des Johannes, S. 277. — 2) Nouvelle revue, II, S. 63. Geschichte, S. 174 f. — 3) Evangelische Geschichte, I, S. 88 f. — 4) Ein leitung, II, S. 119. — 5) Hitzig (Joh. Marcus S. 124 f.), Weiss (S. 651 f.). Vergleichung der Texte als dreier Modificationen von A. 107 Geber , um endlich 13, 1 den Tempel ganz zu verlassen , welcher Zu sammenhang bei Lucas verloren geht. Ein solcher festgeschlossener Zusammenhang der Erzählung ist überhaupt nur dem Marcus eigen. So weist auch 3, 6 vor auf 12, 13, so 3, 9 auf 4, 1, so das fisxd xwv fiadrj- xwv 3, 7 auf 3, 13, so 3, 14. 15 auf 6, 7. 13, so 3, 32 ixädrjxo nsql av xöv oxXog auf 3, 34, so 11, 12—14 auf 11, 19—21, so 14, 1 auf 14, 10 —12, so 14, 8 auf 16, 1, so 14, 18 auf 14, 25, so 14, 27 auf 14, 50, so 14, 28 auf 16, 7, so 14, 30. 31 auf 14, 68. 72, so 14, 54 auf 14, 66, so 15, 11 auf 15, 13. 14, so 15, 20 auf 15, 24, so 15, 25 auf 15, 33 (Mat thäus und Lucas geben nur das Letzte, was ihre Abhängigkeit beweist), so 15, 27 auf 15, 32, so 15, 39 auf 15, 44 (welches Letztere Matthäus und Lucas wieder auslassen, wodurch das Erstere haltungslos wird), so 15, 40. 41 auf 15, 47. 16, 1, so 15, 46 auf 16, 3. 4. Andererseits kom men Rückweisungen vor, wie 1 , 29 fisxd 'laxwßov xal 'iwävvov auf 1, 19, 20, wie 4, 36 ätpivxsg xcv oxXov auf 4, 33 (vgl. S. 81), wie 6, 1 ig~rjXdsv ixsldsv auf 5, 38, so 6, 54 igsXdövxwv ix xov nXoiov auf 6, 45 ifißfjvai slg xö nXoiov; so weisen Verse, wie 3, 30. 9, 50 auf den Aus gangspunkt des Gesprächs, und weist das 29 mal stehende näXiv im mer auf etwas Entsprechendes zurück, das vorherging. §. 8. Das zweite Evangelium und A. Wir hätten nunmehr das Eigenthümliche eines jeden Evange listen für sich zu betrachten. Dieses besteht nun theils in besonderer sprachlicher oder sachlicher Bearbeitung derselben Geschichten (Varia tionen von A), theils in selbstständigen Reden, Parabeln, Erzählungen. Am wenigsten findet sich solcher Stoff bei Marcus, dessen Text fast vollständig auch in Matthäus und Lucas enthalten ist. Eigenthümlich dem Marcus sind blos folgende Stücke : 1) 1, 1 — 3. Der Eingang ist ohne Grund kritisch verdächtigt worden. Aber 1, 1 ist Anfang von A, und über 2. 3 vgl. §. 17. 2) 4, 26—29. 13, 33—37. Zwei Parabeln. Für die erstere hat Matthäus 13, 24 — 30 eine ausgebildetere Form desselben Gleichnisses vorgezogen. Das andere Gleichniss vom Hausherrn haben Mt. 24, 42 — 51 und Lc. 12, 39 — 46 gleichfalls in ausgebildeterer Gestalt. In beiden Fällen wurde daher A von Matthäus aus Ursachen verlassen, und Lucas hat das erste Gleichniss, als zu unbedeutend, ausgelassen. 3) 7, 32—37. 8, 22—26. Zwei Heilungsgeschichten, von den Andern ausgelassen, weil sie schon viel Aehnliches erzählt hatten. Namentlich erinnert Mt. 12, 22 = Lc. 11, 14, obwohl nicht identisch, an die erste Geschichte; und die zweite fehlt bei Lucas, weil er die ganze Reise nach Cäsarea ausliess. Matthäus aber hat, wie aus der Ver- 108 Zweites Capitel. doppelung des Bartimäus hervorgeht (§. 16), die Geschichte gekannt. Dagegen darf man nicht recurriren auf die 2 Blinden Mt. 9, 27 — 31, weil in diesem Capitel Matthäus schwerlich Rücksicht auf eine so späte Stelle in A nehmen konnte. 4) 11, 18. 19. Notiz, zur Leidensgeschichte gehörig, von den Andern leicht übergangen. 5) 14, 51. 52. Geschichte vom Jüngling, der sein Ge wandverliert, von den Andern als unverständlich und unbedeutend übergangen. 6) 15, 44. 45. Verhandlungen des Joseph mit Pilatus, von den Andern übergangen. 7) 16, 9 — 11. Dieser Schluss ist kritisch mehr als zweifelhaft, 12 — 20 offenbare Combination von Matthäus und Lucas. Der Aufer standene erscheint nämlich bei Matthäus den Jüngern wenigstens blos in Galiläa (28, 7. 10), bei Lucas hingegen blos in Judäa (24, 49). Bei Marcus 16, 7 lesen wir nun einen Befehl, nach Galiläa zu gehen; es musste daher in A eine Erscheinung Jesu in Galiläa und ein Schluss, wie etwa bei Matthäus, folgen (vgl. S. 99). Dagegen findet sich im weiteren Fortgange des Marcus blos ein Abschied in Judäa. Die Rela tionen von Matthäus und Lucas sind also in ungenügender Weise ver bunden. Ja es ist die ganze Stelle ein bloses Excerpt , Mr. 9 — 1 1 aus Joh. 20, 1. 9—18; Mr. 12—14 aus Lc. 24, 13—43, und zwar so, dass Lc. 41 ungehörig bei Mr. 13 anticipirt erscheint;1 Marcus 15 — 20 läuft ungefähr parallel mit Mt. 28, 19. 20. Lc. 24, 47—53. Act. 1, 9. Die Scenerie ävaxsifiivoig aber ist aus Lc. 24, 42. 43 hereingekommen, das Schelten des Unglaubens aber aus einer Vermengung von Mt. 28, 17 (ol ös iöiaxaaav). Lc. 24, 25. Joh. 20, 27 zu erklären. 2 Der Abschnitt fehlt bekanntlich in den ältesten Handschriften (be sonders N und B) ganz; vielfache Scholien, so wie Eusebius, Gre gor von Nyssa, Hieronymus bezeugen das Fehlen in älteren Handschriften ausdrücklich; Justin und der alexandrinische Cle mens kennen ihn nicht; die Philoxeniana hat einen ganz anderen kür zeren Schluss (vgl. hierzu die kritischen Ausgaben). Dazu kommt die abrupte Weise, wie 9 sich an 8 anschliesst, die anschauungslose, durch aus unklare Kürze, der compilatorische Charakter, die apokryphische Darstellung des Ganzen. Keine der Eigenthümlichkeiten des Marcus begegnet uns hier (nicht svdiwg, näXiv u. s. f.), dagegen aber eine durchaus verschiedene Sprachfarbe. Zeller zählt 26 Ausdrücke auf, die sonst im Marcus fehlen, 3 z. B. noqsvsadai, sonst im ganzen Evan- 1) Schulthess, De Wette, Fritzsehe: Marcus, S. 725. — 2) Meyer: Zu Matthäus und Lucas, S. 208. — 3) Theologische Jahrbücher, 1843, S. 450. Das zweite Evangelium und A. 1 09 gelium vermieden, steht 10—15 gleich dreimal hinter einander; ebenso dsäadai 11. 14. Die Jünger sind ol fisz' aixov 10 u. s. f. Dagegen finden wir gleich 9 in nqwxrj aaßßdxov den Sprachgebrauch des Lucas, worauf auch dieMagdalenerin (Lc. 8, 2), nsvdovai xal xXaiovai (Lc. 6, 25), ämaxslv (in den Evangehen nur Lc. 24, 11.41), nsqmaxovvxsg (Lc*. 24, 17) und Andres hinweist. J Die Mehrzahl der neueren Ausle ger , Kritiker und Isagogiker hat daher gegen die Aechtheit entschie den;2 während die Vertheidiger entweder von dogmatisch- conservati- ven Interessen3 oder von der Eingenommenheit für die Griesbach'- sche Hypothese geleitet erscheinen, die allerdings im ganzen Evange lium nicht so vielen Anhalt findet, wie in den 12 letzten Versen. * Eine Mittelstellung nehmen ein : Kö stlin, der die Perikope dem vermeint lichen zweiten Bearbeiter zuschreibt , 5 Wilke, der Interpolationen besonders 11 — 15 annimmt,6 und Ritschl, der dahin votirt: »Also möchte das Urtheil der Unächtheit die ganze Stelle nicht in gleichem Maasse, nicht mit gleichem Rechte treffen, wenn auch die letzten Verse ebenso wie die vorhergehenden Abweichungen vom Sprachgebrauch des Marcus darbieten.«7 Allerdings haben die letzten Verse 15 — 20 keine genaue Parallelen mehr bei Matthäus und Lucas, und kommt 19 vor bei Irenäus 3, 10, 6; im Evangelium des Nikodemus aber 15 — 18. Nun sind in dieses Evangelium die, noch vor Irenäus entstandenen, Acta Pilati verarbeitet; und Ritschl will beweisen, dass 15 — 18 sogar schon in diesem Werke gestanden habe. Aber vgl. dagegen Meyer. 8 Wie Dem auch sein möge, das zweite Evangelium hatte entweder von Anfang an keinen Schluss, oder er war früh verloren gegangen. Die Handschrift, welche die herrschende wurde, hatte ihn jedenfalls einge- büsst. 9 Wir begegnen mithin bei Marcus blos ungefähr 30 Versen, die bei den andern keine Parallelen haben. Aber auch diese sind, mit Aus nahme von 1 , 2, nicht von Marcus zugesetzt, sondern, bald als zu unbe deutend, bald, weil Ersatz geboten wurde, von den Andern ausgelassen worden. Wir haben mithin nicht nöthig, für Marcus irgend eine andere 1) Hitzig: Joh. Marcus, S. 192 ff. Nach ihm (S. 191 — 204) hat daher geradezu Lucas den Schluss geschrieben. — 2)Bolten, Griesbach,Bertholdt,Fritz- sche, Gratz, Credner, Wieseler, D. Schulz, Neudecker, Lachmann (trotz seiner Ausgabe; vgl. Studien und Krit. 1830, S. 843), Tischendorf, Ewald, Hitzig, Reuss, Weiss, Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 201 ff. — 3) R. Simon, Mill, Bengel, Storr, Hug, Feilmoser, Rinck,) Küinöl, Guericke, Olshausen, Schwarz, Ebrard: Wissenschaftliche Kritik, 2. Ausg. S. 798 ff. — 4) Eichhorn, Saunier, Bleek, De Wette: Einleitung, II, S. 191 ff. — 5) Evangelien, S. 377 ff. — 6) Urevangelist, S. 649-651. — 7) Theol. Jahrb. 1851, S. 526 f. — 8) Zu Marcus und Lucas, S. 202. — 9) E w a 1 d : Jahrbücher, II, S. 207. HO Zweites Capitel. schriftliche Quelle vorauszusetzen, ausser A. Das Räthsel aber, wie neben A eine so ähnliche, fast nur durch Verkürzungen differirende Schrift, wie Marcus, Entstehung finden konnte, löst sich nur durch Annahme eines bestimmten Leserkreises , für den A nur in bearbeiteter Gestalt geniessbar war, sowie durch das ergänzende Verhältniss, in wel ches das geschichtliche Werk des Marcus zu einem andern, auf Redein halt angelegten, treten sollte. Ueber Beides vgl. §. 24. Sonach reducirt sich die schriftstellerische Verarbeitung, die A durch Marcus erfahren hat, 1) auf Verkürzungen der Reden, bemerklich da, wo die Texte des Matthäus und Lucas übereinstimmend fortlaufen. In Erzählungen dage gen übergeht Marcus nur unbedeutende Kleinigkeiten ; 2) auf eine bedeuteude Abkürzung im Anfang und eine grosse Lücke, veranlasst durch die Bergpredigt, mit der zugleich zwei Wun der ausfaHen; 3) auf eine Anzahl von ganz kurzen , erläuternden Zusätzen und Einfügungen, von denen wir im Folgenden zu handeln haben. Es finden sich nämlich noch kleinere Zusätze, von denen man zweifeln kann, ob Marcus sie eingesetzt, oder Matthäus und Lucas sie ausgelassen haben. Dahin gehören, abgesehen von solchen Stellen, die, wie 15, 28, als Interpolationen verdächtig, oder offenbare Erläuterun gen sind, im Interesse eines bestimmten Leserkreises bei Bearbeitung von A eingefügt (so 7, 2 — 4), namentlich folgende Stellen: 1, 7 xvipag, — 1,13 rjv fisxd xwv drjqiwv, — 1 , 20 fisxd xwv fii- adwxwv, — 1 , 33 ganz, — 2,14 Nennung des Alphäus, — 2,16 av rov iadiovxa fisxd xwv xsXwvwv xai afiaqxwXwv, — 2, 1 8 rjoav oi fta- drjxal 'iwdvvov xal ol Oaqiaaloi vrjaxsvovxssg, — 2, 25 oxs xqsiav saxsv, — 2, 26 ini'Aßiädaq äqxisqiwg, — 2, 27 ganz, — 3, 17 die Benennung Boavrjqyig, — 3, 26 äviaxrj icp' savxöv, — 4, 3 dxovsxs, — 4, 7 xai xaqnöv oix s'öwxs, ¦ — ¦ 4, 8 dvaßaivovxa xal avgavofisvov, — 4,11 oi e%w, — 4,19 xai al nsqi xd Xomd snidvfiiai, — 5, 13 wg öiaxi- Xioi, — 5, 19 xal rjXirjoiv as, — 5, 23 'iva awdfj, — 5, 34 xal l'adi vyifjg ano xfjg fiäaxiyög aov, — 6, 3 o tsxtwv, — 6, 13 iXaiw, — 6, 37 öwoofisv airolg opayslv , — 6, 48 rjdsXs naqsXdslv aixovg, — 6, 50 nävxsg aixöv slöov, — 6, 52 ganz, — 8, 32 xai nafyqrjaiq xöv Xoyov iXdXsi, — 8, 35 (vgl. 10, 29) xai xov siayysXiov, — 8, 38 iv xfj ysvsq xavxrj xfj fioixaXiöi xai afiaqxwXcf, — 9,12 xai nwg yiyqanxai ini xöv vlövxov ävdqwnov tva noXXd nddrj xai igovösvrjdfj, — 9, 49. 50 ganz, — 10, 19 fir) änooxsqfjorjg, — 10, 32 xai rjv nqodywv avxovg ö 'irjaovg xai idafißovvxo xai äxoXovdovvxsg icpoßovvxo, — 10, 46 Bartimäus, der Sohn des Timäus , — 11, 10 siXoyrjfiivrj fj iqxofiivrj ßaaiXsia xov naxqog rjfiwv Javiö, — 11, 13 6 yaq xaiqog ovx rjv avxwv, — 11, 16 xai Das zweite Evangelium und A. 1 1 1 oix rjcpisv Iva xig öisviyxrj axsvog öid xov Isqov, — 12, 14 öwfisv rj fifj öwfisv, — 12, 27 noXv nXaväads, — 13, 32 ovös b viög, — 14, 20 slg sx xwv öwösxa, — 14, 44 änäysxs äatfaXwg, — 14, 68 ovxe inloTaftai, — 15, 21 die Charakterisirung des Simon, — 15, 40 vgl. 16, 1 Salome, — 15, 43 ToXfifjaag. Ueber die meisten dieser kleinen Partien hat die Tafel in §. 5 schon Auskunft gegeben. Allerdings müssen in manchen reine Zuthaten des Marcus anerkannt werden, entweder blos der Erklärung halber beige setzt, wie z. B. die des vierten Capitels, l oder aber es sind historische Notizen , authentische Züge, 2 die Marcus aus der Ueberlieferung ge schöpft hatte, wie den Beinamen der Söhne des Zebedäus 3, 17, wahr scheinlich auch den Namen ihrer Mutter 15, 40. 16, 1 , des Alphäus 2, 14 und des Bartimäus 10, 46 (vgl. jedoch §. 5, Nr. 52). So ist auch zu erklären das auffallende Tiva vor 2ifiwva, der doch gleich genau als Vater des Alexander und Rufus charakterisirt wird 15, 21. Aber weil Dies bekannte Christen waren, setzt Marcus die Vaterschaft bei, doch erst, nachdem er das Tiva aus A bereits abgeschrieben hat. Nur 1, 1 viög tov dsov) und 13 (fiSTa tcöv drjqiwv) ist etwas von dogmatischer An schauung zu verspüren. Zum mindesten ebenso oft aber haben Matthäus und Lucas ausge lassen; so besonders Schwierigkeiten, wie den Abiathar 2, 26 und an- stössig werdende Dinge, wie den tsxtwv 6,3 und das oiöi b viög 13, 32 ; so aber auch 1 , 20 die gedungenen Leute, die doch bei den zerris senen Netzen der drei Fischer am Platze sind, da der Fischer als sol cher das Netzflicken noch nicht versteht; so 6, 13 (vgl. Jak. 5, 14), so die Zahl 5, 13, so den individuellen Zug 11, 16, so 15, 43, wo das ToXfifjaag sich aus dem Entschlüsse erklärt, am Rüsttag in die Woh nung eines Heiden zu treten. 3 Indem wir solche Notizen in A verle gen, befolgen wir nur den Kanon Köstlin's4 und Hilgenfeld's, 5 dass Züge, die für sich allein bedeutungslos sind, den Evangelisten be reits in einer schriftlichen Darstellung vorgelegen haben müssen. Vorschnell also erklärt Wilke eine Reihe solcher, zu seiner Theo rie freilich nicht passender, Partien für Glossen ; 6 wie andererseits die Anhänger der Griesbach'schen Theorie zu den seltsamsten Zumu- thungen an die schriftstellerischen Grundsätze des Marcus greifen. Namentlich beurtheilt Baur7 solche Erscheinungen auf's ungerech teste : Allerdings sei Marcus kein bioser Epitomator ; er wisse sich mit 1) Weiss, S. 63. — 2) Bleek: Einleitung, II, S. 289. — 3) Hitzig: Joh. Marcus, S. 44. — 4) S. 336 ff. — 5) Evangelien, S. 147. — 6) Urevangelist S. 463. 673, _ 7) Kanonische Evangelien, S. 549 — 561. Marcusevangelium, S. 41. 110. 151 f. Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1859, S. 378 ff. 1]2 Zweites Capitel. einer gewissen Freiheit zu bewegen, strebe nach Eigenthümlichkeit. Aber freilich — da er über keine selbstständigen Mittel und Kräfte zu verfügen hat, so geräth es ihm schlecht genug. Er bringt es höch stens zu Zusätzen , Motivirungen , Modificationen, frappanten Detailli- rungen und Pointen, zu neuen Namen und Situationen, oder zu Stel len wie 9, 49. 50, wo er, weil er allzulang blos abgeschrieben hat, »noch einen um so energischeren Anlauf zu einem selbstständigen Schluss nehmen zu wollen scheint ; er gibt aber dadurch nur einen neuen Be weis dafür, wie wenig er aus eigenen Mitteln zu leisten vermag, ii1 Blose rhetorische Ausschmückung ist es auch, wenn er Personen redend ein führt (4, 39. 5, 8. 41), oder sonst dramatisirt ( 1 , 45. 5, 25 f. 8, 17— 20. 9, 21 — 27); dann aber liebt er es, namentlich gemüthliche Züge beizufügen (1, 20. 41. 5, 29. 9, 36. 10, 14 ff. 17 ff. 32). Weiter gehend denkt er sich aber auch Nebenumstände zu den Geschichten der beiden Anderen, z. B. die, von keinem Walker zu erreichende, Weisse des Kleides Jesu (9, 3), die Ordnung der im Gras Gelagerten (6, 39), das vielfache Aus- und Eingehen Jesu (2, 1. 3, 20. 7, 17. 24. 9, 28. 33), die eigenthümlichen Missstände des Gedränges (2, 2. 3, 20), die Begleitung Jesu (1, 29). Besonders dehnt sich nach Baur die Er findungskraft des Marcus auch auf Zahlenverhältnisse aus. Er denkt sich, dass Jesus drei Stunden vor Mittag gekreuzigt worden sei, weil er drei Stunden nach Mittag starb ; er denkt sich ferner, dass die Zahl der Träger des Gichtbrüchigen , vier (2, 3) , dass die der dämonischen Schweine nach Analogie der römischen Legion zweitausend (5, 13), die der für Speisung der Volksmenge nöthigen Denare zweihundert (6, 37), die endlich der vorräthigen Brode gleich eins (8, 1 4) gewesen sei ; so denkt derselbe sich aber auch zu den Broden bei beiden Speisungen die Fische hinzu (6, 41. 8, 7) und substituirt der Volksmasse den Simon und seine Begleiter (1, 36), dem Namen Magdala den von Dalmanutha (8, 10), der Kanäerin eine yvvr) sXXrjvig avqoopoivtaaa (7, 26). Ebenso be urtheilt Baur das Kopfkissen (4, 38), die Pharisäer (2, 18), die Hero dianer (3, 6. 8, 15), den Abiathar (2, 26), die Gefässe im Tempel (11, 16), den zweimaligen Hahnenschrei (14, 30. 72). Zuweilen erstreckt sich die Phantasie des Marcus auch auf Namen , als da sind Alphäus (2, 14), Bartimäus (10, 46), Alexander und Rufus (15, 21), oder auf pikante Züge, wie 14, 50. In der Regel sei Marcus auf rationellem Wege zu derartigen Erweiterungen gekommen ; so spann er aus logi- gischer Analyse des Begriffes viog xov ävdqwnov den Ausspruch, der Sabbat sei um des Menschen willen da (2, 27); ebenso verhält es sich mit 7, 15. 9, 39. 11, 13 (es war noch nicht die Zeit der Feigen). 14, 1) Marcusevangelium, S. 79. Die Griesbach'sche Hypothese. 1 ] 3 58 (Futura und Gegensatz von xeiqonoirjTog und äxsiqonoirjxog). Die wenigen, dem Marcus eigenthümlichen, Partien beruhen vollends nur auf Specialisirung allgemeiner Berichte , Amplification kürzerer Nach richten, Einflechtung concreter Züge, wodurch Marcus die Dürf tigkeit seines historischen Materials zu verdecken sucht. — Fürwahr eine Art von Schriftstellerei, so wunderlich und seltsam, dass sie gera dezu einzig in der Geschichte dastehen würde. Doch das sind nicht die letzten Injurien, die sich Marcus gefallen lassen muss. Die ganze Griesbach'sche Theorie, zu der wir nun schliesslich übergehen, zwingt zu solcherlei Zumuthungen. §. 9. Die GriesbaclVsche Hypothese. Es wird nunmehr möglich sein, uns von der Grundlosigkeit der be rühmten Hypothese zu überzeugen , die auf der einen Seite durch D e Wette und Bleek viele Anhänger in den Reihen der neueren Theo logie gewonnen hat, andererseits die Unterlage bildet für alle Baur'- schen Constructionen. Man beruft sich für die in Rede stehende An sicht auf folgende Beobachtungen : 1) Die Verwandtschaft zwischen Matthäus und Lucas in Bezug auf Ausdruck und Darstellung sei in der Regel geringer , als die zwischen Marcus und Jedem der beiden Andern. Am glänzendsten erweise sich Dies durch solche Stellen, wo Marcus geradezu die Ausdrucksweise des Matthäus und des Lucas zusammenfasse. Die hervorragendsten Beispiele (1, 32 oipiag ysvofiivrjg, oxs sövasv b rjXiog. 1, 42 änfjXdsv an aixov fj Xinqa xai ixadaqiodrj. 4 , 39 ixönaasv b ävsftog xai iyeväxo yaXrjvrj fisyäXrj) sind natürlich dieselben, die man gegnerischer Seits mit eben so viel Schein zu gebrauchen weiss, um zu zeigen, dass hier und da Mat thäus und Lucas sich in die vollere Ausdrucksweise des Marcus gerade getheilt haben, was man ganz in der Ordnung finden wird-, sobald nur solche Spiele des Zufalls in erforderlicher Rarität vorkommen. Bei glei cher Benutzung des Marcus durch Matthäus und Lucas werden Diese ja natürlich nicht immer Dasselbe abschreiben, und das eine oder andere mal kann das Geschick auch ihre Federn so leiten, dass der Eine die eine, der Andere die] andere Hälfte des vollen Ausdrucks sich aneignet, und sie sich also in den Vorrath des Marcus reinlich getheilt zu haben scheinen. Wir können aber diese abstracte Möglichkeit zur Evidenz steigern. Es soll also Mr. 1, 32 durch Zusammenschau von Mt. 8, 16 öxpiag öi ysvofiivrjg und Lc. 4, 40 övvovxog öi xov ijXiov entstanden sein. Aber warum hat denn Mr. 14, 17 nicht auch die Formeln oipiag öi ysvofiivrjg Mt. 26, 2 o und oxs iyivsTO fj wqa Lc. 22, 14 in ähnlicher Weise gemischt? Kann unsere Formel nicht ebenso gut ursprünglich sein , wie das gleich fol- Holtzmann. 8 j -[ 4 Zweites Capitel . gende nqw% hw%a Xiav 1 , 35 , oder wie das ganz ähnliche Xiav nqw'i, ävaxsiXavxog xov fjXiov 16, 2? Ist nicht oxs söv b fjXiog dieselbe Zu gabe, wie Mr. 14, 12 oxs e'dvov xö näo%a1 In der That wird eine spä tere Betrachtung (§. 19, 3) uns zeigen, dass alle diese Fälle unter ein bestimmtes Capitel des originalen Sprachcharakters der Quelle A gehö ren. Ja noch mehr ! Jener doppelte Ausdruck ist ein unverwerflicher Zeuge für die Ursprünglichkeit des Marcus, indem die allgemeine An gabe öxpiag ysvofiivrjg nothwendig näher bestimmt werden musste durch oxs söv b rjXiog, weil ja der Tag ein Sabbat war 1, 21 , und daher erst nach Sonnenuntergang die Kranken zu Jesu gebracht werden durften. Lucas, der die Geschichte in demselben Zusammenhang hat, hebt darum besonders dies Moment hervor, obwohl die Reminiscenz an den Geniti- vus absolutus A Mr. 1 , 32 sich noch in der Form övvovxog xov rjXlov zeigt. Matthäus aber hat die Erzählung ganz aus dem Zusammenhang gerissen und lässt die Notiz , deren Pragmatismus er nicht mehr ver steht, als überflüssig aus. ' — Allein derselbe Vers Mr. 1, 32 scheint um so deutlicher für Griesbach zu sprechen, da man nach Marcus zu Jesu brachte ndvxag xovg xaxwg s'xovxag xai xovg öaifiovit,Ofiivovg, nach Lucas hingegen blos die Ersteren, nach Matthäus blos die Letzte ren. Allein Lucas verfährt in der ganzen Stelle ordnend, indem er, was A Mr. 1, 32 — 34 von Kranken und Dämonischen zusammen ge sagt war, in zwei Verse 4, 40 und 41 vertheilt, deren erster von , den Kranken , der letzte von den Geistern handelt. Matthäus aber hat die Kranken zuletzt und besonders genannt, um sein Citat 8,17 daranhän gen zu können. — ¦ Was 1, 42 betrifft, so gehört der doppelte Ausdruck, wie schon eine Vergleichung von 7, 35. 8, 25 lehrt, gleichfalls zu dem umständlichen Charakter des Styls in A (§. 19, 3). In der Stelle Mr. 4, 39 aber findet sich das ixönaasv 6 avsfiog in der Parallele des Matthäus gar nicht, sondern erst Mt. 14, 32, wo es aber Mr. 6, 51 wiederhat. Da also Marcus diesen Ausdruck zuerst gebraucht hat , so ist zu schliessen, dass er ihn auch das zweitemal selbstständig gebraucht haben, und der doppelte Ausdruck 4, 39 gerade zu erklären sein wird, wie das unmit telbar vorhergehende atwna nsyifiwoo. — Ganz ebenso an sich nach zwei Seiten wendbar, bei genauerer Betrachtung aber für die Originali tät des Marcus zeugend sind auch die übrigen in Betracht kommenden Fälle;2 und was sagen denn die Anhänger Griesbach's zu einer Stelle, 1) Weiss, S. 683. — 2) Vgl. Wilke, S.446, besonders aber Weiss, S. 6S4f.: »In der Parabelrede folgt Marcus dem Matthäus, aber 4, 16 soll das brav axovacooiv aus Lucas sein, obwohl es eine der dem Marcus eigenen Wiederholungen der in V. 15 ganz selbstständig eingeschalteten gleichen Worte ist. Eben so soll 4, 30 aus Lucas sein ; allein der dort sich findende tautologische Ausdruck ist gerade dem Marcus ganz eigenthümlich, und die Parallele bei Lucas findet sich gar niclit in jenem Zusammen- Die Griesbach'sche Hypothese. 1 ] 5 wie Marcus 4, 41 xai iqjoßrjdqoav, wo Mt. 8, 27 dafür setzt idavfiaaav, Lc. 8, 25 aber tfoßrjdivxsg öi idaifiaaavl »Stände diese Formel im Marcus , sie würde sogleich einen Beweis abgeben müssen, dass Marcus die' beiden Nebentexte zusammengemischt habe.«1 Mit viel mehr Schein kann daher Weiss diese Stelle nebst Lc. 9, 5. 11. 13 für seine Ansicht verwenden, wornach Lucas den Marcus und Urmatthäus combinirt hätte. 2 2) In der Darstellung des Ganzen der evangelischen Geschichte und einzelner Erzählungen, in welchen die Züge des Matthäus und Lucas zu einem Bilde zusammenfliessen , gebe Marcus sich als Compi- lator kund. Wir haben nun in der aufgestellten Tafel ausdrücklich, oder indem wir auf Weisse, Ewald, Meyer u. A. verwiesen, den Be weis geliefert, dass man jene Züge, die Baur in so nachtheiliger Weise für Marcus auslegt, mit grösserem Rechte als Belege für das originale Gepräge unmittelbarer Lebendigkeit und malerischer Anschaulichkeit der Darstellung des Marcus verwerthen kann. Die von Griesbach'- scher Seite angeführten Beispiele sind grösstentheils aus dem unächten Schlüsse genommen, andere beruhen auf Missverständnissen; einige wenige Fälle aber gibt es , wie namentlich die Versuchungsgeschichte, wo wirklich die Darstellung des Marcus der des Matthäus und Lucas hange, sondern Lc. 13, 18 in einem Abschnitte, den Marcus völlig übergangen haben soll. Mr. 2, 19. 20 soll jedesmal in der ersten Hälfte des Verses dem Matthäus, in der zweiten dem Lucas folgen ; allein gerade, das rore Iv Ixelvrj ti] fjfifyu , das V. 20 mit Lucas stimmt , ist eine Abundanz, für die wir bei Marcus zahlreiche Beispiele gefun den haben. In 2, 11 soll das aol Xiyco tyciot aus Lucas, das aqov xrX. aus Matthäus sein ; allein jenes Gol Xiyco fyeiQS hat Marcus abweichend von Matthäus und Lucas auch 5, 41, und das ey£tQ£ ccqov eben so eigenthümlich 2, 9. Je mehr wir aber die Art dieser Textmischungen näher betrachten, um so unbegreiflicher werden sie. In einem Zusammenhange, wo Marcus nach der Combinationshypothese ganz dem Lucas folgen soll, wie in der Heilung des Aussätzigen und der Berufung des Levi, ist der Text ganz nach Matthäus gegeben, aus Lucas nur das necA tov xaSaQi.G/j.oi> 1, 44, das bei Marcus so häufige (hier offenbar dem ÜGrjXO-sv 2, 1 entsprechende) ll-ijXd-ev (2, 13) und der Name Levi (2, 14) herübergenommen. An anderen Stellen folgt er wirklich dem Text des Lucas, wie er ihm in der Anordnung folgt, z. B. in der Sabbatheilung und der Perikope von der Reise nach Gadara ; trotzdem aber soll er nicht nur einzelne Züge, wie 3, 6. 5, 23. 28. 38, sondern ganz einzelne Ausdrücke wie das xaTriyog^acoaiv 3,2, fZiruve 3,5, tx tcov fivrj/xstcüv 5, 2, SiairsQäaavzog 5 , 21 aus Matthäus herüberneh men. Und nun gar die Stellen, wo die beiden Texte aufs bunteste durcheinander ge würfelt sind ! So heisst es 1 , 34 xal i&iQcinevoe (aus Matthäus, Lucas) noXXovg xa- xcög fyovrag (aus Matthäus), noixtXaig vöaoig (aus Lucas) xal dctifiovia noXXd £%£ßake (aus Matthäus) xal ovx rjcfie (aus Lucas) und 2, 24 idi (aus Matthäus) xt (aus Lu cas) noiovai (aus Matthäus) Toig däßßacfiv (aus Lucas), o oix igeari (aus Matthäus der Stellung nach). In der That, diese Textmischungen, die in ihrer spielenden Will kür und kleinlichen Silbensteeherei selbst das unerklärlichste Räthsel bilden, sind wenig geeignet, die Combinationshypothese zu empfehlen.« — 1) Wilke, S. 513. — 2) S. 86. 8* Hg Zweites Capitel. gegenüber den Charakter des Epitomatorischen trägt; damit ist aber nicht gesagt , dass der Verkürzer unsere beiden Evangelien vor Augen gehabt haben müsse, sondern diese Beobachtung beweist blos die Rich tigkeit unserer obigen Behauptung, dass auch der heutige Marcus nicht als Original betrachtet werden dürfe. — Niemals aber werden die Anhän ger der Epitomatorhypothese es mit der sonst von ihnen angenommenen Abhängigkeit in der Darstellung vereinen können , dass Marcus zwei mal (3, 20. 21. 31 — 35. 11, 11—14. 20 — 26) anstatt zusammen-, viel mehr auseinandergezogen haben musste, indem er später zu erzählende Ereignisse durch vorgeschobene Notizen vorbereitet. 3) Die Reden Christi, die doch wohl am ersten aufgezeichnet wor den sind, treten bei Marcus weit mehr zurück, als bei Matthäus und Lucas. Allerdings liess Marcus bald längere Reden in A aus, bald kürzte er sie ab oder Hess Zwischenmomente aus, wodurch die Rede undeutlich wurde. Insbesondere war ihm die Bergpredigt zu lang, und von 9, 42 an kann er nicht rasch genug das Ende des galiläischen Aufenthalts Jesu gewinnen. Man gebe daher nur ohne Weiteres auch Dies zu , dass Reden Jesu zuerst aufgeschrieben wurden, ja dass Redesammlungen schon vorhanden waren, als Marcus geschrieben wurde, und man wird dann es um so begreiflicher finden müssen, wenn der Bahnbrecher einer neuen Art evangelischer Literatur seine Aufgabe eben auf einem ande ren Gebiete liegen findet (§. 24). 4) Die beiden Wunderheilungen, die Marcus allein hat, 7, 32 — 37. 8, 22 — 26 seien einander sehr verwandt, verschieden von den sonstigen synoptischen Erzählungen, und nicht abzusehen, wesshalb sie von Mat thäus und Lucas hätten ausgelassen werden sollen. Aber gerade das Eigenthümliche , was wohl auf Anwendung des Speichels hinausläuft, war mit ein Grund, wesshalb Matthäus und Lucas , denen es allzu be fremdlich erschien , die Erzählungen ausliessen. Vermöge welches Rai- sonnements soll aber ein Evangelist, dem diese beiden Geschichten in teressant genug vorkommen , um sie beizufügen, die beiden, in seiner Quelle Mt. 9, 27 — 34 gegebenen Heilungsgeschichten übergangen ha ben? Und wie kam er dazu, jene beiden neuen Wunder zu erfinden? Die charakteristische Antwort des Doctrinarismus lautet: 7, 32 — 37 hat er in seiner Eigenschaft als Epitomator »die vielen Heilungen des Mt. 15, 30. 31 zu einer einzigen zusammengezogen,« und 8, 22 — 26 will er, da die Jünger nun eben anfangen sollen, verständiger zu wer den , » den allmäligen Uebergang vom Nichtsehen zum Sehen zunächst an einem leiblich Blinden darstellen. « 4 — Dass aber , abgesehen von den beiden Abschnitten 7, 32 — 37. 8, 22 — 26 sich fast der ganze Stoff 1) Hilgenfeld: Evangelien, S. 137 f. Die Griesbach'sche Hypothese. 117 des Marcus auch in den beiden anderen Evangelien findet, ist eine Be obachtung, deren Beweiskraft, wo es sich um die Wahl zwischen Grundschrift oder Auszug handelt, sich vollkommen neutral verhält. 5) Die ganze Composition des Marcus, der Cyklus der von ihm aufgenommenen Erzählungen , wie ihre Reihenfolge und Verknüpfung mit einander, soll sich nur unter Zurückgehen auf die beiden anderen Synoptiker erklären ; und zwar folgt er bald dem einen, bald dem an dern in der Anordnung des Ganzen. Hauptaugenmerk aber ist für die Anhänger Griesbach's, Schritt für Schritt bestimmte Gründe anzu geben, wesshalb der Evangelist im einzelnen Fall von Matthäus zu Lu cas, und dann wieder von Lucas zu Matthäus übergehe. ] Marcus näm lich , der die Geburtsgeschichten für überflüssig hält und mit dem Täu fer Johannes beginnt, soll zuerst (1, 1 — 20) dem Matthäus (3, 1 — 4, 22) gefolgt sein, bis er, nachdem er schon zuvor die Versuchungsgeschichte bedeutend verkürzt und abenteuerlich ausgeschmückt hatte, an die Bergpredigt stiess, die ihn veranlasste, für das Folgende (1, 21 — 3, 19) sich an Lucas (4, 31 — 6, 19) zu halten; als ihm aber auch dort wieder das unübersteigliche Hinderniss der Bergpredigt in den Weg kam, machte er sich nachholend wieder herüber zu Matthäus (12, 22 — 13, 35), dem er auch eine geraume Zeit lang (3, 20 — 4, 34) folgt, bis er ihn in der Parabelrede verlässt und wieder im Abschnitte 4, 35 — 5, 43 mit Lucas (8, 22—56), im Abschnitte 6, 1—6 mit Matthäus (13, 54—58), im Abschnitte 6, 7 — 16 mit Lucas (9, 1 — 9) stimmt. Seit 6, 17 findet er es für gut, sich anhaltender der Leitung des Matthäus (von 14, 3 an) zu überlassen, welchem Vorsatze er auch mit Ausnahme von 12, 38 — 14, 2 = Lc. 20, 45 — 22, 2, wo er die grosse Strafrede Mt. 23 vermeidet, treu bleibt bis zum Schlüsse , wo er die Auferstehungsgeschichte nach beiden Quellen erzählt und den Widerspruch gedankenlos stehen lässt. Dieser rein quantitativen Betrachtungsweise, vermöge deren man die Abhängigkeit des Marcus bald von Matthäus , bald von Lucas » wie mit dem Finger « demonstriren zu können glaubte , stellt sich nun frei lich die Hauptschwierigkeit entgegen , dass der Theorie zum Trotz die Parallelstellen des Lucas wieder allenthalben ihren Einfluss geltend machen, wo Matthäus die Hegemonie hat, und dass umgekehrt auch Matthäus wieder unausgesetzt in die aus Lucas herübergenommene Dar stellung übergreift. Fast auf jeder Seite des Bleek'schen Buches lesen wir daher, dass Marcus doch zugleich auch die betreffenden Partien des anderen Referenten aufgeschlagen und mit benutzt habe. Wie mühsam musste es dem in die Buchrolle des Matthäus vertieften Marcus werden, in dem Abschnitt 6, 45 ff. plötzlich kleinere. und grössere Zusätze aus 1) Vgl. die Uebersicht bei De Wette: Einleitung, II, S. 187 ff. Hg Zweites Capitel. den betreffenden Parallelen des Lucas, wie Lc. 9, 26. 39. 42. 45. 48 — 50 aufzunehmen ! Wie kommt er andererseits dazu, mitten in dem Ab schnitte Mr. 4, 35—6, 16, wo er dem Lucas folgt, die Geschichte von Na zareth aus Mt. 13, 54 - 58 einzuschalten? Warum lässt er Lc. 5, 39 aus, wenn er doch in jenem Abschnitt dem Lucas, und nicht dem Matthäus, der es auch auslässt, folgt? Warum übergeht er Mt. 16, 17—19. 17, 7. 20. 24—27. 19, 28. 20, 1 — 16, wenn er doch in jenen Partien dem Mat thäus folgt und nicht dein Lucas, cler alle jene Stellen ausgelassen hat? Solche Stellen, wo Marcus dem Einen von Beiden gerade nur gefolgt sein musste bis zu dem Punkte, wo derselbe über die Parallele des An dern hinausgeht, zeugen schlagend wider Griesbach. Man vergegen wärtige sich das Unnatürliche des Verfahrens, wenn Mr. 5, 12 gegen Lucas mit Matthäus die oratio directa beibehalten, dagegen mit Rück sicht auf Lucas das Wort äyiXrj ausgelassen hätte; wenn er es 8, 28. 29 mit Jeremias und dem dsög b £wv ebenso gemacht; wenn er 11, 27 zwar dem Matthäus zu Gefallen äqyisqslg xai nqsaßvxsqoi (nicht ovv xoig ngsaßvxiqoig mit Lucas) geschrieben, dagegen aber, um sich mit Lucas wieder zu arrangiren , den über Lucas hinausgehenden Zusatz xov Xaov des Matthäus ausgelassen hätte; wenn er umgekehrt 4, 20 aus Lucas nur so viel (xal xaqnocpoqovaiv) aufgelesen hätte, als für den hier abwei chenden Matthäus (dg ör) xaqnoqpoqsl) genug war, dagegen das iv vno- fiovfj des Lucas dem Matthäus zum Opfer gebracht u. s. w. Wo in aller Welt hat jemals Jemand so geschrieben? Es ist unbegreiflich, wie De Wette gerade im Detail seine kritische Voraussetzung immer wieder aufs Neue bestätigt gefunden haben will. 1 Gerade eine aufmerksame Detailbetrachtung führt, wie schon Hitzig gegen De Wette hervor hob, 2 von jener Hypothese völlig ab. Gibt es doch Stellen, wo nur ein verlorenes Wort, das aber dann mit dem tendenziösesten Raffinement gebildet sein musste, als Nachklang der einen Quelle in das zusammen hängende Echo der anderen hineinklingt. So hätte er 13, 34 — 36 aus dem matthäischen Gleichniss vom änoörjfiwv 25, 14 ff. nur den änöörj- fiog, aus der ersten Partie der Instructionsrede Mt. 10, 5 ff. blos das naqayysiXag aufgegriffen und daraus xai naqrjyysiXs gemacht, um da mit des Lucas xai sms 9, 3 zu ersetzen. 3 Dazu kommt nun aber die gänzliche Willkürlichkeit, womit man den Evangelisten von Matthäus zu Lucas und von Lucas zu Matthäus übergehen lässt. Einen Nachweis dieser endlosen Uebel im Einzelnen zu geben, 4 ist überflüssig, sobald der Gegenbeweis geführt ist, dass mit 1) Zu Matthäus, 1S57, S. 8 f. Zu Marcus und Lucas, 1846, S. 3 f. — 2) Joh. Marcus, S. 39. 44 f. — 3) Wilke, S. 442. — 4) Vgl. Weiss,' S. 680 f.: »Warum geht denn Marcus von Matthäus 4 , 22 gerade zu Lucas 4,31, und nicht zu Lc. 4, 16 Die Griesbach'sche Hypothese. \ JQ Zugrundelegung einer andern Hypothese über das Verhältniss des Mar cus zu Matthäus und Lucas die Composition aller drei Evangelisten in ungleich frappanterer Weise in die Augen springt, indem namentlich Matthäus und Lucas da, wo Einer von ihnen an dem Textmaasse der Perikopen ändert, das Ursprüngliche wechselweise Einer gegen den An deren festhalten, so dass Dieses ausserhalb ihrer Darstellungen o-elegen haben muss. Diesen Nachweis aber, von Wilke im Ganzen schon tref fend vorbereitet, ' werden wir in §§. 12. 13 liefern und daselbst zugleich die einzelnen Fälle besprechen , an denen , wie an der Auslassung der Bergpredigt, die Griesbaclfsche Hypothese besonders feste Anhalts punkte glaubte gewonnen zu haben. Hier sei nur noch bemerkt, dass — auch diese ganze Methode, Bücher zu machen — zugegeben, die Composition des Marcus erst noch über, zumal doch die Art, wie die Verwerfung in Nazareth den Uebergang Christi nach Kapernaum motivirt , unserem Alles so genau motivirenden Verfasser nur er wünscht sein konnte? Etwa weil er Lc. 4, 32 Worte fand, die mit dem Abschlüsse der Bergrede bei Matthäus übereinstimmten? Aber wenn er einmal 1, 21 zu Lucas über gegangen war, warum nimmt er denn 1 , 22 diese Worte nicht aus Lc. 4, 32, sondern wörtlich aus Mt. 7, 28. 29 auf? Und hatte er zu diesem Behuf einmal die Bergrede bei Matthäus überschlagen , was war dann noch für ein Grund, zu Lucas überzugehen ? Wenn er ferner dem Lucas bis 6, 10 gefolgt war, warum behielt er nicht bis 6, 20, wo die Bergrede begann, "seine Anordnung bei, zumal sich ja die Geschichte von der Ver leumdung der Dämonenheilungen Christi, welche er nachher bringen wollte, viel pas sender an die Erwähnung dieser Heilungen (Mr. 3, 11, 12, vgl. Lc. 6, 18. 19) ange schlossen hätte, als an die Apostelwahl, und er dadurch auch gleich in die Ordnung des Matthäus eingelenkt wäre. Statt dessen nimmt er mit der Stelle Mr. 3, 7 — 12 eine Umstellung vor, die nur durch Matthäus motivirt sein könnte, wie denn auch der Text am Schlüsse (3, 6. 7. 12, vgl. mit Mt. 12, 14 — 16) sichtlich mit diesem verwandt ist, so dass er also eigentlich schon zu Matthäus übergegangen ist , ehe er zur Bergrede kam, d. h. dass dieser Uebergang nicht erst durch die Absicht , diese Rede zu vermei den , motivirt sein kann. — Genau derselbe Fall kehrt bei der Parabelrede wieder. Wenn ihn erst der Wunsch, die folgenden Parabeln zu vermeiden, bewog, von Mt. 13, 35 zu Lucas überzugehen , wie kommt es denn, dass er schon 4, II. 12. 21 — 25 aus Lucas aufgenommen hat ? Und umgekehrt, musste er denn zu Lucas übergehn, um die auf Mt. 13, 35 folgenden drei kleinen Parabeln zu vermeiden, da er doch die beiden Mt. 13, 24—30. 33 ausgelassen hat, ohne sich desshalb von der Reihenfolge des Mat thäus zu trennen ? Und wenn er endlich bei Mt. 23, 1 die eine Quelle verlassen hat, um eine längere Rede zu vermeiden, wie kommt es denn, dass er nach fünf Versen zu dieser Quelle zurückkehrt, um eine ebenso lange aufzunehmen? — Allein wenn schon hier die Hypothese nicht leistet, was sie leisten soll, so verliert sie ja dadurch alle Be deutung, dass sich Marcus keineswegs in dieser Verfahrungsweise constant bleibt. Bei Mt. 18, 10 bricht er wirklich von einer sehr langen Rede ab, geht aber keineswegs zu Lucas über, obwohl er doch durch die Aufnahme von Lc. 9, 48 — 50 (Mr. 9, 37 — 39) dessen Relation ganz wie bei zwei frühern Stellen bereits in den Blick gefasst hatte. Umgekehrt bricht er bei Lc. 9 , 17 , oder wenn man will, schon 8, 56 von diesem ab, nachdem er ihm lange gefolgt, obwohl ihn kein Eintritt einer längeren Rede dazu bewog.« — 1) Besonders S. 389—396. 120 Zweites Capitel. nicht erklärt ist, da zugleich auch Dieses erklärt werden musste, wie es kommt, dass Marcus, während er einen und denselben Evangelisten ab schreibt, denselben bald von hinten, bald von vorne bearbeitet, und z. B. in der eschatologischen Rede bis Mt. 24, 9 vorgeschritten, gleich sam als wäre ihm die Rede bei Matthäus noch nicht gross genug, zurück blättert bis Matthäus 10, 17—22, um jetzt nachträglich auch Dieses wie der hereinzuschreiben. Es musste ferner sich überhaupt ein Princip nachweisen lassen, wornach Marcus mit einem der beiden Nebenrefe renten zum Unterschied vom andern erweitert oder verkürzt hätte. Aber schon Wilke hat klar gezeigt, dass Dies nicht geht, und Niemand möge doch fernerhin es nachsprechen, dass Marcus ein Epitomator sei, ohne zuvor jene Erörterung gelesen und widerlegt zu haben. 4 Wie sollte sich denn Marcus auch zu Matthäus gestellt haben? was hätte er aus der Bergrede, aus der antipharisäischen Predigt u. s. w. für Miniatur kunstwerke herausgemeisselt ! Und wie zu Lucas ? aus dem reichen ge schichtlichen Material, das Dieser vor Matthäus voraus hat, hätte Mar cus blos die Stellen 1, 23—28. 35—39. 3, 13 — 15. 4, 21—25. 6, 12. 13. 30. 31. 9, 38—40. 12, 41—44 zu Wege gebracht! Und wie oft lässt sich die Ursprünglichkeit des Matthäus oder Lucas gegenüber dem Mar cus nur in der Weise durchführen, dass man den angeblichen Epitoma tor die deutliche Erzählung seines Vorgängers verdunkeln, oder ihn derselben geradezu widersprechen lässt ! Kurz man darf nur einmal der Hypotheseins Einzelne ein Paar Schritt weit folgen, so wird man Wil- k e's Urtheil gerechtfertigt finden : » Marcus wäre nicht Abbreviatur, auch nicht Epitomator, nicht Excerptor, sondern Castrator der Neben texte, oder wie sollte man den Verstümmler der geborgten Sätze und den Menger des Verstümmelten sonst nennen?«2 Treffend hat Lachmann gegenüber solchen Hypothesen erklärt, es werde dadurch unser zweiter Evangelist gemacht zum ineptissimus desultor, qui nunc taedio, modo cupiditate, tum negligentia, denique vecordi studio, inter evangelia Matthaei et Lucae incertus fertur atque oberrat. 3 Dabei hat Marcus entweder einen blossen Auszug aus Mat thäus und Lucas geben wollen, oder aber er wollte sie ergänzen. In bei den Fällen begreift man nicht, warum er überhaupt geschrieben hat. Namentlich erscheint er auch bei der letztern Voraussetzung allzu dürf tig und mangelhaft, als dass man ihm seine Schriftstellerei . verzeihen könnte. Wäre nämlich jene UnSelbstständigkeit, wodurch Marcus bei Baur geradezu zu einem »überflüssigen Zweig in der Evangelienbil dung« wird,4 schon an sich schimpflich für den »stummelfingerigen«5 1) S. 385—389. — 2) Urevangelist, S. 443. — 3) Studien und Kritiken, 1835, S. 577. Praef. ad N. T. ed. maj. II, S. 16. — 4) Evangelien, S. 27. - 5) In den Philo- Die Griesbach'sche Hypothese. 121 zweiten Evangelisten, so würde das, ihm von Baur eingeräumte, eigen thümliche Maass von freier Production nur zur Vollendung dieses Ein drucks dienen. Sogar, wenn man meint, er habe es einmal zu einer selbstständigen Bildung gebracht, wie ihm Manche das ol i%w 4, 11 hoch anrechnen, so weiss De Wette hinterher zu versichern, dass er diese Stelle blos aus 1 Kor. 5, 1 2 gebildet habe. ' Dieser schimpflichen Seite des postulirten Verhältnisses würde aber — und Das ist geradezu wunderbar — auch wieder eine sehr glänzende entsprechen. Wenn nämlich von uns theils S. 99 f. 103 f. schon bewiesen ist, theils im Folgenden noch weiter bewiesen werden wird, dass die chronologische und pragmatische Confusion, die bei Matthäus und Lucas herrscht, sich plötzlich aufhellt, sobald man die Folge der Erzählungen im Marcus zu Grunde legt, so darf man doch fragen : wie hätte ein Epi tomator aus Quellen, von denen jede in ihrer Weise abweicht von der richtigen Folge, eine so wohl zusammenhängende, in sich fortschrei tende Erzählung compiliren können? So muss selbst Bleek annehmen, dass z. B. in der Perikope Mr. 10, 46—52. Mt. 20, 29—34. Lc. 18, 35 — 43 eine dem Matthäus und Lucas gemeinsame Grundschrift die Er zählung in der Form hatte , die dann zufällig bei ihrem gemeinsamen Epitomator Marcus wieder reproducirt wurde, indem Dieser richtig mit Lucas gegen Matthäus von einem Blinden spricht, denselben aber auch richtig mit Matthäus gegen Lucas hinter Jericho geheilt werden lässt. 2 — Wahrlich ein glückliches Spiel des Zufalls , dass Einer die Feder ergreift, mit dem Vorsatze, einen principlosen Mischmasch zu Wege zu bringen, ihm aber dieses Vorhaben unter der Hand so trefflich gelingt, dass das Ganze das richtige Bild gibt ! Summa: nicht die Rich tigkeit der Griesbach'schen Hypothese, sondern ihre Unrichtig keit lässt sich zur Evidenz bringen. 3 Sollte mithin kein Unbefangener mehr leugnen wollen , dass die Griesbach'sche Hypothese trotz ihres blendenden Scheins in der That gar nichts erklärt, so muss man es doch auch für eine halbe Arbeit an sehen, wenn schon Hug zwar mit Fug und Recht erkannte, dass, falls beide Evangelien dem Marcus vorgelegen haben sollten, seine Arbeit eine geradezu überflüssige gewesen wäre, wenn aber Dies ihm keineswegs so scheint im andern Fall, dass Marcus nämlich blos einen von Beiden benutzt hätte. i Und zwar bietet nach Hug blos Lucas einen sophumena Origenis (ed. Miller, S. 252) heisst er 6 xoXoßoääxrvXog, was Baur (Theol. Jahrb. 1853, S. 93) und Volkmar (Theol. Jahrb. 1854, S. 117) flugs auf sei nen schriftstellerischen Charakter beziehen , während das Prädicat nur eigentlich ge meint sein kann (Ewald: Jahrbücher, VII, S. 197. Meyer: Zu Matthäus, 1858, S. 36). — 1) Einleitung, H, S. 185. — 2) Synopsis, II, S. 285. — 3) Tholuck: Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte, S. 249. — 4) Einleitung, II, S. 126 ff- 122 Zweites Capitel. solchen Reichthum von Begebenheiten, dass Marcus, im Falle ihm das dritte Evangelium zu Gebote gestanden hätte, gerade das Wichtigste mit Vorsatz ausgelassen haben würde. In der That genügt schon der Hinweis auf Lc. 9, 51 — 18, 14, um dies Urtheil nach der letztern Seite hin zu rechtfertigen. So wurde Hug der Vorgänger für die späteren Constructionen der Tübinger Schule, insofern nämlich schon Baur den Versuch machte, die Benutzung des Lucas als blos subsidiären Charak ters darzustellen,1 Hilgenfeld aber geradezu die Unabhängigkeit des Marcus behauptet, während er andererseits freilich , wenigstens in dem halben Irrthum der Griesbach'schen Hypothese stecken blei bend, die Uebereinstimmung sowohl, als die Differenzen zwischen Matthäus und Marcus nur unter der Voraussetzung der Abhängigkeit des Letzteren von Ersterem erklären zu können glaubt. 2 Diese Ansicht steht zu unserem Resultate in einem doppelten Ge gensatze. Einmal insofern sie die Abweichungen der beiden ersten Evan gelien unter sich durchweg unter Zugrundelegung des Matthäus aufzu hellen unternimmt. Hiergegen berufen wir uns auf die, in §. 12 zu ge bende , Analyse des ersten Evangeliums ; eine Vergleichung mit der zweiten Tafel §. 5 wird Schritt für Schritt lehren, dass das Motiv der Abweichung fast immer auf Seiten des Matthäus liegt, so dass die weni gen Ausnahmen nur zugleich die Fälle bezeichnen, wo A und Marcus differiren. Andererseits glaubt Hilgenfeld unseren Lucas, abgesehen von sonstiger unrichtiger Quellenbestimmung, theilweise aus unserem Marcus erklären zu können, was jedoch nur für die allerdings grosse Mehrzahl von Fällen Geltung haben kann, wo A und Marcus harmoni- ren; wo aber Marcus von A abweicht, daist, wie unsere dritte Tafel §. 13 darthun wird, Lucas von A, nicht mehr von Marcus abhängig. Hier begnügen wir uns, nach dem Vorgange von Weiss3 auf einige Schwierigkeiten hinzuweisen, welche die Composition des Marcus selbst, wie sie vorliegt, der in Rede stehenden Hypothese entgegen setzt, sein Verhältniss zu Matthäus, beziehungsweise auch zu Lucas an langend. . Nach dem Vorgange des Matthäus soll Marcus den Anfang der ga liläischen Wirksamkeit mit seiner Niederlassung in Kapernaum be zeichnen. Aber warum hat er, nachdem er 1, 9 Nazareth als die Hei math Jesu genannt, diese Uebersiedelung nicht auch ausdrücklich, wie Mt. 4,13 geschieht, notirt, sondern vielmehr den Schein hervorgeru fen , als ob Jesus nur durch die Gelegenheitsursache, dass seine erstbe rufenen Jünger aus Kapernaum waren, dorthin geführt worden sei? Und wie kam es, dass Lucas, wiewohl er in diesem ganzen Abschnitt dem Mar- 1) Marcusevangeiium, S. 137. 149. — 2) Evangelien, S. 123 ff. — 3) S. 692 f. Die Griesbach'sche Hypothese. J23 eus folgt, doch, angeblich durch Mt. 4, 13 veranlasst, ebenfalls ein Weilen in Nazareth der Niederlassung in Kapernaum vorangehen lässt? Hier liegt noch die ursprüngliche Darstellung, derzufolge Jesus es einer göttlichen Weisung überlässt, den Mittelpunkt seines Wirkens zu bestim men, klar bei Marcus zu Tage, und die Darstellung des Matthäus, und noch mehr die des Lucas beruhen auf späterer Reflexion. Hierauf hätte dann Marcus weiter, blos weil es in seinem Plane lag, den ersten Ein druck Jesu als einen durchaus günstigen darzustellen, die ganze Berg predigt mit Ausnahme der Schlussworte Mt. 7, 28. 29 ausgelassen und an ihre Stelle ein, im Matthäus nicht berichtetes, Kraftzeichen gesetzt, die Heilung des Dämonischen in der Synagoge. Diese That umfasse bei Marcus gewissermaassen die drei Heil wunder Mt. 8, 1 — 16; doch wer den, weil Jesus einmal in Kapernaum ist, der Vaterstadt des Petrus, die Heilung der Schwiegermutter und die abendlichen Wunder aus Mt. 8, 14 — 17 noch namhaft gemacht; so dass jetzt allerdings durch einen selt samen Zufall das öipiag öi ysvofiivrjg Mr. 1, 32 nach dem 1, 21 voraus gegangenen xoig aäßßaaiv trefflich motivirt erscheint. Besser lässt man doch wohl das trefflich Motivirte auch das Ursprüngliche sein, und er klärt das weniger Motivirte als Umstellungs versuch. Im Weiteren erlaubt sich der in Rede stehenden Hypothese zufolge Marcus noch grössere Freiheiten; namentlich soll er an die Stelle der Reise nach Gadara , welche einen ungünstigen Erfolg hat, die andere Reise 1, 35. 45 setzen, nur um den Eindruck, den Jesus macht, recht zu betonen. Allein wesshalb bedurfte er dazu einer Reise, da die aus Mt. 8, 1 — 4 nun doch noch nachgeholte Heilung des Aussätzigen , an welche sich jene Bemerkung über den günstigen Eindruck seiner Ver kündigung 1, 45 anschliesst, durchaus nicht näher mit einer solchen zu sammenhängt? Es ist daher eine unnöthige Verlängerung der Ge schichte , wenn Jesus Mr. 2 , 1 wieder nach Kapernaum zurückkehren muss, damit der abgebrochene Faden des Matthäus mit Mt. 9, 1 — 17 wieder aufgenommen werden könne,' aber freilich nur um durch Her beiziehung von Mt. 12, 1 — 14 gleichsam verdoppelt zu werden, was Hilgenfeld aus dem Interesse ableitet , ein Bild von der Opposition gegen Christus auszuführen. Dies setzt voraus, dass Matthäus einmal drei ähnliche Erzählungen 9, 1 — 17, und zwar, wie 9, 14 zeigt, ohne Be wusstsein über ihren sachlichen Zusammenhang, und dann wieder zwei ähnliche 12, 1 — 14 zusammenstellt; während doch die umgekehrte An nahme, dass die Zusammenreihung aller fünf, die offenbar eine treff liche Steigerung bilden, das Ursprüngliche gewesen sei, und der erste Evangelist diesen Zusammenhang zerstört habe, ungleich wahrschein licher ist. Warum nun aber gerade bei Mt. 12, 14 der zweite Evange list das Bedürfniss fühlt, wieder die Lichtseite in dem Zuströmen des 124 Zweites Capitel. Volkes und der Apostelernennung hervortreten zu lassen, und woher er sich dazu gerade der Einleitung der Bergpredigt, der weit zurücklie genden Stelle Mt. 4, 24. 25, bedient, lässt sich gar nicht absehen. Ge wiss ist auch der Wegfall von Mt. 12, 22. 23 dadurch nicht genügend erklärt, dass bei Marcus eben Dämonenheilungen erzählt waren, da ja dazwischen die Apostelernennung stand. Im Weiteren soll er die Stücke Mt. 12, 24—37 und 46—50 zuerst so verbunden haben, dass beide Auf tritte einen Zusammenhang bilden — wir haben S. 78 gesehen, welch einen ungesuchten, trefflichen. Ganz ebenso mögen wir uns auch be liebige Vorstellungen darüber machen , wie Marcus dazu kam , die bei Mt. 8 und 9 übergangenen Stücke von der Reise nach Gadara und die Auferweckung des Mägdleins nachzuholen ; aber dass sich dieselben nun so trefflich an einander fügen, wiewohl doch jedes an einem anderen Orte und aus einem anderen Grunde übergangen war : Das wäre wieder eine von jenen seltsamen Glücksfügungen, deren Walten in dieser Geburtsgeschichte unseres zweiten Evangeliums auf Schritt und Tritt uns begegnet. Freilich ist das Wirken dieser Schicksalsmächte zuweilen durchkreuzt worden von einem ebenso seltsamen Unstern, der es z. B. verschuldet haben muss, dass nach Mt. 9, 18 — 26 die beiden Geschich ten Mt. 9, 27 — 34 übergangen wurden, wiewohl die letztere ein eben so treffendes Zeugniss von der Jesu begegnenden Unempfänglichkeit ist, wie die Marcus 4, 35 — 5, 43 aufgenommenen. Aberauch die erstere soll ja nachher Mr. 8, 22 — 26 nachgebildet sein : warum also nicht hier, zumal sich Mt. 9, 30 so leicht in einem dem Zusammenhange des Mar cus entsprechenden Sinne auffassen liess? Am schwächsten ist aber die folgende Anticipation der Verwerfung Jesu in Nazareth motivirt. Zu nächst muss auch hier der beabsichtigte Contrast helfen. Wie die Apo stelernennung der Opposition der Pharisäer vorherging, so folgt hier der Verwerfung in Nazareth, in welche die Unempfänglichkeit des Volks ausläuft, die Apostelaussendung — das andere Stück von Mt. IO.1 Aber um die Analogie treffend zu machen, hätte ja das Licht dem Schat ten auch diesmal vorangehen müssen. In der Aussendungsrede selbst gibt Marcus wahrscheinlich kluger Weise nur Mt. 10, 5 — 15 wieder, da er merkt , dass sich das Folgende auf eine spätere Zeit bezieht, mithin auf 13, 9 — 13 aufzusparen ist. Seltsam ist vollends, dass auch Lucas diese feine Beobachtung gemacht haben muss, da er zweimal Gelegenheit ge habt hätte, an Mt. 10, 16 — 23 zu straucheln, in beiden Instructionsre- den aber der Gefahr glücklich entging. Wie man nun sich vergeblich nach einem vernünftigen Grunde umsieht, wesshalb Marcus zwischen Mt. 13, 58 und 14, 1 diese Rede 1) Marcusevangelium, S. 44 ff. Die Griesbach'sche Hypothese. 125 an die Apostel aus Mt. 10 eingeschoben haben sollte, so ist auch der von Hilgenfeld angeführte, Jesus habe wegen des Unglaubens der Nazarethaner, unter denen er seine Wirksamkeit concentriren wollte, in die umliegenden Flecken ziehen und durch die Aussendung der Apo stel den einzelnen Empfänglichen im Volk Gelegenheit zur Busse ge ben müssen,1 eigentlich gar keiner. Denn die Absicht, Nazareth zur Centralstätte zu machen, ist mit nichts angedeutet, wäre auch nach den Erfahrungen, die Jesus zuvor mit dem intimsten Cirkel machte, den er in Nazareth hatte, unbegreiflich genug ; und wenn er keine Flecken durch wandeln konnte, ohne das Bedürfniss zu empfinden , Jünger voranzu schicken oder auszusenden, so hätte er auch schon 1 , 38. 39 die beiden Brüderpaare zu diesem Zwecke aufbieten müssen. Dazu kommt noch, dass in der That unerklärlich ist, wie sich hier Lucas zu seinen beiden Vorevangelisten gestellt haben sollte. Derselbe soll sich nämlich in der Stelle Lc. 8, 22 — 9, 50 treu an den Gang des Marcus halten, einige Auslassungen abgerechnet, die Mr. 6, 1 — 6. 45 — 8, 26 betreffen. Ist die erste Auslassung wegen Lc. 4, 16 — 30 begreiflich, so ist die zweite schon desshalb auffälliger, weil er einer ganzen Reihe von Erzählungen, die in seinen beiden Quellen in gleicher Weise enthalten waren , einen doppelten Widerstand entgegengesetzt haben musste aus dem melancho lischen Grunde , dass ihm das Seewandeln, das Gespräch über das Hän dewaschen, die Erzählung von der Kananäerin und die Zeichenforde rung »mehr oder weniger gleichgültig« gewesen seien, nachdem er sich einmal resignirt hatte , die zweite Speisungsgeschichte zu übergehen. 2 Was aber die Hauptsache ist, Lucas soll also in einer Partie, darinnen er ganz dem Marcus folgt, eine Auslassung eintreten lassen, der bei Matthäus die Stelle 14, 22— 16, 4 entsprechen würde. Wie kommt es nun aber, dass Lucas aus dieser letztgenannten Partie des Matthäus doch verschiedene Sentenzen ausbricht und gelegentlich verwerthet, nämlich nach Hilgenf eld's eigenem Zugeständniss Mt. 15, 14 = Lc. 6, 39 undMt. 16, 6 = Lc. 12, 1, wozu wir noch Mt. 16, 3. 4 = Lc. 12, 54 — 56 stellen? Seltsam, dass Dies lauter Stellen sind, welche bei Mat thäus offenbar den Charakter von Einschaltungen tragen. Sollen wir denken, Lucas habe gleichsam die parallelen Abschnitte Mr. 6, 45 — 8, 26 = Mt. 14, 22 — 16, 4 wie geometrische Figuren übereinandergelegt und die Paar Verse, in denen Matthäus von Marcus nicht gedeckt wird, als verwendbaren Stoff erachtet, das Uebrige aber als für ihn un antastbar? Und diese seltsame Procedur mit Matthäus sollte er vorneh men in einem Zusammenhang, in dem er sonst ganz dem Marcus folgt? Sicherlich vereinigt sich hier Alles, um uns auf eine andere Lösung des I) A. a. O. S. 135 f. -2) Evangelien, S. 178. 126 Drittes Capitel. Räthsels hinzuweisen — nämlich auf die ganz einfache Annahme, dass ausser A eine zweite Quelle existirt habe für Matthäus und Lucas, aus welcher sich das Beiden gemeinsame, von Beiden aber in ganz verschie dener Weise mit dem Faden von A verknüpfte, Material erklären lässt. Wir gehen daher zunächst dazu über , das Dasein dieser Quelle zu con- statiren . Drittes Capitel. Composition des Matthäus und Lucas. — Quelle A (Urmatthäus). §. 10. Die zweite llauptquelle. I. Nachweis der Existenz. Auch abgesehen von ihrer ge meinsamen Abhängigkeit von A, können Matthäus und Lucas nicht als zwei selbstständige Schriftsteller angesehen werden. Sie haben auch über die Stücke , die Beide aus A entlehnten, hinaus noch manche Er- zählungs-, ganz besonders aber Redestücke mit einander gemein. Und zwar sehen wir hierbei ganz ab von den wenigen Abschnitten, die wir, wiewohl sie bei Marcus fehlen, doch in den Zusammenhang von A ver legen mussten. Solche Stücke tragen auch bei Matthäus nicht den Cha rakter von Einschaltungen, sondern den der fortlaufenden Rede. Wohl aber hat Matthäus die erste Quelle durch eine Reihe von didaktischen Stellen unterbrochen, die sich beim ersten Seitenblick auf Marcus als bald als das eigenste Eigenthum, als Grund aller, vom Baurisse der Quelle A abweichenden, architektonischen Verhältnisse des Matthäus herausstellen ; über Herkunftsverhältnisse und Beziehungen dieser Par tien zu ähnlichen, aber ganz anders motivirten und disponirten , Frag menten des Lucas haben wir nunmehr Aufschluss zu geben. Dass wir es hier erstens mit einem in sich ebenso einheitlichen, als von A deutlich zu unterscheidenden, Stoff zu thun haben, liegt klar zu Tage, sobald man auf dem Wege einer einfachen Subtraction, in welcher Matthäus und A als die oberen Posten erscheinen, einen Rest gewonnen hat, dessen Hauptmassen sich im ersten Evangelium fast °-anz auf fünf bis sechs Punkten abgelagert haben, während derselbe Stoff bei Lucas ebenfalls mit den Stücken, zwischen die er eingeschaltet ist, keine chronologische Ordnung bildet, vielmehr fast ganz in die lange Pause hineinfällt, die der sonst deutlich durchklingenden Stimme von A zwi schen Lc. 9, 51 und 18, 14 auferlegt ist. — Eine zweite, ebenso unwi- Die zweite Hauptquelle. \ 27 dersprechliche, Beobachtung lässt aber die durchgängige Verschieden heit in den Mischungsverhältnissen dieser, dem Matthäus und Lucas über A hinaus gemeinsamen , Stücke erkennen. Abgesehen von weni gen, auch bei Matthäus selbstständig vorkommenden, Stücken, meist Parabeln , bei denen dann aber wieder die doppelte Redaction Schwie rigkeiten macht, sind nämlich die über A hinausgehenden Redestücke, die Lucas isolirt aufnimmt und neben einander hinstellt, bei Matthäus meist eingeschaltet, so dass sie von dem Zusammenhang von A, den sie unterbrechen, doch sichtlich getragen werden. Matthäus hat diese Aus sprüche meist derjenigen historischen Veranlassungen, die ihnen Lucas voranschickt, entkleidet, um nicht besondere Perikopen daraus machen zu müssen, so dass sie die Perikopen von A nicht sowohl kürzen und abschneiden , als vielmehr ausfüllen und erweitern, 1 oft in der Weise, dass die fremden Elemente mit den Sätzen aus A geradezu vermischt erscheinen. Dadurch aber wird man von selbst auf die Vermuthung ge führt — die sich heutzutage fast allerseits zur Gewissheit erhoben hat — es möchte Matthäus es weniger darauf abgesehen haben, die Aussprüche mit Angabe ihrer besonderen Veranlassungen und in chronologischer Folge mitzutheilen , als vielmehr das Gleichartige und Verwandte zu sammenzustellen . 2 Sicherlich ist es bei so bestellten Verhältnissen das Nächstliegende, eine zweite, für Matthäus und Lucas gemeinsame, aber von Beiden in ganz verschiedener Weise behandelte, Quelle anzunehmen. Unsere Un tersuchung wird auf allen Punkten die Richtigkeit dieses Griffes bestä- gen. Hier sei nur daran erinnert, dass ja auch die meisten neueren Kri tiker neben den Urmarcus oder Urmatthäus eine derartige Quelle unter dem Namen der »Spruchsammlung« oder » Redesammlung « hintreten lassen. Die dringende Nothwendigkeit dieser Annahme Hegt schon nach dem bisher Gesagten zu Tage. Die Thatsache solcher, bis auf den Aus druck übereinstimmender Redetheile, wie die Antwort Jesu an Johannes Mt. 11, 4 — 6=Lc. 7, 22. 23 ist, könnte höchstens für Den ohne Zuhül- fenahme einer weiteren Quelle erklärbar sein , der , abgesehen von der vorauszusetzenden Genauigkeit der mündlichen Ueberlieferung, auch zu gleich von der Voraussetzung ausginge , dass der Reichthum der Reden Jesu in irgend einem Sinne durch unsere Evangelien erschöpft sei, dass mithin in der Begrenztheit des ursprünglichsten Stoffes es seinen Grund habe, wenn auch Matthäus und Lucas, wo sie über A hinausgehen, doch grossentheils wieder zusammenstimmen. 3 Die letztere Voraussetzung ist aber schon durch die S. 11 aufgestellten allgemeinen Grundsätze zur 1) Wilke, S. 653. — 2) Bleek: Einleitung, II, S. 262. — 3) Weisse: Evan gelische Geschichte, I, S. 85. 128 Drittes Capitel. Unmöglichkeit geworden. Sie ist ohnedies rein dogmatischer Natur, wiewohl sie selbst auf dogmatischem Boden nicht erreicht, was sie will.1 Die erstere aber fällt mit der Traditionshypothese. Was S. 51 in dieser Richtung über die Stellen aus A gesagt war, hat vollkommen gleiche Geltung auch in Bezug auf die weiteren gemeinsamen Partien. Sollte es denn zufällig so geworden sein, dass Mt. 11, ll=Lc. 1 , 28 der auf fällige Ausdruck iv ysvvrjxolg yvvaixwv steht, dass in den parallelen Stellen Mt. 11, 25. 26=Lc. 10, 21 näxsq zweimal vorkommt, einmal articulirt, das anderemal unarticulirt, dass ganze Sätze übereinstimmen, wie Mt. 24, 50. 51=Lc. 12, 46: rjgsi b xvqiog xov öovXov ixsivov iv rjfiiqq fj oi nqoaöoxä xai iv qlqq rj ov yivwaxsi xal öixoxofirjasi aixöv xal xö fiiqog avxov fisxd xwv — Lc. äniaxwv , Mt. vnoxgixwv — drj- asi — ? Wir werden unter den übereinstimmenden Stellen des Matthäus und Lucas keine einzige finden, die uns nöthigte, den Grund der Diffe renzen in der Harmonie, etwa auf verschiedene Recensionen dieser zweiten Quelle, auf verschiedene Üebersetzungen, oder gar auf blos mündliche Ueberlieferung zurückzuschieben. 2 Vielmehr verbleiben wir bei der ganz einfachen Annahme einer weiteren, dem Matthäus und Lucas gemeinsamen, griechischen Quelle, die wir vorbehaltlich des Er weises ihres näheren Charakters im Folgenden mit dem Zeichen A (Xö yia) andeuten wollen. Um den Inhalt dieser zweiten Quelle zu bestimmen , geht man ge wöhnlich, wie noch Tobler thut, 3 von jenen grossen Stücken des Mat thäus aus, die als Bergpredigt 5 — 7, als Instructionsrede 10, als Rede über das Verhältniss des Evangeliums zu den Zeitgenossen 11, als GJeichnisssammlung 13, als Fragmente über Gemeindepflichten 18, als Philippika wider die Pharisäer 23, als eschatologische Rede 24. 25 den Zusammenhang von A auseinandersprengen. Wie bewusst Matthäus jedenfalls verfährt in der Hereinschiebung dieser Stücke, das zeigt er selbst durch den Schlussstrich, den er nach vollbrachter Arbeit macht mit der nur 7, 28. 11, 1. 13, 53. 19, 1. 26, 1 vorkommenden Formel xai syivsxo oxs ixiXsasv b 'Irjaovg xovg Xöyovg xovxovg, worauf er mit irgend einer Wendung gewöhnlich den Faden von A gerade da wieder aufnimmt, wo er ihn, um die Rede zu bilden , hatte fallen lassen. Ver setzen wir jene langen Reden des Matthäus ohne Weiteres in die zweite Quelle, so würden in derselben also einzelne, bei bedeutenden Anlässen gehaltene, Reden gleichsam die Achsen bilden, um welche sich die wei ter hinzutretenden Stoffe drehen.4 Jede dieser Redegruppen wäre so 1) Kanon und Tradition, S. 116 ff. — 2) Gegen Ewald (Evangelien, S. 157 u. a. O.), Köstlin (Evangelien, S. 64 f.). — 3) S. 17. — 4) Ewald: Jahrbücher, II, S. 199. Die zweite Hauptquelle. 1 29 gebildet, dass eine wirkliche Rede den Grundstock derselben bildete. So setzten sich an die Bergpredigt noch eine Reihe von Aussprüchen Jesu an von allgemein ethischem Inhalt ; so wurden in die Instructions rede an die Zwölf auch noch Stücke aufgenommen aus den Abschieds reden und aus anderen Ansprachen Jesu an die Apostel ; so fügten sich die verschiedenen Anklagen gegen die Pharisäer zu einer grossen An griffsrede, und die bei verschiedenen Gelegenheiten gesprochenen pro phetischen Stücke zu einer grossen eschatologischen Rede zusammen. Man würde ferner auch die Gleichnisse Mt. 13, und die in A nicht vorfindlichen Reden aus Mt. 1 8 und 19 der Quelle A zuschreiben. Wie daher dieser Ansicht zufolge die zweite Quelle nicht sowohl Sprüche, als Reden enthielt, x so kam es auch dem Verfasser des ersten Evange liums darauf an, den Redestoff dieser zweiten Quelle vollständig und in grossem Zusammenhang seinem Werk einzuverleiben. Er vertheilte daher die einzelnen Partien der Redesammlung so, dass er dieselben an passenden Stellen von A einfügte, sie an die geeignetsten Zeitpunkte im Leben Jesu versetzte. So wäre die grosse Redegruppe, die sich auf die allgemeinen ethischen Grundlagen des Gottesreichs bezog, schon von vornherein in den allgemeinen Gang der historischen Bergpredigt ein- gefasst gewesen. Matthäus ersetzte daher so die Stelle A Lc. 6, 20 — 49. Während nun aber die Quelle A selbst nur einzelne Gruppen zusam menstellte , ohne eine Zeitangabe zu beabsichtigen oder ihre Hauptbe- standtheile als Fragmente einer evangelischen Historie hinzustellen, wä ren jene Hauptgruppen, sobald sie in ein Evangelium eingefügt waren, auch in einen historischen Zusammenhang, aber , wie sich von selbst versteht, nicht in den für alle einzelnen Bestandtheile der Rede gleich richtigen, eingetreten. Während also in A grundsätzlich ein specieller historischer Zusammenhang fehlte , und blos gleichartige Xöyia ohne hi storisches Motiv in grösserem Zusammenhang angereiht waren, hätte Matthäus, indem er diese Abschnitte von A mitten in eine Geschichte hineinstellte, einen sachlichen Zusammenhang zum Theil auf Kosten des historischen hergestellt. Das Letztere zu leugnen, hätte j edenfalls nur Der ein Recht, der es über sich nehmen wollte, zu beweisen, dass die grossen Reden des Matthäus geradezu Originale sind und in der selben Form und Ausdehnung von Jesu wirklich gehalten. Gegenüber dieser unmöglichen Annahme vgl. den Nachweis des Gegentheils in §. 12, Nr. 10—17. 30—33. 41. 60. 62. 82. 83. Aber, so oder anders gewendet, ist diese ganz*e Vorstellung von der Spruchsammlung eine unhaltbare. Ein so durchaus unbegreifliches Ding, ohne Handhabe und Unterlage , wie eine aus Mt. 5—7. 10. 11. 1) Köstlin, S. 57 ff. 64. Holtzmann. 130 Drittes Capitel. 13. 18. 23 — 25 bestehende Schrift sein würde, konnte man nur so lange als ein Originalwerk betrachten , als man sich in bewusster oder unbe- wusster Abhängigkeit sowohl von der traditionellen Priorität unsers, für apostolisch geltenden, Matthäus, als auch von irgendwelchen, zu Gunsten des Matthäus vorgefassten, Ansichten über das Verhältniss der Quelle A zu unserem ersten Evangelium befand. Zugleich spielt hier wieder herein jene, S.45 charakterisirte, einseitig quantitative Auf fassung, als könnten unsere Evangelien höchstens Aggregate schon fer tiger Stoffe, nicht aber wirkliche schriftstellerische Bildungen sein. Wir werden dagegen im Folgenden den Satz durchführen, dass mit ungleich mehr Sicherheit die Gestalt, in welcher die betreffenden Stellen bei Lu cas erscheinen, zum Ausgangspunkt für die Erforschung der zweiten Quelle zu wählen sei. Schon von vornherein, dünkt uns, als dürften kurze Sentenzen, Kernsprüche, Gnomen wohl noch früher aufgeschrie ben worden sein, als lange Reden, deren schriftliche Fixirung schon viel Nachdenken erfordert; und es dünkt uns weiter, als bezeichne das Abgerissene und Abspringende in Stellen, wie Lc. 12, 14 b öi slnsv avxip, dann 15 sins ös nqog avxovg, dann 16 slns ös naqaßoXfjv nqog avxovg, dann 22 slns öi nqog xovg fiadrjxäg aixov, einen primitiveren literarischen Zustand, als die langgezogenen, von der Zahlensymbolik beherrschten, Reden des Matthäus. Was ist an sich wahrscheinlicher : dass Lucas die grossen Bauten muthwillig zerschlagen und die Trüm mer nach allen vier Winden auseinandergesprengt, oder dass Mat thäus jene Mauern aus den Steinhaufen des Lucas erbaut habe? Schon Strauss hat dieses Verhältniss ins Auge gefasst und dahin erklärt, » dass die körnigen Reden Jesu durch die Fluth der mündlichen Ueber lieferung zwar nicht aufgelöst werden konnten, wohl aber nicht selten aus ihrem natürlichen Zusammenhange losgerissen, von ihrem ursprüng lichen Lager weggeschwemmt und als Gerolle an Orten abgesetzt wor den sind , wohin sie eigentlich nicht gehörten ! Und dabei finden wir zwischen den drei ersten Evangelisten den Unterschied, dass Matthäus, einem geschickten Sammler ähnlich, den Stücken zwar bei Weitem nicht immer den ursprünglichen Zusammenhang wiederzugeben ver mocht, doch aber meist das Verwandte sinnig zusammenzureihen ge wusst hat, während bei den beiden andern manche kleine Stücke da, wo gerade der Zufall sie abgesetzt hatte, Hegen geblieben sind, wobei dann insbesondere Lucas in einigen Fällen sich bemüht hat, sie künst lich zu fassen, was aber den natürlichen Zusammenhang nicht ersetzen konnte.«1 — Die wenigen Fälle, aufweiche Strauss hinsichtlich des Lucas hindeutet, werden wir in der That nachweisen. Im Ganzen aber 1) Leben Jesu, I, S. 614. Die zweite Hauptquelle. 131 gehen wir von der Thatsache aus , dass eine grosse Menge von Bruch stücken und Redetheilen, die Matthäus in seine grossen Compositionen verwoben hat, bei Lucas abgerissen vorkommen in einer Gestalt, wie sie dem noch ordnungslos -umherliegenden Rohstoff viel eher, als einem bereits wieder in Ruinen zerfallenen, ehemaligen Organismus zu verglei chen ist. Bei Lucas erscheinen die fraglichen Redetheile noch viel mehr in ihren elementaren Lagerungsverhältnissen; bei Matthäus treffen wir dieselben Steine, die Lucas eben nur aus der Erde gebrochen hat, schon in architektonischer Structur an. Nur Dies fragt sich noch, ob Jener, der die Vorarbeit leistete, Lucas, jene Bausteine wirklich ganz nur ge lassen hat, wie sie waren, oder ob nicht schon bei ihm die ersten Spuren einer bearbeitenden Hand anzutreffen sind. Bekanntlich gibt es Fälle, wo Lucas zu einer Rede, die Matthäus nur im Zusammenhang einer grössern Predigt gibt , eine specielle Ver anlassung hat. Das Gebet des Herrn z. B., bei Matthäus der Bergrede einverleibt, wird Lc. 11,1 besonders motivirt : xai iyivsxo iv xip slvai avxöv iv xönw xivi nqoasvxöfisvov , wg snavaaxo, smi xig xwv fiadrj- zwv aixov nqog avxöv • xvqis öiöagov rjfiag nqoosv'xsodat, xadwg xai 'iwdvvrjg söiöags xovg fiadrjxdg aixov. Schleierm acher zweifelt nicht, »auch dies Gebet sei in die Bergrede eingeschoben worden von Einem, der die blose Formel besass, ohne die Nachricht, wo und wann sie zuerst mitgetheilt worden. Die hier angegebene Veranlassung ist aber sehr natürlich, und daher auch wohl unsere kürzere Redaction des Gebets selbst für die ursprüngliche zu halten. « J In seiner Nachfolge hat dann auch Sieffert die Behauptung gewagt, Lucas gebe über haupt, im Gegensatze zu dem gruppirenden Matthäus, immer die be stimmte historische Veranlassung. 2 Den Genannten direct entgegentre tend wollten Strauss,3 De W ette,4 Weisse,5 Ritschl,6 Baur,7 Scherer8 u. A. dem Lucas so wenig grössere Ursprünglichkeit zuge stehen, dass ihnen vielmehr in den meisten der in Betracht kommenden Partien die Ordnung des Matthäus viel sachgemässer vorkommt. Stel len, wie die eben angeführte Einleitung zur Mittheilung des Musterge bets, werden auf dieser Seite für von Lucas erfundene Ueberschriften erklärt, rein aus Reflexion auf den folgenden Redeinhalt entstanden. — An sich Hesse es sich leicht vorstellen , dass die Redefragmente in A öfters so völlig abgerissen aufeinander folgten , dass bereits Lucas sich veranlasst sah, dieselben einigermaassen zu arrangiren und zu motivi- 1) Versuch, S. 173 (126). — 2) Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums, g. 78, _ 3) Charakteristiken und Kritiken, 1844, S. 253 ff. -- 4) Einleitung, II, g, 176. — 5) Evangelische Geschichte, I, S. 86 f. — 6) Evangelium Marcions, S 227 ff — 7) Evangelien, S. 474. — 8) Nouvelle revue, IV, S. 345—349, 9* ] 32 Drittes Capitel. ren. Wir werden sehen, dass Lucas auch in der Bearbeitung von A zu weilen selbstständige Scenerien liefert, wie 6, 17. 21, 5; warum soUte er sich diese Freiheit, die bei der Einreihung bioser Redefragmente aus A viel besser angebracht war, gerade hier versagt haben? Ist es doch nur so zu erklären, wenn Lucas es für nöthig findet, die Beziehun gen der Parabeln , die er gibt , den Lesern von vornherein deutlich zu machen, wie 14, 7. 15, 1. 2. Zuweilen gibt Lucas auch zu seinen Para beln eine Moral an, die bei genauerer Besichtigung gar nicht als die richtige und wahre Pointe der Vergleichung gelten kann, wie z. B. das Gleichniss 18, 1 — 8 sich selbst charakterisirt (vgl. Vers 8) als die Nähe der Parusie illustrirend , während Lucas, einer später zu beschreiben den Liebhaberei folgend, es (vgl. Vers 1) nur ganz allgemein auf' die Nothwendigkeit und den Nutzen des Gebetes bezieht; ein anderes Gleichniss 19, 11 — 27 deutet er geradezu gegen die Nähe der Parusie (vgl. Vers 11), obwohl dasselbe mit dem Zeitpunkt der Parusie gar nichts zu thun hat. Selbst der Eingang des Gleichnisses 18, 9 Eins öi xai nqög xivag xovg nsnoid-öxag icp' savxoig, oxi siai öixaioi xal iSov- dsvovvxag xovg Xomovg, xfjv naqaßoXfjv xavxrjv ist nur aus dem folgen den Bild des Pharisäers gewonnen und an sich viel zu unbestimmt, um in der Tradition wurzeln zu können. — Diese, zunächst an den Gleich nissen gemachte Wahrnehmung, bestätigt sich nun aber auch an andern Stellen, wo Lucas mit seiner speciellen Einleitung uns so rathlos lässt, wie Matthäus. Das Wort äywvi^sads siasXdslv öta xfjg axsvfjg dvqag Lc. 13, 24 ist wenigstens durch die Bemerkung Lc. 13, 22. 23, Jesus sei nach Jerusalem gereist, wobei ihn Einer gefragt habe, si öXiyoi ol ow'Cpfisvoi, nicht besser motivirt, als Mt. 7, 13, wo es als Epilog der Bergpredigt an ein ganz fremdes Redestück angeschlossen wird. Hier wie dort nimmt sich der Zusammenhang steif und gemacht aus. Um von der Geschichte vom contracten Weibe auf die Gleichnisse vom Senf korn und Sauerteig überzuleiten, setzt Lucas zwischen beide Abschnitte die jedenfalls selbstgemachte Bemerkung 13, 17 xai xavxa Xiyovxog avxov y.axrjoxivovxo ndvxsg ol ävxixsifisvoi aixtp xai nag b oyXog e'xai- qsv inl näoiv xoig ivöögoig xoig yivofiivoig vn aixov, was auf die fol gende Rede über die Expansionskraft des Reiches Jesu vorbereiten soll. Lucas greift zu solchen Auskunftsmitteln, ohne seinen Zweck, das Ganze glatt zu machen und ein Stück gefügig an das andere zu reihen, zu erreichen, da ihn von ganz freien Bildungen der Phantasie, wie sie allein helfen könnten, sein Respect vor dem Objectiven der mitzuthei- lenden Geschichte abhält. So erweist sich als eine, aller concreten Mo tivirung entbehrende , Bitte der Jünger die zum Zweck der Einfügung des Ganzen gemachte Formel 17,5 xai sinav oi änöaroXoi xoj xvqiw nqöadsg rjfilv niaxiv. So steht Lc. 17, 11 öirjqxsxo öid ftioov 2afta- Die zweite Hauptquelle. 133 qsiag xai TaXiXaiag, die äusserst unklare Formel, nur, um zu erklären, wie ein samaritanischer Aussätziger mit jüdischen zusammentreffen konnte. Nach demselben Maassstabe ist 17, 20 das iqwxrjdslg vno xwv Oaqiaaiwv zu beurtheilen, und kann avvsnoqsvovxo ös aixip oxXoi noX Xol xal axqacpslg slns nqog aixoig 14, 25 nur eine Projection der fol genden Rede sein, die mit si xig sqxsxai nqog fis beginnt, welche Worte sich auf etwas, wie ein noqsvsadai, zu beziehen schienen. 1 Nicht an ders verhält es sich aber auch mit 11, 29 xwv öi oxXwv inadqoi^oftivwv, mit der Gastmahlsscenerie 11, 37. 38 und 14, 1 ; nicht anders auch mit den Zwischenfragen der Zuhörer , wodurch die Uebergänge der Rede hergestellt werden sollen, wie 11, 45. 12, 41. 14, 15. 17, 5. 37, oder mit dem s'Xsys öi und ähnlichen Notizen , wodurch nur die Aufnahme eines neuen Gedankens angedeutet wird. Dies Alles sind in gleicher Weise Formeln, » die zwar so aussehen , als enthielten sie etwas That- sächliches, aber dennoch keinen historischen Gehalt haben, sondern als etwas behandelt werden, das sich von selbst versteht. « 2 Da sonach die historischen Einleitungen im Lucas zum mindesten verdächtig sind, scheinen wir direct auf eine Ansicht von der Beschaf fenheit der Quelle A gewiesen , welche unserer ganzen Hypothese ge fährlich werden könnte. Nachdem schon Wilke sich gegen dieselbe nur gesperrt hatte , weil solche Xöyia noch mehr als blose Xöyia hätten sein müssen, 3 bemerkte in neuerer Zeit besonders Hilgenfeld, der unermüdliche Bekämpfer aller und jeder Spruchsammlungstheorien, Folgendes : Reden ohne Geschichtshintergrund lassen sich gar nicht denken ; selbst die längeren Reden des Matthäus können nicht ausge schieden werden. 4 Aber auch wir halten es ja mit ihm für eine ganz irreleitende Ansicht, als hätte die Redesammlung etwa Mt. 5 — 7. 10. 11. 13. 18. 23 — 25 umfasst, da alle diese Abschnitte sich vielmehr als Combinationen von A und A darstellen ; und dass die in Rede stehende Art, Aussprüche Jesu ohne Geschichte zu überliefern, an sich etwas sehr Unvollkommenes ist, wollen wir gar nicht bestreiten. Darum wis sen wir auch bis auf den heutigen Tag noch nicht, worauf sich die Kla gen über Bethsaida und Chorazin, die Reden von den geopferten Gali läern, vom Thurm zu Siloah beziehen; und wenn Josephus nicht wäre,6 so würden wir auch Lc. 19, 12 — 14 nicht verstehen.* Im Uebri gen sehen sich Köstlin6 und Meyer7 zu der Concession genöthigt, den Reden auch geschichtliche Beigaben, einleitende historische No tizen, soweit solche zum Verständnisse des Gesprochenen nothwen- 1) Kitschi: Evangelium Marcions, S. 228. — 2) Gfrörer: Urchristenthum, II, 1, S. 242. — 3) Urevangelist, S. 691. — 4) Evangelien, S. 113. — 5) Ant. 17, 11, 1. — 6) S. 57 ff. — 7) Zu Matthäus, S. 12. 1 34 Drittes Capitel. dig erschienen, beigefügt sein zu lassen. Das wäre an sich recht wohl möglich; nur muss die Annahme sich wirklich auf die noth wendigsten Fälle beschränken. Bios wenn im Ganzen die Fragmente auf einander folgten, fast wie die Aphorismen des Hippokrates, konnten sie von Mat thäus und Lucas in so verschiedene Geschichtsrahmen gebracht werden. Es ist zwar sehr richtig, dass zu ihrem wirklichen Verständnisse eine genauere Kenntniss der Situation, der sie entstammten, sehr förderlich wäre. Das konnte aber nicht hindern, dass in der ersten Zeit eine grosse Anzahl von Aussprüchen auch ohne Angabe ihrer Veranlassung gesam melt wurden;1 es sind die von Gfrörer so genannten »schwebenden Aussprüche « Jesu, die keinen festen Ort in der evangelischen Geschichte haben, sondern im Matthäus auf einem andern Punkt ihrer Wanderung erscheinen, als im Lucas. 2 Selbst solche Aussprüche, die, wie die Ver gleichung der Jünger mit Licht und Salz, uns jetzt ohne Angabe des angeredeten Subjects haltungslos erscheinen, namentlich auch fast alle Parabeln gehörten ursprünglich in diese Classe der schwebenden Aus sprüche. Erst die, bei wachsender Entfernung vom Factum ebenfalls wachsende Schwierigkeit des Verstehens führte theils zur Entstehung von Commentaren über A (vgl. §. 1 5), theils, — und Dies schon früher — zu, selbstständig neben A hintretenden, Werken, welche sich die Behandlung der historischen Seite des Wirkens Jesu zur Aufgabe mach ten (vgl. §. 24). Andererseits muss zugestanden werden und ist im Grunde schon von Gfrörer zugestanden worden,3 dass in einzelnen Fällen bereits in A kleine historische Einleitungen und Verbindungen sich fanden; näm lich überall da, wo der Verfasser von A sonst auf die Mittheilung des betreffenden Ausspruches geradezu hätte Verzicht leisten müssen. Natür lich, dass solche Nöthigungen besonders im Anfang- seines Werkes öfters wiederkehren mussten , wie die, aus Lucas reconstruirbaren, Eingangs partien von ^bestätigen. Es käme nur darauf an, Stellen zu finden, auf deren Grund sich die Einleitungen des Lucas von den kurzen Vorbemer kungen va.A noch unterscheiden lassen. Dabeiist jedoch mit Vorsicht zu verfahren. So soll durch die allgemein gehaltene Einleitung 15, 1. 2 die Anreihung von drei Parabeln erklärt werden, die Jesus schwerlich so Stück für Stück neben einander hingelegt hat. Doch könnte man zwischen beiden Versen einen Unterschied statuiren. Es charakterisirt sich 15, 1 fjaav öi iyyitpvxsg avxcp navxsg ol xsXwvai xai ol aftaqxwXoi schon um der Uebertreibung und Unbestimmtheit willen als Eigenthum des Lu cas und könnte hervorgerufen erscheinen durch das Folgende xal öis- 1) Keuss, Nouvelle revue, II, S. 46. — 2) Urchristenthum , II, 1, S. 164. — 3) A. a. O. S. 245. Die zweite Hauptquelle. 135 yöyyvtpv ol Oaqioaloi xal ol yqafiftaxslg Xiyovxsg oxi ovxog dftaq- xwXovg nqoaöixsxai xai avvsadisi aixoig. Aber auch diese Formel stand nicht in der Quelle; sie ist nach 5, 30 gebildet und hier vorange schickt, weil die folgenden Parabeln denselben Gedanken enthalten, womit Jesus sonst jenen Vorwurf zurückweist (vgl. 5, 32). 1 Dagegen erweist sich für unseren Zweck brauchbar die Stelle 10, 25, wozu frei lich Schleie rmacher bemerkt: »Die Frage des vofiixög schickt sich sehr gut auf eine Reise. «2 Zu seiner Note macht aber Gfrörer die wei tere Anmerkung: »Kann man' ärger in den Tag hinein schwatzen?«3 In der That weist das äviaxrj so deutlich , als möglich, auf eine andere Scenerie hin, und Lucas hätte, wofern ihm die Schwierigkeit aufgefal len wäre , den Vorgang nothwendig in eine Synagoge verlegen müssen. Hier übersah also die motivirende Kunst des Lucas eine Gelegen heit, sich zu bethätigen. Die Stelle mag uns daher als Wegweiser die nen , um uns eine Vorstellung von der knappen Urgestalt der ausführ licheren Einleitungen zu geben, die wir im Lucas antreffen. Eine an dere Stelle von dieser Art ist Mt. 11, 2—4 = Lc. 7, 18—22. Offenbar war in A die Rede Jesu, die mit noqsvdivxsg änayysiXaxs 'Iwdvvrj a axovsxs xal ßXinsxs anfängt, nur kurz motivirt mit ö'lwdvvrjgniftipag öid xwv fiadrjxwv aixov slnsv -ai si b iqxöfisvog rj szsqov nqooöoxwfisv. Dies erweitert Matthäus so, dass er auch die Frage des Täufers durch den aus Mt. 4, 12 erschlossenen Zusatz äxovoag iv xip ösofiwxrjqiw xd sgya xov Xqiaxov motivirt. 4 Lucas dagegen lässt zuerst die Johannesjünger ihrem Meister Meldung thun, dann zwei von ihnen (ovo xivdg an die Stelle von öid) abgesendet werden ; er meldet dann nicht blos ausführ lich , dass dieselben den ihnen gewordenen Auftrag bei Jesus wörtlich ausgerichtet, sondern schaltet auch, um die Wahrhaftigkeit der folgen den Worte Jesu darzuthun, die aus diesen Worten selbst gewonnene Notiz ein sv ixsivrj xfj diqq sdsqänsvasv noXXovg dnö vöawv xai ftaaxi- ywv xai nvsvfiäiwv novrjqwv xai xvtfXolg noXXolg ixaqiaazo ßXinsiv. B Während demnach hier die historischen Notizen in A sich schon bis zu einer eigentlichen Angabe der Veranlassung erweitert hatten, was z.B. auchLc. 13, 1 der Fall ist, so beschränken sie sich am anderen Orte, z. B. Matthäus 11, 25 = Lc. 10, 21 nur auf ganz allgemeine Andeu tungen hinsichtlich der Identität der Zeit, und der 10, 25 bezüglich des Ortes vorfindliche Wegeweiser war schon dem Lucas unleserlich gewor den. Wie man sieht, ist mit solchen, ganz kurz und allgemein gehalte nen, geschichtlichen Angaben , die nur wenigen Fragmenten beigesetzt waren, die im Allgemeinen unchronologische und auchnur im weitesten 1) Kitschi: Evangelium Marcions, S. 227. — 2) Versuch, S. 170 (125). — 3) Ur- christenthum, II, 1, S. 237. — 4) Schleiermacher (Versuch , S. 109), Bleek (Synopsis, I, S. 443). — 5) Schleiermacher: Versuch, S. 106 (78). 136 Drittes Capitel. Sinn des Wortes sachliche Anordnung dieser Xöyia ohne Schwierigkeit zu vereinigen. 4 Die Einleitungen des Lucas aber erklären sich jetzt als Versuche, die wenigen, nur kurz gezogenen Andeutungslinien in A möglichst zu erweitern und sie zu , ganz direct auf einen bestimmten Punkt im Leben Jesu deutenden, Anzeigern zu machen. Wie sich Lucas Derartiges erlauben konnte, wird erst recht anschaulich gemacht, wenn sich diese seine Manier als der Quelle abgelernt und als im Interesse der Quelle selbst angenommen erwiesen hat. Wo Ueberschriften stan den , da hat sie Lucas immer gegeben , wohl auch erweitert. Wo keine waren , da hat er solche öfters ausfindig gemacht , wozu ihn seine Ge wohnheit, mit Zusammenhang, Vermittlung und Pragmatismus zu er zählen, treiben mochte, während ihm die Paar Fälle , wo er solche Ein leitungen in A schon vorfand, unmittelbare Anleitung gaben. Nach diesem Kanon wird dann wohl auch 11, 1 die Einleitung in das Muster gebet, von deren Betrachtung wir ausgegangen sind, zu beurtheilen sein. Dasselbe ist bei Matthäus sicher eingearbeitet; während andererseits die Unbestimmtheit des iv xöncp xivi wieder recht deutlich an die Manier des Lucas erinnert. Zu weit aber geht die Opposition gegen Schleier macher, wenn sie in dem ganzen Verse blose Fiction des Lucas er blickt und meint , Jesus werde viel eher aus eigenem Andachtstrieb ein mal im Kreise der Jünger so gebetet, als das Gebet auf ihre Auffor derung ihnen vorgesprochen haben. Sicherlich hörten die Jünger den Herrn oftmals beten. Dass sie aber gerade diese kurze Form sich ge merkt haben, dazu musste Veranlassung geboten sein, wie auch die Be stimmtheit der Aufforderung »Lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte« sich durchaus unterscheidet von dem Charakter, der allein von Lucas gebildeten, ihrem ganzen Inhalt nach blos aus dem jeweils folgenden Stück entnommenen, Einleitungen und Ueber schriften. Wir betrachten demnach als die hauptsächlichste Ursache, wesshalh. die bisherigen Versuche, das synoptische Verwandtschaftsverhältniss aufzuhellen, nie vollkommen gelingen konnten, den Umstand, dass diese zweite Quelle entweder verleugnet, oder doch wenigstens falsch be stimmt worden ist. Vor Allem Hegt der Hauptschaden der Wilke' schen Untersuchung darin, dass sie sich gegen die Duplicität der Haupt quellen, die behufs der Erklärung des synoptischen Verwandtschafts verhältnisses nicht zu umgehen ist, verschlossen und dafür lieber eine Abhängigkeit des Matthäus von Lucas statuirt hat.2 Besonders an einer Stelle3 geht übrigens hervor, wie nahe Wilke's geübter Tastsinn ihn 1) Köstlin, S. 58. — 2) Vgl. Weisse: Evangelienfrage, S. 83. — 3) Urevan gelist, S. 175. Die zweite Hauptquelle. 137 der zu entdeckenden Thatsache gebracht hat: »Was beiläufig die angeb lichen Xöyia des Papias anlangt, so ist wohl das Wahrscheinlichste, dass sie, als ein für sich Bestehendes angenommen , nicht unter den , in un sere Betrachtungssphäre l einfallenden, Reden zu suchen sind, sondern vielleicht anderswo ausser derselben. «2 Hat man sich aber von dem Vorhandensein der Quelle A auch überzeugt, so darf man sich ja keinem vorschnellen Construiren hinge ben, um kurzer Hand die Verschiedenheit des Matthäus von Lucas dar aus zu erklären. In dieser Beziehung ist auf das Verschiedenartigste ge fehlt worden. Das Verhältniss von A zu Matthäus ist namentlich falsch bestimmt, wenn man mit Meyer3 und Köstlin, der eine Beschrei bung dieser Quelle nach rein subjectivem Maassstab gibt,4 voraussetzt, dass unser Matthäus jedenfalls eine Erweiterung von A sein müsse. Im Gegentheil ist im Matthäus der Aufriss des Ganzen, so gut wie bei Mar cus und Lucas, aus A, und blos das im Vergleich mit Marcus sich erge bende , Plus von Redestoff muss auf Rechnung der Benutzung von A gebracht werden. Uebrigens hat zu diesem ganzen Irrthum Ewald Ver anlassung gegeben, der in A eine Quelle für alle drei Synoptiker sieht. Dies führt ihn natürlich in die schwierigsten Lagen und verdeckt ihm die rettende Aussicht in's Freie auf Schritt und Tritt seiner Wanderung. Es beruht also beispielsweise ganz einfach auf schriftstellerischer Com position, wenn Matthäus die Wiederholung scheuend, die Rede Jesu an die Zwölf, wie er sie in A vorfand, mit der Rede an die Siebzig, wie sie A Lc. 10, 3 — 12 hat, verschmolz. Hier muss nun Ewald anneh men, dass Marcus aus einer Spruchsammlung, deren Reichthum wir aus den Stellen des Lucas bemessen können, nur die dürftigen Sentenzen Mr. 6, 8 — 1 1 excerpirt, und dass Lucas zuerst dieses Excerpt, dann aber noch einmal auch die Originalstelle, wiewohl nach einer andern Re daction ausgeschrieben habe. ¦* Dass aber die grosse Rede des Matthäus in A gestanden habe, hat Ewald blos aus dem slg fiaqzvqiov avxolg Mr. 6 , 11 geschlossen , das zwar Matthäus 10,14 fehlt, dafür aber 1 8 nachgetragen wird. 6 Wie klar liegt dagegen der Sachverhalt vor, wenn Lc. 9, 3 — 5, wie der ganze Zusammenhang beweist, aus A, dagegen der Abschnitt Lc. 10, 2 — 12, dessen Parallelstellen bei Matthäus sich 1) D. h. bei Wilke die »erste Tafel,« bei uns A. — 2) D. h. bei Wilke auf der »zweiten Tafel,« welche die dem Matthäus und Lucas gemeinsamen Stücke umfasst. Vgl. die »Neutestamentliehe Rhetorik«, S. 443 (dem Geist nach seien diese Stücke ver schieden von den allen Dreien gemeinsamen) und S. 436 (die letzterwähnten Stücke berichten Geschichtliches , die dem Matthäus und Lucas gemeinsamen seien »didakti scher Natur und so gefasst , dass in ihnen die Beziehung auf den Lehrzweck das Vor herrschende ist«). — 3) Zu Matthäus, S. 12 ff. — 4) S. 57—69. — 5) Evangelien, S. 247. — 6) A. a. O. S. 249. 1 38 Drittes Capitel. auch dort als eingeschaltet erweisen , aus einer zweiten , blos dem Mat thäus und Lucas gemeinsamen , Quelle stammt! Ewald geräth in die besprochenen Schwierigkeiten, weil er der zweiten Quelle A eine ähn liche Stellung einräumt, wie wir in Bezug auf A gethan haben — näm lich Unterlage für alle drei Synoptiker zu sein. Dieses Verfahren ist aber durch die Sachlage keinenfalls geboten oder gerechtfertigt, da ja — wie gezeigt — die Abschnitte , welche Matthäus und Lucas mit Marcus gemein haben , durchaus nur eine einzige gemeinsame Unterlage erfor dern. Marcus aber, der sich nach unserer Auffassung so einfach erklärt, muss bei Ewald eine äusserst künstliche Mischung darstellen, inso fern 1, 9—20. 9, 2—13. 30—32. 10, 1—31. 11, 1—21. 12, 13—37 aus dem ältesten Evangelium, unserer Quelle A, dagegen 1 , 4 — 8. 3, 23—29. 4, 3—32. 6, 7—11. 8, 27—9, 1. 33—50. 10, 33—45.. 11, 27 12, 12. 12, 38 — 40. 13, 1 — 14, 2 aus _// stammen sollte. Auf diese Art, die Priorität des Marcus zu behaupten, ist allerdings die Kritik anwendbar, welche Baur1 und Hilgenfeld2 an der E w a 1 d'schen Construction geübt haben. Dagegen widerstreitet es ebenfalls allen Grundsätzen einer vorsich tigen Kritik, wenn man mit Schleiermacher3 und Reuss4 die Quelle A, die sicherlich mit Marcus nichts zu thun hat, auch ausser alle Beziehung zu Lucas setzen will. A wäre sonst — meint Reuss — zerrissen worden — aber Matthäus kann ja ebenso wohl componirt haben; ferner sagt Reuss, der Text von A wäre verändert worden — aber gar nicht mehr, als der von A auch ; endlich A wäre verstümmelt worden — aber hier kommt Alles an auf Erklärung der von Reuss an geführten Beispiele, und daran wird es in keinem einzigen Fall bei uns fehlen. Seltsam aber ist, dass bei der so häufigen wörtlichen Ueberein stimmung ganzer Sätze, die in den hier in Betracht kommenden zahlrei chen Stellen nicht minder auffallend ist, als in den Copien von A, Reuss doch diesmal zur Erklärung nur »die Sicherheit der Tradition, « nicht ein schriftstellerisches Abhängigkeitsverhältniss aufbieten will. Eine andere Mischung von Wahrheit und Irrthum stellt endlich der Versuch von Weiss dar , welcher den Matthäus erklären will als Zusammenarbeitung von Marcus und einer ursprünglichem , auch dem Marcus zu Grunde gelegenen, Quelle. Unglücklicher Weise wird nun aber diese gemeinschaftliche Quelle des Matthäus und Marcus so con- struirt, dass sie zugleich die Stelle unserer zweiten Quelle des Mat thäus , also die Stelle von A einnehmen , und auch die Uebereinstim mung des Matthäus mit Lucas ermitteln muss. 5 Marcus hätte nunmehr 1) Marcusevangelium, S. 161 ff. — 2) Evangelien, S. 33 ff. — 3) Werke, I, 2, S. 383. — 4) Kevue de Theologie, XV, S. 13 ff. Nouvelle revue, II, S. 43 f. Ge schichte der h. Schriften, S. 191 f. — 5) S. 80 ff. Die zweite Hauptquelle. 139 also wieder die schöne Bergrede Mt. 5— 7 aufgelöst, um einzelne Trüm mer davon gelegentlich einzuschieben; die Instructionsrede hätte er später, als Matthäus, gestellt, aus der antipharisäischen Rede blose Re miniscenzen beigebracht. Dies Alles gereicht nicht einmal zum Vor theil der Reden des Matthäus, da Weiss selbst hinwiederum auch den compilatorischen Charakter von Mt. 5 — 7. 11. 13. 18. 23 — 25 aner kannt hat. 4 Da hört dann freilich fast alle sichere Messbarkeit des er sten Evangeliums am zweiten auf, und das dritte stellt ein vollends principloses Schwanken im Ausdruck zwischen der Matthäusquelle und Marcus dar. 2 Wie aber nach dieser Hypothese die, aus einer besonne nen Vergleichung des Marcus mit Lucas und Matthäus deutlich erkenn baren, Umrisse der ersten Quelle wieder gänzlich verwischt wer den, so kann auch die zweite Quelle bei Weiss absolut auf keine ir gendwie vorstellbare Gestalt zurückgeführt werden. Was sollte denn das für eine »Redesammlung« sein, in welcher die Geschichten von den Aussätzigen Mt. 8, l — 4, von der Blindenheilung Mt. 9, 27 — 31 , vom kananäischen Weibe Mt. 15, 21 — 28 doch wenigstens in derjenigen Ausführlichkeit gestanden haben mussten, die schlechterdings erforder lich ist , um die abgerissenen Reden , die in diesem Berichte vorkom men , in ihren Beziehungen auffassen zu können ! Und was für ein Verfahren des Marcus, der z. B. die Reden Mt. 9, 5. 6 vorfindet und dazu den Rahmen Mr. 2, 3 — 12 fertigt,3 oder der auf ähnlichem Wege seine Geschichte Mr. 3, 1 — 6 zu Wege bringt!4 Welch gequälte Un terscheidungen, wo es sich darum handelt, in Stellen, wie Mt. 8, 28 — 34. 9, 18 — 26. 17, 14 — 21 die beiden Quellen zu unterscheiden, aus denen solche, so leicht aus Marcus erklärbare, Referate zusammenge- schweisst und dabei merkwürdiger Weise immer um ein Bedeutendes kürzer geworden sein sollen.5 Welch ein Schicksal von Mt. 5, 31. 32, welche Stelle zuerst in A gestanden haben, dann von Mr. 10, 1 — 12 in ein Gespräch verwandelt worden sein soll , bis Matthäus beide Formen neben einander gesetzt habe ! 6 Kein Wunder, dass zuletzt Weiss selbst auf die Möglichkeit verzichtet, die Composition durchsichtig und die Grenze zwischen den Stellen, wo Marcus aus A geschöpft und wo er selbstständig geschrieben hat, nachweisbar machen zu können. Auch diese Lösung des Problems theilt, so viel treffende Einzelbeobachtun gen sie mit sich führt, doch wieder mit so manchen andern das Schicksal, einen Weg versucht zu haben, von dem sich herausstellt, dass er nur ins Dickicht willkürlicher Auskünfte und Hülfsmittel führt, eine durch schlagende Richtung aber nicht gewinnen kann. 1) S. 72 ff. — 2) S. 81-86. — 3) S. 89. 656. — 4) S. 657. — 5) S. 657 f. 6) S. 661. ] 40 Drittes Capitel. Hauptsache ist und bleibt also, unsere zweite Quelle, als von Mat thäus und Lucas benutzt, vollkommen selbstständig neben A hinzustel len und jedes Abhängigkeitsverhältniss zwischen diesen Quellen selbst abzuweisen. Wo nicht, so würde die ganze Klarheit der Einsicht, die wir in das so einfache Quellenverhältniss der Synoptiker gewinnen kön nen, alsbald wieder getrübt werden. II. Aufstellung der zweiten Quelle. Nachdem wir die all gemeine Manier der Quelle A bestimmt, gehen wir zur Untersuchung ihres Umfangs und Inhaltes über. Es ist zuvörderst die Frage, ob der Stoff von A von einem der beiden Evangelisten vollständig aufgenom men worden sei, so dass wir also berechtigt wären, Alles, was der an dere noch darüber hinaus in A nicht Enthaltenes hat, auch ausserhalb von A zu suchen. Die Freiheit der Auswahl, womit Beide in Bezug auf A verfahren, lässt uns zum Voraus eine verneinende Antwort er warten. Wir können Dies aber auch mit einzelnen Beispielen bestimmt erweisen. Von Matthäus ausgelassen ist in der Parallelstelle Mt. 18, 11 — 14 = Lc. 15, 3 — 7 jedenfalls die'Pointe Lc. 7, vielleicht auch der ganze Fortgang bei Lucas. Von Lucas dagegen ist ausgelassen Mt. 21, 28 — 30, weil es ihm nach Lc. 15, 11 — 32 überflüssig schien. l Die be rühmten Worte Mt. 11, 28—30 schliessen offenbar die Rede Mt. 11, 25 — 27 =^- Lc. 10, 21. 22 ab, fehlen aber bei Lucas. Konnte er diese Stelle übergehen, bei wie vielen ähnlichen mochte Aehnliches der Fall sein ! a In der That zeigt §.11, Tafel 1, dass Lucas die zweite Quelle so wenig ganz aufgenommen hat, als die erste; wenn gleich der Inhalt von A, in dessen Mittheilung Matthäus über Lucas hinausgeht, lange nicht so bedeutend ist, wie der , in welchem Lucas allein referirt. Sehr Vie les nämlich, was Matthäus allein hat, und was eine oberflächliche Betrach tung auf A zurückführen würde, erweist sich, genauer besehen, als schriftstellerisches Eigenthum des Matthäus. So standen z. B. nicht in A folgende dem Matthäus eigenthümliche Stücke 16, 17 — 19. 17, 24 — 27. 18, 15 — 20.3 Dagegen geht Lucas in Mittheilungen aus A über Matthäus hinaus, besonders in der Partie zwischen 14, 1 und 18, 14, von der Weiss zwar übertreibend sagt, dass sich jede Spur von ihr bei Matthäus verloren habe ; 4 immerhin aber sind es nur einzelne Anklänge und herübergenommene Pointen, welche zeigen, dass Matthäus diese Abschnitte kannte. Hätte er den ganzen Inhalt von A aufnehmen wol len , so würden seine Redestücke nicht mehr so symmetrisch und klar angelegt sein, sie würden unregelmässig construirt, in die Länge und Breite gezogen und an einzelnen Stellen völlig überschwellend und über- 1) Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 109. — 2) Weisse: A. a. 0.,S. 74. — 3) Weisse: A. a. O. I, S. 86. — 4) S. 702. Die zweite Hauptquelle. 141 bauschig aussehen müssen. Dass Lucas die zweite Quelle fast ganz, Matthäus nur, soweit sie assimilbar war für ihn, aufgenommen, sieht also nur im besten Einklang mit der ohnehin feststehenden Thatsache, dass sich Matthäus zu Lucas verhält, wie ein ebenmässiges Kunstwerk zu einem beliebig zu dehnenden Sammelwerk. Hat es mit dem Gesagten seine Richtigkeit, so wurde die Quelle A von Lucas in einer Weise benutzt, die uns über ihre ursprüngliche Ge stalt am ehesten Aufschluss geben kann. Dass nämlich bei ihm diese Stücke vielfach in ihrer ursprünglichen Anreihung verblieben sind, er sieht man selbst aus Schwierigkeiten , wie der Erwähnung des xXinxrjg 12, 39, die sich auf 12, 33 zurückbezieht, während bei Matthäus beide Stellen weit auseinander zu liegen kommen 6, 19. 20. 24, 43. An kei ner andern Stelle der Evangelien kommt aber der xXinxrjg wieder vor. Wir werden daher wohl auch überhaupt berechtigt sein, das Vorherr schen der parabolischen Lehrform und die Gruppirung der Redestücke Lc. 14, 1 — 18, 14 auf Rechnung von A zusetzen. Es ist somit die grosse Einschaltung des Lucas, in der sich die Hauptmassen des, in der zweiten Quelle enthaltenen, Stoffes erhalten hat, freilich nicht mehr ganz in ursprünglicher Ordnung, sondern so, dass die einzelnen Theile etwas übereinander geschüttet vorkommen, und die ursprüngliche Folge nur noch im Grossen und Ganzen zu erkennen ist. Indem wir so bei Beschreibung der Quelle A uns in erster Linie immer an Lucas halten werden, unterscheiden wir uns auf das Bestimmteste von den bisheri gen Versuchen, die »Redesammlung« wieder herzustellen. Dieselben konnten einfach desshalb nicht gelingen, weil sie von der Vorstellung ausgingen , dass diese zweite Quelle wenn irgendwo , so bei Matthäus, gleichsam in natura zu sehen sein müsse, wodurch natürlich von vorn herein jeder Weg versperrt war, auf dem man sich das Verhältniss der Bestandtheile A Matthäus zu den anderen A Lucas hätte erklären kön nen. Keiner von den vielen, hierdurch veranlassten , Irrthümern hat aber folgenreicher auf die Beurtheilung der Quelle A eingewirkt, als die Voraussetzung, dass in derselben schlechterdings die Bergpredigt anzu treffen sein müsse. Vielmehr sind Mt. 5 — 7 gerade diejenigen Stellen aus A, welche in den Zusammenhang der historischen Bergpredigt erst eingearbeitet wurden ; sie bilden darum allerdings die Hauptmasse der matthäischen Bergrede, eben darum aber nicht der wirklichen. Wir ge winnen somit für die Bergpredigt des Matthäus ganz dasselbe Verhält niss, wie für das Gleichnisscapitel 13, welches nichts anderes ist, als eine Erweiterung und Bereicherung von A Mr. 4, 1 — 20; wie für die Instructionsrede A Mr. 6, 7 — 11 = Lc. 9, 1 — 6, die Mt. 10 mit aus führlichen Mittheilungen aus A verschmolzen erscheint; wie für die Offensivrede Mt. 13, die aus einer Combination von A mit A Mr. 1 2, ] 42 Drittes Capitel. 38 — 40 entsprungen ist; wie für die eschatologische Rede Mt. 24. 25, welche einem weitläufigen Ueberbau des einfachen Denkmals Mr. 13 gleicht. l Es ist wesentlich ein Verdienst Volkmar's, die genetischen Verhältnisse der grossen Reden im Matthäus im Gegensatze gegen seine Tübinger Lehrer richtig erkannt nnd die » Redegelegenheiten « in A, woran Matthäus mit seinen Compositionen anknüpft , nachgewiesen zu haben. 2 Wenn wir nun daran gehen , diese zweite Quelle, soweit es thun- lich ist, nach den angegebenen Grundsätzen zu reconstruiren , so müs sen wir zum Voraus bemerken, dass hier der Natur der Sache nach ein so hoher Grad von Evidenz nicht zu erzielen ist, wie Solches der Fall war hinsichtlich der ersten Quelle. Konnten wir, ohne die Grenzen des der wissenschaftlichen Combination Erreichbaren zu überschreiten, schon bezüglich des Verhältnisses unserer Synoptiker zu A in manchen Fällen eine diplomatische Genauigkeit der Angaben nicht versprechen, so wird sich Dies bei Herstellung der zweiten Quelle in gesteigertem Maasse wiederholen. Und zwar gilt das Gesagte zum Theil vom Stoff als sol chem — dieser kann nämlich in den Partien, wo entweder nur Matthäus, oder nur Lucas die Quelle reproducirt, mit blos relativer Sicherheit nachgewiesen werden — zum Theil von der Aufeinanderfolge der ein zelnen Theile dieses Stoffes, deren ursprüngliche Beschaffenheit gleich falls zuweilen in annähernd richtiger Weise angegeben werden kann. Wir geben im Folgenden diejenige Anordnung, die uns, die Stelle des Lucas mit sich selbst und mit denen des Matthäus verglichen , als die in sich geschlossenste und wahrscheinlichste erscheint und mit dem Bau des ersten und des dritten Evangeliums am besten harmonirt. Um den Anfang dieser zweiten Quelle zu bestimmen, gilt es vor Allem, die früher von Weisse, 3 jetzt von Ewald 4 verfochtene An sicht zu prüfen, wornach schon die, bei Marcus fehlende, Rede des Täufers Mt. 3, 7 — 12. Lc. 3, 7 — 17 einen Abschnitt derselben gebildet hätte. Aber mit Recht hat Weisse selbst seine frühere Aufstellung zu rückgenommen, weil man ja auf diese Art aus A eine evangelische Erzählung von ganz ähnlichem Gepräge, wie unsere kanonischen Evan gelien, machen und den einheitlichen Charakter der zweiten Quelle, wornach sie nur authentische Worte Jesu enthalten solle, preisgeben musste. 5 Dennoch lag dem Irrthume eine richtige Ahnung zu Grunde. Denn das erste grössere Stück, das Lucas nicht blos, sondern — abgese hen von einigen, durch den Inhalt von A nothwendig gewordenen Einfü- 1) Weisse: Evangelienfrage, S. 158. 160. — 2) Religion Jesu, S. 353 ff. — 3) Evangehsche Geschichte, II, S. 7 ff. — 4) Jahrbücher, II, S. 198 f. — 5) Evange lienfrage, S. 156. 164. Die zweite Hauptquelle. 143 gungen — auch Matthäus aus A beibringt, betrifft in der That den Täufer. Wie nämlich A mit dem Auftreten des Täufers , so begann A sachgemäss mit einem , auf diese stehende äqyfj xov siayysXiov bezüg lichen, Ausspruch Jesu über Bedeutung und Werth des Johannes Lc. 7, 18—35 = Mt. 11, 2—11. 16—19. Da aber diese Reden durch die Ge sandtschaft des Täufers motivirt werden mussten, haben wir gleich hier eine historische Einleitung, die Lucas nach Gewohnheit vergrössert. Vgl. hierüber das S. 135 Gesagte, womit sich Weisse's Zweifel erledi gen. l Als in A selbst von blos einleitender Bedeutung, hat das Stück auch bei Lucas , der sonst diese Quelle erst in der grossen Einschaltung recht unmittelbar benutzt , eine frühere und selbstständige Stellung in der kleinen Einschaltung gefunden. Matthäus aber fügt, mit Ausnahme der, entweder von Lucas eingefügten, oder von Matthäus erst später 2 1 , 31. 32 verarbeiteten, Verse Lc. 7- 29. 30, dieses erste Stück der zwei ten Quelle ein, sobald er nur von jedem der Mt. 11, 5 erwähnten Wunderwerke Jesu ein Muster gegeben hat. Auf diese Weise hat er die Antwort Jesu so wohl vorbereitet, dass Hilgenfeld, der Sachordnung seines ersten Evangeliums gewöhnt, an jede Darstellung von der Sen dung des Täufers a priori dieselbe Anforderung stellen zu müssen meinte. 2 — Aber wie steht es mit den, unerklärt im Rest gelassenen Versen Mt. 21, 31. 32 = Lc. 7, 29. 30? Es kann diese Frage als ein instructives Beispiel gelten für die Art und Weise, mit der solche Schwierigkeiten behandelt sein wollen. Bei Lucas , wie bei Matthäus wird die Rede Jesu über den Täufer übereinstimmend fortgeführt bis auf den Punkt, wo der Kleinste im Himmelreich für dem Täufer über legen erklärt .wird Lc. 28 = Mt. 11. Völlig different ist, was sich bei Matthäus und was bei Lucas an diesen Ausspruch anschliesst. Die Dif ferenz dauert aber nur ein Paar Verse , und alsbald fahren beide Evan gelisten ganz gleichmässig fort mit der Rede : xivi bftotwaw xfjv ysvsav xavTrjv Lc. 31 = Mt. 16. Von vornherein ist nun sicherlich nicht an zunehmen, dass beide Evangelisten vermöge eines seltsamen Zufalls ihre Quelle an derselben Stelle mit einer Einschaltung versehen haben sollten, wie ja auch, wenn wir die differirende Partie auswerfen, gar kein Zu sammenhang in der Rede Jesu mehr vorhanden ist. Um so schwieriger ist die Frage, wer die ursprüngliche Verbindung beibehalten hat, wer nicht. Vieles scheint für Lucas zu sprechen. Namentlich könnte man versucht sein, das iöixaiwdrj am Schlüsse der Rede Lc. 35 = Mt. 19 aus dem iöixaiwaav Lc. 29 zu erklären und die Worte Jesu über» dies Geschlecht« als durch Lc. 29. 30 motivirt zu betrachten. Dann hätte 1) Evangelienfrage, S. 156. 15S. Vgl. aber S. 213 die Kache des Irrthums. — 2) Evangelien, S. 113. 144 Drittes Capitel. Matthäus diese Worte hier ausgelassen, um sie 21, 31. 32 zu ver- werthen. Wie nun aber eine derartige vorblickende Auslassung viel mehr in der Art des Lucas, als des Matthäus ist, so stehen auch die fraglichen Worte bei Matthäus in einem enggeschlossenen Zusammen hang, bei Lucas dagegen wollte sich einer ganzen Reihe von Auslegern das Gefühl einer eintretenden Fuge aufdrängen , so dass man zum min desten an eine, die Rede Jesu unterbrechende, Geschichtsbemerkung des Lucas1 oder an ein späteres Einschiebsel2 denken zu müssen glaubte. Denn auch der Zusammenhang mit dem Folgenden ist mehr scheinbarer, als wirklicher Natur, da die Klage über die, den Johannes verachtenden, Zeitgenossen Lc. 31 — 35 zu der Behauptung, dass näg o Xaög dem Johannes zugefallen sei 29, und nur die Pharisäer eine Aus nahme gemacht hätten, sich absolut heterogen verhält. Daher hat selbst Ewald, der Lc. 29. 30 für einen integrirenden Bestandtheil von A hält, doch zu der Ausflucht gegriffen, jene Verse ursprünglich nicht hinter Lc. 28, sondern hinter Lc. 27 stehen zu lassen. 3 Es liegt daher nahe, mit andern Auslegern4 unsere Verse als eine Einschaltung und Bearbeitung von Mt. 21, 31. 32 zu betrachten. Dann entsteht aber die weitere Schwierigkeit, dass Mt. 11, 12 — 15 das ursprüngliche Binde glied zwischen Mt. 11 , 11 = Lc. 7 , 28 und Mt. 11, 16 = Lc. 7, 31 sein musste. Mit Recht macht dagegen Bleek5 geltend, dass schon Mt. 12 die Partikel öi nicht am Platze ist, da man nach dem logischen Verhältnisse dieses Verses zum vorhergehenden eher yäq erwartet ha ben würde, indem 12 als Grundlage dafür betrachtet werden kann, wesshalb Johannes auch dem Geringsten im Reiche Gottes nachsteht. Auf der andern Seite erscheint wieder das yäq 1 3 zur Anknüpfung an 12 sehr unpassend, und auch 14 ist nicht der passende Schluss des gan zen Ausspruchs, der, wenn wir auf 11 sehen, weniger die Lobpreisung des Täufers, als die Hervorhebung des Vorzugs des Gottesreichs be zweckt. Nun hat aber die ganze Stelle eine Parallele Lc. 16, 16, wo sich die Gedanken Mt. 12. 13 wirklich in umgekehrter Ordnung fin den. Stellen wir nun auch bei Matthäus die Verse 13. 14 vor 12, so erscheinen selbst die Bindepartikeln höchst angemessen, und wir haben in der ganzen Stelle einen Beweis für Mt. ll , dass der Geringste im Reich Gottes über Johannes stehe. Denn der Täufer selbst gehört In das Reich Derer, die nur geweissagt haben (13); wenngleich er als un mittelbarster Herold des Verheissenen alle seine Vorgänger überragt 1) Paulus, Bornemann, Schleiermacher, Lachmann, Bleek, Hil genfeld, Köstlin: S. 143 f. — 2) Gfrörer: Geschichte des Urchristenthums, II, 1, S. 168 ff. — 3) Evangelien, S. 253 f . — 4) D e Wette, der »sächsische Anonymus,« Weisse: Evangelische Geschichte, H, S. 109. — • 5) Synopsis, I, S. 454. Die zweite Hauptquelle. 1 45 (14). Jetzt aber (12) ist das geweissagte Reich selbst angebrochen, wird mit Macht erstrebt von Vielen, unter denen der Geringste es weiter bringt, als alle Propheten. Somit lösen sich alle Schwierigkeiten, wenn wir die Stelle Mt. 11 , 12— 15 = Lc. 16, 16 zwar an dem Platze su chen, wo Matthäus sie hat, aber in einer andern, durch die Parallelstelle des Lucas indicirten, Ordnung. Daran kann uns auch nicht irre machen, wenn Neander diese Verse in eine spätere Zeit, da der Täufer schon vom Schauplatz abgetreten ist, versetzen will, 4 da ja das bei Lucas nicht vorfindliche swg aqxi dem Matthäus angehören kann , der dabei seine spätere Zeit und deren Verhältnisse vor Augen hatte. 2 Ueberdies wird sich §. 19, 4 zeigen, dass schon das Wort aqxi auf einen selbstständigen Zusatz des ersten Evangelisten weist. Somit haben wir in Lc. 7, 29. 30 eine Einschaltung anzuerkennen. die ganz aus demselben Motiv wie die Stelle Lc. 3, 18 — 20 geflossen ist. Wie dort Lucas an eine frühere Stelle von A gleich anhängt , was dieselbe Quelle noch später von dem Täufer berichtet, so thut er hier mit A ; er schiebt in die Partie , wo des Täufers zuerst Erwähnung ge schieht, gleich noch eine zweite, später stehende, Stelle ein, die den Erfolg seines Auftretens kennzeichnet; und zwar thut er Dies in sehr freier Weise, indem er aus dem schwierigen Ausdruck rjXdsv yaq 'Iw dvvrjg iv böcp öixaioavvrjg Mt. 21 , 32 mit Vorblick auf das iöixaiwdrj Lc. 7, 35 und mit Zuhülfenahme des paulinischen Sprachgebrauchs die Formel iöixaiwaav xöv dsöv 29 bildet. Bei Gelegenheit dieser Ein schaltung geht ihm aber Mt. 11, 12 — 15 verloren, da sich Mt. 11, 13 unmöglich an Lc. 7, 30 anknüpfen lässt. Er holt daher erst 16, 16 in sehr hastiger Weise das hier Uebergangene nach. Auf die , so hergesteUte, Einleitung der Spruchsammlung über das Verhältniss Jesu zum Täufer folgten sehr sachgemäss Reden Jesu an seine Jünger, und zwar zuerst an Solche, die es werden wollten, wie Lc. 9, 57—60 (= Mt. 8, 14—22). 61. 62. An diese, die Art und Weise der ersten Anknüpfung veranschaulichenden, Gespräche schloss sich dann die, an die gewonnenen Jünger gerichtete, Aussendungsrede an. Sehr sprechend für das Verhältniss von JzuA sind nämlich die bei den Instructionsreden, die Lucas 9, 3 — 5. 10, 2 — 12 aufgenommen hat. Dieselben sind sachlich eben so verwandt, ja identisch, als in Be ziehung auf die Form unabhängig von einander gebildet. Es leidet kei nen Zweifel, dass sowohl in A, als in A diese Rede den denkwürdigen Moment bezeichnen sollte, da Jesus seine 1 2 Jünger zum erstenmal aus sandte. Ganz sachgemäss verfährt daher Matthäus , der beide Quellen combinirt und auf diesem Wege aus A die Stellen 9, 37. 38. 10, 5 — 13. 1) Leben Jesu, S. 336 f. — 2) Bleek: Synopsis, I, S. 455. Holtzmann. 1 0 146 Drittes Capitel. 15. 16 gewinnt. Lucas hingegen hat aus A zuerst 9, 2 — 6 abgeschrie ben, findet aber dann in A eine ähnliche Rede. Auslassen konnte er sie nicht, weil der weitere Fortgang Lc. 10, 17 — 24 mit dieser Aussen dung zu unlösbar zusammenhing und an sich zu bedeutend war, um übergangen zu werden. Er gibt daher zu A Lc. 9, 2 — 6 auch die Pa rallele A Lc. 10, 2 — 12. Weil aber die 12 Jünger zum zweitenmal nicht mehr ausgesandt werden können mit denselben Aufträgen, nimmt er von der Notiz, wornach das Folgende an die Jünger geredet sein soll, Veranlassung, sich nach einem weitern Jüngerkreise umzusehen. Die Reden Jesu, welche^/ bei Gelegenheit der Absendung und der Rück kehr der Zwölf zusammenstellt, werden daher hier auf eine Aussendung von 70 Jüngern übertragen, deren Zahl sich auf ganz natürlichem Wege in der judenchristhchen Tradition gebildet hatte (§. 25). Somit ist aber auch gar keine Veranlassung, mit Ewald1 für die kurze Erwähnung dieser 70 bei Lc. 10, 1. 17 eine besondere Quelle vorauszusetzen, son dern Lucas gibt auch hier wieder, wie so oft, einem Fragment von A eine, aus bioser Wahrscheinlichkeitsrechnung hervorgegangene, Er weiterung der ursprünglichen Ueberschrift. Uebrigens begann die Aussendungsrede in A mit der Erklärung über Ernte und Schnitter Lc. 2 = Mt. 9, 37. 38. Hierauf kam die Sendung der Schafe mitten unter die Wölfe Lc. 3 = Mt. 10, 16. Die zweite Hälfte des Verses hat Lucas ausgelassen, weil er auch das unmittelbar daran sich schliessende, erklärende Wort Mt. 10, 5. 6 aus, auf der Hand liegenden , Gründen ausliess. Mag auch der Ausdruck nqößaxa änoXwXöxa o'ixov 'ioqarjX Mt. 10, 6 = 15, 24 vielleicht dem ersten Evangelisten angehören, die ganze Stelle Mt. 10, 5. 6 kann schon um der fortlaufenden Parallele Mr. 6, 7. 8 = Lc. 9, 1 — 3 nicht aus A sein, wohl aber aus A, welche Quelle Mt. 10, 5 — 13. 15. 16 so benutzt wird, dass zuerst die ziemlich am Anfang stehende, Adresse referirt, dann die jeweils mit A parallelen Stellen excerpirt , und endlich das Schluss- und das Anfangswort neben einander gestellt werden. Es ist nämlich im Weiteren A herzustellen aus Lc. 4—8 = Mt. 10, 9—13. Lc. 9 = Mt. 10, 7. 8 (wo Matthäus im zweiten Vers vollständiger ist). Lc. 10. 11 = Mt. 10, 14. Lc. 12 = Mt. 10, 15. Die Aussendungsrede \nA leitete über zu einem Weheruf über die Städte, denen Jesus bisher persönlich, aber vergeblich das Evangehum gepredigt hatteLc. 13—15 = Mt. 11, 21—24 (wo Matthäus in den bei den letzten Versen vollständiger ist), und zu der ermuthigenden Versiche rung Lc. 16=Mt. 10, 40. Unmittelbar an diese Reden schloss sich an der Abschnitt Lc. 10, 17—20, welcher die Rückkehr der Ausgesandten und 1) Evangelien, S. 284. Die zweite Hauptquelle. 1 47 das, bei dieser Gelegenheit im Hinblick auf die Anfänge seines Reiches gesprochene, triumphirende Wort Jesu Lc. 10, 21 — 24 (darinnen auch 22 einen Rückweis auf 18) enthält. Auch Matthäus hat diese Rede, aber ohne Zusammenhang und Verbindung, und an zwei verschiedenen Orten, nämlich zuerst Lc. 21. 22 = Mt. 11, 25 — 27, welche Stelle aus lief in den Ausruf Mt. 11, 28 — 30, den Lucas ausliess, weil er an dem xansivog l und wohl auch als gesetzesfreier Pauliner an dem tyyög und cpoqxiov Anstoss nehmen konnte. Indem so das, an Alle gesprochene Wort ösvxs ngog fis nävTsg in der Mitte ausfiel, kam in den Text des Lucas die Ungehörigkeit, dass zwei nach einander berichtete Reden Jesu, nämlich 22 und 23. 24, als an andere Subjecte gerichtet eingeführt werden, und diese Subjecte doch beidemal dieselben sind, nämlich die fiadrjxai — ein Uebelstand, den Lucas nicht besser macht, wenn er das zweitemal noch ein xax' löiav einfügt. Uebrigens hat Matthäus die zweite Hälfte der Rede, nämlich Lc. 23. 24 erst 13, 16. 17 angebracht. Endlich schloss der Apostelabschnitt in A mit der Erzählung vom Rangstreit der- Jünger Lc. 22, 24—30 = Mt. 19, 28. Dass die Stelle eine Sachparallele ist zu A Mr. 10, 35—45. Mt. 20, 20—28 hat auf der einen Seite Matthäus erkannt, der das, zur Antwort auf die zudringliche Bitte der Zwei allen Aposteln gegebene, Verheissungswort Lc. 22, 30 glaubt der Erzählung vom Rangstreit selbst vorausschicken zu müssen, um so das Object der Bitte erklärlich erscheinen zu lassen; auf der an dern ist dies Verhältniss aber auch dem Lucas nicht entgangen , wie er damit beweist, dass er die Parallelstelle aus A auslässt, weil er vorhat, unsere Partie von A bei der Darstellung des letzten Mahles zu verwen den, wozu ihm die Reden vom ävaxsiftsvog Lc. 22, 27, vielleicht auch sonst eine Kunde, dass etwas Derartiges beim letzten Mahl vorgekom men, Veranlassung boten. Uebrigens schloss sich in A das xdyw öidxi- dsfiai vfilv xadwg öiidsxö fioi b naxrjq fiov ßaoiXsiav Lc. 22, 29 vor trefflich an die, diesem Abschnitt so nahe vorangegangenen, Worte nävxa fioi naqsöödrj vno xov naxqog fiov Mt. 11, 27 = Lc. 10, 22. — Als charakteristisch muss noch hervorgehoben werden, dass Lucas im ersten Theil der Rede Jesu 25. 26 sich zum Theil an die Form der Pa rallele in A hält, aber nur zum Theil, wie die abweichenden Ausdrücke svsqysxai 25 und vswxsqog 26 beweisen, womit sich übrigens schon die Quelle vielleicht an spätere Verhältnisse in der christlichen Gemeinde (vgl. Act. 5, 6. 10) anschliesst. Matthäus aber hat 19, 28 die ganze Stelle Lc. 22, 28 = 30 so verarbeitet, dass Lc. 28 in vfislg ol äxoXovdrjoavxig fioi, Lc. 29 und 30 (a) in iv xfj naXiyysvsolq , oxav xadiorj b viög xov ävdqwnov inl dqövov öök~rjg aixov und Lc. 30 (b) in xadiasads xat 1) Köstlin, S. 127. 10 1 48 Drittes Capitel. vfislg sni öwösxa dqövovg, xqivovxsg xdg öwösxa gpvXdgrov IoqarjX wie der zum Vorschein kommt. — Nachdem also Lucas diesen Abschnitt vor der Hand ausgelassen ,. nimmt er die Quelle wieder an einer Stelle auf, deren sachlichen Zusammenhang mit dem ihr vorangehenden wir na türlich nicht mehr mit Sicherheit bestimmen können. Zunächst liefert er 10, 25 — 37 eine Perikope, die er offenbar aus zwei ursprünglich ohne inneren Zusammenhang in A neben einander stehenden Abschnitten combinirt hat. Es folgte nämlich nun Lc. 25 — 28 die Erzählung vom vofiixög, die schon um ihrer Berücksichtigung bei Mt. 22, 35 willen in A gestanden hat. Auch das folgende Gleichniss vom Samariter Lc. 30 — 35 ist ganz im Charakter der übrigen Parabeln aus A gehalten und fügte sich in dieser Quelle nur vermöge einer äusseren Ideenassociation — gleichsam ad vocem nXrjoiov — an. Obwohl es an sich nichts weni ger, als eine illustrirte Definition des Begriffes nXrjaiov ist, hat doch Lucas durch die Verse 29. 36. 37 eine solche daraus machen wollen, wie die erkünstelte Gesprächs wendung, mit der das Gleichniss an den vorigen Auftritt angehängt wird, und die nichts weniger, als ächte oder natürliche Pointe, mittelst deren es wieder in die ganze Scene einge rahmt wird, beweisen.1 — Noch einmal anknüpfend an den Täufer erscheint hierauf 11,1 eine kurze Ueberschrift , die Veranlassung zur Mittheilung des Mustergebets 2 — 4 = Mt. 6, 9 — 13 wird, woran sich einige andere Reden Jesu über das Gebet Lc. 11, 5 — 8. 9 — 13 = Mt. 7, 7 — 1 1 anreihen. Lucas hat dieselben 5 mit xal stnsv nqog avTOvg ar- rangirt. — Von dem Verhältnisse Jesu gegenüber seinen Jüngern geht so fort A über zu der pharisäischen Opposition, deren, dem Wunderwir ken Jesu entgegengestellte, These iv toj aqxovxi xcZv öaiftoviwv ixßäX- Xsi xd öaiftövta wiederum eine historische Einleitung erforderte. Das betreffende, jedenfalls sehr kurze Stück aus ^/findet sich nirgends mehr rein, da es auch Lc. 11, 14 ff. nur mit der ausführlicheren Parallele aus A Mt. 9, 32 — 34. 12, 22 — 32 verschmolzen vorkommt. Dass aber in A Notiz genommen war von der Jesu zugemutheten Belzebulgenossen- schaft, geht namentlich aus der Akoluthie hervor, die sowohl bei Mat thäus, als bei Lucas unmittelbar an die so motivirte Apologie Jesu das Stück vom Zeichen des Jonas folgen lässt. Wo nicht, so musste man an nehmen , dass Matthäus und Lucas hier ihre Geschichtserzählungen aus der einen , ihre Reden aus der andern Quelle aufs Gerathewohl combi nirt hätten und in diesem Versuch, namentlich auch was die Anreihung der Sprüche vom Zeichen des Jonas betrifft, vollständig zusammenge troffen seien. Mit Recht lässt daher auch Ewald diese beiden Stücke 1) Weisse (Evangelische Geschichte, II, S. 147 f.), Köstlin (Evangelien, S. 275), Seh er er (Nouvelle revue, IV, S. 344 f.). Die zweite Hauptquelle. 149 in A schon ursprünglich neben einander stehen. J Die Verwicklung stammt aber daher, dass jedes von beiden Stücken auch in A eine Pa rallele hat, nur dass sie dort weiter von einander getrennt vorkommen. Es ist Dies die Rede gegen die Belzebulgenossenschaft, deren eigen thümliche Zubehör noch Mt. 12, 36. 37 und Lc. 11, 27. 28 erhalten ist, als Parallele zu Mr. 3, 20 — 30; und die Verantwortung wegen des geforderten Zeichens Lc. 11, 16. 29—32 = Mt. 12, 38—42, als Paral lele zu Mr. 8, 11 — 13. Zu beiden Reden hatte nun aber nach A ein Wunder, verrichtet das erstemal an einem stummen Dämonischen (vgl. S. 78), das zweitemal an einem Taubstummen (vgl. S. 85), Veranlassung gegeben. Nehmen wir an, dass auch in A zwei kurze Notizen (deren eine vielleicht, anstatt von einem Stummen, von einem Blinden redete) die beiden Reden motivirte, so erklärt sich durch die Kreuzung zweier differenter und aus zwei Quellen mitgetheilter Erzählungen leicht der Umstand, dass der Geheilte Mt. 9, 32 = Lc. 11, 14 dämonisch und stumm, Mt. 12, 22 aber stumm und blind, Mr. 7, 32 endlich taubstumm ist. Es ist Dies Folge der Combination von A 1) Mt. 9, 32 = Lc. 11, 14, 2) Mr. 7, 32 und von A 1) Mt. 12, 22, 2) Lc. 11, 14. 16. Uebri gens erkennt man daran, dass Lucas beide Vorfälle nicht einfach hin tereinander erzählt, sondern sowohl die beiden historischen Notizen, die in A vorangingen, in den Vers Lc. 11, 14 mitaufgenommen denkt, als auch die Forderung des Zeichens gleich vom Anfang der zweiten Ge schichte an den Anfang der ersten stellt Lc. 11, 16, wieder die schon einmal beobachtete Tendenz des Lucas, zwischen den unverbundenen Fragmenten von A einen Zusammenhang herzustellen. Freilich fällt dieser Versuch diesmal so aus, dass schon Strauss an der Darstellung des Lucas befremdlich finden konnte, wie Jesus, nachdem er in einer gewaltigen Rede gegen das Bedeutendere, die Beschuldigung wegen des Belzebul, gesprochen, und sogar nach der Lc. 11, 27. 28 berich teten Unterbrechung, die ihn zu ganz anderartigen Betrachtungen ver anlasst hatte, 2 wieder auf das Unbedeutendere , die längst vorher ge schehene Zeichenforderung, sollte zurückgegriffen haben.3 — Ganz sachgemäss schliesst sich übrigens diesen beiden antipharisäischen Stücken — da die von Mt. 5, 14. 15. 6, 22. 23 zerstückt wiedergege bene Rede vom Licht Lc. 11, 33 — 36 jedenfalls auf Anticipation be ruht (vgl. §. 13, Nr. 88. 109) — ein drittes an, die gewaltige Droh- 1) Evangelien, S. 226. — 2) Vgl. Ritschl: Evangelium Marcion's, S. 252 : »In dem Jesus , ungeachtet er hierdurch zu ganz anderen Gedanken angeregt wird, den noch auf die weit zurückliegende Forderung eines Zeichens zurückkommt , erscheint darin deutlich die fast systematische Anordnung des Schriftstellers, welcher zwei The mata voranstellt und dieselben nach einander behandeln lässt.« — 3) Leben Jesu, I, S. 714. 150 Drittes Capitel. rede gegen die Pharisäer 11, 37—54. Allein von hier ab kann man im mer deutlicher merken, wie Lucas die mangelnde Unterscheidung der Veranlassung, bei welcher die in A nur durch Sachordnung verbundenen, Aussprüche gesprochen wurden, durch eigenen Fleiss zu ersetzen sucht. Mit Unrecht erblickt man zwar in 1 1, 37 — 54 gewöhnlich einen Beweis, dass Lucas ein Stück der grossen antipharisäischen Schlussrede des Mat thäus, nämlichMt. 23, 4 (= Lc. 46). 13 (= Lc. 52). 23. 24 (= Lc. 42, aber den letzteren Vers hat Lucas ausgelassen). 25. 26 (= Lc. 39—41). 27. 28 (= Lc. 44). 29—36 (= Lc. 47 — 51), aus diesem ursprünglichen Context losgelöst und, weil Lc. 39 der Töpfe und Schüsseln Erwähnung geschieht , nach seiner Ansicht passend , in Wahrheit freilich sehr un passend, als bei einem Gastmahl gesprochen dargestellt habe. Wie diese Ansicht auf unhaltbaren Voraussetzungen über die matthäischen Com- positionen beruht, so würde sie auch immer nur den Anfang der Rede 39 — 42 erklären. Nein, die Rede selbst stand in dieser Abgrenzung hier in A, aber die Scenerie rührt allerdings von Lucas her und ist um der im Anfang erwähnten Essgeschirre willen gewählt,1 wobei man sich an die, im Hinblick auf Lc. 14, 7 — 11 getroffene, ebenfalls nicht über allen Anstand erhabene, ähnliche Scenerie 14, 1, sowie an 7, 36 erin nern muss, wie es überhaupt merkwürdig scheint, dass diese Rubrik — Worte Jesu, an pharisäischer Tafel gesprochen — nur bei Lucas, und bei Diesem so oft, sich findet. Ausserdem hat 11, 45 ganz den Anschein, zur Unterscheidung der drei vorangegangenen , den Pharisäern gelten den, und der drei folgenden, auf die Schriftgelehrten zielenden, Wehe rufe eingesetzt worden zu sein ;2 » so wie Lucas überall in den längeren Re den gern einige Ruheplätze bezeichnet un d zu dem Zwecke solche kleine Bemerkungen über den Fortgang und Wechsel der Reden einschaltet.«3 — Nicht minder schwierig ist gleich das Folgende 12, 1 — 12, was Baur nur als Compilation aus Matthäus begreiflich finden will. 4 Nicht blos finden sich 2 — 9 Parallelen zu der Instructionsrede Mt. 10, 26 — 33, sondern auch unvermittelt hingestellte Aussprüche, die sowohl Mat thäus anders stellt aus A (10 = Mt. 12, 32), als auch Marcus bei ganz anderen, und wie es scheint passenderen Gelegenheiten, mittheilt, wie 1) Strauss (Leben Jesu, I, S. 653 ff.), Gfrörer (Urchristenthum, II, 1, S. 243 ff), Ritschl (Evangelium Marcion's, S. 229). De Wette (Zu Marcus und Lucas, 1846, S. 88 : »Als Veranlassung der folgenden Reden führt Lucas die Verwun derung der Pharisäer, dass Jesus sich nicht vor dem Essen gewaschen , an. Aber offen bar sind sie an diesem Orte und zu dieser Zeit unschicklich und verletzen die Pflich ten der Gastfreundschaft. Daher ist es wahrscheinlich, dass Lucas oder sein Gewährs mann, im Gefühle, die Zusammenstellung Mt. 23 sei unhistorisch, diese Reden an ein pharisäisches Gastmahl verlegte). — 2) Gfrörer: Urchristenthum, II, S. 246. — 3) Ewald: Evangelien, S. 288. - 4) Evangelien, S. 475. Die zweite Hauptquelle, 151 namentlich das Wort nqoasxexs savxoig änö xfjg Cifirjg xwv Oagioalwv nach Lc. 12, 1 beim Ausgang aus dem pharisäischen Hause, wo man gegessen hatte, nach Mr. 8,15 dagegen bei der Ueberfahrt über das ga liläische Meer gesprochen wurde. Das Seltsamste dabei ist aber die Sce nerie, wornach die Pharisäer Jesu mit verfänglichen Fragen zusetzen, Jesus aber das Haus verlässt (11, 53. 54), indessen (iv oig 12,1) »My riaden (!) Volks« aussen sich sammeln, aus deren Mitte dann 12, 13 Einer eine Frage thut. Ein dem Schriftsteller bewusster Zusammenhang existirt also. Aber dass mitten in dieser , sich stossenden und tretenden (waxs xaxanaxslv aXXrjXovg) , Menge Jesus eine Rede an die Jünger halte, wie sie eher in der Abschiedsstunde begreiflich ist, dass er dabei dem wenigen Zusammenhängenden , was er beibringt, noch etliche ab gerissene Apophtheginata beigefügt haben soll, ist auf den ersten Anblick schwer denkbar. l Zwar wird die weitere Untersuchung zeigen , dass zwischen 1 und 2, sowie auch 2 — 9 ein gewisser Zusammenhang statt findet (§. 13. Nr. 90); auch mag 1 — 3 ganz passend als vor einer grossen Volksmenge gesprochen gedacht werden, da Jesus die zaghaften Jünger eben hierzu ermahnt, sich vor der Oeffentlichkeit nicht zu scheuen. Selbst Weisse, der zuerst die ganze Sentenzenreihe in verschiedene Nummern abtheilte,2 hat daher schliesslich anerkennen müssen, dass diese Sätze schon in A so verbunden waren. 3 Wir geben daher Köst lin Recht, wenn er die Verbindung 11, 53 — 12, 1 für zu bestimmt er klärt, als dass sie blos von dem Evangelisten herrühren sollte ; 4 aber so wohl hier, wie 11, 37 iv xcp XaXfjoai aixöv ist schwerlich mehr zu er mitteln, wie weit Lucas die kleinen Einleitungen der Quelle verlängert hat. Nur der allgemeine Zweck aller, in diesem Zusammenhang vor liegenden, Zusätze lässt sich angeben. Es ist nämlich die Art, wie die ganze Rede 1 — 12 an die Scenerie 1 geknüpft, und diese wieder durch 11, 53. 54 motivirt wird, während 11, 53. 54 auf 11, 37. 38, und diese Stelle ebenfalls wieder auf das unmittelbar Vorhergehende zurück sieht, kaum anders zu begreifen , denn als Product des, für Anreihung und gemeinsame Einrahmung eines möglichst umfassenden Materials besorgten, Schriftstellers. Der historische Hintergrund ist ein mehr scheinbarer, als wirklicher ; und Dies beruht darauf, dass der Quelle we nigstens ein grösserer Zusammenhang, wie ihn Lucas liebt, ganz abging. An das fir) ftsqifiväxs Lc. 1 2, 1 1 schloss sich dann in A ganz sach gemäss ein anderes fir) fisqifiväxs Lc. 12, 22 an, vorbereitet durch Lc. 12, 13—21. Sicher ist jedenfalls, dass der ganze Abschnitt Lc. 12, 1) Ritschl: Evangelium Marcion's, S. 257. — 2) Evangelische Geschichte, II S. 64 ff. — 3) Evangelienfrage, S. 148. — 4) Evangelien, S. 273 f. 152 Drittes Capitel. 22—13, 9, wie er dasteht, aus A stammt. Zuerst 12, 22 — 31 (= Mt. 6, 19 — 21. 25 -33) die Rede gegen das Trachten nach gegenwärtigen Gü tern, dann, durch das fir) cpoßov 32 eng an das fifj ftsxswqi^sods 29 an geschlossen, die zuversichtliche Verheissung des »Endgutes, «4 auf des sen Gewinn man sich rüstet durch Entsagen auf äussere Güter (33. 34) und durch Wachsamkeit. Dies führt auf die Gleichnissrede 35 — 40 (vgl. 39. 40 = Mt. 24, 43. 44) Die eingeschaltete Frage des Petrus 41 (xvqis nqog rjfiäg xfjv naqaßoXfjv xavxrjv Xiysig rj xal nqog nävxag) ver dankt zwar ihre Form dem Lucas, so gut wie die ganz ähnlich gebildete Rede 11, 45. Wenn daher Bleek mit Recht in der gemeinsamen Quelle die Sprüche sich folgen lässt ohne Unterbrechung,2 wie auch die Rede Jesu eigentlich ohne alle Berücksichtigung der Frage fortläuft,3 so ist doch zu zugeben, dass die Einschaltung von Lucas sehr geschickt angebracht wurde, da in der That alles Folgende 42—48 (vgl. 42 — 46 =Mt. 24, 45 — 51) eine Beziehung auf die Erfordernisse zulässt, die an einen Knecht zu stellen sind, der eine so ausgezeichnete Stellung einnehmen will, wie Petrus unter seinen Mitjüngern. 4 Die Veranlassung der Einschaltung 41 liegt aber, was bisher übersehen war, in A Mr. 13, 37, wo Jesus* nach einer ähnlichen Parabel vom Knechte sagt : o öi vfilv Xsyw näoiv Xiyw- yqrjyoqslxs — welche Stelle Lucas hier verwendet, dafür aber in der Parallele 21, 36 übergeht. Ziemlich eng an das so Berichtete schliesst sich das Vorgefühl an, das Jesus jetzt schon empfindet von den Prüfungen, die über alle Treuen ergehen werden 12, 49. 50. 51 — 53 = Mt. 10, 34—36. Mit diesem hellen Blick in die Zukunft contrastirt freilich um so greller das Unvermögen der Zeitgenossen, das, was wirk lich an der Zeit ist (Lc. 12, 54 — 57, mit Ausnahme des letzten Verses von Mt. 16, 2 . 3 bearbeitet) , vor Allem die Nothwendigkeit , mit Gott sich zu versöhnen (58. 59 = Mt. 5, 25. 26), zu erkennen. Die abgeris sene Manier der Quelle brachte es mit sich, dass die Pharisäer, die in den letzten Aussprüchen offenbar besonders genannt sind, jnicht aus drücklich als die Angeredeten genannt sind, 5 und auch Lucas hat dies mal versäumt, eine derartige ergänzende und orientirende Notiz einzu- flechten. — »Am wenigsten aber mögen die Heuchler sich damit trösten und zugleich täuschen, dass sie meinen, sie seien nicht so schuldig, wie Andere, die vor ihnen durch irgend ein dunkles Verhängniss fielen« — indem wir diesen, von Ewald richtig erkannten, 6 Zusammenhang zwi- 1) Ewald: Evangelien, S. 290. — 2) Synopsis, II, S. 189. Vgl. Gfrörer: Urchristenthum, II, 1, S. 251. — 3) Köstlin, S. 152 f. — 4) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 417. — 5) Ritschl: Evangelium Marcion's, S. 258. — 6) Evangelien, S. 292. Vgl. Köstlin, S. 273: »Der grosse Abschnitt 11 , 14—12, 59 ist mit der Perikope 13, 1 — 5 durch ein Iv airco rc5 xaiQcp so bestimmt verknüpft, dass wir an nehmen müssen, diese Verbindung sei dem Lucas bereits vorgelegen.« Die zweite Hauptquelle. 153 sehen 12, 54 — 59 und 13, 1 — 5 aufnehmen, verlegen wir auch das letz tere Stück nicht mit Ewald in A, wo es gar keinen Platz hat, sondern wir sehen darin wieder einen Beweis, dass auch in yl zuweilen, wo es schlechthin Noth that, historische Notizen vorkamen, wie denn Lucas die Nachricht 13, 1, von deren Specialitäten er wahrscheinlich so wenig wusste , als wir , nicht selbst erfunden haben kann. * An das navxsg waavxwg änoXslads endlich reiht sich 6—9 die Parabel an, welche die ganze alte Gemeinde einem unfruchtbaren Feigenbaum vergleicht, dem nur noch kurze Frist bis zum gänzlichen Abhauen vergönnt ist. Mit leicht erkennbarer Ideenassociation treten diesem Gleichnisse zwei an dere, gleichfalls dem Pflanzenreich entnommene, Bilder unmittelbar zur Seite Lc. 13, 18—21 = Mt. 13, 31 — 33. Denn, was dazwischen steht Lc. 13, 10 — 17, ist von Lucas aus einer anderen Quelle gebildet und hier eingesetzt, ohne Zweifel nur, weil die drei Jahre der Unfruchtbar keit des Hauses Israel ihn an die achtzehn Jahre, nach denen diese »Tochter Abraham« noch genesen ist, erinnerten, und er diese Ge schichte überhaupt nicht übergehen wollte. Einen treffenderen Be weis aber für die Richtigkeit der ganzen Construction könnten wir nicht finden, als den, dass das nächstfolgende Stück 13, 24 — 30 (vgl. Lc. 24 —27 =Mt. 7, 13. 22.23. Lc. 28. 29=Mt. 8, 11. 12 Lc. 30=Mt. 20, 16), das Lucas wieder auf seine Art in Scene setzt 22. 23, 2 in seinem gan zen Gedankeninhalt auf die Reden von der Wachsamkeit, auf die Bil der vom wartenden Knecht , überhaupt auf Lc. 12, 35 ff., sowie auf den, seit Lc. 12, 54 gleichfalls in's Auge gefassten Gegensatz zurückgreift und so diesem ganzen, grössten Redecyklus von A zum Abschluss verhilft. Ein neuer Abschnitt in A beginnt mit Lc. 13, 31 — 35 (34. 35 = Mt. 23, 37 — 39). Hier erscheint Jesus ziemlich am Schlüsse seiner gali läischen Wirksamkeit stehend. Mit einem der fragenden Pharisäer geht nämlich Jesus nacH Hause (Lc. 14, 1) auf dessen Einladung, die aber hinterlistig gemeint war (14, 2). Der nun folgende Auftritt stand jeden falls in A, vgl. Lc. 3. 5=Mt. 12, 10 — 12. Lucas aber nimmt jetzt aus der Scenerie 14, 1 Veranlassung, um weitere Redeabschnitte, die auch in A folgten, anzureihen; dieselben hatte er schon 14, 1 durch cpayslv aqxov vorbereitet und damit als Tischreden charakterisirt ; und zwar hat er sie so vertheilt, dass er die erste Partie 8 — 1 1 an die, in ihrem Thun nach den folgenden Reden charakterisirten , Gäste, die zweite 12 — 14 an den Gastwirth gerichtet sein lässt; die dritte aber Mt. 22, 1—14, die Lc. 14, 16 — 24 in freilich sehr veränderter Gestalt auftritt, wird wieder besonders motivirt durch eine herausfordernde Zwischenbemerkung 1 5, 1) Köstlin, S. 230 f. — 2) Ewald: Evangelien, S. 293. 154 Drittes Capitel. die in A vielleicht indicirt, jedenfalls aber ganz in der Art des Lucas gehalten ist. So ist also aus einer Reihe von Fragmenten, die in A, wo fern sie sich schon dort aneinander anschlössen , diese ihre Zusammen ordnung nur einer ganz allgemeinen Ideenassociation verdanken, unter der Redaction des Lucas eine langgesponnene Tischunterhaltung am Sabbat geworden. Wie lose die ganze Anknüpfung ist, ersieht man be sonders an 1 2 , wodurch eine Rede , die nach 7 blos als Gleichniss zu verstehen ist , in eine buchstäblich gemeinte Tafelordnung verwandelt wird. Auch die Erwähnung der »Hochzeit« 8 weist offenbar auf etwas Anderes hin, als auf das einfache Gastmahl, welches 1 erwähnt war. l Auf den , sonst von den Auslegern hervorgehobenen, Anstand von we gen der Höflichkeit wollen wir hier, so wenig als Lc. 11, 37. 38 Ge wicht legen. Auf die Parabel von den zum Theil sich entschuldigenden, zum Theil offen widersetzlichen Gästen folgt in A das Stück Lc. 14, 25 — 33, handelnd von der erforderlichen inneren Qualification zum Jün ger Jesu. Davon sind Mt. 10, 37. 38 blos die Verse 26. 27 aufgenom men. Damit waren eng verbunden die beiden zusammengehörigen Sprüche vom Salz und vom Licht , beide mit Bezug auf die Jünger ge sprochen; jeder dieser Sprüche trug eine warnende Beifügung nach sich : wenn aber das Salz dumm wird , wenn nun das Licht Finsterniss wird — was dann?2 Lucas hat 14, 34. 35 blos das vom Salz, weil 11, 34 — 36 das andere anticipirt war. Matthäus aber hat 5, 13 — 15 beide Worte, wiewohl stark alterirt, doch noch in der richtigen Folge be halten. Wir sind hiermit in denjenigen Regionen von A angelangt, wo sowohl der Faden , den wir an Lucas für Bestimmung der Reihenfolge dieser Abschnitte haben, immer dünner und unzuverlässiger wird, als auch in dieser zweiten Quelle selbst mehr und mehr nur noch das Be streben, eine gewisse Sachordnung inne zu halten, als die Ausführung dieses Strebens nachweisbar ist. Wenn Belehrung der Jünger über ihr künftiges Geschick und Opposition Jesu wider den pharisäischen Juda ismus zwei Hauptgesichtspunkte waren, um die sich der zuletzt gege bene Stoff ansetzte, so gehören hierher auch Stellen, wie einerseits Mt. 10, 23 — 25, wovon Lc. 6, 40 nur den mittleren Vers beibehalten hat, und andererseits Mt. 15, 13. 14, wovon Lc. 6, 39 nur die letzte Hälfte hat, ferner Mt. 5, 18 = Lc. 16, 17, Mt. 5, 32 = Lc. 16, 18, sowie auch Lc. 5, 39, welchen vereinzelten Spruch Matthäus ganz über geht, während ihn Lc. schon 36 durch xai Tip naXaicp oi ovficpwvrjosi rö dnö tov xaivov vorbereitet. Es wird nun überhaupt schwieriger, die Verarbeitung des Lucas vom Original nach Form und Ausdehnung der 1) Ewald: Evangelien, S. 295. — 2) Ewald: Evangelien, S. 212, Die zweite Hauptquelle. 1 55 folgenden Stücke zu trennen. Dass nach Lc. 14, 25 die ganze nun fol gende Reihe von Sprüchen geredet worden sein soll, als Jesus viele Nachfolger auf .seiner Reise bemerkte, ist eine kurze Anknüpfung, die nur wieder dem bei Lucas mehrfach wahrgenommenen horror vacui ent stammt ist. Ebenso lose ist 15, 1 — 3 die, aus dem Folgenden ganz von selbst sich ergebende, gar nichts Neues bietende, Einleitung zu den drei Gleichnissen vom Verlorenen. Die beiden ersten hängen nicht blos dem Sinne , sondern auch der Farbe der Rede nach so unverkennbar zusammen, dass sie Beide auch um des Gebrauchs, der Mt. 18, 12 — 14 davon gemacht ist, in A gestanden haben müssen.1 Gehört aber Sach ordnung überhaupt zu dem Charakter von A, so würde nichts im Wege stehen, das dritte Gleichniss auf dieselbe ursprünglichste Quelle zurück zuführen, wenn nicht die Thatsache, dass Mt. 21, 28 — 30 jedenfalls in A stand, es wahrscheinlich erscheinen Hesse , dass wir in Lc. 15, 11 — 32 eine andere und ausgeführte Gestalt der dort gesetzten Anlage vor uns haben. Einmal in der Erzählung von Gleichnissen begriffen, geht der Ver fasser der Redesammlung zu dem Bilde vom ungerechten Haushalter über 16, 1 — 12,2 von dem Mt. 6, 24 nur der Schluss Lc. 16, 13 aufge nommen ist. Hier, sich anschliessend an das iv iXax'iaxw nioxöv slvai 16, 10 — 12, war wohl auch der ursprüngliche Ort für das, jedenfalls aus ^stammende, Gleichniss Lc. 19, 11—27 = Mt. 25, 14—30, wodurch jener Gedanke commentirt wird. Endlich aber scheint der Faden einer planmässigen Vertheilung und sachlichen Ordnung völlig abzureissen, und Lucas, der bisher stets einen gewissen Pragmatismus darzustellen bemüht war, nur 16, 14 noch einen misslungenen Versuch zu machen, das nun folgende Stück, das mit dem Geize gar nichts zu thun hat, mit dem vorhergehenden dadurch zusammenzubinden, dass er es, als auf die (Daqtoaloi opiXäqyvqoi vnäqxovxsg gemünzt betrachtet3 — aus keinem andern Grund, als weil 15 wirklich an die Pharisäer adressirt, und 14 von Geiz und Reichthum die Rede ist. Wir mussten demnach anneh men, dass im Folgenden die rein aphoristischen Partien von A beginnen, und so folgen sich denn auch Lc. 16, 16 — 18 die dicta förmlich ag- glomeratmässig. Namentlich ist zwischen 1 7 und 1 8 keine andere Co- pula vorhanden, als die allgemein logische des Fortschritts vom genus zur species. Köstlin, der in diesen paar Versen einen geschlossenen Gedankengang erkennen will, braucht doch zwei ganze Seiten, um alle 1)E wald: A. a. O. S. 297. — 2) Köstlin, S.219: »Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Schriftsteller, der so wohl abgerundete und fliessende Reden, wie des Paulus in Athen und Milet verfasst hat, das Gleichniss vom ungerechten Haushalter nebst sei nen schwierigen und, was den Zusammenhang betrifft , so undurchsichtigen Zusätzen selbst gebildet.« — 3) Gfrörer: Urchristenthum, II, 1, S. 273. j56 Drittes Capitel, die Mittelglieder aufzuführen, deren er behufs einer erträglichen Ideen- association bedarf. * Mit Recht hat vielmehr Strauss hier von einem blos lexikalischen Zusammenhang ad vocem vöfiog gesprochen.2 — Aber wir dürfen nur auf das S. 144 f. über die Parallele zu Lc. 16, 16 Entwickelte zurücksehen, um zu bemerken, dass nicht der Zusammen hang von A es ist, dessen Strom hier völlig in Sand verläuft; vielmehr beeilt sich Lucas, der jetzt eben daran ist, die zweite Quelle wieder zu zuschlagen, alle bedeutenderen Stellen der Redesammlung, die er aus irgend welchen Gründen bisher übergangen hatte, nachzutragen, und so werden wir wohl ein Recht gehabt haben, nicht blos S. 145, Lc. 16, 16 = Mt. 11, 12. 13, sondern auch Lc. 16, 17 = Mt. 5, 18 und Lc. 16, 18 = Mt. 5, 32 als an früheren Stellen von A gelegentlich vorgekom men und hier von Lucas in bedeutend verkürzter Gestalt nachgetragen zu betrachten. — Dann macht zwar das Intermezzo Lc. 16, 16 — 18 immerhin dem fleissigen Sammler mehr Ehre, als dem gewandten Schriftsteller; um so näher schliesst sich aber in A selbst Lc. 16, 19 — 31 an Lc. 16, 15, als an die Ueberschrift der Parabel an; um so ge schlossener ist auch, wenn wir von da auf 16, 1 — 13 zurückblicken, die, in lauter Gedanken über irdischen Reichthum sich fortbewegende, Ideenassociation dieser ganzen Partie von A, und um so berechtigter erscheint Lucas mit seiner Adresse an die Oaqioaloi qpiXdqyvqoi vnäq- %ovxsg 16, 14. Durch die Abschweifung 16 — 18 war übrigens Lucas alsbald an einem Punkte angekommen, wo der Weg eines planmässigen Fortschritts völlig auszugehen schien ; er blickt daher noch einmal auf den letzten sicheren Ort zurück, auf welchen ihn ein erkennbarer Prag matismus der Quelle geführt hatte, auf 16, 13.14. Indem er nun die Stellung von 15 — 18 gleichsam preisgibt, fügt er jetzt das Gleichniss vom reichen Mann 19 — 31 an, welches er eigentlich gleich nach 14 hätte bringen sollen. So gut nämlich, als die ausgeführten Gleichnisse Lc. 11, 16—24 = Mt. 22, 1—14 und Lc. 19, 11—27 = Mt. 25, 14 — 30, kann auch dieses, an A Lc. 12, 16 — 21 erinnernde, Bild ursprüng lich in dieser parabelreichen Quelle zuerst aufgezeichnet gewesen sein. Der Faden von A aber ist und bleibt nunmehr für Lucas verloren. Schon 17, 1 — 4 versucht Lucas geradezu wieder einen Rückweg zu A. Nachträglich bringt er zwar noch mehrere Stellen aus A an , die aber unter sich so wenig zusammenhängen, als Lucas ihnen einen Zusam menhang zu geben vermag, nämlich Lc. 17, 5. 6 (= Mt. 17, 20). — 7 — 10. 20—37 (vgl. zu 23. 24 Mt. 24, 26. 27; zu 26. 27 Mt. 24, 37—39; zu 33 Mt. 10, 39; zu 34. 35 Mt. 24, 40. 41). 18, 1—8 (welches Gleichniss um so gewisser aus A ist, als Lucas, der manchmal, und gerade 1) Evangelien, S. 149 f. 271 f. - 2) Leben Jesu, I, S. 607. Die zweite Hauptquelle. 157 wo er sich freier bewegt (19, 11 Act. 1, 7), gegen ein zu frühes Erwar ten der Parusie spricht, diese Parabel unmöglich componirt haben kann1). 18, 9 — 14 (wovon nur der Schlussvers bei Mt. 23, 12 sich er halten hat). »Beide hier stehende Parabeln werden von Lucas mit kur zen Einleitungen versehen , die über die Zeit und Situation derselben gar nichts anzugeben wissen, sondern sich blos auf ihren didaktischen Zweck beziehen und ganz das Ansehen haben, als sollten hier, ehe mit Vers 1 5 die mit den übrigen Evangelien Hand in Hand gehende Ge schichtserzählung wieder beginnt, diese zwei Stücke noch an einem Orte, wo sie letztere nicht unterbrechen, nachgetragen werden.«2 Dass aber Lucas, nachdem er schon 17, 1 — 4 A wieder aufgenommen hat, noch einmal zu A zurückkehrt, kann nicht befremden, da ihm noch ei niger Stoff auffallen konnte, der schlechterdings vor A Mr. 10,1 seine Stelle finden musste. Kommt es doch auch sogar nach Lc. 18, 14 noch zweimal vor, dass Lucas auf A zurückgreift, zuerst Lc. 19, 11 — 27 = Mt. 25, 14—30, dann aber Lc. 22, 24—30, welche Stelle schon S. 147 f. erklärt ist. Der Uebergang von A zu A ist also im Lucas ein allmäli- ger, und die Spruchsammlung verlief in ihren letzten Partien in eine Sammlung von Gleichnissen , von welchen einige — wie schon gezeigt — bei Matthäus und Lucas zugleich Aufnahme gefunden haben. Eben desshalb mögen aber auch solche Parabeln, die nur bei Matthäus stehen, wie Mt. 18, 23— 35. 20,1 — 16.25,1 — 13, ferner Mt. 13, 24— 30, die ausgeführtere Parallele zu A Mr. 4, 26 — 29, und das ur sprünglich daneben gestandene3 Gleichniss Mt. 13, 47 — 50, ja auch Mt. 13, 44 — 46 in dieser Quelle ihre Stelle gehabt haben, und Mt. 13, 52 wäre zugleich der passendste Schluss für das ganze Werk, da ja die, auch von Ewald in A verlegte, 4 Stelle schon wegen der Eigenthüm- lichkeit, mit welcher Jesus hier, wie 23, 34 von Schriftgelehrten des Gottesreiches redet, aus A sein muss. 5 §. 11. Quellen des Matthäus und Lucas. Aber auch, nachdem wir das Gemeinsame aller drei Synoptiker auf A, das der beiden Seitenreferenten auf A zurückgeführt haben, bleibt noch eine ziemliche Reihe von Abschnitten im Matthäus und Lucas zu rück, die eben nur dem einen betreffenden Evangelium angehören und zur Nachfrage nach etwaigen weiteren Quellen neben A und A Veran lassuno- geben. Wir geben zunächst zwei Tafeln über die, nach Abzug 1) Köstlin, S. 219. — 2) Köstlin, S. 270 f. — 3)Ewald: Evangelien, S. 234. — 4) Evangelien, S. 236 f. — 5) Köstlin, S. 58. 1 58 Drittes Capitel. des Gemeinsamen von Dreien oder Zweien noch im Rest bleibenden, Partien. I. Eigenthümlichkeiten des Matthäus. 1) Die Geburtsgeschichte der beiden ersten Capitel. 2) 3, 14. 15 die anfängliche Weigerung des Johannes, Jesum zu taufen. 3) 4, 14—16. Citat des Matthäus zu der Nachricht A Mr. 1, 21 vom Wohnsitze Jesu in Kapernaum. 4) Aus der Bergpredigt sind ohne Parallelen die Stellen 5, (14.) 16. 17. 19—24. 27. 28. (31.) 33—38. 6, 1—8. 16—18. 34. 7, 6. 15. 21. 5) 8, 17. Das Citat zu Jesu Krankenheilungen. 6) 9, 27 — 31. Heilung zweier Blinden. 7) In der Instructionsrede fehlen Parallelen zu 10, 5. 6. 8 (b). 23. 25. Davon kommt aber 5. 6. 8 (b). 23. 25 auf Rechnung von A (S. 145 f.). 8) 11, 28 — 30. Aufruf an die Mühseligen. Aus A, von Lucas aus gelassen (S. 147). 9) 12, 5 — 7. Die den Sabbat nicht brechenden Tempeldiener. Aus A (S. 73). 10) 12, 17 — 21. Alttestamentlich.es Citat. 11) 12, 33. 36. 37. Von der Verantwortung für das Wort. Aus A (S. 149). 12) In der Parabelrede stehen eigenthümlich die Verse 13 , 24 — 30. 36 — 52: Einige Gleichnisse und das alttestamentliche Citat 35. Aus A sind die Verse 24—30. 44—50. 52 (S. 157). 13) 14, 28—32. Petrus wandelt auf dem Meer. 14) 15, 12. 13. Die auszurottenden Pflanzen. Ist aus A (S. 154). 15) 16, 17 — 19. Petrus erhält die Schlüssel des Himmelreichs. 16) 17, 24—27. Der Stater im Munde des Fisches. 17) 18, 15—20. Kirchenzucht. 18) 18, 23 — 35. Gleichniss vom unbarmherzigen Schuldherrn. Viel leicht aus A (S. 157). 19) 19, 11. 12. Von den Ehelosen. Aus A (S. 90). 20) 20, 1 — 16. Parabel von den Arbeitern im Weinberg. Vielleicht aus^i(S. 157). 21) 21, 4. 5. Alttestamen tliches Citat. 22) 21, 14—16. Kinder im Tempel. 23) 21, 28 — 32. Parabel vom gehorsamen und vom ungehorsamen Sohn, Ist aus A (S. 155). 24) 22, 1 — 14. Parabel vom königlichen Gastmahl. Aus A (S. 153). Quellen des Matthäus und Lucas. 1 59 25) Aus der Hauptrede gegen die Pharisäer sind ohne Parallelen 23, 2. 3. 5. 8—12. 15—22. 24. Nur der letzte Vers ist sicher aus A (S. 150). 26) In der eschatologischen Rede sind ohne Parallelen nur wenige eingeschobene Worte in Cap. 24, ausserdem der Vers 24, 12, vor Allem aber das ganze Gleichniss von den 10 Jungfrauen 25, 1 — 13 und die Beschreibung des jüngsten Gerichtes 25, 31—46. Das Gleichniss 15, 14 — 30 ist jedenfalls aus ^4 bearbeitet (S. 155); das andere 25, 1 — 13 vielleicht ebenfalls (S. 157). 27)26, 1. 2. Leidens Weissagung. Kommt nur zum Theil auf Rech nung von A Mr. 14, 1 = Lc. 22, 1. 2. 28) 26, 52 — 54. Jesus verbietet den Gebrauch des Schwertes. 29) 27, 3 — 10. Ende des Judas. 30) 27, 19. Die Frau des Pilatus. 31) 27, 24. Das Händewaschen. 32) 27, 51—54. Erdbeben. 33) 27, 62—66. 28. 2—4. Die Wache am Grabe. 34) 28, 9. 10. Die Weiber am Grabe. Ungewiss, wie weit aus A (S. 99). 35) 28, 11 — 15. Bestechung der Hüter. 36) 28, 16 — 20. Der Auferstandene in Galiläa. Wahrscheinlich bil dete dieser Abschnitt den Schluss von A. (S. 99). II. Eigenthümlichkeiten des Lucas. 1) Eine, von Matthäus differirende, Vorgeschichte in den beiden ersten Capiteln. 2) 3, 1. 2. Chronologische Studie des Lucas. 3) 3, 10 — 14. Erweiterung der Rede des Täufers. 4) 3, 23—38. Geschlechtsregister. 5) 4, 16 — 30. Auftreten Jesu in Nazareth. 6) 5, 1 — 11. Berufung von 4 Aposteln auf einmal. 7) 7, 11 — 17. Der Jüngling zu Nain. 8) 7, 36 — 50. Die grosse Sünderin. 9) 8, 1 — 3. Jesu Reisebegleitung. 10) 9, 51 — 56. Reise durch Samarien. 11) 9, 61. 62. EinCompetent um das Himmelreich. Aus A (S. 145). 12) 10, 1. 17—20. Aussendung und Rückkehr der 70 Jünger. We nigstens 17 — 20 aus A (S. 146 f.). 13) 10, 25 — 37. Gleichniss vom barmherzigen Samariter. Aus A (S. 148). 14) 10,38 — 42. Maria und Martha. 15) 11,5—8. Gleichniss vom anhaltenden Gebet. Aus A (S. 148). 1 ßO Drittes Capitel. 16) 11, 27. 28. Preis der Mutter Jesu. Aus A (S. 149). 17) 12, 13—21. Der Erbstreit. Aus A (S. 151 f.). 18) 12, 32. 33 (a). Die kleine Heerde. Aus A (S. 152). 19) 12, 35 — 38. Eschatologische Reden. Aus A (S. 152). 20) 12, 41. Frage des Petrus. 21) 12, 47. 48. Der Knecht, der doppelte Streiche leiden muss. Aus^(S. 152). 22) 12, 49. 50. Feuer und Taufe. Aus A (S. 152). 23) 13, 1 — 5. Die hingerichteten Galiläer. Aus A (S. 152 f.). 24) 13,6 — 9. Gleichniss vom Feigenbaum. Aus A (S. 153). 25) 13, 10 — 17. Heilung des contracten Weibes. 26) 13, 22. Reise nach Jerusalem. 27) 13, 31 — 33. Versuch der Pharisäer, Jesum aus Galiläa zu locken. Aus A (S. 153). 28) 14, 1 — 15. Gastmahl der Pharisäer und Heilung eines Was sersüchtigen. Der Hauptsache nach aus A (S. 153). 29) 14, 16—24. Gleichniss von den geladenen Gästen. Der Haupt sache nach aus A (S. 153 f.). 30) 14, 28 — 33. Gleichnisse vom Thurmbauen und Kriegführen. Ist, wie das Vorhergehende und Nachfolgende, aus A (S. 154). 31) 15, 8 — 10. Gleichniss vom verlorenen Groschen. Aus A (S. 155). 32) 15, 11—32. Gleichniss vom verlorenen Sohn. Entweder selbst in A, oder andere Gestalt eines Gleichnisses in A (S. 155). 33) 16, 1 — 12. Gleichniss vom ungerechten Haushalter. Aus A (S. 155). 34) 16, 14. 15. Gegen Stolz und Geiz der Pharisäer. Aus A (S. 155 f.). 35) 16, 19 — 31. Vom reichen Mann und armen Lazarus. Aus A (S. 156). 36) 17, 7 — 10. Warnung vor Lohnsucht. Aus^(S. 156). 37) 17, 11 — 19. Der dankbare Samariter. 38) 17, 20—23. Vom Reiche Gottes. Aus A (S. 156). 39) Aus der eschatologischen Rede 17, 23 — 37 sind ohne Parallele die Verse 25. 28. 29. 32. Aus A (S. 156). 40) 18, 1 — 8. Gleichniss vom ungerechten Richter. Aus^(S. 156). 41) 18, 9 — 14. Gleichniss vom Pharisäer und Zöllner. Aus A (S. 157). 42) 19, 1—10. Zakchäus. 43) 19, 11 — 27. Gleichniss von den anvertrauten Pfunden. Aus A (S. 155). 44) 19, 39 — 44. Jesus weint vor Jerusalem. Quellen des Matthäus und Lucas. 161 45) 22, 24 — 30. Ein neuer Rangstreit. Der Sache nach aus A (S. 147 f.). 46) 22, 31. 32. Verwarnung des Petrus. 47) 22, 35 — 38. Die Jünger sollen Schwerter kaufen. 48) 23, 2 — 5. Verhandlungen vor Pilatus. 49) 23, 6—12. Sendung zu Herodes. 50) 23, 13—16. Prozess vor Pilatus. 51) 23, 27 — 31. Rede an die Weinenden. 52) 23, 34. Fürbitte. 53) 23, 39 — 43. Gespräch mit dem Schäch«r. 54) 23, 46. Das letzte Wort. 55) 24, 9 — 12. Die Frauen und die Jünger. 56) 24, 13—49. Der Auferstandene. 57) 24, 50-53. Die Himmelfahrt. Die aufgezählten Abschnitte vertragen , so weit sie nicht A oder A angehören , keine Beurtheilung a priori. Aber aus der inneren Ana lyse beider Evangelien, wie sie §. 12 und §.13 folgt, sowie aus den Un tersuchungen über den Sprachgebrauch §.19 lässt sich das Resultat an- ticipiren , dass sowohl bei Matthäus , als bei Lucas die weitaus grösste Masse des aus AunäA nicht abzuleitenden Stoffes auch auf keine weite ren schriftlichen Quellen zurückzuführen, sondern als schriftstellerisches Product der beiden Evangelisten zu betrachten ist. Nur dadurch, dass wir ein nicht unbeträchtliches Quantum des Inhalts beider Evangelien auch als wirkliches Eigenthum des Matthäus und Lucas, als durch ihre Feder zum erstenmal schriftlich gewordenen Stoff anerkennen, entgehen wir ja auch jenem gerechten Bedenken, das sich an die ersten Urevan- gehumshypothesen knüpfte : warum schreibt Einer überhaupt, wenn er nur abschreibt? In der That sind von den aufgezählten Abschnitten des Matthäus so zu beurtheilen fast die ganze Vorgeschichte und die Nummern 2. 6. 13. 16. 22. 28 — 33. 35, 1 von denen des Lucas die Nummern 3. 5 — 10. 14. 25. 37. 42. 44. 46—57. Bestimmte Spuren kleinerer schriftlicher Quellen lassen sich besonders in den beiden Ge nealogien nachweisen ; eine Quelle von eigenthümlich kirchlicher Fär bung bei Matthäus für die Nummern 15 und 17. Auf Rechnung der schriftstellerischen Manier kommt bei Lucas Nr. 2. 20, bei Matthäus Nr. 3. 5. 10. 21. 27. Unaufgehellt wird bleiben, woher bei Matthäus der Stoff geflossen, der den wesentlichen Inhalt der Bergpredigt Nr. 4 und zum Theil auch 1) Vgl. für die letzten Partien das übereinstimmende Urtheil von Köstlin (S. 84) und Hilgenfeld (Evangelien, S. 105). Holtzmann. 1 1 162 Drittes Capitel. der antipharisäischen Rede Nr. 25 bildet. Auf diesen beiden Punkten ist das erste Evangelium eigentlich allein original. Schon Bunsen fand, dass Mt. 23, 2—4 sich an den Ton und die Richtung der Berg predigt anschliesst, nämlich eben an die, ausser A zu liegen kommende, Substanz derselben ; 4 es mag daher leicht ein und dieselbe Quelle an beiden Stellen verarbeitet worden sein. Ebenso macht bei Lucas der Inhalt der grossen Einschaltung Schwierigkeit und wird niemals in allen Einzelnheiten quellenmässig vertheilt werden können. Während aber wahrscheinlich die zweifelhaf ten Stücke aus derselben Quelle sind , wie die ganze Umgebung, d. h. aus A, lässt sich Dies in Bezug auf einzelne Abschnitte aus Cap. 10 (Nr. 14) und Cap. 13 (Nr. 25. 26) schwerlich annehmen; sie müssen da her zum Eigenthum des Lucas gerechnet werden. Unseren Resultaten zufolge verhält es sich daher mit den synop tischen Geschichtsquellen folgendermaassen : I. Schriftliche Quellen : 1) Allen drei Evangelien liegt gemeinsam zu Grunde und liefert den Hauptstoff die Quelle A. Verhältnissmässig am ausführlichsten ist sie benutzt von Marcus, am wenigsten von Lucas. 2) Die Redesammlung A, die in der gleichen griechischen Form von Matthäus und Lucas gebraucht wurde, von Diesem jedoch noch mehr, als von Jenem. 3) Eine unbestimmte , jedoch auf keinen Fall bedeutende, Anzahl kleinerer schriftlicher Aufzeichnungen. Am deutlichsten lassen sich unterscheiden die Genealogien. Man versuchte frühzeitig einen genea logischen Nachweis für die Befähigung Jesu , als Davidssohn aufzutre ten; in diesen Versuchen ging man auf Joseph zurück, weil dieselben ebionitischen Ursprungs waren. Ausserdem ist eine andere Quelle er kennbarer Weise verarbeitet in Mt. 5 und 23, eine weitere in der Vor geschichte des Lucas. Auch in die grosse Einschaltung des Lucas mag Manches aus einem kleinen schriftlichen Aufsatze gedrungen sein , und Hessen sich in dieser Beziehung z. B. die beiden Geschichten Lc. 13, 10 — 17. 19, 1 — 10 zusammenordnen, da die Abrahamstochter 13, 16 und der Abrahamssohn 19, 9 schwerlich der Conception des Lucas ent stammten. 2 II. Die mündliche Quelle der Ueberlieferung, die bereits in sehr differenter Gestalt anzutreffen war , als unsere Synoptiker sich darnach umsahen. Ihr sind entnommen alle anekdotenartige Einfügungen, die Matthäus und Lucas in den Zusammenhang der ersten Quelle herein- 1) Bibelwerk, I, 4 , S. 75. — 2) Köstlin (Evangelien, S. 228 f.), Hilgenfeld (Evangelien, S. 207). Quellen des Matthäus und Lucas. 163 schieben; und zwar nicht blos kleine Dicta Jesu, sondern auch ganze Geschichten , wie die vom Stater bei Matthäus , von der Sendung zu Herodes bei Lucas. Diese Quellen vertheilen sich folgendermaassen auf die einzelnen Synoptiker : 1) Marcus erklärt sich vollständig unter Zugrundelegung von nur einer Quelle, nämlich von A (vgl. S. 107 ff.). 2) Matthäus legt A zu Grunde , schaltet aus der Tradition und be sonderen kirchlichen Strömungen derselben bald einzelne Notizen, bald Redetheile und Geschichten ein , vornehmlich aber unterbricht er den Zusammenhang von A durch kleinere Einschaltungen und grössere Compositionen aus A. Doch ist gerade die erste und grösste dieser Cöm- positionen , die Bergpredigt , nicht blos aus A und A zu erklären, son dern fordert noch die Zuhülfenahme einer kleineren, unbestimmbaren Quelle, wie namentlich das Mt. 5 Gesagte zum Theil ein geschlossenes Ganzes gebildet haben mochte, das aber jedenfalls einen viel kleineren Raum einnahm, als jetzt seine, mit Steinen aus A und A vermischten Trümmer.1 Die Behauptung Ritschl's, es lasse sich die griechische Originalität der sämmtHchen Quellen des Matthäus nicht halten , 2 ist darauf zu reduciren , dass die hebräische Ursprache sich nur von der Genealogie nachweisen lässt. 3) Lucas, dessen Grundstamm früher Ritschl als blos der Tradi tion entsprossen darzustellen versuchte,3 setzt am sichersten schriftliche Quellen voraus. Es fragt sich aber sehr: welche? Dass Lucas unser er stes kanonisches Evangelium gekannt habe, ist schon von Ritschl,4 Reuss,5 Ewald,6 zuletzt noch von Plitt7 und Weiss8 mit Ent schiedenheit in Abrede gestellt worden. Wer Lucas 2, 39 schreiben konnte, in dessen Horizont war die Vorgeschichte des Matthäus schwer lich gelegen. Wer ein Geschlechtsregister kannte, demzufolge Jesus aus der königlichen Linie Davids stammte, der wird schwerlich geglaubt haben, etwas Besseres zu leisten, wenn er eine Seitenlinie beschrieb. Nirgends in der Composition des Lucas wird sich uns die Nothwendig keit eines Seitenblickes auf Matthäus erweisen ; und schon diese Wahr nehmung genügt vollkommen. Alle Stellen, die Lucas mit Matthäus über A hinaus gemein hat, stammen aus A und erklären sich in der That auch nur so, da man, wofern Matthäus zu Grunde gelegen hätte, annehmen musste, dass Lucas den schön geschlossenen Zusammenhang der matthäischen Kunstwerke fast muth willig durchbrochen hätte , wie 1) "Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 39. — 2) Theologische Jahrbücher, 1851, S. 538. — 3) Evangelium Marcion' s, S. 276. — 4) A. a. O. S. 273 ff. - 5) Ge schichte, S. 191. — 6) Jahrbücher, II, S. 221. — 7) De evangeliorum compositione, S. 6. 12. — 8) S. 78 ff. 11* •[64 Drittes Capitel. ihm denn auch De Wette einen derartigen Zerstörungstrieb förmHch beilegt. 1 Unnatürlich im höchsten Grad wäre es gewesen, wenn Lucas förmHch darauf ausgegangen sein sollte , die schön verbundenen Rede- cyklen in ihre Elemente aufzulösen, sie in einzelne Spruchfragmente zu zerreissen und dann diesen besondere Veranlassungen anzudichten. Was Köstlin zur Beseitigung des weiteren Anstosses, dass Lucas ganz unmotivirt vielen brauchbaren Stoff aus Matthäus weggelassen haben musste, beigebracht hat,2 erklärt die Sachlage nicht rund und bündig, wie überhaupt die ganze Partie des Köstlin'schen Buches, die das Verhältniss des Lucas zu Matthäus bespricht, zu den quälendsten, in endlose Willkür sich verlierenden Experimenten der Tendenzkritik gehört. Wir fragen noch: warum hat Lucas die Geschichte vom Stater Mt. 17, 24 — 27 übergangen? warum bleibt Lucas bei Marcus stehen in Erzählungen, wo Matthäus 12, 5—7. 33-37. 16, 17 — 19. 27. 18, 3. 4. 19, 28. 21, 28—30 Ausführlicheres bietet? warum erzählt er dagegen mit Marcus ausführlicher als Matthäus die Geschichten vom Gadarener, vom Jairus, von der Kindersegnung, vom Blinden zu Jericho? warum erzählt er die Parabel von den Talenten nicht so einfach, wie Mt. 25, 14 — 30? — Alle diese Beobachtungen haben schon De Wette veran lasst, wenigstens eine kürzere Redaction des Matthäus als Quelle des Lucas anzunehmen;3 noch weiter geht Meyer, der sich mit der Behauptung hilft , dass Lucas in seinem Verhältnisse zu unserem kano nischen Matthäus mit kritischer Selbstständigkeit zu Werke gegangen sei, dass er den Matthäus überhaupt nur stellenweise herbeiziehe und oberflächlich benutze. 4 Aber in Wahrheit ist Dies blos eine Ausflucht, zu der Meyer genöthigt ist, weil er sich das Verhältniss der zweiten Quelle zu Lucas nicht klar gemacht hat, daher auch nicht im Stande ist, den Grund der Uebereinstimmung zwischen Matthäus und Lucas zu begreifen. Der lange Streit der Kritiker, ob Matthäus von Lucas, oder Lucas von Matthäus abhängig gewesen ist, ist also auf unserem Standpunkte einfach dahin zu entscheiden , dass weder das Eine , noch das Andere auch nur möglich, geschweige denn wahrscheinlich ist. Die paralle len Darstellungen des Matthäus und Lucas sind, soweit sie gegen einan der eine verschiedene Gestalt von A bilden , die Producte zweier von einander unabhängiger Verfasser. Dies zu beweisen wird die Analyse beider Evangehen (§§. 12. 13) hinreichen, wo man keinen Fall wird nach- - 1) Einleitung, II, S. 175. — »Vorliebe für das Abgerissene und Unzusammenhän gende«—! — 2) Evangelien, S. 178 ff. — 3) Einleitung, II, S. 182. — 4) Zu Marcus und Lucas, S. 217 f. Quellen des Matthäus und Lucas. •) 65 weisen können, da der Eine in seiner Modiflcation von A vom Ande ren beeinflusst gewesen sein muss. Um z. B. den Zusammenhang des Textes fester zu binden, legt Matthäus die 9, 14 erwähnte Frage blos den Johannesjüngern in den Mund ; Lucas aber hat ganz dieselbe Ab sicht in der Combination 5, 33, wo er aber, weniger richtig als Mat thäus, blos die Pharisäer als fragende Subjecte hinstellt. Jeder denkt also auf ein besonderes Mittel, die Fugen des Textes enger zu verbin den. J Somit kann Annahme einer Abhängigkeit des Matthäus und Lu cas von einer gemeinsamen Quelle allein das vorliegende Räthsel lösen, nicht aber die Abhängigkeit des Matthäus von Lucas, oder des Lucas von Matthäus. Wie sollten denn die matthäischen Relationen von der Berufung der ältesten Apostel , von der Predigt in Nazareth, von der Salbung Jesu den ausgeführteren und farbenreicheren Gemälden des Lucas nachgemalt worden sein ? Oder wie sollte Lucas seine beiden Instructionsreden aus Mt. 1 0 gebildet haben ? — Alles von Mt. 10, 15 an musste er weggelassen, dafür aber gleichsam zum Ersatz das Vorher gehende verdoppelt haben ! Schlägt sich die Tübinger Kritik nicht da durch schon selbst, dass sie durch den Pauliner Lucas die matthäischen nxwxoi xqj nvsvftaxi in Arme überhaupt verwandelt, also ebionitisirt werden lässt? Hauptsache aber ist, dass weder Matthäus im Gegensatze zu Lucas, noch Lucas im Gegensatze zu Matthäus sich als erstes originales , auf Grundlage von blos kleineren Quellen entstandenes , Sammelwerk gel tend machen lässt. Jene Behauptung ist bekanntlich von der Tübinger Schule vertreten, am eingehendsten von Köstlin, der die Perikopen des Matthäus als vorher gar nicht verbunden gewesen darstellt in einem Abschnitte,2 der nicht geschrieben worden wäre, wenn der Verfasser auch nur das Buch Wilke's vorher gelesen hätte. Andererseits hat Gfrörer es versucht, die Schleiermacher'sche Diegesenkritik hin sichtlich des Lucas auf ein einfaches Maass zurückzuführen, indem er den Lucas aus grösseren Quellen, wie aus der Denkschrift über den Täufer3 entstanden sein lässt und z. B. in Lc. 4, 1 — 5, 11. 6, 12 — 7, 10 einen besondern Aufsatz,4 in 5, 12—6, 11.7, 11 — 50 einen zweiten,5 in 8, 1—21. 9, 1 — 51 einen dritten s entdecken zu können glaubt. Beide Hypothesen aber verlieren sich, sowie sie im Einzelnen nachgewiesen werden sollen, in das Reich der gänzlich uncontrolirbaren und unbe rechenbaren Phantasie , während die Entstehung der beiden Evangelien auf Grund der zwei, beiden gemeinsamen, Quellen mit einer bis in's Em- zelste ungesucht sich darbietenden Sicherheit darzuthun ist. 1) Wilke, S. 391. — 2) Evangelien, S. 74-85. — 3) Urchristenthum, II, 1, S. 103 ff. — 4) A. a. O. S. 120. 123. 130. 135 ff. 182. — 5) A. a. O. S. 184. — 6) A. a. O. S. 195. 228. 166 Drittes Capitel. Ist somit Matthäus auf keinen Fall zu den Quellen des Lucas zu rechnen, so wird aber auch haltlos Alles , was von Seiten der Tendenz kritik über Quellen und Composition des Lucas vorgebracht wurde. Selbst wenn Matthäus dem Lucas vorgelegen hätte , so wäre es immer noch undenkbar, wie jeder vermittelnde Uebergang zwischen beiden Evangelien fehlen , wie auf Grundlage des einen ein so ganz verschie denes anderes rein auf dem Wege tendenziöser Bearbeitung entstehen konnte. Die späteren Schüler Baur's begegnen sich darum auch in dem Bemühen, Zwischenglieder einzuschieben, wozu aber der, von Hilgenfeld1 im Verein mit einer schwer bestimmbaren judenchrist lichen Quellenschrift aufgebotene, Marcus am wenigsten ausreicht, da derselbe ja noch weniger Stoffliches bietet, als Matthäus selbst, und sein »milder Petrinismus« so wenig, als der angebliche Ebionitismus des Matthäus, das reiche Material, das Lucas neu hinzubringt, erzeugt haben wird. Mit Recht ist Köstlin daher zur Annahme einer ganz neuen Quellenreihe bei Lucas fortgeschritten2, und wenigstens auf diesem Punkte des in Rede stehenden kritischen Gebietes hat seine Forschung bleibende Früchte getragen. Dass nämlich unter den ganz eigenthümlichen Quellen des Lucas — seien es mündliche, seien es schriftliche — meist solche seien, denen wir das südliche Palästina als Heimathsort anzuweisen haben, hat zuerst Köstlin ausgesprochen und in seiner Weise erwiesen.3 Dahin gehören Stellen, wie die Vorgeschichte mit ihrem judäischen Charakter, dahin gehört, sich anschliessend an die Nachricht des ersten Capitels über den Täufer, die Erweiterung seiner Rede 3, 10 — 14, ferner das Ge schlechtsregister 3, 23 — 38, die Erzählungen von Maria und Martha 10, 38 — 42, von Zakchäus 19, 1 — 10, vor Allen aber die zahlreichen selbstständigen Relationen, womit Lucas den Gang der Leidensge schichte unterbricht, nicht minder auch die Veränderungen, die er da selbst in A anbringt. So erklärt sich auch am einfachsten die ganz ab weichende Darstellung der Auferstehungsgeschichte. Wahrscheinlich gehört hierher auch die Geschichte von der Sünderin 7, 36 — 50, als eine andere Form der in A nach Bethanien verlegten Salbungsgeschichte ; and so mag auch der Jüngling von Nain 7,11 — 17 seine Heimath nicht in dem galiläischen Ort dieses Namens, sondern in dem südpalästinen sischen Nain gehabt haben, das Josephus nennt,4 wie denn auch die Notiz 17 il-fjXdsv b Xöyog ovxog iv oXrj xfj 'Iovöaiq beweist , dass dem Lucas das Factum vom judäischen Standpunkte aus erzählt ward. 5 Es 1) Evangelien, S. 154. 208 f. 218. — 2) Evangelien, S. 217—286. — 3) Evan gelien, S. 217 ff. 230 ff. — 4) B. J. 4, 9, 4. — 5) Köstlin, S. 231 f. — Hilgen feld (Evangelien, S. 174) erinnert dagegen an 5, 17. 6, 17, wo ebenfaUs schon ganz Quellen des Matthäus und Lucas. ] 67 ist nun zwar voreilig, mit Köstlin1 sofort das Vorhandensein eines besondern Reiseberichts über den Zug Jesu durch Samaria, Peräa und Judäa zu statuiren , da die Sprache der einfachen Annahme durchaus nicht im Wege steht, dass der Verfasser des dritten Evangeliums bei einem Aufenthalt in Jerusalem derlei, über A hinausgehende, Notizen gesammelt, vielleicht auch vorläufig aufgeschrieben und später in sein Evangelium verwoben hat. Damit fällt dann auch die, ohnehin wieder an dem dünnsten Spinnengewebe willkürlicher Combinationen lang hin gezogene, Hypothese von einem besondern judäischen Evangelium,2 das schliesslich geradezu mit dem , auf Grundlage des älteren Marcus ent ständen sein sollenden , Petrusevangelium identificirt wird, 3 womit so ziemlich alle , mit Sicherheit sich ergebenden , Anhaltspunkte für eine nüchterne evangelische Quellenkritik über den Haufen geworfen werden. Allein auch auf der entgegengesetzten Seite ist, um die Quellen des Lucas nachzuweisen, viel Unbestimmtes und Haltungsloses vorgetragen worden. So hat unter den Gegnern der Tendenzkritik schon De Wette, der sonst in dem allgemeinen Schema der Evangelienliteratur mit Baur übereinstimmt, ausgesprochen, dass sich Lucas als durchweg freie Bearbeitung des Matthäus auf keinen Fall betrachten lasse ; er lässt ihn desshalb die grösseren Stücke , die er vor Marcus voraus hat , aus einer schriftlichen Quelle schöpfen. 4 Welch eine Quelle Dies aber war, und in welchem Verhältniss sie zu Matthäus steht, bleibt unbestimmt. Auf die Spitze aber hat den Gegensatz gegen die Tendenzkritik Ewald getrieben, der den Lucas als blosen Sammler aus sieben Quellenschrif ten mit geringen eigenen Zuthaten sein ganzes Evangelium zusammen schreiben lässt5 auf dem Wege einer so rein äusserlichen Bearbeitung, dass dabei das wirklich von Lucas, und nicht aus irgend einer Quelle, Herrührende auf ein, von Hilgenfeld dargestelltes,6 unglaublich ärm liches Minimum zusammenschrumpft. 7 Viel einfacher stellt sich das Quellenverhältniss, wenn wir unsere schon gewonnenen Resultate auf Lucas anwenden. Im Ganzen nämlich legt auch Lucas die Quelle A zu Grunde. Da aber diese Quelle einen bestimmten Zusammenhang hatte, so muss Lucas ihren Typus durch Einschalten und Auslassen geändert haben. Was nun die Einschaltun gen betrifft, so sind ihre feinkörnigen Bestandtheile besonders in die Leidensgeschichte eingesprengt, und der Bericht von A darnach modi- Judäa von Jesu Notiz genommen haben soll. Allein an diesen Stellen ist vielmehr der galiläische Standpunkt festgehalten, und nur gesagt, dass selbst aus so weiter Ferne Leute herbeiströmten. — 1) A. a. O. S. 236. — 2) Köstlin, S. 254 ff. — 3) A. a. O. S. 264 ff. — 4) Einleitung, H, S. 182 f. — 5) Jahrbücher, II, S. 219 ff. — 6) Evan gelien, S. 35. — 7) Im Uebrigen vgl. Köstlin, S. 247 ff. 168 Drittes Capitel. ficirt, ihre grösseren Massen dagegen in zwei, besonders aus A und judäi schen Traditionen gebildete, Abschnitte (vgl. S. 100) vertheilt. Dies zugleich die relative Wahrheit der älteren Ansicht, dass Lc. 9, 51 — 18, 14 auf einer eigenen Quelle, einer sogenannten Gnomologie, beruhe. 1 Auch der äussere Umfang der synoptischen Evangelien entspricht ganz dem Quantum der verarbeiteten Quellen. Reuss theilt den synop tischen Text in 124 Sectionen,2 davon 47 allen Dreien gemeinsam sind, 1 2 bei Matthäus und Marcus , 2 bei Matthäus und Lucas, 6 bei Marcus und Lucas, 2 bei Marcus allein, 17 bei Matthäus allein, 38 bei Lucas allein stehen. Der kürzeste Text, unser Marcus, hat 67 Sectionen; er ruht auf nur einer Quelle. Matthäus hat 78, weil er mit der ersten Quelle eine zweite combinirt. Lucas aber hat 93, ist somit in Rücksicht auf Mannigfaltigkeit des Stoffs der reichste : dafür benutzt er aber nicht blos die zweite Quelle in ausgedehnterem Maasse, als Matthäus, sondern fügt seiner Erzählung auch mit einer auf Vollständigkeit berechneten Gewissenhaftigkeit sämmtliche grossen und kleinen Reliquien ein, deren er sich als Sammler südpalästinensischer Traditionen bemächtigen konnte. Am Schlüsse dieser Ausführungen angekommen, brauchen wir kaum zu bemerken, wie das ganze Resultat sich durch seine Einfachheit empfiehlt vor den endlosen Ketten, welche die Anhänger des älteren Urevangeliums nicht minder , als auch neuerdings der zuweilen ebenso rein quantitativ zu Werke gehende Ewald und Andere geschmiedet haben aus einer Reihe von Schriften, die lediglich nur einem divinato- rischen Herumtasten im Dunkeln ihre rein subjective Existenz verdan ken;3 wie das schon von Köstlin ins Gebiet der Fabel verwiesene" »Buch der höheren Geschichte« und etliche andere, auch von Köstlin fingirte, Quellen ganz unter das Gericht des oben (S. 46) von Schleier macher citirten Spruches fallen.5 Wir fassen alle die divergirenden Behauptungen eines Urevangeliums, eines Urmatthäus, Urmarcus, einer Spruchsammlung, einer Priorität des Marcus vor Matthäus und Lucas u. s. f. in ein sehr einfaches Resultat zusammen, indem wir einen Ur matthäus in der Gestalt von A dem Matthäus, einen Urmarcus in der Gestalt von A dem Marcus vorangehen lassen; alle weiteren Mittelglie der aber sind überflüssig und würden nur als unbekannte Doppelgänger von schon bekannten Quellen und Evangelien erscheinen; sie sind das Product kritischer Doppelseherei und sonstiger Hallucinationen. 6 1) Marsh, Kühnöl, Eichhorn, S. 600 f. — 2) Geschichte, S. 163. — 3) Hilgenfeld: Evangelien, S. 33—36. — 4) Evangelien, S. 94. — 5) Hilgen feld: Evangelien, S. 35. 38. — 6) Wilke, S. 408—417. Composition des Matthäus. 1 69 §. 12. Composition des Matthäus. Nach dem Verhältniss, das S. 99. 103 f. als zwischen A und Matthäus bestehend erwiesen wurde, kann von einem Plane des Matthäus eigentlich blos in Bezug auf Cap. 5 — 13 die Rede sein. Vorher gibt er die Vorge schichte und die Einleitungspartien von A bis 4, 17. Erst jetzt zeigen sich Spuren eigener Disposition . Diese besteht einfach in dem Vorsatze, zu erst ein Muster von Jesu Lehrweise, dann eine Aufzählung von möglichst charakteristischen Thaten desselben zu geben. Er lässt daher den Herrn nur rasch seine ersten Jünger berufen und so viel Volks nach sich ziehen, dass die Bergrede motivirt erscheint, drängt dann die sprechendsten der in A vor und nach der Bergrede erzählten Wunderthaten im achten und neunten Capitel mit wenigen , durch die Quelle bedingten Unter brechungen, zusammen, J um in einem neuen grossen Abschnitt Cap. 10 — f"3 den Gegensatz sich spannen zu lassen, der die letzte Katastrophe bedingt. Es folgt daher die Gründung des Reiches in der Instructions rede Cap. 1 0 , es folgen die Zweifel des Täufers und die Klagen des Herrn Cap. 11, es folgt die lästerliche Anklage der Pharisäer und Jesu Vertheidigung Cap. 12, und schliesslich Cap. 13 seine, die inneren Gründe der Feindschaft enthüllenden, Gleichnissreden, sammt der Ver werfung in der Vaterstadt. Damit ist aber die Sachordnung und Disposition vor der Hand zu Ende, wie in siegreicher Dai Stellung Reuss gezeigt hat.2 Auch Weiss erkennt an : » So klar und durchsichtig bisher die Anlage unse res Evangeliums, so wenig lässt sich im folgenden Abschnitt dieselbe in ähnlicher Weise verfolgen. « 3 Aber nicht etwa die »Lehre vom Him melreich« oder dergleichen Etwas folgt nun, denn vom Himmelreich war ja gerade Cap. 13 ex professo schon die Rede, sondern Matthäus stellt nun, ohne ein abstractes Thema im Auge zu haben, die bisher im Reste gebliebenen Hauptmassen des Stoffes zusammen; er wendet sich zurück zu A, welcher Quelle er nun treulich und einfach folgt, bis der grosse Abschnitt, den die Reise Jesu nach Jerusalem auch in A bil det, den Matthäus daran erinnert, in einer weiter ausgedehnten Compo sition Cap. 18 die, ihm sonst noch zu Gebote stehenden, in frühere Zeit gehörigen, Redestoffe, die er an einzelne Verse von A anhängt, zu sammenzudrängen, wie er dann ähnlich Cap. 23 — 25 thut, wo er A ge rade, wo diese Quelle den letzten Lebenstag Jesu zu beschreiben be- 1) Gfrörer, Urchristenthum, II, 1, S. 195 : »Von Matthäus 8, 1—9, 33 werden 10 "Wunder gleichsam in einem Athem erzählt ; voran finden noch kleine Unterbre chungen statt, aber zu Ende jagen sie sich im eigentlichen Sinne des Worts.« — 2) Nouvelle revue, H, S. 38 f. — 3) S. 33. 170 Drittes Capitel. ginnt, nochmals mit einer grossen Redebildung unterbricht. Auf diese Weise hat er von 21, 1 an das ihm vorliegende Material zu einer sich steigernden und abrundenden Scene verarbeitet. l Einen andern Real grund hat daher auch die Bunsen'sche Eintheilung nicht, die in dem galiläischen Wirken Jesu zwei Hauptmassen unterscheidet, deren zweite mit 14, 13 beginnen soll. 2 Aus dieser Angabe des Verhältnisses des Matthäus zu seinen Quel len geht hervor, dass von einem das Ganze umfassenden Schematismus bei Matthäus nur in sehr allgemeiner Weise die Rede sein kann. Der Schematismus lag in den Hauptperioden der Wirksamkeit Jesu, mithin auch in der Darstellung von A, schon gegeben vor. Nichtsdestoweniger hat die Realeintheilung , die im ersten Evangelium ohne Zweifel herrscht, vielfache Conjecturen und Dispositionen hervorgerufen. Am geistreichsten hat Delitzsch bekanntlich eine pentateuchische Anlage des Evangeliums durchzuführen unternommen, 3 ein Versuch, der jetzt keiner Widerlegung mehr bedarf. 4 » Wenn der Verfasser ein alter Rab- bine wäre und etwa vor vier bis fünf Jahrhunderten gelebt hätte, so würde man solche Einfälle wenigstens als einen Witz des um die Lö sung gewisser Räthsel ringenden Geistes geschichtlich merkwürdig finden; jetzt aber sind sie, den Thatsachen gegenüber, die wir kennen, und die bleiben, obwohl der Verfasser sich um sie nicht bekümmert, reine Albernheiten.«5 Noch unverträglicher mit der Anlage des Mat thäus ist es freilich, wenn die Orthodoxie (von Ben gel bis auf Stier) zeigen wollte, dass eine Sachordnung gar nicht bei Matthäus statthabe, sondern blose Zeitordnung, wie sogar Schneckenburger,6 Kai ser7 und De Wette8 Alles im Matthäus an einen chronologischen Faden gereiht glaubten — was nur so viel Wahrheit hat, als Matthäus sich von A je länger, je weniger emancipiren kann. Ist doch auch Ols- 1) Weiss, S. 42. — 2) Bibelwerk, I, 4, S. 5. 8. 14. —3) Neue Untersuchungen über Entstehung und Anlage der kanonischen Evangelien, S. 59 ff. — Hiernach hätten wir laut Mt. 1, 1 eine Genesis 1, 1 — 2, 15, wo mit der Uebersiedlung nach Aegyp ten richtig geschlossen wird ; Exodus, die von Kindermord, Auszug, vierzig Wüstenta gen, Versuchung und Gesetzgebung auf dem Berge erzählt 2 , 16 — 7, 29 ; Leviticus 8, 1 — 9, 38 ist besonders an der Geschichte des Aussätzigen 8, 3. 4 zu erkennen; Nu meri beginnen mit dem Apostelkatalog 10, 1 und reichen bis 18 , 35 ; Deuteronomium endlich 19, 1 — 28, 20 beginnt mit der Wirksamkeit nigav tov 'Ioodcivov und verweist gleich 19, 7 auf Deut. 24, 1. — 4) Vgl. Lücke : De eo, quod nimium artis acuminis- cnie est in ea, quae nunc praecipue factitatur, sacrae scripturae interpretatione, 1853. — Baur: Theol. Jahrb. 1851, S. 235 ff. — W e i ss : Deutsche Zeitschrift für christ liche Wissenschaft, 1854, Kritisches Beiblatt , Nr. 3. 1856, Nr. 19.— 5) Ewald: Jahrbücher, III, S. 270 f. — 6) Beiträge zur Einleitung in's N. T. 1832, S. 25 ff. - 7) Ueber die synoptische Zusammenstellung der kanonischen Evangelien, 1828, S. 38. — 8) Einleitung, II, S. 175. Composition des Matthäus. 171 hausen diesmal so verständig gewesen, die vorwaltende Sachordnung im Matthäus zuzugeben.1 Aber auch die zahllosen langgesponnenen Aus einandersetzungen , womit die Tübinger Schule in jeder, aus ihr her vorgegangenen Schrift das erste Evangelium immer wieder auf's Neue, a priori construiren woUte, dürfen wir jetzt mit Fug und Recht über gehen; wie denn z. B. Köstlin sich das Verständniss der Anlage des ersten Evangeliums versperrt mit der, gänzlich fehlgeschossenen, Be hauptung, »dass dem Verfasser für seine Geschichtserzählung noch keine , besonders in chronologischer Beziehung bereits klar und geord net verarbeiteten Quellen zu Gebote standen,«2 was er aus der unbestimm ten Zeitangabe schliesst, womit doch in der That Matthäus sich nur — einer ihm bereits vorliegenden Reihenfolge der Begebenheit gegenüber — über Wasser zu halten sucht. Ihre treffendsten Wiederlegungen wer den solche Willkürhandlungen finden durch die detaillirte Angabe des Quellenverhältnisses und der Quellenbearbeitung, zu der wir jetzt über gehen. I. Persönliche Vorgeschichte Jesu (1, 1 — 2, 23). 1) 1, 1 — 17. Genealogie, von Matthäus aufgefunden und, ver sehen mit dem besonderen Titel ßißXog ysvsaswg, an die Spitze gestellt. Der Abschnitt hat Eigenthümlichkeiten, wie 'irjaovg Xqtaxög, b Javlö ö ßaaiXsvg, andererseits aber auch acht matthäischen Sprachgebrauch, wie 'irjaovg b Xsyöfisvog Xqiaxög. 3 Der Ausfall von vier Königsnamen ist, falls er ursprünglich auf einem Versehen beruhen sollte, 4 von Mat thäus nicht bemerkt, wahrscheinlicher aber von ihm selbst bewerkstel ligt worden, B da die Vorliebe für Zahlenverhältnisse (Dreizahl der Ver suchungen in der Wüste und in Gethsemane ; Siebenzahl beherrscht die Bergrede, das Vaterunser gegen Lucas, und das Gleichnisscapitel ; Zehn zahl im Wunderabschnitt Cap. 8 und 9) zu den charakteristischen Ei genheiten des Matthäus gehört. 6 Wenn endlich die Genealogie das davidische Geschlecht Jesu nur durch väterliche Vermittlung darstellt, so kann sie um so weniger ursprünglich von Demselben herrühren, der gleich darauf die vaterlose Abstammung Jesu erzählt. 7 Man hat daher auch die ausdrückliche Hervorhebung des alttestamentlichen Pragma tismus, wie die Andeutung des uneigentlichen Vaterverhältnisses Jo sephs 1 6 , damit aber auch die ausdrückliche Betonung der Namen Tha- 1) Biblischer Commentar, I, S. 22. — 2) Evangelien, S. 71. — 3) Gersdorf, S. 38—61. — 4) Ewald (Evangelien, S. 169), Meyer (Zu Matthäus, S. 45). — 5) Fritzsche, Paulus, De Wette, Strauss: Leben Jesu, I, S. 142. — 6) Köstlin, S. 29 f. — 7) Str-auss (Leben Jesu, I, S. 187), Schwegler (Nach apostolisches Zeitalter, I, S. 250 f.), Baur (Evangelien, S. 583), Meyer (S. 40. 57), Hilgenfeld (Evangelien, S. 46 f.). 1 72 Drittes Capitel. mar, Rahab, Bathseba, als typi Mariae, auf die bearbeitende Hand des Matthäus zurückzuführen. 1 — Uebrigens ist die Genealogie hebräischen Ursprungs, nennt daher die Namen überwiegend nicht mit den griechi schen Formen der LXX. 2) 1, 18 — 2, 23 Vorgeschichte, bestehend aus zwei, von Matthäus zuerst verbundenen2, Traditionen, 1, 18 — 25 und 2, t — 23. Daher in Sprachgebrauch 3 und Citationsweise (§. 1 7) so durchaus mat- thäisch, dass frühere Versuche, die beiden ersten Capitel als nicht ur sprüngliche Bestandtheile des Evangeliums zu erweisen,4 schon aus phi lologischen Gründen unstatthaft sind und als antiquirt gelten müssen. Da die Annahme, auch dieser Abschnitt habe bereits als eigenes Schrift stück dem Matthäus vorgelegen, B mit der beschriebenen Beschaffenheit desselben unvereinbar ist, da ferner die Behauptung, Matthäus habe, wenngleich unwillkürlich, die ganze Geschichte nach seinen dogmati schen Gesichtspunkten selbst gestaltet, 6 mit dem durchaus poetischen, auf volksmässigen Ursprung hinweisenden, Charakter der Erzählung seltsam genug contrastirt : so bleibt nichts übrig, als in unserem Ab schnitte das erste Beispiel von selbstständiger schriftstellerischer Ge staltung traditioneller Stoffe durch Matthäus zu erblicken.7 II. Messianische Vorgeschichte (3, 1 — 4, 25). 3) 3, 1 — 6. A, 1. Der Täufer, dessen Bedeutung, Auftreten und Aussehen Matthäus aus A mittheilt, so jedoch, dass er die Localität als jüdische Wüste näher bezeichnet und die Notiz, der Täufer habe ßänxiOfia fisxavoiag gepredigt, frei umgestaltet in die Angabe des, von A Mr. 1, 15 blos aus Jesu Munde berichteten, Inhaltes fisxavoslxs • rjy- ytxsv ydq r) ßaaiXsia tcov ovqavwv. In der That aber ist allerdings nicht denkbar , dass zwischen dem Thema der Predigten des Vorläufers und des Messias kein Unterschied gewesen sein sollte. 8 Dieser Uebergang womit Matthäus die Vorgeschichte verlässt, um den Faden von A aufzu nehmen (sv xalg fjfiiqaig ixsivaig) beweist zwar eine Fuge, ist aber selbst völlig unschuldiger Natur 9 und wahrscheinlich aus einem Vor blick auf A Mr. 1 , 9 zu erklären. 10 1) Aehnlich Strauss, Gfrörer, Hilgenfeld: Evangelien, S. 47. — 2) Ewald (Evangelien, S. 172), Köstlin (S. 72 f. 75 f). AVas hiergegen Hilgen feld (Evangelien, S. 48 f.) bemerkt, beweist höchstens, dass Matthäus die Fuge zwi schen beiden Fragmenten etwas verwischt hat. — 3) Gersdorf (S. 38—145), Cred ner (Einleitung, S. 68), Wilke (Urevangelist, S. 644. Neutestamentliehe Rhetorik, S. 448), Köstlin (S. 36 f). — 4) Vgl. die Literatur bei De Wette : Einleitung, II, S. 180. — 5) Meyer: Zu Matthäus, S.66. — 6) Hilgenfeld: Evangelien, S. 53. — 7) Ewald, Köstlin, Bleek: Synopsis, I, S. 131. — 8) Ewald (Evangelien, S. 155), Weisse (Evangelische Geschichte, I, S. 315). — 9) Vgl. Meyer, Bleek: Synopsis, 1, S. 140 f. — 10) Vgl. Wilke, S. 642 f. Was Weiss, S. 37 hierüber be- Composition des Matthäus. 173 4) 3, 7 — 12. Rede des Täufers. A, 2. Die hier unpassende, * aber dem Matthäus geläufige, Combination der Oaqioäloi xal 2aööov- xaloi beweist die theilweise Ueberarbeitung. 2 Dass Matthäus 7 ¦ — 10 nicht, wie Wilke behauptet, 3 vor Mr. 1, 7. 8 = Mt. 3, 11. 12 herein geschoben ist|, zeigt schon das auf etg nvq ßäXXsxai 10 zurücksehende und wiederum auf xaxaxavast nvql äaßioxw vorweisende iv nvsvfiaxi ctyiw xal nvqi. Auf Rechnung des Matthäus aber kommt die durch ßaoxäaai statt Xvaai gegebene Differenz des Bildes. 5) 3, 13 — 17. A, 3. Taufe Jesu. Zwar etwas undeutlich, aber doch so wiedergegeben, dass eine unbefangene Exegese nur in Jesu, nicht in dem Täufer, den Empfänger des Gesichts erkennen darf. 4 Da gegen ist die Notiz von der anfänglichen Weigerung des Täufers 14. 15 aus einer, mit der Geburtsgeschichte correspondirenden, Tradition bei gefügt, wie gegenwärtig fast allgemein anerkannt wird 5 und schon aus der matthäischen Diction hervorgeht (nqinov, öiaxwXvsiv ; dem Marcus fremde Ausdrücke, wie nXrjqwaai näaav öixaioavvrjv, das nachgefügte, an sich schon nur bei Matthäus stehende, aqxi). 6) 4, 1 — 11. A, 4. Versuchung. Die Umständlichkeit der Quelle wird anfangs vermieden. Die Bezeichnung Jerusalems als der ayia nö- Xig kommt hier so gut auf Rechnung des Matthäus, als 27, 53. Köst- lin's Zweifel an der Aechtheit unsers Stücks6 hat Hilgenfeld7 be seitigt. 7) 4, 12—17. A, 5. Anfang der Wirksamkeit in Gali läa. Die Verlegung des Wohnorts nach Kapernaum wird im Gegensatze zu A als etwas Beabsichtigtes hingestellt und benutzt,8 um das Citat Jes. 8, 23. 9, 1 in freier Reminiscenz einzuflechten. 8) 4, 18—22. A, 6. Berufung der vier ältesten Apostel. Bis hierher geht Matthäus an der Hand von A, weil er, um die Berg rede einzuführen, wenigstens mit einigen Worten der Apostel Erwäh nung gethan haben musste. 9) 4; 23 — 25. A, 15. Summarischer Bericht über Lehr- thätigkeit und Krankenheilungen, als Ueberschrift für das zunächst folgende Bild von Jesu Lehr - und Wunderwirksamkeit, 9 ins besondere aber als Einleitung zur Bergpredigt. Dabei liegt A Mr. 3, merkt, ist dahin zu berichtigen, dass h Ixüvaig ralg fijuigaig bei Matthäus nur noch in Parallelstellen (24, 19. 38 ?), dagegen bei Marcus viermal vorkommt. — 1) Ne an der (Leben Jesu, S. 78), Bleek (Synopsis, I, S. 147), Wilke (S.460).— 2) Ewald: Evangelien, S. 157. — 3) Urevangelist, S. 454 ff. — 4) Vgl. Fritzsche, Hilgen feld, Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 472. — 5) Lücke, Hilgenfeld: Evangelien, S. 57 f. — 6) Evangelien, S. 73. — 7) Evangelien, S. 59. — 8) Hilgen feld: Evangelien, S. 60. - 9) Weiss ,(S. 32), Bleek (Einleitung, II, S. 275 f. Synopsis, I, S. 206). ] 74 Drittes Capitel 10 — 12 theilweise zu Grunde; im Ganzen aber hat Matthäus freigebil det, wie der römische Gebrauch von Syrien, die fiaXaxia u. A. zeigt. J III. Die Bergpredigt als messianisches Programm. A, 17 (5, 1—7, 29). 10) 5, 1. 2. Einleitung. Anstatt blos mit A Mr. 1, 22 zu sagen rjv yaq öiöäoxwv eig i^ovaiav ej£«)', gibt Matthäus ein classisches Bei spiel von Jesu Lehrthätigkeit. 2 » Er will in einer Gesammtanschauung Alles zusammenfassen, was dazu dienen kann, eine ebenso bestimmte und bezeichnende, als grossartige und inhaltsreiche Vorstellung von der messianischen Bestimmung Jesu, wie dieselbe von seinem Standpunkte aus gedacht werden muss, zu geben. «3 Die historische Einfassung hie- für und den allgemeinen Stoff findet er in A (vgl. S. 76 f.), welche Quelle er aber erweitert, indem er einzelne Aussprüche aus andern Theilen von A anticipirt, eine noch viel grössere Anzahl aber aus A und anderen Quellen (vgl. S. 161 f.) einarbeitet, sei es gelegentlich unterbrin gend, sei es nach innerer Verwandtschaft anreihend.4 So lässt sich der zuerst von Calvin (der richtig zugleich die Jünger als Angeredete be trachtet) ausgesprochene B Gedanke , wornach die Bergrede Mt. 5 — 7 eine Composition aus vielerlei vereinzelt vorgefundenen Reden Jesu ist, in der That bis in's Einzelne nachweisen. Wie unhaltbar heutzutage die entgegenstehende Ansicht geworden ist, zeigt z. B. die verworrene Aus einandersetzung M e y e r's, der aber dennoch theils im Allgemeinen zu geben muss, dass später Gesprochenes absichtlich oder unabsichtlich mit ein gewoben sei, theils insbesondere denjenigen Stellen, in welchen Jesus als Messias auftritt, spätere Entstehung zu verleihen, sich genöthigt sieht. 6 Nur ist ihm entgangen, dass dieser messianische Charakter eben der ganzen Bergpredigt des Matthäus in ihrem Unterschiede zu der des Lucas anhaftet. Wie Mt. 4, 23 — 25 der Inhalt der Lehre Jesu als das Evangelium vom Reich bezeichnet wird, so enthält nun Mt. 5 — 7 nichts Anderes, als die Predigt von der Gerechtigkeit dieses Reiches, worin Jesus — im Gegensatz zu Moses — der König ist. Die Bergrede ihat nämlich allerdings »ihren Mittelpunkt in allem Demjenigen, was Mat thäus Jesum in ihr über sein affirmatives Verhältniss zum Gesetz aussprechen lässt. « 7 Davon unzertrennlich ist aber die Erkenntniss, dass Matthäus die Bergrede nicht blos erweitert — was auch Baur an erkennt — sondern überdies, dass er ihr ein, von der historischen Berg rede speeifisch verschiedenes, Thema gegeben hat. Nur in dieser, nicht 1) Ewald: Drei Evangelien, S. 209. — 2) Wilke, S. 627. — 3) Baur: Evangelien, S. 456. — 4) Bleek: Synopsis, I, S. 222 ff. — 5) Opera, ed. Amstel. VI, S. 64. — 6) Zu Matthäus, S. 192. 194. — 7) Baur: Evangelien, S. 456. 588. Composition des Matthäus. 1 75 aber in der Gestalt von A, taugte die Bergrede als Programm zu demje nigen Evangelium, welches das Verhältniss Jesu zum alten Bunde nach allen Seiten darzustellen unternimmt. Aber nicht blos erweitert, auch versetzt hat Matthäus die Bergpredigt, indem er sie aus dem späteren Zusammenhang von A an den Anfang des Auftretens Jesu vorrückte. Auch Baur hat diese Absicht wohl bemerkt, »die Bergrede ganz in den Anfang der öffentlichen Wirksamkeit Jesu zu stellen ; « wie überhaupt von bedeutenderen Auslegern fast blos Meyer noch die Anticipation leugnet. J Daraus ging aber hinsichtlich des Auditoriums die weitere Schwierigkeit hervor, dass die Jünger, denen die Rede in A gegolten hat, weil im Context des Matthäus noch gar nicht erwähnt, nicht die eigentlichen Zuhörer sein konnten, sondern vielmehr die unmittelbar vorangehenden oxXoi Mt. 4, 25. 5, 1. 7, 28 die Rede motiviren, als wären sie in Folge der wunderbaren Thaten , von denen doch Matthäus erst nach der Bergpredigt bestimmten Bericht thut, 2 Jesu auf den Berg gefolgt. Aber sowohl in diesem Berge selbst (Mr. 3, 13), als auch in der Art, wie 5, 2 doch noch die fiadrjxai hereinspielen, zeigen sich die Spuren der richtigen Situation, welche bei Matthäus durch das Bestre ben, den Herrn vor möglichst bedeutendem Auditorium sein Programm aufstellen zu lassen, um so natürlicher zurücktritt, als ja Jesus über haupt erst vier Jünger hat. Am besten hat Hilgenfeld das Wider streben des Inhalts der Rede gegen ihre historische Einfassung ausein andergesetzt. 3 Dem Matthäus gehört also Disposition und Ideenassocia- tion an , Jesu dagegen die einzelnen Apophtegmata, die den Schematis mus ausfüllen. Man sollte doch endlich einsehen, dass gar nichts damit gewonnen wäre, wenn wir auch den ganzen Inhalt von Mt. 5 — 7 als be reits in irgend einer Quelle gegeben nachweisen könnten, da unsere Rede in diesem Falle, weil ja doch kein Ohrenzeuge im Stande gewesen wäre, eine so lange Reihe von Sentenzen zu behalten, deren jede für sich den Hörer schon ganz in Anspruch nimmt, nur um so sicherer eine Composition, diesmal aber irgend eines Quellenschriftstellers, wäre. * 11) 5, 3 — 12. Die Makarismen. Hier beginnt ein kunstvoll gearbeitetes Redestück, das Matthäus an die Stelle des Anfangs der Bergrede in A rückte. Die vier Seligkeitssprüche wurden zunächst auf die bedeutsame Siebenzahl gebracht, 5 indem aus einer grösseren Menge von überlieferten Sprüchen Jesu von der Art (vgl. Lc. 11, 28) eine pas sende Gradation gebildet wurde, die in dem, aus A angefügten, länge ren Spruche 10 — 12 nicht sowohl gipfelt, als vielmehr den Uebergang 1) Zu Matthäus, S. 191 f. — 2) Wi lke, S. 618 f. — 3) Evangelien, S. 61. 65 f. — 4) Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 29. — 5) Ewald (Evangelien, S.210), Köstlin (S. 50). 176 Drittes Capitel. von den abspringenden Schlagwörtern zum gewöhnlichen Redefluss fin det. 4 Zugleich werden die specieU an die Jünger gerichteten Sätze in allge meine Sentenzen verwandelt (aus vfisxsqa wird aixwv) , und ihre sach liche Einheit sehr verallgemeinert. 2 Mehr noch zeigt sich die bearbei tende Hand des Matthäus in gewissen Zusätzen, 3 wozu nicht blos 6 xfjv öixaioavvrjv , 10 svsxsv öixaioavvrjg, sondern vor Allem 3 die Exegese der tmas als nxwxol xifj nvsvfiaxi gehört,4 wozu Ritschl's treffende und ausreichende Argumentation zu vergleichen ist. 5 Einen späteren Zusatz aber kann Hilgenfeld nur desshalb daraus machen, weil er nun einmal bisher gegen die secundäre Gestalt des Matthäus über haupt seine Augen verschlossen hat.6 Wenn frühere Zeugen das xo) nvsvfiaxi nicht zu lesen scheinen, so beweist Dies nur, dass die Fassung des Lucas für die ursprünglichere zu halten ist. 12) 5, 13 — 16. Licht und Salz. Hier sind Stellen aus A und A mit eigenthümlichen Traditionen verschmolzen ; nämlich A Lc. 1 1 , 33. 14, 34. 35 (vgl. S. 149. 154); aber auch A bot Mr. 4, 21'= Lc. 8, 16 wenigstens den leitenden Gedanken der Rede vom Licht, und das Wort vom Salz hat sich ebenfalls in A Mr. 9, 49. 50 erhalten. 7 13) 5, 17 — 20. Principielle Stellung Jesu zum Gesetz. Aus A ist hier blos die, sachlich hergehörige, Erklärung über die ewige Dauer des Gesetzes, wohl in freier Wendung (vgl. Lc. 16, 17), angebracht worden; im Uebrigen aber treten hier und im folgenden Abschnitt die Spuren jenes S. 163 erwähnten Tractates zu Tage, der sich mit der Stellung Jesu zum mosaischen Gesetz zu schaffen machte. 14) 5, 21—48. Sieben Beispiele wahrer Gesetzeserfül lung, aus A, A und anderen Traditionen zusammengestellt : 21 — 26, Mord. Hier ist dem Hauptauspruch noch ein verwandter aus A Lc. 12, 58. 59 angehängt, aber nicht ohne dass dem natürlichen Sinn des allein bei Lucas angemessenen Wortes Gewalt geschieht. 8 — 27 — 30, Ehe bruch. Dem Schlagwort ist gleichfalls, und sehr passend, ein Fragment aus A Mr. 9, 43. 45. 47 = Mt. 18. 8. 9 beigefügt.9 — 31. 32, Ehe scheidung. Der Ausspruch ist entnommen aus A Mr. 10, 2 — 12 = Mt. 19, 3 — 9, 10 bei Lc. 16, 18 blos gelegentlich an einen allgemeinen 1) Bleek: Synopsis, I, S. 237. — 2) Bleek: Synopsis, I, S. 228. — 3) Ewald (Evangelien, S. 211), Köstlin (S. 66), Bleek (Synopsis, I, S. 228 f.) —4) Bleek: Synopsis, I, S. 232. — 5) Evangelium Marcion's, S. 237 ff. — 6) Evangelien, S. 61 f. — 7) Nicht aber umgekehrt, wie Weiss (S. 65) meint. — 8) Pott, Kühnöl, Gratz, Neander (Leben Jesu, S.397. 566), Bleek (Synopsis, I, S.263).— 9) Dass gleichwohl das Wort bei einer andern Gelegenheit gesprochen worden sei, s. Olshau- sen, Neander: Leben Jesu, S. 397. — 10) Deutlicher wie hier, kann die schrift stellerische Methode nicht wohl erkannt werden. Denn wenn Jesus hier bereits seine Ansicht über Ehescheidung ausgesprochen hätte, wäre der Streit hierüber Mt. 10 Composition des Matthäus. ] 77 Ausspruch über das mosaische Gesetz angeknüpft. Matthäus hingegen hat dem Worte, das ursprünglich in derselben absoluten Allgemeinheit geredet war, wie alles Uebrige in diesem Zusammenhange, die Clausel naqsxxög Xoyov noqvsiag hinzugefügt.1 — 33 — 37, Schwören. — 38—41, Vergeltungsrecht. Hier kehrt Matthäus bereits zu der Bergrede von ALc. 6, 29 zurück. — 42, vom Mein und Dein. Dass hier bei Matthäus Etwas ausgefallen ist (rjxovoaxs oxi iqgfjdrj oi xXixpsig, äno- öwasig öi xö Iftäxiov xcp nxwxqj, vgl. Exod. 20, 15. Deut. 24, 3 und iyw öiXiyw vfiiv) geht aus Ewald' s treffender Erörterung der Stelle her vor.2 Daran schloss Matthäus das Stück ALc. 6, 30 an. — 43—48, Feindesliebe, aus A Lc. 6, 27. 28. 32. 33. 35. 36 gebildet. Dabeiist alles vom Leihen Gesagte ausgelassen, wesshalb Lc. 6, 34 gar keine Ver tretung findet. . 15) 6, 1—7, 12. Sieben rechte Tugendmittel,3 gleichfalls aus A, A und der Tradition zusammengestellt: 6, 1 — 4: Almosen. — 6, 5 — 15 : Gebet; dem Hauptausspruch wurde angefügt aus A Lc. 11, 1—4, jedoch auch hier die Fünf- oder .Sechszahl der Bitten durch eine Hinzufügung auf die Siebenzahl gebracht ; 4 und aus A Mr. 11,25, welche Bemerkung aus sachlichen Gründen wegen 12 herbeigezogen ward. B — 6, 16 — 18: Fasten. — 6, 19 — 34: Unabhängigkeit von pecuniären Sor gen. Dieser Abschnitt ist zusammengesetzt6 aus A Lc. 12, 33. 34 = Mt. 19—21, woran sich anschliesst Mt. 22. 23, aus A Lc. 11, 34 — 36 verkürzt und abgerundet; ferner Mt. 24 aus A Lc. 16, 13 und Mt. 24 2— 12 nicht denkbar. So Pott, Eichhorn, Kühnöl, Olshausen, Bleek, Köstlin, S. 47. Vgl. auch Harless: Die Ehescheidungsfrage, 1860, S. 30 f. Aber Mt. 5, 31. 32 wird auch nur dann, wenn man sich der späteren vollständigeren Stelle Mt. 19, 3 — 9 erinnert, verständlich, wie Jesus seine Ansicht als eine Auslegung von Deut. 24, 1 — 4 der falschen pharisäischen Ausbeutung der Stelle entgegensetzen kann. Vgl. Harless, S. 12: »Was man aus unserer Stelle (Mt. 5, 31. 32) nicht ermitteln kann , ist die Auskunft auf die Frage, wie sich denn das von Christus Ex- ponirte als Wille Gottes aus dem Gesetz ergebe.« »Wir wären auf unsere eigenen Gedanken und Erklärungen verwiesen, wenn nicht ein bei anderer Gelegenheit gespro chenes und anderwärts berichtetes (Mt. 19. Mr. 10) Wort Christi uns vollkommenen Aufschluss über die Meinung des Herrn gäbe.« Auch Paulus (1. Cor. 7, 10) kennt daher den Ausspruch Christi nicht in der Form der später componirten Bergpredigt, sondern in der ursprünglichen von A. Vgl. Harless, a. a. O. S. 11. Auch das noitl avTr\v fioi^svS-ijvai und Anderes ist durchaus nur durch Mt. 19, 9 verständlich. Vgl. Harless, S. 14. 37. — 1) Vgl. Bleek (Synopsis, I, S. 272), Weisse (Evange lische Geschichte, I, S. 562 f.), Weiss (S. 67), Köstlin (S. 108), Kitschi (Alt- kathol. Kirche, S. 44). — 2) Jahrbücher, I, S. 132. Drei Evangelien, S.217. — Vgl. Köstlin, S. 50. — 3) Ewald: Jahrbücher, I, S. 132 f. Evangelien, S. 218. — 4) Die Ursprünglichkeit bei Lucas anerkannt von Schleiermaeher, Sieffert, Olshausen, Neander, Bleek: Synopsis, I, S. 299. — 5) Bleek: Synopsis, I, S.309. — 6) Neander, Bleek: Synopsis, I, 312. Holtzmann. 12 J 78 Drittes Capitel. — 33ausv/Lc. 12, 22—31. Mt. 34 ist Zusatz, da der Abschnitt pas sender mit Lc. 31 = Mt. 33 schliesst1. — 7, 1 — 5: Kein Splitterrich ten. Auch hier kehrt das fünfte Glied wieder zur Bergpredigt von A, Lc. 6, 37. 38 (welcher Vers , ursprünglich von der Mildthätigkeit han delnd, von Matthäus in einen andern Zusammenhang gebracht wird) 41. 42 zurück. — 7, 6 : Vorsicht in der Mittheilung, ein Ausspruch, dessen erste Veranlassung leider nicht zu erkennen ist2- — 7, 7—11 : Anhaltendes Streben und Beten; aus A Lc. 11, 9 — 13. — 7, 12: All gemeiner Schluss, aus dem früheren Zusammenhang der Bergpredigt in A Lc. 6, 3 1 hierher gesetzt. 3 16) 7, 13 — 27. Schluss der Bergrede, bestehend zuerst aus einer Anzahl von passend ausgelesenen paränetischen Stücken aus A Lc. 13, 24—27 = Mt. 13. 23 und der Bergpredigt von A Lc. 6, 43— 45 = Mt. 16 — 20, welche Stelle aber durch die Beziehung, die ihr Matthäus zu den falschen Propheten gibt, mannigfach modificirt er scheint; namentlich ist Mt. 19. 20 Zusatz;4 A Lc. 6, 46 = Mt. 21 ; A Lc. 6, 47 — 49 = Mt. 24—27; so dass die Selbstständigkeit am gröss ten ist Mt. 13—15. 19—23, wo übrigens 22. 23 Bearbeitung von A Lc. 13, 25—27 ist.5 17) 7, 28. 29. Schlussformel, von Matthäus gebildet aus A Mr. 1, 22 = Lc. 4, 32, wiewohl freilich nach einer so langen, gegen die Pharisäer gerichteten, Rede, weder eine besondere Bemerkung über die Art, wie er predigte, noch die Erklärung, dass er anders, als die Pharisäer predigte, recht am Platze ist. 6 IV. Bild von Jesu Wunderwirksamkeit (8, 1 — 9, 34). Zusammenstellung einer Reihe von Wunderthaten aus verschiede nen Partien von A. 7 18) 8, 1—4. A, 10. Heilung eines Aussätzigen. Den Er folg der Sache hat Matthäus ganz weggelassen, und folgerichtig hätte er diese Methode des Auslassens auch auf das Verbot 4 ausdehnen sollen (§. 27). Wie das Folgende zeigt, sind die Verse 2 — 4 in den Zusammen hang von A eingeschoben ; Matthäus will die Rückkehr vom Berg nach der Stadt ausfüllen und setzt darum hierher das ohnehin ausgelassene Wunder vom Aussätzigen, dessen Scene er zugleich in's offene Feld ver legt. Eine gewisse Willkürlichkeit, womit Matthäus diese Perikope hier 1) Bleek: Synopsis, I, S. 323. — 2) Bleek: Synopsis, I, S. 326. - 3) Die all einige Angemessenheit dieser Stellung bei Lucas haben alle besonnenen Ausleger an erkannt von Maid onatus bis Ewald (Evangelien, S. 218. 222) undBleek (Synop sis, I, S. 330). — 4) Bleek: Synopsis, I, S. 334. 336. — 5) Bleek: A. a. O. S. 338. — 0) Wilke, S.626. — 7) Baur: Evangelien, S. 592 f. Composition des Matthäus. ] 79 einrückte, berechtigt aber noch lange nicht zu der Vermuthung, dass er einer anderen Quelle, als A, gefolgt sei. 1 19) 8, 5 — 13. A, 18. Heilung des Sohnes des Haupt manns von Kapernaum. Eingeschoben sind hier 11 und 12 aus einem Stücke von A, 2 dessen Anfang Matthäus oben im Schlüsse der Bergrede hatte (7, 13. 22. 23); vgl. Lc. 13, 28. 29. Schon um dieser Einschaltung willen kann nicht der ganze Abschnitt aus A sein . 3 20) 8, 14. 15. A, 8. Heilung der Schwiegermutter des Petrus. Hier beginnt bei Matthäus , der nun Wunder erzählen will, die Nachlese aus A mit Mr. 1, 29 — 3t. Die Abhängigkeit ist evident. Am Anfang ist der Bericht zusammengezogen, so dass Jesus gleich beim Eintritt die Kranke sieht (vgl. dagegen Mr. 30. 31). Während xqaxrj- aag xfjg ystgög bei Marcus auf eine plastische Weise die Geberde aus drücken soll (vgl. 5, 41. 9, 27), fasst Matthäus es als Medium der Hei lung, wie 8, 3, verwandelt es daher in rjipaxo xfjg x^iqög aixfjg, worauf das Fieber auch augenblicklich weichen muss. Aus rjysiqsv aixrjv macht er rjyigdrj, was den Uebergang zur Bedienung bilden soll, welcher Gegen dienst dann auch aixcp (für aixoig) geleistet wird. 4 21)8, 16. 17. A, 8. Krankenheilungen am Abend. Warum die Kranken erst öipiag ysvofiivrjg gebracht werden , ist nur aus Marcus (vgl. S. 1 14) zu ersehen. Dieser Pragmatismus schliesst jedenfalls fester, als der von Hilgenfeld vorgeschlagene, dass die Mahlzeit Mt. 8,15 bis Sonnenuntergang gewährt habe. 5 Ebenso verhält es sich mit der falschen Stellung von navxsg und noXXoi (vgl. Mr. 1, 32. 33).° Uebri gens verkürzt Matthäus die Stelle und setzt das Citat Jes. 53, 4 ein, um dessetwillen er vorher die xaxwg s'xovxsg den Dämonischen nachgestellt hatte. Die Abbreviatur am Ende war nothwendig, da Dasselbe, worauf Jesu Reise nach A Mr. 1, 35 — 39 = Lc. 4, 42—44 erst ausgehen soll, schon anticipirt ist vor der Bergpredigt. 7 Ebendesshalb verlässt nun auch Matthäus den Faden von A an dieser Stelle, um ihn dort wieder aufzunehmen, wo A Mr. 4, 35 die nächste Reise erzählt wird. 8 22) 8, 18—22. Zwei Petenten um das Himmelreich. Der Mangel aller Verbindung mit dem Vorigen, den Köstlin9 und Hil genfeld10 bemerken, rührt einfach daher, dass Matthäus, um das viele Hin- und Herziehen zu vermeiden und zu keiner, seine Disposition kreuzenden, Weitschweifigkeit verleitet zu werden, die Abreise von Kapernaum A Mr. 1, 35, die er jetzt eigentlich erzählen sollte, mit der 1) Gegen Weiss, S. 76. — 2) Plitt: De compositione, S. 14. — 3) Aehnlich Weisse: Evangelienfrage, S. 158. — 4) Weiss, S. 654. — 5) Zeitschrift für wis senschaftliche Theologie, 1862, S. 9. - 6) Weiss, S. 37. - 7) Wilke, S. 607. - 8) Wilke, S. 628. — 9) S. 78. — 10) Evangelien, S. 68. 12 jgQ Drittes Capitel, späteren 4, 35 zusammenwirft,1 aber nur um aus A Lc. 9, 57 — 60 em Stück einzuschieben, 2 das hierher nicht gehört, da Jesus sich dem Volke vielmehr entziehen will, wie bei seiner Hast auch das Wort 21 übel an gebracht ist, und seine Erklärung 20 erst für eine spätere Situation passt.3 Warum Matthäus einen dritten, in A Lc. 9, 61. 62 sich an schliessenden, Fall ausliess? Siehe §.28. 23) 8, 23 — 27. A, 22. Jesus im Sturm schlafend. Den Be richt von A setzt Matthäus in's Wunderbarere um, indem er Jesum noch liegend die Strafworte an die Jünger sprechen, dann erst aufstehen und das Meer stillen lässt — was Meyer nicht hätte misskennen sollen. 4 24) 8, 28—34. A, 23. Die Gadarenischen Besessenen. Wir sehen hier ab von dem ftaxqdv, was, wenn es nicht auf einem alten Schreibefehler beruht, 5 als ein unrichtiges Surrogat für ixst zu betrach ten ist. Den einen Tobenden A Mr. 5, 2 = Lc. 8, 27 verdoppelt Mat thäus grundsatzmässig (§. 16) und gibt die Sache nur compendiarisch und ohne den Schluss, denn dass näoa fj nöXig Jesu entgegengekommen sei 34, ist bioser Reflex der Nachricht von A, wornach der Geheilte auf Jesu Geheiss xad' oXrjv xfjv nöXiv (Lc. 8,39) oder sv xfj JsxanöXsi (Mr. 5, 20) das Wunder verkündet hat.6 Alle Verkürzungen haben übrigens ihren Grund darin , dass die allzu individuellen, nur auf den Einen berechneten, Züge im Matthäus wegfallen müssen. 7 Das nqö xat- qov 29 fliesst aus einer Eigenthümlichkeit des Matthäus , der die Paru sie als den Tag der Zerstörung aller letzten Hoffnungen der Dämonen betrachtet. 8 25) 9, 1—8, A. 11. Heilung eines Paralytischen. Aus dem bisherigen Zusammenhang von A nimmt Matthäus blos noch den Anfang xai ifißäg sig xö nXoiov ötsnsqaas (Mr. 5, 21) auf, greift dann aber auf eine frühere Stelle von A zurück, um , wie er die beiden Aus züge A Mr. 1, 35. 4, 35 identificirt hatte, nun auch in einem Zuge zu erzählen, was sich nach beiden Rückkunften ereignet hatte, und so ein möglichst sprechendes Bild von Jesu Wirken in Kapernaum zu geben ; 9 er verfährt auch hier beständig abkürzend (z. B. die Manier des Hereinbringens, die Marcus nach Hilgenfeld erfunden haben soll10), zum Theil aber auch zusetzend, wie in 8.11 Die Schlussformel A Mr. 2, 12, man habe so etwas noch nie gesehen, wandelt Matthäus in eine, aus 6 gebildete, Doxologie um, weil der Ausdruck von A, nach 1) Volkmar: Religion Jesu, S. 373 f. — 2) Ewald (Evangelien, S. 238), Plitt (De compositione, S. 14). — 3) Wilke, S. 620. — 4) Zu Matthäus, S. 208. — 5) Wilke, S. 514. — 6) Wilke, S. 613. — 7) Reuss: Nouvelle revue, II, S. 24. — 8) Ewald: Evangelien, S. 241. — 9) Volkmar: Religion Jesu, S. 374. — 10) Evangelien, S. 129. — 11) Ewald: Evangelien, S. 199. Composition des Matthäus. 181 den früher in Kapernaum schon geschehenen Wundern, besonders nach Matthäus 8, 5 — 13, im Matthäus unstatthaft ist. l 26) 9, 9—17. A, 12. Berufung des Matthäus und Gast mahl. Matthäus hat wieder bedeutend verkürzt, dafür aber das Citat Hos. 6, 6 eingefügt und an der Stelle des unbekannten Levi einen Na men aus der Liste der Zwölf gesetzt — was jedenfalls viel denkbarer, als die umgekehrte Annahme Derer, die in Marcus den abhängigen Text erblicken.2 Als Angeredete bezeichnet Matthäus 14 mit Recht die Johannesjünger, die auch Mr. 2, 18 erwähnt werden, da xai sqxovxai dort nicht heissen kann: man kam. 3 Dieser Frage fügt Matthäus, dem Sinne der Antwort nicht angemessen, ein noXXd bei. 4 27) 9, 18 — 26. A, 24. Das Töchterlein des Jairus und die Blutflüssige. Matthäus fasst jetzt den Faden von A, indem er ihn an früherer Stelle fallen lässt, dort wieder auf, wo er 9, 1 verlassen war, erzählt aber die, absichtlich auf den Schluss der Wunderberichte aufgesparte, Todtenerweckung ungenau und compendiarisch, wie schon aus dem siasXdwv 18 vgl. 10, und aus dem aqxi ixeXsvxrjasv hervor geht. Da hiernach das Kind schon anfangs gleich todt ist, wurde die weitere Sendung aus dem Hause des Jairus als überflüssig wegge lassen. Andere Abbreviaturen sind durch den Umstand bedingt, dass Jesus hier von Haus zu Haus, nicht aber vom See her durch das Volks gedränge, wie in A, den Weg macht. Weil aber die Verlängerung der unterwegs statthabenden Scene eben durch dieses, nicht erwähnte, Volksgedränge, motivirt war, musste auch die Geschichte von der Blut flüssigen bedeutend verkürzt werden. Endlich tritt auch der eigen thümliche Gesichtspunkt von A, wornach Jesus möglichst alles Auf sehen vermeiden will, zurück. 5 28) 9, 27 — 31. Zwei Blinde. Am Ende eines Abschnittes an gekommen, fügt Matthäus im Vorblicke auf 11, 5 noch zwei, zur Vor bereitung erforderliche, Wundergeschichten an.6 Zuerst die von den beiden Blinden (vgl. 11, 5 xvcpXoi ävaßXinovaiv), deren Herkunft schwer zu bestimmen ist. Wilke,7 Gfrörer,8 Bleek9 und Weiss10 vermuthen eine zweite Form der aus A stammenden Erzählung Mt. 20, 29 — 34, wie auch beide Berichte sich auffallend berühren, sonderlich in der Anrede an Jesus als viög daviö, was aber freilich an eine so frühe Stelle des Lebens Jesu, wie hier bei Matthäus, nicht passt (§. 27), wäh rend in der späteren Epoche, der Mt. 20, 29 — 34 angehört, das Verbot Mt. 31 nicht mehr begreiflich ist. Dieses kommt Mr. 8, 26 zum letz- 1) Wilke, S. 608. — 2)'Wilke, S. 532 tf. - 3) Gegen Wilke (S. 678), Weisse (Evangel. Geschichte, I, S. 482). - 4) Weiss, S. 49 f. — 5) Wilke, S. 533 f. 609 f. — 6) Wilke, S. 629. — 7) Urevangehst, S. 683. — 8) Urchristen thum, II, 2, S. 21 f. - 9) Synopsis, I, S. 405. - 10) S. 76 f. 182 Drittes Capitel. tenmal vor, und so hat Köstlin's Meinung, unsere Erzählung sei aus Mr. 8, 22 — 26 entstanden, 1 ebensoviel Wahrscheinlichkeit für sich, wie die Wilke'sche. In Wahrheit ist unser Bericht, man mag ihn fassen, wie man will, historisch unbegreiflich, da in die Zeit von Mr. 8, 22 — 26 nicht der Davidssohn, in die Zeit vonMt. 20, 29 — 34 nicht das Ver bot passen will : er ist also schriftstellerische Composition des Matthäus. 29) 9, 32—34. A, 19. Die Anklage der Pharisäer auf dämonisches Bündniss. Da Mt. 12, 22 — 24 dieselbe Sache erzählt wird,2 verdankt unsere Partie ihre Existenz nur dem Vorblick auf 11, 5 xwcpol äxovovatv, 3 zugleich wohl auch auf die unmittelbar folgende Instructionsrede, wo 10, 25 der Hausvater Beelzebul heisst.4 Unter brochen wurde sie daher, sobald diese Pointen angebracht waren, als bald, zumal da der weitere Fortgang viel besser in den Zusammenhang des folgenden, der Darstellung des Gegensatzes gewidmeten, Abschnitts passte. 5 V. Der Gegensatz (9, 35— 13, 58). 6 30) 9, 35 — 10, 42. A, 16, 26, 65. Instructionsrede an die Zwölf. Zu Beginn des neuen Abschnittes 9, 35 wird zunächst 4, 23 wiederholt und mit A Mr. 6, 6 combinirt; darauf folgt 9, 36, aus A Mr. 6, 34 gebildet; daran schliesst sich 9, 37. 38 aus A Lc. 10, 2. 7 Von hier an ist die ganze Rede, wie schon Bleek8 und Kern9 rich tig bemerkt haben, in der Weise des Matthäus zusammengearbeitet, theilweise aus der Rede A Mr. 6, 7 — 13 = Lc. 9, 1—6, theilweise aus der andern A Lc. 10, 1 — 12, theilweise aus den Abschieds reden AMr. 13, 9 — 13. Im Einzelnen ist Mt. 10, 1 aus A Mr. 6, 7 = Lc. 9, 1; weil aber die Namen der Apostel noch gar nicht ge nannt waren, was mit der Anticipation der Bergrede zusammenhängt, wird Mt. 10, 2—4 dieser Theil Geschichte aus AMr. 3, 16 — 19 = Lc. 6, 14 — 16 in sehr abgeglätteter Gestalt eingeschoben, und damit die Berufung der Apostel , die wir bisher fortdauern sahen, abgeschlossen. Mt. 10, 5. 6 ist ein, aus Gründen von Lucas, nicht aber von Marcus10 ausgelassenes, Stück aus A; Mt. 10, 7. 8 ist ebenfalls aus A Lc. 10, 9 (eigenthümlich aber ist das öwqsdv iXdßsxs öwqsdv ööxs); Mt. 10, 9. 1) Evangelien, S. 109. — 2) Gfrörer: Urchristenthum, II, 2, S. 21. 30. — — 3) Weisse: Evangelische Geschichte, II,- S. 75. - 4) Wilke (S. 629), Volk mar (S. 381). — 5) Vgl. Neander (Leben Jesu, S. 411), Bleek (Synopsis, S. 406), Weiss (S. 77). — 6) Vgl. über diesen Abschnitt und sein Thema Reuss (Nouvelle revue, II, S. 37) und Weiss (S. 33). — Wäre übrigens Matthäus nicht durch eine schriftliche Quelle gebunden gewesen, so hätten in diesem Abschnitt auch die Streit reden gegen die Pharisäer Cap. 15 und 19 ihren Platz gefunden. — 7) Vgl. auch Bleek: Synopsis, I, S. 408. — 8) Synopsis, I, S. 108 ff. 426 f. — 9) Tübinger Zeit schrift für Theologie , 1834, S. 63. — 10) Gegen Ewald (Evangelien, S. 247 f.), Bleek (Synopsis, I, S. 420). Composition des Matthäus. \ 83 10 aus A Mr. 6, 8. 9 = Lc. 9, 3, doch ist auch, und zwar in minder ge schickter Weise, J berücksichtigt A Lc. 10, 4. 7; Mt. 10, 11 — 13 ist zwar schon der Akoluthie wegen aus A Mr. 6 , 10 = Lc. 9,4, aber aus A Lc. 10, 5. 6 vervollständigt; auch hier finden sich im Gefolge der Ueberarbeitung einzelne Unklarheiten, wie das xäxsl 1 1, ohne dass oixia vorausgeht, und Anderes2; Mt. 10, 14 ist aus AMr. 6,11 = Lc. 9, 5. Bis hierher also haben wir eine Versetzung der Instructions rede in A durch die parallelen Stücke aus A. Es wäre jetzt, um am Faden von A weiter zu erzählen, blos noch die wirklich erfolgte Aus sendung (Mr. 6, 12. 13 = Lc. 9, 6) zu berichten gewesen. Statt dessen aber bildet Matthäus eine lange Rede, zunächst fortführend im Zusam menhange von A (Mt. 10, 15 = Lc. 10, 12. Mt. 10, 16 = Lc. 10, 3, bei Matthäus ausführlicher). Jetzt ist Matthäus, indem er aus der Rede in A eine Nachlese hält, wieder an deren Anfangspunkt angelangt und sieht sich nach neuem Stoffe um. Von 10, 16 sind daher längere Stücke aus den Abschiedsreden hereinverwoben ; nämlich 10, 17 — 22 aus A Mr. 13, 9. 11—13. Dann folgen Stücke aus A, zunächst Mt. 10, 23— 25, wovon Lucas, dem der Eingang zu auffallend und mit A Mr. 13, 1 0 im Widerspruch erscheinen mochte, blos die Mitte aufgenommen und ihr eine Stelle in der Bergpredigt angewiesen hatte (6, 10); Mt. 10, 26 — 33 = A Lc. 12, 2 — 9, doch so, dass 27 Jesu Wort, wodurch er den Jüngern furchtlose Veröffentlichung dessen empfiehlt, was sie bisher im Verborgenen geredet hätten, dahin gewandt wird, dass Jesus selbst bis her im Verborgenen geredet hat, was zur Veröffentlichung durch die Jünger bestimmt war. 3 Auch die fünf Sperlinge zu zwei As werden zu zweien für eines 29, und den Engeln Gottes ist 32. 33 das Angesicht Gottes substituirt. — Mt. 34 — 36 vereinfacht aus A Lc. 12, 51—53. — Mt. 37. 38 gemildert nach A Lc. 14, 26. 27. — Mt. 10, 39 = A Lc. 17, 33. — Mt. 10, 40 lenkt wieder in freier Weise zurück zu A Lc. 10, 16, was er mit A Mr. 9, 37 versetzt, und die Schlussworte Mt. 10, 41. 42 sind gebildet aus A Mr. 9, 41. Endlich aber gibt Mt. 1 1, 1 diesem längeren Abschnitte eine freie Schlussformel, um zur Sendung des Täufers überzugehen. Wie sehr es ihm nur auf die Rede angekom men war, sieht man daraus, dass er dann die wirkliche Aussendung auslässt. Die Jünger sind 12,1 wieder bei Jesus, als ob nichts vorge fallen wäre. Nach A erwartet nämlich Jesus die Jünger zurück, und sie kehren auch zurück. Alles Dies übergeht Matthäus, da gleich seine erste Rede Instructionen enthält, die nicht blos die damaligen, ..sondern auch viel spätere und ganz veränderte Zeitverhältnisse, vor Allem auch das 1) Bleek: Synopsis, I, S. 424 f. — Wilke, S. 355 f. — 2) Wilke, S. 357 f. — 3) Weisse (Evangelische Geschichte, I, S. 64), Bleek (Synopsis, I, S. 434). 1 84 ¦ Drittes Capitel. offene Hervortreten Jesu mit seiner Messianität, voraussetzen. l Wie könnten sonst die Worte hier Platz finden, dass die Jünger (die in der That so bald zurückkehrenden) vor Könige und Gerichtsstühle ge schleppt werden, dass sie von einer Stadt in die andere fliehen und doch die Städte Israels nicht durchlaufen sollten, bis des Menschen Sohn zurückkehre? Auch Bleek,2 Ewald3 und Hilgenfeld4 haben daher in dem zweiten Theil unserer Rede die bestimmtesten Spu ren von Anticipationen entdeckt. 31) 11, 1 — 19. Gesandtschaft des Täufers. Zuerst beendet Mt. 1 seine Composition mit der gewöhnlichen Formel und stellt durch die unklare Bemerkung fisxsßrj xxX. eine Art Zusammenhang mit dem folgenden Stück her.5 Dieses Stück konnte wegen des Citates 10 = Lc. 7, 27, welches mit dem Grundtext stimmt, nicht in A stehen, son dern ist, wie schon der Gebrauch des vai 9 zeigt, aus A (vgl. S. 143). Die Rede Jesu ist übrigens Mt. 11, 7 = Lc. 7, 24 an das Volk ge richtet. 6 32) 11, 20 — 24. Klage über die galiläischen Städte. Aus A Lc. 10, 13 — 15: der Schluss der Mt. 10 verarbeiteten Rede. Nur bei Lucas ist der Uebergang (vgl. 10, 12 und 13) ein natürlicher. * Uebrigens zeigt schon das aus A Lc. 10, 12 herübergenommene Xsyw vfiiv 22, das auch noch auf 24 Einfluss geübt hat, wie es sich mit der Verwandtschaft verhält. 33) 11, 25 — 30. Jesu Stellung zum Vater und zu den Menschen. Hier liess Matthäus aus A die Stelle Lc. 10, 17—20 aus, weil dieselbe von der Rückkehr der Jünger handelte, die bei Matthäus gar nicht ausgesandt waren ; wodurch der Ausspruch nicht gehörig mo tivirt erscheint. 8 34) 12, 1 — 8. A, 13. Aehrenausraufen am Sabbat. Die Veranlassung zu Jesu Worten ist in der S. 73 angegebenen Weise miss verstanden worden. Eine weitere Schwierigkeit liegt in den Worten 5. 6, welche man, da sie bei Marcus und Lucas fehlen , zunächst als Einschaltung aus A betrachten, und sich in dieser Wahrnehmung durch eine andere, ähnliche Stelle in A Mt. 12, 41. 42 = Lc. 11, 31. 32 be stärken lassen könnte. Sicher ist jedoch dieser Schluss keineswegs; denn wie den angegebenen Stellen zufolge hier nicht Xiyw öi vfiiv oxi xov Isqov fisTQov iaxiv wös, sondern xal iöov nXsiov xov Isqov wös zu er warten wäre, so gehört andererseits das ovx ävsyvwxs und das xoig aäßßa- 1) Wilke, S. 370. 610. 632. - 2) Synopsis, I, S. 429. - 3) Evangelien, S. 249. - 4) Evangelien, S. 73 f. 104. — 5) Hilgenfeld, S. 74. - 6) Gegen Weiss, S. 72 f.— 7) Vgl. Wilke, S. 6S7. - 8) So richtig Strauss, Ebrard, Wilke, S. 687. Composition des Matthäus. 185 aiv zum Sprachcharakter von A. Entweder also haben wir hier eine, von Matthäus in der Manier von A gebildete Erweiterung, oder aber Marcus und Lucas haben die Worte geradezu ausgelassen. Das Letztere ist an sich möglich und würde nur — was ohnehin feststeht — bewei sen , dass zu Zeiten der Entstehung des zweiten und dritten Evange liums der Tempelcultus nicht mehr bestand. l Dagegen scheint für den andern Fall zu sprechen, dass der Fortgang, das Citat 7, jedenfalls auf die Einschaltung 9 , 13 zurückweist und auf die Rechnung des Matthäus gesetzt werden muss (§.17). Da nämlich nach S. 73 Mat thäus die Stelle Mr. 2, 27 jedenfalls gelesen hat, ist ihre Auslassung Tendenzen zuzuschreiben, die dem Schreiber von Mt. 24 , 20 firjös aaß- ßäxw nahe genug lagen. Indem sich Matthäus nun nach einer anderen Brücke umsieht, um 8 mit 6 zu verknüpfen , geräth er auf die Einschal tung von Vers 7, der vom Tempel wieder auf den Menschen führen soll vermöge des Mittelgedankens, dass der Mensch mit seinen Bedürfnissen mehr Werth habe, als der Tempel und sein Cultus, die dvola.* Hätte das, aus Hos. 6, 6 entnommene, Argument ursprünglich im Text gestan den , so würde der ganze vorhergehende Apparat, weil auf ganz andere Zielpunkte abgelegt, überflüssig, das nachfolgende Wort 8, das trotz des eingesetzten yäq mit 7 in keiner logischen Verbindung steht, hal tungslos werden. Obwohl daher die Sache nicht zu vollkommener Evi denz gebracht werden kann, muss als wahrscheinlich betrachtet werden, dass jene zweite Seite an der Antwort Jesu (vgl. S. 73) ebenfalls biblisch illustrirt war, nämlich durch Mt. 5. 6, womit Jesus ebenso a minori ad majus schliesst, wie er 3. 4 a majori ad minus argumentirt hatte. 3 Schon um dieses einfachen Verhältnisses willen wäre die dreifache Gradation Baur's zu verwerfen, abgesehen davon, dass er sie nur mit Hülfe des Verses 7 (s'Xsog noch höher als Tempelcultus, wie dieser höher, als Sab bat) zu Wege bringt.* Nach jener, bei Marcus mit xal sXsysv avxolg angedeuteten, Auslassung würde in A also Mr. 2, 27. 28 gefolgt sein; Mr. 27 erklärt die Handlungsweise der Priester und correspondirt mit Mt. 5 ; Mr. 28 zieht aus dem angegebenen Grund eine Folgerung auf die Competenz des Menschensohns, der alle religiösen Grundrechte des Menschen in sich zusammenfasst, und correspondirt also mit Mt. 6. Hat so Mt. 5. 6 vor Mr. 27 gestanden, so ist die Auslassung des letzteren Verses auch bei Lucas erklärt, da dieser ohnehin einen Sprung macht. 35) 12,9 — 14. A, 14. Die verdorrte Hand. So offenbar hier Matthäus von der Quelle A, in deren Zusammenhang er auch fortfährt, 1) Hilgenfeld: Evangelien, S. 130. — 2) Wilke, Urevangelist, S. 95 f. 350 f. — 3) Meyer: Zu Matthäus, S. 259. — 4) Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1860, S. 286. i 1 86 Drittes Capitel. abhängig erscheint, so lassen sich doch auch die Spuren einer andern Quelle nachweisen, die Lc. 14, 1 — 6 wieder zum Vorschein kommt und vielleicht schon auf das aixwv der Scenerie 9 Einfluss geübt hat.1 Deut licher tritt A hervor, wo Mt. 1 0 die Frage Jesu A Mr. 3, 4 sich in eine, durch den Ausdruck von A Mr. 3, 2 = Lc. 6, 7 motivirte, Frage der Pharisäer umbildet, deren Form, abgesehen von dem Plural xoig odßßa- aiv schon aus Lc. 14, 3 entnommen ist; dessgleichen stammen aus Lc. 14, 5 die Zusätze Mt. LI. 12, nur dass Matthäus an die Stelle der seltsamen Combination viög rj ßovg das gewöhnliche Thier der Parabel, das Schaf, setzt, welches also hier nicht ursprünglich seine Heimath hatte, 2 sondern nur in Folge der, auch von Meyer anerkannten ,3 Er weiterung steht, deren Substanz nur Lc. 14, 5 recht am Platze ist. Damit erledigt sich auch die Auskunft, als sei dasselbe Bild in ver schiedene mythische Rahmen gefasst worden. 5 Noch ist aufmerksam zu machen auf die, durch die Einschaltung verunglückte, Stellung des, aus A Mr. 3, 4 = Lc. 6, 9 (ei efeoziv xcö aaßßdxw äyadonoifjaai) entnom menen, Wortes Mt. 12 cooxs s^saxiv xoig aäßßaoiv xaXcdg noislv. In dem Matthäus das äyadonoifjaai beibehält, es aber auf den Spruch von den Thieren folgen lässt, entsteht das Unpassende, dass das Wohlthun entweder nicht mehr als ein auf Menschen Bezügliches erscheint, oder aber von jenen aus A gegebenen Beispielen so abgelöst wird, als wenn es etwas Andres, Höheres, und jenes Wohlthun gegen Thiere noch kein wirkliches äyadonoifjaai wäre. 6 36) 12, 15—21. A, 15. Jesu stilles Wirken. Matthäus hatte , um die Bergpredigt an die Spitze zu stellen , die Besteigung des Berges und Alles, worauf er jetzt in der Befolgung von A stösst, antici pirt 5, 1 ; auch die Apostel hatten schon 5, 2 den Herrn umstanden und waren bereits 10, 2 — 4 namentlich aufgeführt worden. Wiewohl er sich daher 15. 16 noch mit A Mr. 3, 7. 10. 12 berührt und bei der Gele genheit aus den » Vielen « Mr. 1 0 wieder » Alle « macht 15, so sieht er sich doch genöthigt, die Grundschrift hier zu verlassen,7 und füllt da her seiner Gewohnheit gemäss die zerrissene Stelle mit einem Citat, aus Jes. 42, 1 — 4, aus. 37) 12, 22 — 32. A, 19. Anklage der Pharisäer wider Jesum auf Besessenheit. Nach der nothwendig gewordenen Aus lassung von A 16 — 18 (der Inhalt dieses Abschnitts war bei Matthäus schon dagewesen) fährt Matthäus in Reproduction von ausgelassenen Stücken aus A weiter fort,8 indem er zuerst das Wunder erzählt, zu des- 1) Weiss, S. 77. — 2) Gegen Ewald: Evangelien, S. 203. — 3) Zu Matthäus, S. 262. — 4) Bleek: Synopsis, I, S. 477. — 5) Strauss: Leben Jesu, II, S. 118. — 6) Wilke: Urevangelist, S. 461. — 7) Wilke, S. 621 f. — 8) Weiss, S. 45. Composition des Matthäus. 1 87 sen Darstellung er schon 9, 32 — 34 einen Ansatz gemacht hatte. ' Nur verändert er jetzt, im Bewusstsein, schon Erzähltes zu wiederholen, den Text von A, indem er im Allgemeinen verkürzt, insonderheit aber aus dem xwcpög einen xycpXög xal xwcpög macht. Da die ganze Scene in A jedenfalls berührt war, mochte der xvcpXög der Berücksichtigung dieser Quelle entstammt sein (S. 149). Indem ferner A Mr. 3, 21 um des du biösen i^ioxrj willen übergangen wird, setzt Matthäus dafür 23 eine Volksäusserung, in welcher das, sonst bei Matthäus nie wieder vorkom mende, i^iaxdvat sich geltend macht ; auch der viög Javiö zeigt, dass wir es mit einer Bildung des Matthäus zu thun haben. Zu A hält sich Matthäus auch noch im Fortgang, indem er das Wort vom iaxvqög 29 in der Form von A Mr. 3, 27 gibt; auch das von der Lästerung des Geistes 31 stimmt noch mit A Mr. 3, 28. 29. Aber gleich der Zusatz Mt. 32 ist aus der gleichartigen Partie A Lc. 12, 10 entnommen. Viel leicht verdeutlicht er auch 28 den ödxxvXog xov dsov (= Exod. 8, 9) zum nvsvfia xovt deov. 2 38) 12, 33—37. Von der verantwortlichen Bedeutsam keit der Rede. Im Interesse seines Zusammenhangs hat hier Mat thäus zunächst in einigen überleitenden Versen die Bergpredigt wieder holt (vgl. Lc. 6, 44. 45 mit Mt. 34b. 35). Die Pointe des Stücks liegt aber in den selbstständigen Versen 36. 37, die im Hinblick auf unseren Fall gesprochen sind. Sie stammen aus A und bildeten dort das einzig Eigenthümliche in der kurz berührten Scene mit den Pharisäern. — Auf diese Weise entsteht folgender Gedankengang im Matthäus : » Man meine nicht, es seien ja blose Worte ! Gerade die Worte enthalten die Gedanken des Menschen, steigen also aus dem tiefsten Grunde und wie aus der Wurzel des Menschen hervor : wie der Baum und der Stamm, so die Früchte, so dass der Mensch gerade nach seinen Worten gerich tet werden muss- «3 39) 12, 38 — 45. Das Zeichen des Jonas. Da in A unmit telbar nach der Scene mit den Pharisäern diese Partie folgte (S. 148), hat sie auch Matthäus, der sie als integrirenden Theil des ganzen Fac tums betrachtete, hier angereiht. Dass diese Reden aus A sind, haben unabhängig von einander Weisse4 und Ewald5 erkannt. Schon um des messianischen Tones von 40 — 42 würden sie in A hier nicht am Platze sein, dafür kehrt Matthäus wieder zu A zurück, indem er die oben (vgl. Lc. 11, 24 — 26) ausgelassenen Verse 43 — 45 zum Schlüsse 1) Hilgenfeld: Evangelien, S. 79. — 2) Wilke (S. 454), Bleek (Einleitung, II, S. 259). — 3) Ewald: Evangelien, S. 228. — 4) Evangelische Geschichte, II, S. 81 ff. — 5) Evangelien, S. 226. 188 Drittes Capitel. noch nachträgt und ein Schlusswort ovTwg SOTai xai xfj ysvsijt xavxrj xfj novrjqq hinzusetzt. J 40) 12, 46—50. A, 20. Jesu Verwandte. Das l%w 46 erklärt sich nur aus der, von Matthäus ausgelassenen, Stelle A Mr. 3, 20, wo Jesus im Hause ist. 2 41) 13, 1 — 52. A, 21. Jesu Gleichnisse. Wie bei den Ma karismen die Vierzahl, so hat Matthäus hier die Dreizahl auf die Sieben zahl gebracht. 1) 1 — 9. Gleichniss vom Säemann. In der Einleitung ist 2 das Schiff nur aus AMr. 3, 9. 4, 1 verständlich, wie auch Mt. 8, 23 nur aus A Mr. 4, 36. An das geglättete Gleichniss schliesst Mt. 10 eine Frage der Jünger an , die gleich von vornherein auf den Zweck des pa rabolischen Lehrvortrags, statt, wie nach S. 80 in A der Fall war, auf den Sinn des betreffenden Gleichnisses gerichtet ist. Da nun aber bei dieser Wendung die Antwort A Mr. 4 , 11 iv naqaßoXalg xd nävxa yivsxai nur idem per idem wäre, wurde diese Formel in oi öiöoxai verwandelt, entsprechend dem öiöoxai in der ersten Hälfte der Ant wort. 3 Durch dieses öiöoxai und ov öiöoxai ist dann aber 12 die Anti cipation von A Mr. 4, 24. 25 (dabei macht Matthäus aus nqooxsdrjosxai AMr. 4, 24 ein xal nsqioosvdrpsxai, was er 25, 29 noch einmal bringt) veranlasst, wodurch dann wieder die Verbindung von 13 mit dem Früheren erschwert wird. 4 Zuvor aber musste sowohl das iyivsxo xaxd fiövag, als das xoig e£« A Mr. 4, 1 1 wegbleiben, weil die Notiz von A, wornach Jesus sich vom Volke zurückzieht, überhaupt verwischt wer den, das Volk vielmehr bis 36 auf der Scene bleiben soll — ein Beweis, dass Matthäus das ol nsqi avxöv ovv zolg öwösxa A Mr. 4, 10 nicht ge lesen haben kann, da er es sonst für seine Situation besser hätte brau chen können, als das einfache ftadrjxai, was nach Mt. 10 = Lc. 8, 9 in A stand und allein in die S. 81 dargestellte Sachlage passt. Trotz der vor genommenen Alteration gibt aber Matthäus in Abhängigkeit von A die Rede Jesu alsbald wieder (vgl. 11. 12. 24. 31. 33) in einer Form, dass man sich das Volk schwer als anwesend denken kann. 5 Im ferneren Fortgang verändert Matthäus das 'iva Mr. 1 2 . Lc. 1 0 in oxi und reiht 16. 17 einige aus A Lc. 10, 23. 24 zurechtgelegte Reden an,6 worauf er dann mit der Uebergangsformel ifislg ovv äxovoaxs xfjv naqaßoXrjv 18 wieder in den Zusammenhang von A zurücklenkt. 7 Ueber andere Umbiegungen , wodurch Matthäus die allein bei Marcus durchsichtige Form verwischt, vgl. Wilke.8 Die weitere Rede Jesu AMr. 4, 21 — 25 übergeht Matthäus, da er den Hauptausspruch schon 12, das Andere 1) Gegen Bleek: Einleitung, II, S. 262. Synopsis, I, S. 503. — 2) Weiss, S. 39. — 3) Weiss, S. 50. — 4) Bleek: Synopsis, I, S. 515. — 5) Gfrörer (Ur christenthum, II, 2, S. 32ff.), Weiss (S.39).— 6) Synopsis, I, S. 518. — 7) Wilke, S. 309. 317. — 8) Urevangelist, S. 207. 420 f. Composition des Matthäus. 189 sogar schon 5, 15. 7, 2. 10, 26 anticipirt hatte. Ueberhaupt passte ihm diese Ermahnung hier nicht, wo Jesus sich mit den Jüngern ganz zu frieden zeigt, sie ja eben 16. 17 um ihrer Fähigkeiten willen selig ge priesen hatte. 1 2) 24 — 30. Gleichniss vom Unkraut auf dem Acker, von Matthäus an die Stelle der, aus den gleichen Elementen gebilde ten, 2 aber einfacheren, Parabel A Mr. 4, 26—29 gesetzt, wie gleich die ihm eignende Uebergangsformel äXXrjv naqaßoXfjv nagidrjxs (vgl. 13, 3t. 33. 21, 33) zeigt.3 Dass übrigens die Parabel aus A stammt, zeigt schon der avdqanog onsiqag, der ixdqög avdqwnog, das oix'f, und dass sie einer viel späteren Zeit angehört, zeigt die messianische Stellung, die nach 41 der Herr selbst darin einnimmt.4 3) 31. 32. Gleichniss vom Senfkorn, aus A." 4) 33. Gleichniss vom Sauerteig. Beide waren schon in ^/ Lc. 13, 18—21 so verbunden, wie denn Matthäus auch schon beim ersten die Form von A berücksichtigt (§. 13, Nr. 100). Daran schliesst sich, höchst charakteristisch, ein Finale 34, und 35 ein an die Stelle von xax' iöiav — nävxa Mr. 4, 34 tretendes Citat aus Ps. 78, 2 an; beide Verse gehören eigentlich der Sache nach hinter das siebente Gleichniss, hier stehen sie aber hinter dem vierten, weil Mat thäus von A Mr. 4, 33. 34 abhängig ist. Uebrigens erweist sich diese Abhängigkeit auch aus dem Inhalte der Schlussformel selbst. Denn wie könnte Matthäus zu der Bemerkung kommen, Jesus habe zum Volke blos in Parabeln geredet, da er dasselbe Volk schon zum Auditorium der Bergpredigt gemacht hat?5 — Dagegen verlässt nun Matthäus den Faden von A gänzlich, indem er 36 — 43 zuerst eine Auslegung des Gleichnisses 24 — 30 folgen lässt, in der er seine eigenthümlichen Re densarten und den fixirteren Lehrbegriff stark hervortreten lässt, die auch, mit 18 — 23 verglichen, zu nüchtern ist,6 um nicht, der Form nach, als Eigenthum des Matthäus gelten zu müssen. Matthäus beab sichtigte nach dem Muster von A, wo wenigstens das erste Gleichniss ausgelegt war, bei allen schwierigem Parabeln das Gleiche zu thun, vgl. unten zu 51. Aber nur hier führt er sein Vorhaben aus. — Eine Spur von A findet sich alsbald wieder in der Scenerie 36 dcpslg xovg oxXovg, weil in AMr. 4, 35. 36 Jesus und die Jünger, äcpivxeg xöv oxXov, nunmehr über den See fahren. Statt dessen lässt Matthäus Jesum jetzt in das 13, 1 erwähnte Haus gehen. 5) 44. Gleichniss vom Schatz im Acker. 6) 45. 46. Gleichniss von der Perle. 7) 47—50. Gleich niss von dem Fischnetze. Diese Gleichnisse stammen wohl aus A, wie 1) Wilke, S. 337. — 2) Bruno Bauer (Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker, II, S. 326 ff.), Hitzig (Joh. Marcus, S. 60). - 3) Wilke, S. 435. — 4) Wilke, S. 632. — 5) Hilgenfeld (Evangelien, S. 82), Weiss (S. 45. 73). — 6) Ewald (Evangelien, S. 25 f. 236), Weisse (Evangelienfrage, S. 243). 1 90 Drittes Capitel. auch der Schlusssatz 52, den aber Matthäus mit 51 einführt, welcher Vers seine Entstehung der Wahrnehmung verdankt, dass eigentlich, wie bei früheren, so auch bei den letztgegebenen Gleichnissen eine Ausle gung am Platze wäre, die sich Matthäus mit der Erklärung der Jünger, sie hätten Alles verstanden, erspart. ' Uebrigens erkennt auch Bleek in der Zusammenreihung wenigstens von 44 an den Componisten. 2 42) 13, 53 — 58. A, 25. Jesus in Nazareth. Schliesst passend den Abschnitt, in welchem das Hervortreten des Gegensatzes geschil dert worden war. VI. Die Mitte der Wirksamkeit Jesu (14, 1 — 18, 35). 43) 14, 1. 2. A, 27. Gedanken des Herodes über Jesus. Verkürzung von A (es sind die, im vorhergehenden Abschnitte theil weise schon ersetzten, Urtheile des Volkes ausgelassen3) und unbe stimmte chronologische Anreihung iv ixelvw xcp xaiqcp. Der dunkle Ausdruck A Mr. 6,14 wird durch xfjv dxofjv 'Irjaov verdeutlicht. 44) 14, 3—12. A, 28. Der Tod des Täufers; wie in A nach träglich erzählt, und zwar sehr compendiarisch, so dass die Absicht des änoxxslvai von Herodias auf Herodes übertragen wird, was zwar zu Jos. Ant. 18, 5, 2, nicht aber zu dem Charakter von A (Mr. 6, 20. 26) passt.4 Schon das Xvnrjdsig 9, aus welcher Notiz Marcus nach Baur alle seine Erweiterungen gesponnen haben soll,5 reicht, weil allein bei Marcus verständlich , hin, um die Abhängkeit zu beweisen. B 45) 14, 13—21. A, 29. Speisung der Fünftausend. Hier ist die Abhängigkeit des Matthäus von A evident. Wie wir sahen, hatte Matthäus die Aussendung der Zwölf in A gelesen, aber übergangen. Da er aber an der Stelle von A, wo er nunmehr angekommen war, ihre Rückkehr erwähnt fand, lässt er zwar das änrjyysiXav A Mr. 6, 30 stehen, gibt ihm aber zum Subject die letzterwähnten Johannesjünger (14, 12), so dass er, den blos parenthetischen Charakter der vorhergegangenen Er zählung aufhebend, die beiden Facta, wo in A die Jünger des Johannes ihren Meister begraben, die Jünger Jesu hingegen dem Herrn ihre Er lebnisse verkündigen , in eines contrahirt. 7 Die weitere Folge dieser 1) Gfrörer: Urchristenthum, II, 2, S. 34. — 2) Synopsis, I, S. 534. — 3) Wilke, S. 611.— 4) Gegen Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 80), Bleek (Synopsis, II, S. 64) u. A. — 5) Marcusevangelium , S. 50. — 6) Weiss, S. 60. — 7) Gegen diese, schon von Wilke (S. 622 f.) und Volkmar (Religion Jesu, S. 376) richtig beurtheilte und für das Sachverhältniss so deutlich redende, Stelle will Hil- genfel d (Theologische Jahrbücher, 1857, S. 408 f. Zeitschrift für wissenschaftliehe Theologie, 1862, S. 40) einreden: nur der Unterschied der Grundschrift und der Be arbeitung, nicht die Abhängigkeit des Matthäus von A Marcus ergebe sich daraus. So oft aber ein solcher Unterschied der Grundschrift und der Bearbeitung bei Hilgen- Composition des Matthäus. 191 Procedur ist, dass nun Jesus, ganz gegen A, aus Furcht vor Herodes sich in die Wüste begibt, und so die ganze Speisungsgeschichte anders motivirt erscheint. l Aber auch' die Geschichte selbst ist — von dem Zu satz 21 %w^(g yvvatxwv xai naiöiwv abgesehen — besonders in den Verhandlungen Jesu mit seinen Jüngern bedeutend verkürzt. Gelegent lich entsteht auch durch ixsldsv 13 der Schein, als sei die letzterwähnte Localität, Nazareth, am See gelegen, und Jesus von da abgefahren. Die Andeutung über das Mitleid A Mr. 34 bleibt wegen Mt. 9, 36 weg bis auf das Wort xai ianXayxviadrj in aixoig. 46) 14, 22—33. A, 30. Jesu Wandeln auf dem Meer. Die Episode 28 — 31 ist von Matthäus aus späterer Tradition in den Zusam menhang von A eingeflochten worden. 2 Das ävaßdvxcov avxwv 32 ist Umbildung von xat ävißrj A Mr. 6, 51. 3 47) 14, 34 — 36. A, 31. Jesus im Lande Genezareth. Aus A verkürzt. 48) 15, 1—20. A, 32. Vom Hän dewaschen. Zuerst hat Mat thäus, um mit dem Besonderen anzufangen und das Allgemeine daran zu knüpfen, seine Verse 3 — 6 und 7 — 9 aus A invertirt, wie na mentlich das nach 3 schleppend aussehende Wort 6 beweist, das sich nur aus dem Text A Mr. 7,13 erklärt. Dabei hat Matthäus nur das zweite xaXwg 7 beibehalten und 5 einen Nachsatz ergänzt. In den Zu sammenhang von A hat Matthäus ferner aus A die Worte eingefügt 13. 14 mit der selbstgemachten Einleitung 12. Diese eingeschaltete Rede wird als in dem Hause (AMr. 7, 17) gesprochen vorgestellt.4 Auch nennt Matthäus an der Stelle der Jünger speciell den Petrus , in dessen Munde dann freilich das cpqdaov xfjv naqaßoXfjv undeutlich wird, da unmittelbar vorher eine parabolische Aeusserung Jesu eingeschaltet war, die aber Petrus nicht meint.8 Am instructivsten ist aber, dass Mat thäus statt sig xöv ävdqwnov vielmehr sig xö axofia setzt, in Folge dessen er nicht blos auch ix xov oxofiaxog schreiben, sondern 1 8 weiter bemer ken muss, was aus dem Munde herausgehe, komme auch aus dem Her zen; weil ihn aber 19 seine Abhängigkeit von A wieder nöthigt, Dinge anzuführen, die aus dem Herzen kommen, ohne durch den Mund sich zu äussern , lässt er einige » Gesinnungen « hinweg und bringt — dem Dekalog folgend — die falschen Zeugnisse herein. 6 Nach Baur thut feld auftaucht, steht auch Marcus, indem er die vorauszusetzende ursprüngliche Form wirklich bietet, als Zeuge gegen die Hypothese Hilgenf eld's da. — 1) Vgl. Weiss, S. 40 f. — 2) Reuss (Nouvelle revue, II, S. 20), Ewald (Evangelien, S. 262). — 3) Wilke, S. 637. — 4) Weisse (Evangelische Geschichte, I, S. 61), Weiss (S. 73). — 5) Wilke (S. 577), Hitzig (Marcus, S. 58), Ewald (Evange lien, S. 265). — 6) Hitzig: Joh. Marcus, S. 56 f. 192 Drittes Capitel. er bei alledem recht, und die Abweichungen des Marcus wären theils unnöthig, theils unpassend. ' 49) 15, 21—28. A, 33. Das kananäische Weib. Wie der äussere geschichtliche Rahmen bei Matthäus überhaupt unbestimmter gehalten ist, wird auch gleich 22 die Sache so hingestellt, als hätte Jesus das heidnische Gebiet selbst gar nicht betreten , sondern vielmehr die Aufforderung des Weibes, auf heidnisches Gebiet zu treten, abge wiesen. Ebendesshalb muss Matthäus dann auch A Mr. 7, 31 auslas sen. Eigenthum des Matthäus sind auch die xqäns^ai xwv xvqiwv 27, anstatt der naiöia Mr. 7, 28, 2 sowie die aus 10, 6 herbeigezogenen nqößaxa xd änoXwXöxa xov oixov loqarjX. 3 Sonst bietet das Gespräch 23 — 25 noch ächte Reste aus der Urschrift, wie ja auch ßorjdsi 25 in den Evangelien nur noch Mr. 9, 22. 24 steht. Aber was in A nur so erzählt war, dass der Herr auch den, für die zudringliche Frau Fürbitte einlegenden Jüngern, widerstrebt und darauf von jener nochmals ange gangen wird, was daher Marcus als anstössig und überflüssig zugleich einfach übergeht, das hat Matthäus so weitergebildet, dass ein Gespräch auf dem Wege daraus wird, was bei der Veränderung der Scene noth wendig war. 50) 15, 29—31. A, 34. Wunder am See Genezareth. Während A nur eine specielle Wunderheilung folgen lässt, blickt Mat thäus auf die — in A unvermittelt eingeschobene (vgl. S. 85 f.) zweite Speisungsgeschichte vor, zu welcher viel Volk sich versammelt haben muss. Er bildet daher ganz nach der Analogie der ersten Speisungsge schichte mit Verwendung von A Mr. 7, 31 — 37 eine Einleitung. 4 An die Stelle des einen Kranken treten viele , und Jesus setzt sich auf einen Berg, um dieselben zu erwarten. 5 Nach der Verknüpfung bei Matthäus denkt man sich als Scene das westliche Ufer. 51) 15, 32 — 39. A, 35. Speisung der Viertausend. Soll nach Hilgenfeld die einfache Gestalt sein, aus der 14, 13 — 36 über arbeitet wäre. 6 In der That ist es Copie von Mr. 8, 1 — 10, nur dass im Interesse der Vereinfachung die ixdvöia öXiya A Mr. 8, 7 bei Matthäus schon 34 genannt und zugleich mit den Broden vertheilt werden, an statt nachher. 7 Aus 14, 21 ist wieder herübergenommen %wqig yvvaixwv xal naiöiwv. 8 52) 16, 1—4. A, 36. Zeichen der Zeit. Auf jeden Fall sind die Verse 2. 3, selbst wenn sie acht sein sollten, eingeschoben und frei bearbeitet nach A Lc. 12, 54 — 56. Denn der Ausdruck orjfisiov, der 1) Marcusevangelium, S. 54 f. — 2) Wilke, S. 578 f. — 3) Weisse: Evange lische Geschichte, I, S. 528. — 4) Ewald: Evangelien, S. 267. — 5) Wilke, S. 569. 681. — 6) Evangelien, S. 88. — 7) Reuss : Nouvelle revue, II, S. 20. — 8) Weiss, S. 62. Composition des Matthäus. 193 zur Einschaltung Veranlassung ward, kommt 4 in ganz anderem, der Forderung in 1 wieder entsprechendem, Sinne vor. Der Anhang et fifj xo arjfielov 'Icovä und die Bezeichnung der ysvsd als novrjqä xai ftoiya- Xig sind nicht sowohl von Marcus wegen ihrer Unverständlichkeit für Heidenchristen ausgelassen, als vielmehr von Matthäus aus 12, 39 wie der beigesetzt. * 53) 16, 5 — 12. A, 37. Vom Sauerteig der Pharisäer. Am Anfang hat Matthäus , da er das im Schiff vorgefallene Gespräch an's Land verlegt, A, Mr. 8, 14 in sXdövxsg ol fiadrjTal sig xö niqav sns- Xädovxo äqxovg Xaßslv verwandelt und damit den Auslegern viel Noth bereitet;2 nicht minder auch mit der Aenderung des einfachen ovnco voslxs ovöi avvisxs in ein ovnco — oiöi — ovöi, um dem , bei Mr. 20 nachgeschleppten, Zusatz von der zweiten Speisung Kürze und Symme trie zu geben. 3 Das eine Brod Mr. 8, 14 hat Matthäus übergangen,4 weil er die Situation überhaupt zerstört hat. Die Jünger hatten nicht gar kein Brod, sondern zu wenig Brod im Schiff, wie ja auch Jesus an Fälle erinnert, wo Brod da war, aber nicht genug. Ferner hat Mat thäus die Sadducäer neben den Pharisäern um so mehr genannt, als die selben die grundsätzlichen Leugner des 4 genannten Jonaszeichens sind. Die Schlussverse endlich 11. 12 sind erklärender Zusatz, an das ovnw avvisxs von A angeschlossen. 5 54) 16, 13—28. A, 39. Das Petrus-Bekenntniss. Hier verdeutlicht Matthäus gleich die Fragestellung durch das hinzugefügte tov vlöv xov ävdqwnov, was freilich der Herr in diesem Zusammenhang nicht gesprochen haben kann. In der Antwort ist der harte Structur- wechsel von A weggeschafft, wahrscheinlich das sxsqoi öi 'Isqsfdav und sicher 16 2lfiwv zu üixqog hinzugesetzt, wie auch zu 6 Xqiaxög noch b viög xov dsov xov ^wvxog — Alles zur Vorbereitung6 auf die soge nannte Felsenrede 17 — 19, welche aber weder in A, noch in A stand, 7 Baur,8 Köstlin,9 Meyer10 hätten sich daher nicht zu besinnen brauchen , warum Marcus und Lucas die Stelle ausliessen. Schwerlich werden auch die beiden Bezeichnungen des Petrus als eines Felsenapo stels und als eines Satans so in einem Athem gesprochen worden sein.11 In 20 ist der Satz mit oxi Erläuterung des nsqi aixov A Mr. 8,30; in 21 haben wir eine Umschreibung von A Mr. 8, 31 , wie besonders das ösixvvsiv xoig ftadrjxalg avxov und änsXdslv sig 'IsqoaöXvfta zeigt. In 1) Wilke, S. 579. - 2) Wilke: Urevangelist, S. 682 f. Neutestamentliehe Rhetorik, S. 450. - 3) Wilke: Urevangelist, S. 568 f. - 4) Reuss: Nouvelle revue, II, S. 22. - 5) Wilke, S. 579.— 6) Weiss, S. 51. - 7) Weisse : Evan gelische Geschichte, II, S. 93 f. — «) Marcusevangelium, S. 133 f. Theologische Jahrbücher, 1853, S. 58 f. - 9) S. 366 f. - 10) Zu Marcus und Lucas, S. 106 f. - 11) Schleiermacher: Versuch, S. 146. Holtzmann. * u 194 Drittes Capitel. 22 ist ein ausdrückliches Abmahnungswort des Petrus hinzugefügt, das aber schwerlich dem starken inixiftäv AMr. 8, 32 entspricht; viel leicht ist auch beigefügt 23 dxdvöaXöv fiov sl (vgl. 13, 41. 18, 7);1 jedenfalls aber 27 ausgelassen, was 10, 32. 33 schon da war (S. 87). 55) 17, 1—13. A, 40. Verklärung. Doch hat Matthäus die Sache dem Verständnisse näher zu bringen gesucht, indem er 5 iv cp siööxrjoa aus 3, 17 hinzusetzt, das oi yaq fjösi xi änoxqidfj A Mr. 9, 6 übergeht und die Furcht der Jünger, um sie psychologischer zu motivi- ren, erst nach der Himmelsstimme eintreten lässt. Daher die Amplifica- tion 6. 7. Was also Meyer als Beweis für die Ursprünglichkeit der Relation des Mattthäus geltend macht, 2 ist gerade umgekehrt zu beur theilen. Zugleich hat Matthäus im Gefühl der Unzweideutigkeit der Auferstehungsweissagungen Jesu die Notiz A Mr. 9, 10 xöv Xöyov ixqä- xrjoav nqog savxoig avtxjxovvxsg xi ioxi xö ix vsxgwv ävaoxfjvai wegge lassen ; 3 ausserdem hat er die undurchsichtige Phrase Mr. 1 1 oxi Xiyov- oiv in tI Xiyovoiv verwandelt und überhaupt die schwer verständlichen Schlussworte verständlicher gemacht, freilich aber nicht in dem Sinne, den sie in A hatten. Zusatz, gleichfalls im Interesse der Verdeutlichung, ist auch 13. — Bei der Abhängigkeit, in der aber Matthäus auch hier von A Marcus sich befindet, kann nichts willkürlicher sein, als die Verbindung des Gesprächs mit der Verklärungsgeschichte auf eine blose Laune des Matthäus zurückzuführen. 4 56) 17, 14 — 21. A, 41. Heilung des mondsüchtigen Kna be n. In der zweiten Hälfte ausführlicher nach A , als in der ersten . Eigenthümlichkeiten des Matthäus: osXrjvid'Cßxailu, xai vrtaxsia 21. Da gegen ist die Antwort 20. 21 ein Amalgam von A und A Lc. 17, 5. 6,r> wobei aber Matthäus, dem die Form von A Mr. 11 , 23 geläufig gewor den war, an die Stelle des Feigenbaums den Berg setzte. 6 57) 11J 22. 23. A, 42. Zweite Vorherverkündigung des Todes. Abgekürzt. 58) 17; 24 — 27. Geschichte vom Stater. Wegen Mr. 9, 33 = Mt. 17, 24. 25 (Kapernaum und das Haus) könnte man versucht sein , den Abschnitt in A zu suchen ; 7 aber gerade die Bemerkung A Mr. 30, dass Jesus incognito reiste, hat Matthäus weggelassen, um die Frage 24 möglich zu machen, 8 und auch die Diction ist nicht die von A(nqoafjXdov, xsXsl, xi aoi öoxsi, äXXöxqiog, äqa ys, noqsvdsign. s. w.). Das Stück wurde hergesetzt wegen seiner Aehnlichkeit mit der ausge- 1) Weiss, S. 52. — 2) Zu Marcus und Lucas, S. IM. — 3) Weisse: A. a.O. II, S. 311. — 4) Gegen Sehleiermacher, Strauss, De Wette, Neander, Köstlin: S. 75 f. — 5) Wilke (S. 662), Hitzig (Joh. Marcus, S. 88). — 0) Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 96. — 7) Vgl. dagegen Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 122. - &) Wilke, S. 663. Composition des Matthäus. 195 lassenen Stelle AMr. 9, 33. 34, wo auch von einem Gespräch im Hause die Rede ist, wobei Jesus den Jüngern mit einer Frage zuvorkommt; ' enthält übrigens einen späteren Ausläufer der Sage. 2 59) 18, 1 — 5. A, 43. Beschämung der Jünger durch ein Kind. Während in A Jesus das AnHegen auf den Gesichtern der Jünger liest, macht Matthäus daraus eine ausgesprochene Frage, in welcher schon die Hinweisung auf das »Himmelreich« zeigt, dass sie von zweiter Hand ist. Auffallender aber ist, dass Matthäus durch die Aenderungen in 3. 4 3 das in der Mitte befindliche Kind unter einen ganz anderen Gesichtspunkt (nämlich unter den von Nr. 66) gestellt hat. Er sucht nämlich zwischen A Mr. 9, 35 und 36 einen Zusammenhang herzustellen, was ihm nur gelingt durch Anticipation von A Mr. 10, 15 = Lc. 18, 17 in 3 und durch Umbildung von A Mr. 9, 35 in das, die Tendenz seiner Erzählung -bezeichnende, öWtg ovv xansivciiasi sav- xöv tig xö naiöiov xovxo 4. 4 Am Schlüsse lässt Matthäus A Mr. 9, 38 — 41 um so mehr aus, als er 10, 42 schon das Hauptdictum daraus gege ben hatte, 5 und überhaupt die ganze Geschichte sich in keinen Zusam menhang mit dieser grösseren Rede Jesu bringen liess. 6 60) 18,6—9. A, 45. Warnung vor Aergerniss. Matthäus hat A Mr. 9, 42 — 47 vor sich, aber vermöge der Auslassung von A Mr. 9, 38 — 41 sind gleich zu Anfang die fiixqol ovxot, sich an schliessend an den Inhalt von Nr. 59, zu Kindern geworden. 7 Trotz Volkmar's Versicherung, Matthäus habe Mr. 9, 38—40 gar nicht ge lesen, 8 merkt man also die Auslassung recht wohl. Noch schwieriger wird aber der Ausdruck des Matthäus dadurch, dass er aus A Mr. 9, 42 auch die Bestimmung der ftixqoi als niaxsvovxsg herübernimmt. Baur, der auch hier die Ursprünglichkeit des Matthäus festhalten will, zieht das dogmatische Auskunftsmittel der fides puerorum herbei : die Kinder sollen als niaxsvovxsg bezeichnet werden wegen ihrer positiven sittli chen Beschaffenheit ! — 9 Andererseits wird auch der Schluss A Mr. 9, 48 — 50 abgeschnitten, weil das Wesentliche schon 5, 13 berichtet war aus A und A. Dagegen veranlasst A Mr. 9, 43—48 die Doublette in 8. 9, in welche aus 5, 29. 30 auch das xai ßdXs dnö aov aufgenommen ist. 10 Der den Uebergang allein vermittelnde " Vers 7 ist von Marcus ausge lassen und von Lc. 17, 1 umgestellt. 61) 18, 10 — 14. Gottes Interesse am Geringen. Dabeiist- 1) Wilke, S.637. — 2) Hitzig: Joh. Marcus, S.61. — 3) GegenDe Wette, der (Einleitung, S. 158) vielmehr Mt. 3. 4 ausgefallen sein lässt bei Lucas, vgl. schon Wilke, S. 219 f. — 4) Weisse: Ev. Geschichte, I, S. 76. 553 f. — 5) Wilke, S. 338. — 6) Weiss, S. 45. — 7) Bleek: Synopsis, II, S. 83 f. - 8) Religion Jesu, S. 244. — 9) Marcusevangelium , S. 77. — 10) Weiss, S. 41.45. — 11) Weisse: Ev. Geschichte, I, S. 78. 13* 196 Drittes Capitel. 10 vielleicht noch aus A, dagegen 11—14 aus A und befindet sich in ursprünglicherer Form bei Lc. 15, 3 — 7. Matthäus will aus dem Gleich niss nur gefolgert wissen, dass Gott auch das geringste Kind ( 1 4) nicht verloren gehen lasse, und kommt dabei vom Ursprünglichen ab; denn in A hatte die Stelle eine Beziehung auf die verirrten Sünder, wesshalb der un ächte Vers 1 1 auf einer ganz richtigen Wahrnehmung der Ab schreiber beruht. * Auch ist z. B. diXrjfia s'finqoadsv Nachbildung von Lc. 10 xa°d ivconiov. 2 62) 18, 15—20. Gemeindepflicht der Versöhnlichkeit. Ausgehend von A Lc. 17,3 bringt Matthäus eine , auf Gemeindever hältnisse sich beziehende, Anordnung Christi, die aus derselben schrift lichen oder mündlichen Quelle herrührt, wie 16, 17 — 19. Vgl. f) ixxXrj- aia und die potestas clavium. 3 63) 18, 21—35. Parabel von der Vergebung. Matthäus commentirt mit dem, vielleicht aus A genommenen, Gleichniss die kür zere Form von A Lc. 17, 4 aus späteren Gemeindeverhältnissen. 4 Auch Bleek erkennt in dem öid xovxo wfioiwdrj, womit die Parabel einge leitet wird, die Hand des ordnenden, Gleichartiges verbindenden, Com ponisten, 5 der hier, bevor er diesen Theil abschliesst, noch einmal ein ganzes Capitel von, nur 21 durch eine Frage des Petrus unterbroche nen, Reden Jesu bildete. VII. Jesu letzte Reise und Ende (19, 1—28, 20). 64) 19, 1. 2. A, 46. Jesu letzte Reise nach Jerusalem. Weiss will zwar hier keineswegs einen entschiedenen Einschnitt in der Composition des Matthäus anerkennen, 6 aber schon die gehäuften Einschaltungen im vorigen Capitel beweisen, dass er zwischen Mr. 9, 50 und Mr. 10, 1 einen Strich setzte. Während Matthäus ausdrücklich hervorhebt, dass Jesus nunmehr Galiläa verlässt, ist er dagegen in der Angabe des Reiseziels Jesu durch Auslassung des xai oder ötä vor niqav etwas undeutlich geworden. Vgl. hierüber §. 26. 65) 19, 3 — 12. A, 47. Von der Ehescheidung. Ein Stück davon hat Matthäus schon in die Bergrede hereingestellt 5, 31. 32. Von dort hat er übrigens die Ausnahme fir) ini noqvsiag hierher übertra gen7 und demgemäss auch schon durch die Fragestellung (Hinzufügung von xaxd näaav aixiav) deutlich genug auf eine zu erwartende Aus nahme hingewiesen. 8 Ueberdies hat Matthäus zuerst die Zwischenmo mente A Mr. 10, 3 — 5 übergehen wollen, anticipirt daher die Haupt- 1) Weiss, S. 74. 82. — 2) Wilke, S. 687. - 3) Weisse: Evangelienfrage, S. 23S. — 4) Vgl. Wilke, S. 687 f. — 5) Synopsis, II, S. 91. - 6) S. 41. — 7) Weiss, S. 45. — 8) Wilke (S. 580), Weiss (S. 51). Composition des Matthäus. 197 sache A Mr. 6—9. Da aber der Fortgang A Mr. 10. 11 die Auseinan- setzung Jesu über sein Verhältniss zu Deut. 24, 1 voraussetzt, holt Mt. 7. 8 das Uebergangene in freier Weise nach, gibt dann 9 die Er klärung Jesu Mr. 1 1 so , dass er sie der den Juden gegebenen Antwort unmittelbar (also mit Auslassung von Mr. 10) anfügt. Das geschieht mit einem, aus xal Xsysi avxolg Mr. 11 gebildeten, Xiyw öi vfiiv , wo mit Jesu Autorität wie in der Bergpredigt der des Moses gegenüberge stellt wird. * Endlich gibt Mt. 10 — 12 den richtigen Schluss von A. 66) 19, 13—15. A, 48. Segnung^der Kinder. Matthäus hat sehr verkürzt, namentlich 1 4 die Worte og idv fir) öi^rjxai xrjv ßaoiXsiav xov dsov cbg natöiov oi fir) sloiXdrj slg aixrjv weggelassen, da er die Nothwendigkeit des Kindersinnes 18, 3. 4 anticipirt hat. 2 67) 19, 16 — 30. A, 49. Vom reichen Jüngling. Matthäus hat die anstössige Stelle A Mr. 10, 17. 18 sowohl in der Frage, wie in der Antwort alterirt, ohne den eigentlichen Anstoss etg iaxiv b dyadog, wozu freilich das 6 dsög fehlt, ganz umgehen zu können. 3 Die dialogi sche Form von 17 — 20, sowie anch den Vordersatz et diXsig xiXsiog stvai 21 und das xi aqa saxai fjfilv 27 hat er selbstständig gebildet.4 Eigenthümlich ist ihm die Bezeichnung des Fragenden als vsavioxog 20. 22, ferner 19 die Hinweisung auf Levit. 19, 18 und namentlich der, aus A hereingeschobene, den Zusammenhang störende, Ausspruch 28. Weil dadurch die ganze Rede eine Beziehung auf die Zukunft erhielt , fehlt nur die Unterscheidung des iv xcp vvv xaiqqü und sv xcp aiwvi xcp sq- XOfiivcp. 5 68) 20, 1 — 16. Gleichniss von den Arbeitern im Wein berg. Wurde von Matthäus eher aus A, als aus der Tradition gebildet und an das Wort A Mr. 10, 31 = Mt. 19, 30 angehängt, welches da durch als die Pointe der ganzen Parabel erscheint, die übrigens an sich nur die Seligkeit als reines Gnadengeschenk darstellen will. 6 Der hier unpassende und wahrscheinlich unächte Schlussmaschal noXXol yaq xX'rjxoi ist aus 22, 1.4 anticipirt. 7 Die »ungeschickte Unterbrechung, « die der Geschichtsgang durch Hereinschiebung dieser Parabel erleidet, erkennt selbst Baur an. 8 69) 20, 17 — 19. A, 50. Todesweissagung. Abgekürzt, die Verspeiung ausgelassen, die Todesart aber bestimmt genannt. 70) 20, 20 — 28. A, 51. Ehrgeiz der Söhne des Zebe- 1) Wilke, S. 652. — 2) Wilke, S. 338 f. — 3) Weisse: Evangelienfrage, S. 165 f. — 4) Wilke (S. 224. 361 ff.), Neander (Leben Jesu, S. 593), Bleek (Synopsis, II, S. 266. 270). - 5) Wilke, S. 226. 360 f. - 6) Wilke (S. 371 ff), Bleek (Synopsis, II, S. 274 ff.). — 7) Neander (S. 621 f.), Bleek (Synopsis, II, S. 278 f.). — 8) Marcusevangelium, S. 86. ] 98 Drittes Capitel. däus. Die Reden etwas verkürzt. An die Stelle der Jünger tritt ihre Mutter, für die sich eine kindische Bitte eher zu schicken schien. 71) 20, 29 — 34. A, 52. Heilung des Blinden von Jericho. Die Heilung wird richtig auf den Moment des Auszugs verlegt, der Ge heilte aber A^erdoppelt (§. 16). 72) 21, 1 — 11. A, 53. Einzug in Jerusalem. Matthäus fügt 4. 5 das Citat aus Sach. 9, 9 ein, worauf er schon 2 Bezug genommen hat, und spricht in Folge dessen von zwei Lastthieren, J muss aber eben desshalb die Worte A Mr. 11, 2 icp' ov oiöslg ävdqwnwv xsxädixsv weglassen. 2 73) 21, 12 — 17. A, 55. Reinigung des Tempels. Aus der Tradition eingesetzt ist 14 — 16 mit dem Citat aus Ps. 8, 3. Dann wird 17 der Schluss des ersten (in A zweiten) Tages angedeutet. Matthäus hat nämlich die Reinigung des Tempels auf den ersten Tag verlegt, um das Hosianna 1 5 als Fortsetzung des vorhergegangenen Hosianna näher an 21, 9 anzureihen.3 74) 21, 18 — 22. A, 54. 56. Verfluchung des Feigen baums. Matthäus wollte die Geschichte zuerst ganz übergehen; als er ihr aber A Mr. 11, 20 wieder begegnete, gab er sie zwar, jedoch zusam mengezogen, so dass er die zwei Acte, in welche das Ereigniss zerfiel, in einen , und in Folge dessen auch die beiden ersten, in A- unterschie denen, Tage des Aufenthaltes Jesu in Jerusalem in einen contrahirte. 4 Den Schluss der Reden Jesu hat Matthäus schon 6, 14. 15 gehabt, lässt ihn daher jetzt aus. 75) 21, 23 — 27. A, 57. Frage und Gegenfrage der Pha risäer. Bei Matthäus kürzer und minder lebendig. 76) 21, 28 — 32. Parabel vom gehorsamen und unge horsamen Sohn. Von Matthäus eingearbeitet, da das syvwaav A Mr. 12, 12 = Mt. 21, 45 nicht mehr passte, wenn Mt. 21, 31 voraus gegangen war. 5 Seine hiesige Stellung verdankt der Abschnitt dem un gefähren Anschlüsse an das Vorige (Johannes 32) G und Folgende (iv xcS äfinsXwvi 28). Aber schon die Doublette 28 — 30 weist auf A hin, wo dafür das andere, in A folgende Weinbergsgleichniss nicht stand. Die Antwort der Juden 31 ist ganz der dialogischen Manier des Matthäus gemäss (§. 19, 5) und hätte schon desshalb von Lachmann nicht an getastet werden sollen. 7 77) 21, 33—46. A, 58. Parabel vom Weinberg. Matthäus zieht zusammen (vgl. besonders 35—37), macht aus der dreimaligen 1) Wilke, S. 232. 361. — 2) Wilke, S. 232. 363 ff. — 3) Wilke, S. 5SI. 638. — 4) Sieffert (S. 111), Ewald (Evangelien, S. 316).— 5) Wilke, S. 373 f. — 6) Weisse : Ev. Geschichte, II, S. 109. — 7) Studien und Kritiken, 1830, S. 839 ff. N. T. ed. maj. II, praef. V sqq. Composition des Matthäus. 199 Sendung von je einem Knecht (Mr. 12, 2—5 = Lc. 20, 10 — 12) eine zweimalige von jedesmal mehreren Knechten (34 — 36), wodurch die Gestalt des Vertrags undeutlich (vgl. 34. 41) wird. Er trifft ferner im Interesse des, ausserhalb der Stadt erfolgten, Todes Jesu eine Umstel lung (39), legt die Antwort 41 den Pharisäern in den Mund, die sich auf diese Weise selbst verdammen, und fügt 43 eine deutlichere Nutzan wendung bei, der er auch schon den Schluss der Parabel 41 accommodirt hat. Dagegen ist Vers 44 vielleicht unächt. Die Unterbrechung aber der drei Parabeln durch den Abschluss 45. 46 versteht sich nur unter Voraussetzung der Abhängigkeit des Matthäus von seinem Original; J doch stellt Matthäus die Worte um, weil er dxovaavxsg xdg naqaßoXdg (die mitgetheilte aus A und die vorige, eingeschaltete) anbringen wollte. 2 78) 22, 1 — 14. Gleichniss vom königlichen Gastmahl. Von Matthäus hier eingeschoben um der Verwandtschaft mit der Ten denz des Vorhergehenden willen.3 Das Verhältniss dieser Parabel zu Lc. 14, 16 — 24 ist zu beurtheilen, wie das von Mt. 25, 14 — 30 zu Lc. 19, 11 — 27. Wir haben also keine schriftstellerische Vermengung zweier Gleichnisse vor uns, 4 sondern höchstens ist eine doppelte Gestalt der Parabel im Munde Jesu, wahrscheinlich blos eine Vereinfachung der einen Parabel, die Jesus gesprochen hat, durch Lucas anzunehmen.5 79) 22, 15—22. A, 59. Vom Zinsgroschen. 80) 22, 23 — 33. A, 61. Sadducäerfrage. Kürzer und glätter umgeschrieben. 81) 22, 34—40. A, 62. Frage nach dem grössten Gebot. Obgleich 22, 22 gesagt war, dass die Pharisäer Jesum gehen Hessen, tritt hier noch einmal einer auf, wozu A Mr. 12, 28 Veranlassung gab. Während aber in A die Frage des yqafifiaxsvg nicht versuchlicher Art ist , spricht bei Matthäus ein vofiixög und zwar nsiqä^uv avxöv, was Beides daraufhinweist, dass dem Matthäus auch die Quelle A Lc. 10, 25 vorlag. Die so sich darbietende Aenderung passte auch besser in den Plan dieser Capitel bei Matthäus, insofern auf diese Art die Kampf- scene weitergebildet wird. 6 Den Schluss von A Mr. 12, 32 — 34 musste Matthäus hierauf natürlich auslassen. 7 82) 22, 41—46. A. 63. Frage über Psalm 110. Zum Schlüsse der Scene bildet Matthäus eine einfache Lehrfrage Jesu um in eine Ge genfrage an die Pharisäer, die selbst sagen sollen, er sei Davids Sohn, 1) Weiss, S. 42. 51. — 2) Wilke, S. 374. — 3) Bleek: Synopsis, II, S. 324. — 4) Gegen Schneckenburger, Strauss, De Wette, Gfrörer, Ewald: Jahrbücher, I, S. 136. Evangelien, S. 320 f. — 5) Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 111 ff. — 6) Weiss, S. 42. — 7) Gegen Hilgenfeld: Marcusevangelium, S. 75 f. 200 Drittes Capitel. wogegen dann erst zweitens argumentirt wird, wie in den anderen Tex ten; daher die, die Antwort auf den Mund legende, Frage : xivog viög ioxi ; — Auf das ncog dagegen wissen sie keine Antwort mehr. So kann nun Jesus ungehindert bei Matthäus zur grossen Strafrede übergehen. 1 Ebenfalls im Interesse der Composition setzt Matthäus die Formel Mr. 12, 34 an den Schluss der Streitscenen 46. 2 83) 23, 1—39. A, 63. Rede wider die Pharisäer. Compo nirt aus folgenden Quellen: 1) A und zwar Mr. 12, 38 — 40 = Lc. 20, 45—47 (= Mt. 6. 7. 14). — 2) A und zwar Lc. 11, 39 — 52 (= Mt. 4. 13. 23—36) und Lc. 13, 34. 35 (= Mt. 37 — 39) und Lc. 18, 14 (= Mt. 12). — 3) die S. 162 erwähnte Quelle und wohl auch Tradition. Der Eingang 2 — 12 namentlich ist meist aus der letzterwähnten Quelle (2.3.8 — 10), aber auch aus ^Lc. 11, 46. 18, 14 und AMr. 38.39, sowie aus Reminiscenzen an Mt. 6, 1 (vgl. 5) und 20, 26 (vgl. 11) frei ge bildet, so aber, dass die Scheinheiligkeit hervortritt, und zugleich die Jünger wegen 8 schon 1 ausdrücklich mit als Zuhörer genannt werden.3 Schon die 13 = Lc. 11, 52 beginnende directe Anrede kündigt eine neue Quelle an. Es folgen nämlich, unter Voraussetzung der Unächt- heit von 14, wieder sieben Wehe: 1) 13 aus A Lc. 11, 52 ; 2) 15 aus andern Quellen gebildet, wie auch 3) 16 —22 (wobei der letzte Vers = 5,34); 4) 23. 24 aus ALc. 11, 42; 5) 25. 26 aus A Lc. 11, 39— 41 ziemlich frei gebildet, namentlich geglättet; 6) 27. 28 vollständiger aus A Lc. 1 1, 44; 7) 29—31, aus A Lc. 1 1, 47. 48 frei gebildet. 4 Hierauf folgt dann, indem Matthäus ganz im Zusammenhang von A bleibt, 32 — 36 der pathetische Epilog. Den Schluss bildet 37 — 39 eine andere Stelle aus A Lc. 13, 34. 35, die aber in dem historischen Zusammen hang des Matthäus unerklärbar ist. — In der Form, wie sie hier vor liegt, ist die Rede schon desshalb eine historische Unmöglichkeit, weil sie kein einheitliches Auditorium voraussetzt, indem die Grundlage A Mr. 12, 38-40 = Lc. 20, 45 — 47 an das Volk, eingearbeitete Stellen 8 — 10 dagegen an die Jünger adressirt sind. Es zeigt sich daher hier wieder eine ähnliche Unklarheit , wie bei der Bergrede des Matthäus. 3 84) 24, 1—25, 46. A, 66. Eschatologische Rede. Von den namhaftesten Stimmen 6 ist der Compositions - Charakter dieser Stelle erkannt und nachgewiesen worden. Doch unterscheiden sich in die ser Beziehung wieder beide Capitel. Dem ersteren liegt zu Grunde A Mr. 13, 1—37 = Lc. 21, 5—36, verbunden mit den beiden Stellen aus 1) Weiss, S. 42. — 2) Wilke (S. 246 f. 575. 652), Hitzig (Joh. Marcus, S. 124). - 3) Wilke, S. 365 f. — 4) Ewald: Jahrbücher, I, S. 133 ff. Evange lien, S. 321 ff. — 5) Hilgenfeld: Evangelien, S. 99. — 6) Luther, Schleier- maeher, Neander, Hase, Weisse: Evangelische Geschichte , I, S. 5S8 ff. II, S. 121 ff. Evangelienfrage, S. 167 ff. Composition des Matthäus. 201 A Lc. 12, 39—46 und 17, 22—37. J Im Einzelnen verhält es sich mit Cap. 24 folgen dermassen. Der Eingang 1 — 3 ist aus A Mr. 13, 1 — 4, jedoch insofern alterirt, als der etg ix xwv ftadrjxiöv Mr. 1 , sowie die vier mit Namen Genannten Mr. 3 ganz zurücktreten, und das veranlas sende Benehmen der Jünger in einer Weise modificirt wird, dass zwi schen Mt. 23, 38 und 24, 1 eine Ideenassociation ermöglicht wird; auch fragen die Jünger nicht blos nach der Zeit der Zerstörung, sondern auch — wegen 23 , 39 — gleich nach der Parusie. 2 Der erste Absatz der Rede Jesu Mt. 4 — 8 ist dann getreu aus A berichtet; wohingegen der zweite Mt. 9 — 17 um denjenigen Inhalt verkürzt erscheint, den Mt. 10, 17 — 22 = Mr. 11 — 13 schon anticipirt hatte. 3 Eben darum geräth aber Matthäus hier in Unordnung, indem er zuerst, die zweierlei Verfolgun gen in A (von Seiten der Nichtchristen Mr. 9 und der Christen Mr. 1 1 ) zusammenwerfend, 4 9 (wo er xwv idvwv einsetzt) an den Anfang Mr. 9 unmittelbar das Ende Mr. 13 anreiht, dann aber 10 den wesentlichen Inhalt des ausgelassenen Stücks Mr. 10 — 12 nachbringt und mit xal xöxs axavöaXiodrjoovxat einen Causalzusammenhaug herstellen will; in dem er ferner 1 1 zur Ausfüllung des immer noch mageren Bildes einen späteren Zug A Mr. 22 (hieraus und aus A Mr. 13, 6 = Mt. 24, 5 sind die noXXol rpsvöonqoqpfjxai geworden)5 vorausnimmt, hierauf 12 ein ihm eigenthümliches Dictum gibt und mit 13. 14 (wo er xfjg ßaatXsiag iv oXrj xfj olxov fiivrj einsetzt) wieder in den Zusammenhang von A Mr. 10. 13 zurückkehrt. Dabei schaltet er 14 xai tote rj$~si to xiXog ein, damit doch das xiXog, welches in A dem neuem Absatz unmittelbar vorhergeht, auch bei ihm nicht, fehle. 6 — Der dritte Absatz Mt. 15 — 25 ist wieder genau nach A, wovon vielmehr Marcus hier und da abweicht. Doch bleibt das firjöi oaßßaxov Mt. 20 zweifelhaft, da Marcus es ebenso gut auslassen, als Matthäus es zufügen konnte. Letzteres ist aber wahr scheinlicher, weil der Zusatz im Geist des Matthäus liegt (§. 23) und dem Zusammenhang der Rede widerstrebt, wornach man, weil zum Voraus erinnert, mit der Flucht nicht erst warten wird bis zu einem Sabbat.7 Dann aber ist Mt. 26—28 aus A Lc. 17, 13. 24. 37 (welch letzteren Aussprüchen zugleich mit der bei Lucas allein deutlichen Be ziehung8 die passende Form der Antwort auf eine Frage abgestreift ist) eingeschoben als Abschluss des dritten Abschnittes und Vorbereitung zum vierten. Dieser Mt. 29 — 35 ist zum Theil poetisch amplificirt, na mentlich durch Beibringung des Signals 30 9 und der Posaune 31. Ein 1) Ueber das Verhältniss des letzteren Abschnittes zu Matthäus am besten Schleiermacher: Versuch, S. 215 ff. 265 ff. — 2) Weiss, S. 51. — 3) Hitzig: Joh. Marcus, S. 58. — 4) Wilke, S. 422. — 5) Hitzig: Joh. Marcus, S. 58. - 6) Wilke, S. 423. — 7) Wilke, S. 367. — 8) Bleek: Synopsis, II, S. 374 f. - 9) Wilke, S. 330. 202 Drittes Capitel. fünfter Abschnitt 36—51 besteht aus sehr freier Combination der beiden Hauptquellen. Im Einzelnen ist Mt. 36 = Mr. 13, 32 mit Auslassung des oiöi b viög. l Daran schliesst sich als Commentar von ovösig oiösv AMr. 13, 32 an Mt. 37—41 aus A Lc. 17, 26. 27. 30. 31. 34. 35. Mt. 42 ist Zusammenfassung von Mr. 13, 33. 35. 37. Eigenthümlich ist freilich die Aufnahme des ygrjyoqslxs ovv aus Mr. 13, 35, wo es nur um des 34 vorangegangenen tva yqrjyoqfj mit äyqvnvslxs 33 wechselt; Matthäus also, dem dieser Zusammenhang fremd ist, bezeugt mit dem ygrjyoqslxs ovv seine Abhängigkeit.2 Die Mitte dieses Stücks, das Gleich niss Mr. 13, 34—36 hat Matthäus hier ausgelassen, weil er gleichErsatz dafür gibt, indem er 43—51 die Stelle ^Lc. 12, 39—46 anfügt, jedoch unter Auslassung des störenden Verses Lc. 41. Daher bei Matthäus die zwieträchtigen Vorstellungen der eschatologischen Rede, wornach Christus sowohl olxoösanöxrjg (25, 14), als, von ihm differenter, xXi nxrjg (24, 43) ist. Angefügt ist wieder das matthäische ixsl saxai 6 xXavdfiög xal b ßqvyfiög zcov ööövxwv. Uebrigens verrathen sich die mehrfachen Anhänge hier und im Folgenden schon durch die Formel äonsq 24, 37. 25, 14. — Einfacher ist dann die Composition von Mt. 25, wo Matthäus in Erinnerung an den Anfang der zuletzt benutz ten Perikope A Lc. 12, 35 und zur Einschärfung von fir) svqrj ifiäg xadsiöovxag A Mr. 13, 36, den Anfang 1 — 13 (der letzte Vers kehrt zu A Mr. 13, 32. 33 zurück3) und die dogmatisch abschliessende Zu sammenfassung 31 — 46 (von der gilt, was von 13, 36 — 434) bildet, während er, veranlasst durch den änöörjftog AMr. 13, 34 5 und das sxdoxcp xö sqyov aixov ebendaselbst,6 und mit Beibehaltung des Anan- tapodoton, 7 das Gleichniss von den Talenten aus A Lc. 19, 11 — 27 herübernimmt, welches freilich nur in einen Zusammenhang passt, wo von Vergeltung nach Verdienst und Arbeit die Rede ist , aber nicht in einen solchen, wo von der Wiederkunft des Herrn als einer zeitlich un gewissen gehandelt wird. 8 Dabei modificirt Matthäus die Parabel so, dass er, mit Hinweglassung der schon 22, 2 — 14 verbrauchten Züge, die ursprüngliche Beziehung auf Archelaus9 völlig verwischt (daher ein Uebergeben aller vndqyovxa und kein nachträglicher Protest der noXlxai in Rom), während das Gleichniss selbst mit seinem histori schen Hintergrund zugleich auch die Zweiseitigkeit verliert und seinen einheitlichen idealen Inhalt in einem durchsichtigen Ebenmaasse der Form zur Darstellung bringt. Daher nicht mehr jeder Knecht gleich viel erhält, sondern eine Abstufung nach Maassgabe der övvaftig ein- 1) Köstlin, S. 323. — 2) Hitzig: Joh. Marcus, S. 5S. — 3) Hitzig: Mar cus, S. 5S f. — 4) Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 133 f. Evangelienfrage, S. 213. — 5) Wilke (S. 089), Hitzig (A. a. O. S. 59). - 6) Hitzig: Marcus, S. 59. - 7) Bleek: Synopsis, II, S. 388. — 8) Schleiermacher, Wilke, S. 374. — 9) Vgl. Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 511. t> Composition des Matthäus. 203 tritt, wogegen die Abstufung, die sich bei Lucas hinsichtlich der Be lohnung wirklich findet, verwischt, dafür aber der gleichen Seligkeit der beiden treuen Knechte als tragischer Contrast das Schicksal des trä gen gegenübergestellt und geschärft wird. Diese Harmonie ist aber nicht das UrsprüngHche , sondern ein Product der ordnenden Thätigkeit, des symmetrischen Sinnes unseres Evangelisten. 4 85) 26, 1 — 5. A, 67. Anschlag des Synedriums. Die kurze, einfach geschichtlich gehaltene, Notiz von A ist hier zunächst mit einer Schlussformel für das Vorhergehende, dann mit ausführlicheren Nach richten über Jesu Vorherwissen und die Localität des feindseligen An schlags vermehrt worden. Es soll ein feierlicher Eingang zu der bedeut samen Leidensgeschichte sein. 2 86) 26, 6—13. A, 68. Salbung in Bethanien. Die Abhän gigkeit dieses Berichtes von Marcus ist besonders von Wilke schlagend nachgewiesen worden.3 Insonderheit will Matthäus das Wort AMr. 14, 8 deutlicher machen. 87) 26, 14 — 16. A, 69. Verrath des Judas. Doch bildet Matthäus seiner Manier gemäss die Frage 1 5 4 und zieht die , nach Sach. 11, 12 gebildete, Tradition von den Silberlingen herbei, die dem Verräther auch alsbald übergeben (in A nur versprochen) werden. 88) 26, 17—19. A, 70. Vorbereitungen zum Passah. Kei neswegs hat hier Matthäus einen natürlichen Vorgang, den Marcus und Lucas ins Wunderbare erhoben hätten, 5 sondern Matthäus hat einfach zusammengezogen, 6 indem er den Umstand mit dem Wasserträger für zu weitläufig gehalten (daher nqog xöv öslva 1 8) und übergangen hat, 7 wodurch freilich der abgeblasste Bericht des Matthäus, demzufolge Alles schon verabredet gewesen sein musste, selbst den Charakter der über flüssigen Breite (z. B. fisxd xwv ftadrjxwv) erhält8 — was an sich schon gegen seine Ursprünglichkeit zeugt. Es wird daher wohl auch 8 xaiqog fiov iyyvg iaxi demselben Bearbeiter angehören, der schon 26, 2 das Wissen um die zweitägige Frist eingewoben hat. 9 89) 26, 20—25. A, 71. Bezeichnung des Verräthers. Matthäus macht zuerst 23 aus der Notiz A Mr. 14, 20, dass ein Tisch genosse der Verräther sein werde, ein besonderes Erkennungszeichen10 und fügt 25 noch eine Nachricht bei, welche, wäre sie ursprünglich, von Marcus und Lucas nicht übergangen worden wäre. Ueber die Ge schichtlichkeit der Notiz bemerkt schon Paulus: »Dass Judas jetzt, 1) Im Allgemeinen richtig W i 1 k e , S. 688. — 2) AVeiss, S. 52 f. — 3) Ur evangelium, S. 581 f. — 4) Wilke, S. 638. — 5) Gegen Meyer: Zu Matthäus, S. 490. Zu Marcus und Lucas, S. 181. — 6) Ewald: Evangelien, S. 315. -- 7) Weiss, S. 53. — S) Wilke, S. 377 f. — 9) Gegen Hilgenfeld: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1862, S. 6. — 10) Weiss, S. 53 f. 204 Drittes Capitel. da Jesus eben sein Wehe über den Verräther ausgesprochen hatte, erst nachgefragt haben würde, dazu kann ich ihm die Stirn nicht zu trauen. a1 90) 26, 26— 29. A, 72. Abendmahlsstiftung. Nach A, aber schon mit liturgischen (cpdysxs) und dogmatischen Weiterbildungen (etg acpsoiv aftagxiwv).2 Das xovxov 29 ist ursprünglich. 3 Dagegen sind die Worte der Kelchüberreichung aus dem sniov e£ avxov navxsg AMr. 14, 23 gebildet. 91) 26, 30 — 35. A, 73. Warnung der Jünger, nament lich des Petrus. Nach A, aber mit Zusätzen, wie wahrscheinlich iv iftoi iv xfj vvxxl xavxrj und xfjg noifivrjg 31, axavöaXiadrjaofiai 33, ol fiadrjxai 35. 92) 26, 36 — 46. A, 74. Kampf in Gethsemane. Die Worte des Betenden sind abgerundeter, als inA, und in drei besondere, kunst voller gesteigerte, Acte vertheilt. * Einzelnes ist ausgelassen, die Tauto logie A Mr. 14, 35. 36 beseitigt durch Zusammenziehung 39. 93) 26, 47 — 56. A, 75. Jesu Gefangennahme. A istin der Weise verändert, dass der Verräther 48 erst im Nahen das Zeichen gibt, 5 die Begrüssungsformel gebraucht 49, Jesus an ihn eine Antwort 50 und gegen den Schwerdtschlag des Petrus eine Rede richtet 52 — 54, und dass ferner 56 die Hinweisung Christi auf die Schrift (A Mr. 14, 49) in eine selbstständige Reflexion des Matthäus umgewandelt er scheint. e 94) 26, 57—68. A, 77. Jesu Verhör. Nur dass Matthäus auf eigene Hand den Namen Kaiphas angibt 57, 65 das ißXaoqprjfirjosv hin zufügt und 67 das Verhüllen des Hauptes auslässt, wodurch die Weis- sagungsscene undeutlich wird.7 Auch die feierliche Beschwörungsformel 63, das ai slnag 64 (vgl. 26, 25) und der Zusatz slg xö nqöawnov 67 gehören dem Matthäus an.8 95) 26, 69 — 75. A, 78. Verleugnung des Petrus. Im Ganzen nach A, doch mit Ausmalungen (vgl. die Steigerung 70 sfi- ngoadsv ndvxwv. 72 fisxd ogxov) und' mit dem Missverständnisse, dass die Magd 71 um der veränderten Scene willen eine andere wird, als die 69 genannte. Auch das scheinbar dunkle !§ aixwv A Mr. 14, 69 wird durch Conformation der zweiten Frage Mt. 71 mit der ersten Mt. 69 umgangen. Der Mr. 70 fehlende Ausdruck der zweiten Verleugnung wird 72 aus der dritten anticipirt. 9 1) Commentar, III, S. 573. Vgl. Ewald: Evangelien, S. 345. — 2) Meyer: Zu Matthäus, S. 50 f. — 3) Meyer: A. a. O. S. 498. — 4) Weiss, S. 54. — 5) Meyer: Zu Matthäus, S. 508. — 6) Bengel, Fritzsche, De Wette, Baum garte n-Crusius, Bleek, Weiss, S. 51. — 7) Bleek: Synopsis, II, S. 114. — 8) Weiss, S. 54 f. — 9) Weiss, S. 55. Composition des Matthäus. 205 96) 27, 1. 2. Jesus wird zu Pilatus geführt. Aus A; doch beschreibt Matthäus den Landpfleger näher nach Titel und Name und erklärt das avußovXtov A Mr. 14, 1 vorschnell für ein Todesurtheil. 97) 27, 3—10. Tod des Judas. Von Matthäus aus der Tra dition eingefügt. 4 Vielleicht die erste Form der mancherlei Sagenbil dungen über das Ende des Verräthers. 98)27,11 — 14. A, 80. Klage vor Pilatus. Aus A. Dabei ergänzt Mt. 12 das in A Mr. 15, 4 nur vorausgesetzte Schweigen und muss daher 14 die zweite Erwähnung desselben durch nqog ovöi sv qfjfia steigern. 2 99) 27, 15—31. A, 80. Verhandlungen vor Pilatus. Mat thäus hat in den Zusammenhang von A hineingestellt die beiden Anek doten vom Weibe des Pilatus 19 3 und vom Händewaschen desselben 24. 25. Frei gebildet sind die disjunctiven Fragen 17. 21, danach A Pi latus nur fragt : ihr wollt gewiss den Judenkönig losgegeben haben ? — und wider seine Erwartung den Namen Barrabas zu hören bekommt. 4 Uebrigens beweist auch 1 8 , dass der Grundtext von einer solchen Aus wahl nichts weiss, da hier keineswegs der Grund angegeben wird, wess halb Pilatus Jesum neben Barrabas zur Wahl ausgestellt hatte. Jesus Barrabas 18 aber verdankt seine zwei Namen vielleicht blos dem Joses Barnabas Act. 4, 36, der dem Abschreiber im Kopfe war,5 oder einer Gegenüberstellung des viög xov naxgög, der Barrabas blos dem Namen nach war, und des wahren Gottessohnes Jesus. 100) 27, 32—44. A, 81. Kreuzigung. Mit Recht hat Strauss bemerkt, dass Matthäus den vorliegenden Bericht 34 nach Ps. 69, 22 und 43 nach Ps. 22, 9 amplificirte. 6 Ausserdem bringt er eine gewisse Verwirrung in die Scene durch Einschiebung der Notiz 36 an die Stelle der scheinbar unpassenden Wiederholung A Mr. 15, 25 xal saxavgwaav aixöv, wodurch aber das Ungehörige entsteht, dass sich die Soldaten zum Wachehalten niedersetzen, ehe sie ihr Werk mit dem xixXogMX. 37 und wohl auch mit der Kreuzigung der Schacher Mt. 38 vollendet haben. 7 101) 27, 45—56. A, 81. Tod. Doch hat Matthäus aus Missver stand von A Mr. 15, 36 das acpsxs des Tränkenden in acpsg verwandelt und den übrigen Soldaten in den Mund gelegt. Dann aber sind aus später Tradition mythische Züge von Erdbeben , Gräbern und Geistern eingesprengt (51- — 53). 8 Die Salome umschreibt Mt. 56 blos als die Mutter des Zebedaiden. 1) Wilke (S. 638 f.), Bleek (Synopsis, II, S. 448). — 2) Weiss, S. 55. — 3) Wilke, S. 639. — 4) Wilke (S. 285. 432 f.), Weiss (S. 56). - 5) Wilke, s. 496. _ 6) Leben Jesu, II, S. 514. 525 f. — 7) Weiss, S. 56. - 8)Wilke, S. 639 f. 206 Drittes Capitel. 102) 27, 57—61. A, 82. Begräbniss. Verkürzt. Nur Matthäus bezeichnet das Grab als dem Joseph gehörend ; auch nimmt er an dem ßovXsvxfjg A Mr. 15, 43 (da doch der Rath Jesum verurtheilt hat) An stoss und nennt den Joseph blos avdqwnog nXovoiog. 103) 27, 62—66. Wache am Grabe. Aus später Tradition ein gesetzt sammt allen späteren, darauf bezüglichen Stücken. * 104) 28, 1—8. A, 83. Die Frauen am Grabe. Nachdem Mt. 1 mit der abgekürzten Quelle A begonnen, schiebt er die Sage vom Erdbeben ein 2—4, kehrt wieder zu A zurück 5 — 10, indem er die Rede des Engels paraphrasirt und den Schluss xadeig slnsv vfilv Mr. 16,7, an dessen Beziehung auf A Mr. 14, 28 = Mt. 26, 32 er sich nicht er innert, vielmehr, um zugleich für eine eigene Rede Jesu Raum zu ge winnen, in iöov sinov ifilv umwandelt und 8 das ihm unverständliche Benehmen der Weiber A Mr. 16, 8 zurechtlegt. Aber schon der Fort gang (9. 10) spricht dafür, dass aus 8 eine sofortige wirkliche Meldung an die Jünger nicht herauszulesen ist. Im ganzen Stück sind Worte von A mit andern Ausdrücken versetzt und in einen neuen Zusammen hang gebracht. 2 105) 28, 9. 10. A, 84. Jesus er scheint den Frauen. Aus A (Jesus erscheint jetzt den Frauen, um ihnen ihre Zweifelsfurcht zu be nehmen); auch ist die Sprache hier noch mehr, als in den folgenden Abschnitten, die von A. 106) 28, 11 — 15. Die Wache am Grabe wird bestochen. Fortsetzung des Stücks Nr. 103 mit einer Schlussangabe 15, welche die Entstehung der ganzen Sage erklärt. 107)28, 16 — 20. A, 84. Jesus erscheint den Jüngern in Galiläa. Vielleicht Schluss in A, jedenfalls aber von Matthäus durchgängig assimilirt (fiadrjxsvsiv, ovvxiXsta xov aiiövog, zrjqslv, svs- TsiXäfirjv) und auf spätere Gemeindeverfassung reflectirend, wie 1 6, 1 7 — 19. 18, 16—20. 3 §. 13. Composition des Lucas. Schon das xads^fjg Lc. 1 , 3 erweckt kein gutes Vorurtheil gegen die, im Interesse der Orthodoxie hier und da aufgetauchte Behauptung, als finde die Realeintheilung, die man sonst dem Matthäus zuschreibt, bei IiUcas statt. Vielmehr ist bei Lucas noch weniger , als bei Matthäus von einer voraus bedachten, über das Ganze sich erstreckenden Dispo sition nach gewissen abstracten Kategorien und Schematismen zu reden. Was in dieser Beziehung geltend gemacht werden könnte, beweist blos, 1) Wilke, S. 640. — 2) Wilke, S. 640. — 3) Wilke, S. 648. Composition des Lucas. 207 dass Lucas des Stoffes in seinen einzelnen Theilen von vornherein Mei ster war, d. h. dass er auf später zu gebende Erzählungen schon an frühe ren Stellen reflectirte, auf frühere bei spätem Anlässen Rücksicht nahm (§. 19, 10). Sonst aber ist die Folge seiner Erzählungen meist blos durch die Akoluthie in seinen Quellen bedingt, abgesehen von kleine ren Umstellungen, die ihre Berücksichtigung schon §§. 7. 10 gefunden haben und §. 27 noch weiter zur Sprache kommen werden. Die bedeu tendste dieser Umstellungen betrifft die Anticipation der Scene in Na zareth, wodurch in der That alle Abweichungen jener früheren Partien von der Akoluthie der Quelle A erklärt sind. Wie irreführend daher hier im Ganzen die Tendenzkritik gewirkt hat, mag man beispielshalber aus der Entdeckung Köstlin's sehen, »dass der grösste Theil des di daktischen Inhalts aus dem ersten Theil in den zweiten hinüberverlegt, und statt dessen die Wunderthätigkeit Jesu zur Hauptsache gemacht« sei. ' Aber dass der erste Theil die Thaten Jesu vorzugsweise berichtet, ist einfache Folge der Benutzung von A , und dass der zweite (die Ein schaltung) vorwiegend didaktischen Inhalts ist, erklärt sich ebenso von selbst aus der Zugrundelegung von A. Wo aber A Reden enthält, wie die Bergpredigt, da gibt sie auch Lucas im ersten Theil , und wo er A zu unterbrechen für gut findet mit ihm eigenthümlich angehörigen Tra ditionen, wie die von Maria und Martha ist, da hindert ihn die Erinne rung, dass er ja im zweiten, angeblich didaktischen, Theil seines Werkes sich befinde, daran nicht im mindesten. Auch in Plitt's Construction des dritten Evangeliums ist daher nur das Eine über allen Zweifel er haben, dass die grosse Einschaltung des Lucas einen Hauptabschnitt in seiner Geschichtserzählung ausmacht.2 In der That bildet 9, 51 den Scheidepunkt der beiden Hauptmassen im Lucas — einen Scheidepunkt, der aber in erster Linie blos durch den einfachen Umstand bedingt ist, dass jetzt der Moment gekommen ist, wo Lucas seine zweite Hauptquelle aufthun muss, wenn er sie überhaupt zu Wort kommen lassen will. Dass schon Lc. 17 , 1 — 4 wieder A zum Vorschein kommt, ist nur das unverfängliche Anzeichen, dass die zweite Quelle am Versiegen ist (S. 156). Sonst aber tritt die erste Quelle in der Einschaltung nur noch 1 1, 17 — 28 zu Tage in dem Kampf mit den Pharisäern. Aber diese, der einfachen Quellenablagerung im Lucas widersprechende, Thatsache könnte uns vielleicht dennoch auf eine verborgene Disposition hinzu weisen scheinen. Es musste eine solche nämlich etwa in der Ausführung des Themas » Jesu Kampf mit den Pharisäern « bestanden haben ; und in der That hat Ritschl früher die aus den Anfangspartien von A (Mr. 3, 20—30) so weit nach hinten gerückte Scene als nothwendig 1) Evangelien, S. 191. — 2) De compositione evangeliorum, S. 17 ff. 208 Drittes Capitel. für das Finale des zweiten Actes in der disponirten Tragödie in An spruch genommen. 1 Es ist dies ohne Frage die geistvollste Organisation des Lucas gewesen, wornach die Steigerung des Gegensatzes zwischen Jesu und den Pharisäern die Anordnung bedingt hätte. Zuerst trete Jesus ausser aller Berührung mit den Pharisäern auf, oder doch wenig stens nicht im Gegensatz zu ihnen (4, 16 — 6, 11). Dann führe die all mälige Entwicklung seiner Wirksamkeit den Herrn allmälig bis zum Angriff auf die Pharisäer (6, 12—11, 54). Im dritten Abschnitt befe stige sich der Gegensatz von beiden Seiten, ohne aber in Kampf auszu brechen (12, 1 — 19, 48). Der vierte (20. 2l) zeige den Kampf mit gleichen Waffen , der fünfte (22 — 24) die Entscheidung.2 Hiervon ist blos Dies richtig, dass Lucas diesen Gegensatz stets im Auge hat, 3 worauf er aber auch durch den Charakter der Quelle A von selbst geleitet wer den musste (§. 29). Dass er aber jene Scene zuerst, da er ihr in A begegnet, ausgelassen hat, beruht auf der löblichen Voraussicht, ihre Pa rallele später in A finden zu werden, also auf dem Project, beide Quel len in diesem Berührungspunkt zu combiniren — wie denn auch ge schehen. Während also die Auswahl im ersten und im zweiten Haupttheil des Evangeliums durch die beiden Quellen bedingt war, von denen A dem ersten, A dem zweiten Kreis von Erzählungen zu Grunde liegt, muss andererseits anerkannt werden, dass eine bestimmte Absicht, eine, dem Geist des Lucas entstammte, Disposition zu erkennen ist in dem verschiedenartigen geographischen Terrain, auf welchem er die beiden Erzählungsreihen sich abwickeln lässt. Offenbar nämlich ist es die ent schiedene Ansicht des Lucas, dass alles von 9 , 51 ab Berichtete ausser halb Galiläas vorgefallen sei. Nun war Lucas zwar auch hierzu zum Theil durch seine Quellen veranlasst , welche Jesum mehrfach (vgl. 9, 51 — 56. 17, 11 — 19) in Berührung mit Samaritern treten Hessen. Da nun Lucas mit Recht AMr. 10, 1 so verstand, als werde mit diesen Worten der Antritt der letzten Reise Jesu bezeichnet, so musste er hier einen Einschnitt anbringen, nicht blos um die samaritanischen Ge schichten, sondern um die ganze zweite Hauptmasse, den bisher nicht verarbeiteten Stoff unterzubringen. Aber eine genauere Besichtigung dieses »Reiseberichts«4 zeigt alsbald, wie wenig Lucas sich um die Uebereinstimmung der verschiedenen Reisenotizen bekümmert. Es kommt ihm nur darauf an, den Eindruck hervorzubringen, dass Jesu galiläische Wirksamkeit geschlossen sei, und ein anderer Haupttheil 1) Evangelium Marcion's, S. 220 f. — 2) A. a. O. S. 222 f. — 3) Baur: Evan gelien, S. 4S7. — 4) Der Name stammt von Schleiermacher: Versuch, S. 159 ff. (116 ff.) Composition des Lucas. 209 seiner Thätigkeit in Samarien oder überhaupt ausserhalb Galiläas seinen Boden gefunden habe. Mehrfach deutet er desshalb an , dass Jesus sich jetzt auf Reisen befindet (9, 52. 57. 10, 1. 38. 11, 1. 14, 25) oder be stimmter: auf einer Reise nach Jerusalem (9, 51. 53. 13, 22. 17 7 11). Ueber die Specialitäten dieser Reise weiss er aber nichts, denn die Notiz 13, 22 ist ebenso aus 13, 31 — 34 abstrahirt, wie 17, 1 1 aus 17, 16. So scheint Jesus denn 13, 31 — 33 noch mit einem Fusse in Galiläa, 17, 1 1 zieht er auf der Grenze zwischen Galiläa und Samarien hin, 18, 35 naht er Jericho, 1 9, 29 kommt er in die Nähe von Bethanien. 1 Zieht man noch die oben schon dargelegte Zusammenhangslosigkeit mancher Redetheile dieses Abschnitts in Betracht, so wird man hier nicht blos mit Bleek eine angemessene Verarbeitung (vielleicht schon in der Quelle des Lucas) vermissen, 2 sondern Denen recht geben , die den Abschnitt als Ganzes unchronologisch und unhistorisch finden und blos dadurch veranlasst, dass Lucas manchen evangelischen Stoff vorgefunden habe, den er sonst nirgends einzureihen wusste. Die Form eines Rei seberichtes aber ist allerdings nichts, als »der weite Rahmen, von welchem alles Folgende bis zur Ankunft Jesu in Jerusalem zusam mengefasst werden soll. c< 3 Es erleidet mithin keinen Zweifel : der Disposition des Lucas ge mäss soll Jesus nicht bis unmittelbar vor seinein Leiden und Sterben in Galiläa verweilen, sondern die ganze eine Hälfte seiner messianischen Wirksamkeit wird auf eine , von Galiläa südwärts führende, Reise ver legt; er will nicht blos, wie A, der Wirksamkeit Jesu den Charakter einer im Ganzen ruhigen Thätigkeit in einer, von der Mitte des Juden- thums entfernten, Provinz geben , sondern vielmehr den eines aus die ser Ruhe auch heraustretenden Losgehens auf jenen Mittelpunkt, wel ches offensive Hingehen zugleich aber auch ein Vorbeigehen an Sama riterstädten, eine Wirksamkeit in heidnischem Lande in sich schliesst. Köstlin hat mehr die erstere,4 Baur mehr die andere Seite der Sache betont. ß Beider gemeinsamer Fehler ist, dass sie sofort von diesem ge wonnenen Gesichtspunkte aus den Stoff der beiden Haupttheile, von denen der zweite sich des Namens der »Einschaltung" erfreut, a priori construiren wollen, was unmöglich ist, da die Quelle A, soweit sie vor 9, 51 verarbeitet war, schon genug antipharisäischen und antijüdischen Stoff gebracht hatte (6, 39. 7, 28 — 35), wie andererseits A nach Lc. 9, 51 vielfach gerade solche Stellen bietet, in denen die Tübinger Schule selbst Spuren des judaistischen Charakters von Lucas auffinden wollte, 1) Wo er aber, wenn Bestimmungen des vierten Evangeliums beigezogen werden dürften, schon 10, 38— 42 anzutreffen wäre.— 2) Weisse, Bruno Bauer, Reuss, De Wette, B 1 e e k : Einleitung, II, S. 279. Synopsis, II, S. 140 f. — 3) Baur: Evangelien, S. 133. — 4) Evangelien, S. 187. — 5) Evangelien, S. 485 ff. Holtzmann. 1 4 210 Drittes Capitel. wie Cap. 16. Also nicht, um den Herrn auch im Interesse des Paulus in Samarien wirken zu lassen, hat Lucas sein Evangelium um acht Capitel vermehrt und diese Capitel etwa nach der paulinischen Trias Glaube, Liebe, Hoffnung disponirt, wie Volkmar die Sache schief an sieht,1 sondern weil er noch den Stoff der achtEinschaltungscapitel übrig hatte und anbringen musste, hat er diesen Abschnitt, der uns den Herrn schon ausserhalb Galiläas zeigt, gebildet. Lucas vertheilt daher seinen Stoff nur nach gewissen allgemeinen Gesichtspunkten : Wirken in Galiläa, Quelle A — Wirken ausserhalb Galiläas, Quelle A. Im Einzelnen ist er fast immer von der Folge der Abschnitte in seinen Quellen abhängig. Bei minderer Gebundenheit an diese hätte es ihm auch nicht wohl begegnen können, dass die Hindeu tung auf Jesu Tod in Jerusalem am Ende des ersten Haupttheils 9, 31 von dem Tod selbst durch eine so grosse Masse von dazwischentreten dem Stoff getrennt wurde ; und nicht weniger unpassend ist, dass die Verklärung, statt den Höhepunkt der Selbstoffenbarung Jesu an seine Jünger zu bilden , nun ohne alle epochemachende Bedeutung zwischen den früheren und den massenhaft nachfolgenden Belehrungen Jesu über seine Messiaswürde und über das Gottesreich in der Mitte steht. 2 Hätte Lucas, ohne die beiden Hauptfesseln seiner Darstellung zu beachten, nur mit den einzelnen Ringen derselben gespielt und dieselben in eine beliebige Sachordnung versetzt, so würde er ohne Zweifel solcherlei Inconcinnitäten zu vermeiden gewusst haben. Seit 18, 15 kehrt Lucas wieder in den Zusammenhang von A zu rück , um die Ereignisse auf der Reise und in Jerusalem zu erzählen. In diesem letzten Abschnitte laufen die vier ersten Capitel offenbar pa rallel mit A, nur von wenigen leicht erkennbaren Einschaltungen unter brochen. In den drei letzten Capiteln des Evangeliums ist dagegen der ursprüngliche Bericht so vielfach und durch so eigenthümliche Relatio nen modificirt, dass man die Erzählung des Lucas sogar schon in ganz andere Abtheilungen zerlegen und aus anderen Quellen ableiten wollte, als die Seitenberichte (S. 104). Dass aber auch hier der Leitfaden bei allen Dreien derselbe ist, hat schon Wilke erwiesen,3 und wird in der nachfolgenden Tafel seine Bestätigung im Detail erhalten. I. Persönliche Vorgeschichte des Täufers und Jesu (1, 1-2, 52). 1) Wenn in A das Auftreten des Täufers noch als äqxr) xov siay- ysXiov galt , so strebte die spätere schriftstellerische Ausgestaltung der 1) Religion Jesu, S. 306. 326. — Vorher (Evangelium Marcions, S. 213 f.) hatte er bereits auf Lc. 1 7 die Stelle 1 Cor. 13, 13 als Disposition angewandt. — 2) Köstlin, S. 190. — 3) Urevangelist, S. 540 ff. Composition des Lucas. 211 evangelischen Geschichte in immer entferntere Gebiete zurück, langte daher im Matthäus bei der Empfängniss und Geburt Jesu, im Lucas endlich sogar bei den Entstehungsverhältnissen des Vorläufers an. So stellte also Lucas an die Spitze seines Evangeliums die, seinem Pro gramme (avwdsv) entsprechende, Gestalt der Vorgeschichte, wie sie ihm in schriftlichen Aufsätzen vorlag, die jedenfalls ganz unabhängig von der Tradition des Matthäus entstanden, mit derselben daher auch nicht in Harmonie zu setzen sind. Dass in dieser Vorgeschichte sich nicht — wie Dies bei Matthäus der Fall ist — eine bisher flüssig gewesene Tra dition zum erstenmal literarisch krystallisirt hat, dass vielmehr zum min desten das erste Capitel auf schriftlichen Unterlagen ruht : geht nicht blos aus der kunstmässigen Form der Lyrik, 4 sondern auch aus der auf fallend hebraisirenden Sprache hervor ; wie andererseits die Eigenthüm lichkeiten der Sprache des Lucas,2 ja selbst des Paulus 3 auch diese Vor geschichte durchdringen, so dass — auch um der jedenfalls von Lucas eingerückten, übrigens verfehlten chronologischen Notiz 2,1.2 willen — an eine selbstständige Verarbeitung vorliegender Quellen nothwendig gedacht werden muss. 4 Eine Mehrzahl solcher Quellen scheint übrigens schon um der Stelle 2, 4. 5,5 noch mehr um der, Unbekanntschaft mit der Geburtsgeschichte verrathenden, Aeusserungen 2, 43. 48. 50 willen an genommen werden zu müssen. 6 Wenigstens theilweise waren • — wie die hebräisch-griechische Pointe von 1, 78 beweist7 — diese Quellen griechisch geschrieben; andere, besonders im zweiten Capitel verarbei tete , mögen bis daher auch blos mündlich geflossen sein. Unter diesen Voraussetzungen fallen die Zweifel an der Aechtheit 8 oder Ursprüng lichkeit 9 der beiden Capitel von selbst. II. Messianische Vorgeschichte (3, 1 — 4, 15). 2) 3, 1 — 6. A, 1. Der Täufer. Lucas beginnt mit Aufwand aller ihm zu Gebote stehenden Mittel. A wird zu Grunde gelegt, das jüdisch Ascetische im äusseren Auftreten des Johannes allerdings mit Stillschweigen übergangen ; einer solchen stummen Darstellung bedurfte Lucas nicht, da er die Reden so sehr erweitert; 10 das Citat aber wird 1) Ewald (Evangelien, S. 178. 181 ff.), Weisse (Evangelienfrage, S. 179 f.) — 2) Gersdorf (S. 160— 272), Wilke (S. 645 f.), C r e d n e r (Einleitung , S. 131 ff.). — 3) Die Evangelien, ihr Geist, ihre Verfasser u. s. f. S. 218 ff. — 4) Ewald (Evan gelien, S. 177 f.), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 230). — 5) Gfrörer: Urchri stenthum, II, 1, S. 92. — 6) Auch Ewald (Evangelien, S. 101) unterscheidet für 2, 41—51 eine besondere Quelle. — 7) Vgl. Bleek: Einleitung, II, S. 277 f. Synopsis, I, S. 32. 65 f. — 8) Siehe die Literatur bei De Wette: Einleitung, II, S. 180. — 9) Baur: Marcusevangelium, S. 219 f. — 10) Wilke (S. 583), Volkmar (Religion Jesu, S. 313). 14* 212 'Drittes Capitel. nicht blos umgestellt, sondern selbstständig aus LXX mitgetheilt, da der Pauliner Lucas die näoa odq% und das awxrjqiov xov dsov nicht dahinten lassen wollte. x An die Spitze des Ganzen tritt eine genaue, sechsfache Bestimmung bietende, chronologische Notiz, durchweiche zunächst die Umstellung des Periodenbaus von A veranlasst wird. 3) 3, 7 — 9. A, 2. Rede des Täufers. Genau aus A, nicht aus Matthäus. 2 4) 3, 10 — 14. Die Standespredigt des Täufers stammt anerkannter Maassen3 aus einer besonderen, wohl mündlichen, Quelle. Daher specifisch lucanische Ausdrücke, wie o/uoiwg noislv, nqdaosiv (zumal in der betreffenden Bedeutung), avxocpavxslv. 5) 3, 15 — 17. A, 2. Zeugniss des Täufers von Christus. Hier ist die pragmatische Veranlassung 1 5 als Uebergang von Lucas ge bildet, um auf den Text von A zurückzukommen. 4 6) 3, 18—20. A, 28. Ende des Täufers. Nach seiner Weise will Lucas den , von ihm am ausführlichsten gegebenen Bericht über den Täufer zu Ende führen und thut Dies in einer, selbstständig gebil deten, Einschaltung, worin zuerst 18 von der in A zu Tag Hegenden Vorstellung von der frühzeitigen Gefangenschaft des Täufers Umgang genommen, und eine weitere Thätigkeit des Predigers angedeutet, 5 so dann 19. 20 seine Collision mit dem Tetrarchen in einer Weise moti virt wird, die für den freien historischen Pragmatismus des dritten Evangeliums bezeichnend ist (xai nsqi ndvxwv cov inoirjasv novrjgwv b cHqwörjg und nqooidrjxsv xal xovxo inl näoiv). Auf diese Weise ge winnt Lucas das Recht, die, seinen Grundsatz, xadsg~fjg zu schreiben, störende Parenthese A Mr. 6, 17 — 29 später zu übergehen. 6 7) 3, 21. 22. A, 3. Taufe Jesu, nachträglich angeschlossen in sehr verkürzter Gestalt, was damit zusammenhängt, dass die eigentliche Substanz der Taufgeschichte (vgl. S. 68) in einem, die Geburtsge schichte enthaltenden, Evangelium überhaupt keine Stelle mehr fand. 7 Das Wunder selbst wird völlig objectivirt, so dass das ganze Volk Zeuge ist, wie auf den »Betenden« der Geist awfianxcp e'iösi herabfährt.8 Doch behält Lucas noch die Anrede av sl b viög fiov bei. 8) 3, 23 — 38. Genealogie. Hier eingeschoben, weil vorher kein passender Platz war. So wie die von Matthäus aufgenommene, so geht auch die unsrige ursprünglich von ebionitischen Anschauungen aus,9 1) Die Evangelien, ihr Geist u. s. f. S. 234. — 2) Gegen Köstlin, S. 142. — 3) Weisse (Ev. Geschichte, II, S. 5), Ewald (A. a. O. S. 157), Köstlin (S. 141), Hilgenfeld (A. a. O. S. 161). — 4) Hilgenfeld: Evangelien, S. 161 f. — 5) Hilgenfeld: Evangelien, S. 162. — 6) Volkmar: Religion Jesu, S. 310. 313. — 7) Volkmar: A. a. O. S. 294. — 8) Die Evangelien, ihr Geist u. s. f. S. 239 f. — 9) Gfrörer: Urchristenthum, II, 1, S. 109: »Wer wird zum erstenmal sechsundsie- Composition des Lucas. 213 so dass also das c5g ivofii^sxo 23 als Correctur des Lucas anzusehen ist, ' wie das e£ rjg iyevvrjdrj Mt. 1, 16. Ein Zahlensystem liegt ebenfalls bei den Genealogien zu Grunde, da die des Mt. = 6 X 7, die des Lc. = 1 1 X 7 ist. Die letztere ist jedenfalls die jüngere, weil ausführlicher und bereits von Salomos Königsstamm, mit dem man es zuerst versuchen musste, abgehend. Controlirbar ist die eine so wenig, als die andere. 9) 4, 1 — 13. A, 4. Versuchung. Während aber in der Quelle die Versuchungen klimaktisch geordnet erscheinen , sind sie hier nach topologischen Gesichtspunkten umgestellt, wie seit Schleiermacher2 alle Ausleger anerkennen. Um die Scene nicht zu oft zu changiren , hat Lucas den Tempel auf den Berg folgen lassen, wofür er von Wilke grundlos gepriesen wird.3 Vielmehr ist auch gegen Schneckenbur ger4 die Ursprünglichkeit der Form bei Matthäus zu behaupten. Uebri gens hält sich Lucas insofern noch mehr, als Matthäus, an A, als er Jesum zuerst 40 Tage lang versucht werden lässt, um dann am Ende derselben erst noch die drei absonderlichen Proben des Matthäus zu be stehen. Zuthaten sind, ausser einigen commentirenden Aenderungen, 8 die zauberhafte Simultananschauung iv axtyfvrj yqövov und die Gross- sprecherei des Teufels. Auch das ayqi xaiqov ist keineswegs ein Rest der ursprünglichen Erzählungsform, 6 sondern eine significante Notiz des Lucas, der einen Uebergang sucht von der sagenhaften Concentra- tion der Idee in drei unmittelbar sich folgenden Momenten zu dem ge schichtlichen Verlauf, der das ganze Leben des Messias einnahm. In diesem realistischen Bestreben begriffen lässt er auch die dienenden Engel aus. 10) 4, 14. 15. A, 5. Rückkehr nach Galiläa. Lucas be handelt die Quelle A Mr. 1, 14. 15 frei, indem er den Inhalt der Pre digt Jesu übergeht. Ueberdies hat auf diese Stelle Einfluss geübt ein Vorblick auf A Mr. 1, 21. 22, zu welchen Versen Lucas alsbald 4, 31. 32 zurückkehrt, nachdem er sein Programm 4, 16—30 gebracht hat. Daraus geht aber hervor, dass 4, 16 — 30 als Einschiebsel zu betrach ten ist. benzig Geschlechtsfolgen mühsam zusammenstellen , blos um nachher zu sagen : all dies beruhe auf einem Irrthum.« — Doch machte wenigstens der überschlaue »sächsi sche Anonymus« (S. 245 f.) diese billige Erwartung an seinem Theil zu Schanden. — 1) Zeller: Apostelgeschichte, S. 436 f. — 2) Die von Schleiermacher, S. 55 f. (41 f.) gegebene, Lösung ist jedenfalls viel einleuchtender, als die bei dem sächsi schen Anonymus (S. 241) und bei Hilgenfeld (Evangelien, S. 166) vorfind- liche. — 3) Urevangelist, S. 690. — 4) Erstes kanonisches Evangelium, S. 46 f. — 5) Die Evangelien, ihr Geist u. s. f. S. 235 ff. — 6) Gegen Ewald: Evangelien, S. 166. 214 Drittes Capitel. III. Jesu Wirken bis zur Constituirung des Apostelkrei ses (4, 16—7, 10). 11) 4, 16—30. A, 25. Jesu Auftreten in Nazareth. Die Identität des Vorgangs mit A Mr. 6, 1—6 = Mt. 13, 53—58 ist schon von Schleiermacher; 1 Sieffert2 und Strauss3 zur Evidenz ge bracht, und Meyer hätte es billig Wieseler4 überlassen sollen, gegen eine so allgemein anerkannte Thatsache fortwährenden capricirten Wi derspruch zu erheben.5 Lucas hat also den Bericht aus A anticipirt; nicht aber war er dabei, wie Dies auf den ersten Anblick scheinen könnte, geleitet von dem Mt. 4,13 mit den Worten xaxaXmwv xfjv Na- £aqid gegebenen, Motiv,6 sondern schon der Zusatz ov rjv Tsdqaftftevog 4, 16 zeigt, dass Lucas, der ja in der Vorgeschichte Nazareth so be stimmt als den Wohnort der Eltern Jesu hervorgehoben hatte, es für das Natürlichste hielt, dass Jesus an seinem bisherigen Aufenthaltsorte auch zuerst aufgetreten sei. 7 Ganz unabhängig von Matthäus hat also Lucas von der Stelle A Mr. 1 , 21 Veranlassung genommen, eine , die sen unerwarteten Erfolg motivirende, Anticipation vorzunehmen. Es bestimmte ihn aber sichtlich noch eine andere Erwägung, wenn er den Ausspruch Jesu oxt oix soxi nqocpfjxrjg axiftog si fir) iv xfj naxqiöi av xov in der Weise an die Spitze seines Evangeliums stellte, zumal in Verbindung mit weiteren Worten , in welchen mit Hinweisung auf den Vorzug, welchen Elias und Elisa den Heiden gegeben haben, die Zu rücksetzung der Juden gegen die Heiden in Betreff des Evangeliums ausgesprochen ist. Offenbar betrachtet der Evangelist — wie Dies von der Tendenzkritik auf unwiderlegliche Weise geltend gemacht worden ist8 — die naxqig zugleich in einer weiteren Bedeutung, um das von den Nazarethanem Geschehene als ein Vorbild dessen hinzustellen, was Jesus überhaupt von seinen Volksgenossen auf der einen, von den Heiden auf der anderen Seite zu erwarten hat. Noch allgemeiner zugestanden ist aber, dass die so erklärte Anticipation einen Selbstwiderspruch des Lucas mit sich führte, indem 4, 23 bereits Thaten, als in Kapernaum verrichtet, vorausgesetzt werden, während ja Jesus nach Kapernaum erst kommen soll. 8 — Um aber die Scene in Nazareth in bezeichneter 1) Versuch, S. 63 (46 f.). — 2) Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums, S. 89. — 3) Leben Jesu, I, S. 473 ff. — 4) Chronologische Synopse, S. 284 f. — 5) Zu Matthäus, S. 290. Zu Marcus und Lucas, S. 304. — 6) Gegen Köstlin (Evan gelien, S. 204 f.) und Hilgenfeld (Evangelien, S. 168). — 7) Baur: Evangelien, S. 505. — 8) Der »sächsische Anony mus« (S. 210), Baur (Evangelien, S. 505 f.), Hilgenfeld (Evangelien, S. 166 f.), Weiss (S. 697). — 9) Schleiermacher, Kern, Strauss, De Wette, Weisse, Bleek, Volkmar: Religion Jesu, S. 323 f. Composition des Lucas. 215 Weise als Programm für das öffentliche Wirken Jesu verwendbar zu machen, hat Lucas den Bericht von A besonders durch die Worte 23 — 27 erweitert, die aber, wie alles hier dem Lucas Eigene, weder auf A,1 noch auf irgend eine andere schriftliche Quelle * zurückzuführen sind, sondern einer mündlichen Sage entstammen, 3 wesshalb auch die mit Matthäus und Marcus parallelen Stellen zugleich die Träger des Zusam menhangs der ganzen Scene sind: der Lehr Vortrag in der Synagoge, das Staunen der Zuhörer über den Sohn Josephs , der Ausspruch Jesu über das Prophetenschicksal, die Unterlassung der Wunderzeichen. Nur die Brüder und Schwestern Jesu A Mr. 6, 3 = Mt. 13, 55. 56 übergeht Lucas absichtlich. 4 12) 4, 31 — 37. A, 7. Heilung des Dämonischen in Ka pernaum. Hier knüpft Lucas den verlassenen Faden von A wieder an mit einer Perikope, an welcher beispielsweise seine Abhängigkeit von A Marcus zur Evidenz erhoben werden kann.5 Zuerst schaltet er die nöXig xfjg TaXiXaiag 31 zur Orientirung für seine Leser ein. Da er A Mr. 1, 16 — 20 vor der Hand noch auslässt, um es aus Gründen (vgl- Nr. 16) später zu bringen, verwandelt er signoqsvovxai A Mr. 1, 21 in: xaxfjXdsv , das Präsens in den Aorist, um die Gleichheit der Construc tion mit dem Folgenden herzustellen, den Plural in den Singular, weil er im Unterschiede von A und um der eben angedeuteten Metathesis willen bisher noch blos ein Subject hat, Jesum ohne Jünger. Das Wort Ttoqsvsadai aber hat er soeben 30 gebraucht, wählt hier daher lieber ein anderes, wie er denn auch das absonderliche etg xfjv avvaywyfjv A Mr. 21 auslässt; aber auch das sidiwg kann Lucas nicht brauchen, da Jesus nicht von einem Gang in der Nähe nunmehr die Stadt selbst be tritt, sondern von Nazareth aus übersiedelt. Dagegen setzt er zusam menziehend gleich rjv öiöäaxwv aus A Mr. 22 für söiöaaxs Mr. 21 und an die Stelle des wg ig~ovoiav s'xcov A Mr. 22 die leichtere und gefälli gere Wendung oti iv i^ovaicc rjv b Xöyog aixov 32, womit von selbst der Wegfall von xai oix äg ol yqaftftaxslg gegeben war. Ausserdem corri- girt er 33 einen Hebraismus von A (avdqwnog iv nvsvfiaxi), verwan delt, um das Wunder zu verherrlichen, das onaqäl-av in qlxpav , setzt firjöiv ßXäxpav avxöv 35 selbstständig hinzu6 und verlegt die cpwvr) fis- yäXrj des fliehenden Geistes gleich in die Anrede des Dämonischen 33. Den Ausdruck von A für die Verwunderung der Leute glättet und eb net er 36 in iyivsxo däfißog ini nävxag xai avveXäXovv nqog aXXrjXovg. 1) Ewald: Geschichte Christus, S.303f.— 2) Köstlin: Evangelien, S.205.— 3) Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 137. — 4) Volkmar: Religion Jesu, g_ 300. — 5) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 80 f. — 6) Ewald (Evange lien, S. 195), Hilgenfeld (Evangelien, S. 169). 216 Drittes Capitel. Die weiteren Aenderungen in diesem Vers waren schon S. 7 1 f. moti virt. Für vnaxoiovaiv setzt er zugleich das erklärende ijjiqxovxai , für äxofj den gebräuchlichen Ausdruck rjyog 37 und lässt svdiwg weg, weil der Rufsich nicht plötzlich so weit verbreiten kann ; etg navxa xonov xfjg nsqixwqov aber setzt er, weil das etg oXrjv xrjv nsqixwqov xfjg rali- Xaiag entweder so, dass man Galiläa allein verstand, oder anders, in dem man Galiläa ausschloss, missverstanden werden konnte. — Haupt sächlich aber zeigt sich die Abhängigkeit des Lucas in der Beschreibung des Dämonischen (§. 30). J 13) 4, 38. 39. A, 8. Heilung der Schwiegermutter des Petrus. Lucas hat zwar die richtige Bestimmung des Tages (vgl. 33 und 38) beibehalten,2 die Geschichte aber unpragmatisch vor die Berufung des Petrus gesteUt, wesshalb auch fjXdsv fisxd 'laxwßov xai 'Iwdvvov A Mr. 1 , 29 wegbleibt. Ferner vermisst man das Eintreten in's Krankenzimmer, das Ergreifen bei der Hand. Dazu zeigt sich in der nähern Bestimmung des Fiebers als nvqsxög fiiyag, in der nähern Bestimmung des Xiyovaiv aixcp durch rjqwxrjaav avxöv nsgi aixfjg 38 und in der offenbar nach A Mr. 1, 25 gebildeten Bedräuung des nvqs xög die Hand des reflectirenden Bearbeiters.3 In rjqwxrjaav 38 macht sich A Mr. 1, 30, in avxolg 39 macht sich A Mr. 31 geltend, dabei Lucas der Plural unmotivirt ist. 14) 4, 40. 41. A, 8. Krankenheilungen am Abend des Sabbats. Auch hier beschreibt Lucas nach eigenem Ermessen ge nauer und übertreibend den Modus der Heilung (40 oaoi slxov — svl hxäoxw aixwv) und den Inhalt des dämonischen Geheuls (41 av sl b viög xov dsov — Anticipation von Mr. 3, 11. 12). 4 Vgl. überhaupt das bestimmtere snixiftwv oix sta und xöv Xqiaxöv avxov sivai. 15) 4, 42 — 44. A, 9. Reisepredigt in Galiläa. Lucas hat verkürzt, verallgemeinert und undeutlich gemacht. An die Stelle des noch nicht zum Apostel berufenen Petrus und seiner Gefährten sind ol oxXoi getreten. Auch das s^fjXdov A Mr. 1 , 38 hat er in änsaxäXrjv verwandelt, indem er jenen Ausdruck, der sich auf das Verlassen der Stadt Kapernaum bezieht, metaphysisch auffasste. s Das aywfisv slg xdg EXOftivag xwftonöXsig in A Mr. 1, 38 musste natürlich verändert wer den, da Jesus noch keine ständigen Begleiter hat. G 16) 5, 1 — 11. A, 6. Berufung des Petrus. Weil Lucas den Herrn zuerst in Nazareth auftreten und von da nach Kapernaum übersiedeln lassen wollte, um ihn erst von hier in die Umgegend zu 1) Weiss, S. 653. - 2) Ewald: Evangelien, S. 194. - 3) Weiss, S. 655. — 4) Vgl. das unabhängige Zusammentreffen von Wilke (S. 546) und E w a 1 d (Evange lien, S. 193). — 5) Weiss, S. 703. — 6) Wilke, S. 589. Composition des Lucas. 217 führen, benutzt er die Notiz A Mr. I, 39 = Lc. 4, 44, um ihn zunächst an die Ufer des Sees gelangen zu lassen, worauf Lucas zuerst den ausge lassenen Abschnitt aus A Mr. 1, 16 — 20 nachbringt; Lucas geräth aber eben dadurch mit sich selbst in Widerspruch, da der Vers 8 solche Wundererfahrungen, wie sie Petrus naoh 4, 38. 39 gemacht hatte, nicht als vorgängig annehmen lässt. Zugleich setzt er auch an die Stelle der Nachricht von A eine spätere Ueberlieferung, die als vereinigtes Echo von Mr. 4, 1 und Joh. 21, 6 — 22 und zugleich als Fortbildung von Mr. l, 17 = Mt. 4, 19 zu begreifen ist.1 Dazu ist der neben xal nävxag xoig ovv avxcp 9 unmotivirt erscheinende Zug öfiolwg ös xai Iaxwßov xal Iwdvvrjv viovg Zsßsöaiov o'i rjoav xotvwvol xcp 2i/uwvi 10 lediglich Reminiscenz aus Mr. 1, 19, und Lc. 11 aus Mr. 1, 20. 2 Eben darum, weil diese Erzählung vollkommen auf Grund des älteren synop tischen Berichtes erbaut ist, braucht man auch nicht mit Ewald3 anzu nehmen, dass sie dem Lucas auf schriftlichem Wege zugekommen sei; 4 ausserdem entscheiden eigenthümliche Ausdrücke, wie inixsiodai (23, 23. Act. 27, 20), intaxdxa (das nur bei Lucas Anrede an Jesum ist), avXXafißavsiv (Lieblingswort), anders. Bezeichnend ist die aus A Mr. 4, 1 = Mt. 13, 2 anticipirte Notiz, dass Jesus vom Schiff aus ge lehrt habe, welchen Zug dann Lucas an der entsprechenden Stelle 8 , 4, um sich nicht zu wiederholen, wegliess. 17) 5, 12 — 16. A, 10. Heilung des Aussätzigen. «Lucas, der hier wieder in den unterbrochenen Zusammenhang zurücklenkt, hat im Rückblick auf A Mr. 1, 38 (obwohl er selbst eine Erzählung dazwi schen geschoben hatte) die Scene in eine Stadt verlegt, da AMr. 1, 43. 45 ein Haus voraussetzt. Schwierige Züge glättet er aus oder übergeht sie ; namentlich aber bringt er 16 das Gebet Jesu bei, welches er 4, 42 aus gelassen hatte; wie er es denn im Folgenden (6, 12. 9, 18. 28 f.) eben falls in selbstständiger Weise hervorhebt. 5 18) 5, 17 — 26. A, 11. Heilung des Paralytischen. Lucas sagt nichts von Kapernaum, sondern verlegt 17 den Vorgang wahr scheinlich auf einen der Reisetage 4, 43, weil ihm scheint, dass Jesus von einer so nachdrücklich angekündigten Reise nicht so rasch zurück gekehrt sein könne. 6 Auch die vofioöiöäoxaXoi, deren er Erwähnung thut, gehören ursprünglich nicht hierher. 7 Vgl. auch die bestimmteren Phrasen 17 oi rjaav iXrjXvdöxsg ix näorjg xcofirjg xfjg TaXiXaiag xai lov- öaiag und övvaftig xvqiov rjv sig xö läodai aixoig, 18 xai i£fjxovv av- 1) Ewald (Evangelien, S. 192. Geschichte Christus, S. 251 f.), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 314), Scherer (Nouvelle revue, III, S.371 f.). — 2) Weiss, S- 700. — 3) Evangelien, S. 193. — 4) Hilgenfeld: Evangelien, S. 170. — 5) Ewald: Drei Evangelien, S. 195. — 6) Weiss, S. 703 f. — 7) Ewald: A. a. O. S. 197. 218 Drittes Capitel. xöv siasvsyxsiv dslvai svciniov avxov, 1 9 ävaßävxsg ini xö dufia öia xwv xsqäftwv xadfjxav aiTÖv, 25 öog~ä£wv xöv dsöv. Schon 17 wird AMr. 2, 6 anticipirt, um auf Lc. 21 vorzubereiten (freilich wegen der Abhängig keit von Mr. 2, 6 werden neben Pharisäern yqaftfiaxslg, nicht, wie 17, vofioöiöäoxaXoi genannt), ähnlich wie die Bemerkung über die övvaftig xvqiov auf 24 vorsieht. Das aixoig erklärt sich nur dadurch, dass dem Erzähler die noXXoi A Mr. 2, 2 vorschwebten. Statt iv xalg xagöiaig aiTwv sagt Lc. 21 Xiyovxsg, wozu freilich 22, nach A Mr. 2, 8 gebildet, nicht passt. 19) 5, 27 — 39. Berufung des Matthäus und Gastmahl. Lucas weiss, dass Matthäus Alles verlassen 28 und ein »grosses« Mahl veranstaltet hat 29, hat aber überhaupt missverständlich aus dem Hause Jesu das des Matthäus gemacht, und von den ftadrjxal ' Iwävvov xai Oaqioaloi blos die Letzteren beibehalten, weniger gut, als Matthäus, der mit Recht in den Ersteren die Angeredeten erkennt. x Wenn aber die Pharisäer 33 ot xwv (Daqiaaiwv sagen, so erkennt man darin wieder die Abhängigkeit von A. Ausserdem lässt Lucas von den »Murrenden« 30 gleich die Jünger angeredet werden (ötaxi sadisxs), weil ihnen wei ter unten der Vorwurf gemacht wird, dass sie nicht fasten2 — wozu denn freilich Jesu Antwort nicht mehr genau passt. 3 Das xai ösrjosig noiovv- xai 33 ist um so mehr Zusatz des Lucas, als es überhaupt zu seinen Liebliftgsausdrücken gehört (vgl. 2, 37). Mancherlei Einfälle, zu de nen die übrigen unschuldigen Abweichungen des Lucas Veranlassung gegeben haben, sind der Rede nicht werth. 4 Die Stelle 36 (mit s'Xsys öi xal naqaßoXrjv eingeführt) verwandelt das Tuch in ein Kleid — eine, weiter nicht auszubeutende, 5 Fortbildung des ursprünglich einfacheren Gedankens. Namentlich aber ist darin auch aufgenommen das xal xcp naXaicp oi avficpwvrjasi, was auf den, dem Lucas eigenthümlichen, wohl aus A stammenden, Vers 39 vorweist. Wäre dieser Vers in A gestan den, so hätten ihn Matthäus und Marcus wohl auslassen können, schwerlich aber hätten sie auch die Allusion in 36 übergangen. 6 20) 6, 1 — 5. A, 13. Aehrenausraufen. Lucas hält sich an A, wie 5 = Mr. 2, 28 beweist. Das ipwxovxsg Talg xsqaiv I ist Zusatz. 1) Gegen Schleiermacher, Neander, Bleek: Synopsis, I, S. 390. — 2) Wilke, S. 186 f. — 3) Wilke, S. 424. - 4) Vgl. dagegen Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 318 f. —. 5) Gegen Köstlin , S. 173 f. — 6) Wilke (S. 310. 375), Z e 1 1 e r (Apostelgeschichte, S. 1 4 f. 444) . Weil 39 blos angefügt ist, konnten Weisse (Evangelische Geschichte, II, S. 140) und Bleek (Synopsis, I, S. 396) den Vers stö rend finden, während ihn die Tübinger Schule geradezu zu einem antignostischen Zu satz stempelte (Baur: Marcusevangelium, S. 202. Zeller: Apostelgeschichte, S. 1.5. Hilgenfeld: Evangelien Justins, S. 403. 469. Evangelien, S. 171. Theol. Jahrbü cher, 1853, S. 200 f. 213 f.) Composition des Lucas. 219 Auch sollen Lc. 2 wiederum die Jünger angeredet werden. Der ösvxs- qonqwxog 1 ist wahrscheinlich blos entstanden, weil Lucas nach der ersten berichteten Reise anfangen will, die Sabbate zu zählen. Er schrieb, wie 6 eV sxsqcp, so hier iv nqwxcp , wozu mit Bezug auf 4, 31 eine geschäftige Hand das ösvxiqw schrieb. ' Vielleicht auch hängt das Wort überhaupt mit einem Missverstand des iv oäßßaai AMr. 2, 23 zusammen. 2 Aus dem xai eXsysv 5 kann man auf Auslassung von Mt. 12, 5. 6 schliessen, 3 sicher jedenfalls auf Elimination von A Mr. 2, 27, durch welche Auslassung die Rede folgelos wird. * 21) 6, 6 — 11. A, 14. Heilung der verdorrten Hand. Lucas gibt sie als ösj-iä an , wie er auch 8 das durchdringende Wissen Jesu und 1 1 den Zorn der Erkannten bestimmter accentuirt. Freilich hat er zugleich der Bemerkung A Mr. 3, 6 = Mt. 12, 14 durch sein inXrjadrj- aav ävoiag 1 1 die Spitze abgebrochen. 5 22) 6, 12—16. A, 16. Wahl der Apostel. Von Lucas vor den folgenden Abschnitt gestellt, weil A Mr. 3, 7 schon die fiadrjxai erwähnt werden, die Wahl der Zwölf aber erst Mr. 3, 12 berichtet wird. Uebrigens macht Lucas aus Missverstand des aramäischen Wortes aus dem Bürger von Kana einen Zeloten. G Bestimmter nach seiner Weise hatte Lucas 12 die Beschäftigung Jesu während der Nacht und am an dern Morgen 1 3 sein Handanlegen ans Tagewerk gekennzeichnet. 23) 6, 17 — 19. A, 15. Summarischer Bericht über die Krankenheilungen. Von Lucas hinter den vorigen Abschnitt ge stellt, um eine Veranlassung zur Bergpredigt abzugeben. Die hierdurch entstehenden Inconvenienzen machten auf Wilke den Eindruck, als ob die Bergpredigt überhaupt erst von Lucas in den Zusammenhang mühselig hereingearbeitet wäre. 7 Allein das Motiv zur UmsteUung lag zunächst schon im vorhergehenden Abschnitte, und die mancherlei Freiheiten , die sich Lucas in unserer Perikope nimmt, sind Folgen der getroffenen Umstellung. Uebrigens verliert er A niemals ganz aus den Augen.8 Nur würde in Folge dieser Umänderung die Bergpredigt bei Lucas eine Rede nicht an die Jünger, sondern an die Volksmenge. Lu cas betrachtet daher die Notiz über die nachfolgende Menge als Vorbe reitung auf die Bergpredigt und gibt 17 eine, für so viel Volk passende, Localität an, wo Jesus stehend (nicht sitzend, wie Matthäus sich vor stellt) die Rede hält. Wir haben daher in der Ebene des Lucas ledig lich eine nothwendig erscheinende Scenerie zu erkennen, wie solche 1) Wilke, S. 591. — 2) Hitzig: Joh. Marcus, S. 60 f. — 3) Bleek: Synop sis, I, S. 476. — 4) Hitzig: Joh. Marcus, S. 55. — 5) Hilgenfeld: Evangelien, S.172. — 6) Bleek: Synopsis, I, S. 117. - 7) Urevangelist, S. 584 i. — 8) Ewald: Drei Evangelien, S, 209, 220 Drittes Capitel. Maassnahmen bei Lucas vorkommen. Verlorener Scharfsinn ist es , in dem xaxaßdg 1 7 gegenüber von ävißrj Mt. 5 , 1 eine Degradation der Bergpredigt des Matthäus durch Lucas zu erblicken. 1 24) 6, 20—49. A, 17. Bergpredigt. Von der Quelle weicht Lu cas blos ab durch Einsetzung der beiden, hier am passendsten, aber doch gezwungen genug, 2 untergebrachten, Sprüche 39. 40. — Der Scharf sinn des »sächsischen Anonymus « Jiat gleichwohl entdeckt , dass Lucas durch Versetzung und Veränderung der Bergrede des Matthäus diese »zu einer beissenden Moralpredigt gegen Petrus verkehrt« hat. 3 25) 7, 1 — 10. A, 18. Der Hauptmann in Kapernaum. An die Stelle von A Mt. 8, 1. 5 — 10. 13 hat Lucas, ähnlich wie oben Nr. 1 1 und 1 6, eine ausgebildetere Tradition gesetzt, in welcher theils die Bescheidenheit des Hauptmanns mehr betont,4 theils der ganze Vor fall unter einen Gesichtspunkt gebracht worden ist, von dem aus es un zulässig schien, dass Jesus in unmittelbare Berührung mit Heiden tritt. Die schriftstellerische Form ist dieser Tradition von Lucas gegeben; sie berührt sich daher theils mit A Mr. 5, 35 = Lc. 8, 49, theils mit der Act. 10 enthaltenen Geschichte des Cornelius.8 IV. Die »kleine Einschaltung« (7, 11—8, 3). 26) 7, 11 — 17. Der Jüngling zu Nain. Von Lucas aus spä tem Quellen erzählt, 6 aber nicht aus A, wie Weisse aus der hebraisi- renden Sprache und der einförmigen Verbindungsweise nicht erweisen kann. 7 Die Geschichte ist hier erzählt, weil gleich nachher 7 . 22 der Herr sich auf Todtenerweckungen berufen soll. 27) 7, 18 — 35. Anfrage des Täufers Johannes. Das erste Stück aus A, aber in sehr freier Bearbeitung (so der Zusatz 20. 21 8) und mit Spuren späterer Reflexion (28 ngocprjxrjg). Auch zeigt der Zu satz nävxcov 35, dass Lucas die xsxva xfjg aocpiag unrichtig nicht auf Jesus und Johannes deutete. 9 Uebrigens vgl. S. 143 ff. 28) 7, 36 — 50. Die Salbung Jesu durch die Sünderin. Von Lucas zur Bestätigung von 7, 34 hierhergestellt. 10 Der Kern die ser, dem Lucas aus späterer, etwas wirrer, Tradition zugekommenen, Geschichte ist historisch. Die Scenerie gehört dem Lucas an, und in der Form der Erzählung hat zum mindesten eine Vermischung stattgefun- 1) Baur: Evangelien, S. 457. — 2) Bleek: Synopsis, II, S. 108. — 3) Die Evan gelien, ihr Geist u. s. f. S. 20. — 4) Hilgenfeld: Evangelien, S. 174. — 5) Strauss (Leben Jesu, II, S. 101 ff.), Zell er (Apostelgeschichte, S.429 f.) — 6) Ewald: Ge schichte Christus, S. 304. — 7) Evangelienfrage, S. 161. Richtiger früher : Evange lische Geschichte, II, S. 141. — 8) Ewald (Evangelien, S. 252), Bleek (Synop sis, I, S. 443. 445). — 9) Hitzig: Joh. Marcus, S. 55. — 10) Gfrörer: Urchristen thum, II, 1, S. 175. Composition des Lucas. 221 den mit der Geschichte einer späteren Salbung, die in Bethanien vor fiel. l Am wahrscheinlichsten aber beziehen sich beide Relationen auf dasselbe Factum 2 und rührt die Nachricht des Lucas von , dem Herrn und der Familie des Simon ferner stehenden, Augenzeugen her.3 Un sere Geschichte ist also weder als tendenziöse Umbildung,4 noch als allegorische Dichtung5 aufzufassen. Uebrigens ist der Simon 40 iden tisch mit liftwv b Xsnqög A Mr. 14, 3. Dass Jesus ihn von seinem Aus satze geheilt hat, war sowohl der Grund zur Einladung von Seiten Si mon's, als des Gleichnisses 41. 42 von Seiten Jesu. 29) 8, 1 — 3. Galiläischer Reisebericht. Von Lucas aus der Tradition gebildet ; hierher gestellt um der Analogie mit dem vor hergehenden Abschnitt willen. V. Jesu galiläische Wirksamkeit (8, 4 — 9, 50). 30) 8, 4 — 18. A, 21. Gleichniss vom Säemann. Etwas frei G nach A erzählt, aber verkürzt, nur nicht aus den von Wilke mit zu viel Scharfsinn angegebenen Gründen. 7 Wohl aber hat Lucas, der hier nachholt, nicht blos die Scene verändert8 und die 5, 3 schon ange brachte Situation von A Mr. 4, 1 weggelassen , sondern auch den gan zen pädagogischen Zusammenhang der Stelle (wovon jedoch noch eine Spur 1 8 ßXinsxs ovv nwg äxovsxs 9) verwischt und sich anstatt an die parabolische Form, worauf es in A ankommt, blos an den praktischen Sinn und Gehalt der Parabeln gehalten. Daher fehlt jeder besondere Uebergang zur Erklärung der Parabel 10, und schliesst sich die Auffor derung, das Licht scheinen zulassen, 16 — 18 unmittelbar an die Er wähnung des Fruchtbringens 15 an. Obwohl aber die Worte 16 — 18 unter einen andern Gesichtspunkt gestellt werden, als bei A Mr. 21 — 23, wo von der Anwendung des Fassungsvermögens die Rede ist,11 so tragen sie ihre Abhängigkeit von A Marcus doch deutlich genug zur Schau. Denn der schwierige Ausdruck von A ist offenbar 16 verein facht und durch die Zusätze aipag und 'iva ol slgnoqsvöfisvoi ßXinwoiv xö cpwg erläutert. Das vnö xöv ftööiov AMr. 21 wird verallgemeinert in xaXinxsi aixöv oxsisi, und das structurwidrige sig cpavsgöv sXdrj 17 erklärt sich nur aus der Herübernahme des Schlusses A Mr. 4, 22. Das d öoxel s'xsiv ist aber eine erleichternde, wiewohl nicht correcte, Um schreibung des o e'xsi A Mr. 25, auf dem gerade das Acumen des Aus- I) Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 142 f. — 2) Ewald: Evangelien, S. 342 f. Geschichte Christus, S, 377. — 3) Bleek: Synopsis, II, S. 111-117. — 4) Hilgenfeld: Evangelien, S. 175 f. — 5) Baur: Evangelien, S. 501. — 6) Wilke, S. 207 f. — 7) Urevangelist, S. 584. 516. — 8) Wilke, S. 502. 595. — 9) Wilke, S. 379. — 10) Wilke, S. 317.— 11) Wilke, S. 103. 222 Drittes Capitel. Spruches beruht. J Baur2 und Hilgenfeld3 benutzen daher in ihrer Weise die Aenderung , um hier den Pauliner Lucas einen Vorwurf ge gen den Dünkel (öoxsi) der Jünger aussprechen zu lassen. 31) 8, 19 — 21. A, 20. Jesus und seine Verwandten. Aus A verkürzt. 4 Lucas hatte nämlich die Erzählung A Mr. 3, 20 — 30 aus gelassen , weil er das Wesentliche in A stehend wusste und aus dieser Quelle noch geben wollte. Dadurch war aber auch die in A folgende Erzählung von den Verwandten Mr. 3, 31—35 unhaltbar geworden, und Lucas weiss nichts Besseres zu thun, als sie in einen neuen Zusammen hang zu bringen. 5 Anstatt dass nämlich in A der Abschnitt von den Parabeln auf den von den Verwandten folgt, lässt Lucas umgekehrt 8, 19 — 21 auf 8, 4 — 18 folgen. Er trennt daher in Nr. 30 die Parabeln, indem er, die späteren für einen passenderen Ort aufsparend, mit der ersten vom Wort Gottes die Erzählung von den Verwandten verknüpft, daher auch dsXrjfia xov dsov in das, auf die Parabel zurückweisende, Xoyov xov dsov 21 verwandelt. 6 Baur hat in diesem klar vorliegenden Verhältnisse wieder arge Parteimanöver entdeckt. 7 32) 8, 22 — 25. A, 22. Jesus im Sturm. Hier kehrt Lucas wieder in den Zusammenhang von A zurück, nicht ohne malerische Freiheiten in der Beschreibung des Seesturms und seiner Stillung 24. 33) 8, 26 — 39. A, 23. Der Besessene von Gerasa. Im Ganzen ausführlich nach A. Aber schon die jenseitige Lage wird 26 ausdrücklich bemerkt; die Notiz Ifidxiov oix ivsövaxsxo 27 beruht auf einer Anticipation von A Mr. 5, 15, wie überhaupt 27 — 29 der Zu stand des Kranken angelegentlichst behandelt wird. Wie nach die ser Seite der Arzt Lucas, so bethätigt sich der traditionelle Maler nicht blos in den Notizen 35 naqd xovg nööag tov 'Irjaov , 37 anav to nXfjdog xfjg nsqiywqov und oxi qpößcp fisydXw ovvsixovxo, sondern auch in der Bitte der Dämonen, die A Mr. 5, 10 nur die Wüste scheuen, bei Lucas 3 1 aber in die Hölle fahren müssen. Sicher hat hier Lucas eine eigenthümliche und constante (vgl. ALc. 11, 24 — 26=Mt. 12, 43 — 45) Vorstellung verkannt und den Ausdruck nach dem letzten Erfolg, da die Dämonen schliesslich doch in die aßvaoog gerathen, umgestaltet,8 nicht aber hat Marcus eine ursprünglich beabsichtigte Ironie verwischt. 9 34) 8, 40 — 56. A, 24. Von dem Töchterlein des Jairus und der Blutflüssigen. Auch hier bleibt Lucas noch im Zusam menhang von A, beweist sogar 51 seine Abhängigkeit von A Mr. 5, 1) Weiss, S. 705. — 2) Evangelien , S. 466. — 3) Evangelien , S. 176 f. — 4) Wilke, S. 378. — 5) Weiss, S. 699. — 6) Wilke, S. 103 f. 199. 340. 380. — 7) Evangelien, S. 467 f. — 8) Ewald: Evangelien, S. 241. — 9) Gegen Baur: Marcusevangelium, S. 42. Composition des Lucas. 223 37. 40. Denn weit entfernt, dass Marcus den Lucas hier missverstanden haben sollte, * hat vielmehr Lucas den Verlauf der Sache in A, wornach der Eintritt ins Haus und der in die Todtenkammer nach Entfernung der Klageweiber unterschieden wird, derart vereinfacht, dass nur von einem Eintreten die Rede ist, wobei man freilich zunächst an das Haus denkt, während der spätere Zusammenhang auf die Todtenkammer weist. Daraus entstehen die weiteren Inconvenienzen, dass die in die Kammer gelassenen Eltern anticipirt werden, und so der Schein entsteht, als ob Jesus der Mutter, die sich doch bisher gar nicht in seiner Begleitung befand, erst den Eintritt in's Haus gestattet habe, sowie dass von den Klageleuten erst gesprochen wird, als Jesus bereits in der Kammer steht.2 Uebrigens hat Lc. 43 auch verkürzt, was A Mr. 5, 26 den Aerzten zur Unehre erzählt wird, 3 wie auch das wartende Volk 40, die »einzige« Tochter 42, der Pragmatismus 46. 47, die Gewissheit des Todes 53, die »Wiederkehr des Geistes« 55 und vielleicht auch die leibliche Stärkung der Erweckten 55 ihm angehören. Bei dieser Be schaffenheit seiner Redaction ist es verschwendeter Scharfsinn, wenn Baur in dem unklaren navxsg 54 einen malitiösen Seitenhieb auf die Urapostel finden wollte. 4 35) 9, 1 — 6. A, 26. Aussendung der Zwölf. Aus A wört lich abgeschrieben. Darauf reducirt sich Baur's Beobachtung: »Man sieht, es ist dem Evangelisten beinahe jedes Wort zu viel. «B 36) 9, 7 — 9. A, 27. Gedanken des Herodes über Jesus. Lucas bleibt im Zusammenhang von A, verändert aber sehr frei, indem er dem rjxovasv (Mr. 6, 14) durch Ta ytvofisva nävxa ein Object gibt und die Aeusserung des Herodes als eine unbestimmte hinstellt. Wäh rend in A Herodes Jesum für den auferstandenen Johannes hält, lässt ihn Lucas blos mit Beziehung auf ein derartiges Urtheil sagen : Johan nes ist enthauptet, der kann es also nicht sein; aber wer sonst? — was glätter, darum aber nicht ursprünglicher ist. 6 Lucas schliesst, indem er mit der Bemerkung xai it,rjxei lösiv aixöv auf 23, 8 vorweist.7 Das Fol gende in A lässt Lucas aus , weil es ihm eine Digression schien, und er 3, 19. 20 das Wesentliche schon bemerkt hatte. Es reisst daher hier der Faden von A an der Stelle Mr. 6, 16 ab, um erst A Mr. 6, 30, wo die Geschichte vom Täufer zu Ende erzählt ist , wieder aufgenommen zu werden. 1) Gegen Schleiermacher: Versuch, S. 129. — 2) Wilke, S. 534 ff. — 3) Hitzig: Johannes Marcus, S. 56. - 4) Evangelien, S. 458. Marcusevangelium, S. 38. Theol. Jahrbücher, 1853, S. 73 f. Christenthum der drei ersten Jahrhun derte, 1860, S. 77. — Vgl. dagegen Hilgenfeld, Evangelien, S. 134 f. - 5) Evan gelien, S. 435. — 6) Gegen De Wette, Bleek, Neander: Leben Jesu, S. 468. — 7) Wilke: Urevangelist, S. 679 f. 224 Drittes Capitel. 37) 9, 10—17. A, 29. Speisung der Fünftausend. Beth saida 10 ist, wie auch Baur richtig fühlt,1 das westliche. Die Notiz ist einfach aus A Mr. 6, 45 herübergenommen,2 auf keinen Fall aber ist an Bethsaida Julias zu denken, 3 da alle Spuren der Seereise ja bei Lu cas consequent verwischt sind.4 Die Zahl 5000 hat Lucas 14 anticipando gleich an die Erwähnung der grossen Zahl angeknüpft. 5 Das Gespräch Jesu mit den Jüngern A Mr. 6, 37. 38 aber verkürzt, jedoch in anderer Weise, als Matthäus. 38) 9, 18—27 A, 39. Das Pestrus-Bekenntniss. Hier knüpft Lucas, nachdem er mehrere Stücke ausgelassen hat, wieder an, so jedoch, dass er, um keine Lücke bemerklich zu machen, die Scene aus dem ausgelassenen Stück A Mr. 6, 46 = Mt. 14, 23 bestimmt. Daher die ungeschickte und willkürliche Scenerie 18. Sonst hat Lucas hauptsächlich noch die Einrede des Petrus und die , ihm zu stark schei nende, Antwort Jesu weggelassen; vielleicht fehlt das ganze Zwiege spräch auch blos, weil es auf eine Wanderung hinweist, und eine solche eben bei Lucas wegfällt. 6 Jedenfalls weist der Ausdruck 23 slns öi nqog nävxag auf das Ausgelassene zurück7 und ist nur aus Mr. 8, 34 erklärlich. 8 39) 9, 28 — 36. A, 40. Verklärung. Lucas will ein besserer Chronolog sein, gibt daher, die termini a quo und ad quem mitzählend, acht Tage an. Die Rede über den Täufer hat Lucas, weil sie für ihn so wenig, als für Matthäus und Marcus, ganz durchsichtig, und weil der Lehrgehalt der Stelle jedenfalls 7, 18 — 35 schon gegeben war,9 wegge lassen, die Vision selbst aber, ähnlich wie bei der Taufe, objectivirt (29 siöog xov nqoawnov avxov iyivsxo sxsqov statt des einfachen ftsxs- ftoqcpwdrj) und ästhetisch amplificirt, 10 so dass Petrus den Weggang der Erscheinungen verhindern will, als er dieselben in die Wolke sich zurückziehen sieht u. s. f. Der angegebene Inhalt des Gesprächs 31 be ruht auf Tradition. " Schliesslich verwandelt Lucas, weil er die Reden über Elias auslassen will , das Gebot Jesu , Stillschweigen über das Ge sicht zu beobachten, in die Angabe, dass die Jünger von selbst ge schwiegen hätten : xal avxoi iaiyrjoav 12 — was nach Baur den Jün gern zum Nachtheil geschieht. 13 Die Notiz, dass die Jünger das deut- 1) Marcusevangelium, S. 51. — 2) Ewald (Geschichte Christus, S. 319), Weisse (Evangel. Geschichte, I, S. 506). — 3) Vgl. De Wette, Winer, Bleek: Synopsis, II, S. 8 f. — 4) Wilke, S. 536. 596. 691. — 5) Wilke, S. 411.— 6) Wilke, S. 586. — 7) Wilke, S. 380. — 8) Hilgenfeld (Marcusevangelium, S. 61), Meyer (ZuMarcus und Lucas, S. 107 f.).— 9) Wilke, S.587.— 10) Wilke, S. 537 ff. — 11)Meyer: Zu Marcus und Lucas , S. 364. — 12) Wilke, S. 596f. — 13) Marcusevangelium , S. 6b. Vgl. dagegen Kö stlin, S. 200. Composition des Lucas. 225 liehe Wort vom Todtenerstehen nicht verstanden hätten, bleibt, als selbst unverständlich, weg. 4 40) 9, 37—42. A, 41. Heilung des epileptischen Kna ben. Von Lucas besonders gegen das Ende sehr verkürzt. So blieb der Dialog A Mr. 9 , 28. 29 = Mt. 17, 19—21 weg um der später aufzu nehmenden Perikope 17, 5—10 willen.2 Dagegen ist bei dem malen den Lucas der Sohn wieder fiovoysvrjg 38 (wie S. 223 die Tochter), und das nvevfia fiöyig änoxwqel an aixov avvxqißov aixöv 39. 41) 9, 43 — 45. A, 42. Zweite Vorherverkündigung des Todes Jesu. Eng mit dem Vorherigen verknüpft, um jede Spur des Aufenthalts bei Cäsarea zu verwischen (vgl. Mr. 9, 30). 3 Auf diese Weise warnt hier Jesus die Jünger vor dem Vertrauen auf die Huldi gungen der Galiläer, und so hat Lucas auch die Hindeutung auf die Auferstehung ausgelassen, da Jesu Rede mehr hemmende, als erhebende Kraft haben soU. 4 Eigenthümlich ist Lc. 45 a = 18, 34. 42) 9, 46 — 48. A, 43. Rangstreit der Jünger. Sehr ver kürzt aus A und durch den zuvor aus A Mr. 9, 35 entnommenen, 5 aber hinter A Mr. 9, 36 gerückten, Zusatz 6 fiixqöxsqog iv näaiv vfiivinäq- Xwv, ovxog eaxai fieyag unter einen , der Quelle A fremdartigen , ^Ge sichtspunkt gebracht (als hätte Jesus das Kind als Muster der Demuth unter die Jünger gestellt).6 Die ganze Umstellung von A ist daher, gleich der anderen Manipulation Mt. 18, 1 — 5, dem Bestreben ent stammt, einen Zusammenhang zwischen A Mr. 9, 34 und 35 herzustel len. 7 Beide Evangelisten, ja vielleicht auch schon Marcus (vgl. S. 89) gingen also von der, an sich natürlichen, Voraussetzung aus, dass, was Jesus mit dem Kinde vornimmt, einen Bezug auf den Rangstreit der Jünger haben müsse, wovon doch, recht besehen, in dem Worte Jesu A Mr. 9, 37 = Lc. 9 , 48 a gar nichts zu bemerken. 43) 9, 49. 50. A, 44. Der fremde Wunderthäter. Ver kürzt. VI. Die »grosse Einschaltung« (9, 51 — 18, 14). 44) 9, 51 — 56. Die Samariter verweigern die Auf nahme. Dass 51 an die letzte Reise gedacht ist, geht sowohl aus xfjg ävakfjtpewg, als auch aus der Stelle von A, an der Lucas hier ange kommen ist (Mr. 1 0, 1), unwidersprechlich hervor. 8 Hier beginnen die dem Lucas eigenthümlichen mündlichen Quellen reichlicher zu fliessen. 45) 9, 57 — 62. Drei Petenten abgewiesen. Aus A, wie 1) Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 311. — 2) Wilke, S. 597. — 3) Wilke, S. 597. 604 f. — 4) Wilke, S. 217. — 5) Gegen Volkmar (Religion Jesu, S. 244), der kurzer Hand Mr. 35 zu einer, weder von Matthäus, noch von Lucas gelesenen, Glosse macht. — 6) Wilke, S. 332 f. 380 f. — 7) W ei sse : Evangel. Ge schichte, I, S. 76. — 8) Gegen Wieseler: Chronologische Synopse, S. 319 ff. Holtzmann. 1 5 226 Drittes Capitel. der Ausdruck sxegög zeigt für «XXog. Im Zusammenhang von A findet das Stück schon darum keine Stelle, weil Matthäus 8, 18 — 22 es unterbringt bei Gelegenheit einer Reise Jesu von Kapernaum nach Peräa, Lucas beim Aufbruch nach Jerusalem. Beidemal besteht das Band, wodurch das schwebende Bild in einen festen Rahmen gebracht wird, blos in der Ideenassociation von noqevofisvwv avxcZv (Lc. 57) oder änsXdsiv (Mt. 1 8) und äxoXovdslv. 1 46) 10, 1—16. Aussendung der 70 Jünger. Vgl. S. 145 f. Lucas hat übrigens theilweise verarbeitet und 9, vielleicht um kein Missverständniss zu veranlassen, das öwqsdv iXäßsxs , öwqsdv öözs Mt. 10, 8 weggelassen, wie auch vor Lc. 16 im Interesse der Kürze Mt. 11, 23. 24 weggefallen ist. 2 Dagegen ist 16 hier an seinem Platze als Schluss der ganzen Instructionsrede. 47) 10, 17—20. Rückkehr der 70 Jünger. Aus A, von Mat thäus ausgelassen, 3 weil er die 70 überhaupt nicht erwähnt hatte. Der Abschnitt gehört zu den wenigen Spuren und Ansätzen von Pragmatis mus auch in A; vgl. S. 146 f. 48) 10, 21—24. Jesu Stellung zu Gott und zu den Men schen. Aus A, vgl. über das Verhältniss zu Mt. 1 1, 25—30. 13, 16. 17. S. 147. Nur bei Lucas versteht sich das xavxa 21, was auf den In halt des von den 70 gepredigten Evangeliums geht, wie auch nur bei Lucas das Sehen bei Jüngern und bei Propheten dasselbe objective Sehen ist, während im Zusammenhange des Matthäus es in Betreff der Jünger auf die Anwendung des Sehvermögens (gegenüber dem Volke) bezogen werden muss. 4 49) 10, 25 — 37. Die Frage nach dem grössten Gebot und das Gleichniss vom barmherzigen Samariter. Zwei selbstständige Abschnitte, von Lucas unter einen Rahmen gebracht. Das erste Fragment 25—28 ist eine Parallele zu AMr. 12, 28— 34 ;5 der yqafifiaxsvg in A ist hier ein vofiixög, seine Frage nach dem ewigen Leben eine Frage nach dem höchsten Gebot. Das Citat aus Deut. 6 , 5. Lev. 19, 18 ist 27 noch weniger, als A Mr. 12, 29—31, genau nach LXX gegeben. 50) 10, 38—42. Maria und Martha. Ein idyllisches Fami- hengemälde, 6 der judäischen Tradition entstammt. 51) 11, 1-4. Das Unser Vater. Aus A, vgl. S. 131. 136. 148. Wir haben hier, wie die kürzere, so die ursprünglichere Gestalt.' NurbeiRitschl's Textrecension hätte Lucas am Anfang geändert.8 1) Gfrörer: Urchristenthum, II, 1, S. 231. - 2) Ewald: Evangelien, S. 254. BW X ^ t\ T5- ~ 4) WUke' ^ 354" ~ 5) Ewald: Evangelien, n%~ \ ¦ V' ' 4'AUSg" S" 167< ~ ?) Ewald: ^«Seilen, S. 286. — 8) Evangelium Marcion's, S. 250. Composition des Lucas. 227 52) 11, 5 — 8. Gleichniss vom anhaltenden Gebet. Vgl. S. 148. 159. 53) 11, 9 — 13. Ermunterung zum Gebet. Aus A, von Matthäus 7, 7 — 11 in die Bergrede verwebt.1 Fast wörtlich überein stimmend; aber gegen Mt. 11 hat Lc. 13 nvsvpta ayiov, was naeh Neander ursprünglich ist. 2 54) 11, 14 — 26. A, 19. Rede Jesu gegen die Anklage auf dämonische Besessenheit. Der Hauptsache nach aus A. Da aber eine kurze Notiz von dem Auftritt in ^jedenfalls zu finden war (S. 148 f.), mag die Berücksichtigung dieser zweiten Quelle auf die abweichende Textgestaltung des Lucas einen — im Einzelnen nicht immer genau zu bestimmenden — Einfluss geübt haben. Jedenfalls hat Lucas dieses Stück mit dem in A folgenden zusammengedacht und die Veranlassung zu beiden Reden gleich in der Bemerkung 1 6 zusammen gefasst, 3 wobei ij; oiqavov Reminiscenz aus A Mr. 8,11= Mt. 1 6, 1 ist. Ferner ist das Wort vom loxvqög 21. 22 anders gestaltet, als A Mr .3, 27 = Mt. 12, 29 : während die letztere Quelle von der zu lei stenden Bedingung spricht, falls der Starke soU überwunden werden, redet Lucas von dem, was geschehen muss, wenn er überwunden ist.4 An 23 reiht sich naturgemäss, weil, wer nicht für den Herrn ist, die Rückkehr seiner Feinde befördert,8 24 — 26 die Rede von dem Umher- reisen des unsaubem Geistes. Das Wort A Mr. 3, 28. 29 = Mt. 1 2, 31. 32 wird ausgelassen, weil Lucas zugleich nach A arbeitet, welche Quelle es hier nicht, wohl aber bald darauf Lc. 12, 10 hat. Unrichtig also auf jeden Fall Baur: »Nur ist die von der Sünde gegen den hei ligen Geist handelnde Stelle, die der paulinische Verfasser vielleicht mit der paulinischen Lehre von der Sündenvergebung nicht recht in Einklang zu bringen wusste, weggelassen.«6 55) 11, 27. 28. Preis der Mutter Jesu. Vgl. S. 149. 160. Das Stück charakterisirt sich als eine Parallele zu Mr. 3, 31 — 35, da Jesus auch hier an die SteUe der glücklichen Mutter Andere setzt, die in Wahrheit glücklich seien.7 56) 11, 29 — 32. Das Zeichen des Jonas. Aus A, bei Mt. 12, 39 — 42. Wegen Voranstellung von 16 muss aber Lc. 29 die Antwort Jesu besonders einleiten. Lucas hat die nähere Bestimmung des Zeichens des Jonas , wohl weil sie sich von selbst verstand, wegge- 1) Sieffert: Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums, S. 78. — 2) Leben Jesu, S. 356. — 3) Ewald (Evangelien, S. 226), Köstlin (Evangelien, S. 145). — 4) Wilke, S. 195 f. — 5) Wilke (S. 195), Ewald (Evangelien, S.229).— 6) Evan gelien, S.474 f.— 7) Wilke (S. 135), Bleek (Synopsis, II, S.163f.). 15* 228 Drittes Capitel. lassen und zugleich die Verse 31. 32, die Mt. 41. 42 in umgekehrter Ordnung stehen, aus chronologischen Gründen invertirt. 1 57) 11, 33—36. Rede vom Licht. Aus A. Vgl. S. 149. 154. Matthäus hat dieses Fragment 5, 15. 6, 22. 23 in die Bergrede gestellt und ihm dadurch sowohl seinen ursprünglichen Zusammenhang, als auch seine Vollständigkeit (vgl. Lc. 11, 35. 36) genommen. Aber auch bei Matthäus ist unser Abschnitt, wenn auch kein »ungeschicktes Ein schiebsel aus der Bergrede,« wozu ihn Baur kurzhin macht,2 so doch ein, nicht durch die Akoluthie von A gebotenes, sondern anticipir- tes, Fragment. » Eine Anknüpfung dieses Gedankens an die Rede von Jonas u. s. w. ist auf einfache und natürliche Weise nicht mög lich. « 3 58) 11, 37 — 54. Strafrede gegen die Pharisäer. Vgl. S. 149 f. Uebrigens ist nicht blos der Eingang lucanisch (37 siasXdwv ävsxXidrj = 7, 36 slaiXdwv xazsxXidrj) , sondern es sind auch einzelne Partien dieser Rede wie 42 (Mt. 23, 23. 24), 44 (Mt. 23, 27. 28) von Lucas stark verkürzt und zugleich dem Sinne nach umgebogen worden, offenbar um der nichtjüdischen Leser und fremdartigen Sitten willen. Endlich hat Lucas im Epilog der Rede zum Theil ausgelassen (Mt. 23, 32. 33). Nach späteren theologischen Gesichtspunkten alterirt soll nach Meyer4 49 fj aocpia zov dsov slnsv sein; doch weist das öid xovxo, welches Mt. 23, 34 nicht recht passt, auf eine andere Erklärung. 5 Das Original war jedenfalls so gemeint und gewendet, dass Christus nicht unmittelbar in eigener Person sprechen sollte. 6 59) 12, 1 — 12. Ermunterung der Jünger zu freimü- thigem Zeugniss. Vgl. S. 150 f. Verschiedene Stücke aus A zusam mengereiht. Zuerst 1 der Ausspruch vom Sauerteig der Pharisäer, Pa rallele zu A Mr. 8, 15. Dann, vielleicht angereiht an die Warnung vor feiger vnöxqioig,7 und ganz entsprechend dem, vor allem Volk abgeleg ten, Zeugniss Jesu gegen den Pharisäismus,8 der Ausspruch von der Oeffentlichkeit der christlichen Predigt 2.3, eine Parallele zu A Mr. 4, 2 2 ; hierauf allgemeine Ermunterung zur Furchtlosigkeit 4 — 9. Sonach wäre die Stelle 2 — 9 als zusammenhängendes Fragment zu betrachten. Weiter folgt das Wort 1 0 von der Lästerung des Geistes, nicht etwa eine nach trägliche Beibringung des 11, 14 — 26 ausgelassenen Redeinhaltes ; denn in jenem Zusammenhang hat blos A das Wort von der Blasphemie; son dern es soll gesagt werden, dass die Schmähung der die Apostel bei ihrer Thätigkeit leitenden und begeisternden göttlichen Kraft eine un- 1) Bleek: Synopsis, I, S.502. — 2) Evangelien, S.475. — 3) Ritschl: Evan gelium Marcion's, S. 85. — 4) Zu Marcus und Lucas, S. 404 f. — 5) Bleek: Synop sis, H, S. 174 ff. — 6) Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 119. — 7) Bleek: Synopsis, I, S. 434 f. — 8) Ewald: Evangelien, S. 288. Composition des Lucas. 229 sühnbare Sünde sei; * wir haben also auch hier eine Parallele aus A zu zu A Mr. 3, 29. Aus Veranlassung der Erwähnung des heiligen Geistes wird dann 11.12 noch aus A eine trostreiche Ermahnung mitgetheilt, die abermals ihre Parallele in A Mr. 13, 11 hat und gemischt mit dieser Parallele Mt. 10, 19. 20 sich vorfindet. Dagegen lässt sich nicht mit Sicherheit ausmachen, ob die dritte Person 6 wog xov ävdqwnov 8 ur sprünglich in A gegeben und von Mt. 10, 32. 33 nur umgewandelt worden ist2 oder ob Lucas in Reminiscenz an die Ausdrucksweise von AMr. 8, 38 = Mt. 16, 27 = Lc. 9, 26 schreibt. 60) 12, 13—21. Der Erbstreit. Das Ganze ist aus A, wie auch der Anfang sehr die hebraisirende Quelle verrath, vgl. 15 nsqia- asvsi fioi = ib n1^. 3 Das folgende Gleichniss hat nicht erst Lucas ge bildet und mit dem berichteten Ereigniss verbunden,4 sondern es stammt aus derselben Quelle, wie die ganz ähnlich gebildeten 11, 5 — 8. 16, 1—8. 19—31, d. h. aus A, vgl. S. 151 f. 160. 61) 12, 22 — 34. Gegen irdische Sorge. Aus A, vgl. S. 151 f. 160. Eigenthümlich und von Mt. 6, 19—21. 25—33 nicht aufgenommen ist Lc. 29 xai fir) ftsxswqi^sods, ferner Lc. 32 die kleine Heerde, sowie der Eingang zu 33: nwXrjaaxs xd vndqxovxa vfiwv xai ööxs iXerjfioavvrjv. 62) 12, 35—38. Ermahnungen, die sich auf die Paru sie beziehen. Aus A, vgl. 152. 160. 63) 12, 39 — 53. Eschatologische Reden. Aus A, vgl. S. 152. 160. Für die Ursprünglichkeit bei Lucas spricht auch, dass die 52 genannten Fünf 53 aufgezählt werden (was Mt. 10, 35 ver wischt ist.) 64) 12, 54—59. Zeichen der Zeit. Aus A, s vgl. S. 152. Hier ist 54 — 56 bei Mt. 16, 2. 3 verändert und in neuen Zusammen hang gebracht. Als das , was richtig zu beurtheilen gewesen wäre, und worauf die Zeichen der Zeit hinwiesen, erscheint 58. 59 die Nothwen digkeit, sich mit Gott zu versöhnen, so lange es noch angeht; wenn nicht überhaupt nur ein bioser Wortzusammenhang, durch die äussere Verwandtschaft der Begriffe xqiveiv und öoxifidtpiv hergestellt, statt hat, B in welchem Falle Lucas den Vers 57 gebildet hätte. — Uebrigens ist die Stelle 58. 59 von Mt. in die Bergpredigt 5, 25. 26 verflochten, und ihr eine Beziehung auf die Versöhnlichkeit mit menschlichen Wi dersachern verliehen. 7 1) Schleiermacher (S. 186), Köstlin (S. 145). — 2) Weisse: Evangelien frage, S. 149 f. — 3) Ewald: Evangelien, S. 289. — 4) Gegen Ewald: Jahrbücher, I, S. 137 f. Evangelien, S. 289. — 5) Ewald: Evangelien, S. 268 f. 292. — 6) Gfrö rer, Ritschl: Evangelium Maroion's, S. 258. 270. — 7) Bleek: Synopsis, II, S. 194 f. 230 Drittes Capitel. 65) 13, 1—5. Die hingerichteten Galiläer. Aus A, vgl. S. 152 f. 160. 66) 13, 6—9. Gleichniss vom Feigenbaum. Aus A, vgl. S. 153. 160. 67) 13, 10 — 17. Heilung des contracten Weibes. Die Form der Einkleidung gehört jedenfalls dem Lucas (vgl. Vers 15 mit 14, 5 und Vers 17 mit 14, 6) an. Ueber die Quelle vgl. S. 162. 68) 13, 18 — 21. Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig. Parallele zu Mt. 13,31 — 33. Nicht zu verschiedenen Malen hat der Herr diese Gleichnisse gesprochen, l sondern Lucas fügt in ganz unbestimmter Weise2 ein, was er in A vorfand. 3 Zwar steht das Gleichniss vom Senfkorn auch in A, aber dort ist die Rede von der Natur des Korns, wie es das Kleinste ist, und wenn es gesäet wird, ein Baum wird; hier aber haben wir eine Erzählung, wie ein gewisser Mensch ein gewisses Senfkorn säete, das ein Baum wurde. 4 Da nun Matthäus beide Formen hat, sowohl iari und yivexai, als Xaßwv avdqw- nog, muss sein Gleichniss aus zweien Quellen herrühren, mithin das des Lucas aus nur einer, die aber nicht A sein kann. Vgl. S. 153. 69) 13, 22. Reise nach Jerusalem. Von Lucas zur Orien tirung eingesetzt. 70) 13, 23—30. Wenige werden selig. Aus A, vgl. S. 153. 71) 13, 31 — 33. Versuch der Pharisäer, Jesum aus Gali läa zu locken. Mit Rücksicht auch auf diese Stelle, die in A den Entschluss motivirt, bei dessen Ausführung Lc. 9, 51 in seiner Befol gung von A (vgl. Mr. 10, 1) angekommen war, hat Lucas die ganze, aus A zu bildende , Einschaltung eben an diesen Ort des Lebens Jesu gerückt. Matthäus hat diesen Abschnitt schon um seiner Unklarheit willen ausgelassen. Vgl. S. 153. 160. 72) 13, 34. 35. Jerusalem! Jerusalem! Aus A, von Mat thäus in die Invective 23, 37—39 verwebt. Die letzten Worte Xiyoj öi vfilv, nicht Xiyw yaq vfiiv, wie Matthäus schreibt, wenden sich wieder an die galiläischen Pharisäer 31, von denen Jesus hier einen längeren Abschied nimmt, indem er das Wiedersehen hinausschiebt bis zum nächsten Osterfeste (i'cog rjg'si oxs sinsxs svXoyrjfiivog). s Vgl. S. 153. 73) 14, 1 — 15. Gastmahl der Pharisäer und Heilung eines Wassersüchtigen. Aus A; im Einzelnen ist der Abschnitt 1) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 428. — 2) Strauss: Leben Jesu, I, S. 626. — 3) Weisse: Ev. Geschichte, I, S. 494. II, S. 88 f. — 4) Wilke, S. 462. — 5) So schon Erasmus, E. Schmid, Paulus, Wieseler: Chronologische Synopse, S. 321 ff. Composition des Lucas. 231 jedoch nach S. 153 f. sehr verarbeitet, wie auch der Sprachcharakter beweist ; insxsiv 7 ist lucanisch und xal avxoi ol (Daqioaloi rjaav na- qaxrjqoifisvoi avrov 1 ist nach Lc. 6 , 7 gebildet. 74) 14, 16 — 24. Gleichniss von den geladenen Gästen. Einfachere, aber darum nicht ursprünglichere, Form von Mt. 22, 1 — 14. Lucas hat die Parabel dem Zusammenhang angepasst, insofern einer seits die schroffere Bezeichnung der Geladenen 2 1 nicht blos an die be kannte Vorliebe des Lucas für die äusserlich Unglücklichen, sondern auch an 14, 13. 14 erinnert, andererseits aber die Parabel (vgl. 24) so eingerichtet wird, dass sie dem Phrasenmacher 15 zur Abfertigung dient.1 Vgl. S. 153 f. 75) 14, 25 — 27. Von der Nachfolge Christi. Aus A, vgl. S. 154. 76) 14, 28 — 33. Gleichnisse vom Thurmbauen und von der Kriegführung. Aus A, vgl. S. 154. 160. 77) 14, 34. 35. Vom Salz. Aus A, vgl. S. 154. Parallele zu A Mr. 9, 50. 78) 15, 1 — 7. Gleichniss vom verlorenen Schaf. Aus A, vgl. S. 155. Auch Bleek2 und Ewald3 erkennen an, dass gegen über Mt. 18, 12 — 14 der Context des Lucas der naturgemässe, die Aus malung der Parabel die anschaulichere sei, während in der Composition des Matthäus der schöne Farbenschmelz verloren gehen musste. 79) 15, 8 — 10. Gleichniss vom verlorenen Groschen. Aus A, vgl. S. 155. 160. 80) 15, 11 — 32. Gleichniss vom verlorenen Sohn. Vgl. S. 155. 160. 81) 16, 1 — 12. Gleichniss vom ungerechten Haushal ter. Aus A, vgl. S. 155. 160. Köstlin hat die sprachliche Verwandt schaft dieses Gleichnisses mit dem 12, 16 — 21 stehenden erwiesen.4 82) 16, 13. Niemand kann zweien Herren dienen. Von Mt. 6, 24 in die Bergpredigt gesetzt, in A vielleicht nur hierher gestellt wegen der vorangegangenen Bezeichnung des irdischen Mam mon als eines äXXöxqiov. 5 Jedenfalls ist das Wort aber mehr noch im Zusammenhang mit dem Folgenden gedacht, 83) 16, 14. 15. Gegen Stolz und Geiz der Pharisäer. Aus^f. Vgl. S. 155 f. 84) 16, 16 — 18. Vom Gesetz. Aus A, vgl. S. 144 f. 156. Ohne Zusammenhang mit dem Vorigen;6 vielleicht nicht ohne Absicht- 1) Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 112. — 2) Synopsis, II, S. 88 f. 216. — 3) Evangelien, S. 296 f. — 4) Evangelien, S. 274. — 5) Bleek: Synopsis, II, S. 231. — 6) Gegen Paulus, Schleiermacher: S.205 ff. 232 Drittes Capitel. lichkeit kurz und klein geschlagen. l Würde die Lesart xwv Xoywv fiov die ursprüngliche sein, z so hätte Lucas hier eine ihm anstössig lautende Stelle zurechtgelegt, was möglich ist, da schon das nag slg avxrjv ßiä^s- xai 16 vgl. mit Mt. 11, 12 einen Beweis liefert für die Freiheit der Redaction, die hier nicht blos — wiewohl richtig — den Ausdruck von A verkürzt, sondern dabei auch dem passivischen Gebrauch von ßid- ^sadai einen medialen substituirt. 85) 16, 19—31. Vom reichen Mann und armen Laza rus. Aus Ä, vgl. 156. 160. 86) 17, 1. 2. A, 45. Warnung vor Aergerniss. Aus Grün den, welche S. 156 entwickelt wurden, macht Lucas hier Anstalten, die Einschaltung zu beschliessen und zu A zurückzukehren, welche Quelle er eben an dem Punkt aufnimmt, wo er die Einschaltung eröff net hatte, nämlich bei A Mr. 9, 42 = Mt. 18, 6. Da aber das rj Iva axavöaXiarj xwv fiixqwv xovxwv sva sich gegenüber dem og av axavöa- Xiarj sva xwv fiixqwv Mr. 9, 42 = Mt. 18, 6 als Aenderung erweist, ist auch die Umstellung von A Mt. 18, 6. 7 und die ganze Form unserer Stelle auf Rechnung des Lucas zu setzen. Die Aussagen Mr. 9, 43. 47 = Mt. 18, 8. 9 aber schienen dem Lucas zu grell und paradox. 3 87) 17, 3. 4. A, 45. Versöhnlichkeit empfohlen. Bei Mt. 18, 15. 22. Die gleiche Akoluthie beweist die Continuität der Quelle für dieses und das frühere Stück. Das darauf folgende, und nur in die sem Zusammenhang verständliche, auch von Marcus nur lexicalisch verknüpfte, Wort A Mr. 9, 49. 50 hat Lucas wegen 14, 35. 36 ausge lassen. 88) 17, 5. 6. Der wunderthätige Glaube. Aus A, von Mt. anticipirt 17, 20. Vgl. S. 156. 89) 17, 7 — 10. Warnung vor Lohnsucht. Der Abschnitt kann nicht mehr, wie die früheren, an die Jünger gerichtet sein, 4 steht überhaupt ausser Zusammenhang mit denselben. B Vgl. übrigens die selben Bilder 12, 37. Beide Stellen sind aus A, vgl. S. 156. 90) 17, 11 — 19. Der dankbare Samariter. Von Lucas aus der Tradition gebildet. 91) 17, 20. 21. Vom Reich Gottes. Kurze Abfertigung 1) Die Evangelien, ihr Geist u. s. f. S. 20 f. — 2) Hilgenfeld (Theol. Jahr bücher, 1853, S. 231 f. Evangelien Justin' s, S. 470. Evangelien, S. 201), Volkmar (Evangelium Marcion's, S. 212), Baur (Evangelien, S. 402. Marcusevangelium, S. 196 f. Christenthum der drei ersten Jahrhunderte , S. 75). — Doch halten wir die recepta für die wahrscheinlich richtige Lesart, vgl. §. 25. — 3) Weisse : Evangelische Ge schichte, I, S. 79. Evangelienfrage, S. 155. — 4) J. Müller: Lehre von der Sünde, I, 1844, S. 49. - 5) Kühnöl, De Wette, Bleek, Neander: Leben Jesu, S. 624. Composition des Lucas. 233 der Pharisäer, wenigstens nach der Einkleidung des Lucas.1 Aus A, vgl. S. 156. 92) 17, 22—37. Das Wann der Parusie. Vgl. 157. 160. Lucas bringt mit stnsv ös nqog xovg fiadrjxdg zuerst einen sachgemässen Abschnitt hervor.2 Parallele in A zu A Mr. 8, 35. 10, 39. 13, 21. Ge gen die Ursprünglichkeit dieser Rede3 hat De Wette Einwendungen erhoben,4 die sich damit erledigen, dass die, der Form in A bei Lucas näher gebrachte, Partie 31. 32 schon in A auf die Parusie bezogen war, während solche Erklärungen Jesu zunächst mit Beziehung auf die Zer störung Jerusalems gesprochen waren (vgl. A Mr. 13, 15. 16). 5 Sonst aber fehlt in unserem Abschnitt jede Beziehung auf das letztere Ereig niss. Erst Matthäus hat ihm eine solche gegeben.6 Das nov xvqis 37 gehört wieder dem Lucas und soll den Schlusssatz stärker hervortreten lassen . 7 93) 18, 1 — 8. Gleichniss vom ungerechten Richter. AusA, vgl. S. 156. 160. 94) 18, 9 — 14. Gleichniss vom Pharisäer und Zöll ner. Aus^, vgl. S. 157. 160. VII. Letzte Reise und Tod (18, 15—24, 53). 95) 18, 15 — 17. A, 48. Segnen der Kinder. Den Schluss hat Lucas ausgelassen. 96) 18, 18—30. A, 49. Vom reichen Jüngling. Ziemlich verkürzt; namentlich ist wegen 13, 30 der Schluss Mr. 10, 31 = Mt. 19, 30 weggeblieben. Warum der Fragende ein aqxwv ist 18? Wilke räth auf ein ursprüngliches hXovaiog vndqxiov.8 97) 18, 31 — 34. A, 50. Todesweissagung. Mit Verein fachung des doppelten naqaöiöoadai.a Selbstständig gebildet ist je doch 31, wo Lucas, wie 21, 22. 22, 36 einen Zusatz von der Schrifter füllung macht und dafür die Ortsangabe A Mr. 10, 32 weglässt mit Be zug auf 17, 11. Durch die Schlussformel 34 (= 9, 45 a) deckt er die Lücke, die durch Auslassung von A Mr. 10, 35 — 45 entstanden, indem er den Gedanken erweckt, dass die Jünger, in stille Betrachtungen ver sunken, Jesu nachwandelten, bis sie nach Jericho kamen. 10 98)18, 35—43. A, 52. Heilung des Blinden von Je richo. Dass derselbe vor Jericho geheilt wird, ist durch die daran 1) Gfrörer: Urchristenthum, II, 1, S. 280. — 2) Köstlin, S. 153 f. — 3) Anerkannt von Schleiermacher, Olshausen, Neander: Leben Jesu, S. 559 f. — 4) Zu Marcus und Lucas, 1846, S. 124 f. — 5) Im Uebrigen vgl. gegen De Wette Ritschl: Evangelium Marcion's, S. 261 ff. — 6) Bleek: Synopsis, II, S. 245.— 7) Köstlin, S. 154. — 8) Urevangelist, S. 547. — 9) Wilke , S.342. — 10) Wilke, S. 593 f.— 234 Drittes Capitel. sich schliessende Erzählung vom Zakchäus veranlasst. J Vgl. die Erwei terungen 36 und 43. 99) 19,1—10. Zakchäus. Schon die stark lucanische Sprach farbe (xadöxi 9, rjXixia 3, öiayoyyvtßiv 7) beweist, dass wir es hier mit einer Einschaltung zu thun haben. Nach ebionitischer Tradition soll Zakchäus viel früher in die Gemeinschaft Jesu eingetreten sein. 2 Lucas weist dem Stück diese Stelle nur um der nach Jericho weisenden Kunde willen zu. 100) 19, 11 — 27. Gleichniss von den anvertrauten Pfunden. Von Lucas aus A (vgl. S. 155. 160) eingefügt, wesshalb sowohl die Anknüpfung unklar,3 als die Weiterführung 18 (= Mr. 10, 32) ungenau ist. 4 Das Gleichniss ist nicht als eine, in der Ueberliefe rung geschehene, Modiflcation von Mt. 25, 14 — 30 zu betrachten,5 auch nicht als eine Verschmelzung der letzteren Stelle mit einer selbstständi gen Parabel von aufrührerischen Unterthanen (welche in diesem Fall ganz auffallend simpel hätte lauten müssen), 6 auch sind nicht Lc. 1 9, 11 — 27 und Mt. 25, 14 — 30 gleich ursprünglich,7 sondern Lc. 19, 11 — 27 ist in sich geschlossen, stellt aber Jesu Verhältniss nach zweien Seiten hin dar, 8 und ist schon durch seine Anlehnung an einen concre ten Fall(S. 133) in seiner Ursprünglichkeit gesichert.9 101) 19, 28—38. A, 53. Einzug in Jerusalem. Die Doxo logie 38 nach dem andern Gemeindelied 2, 14 und Zach. 9, 9 modifi cirt, theils um das Hosianna zu vermeiden , theils um durch das einge schaltete ßaoiXiwg das Verhältniss der Worte zur alttestamentlichen Stelle kenntlicher zu machen. 10 Die Stelle, wo das Hosianna anfing, wird 37 besonders bezeichnet und das Rufen selbst motivirt. 102) 19, 39 — 44. Jesus weint über Jerusalem. Eingefügt aus der Tradition und ex eventu ausgemalt, " zum Theil auch (44) mit Berücksichtigung des Ausdrucks von A Mr. 13, 2 = Mt. 24, 2 = Lc. 21, 6. 103) 19, 45 — 48. A, 55. Reinigung des Tempels. Ver kürzt. 104) 20, 1 — 8. A, 57. Frage und Gegenfrage über die Autorität Jesu und des Täufers. Die Formel iv ftiijt xwv fjfts- 1) Bleek (Synopsis, II, S. 285), Weisse (Evangelische Geschichte, I, S. 571). — 2) Homil. Clem. 3 , 65. — 3) De Wette, Bleek: Synopsis, II, S. 289. — 4) Meyer: Zu Marcus undLucas, S. 514. — 5) Gegen Meyer: Zu Matthäus, S.470. — 6) Gegen Strauss (I, S. 636 f.), Ewald (S. 339 f.), Bleek (Synopsis, II, S. 290). — 7) Gegen Kern, Schleiermacher, Neander: Leben Jesu, S. 664. — 8) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 514. — 9) Schneckenburger: Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums, S. 26. 35. — 10) Wilke, S. 318. — ll)Weisse: Evangelische Geschichte, II, S. 176 f. Composition des Lucas. 235 qwv 1 soll den Mangel aller Tagezählung decken, der in Folge der Weglassung der Verfluchung des Feigenbaums und der chronologischen Unbestimmtheit der Tempelreinigungsgeschichte eingetreten war. 4 105) 20^ 9 — 19. A, 58. Gleichniss vom Weinberg, un passend bei Lucas nqog tov Xaov geredet. 2 Gleich am Anfang ist das jesaianische Bild verkürzt.3 Dagegen 17 ifißXixpag aixoig im Styl von Aist.4 106) 20, 20—26. A, 59. Vom Zinsgroschen. Mit freier, aber treffender, Motivirung. Wenn Pharisäer kamen, deren Charakter Jesus im Voraus kannte, so kannte er ihre Schalkheit schon vor ihrer Frage; Lucas machte sie daher zu iyxadhovg.* Auch der Erfolg 26 ist bestimmter accentuirt. 107) 20, 27—38. A, 61. Sadducäerfrage. A mit rhetorischer Erweiterung 35—38, 6 deren Spitze das navxsg yaq avxcp t/waiv 38 ist, das in des Verfassers Bewusstsein auf derselben Grundlage, wie Act. 1 7, 28 entstanden war. 7 108) 20,;39. 40. A, 62. Vom grössten Gebot. Doch hat Lu cas blos Anfang und Schluss, die Erzählung selbst aber ausgelassen, weil er eine ähnliche schon aus A Lc. 16, 25 — 29 gegeben hatte. Es geht darum nicht an, aus 40 (= Mr. 12, 34) irgend einen Schluss für die Ursprünglichkeit des Lucas zu ziehen. Denn 39 ist offenbare Re miniscenz aus Mr. 12, 28, und wenn jene Bemerkung nach Mr. 12, 28 — 34 unpassend stände, so musste sie auch nach diesem beifälligen Aus spruch nicht am Orte sein. 8 109) 20, 41—44. A, 63. Frage über Psalm 110. 110) 20, 45 — 47. A, 64. Rede gegen die Pharisäer. Genau wiedergegeben. 111) 21, 1—4. A, 65. Wittwe am Gotteskasten. Etwas verkürzt und aus dem geschichtlichen Zusammenhang gebracht, den das Stück in A hatte. 9 112) 21, 5 — 36. A, 66. Eschatologische Rede. Gleich der Eingang 5-— 7 stellt die Sache so, dass der Oelberg verschwindet ; vielmehr gehört nach 20, 1. 21, 37 die ganze Scene noch in den Tem pel. Daher auch die Erwähnung der ävadfjfiaxa.10 Schon im ersten Absätze der Rede Lc. 8 — 11 finden sich mancherlei freie Wendungen, Bearbeitungen und Erweiterungen von A, angebracht im Interesse, die Schilderung des Schrecklichen zu vervoUständigen (8 : xal 6 xaiqog 1) Wilke, S. 594.— 2) Hilgenfeld: Marcusevangelium, S.73. — 3) Wilke (S. 238. 425), Bleek (Synopsis, II, S.319). — 4) Gegen Wilke, S. 547. — 5) Gegen Schleiermacher (S. 261) vgl. Wilke, S. 547 f. — 6) Wilke, S. 333. - 7) Ewald: Evangelien, S. 323. — 8) Weiss, S. 706. — 9) Hitzig: Joh. Marcus, S. 124 f. — 10) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 525. 236 Drittes Capitel. rjyyixsv fir) nogsvdfJTS öniaw avxwv. 9 : äxaxaaxaoiag. 9 : ovx evdsag. 11 : Xoifioi cpößrjxqä xs xal arjfisla an oiqavov ftsydXa saxai). Dabei trennt Lucas die Verse 10. 11 vom Vorigen durch ein xöxe e'Xeyev av xolg, weil er diese Dinge als einer viel spätem Zukunft angehörig be trachtet, auf die er erst 25 ff. wieder zu reden kommt. x Ausdrücklich sagt er- daher 12, dass nqö xoixwv nävxwv sich noch ereignen werde, was folgt. 2 Sehr emancipirt ist überhaupt sein Verfahren in diesem zweiten Absatz 12—19, wo er zuerst 12 die Stelle A Mr. 13, 9 frei reproducirt, und dann besonders im Hinblick auf die Schicksale des Paulus3 ein bestimmteres Bild der Apostelverfolgungen gibt; 13 ist selbstständig ge bildet, den Erfolg der ganzen Sache angebend — ein Ruhepunkt, im Interesse der Verständlichkeit und im Hinblick auf das schon vor dem jüdischen Krieg eingetretene Martyrium des Paulus hier angebracht;4 14. 15 eine selbstständige Reproduction von A Mr. 13, 11, aber gebil det mit absichtlichen Variationen gegenüber von 12, 11. 12 und mit Rücksicht auf das Schicksal des Stephanus Act. 6, 10. Uebrigens fand diese starke Alteration statt, weil Lucas sich erinnerte, die Sache selbst aus A Lc. 12, 11. 12 schon gehabt zu haben; 16. 17 ist wieder aus A Mr. 13, 12. 13, doch so, dass die Worte von A in eine unmittelbare Anrede verwandelt und dabei das Verrathenwerden durch die Kinder ausgelassen wird.5 Ganz eigenthümlich ist 18 — wohl eine freie Reminis cenz, 6 nach Wilke, 7 Baur,8 Hilgenfeld9 freilich Interpolation10 von A Mt. 10, 30, welche Stelle Lucas in einer, an Act. 27, 34 anklin genden, Form gibt, weil er sie in der ursprünglichen schon 12,7 gehabt hat. xx Dagegen ist Lc. 19 blose rhetorische Wiedergabe des b öi vno- ftsivag slg xiXog ovxog awdrjaexai, womit auch AMr. 13, 13 dieser Ab satz schloss. Ein dritter Absatz Lc. 20 — 24 ist zwar — wie nur die un berechenbarste Befangenheit leugnen kann 12 — im Allgemeinen parallel mit A Mr. 13, 14 ff. Mt. 24, 15 ff. , im Einzelnen jedoch völlig ex eventu ausgemalt. Daher 20 'isgovoaXfjfi xvxXovfisvrj vnö axqaxoneöwv, 22 fjfiiqai ixöixrjaswg, 24 alxfiaXwxiadrjaovxai slg xd e'dvrj und xaiqoi idvwv. Von der zu ergreifenden Flucht erwähnt Lucas Nichts, wodurch die Stelle von den Schwangeren unklar wird (23). 1S Ferner ist A 1) Köstlin, S. 157. — 2) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 526. — 3) Baur (Evangelien, S. 477. Marcusevangelium, S. 99 f.), Köstlin (S. 158). — 4) Wilke (S. 257), Hilgenfeld (Evangelien, S.212). — 5) Wilke, S. 426. — 6) Weisse: Evangelienfrage, S. 168 f. — 7) Urevangelist, S. 256. — 8) Marcusevangelium, S. 202. — 9) Evangelien Justin's , S. 471. Theol. Jahrbücher, 1853, S. 237 ff. Evangelien, S. 212. — 10) Vgl. dagegen Zeller: Apostelgeschichte, S. 18. — 11) Köstlin, S. 158. — 12) Auch Auberlen (Theol. Studien >nd Kritiken, 1862, S. 217) ver wirft die entgegenstehende Erfindung Cr em er s (Die eschatologische Rede Jesu Christi, S, 239).— 13) Wilke, S. 334. Composition des Lucas. 2^7 Mr. 13, 15. 16 ausgelassen wegen Lc. 17, 31 ; AMr. 13, 20 wegen Lc. 18, 7;1 AMr. 13, 21 wegen Lc. 17, 23. 2 Noch weiter geht die Licenz im vierten Absatz Lc. 25—36, wo kaum 27. 29—33 sich genauer an A anschliesst, während schon 25. 26. 28 das Gepräge von A hinter einer unklaren,3 poetisch-rhetorischen Reproduction verschwindet. Dann wird die Notiz AMr. 13, 32 ausgelassen, um Act. 1, 7 wieder zu erschei nen. 4 Vollends aber 34 —36 hält sich Lucas nur an den ungefähren Sinn von A Mr. 13, 32—37, schreibt unter dem Einflüsse von LXX Jes. 24, 17, 5 schildert 36 den Inhalt des Gebetes und lässt das Gleich niss vom Knecht, dafür er schon mannigfachen Ersatz geboten (siehe besonders 12, 39—48), ganz weg; daher auch von 34 an die Sprache auf einmal von den lose aneinandergereihten Sätzen der bisherigen Rede zu einer abgerundeten und volltönenden Satzbildung übergeht. 113) 21, 37. 38. A, 55. 60. Summarischer Bericht über das Verhalten Jesu in jener Zeit, eingeschaltet, weil Lucas den Aufenthalt in Bethanien übergehen will. 6 Zugleich schliesst diese Notiz auch das xadrjftivov sig xö oqog xwv iXaiwv Mr. 13, 3 in sich. Schon der Mangel des Subjects 37 zeigt, dass 36 und 37 ursprünglich nicht zusammenhingen (vgl. S. 93 f.) 114) 22, 1. 2. A, 67. Anschlag des Synedriums. Beson ders frei 1. 115) 22, 3—6. A, 68. Verrath des Judas. Mit detaillirterer Angabe des Verlaufs der Sache;7 vgl. avvidevxo 5, i£ufioXöyrjoev und axsq oxXov 6. 116) 22, 7 — 13. A, 70. Vorbereitungen zum Passah. Doch fängt Lucas statt mit der Frage der Jünger , vielmehr mit dem Befehle Jesu an, wohl um der nachfolgenden Worte 15 willen.8 Die zwei Jünger 8 werden genannt. 117) 22, 14—20. A, 72. Abendmahlsbericht. Hier beginnt Lc. 14 noch mit A Mr. 14, 17. Im Weiteren aber findet sich scheinbar eine doppelte Relation über das Abendmahl, wesshalb Baur, zum Theil nach Vorgang von Ritschl,9 den Lucas im paulinischen Interesse den Vorgang in zwei Acte zerlegen lässt. 10 In der That haben wir hier eine Doublette, die sich aber aus der Duplicität der Quellen, denen Lucas hier folgt, erklärt. Eine sehr erkennbare Quelle bildet nämlich der pau linische Abendmahlsbericht 19. 20 (= 1. Cor. 11, 23— 25). n Anderer seits aber lag dem Lucas die Quelle A vor in der Gestalt von Mr. 1 4, 1) Wilke, S. 343. 410. — 2) Weisse: Evangelienfrage, S. 168. — 3) Köst lin, S. 159. — 4) Wilke, S. 381 f. 410. - 5) Wilke, S. 270. — 6) Wilke, S. 595. — 7) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 536. — 8) Wilke, S. 426. — 9) Evangelium Marcion's, S. 108. — 10) Evangelien, S. 482 f. — 11) Wilke, S. 141 f. 238 Drittes Capitel. 22—25 = Mt. 26, 26 — 29, in Verbindung mit einer mündlichen Kunde, wornach der Herr beim letzten Mahle die Erklärung 15 gege ben und den Genuss des Weines abgelehnt haben sollte. ' Lucas, dem die überlieferten Reden vom Passah nicht recht zum paulinischen Be richt stimmen wollten , verfuhr nun so , dass er diesen letzteren ganz selbstständig an's Ende stellte, vorher also aus dem synoptischen Be richte einestheils gerade so viel strich, als nöthig war, um eine förm liche Wiederholung zu vermeiden, andererseits aber auch so viel stehen liess, um seine besondere Tradition daran anlehnen zu können. Daher in Lc. 15 — 18 das Meiste zwar originell ist, trotzdem aber das Ganze in den synoptischen Bericht fast bis auf den Wortlaut ausläuft (18 = Mr. 14, 25 = Mt. 26, 29). So rückte dieser letzte Vers allerdings schon um der Analogie von Lc. 1 6 wiUen weiter herauf, aber ohne dass Lc. 1 7 als bloses Bindeglied, 2 oder gar Lc. 20 als späterer Zusatz3 zu betrach ten wäre. Am auffallendsten aber ist, dass Lucas an den Schluss des paulinischen Berichtes noch die Formel der synoptischen Relation xö vniq vfiwv ixxvvöfisvov 20 in der grammatischen Form von A Mr. 14, 24 stellte, die bei Lucas gar nicht am Platze ist, da noxrjqiov Subject ist ; will er jenes ixxvvöfisvov aber auch auf aifia bezogen wissen, so hat er jedenfalls vergessen, dass dieses bei ihm nicht, wie in A, im casus di rectus steht. 4 118) 22, 21—23. A, 71. Bezeichnung des Verräthers. Rückkehr zu A, wo diese Scene freilich schon vor dem Abendmahl stand. Aber Lucas setzt die Reden der Jünger über den Verräther an's Ende, um den Rangstreit sich daran schliessen zu lassen. Die Quelle ist zum Theil frei wiedergegeben (21 = A Mr. 14, 20), zum Theil um gestellt, das Wehe Jesu vor die Fragen der Jünger, AUes im angegebe nen Interesse. 5 119) 22, 24 — 30. Rangstreit. Vielleicht war dem Lucas eine unbestimmte Tradition zugekommen, wornach noch beim letzten Mahle ein Rangstreit unter den Jüngern ausgebrochen (24) und Jesus sie mit Hinweisung auf sein dienendes Verhältniss ihnen gegenüber zurechtge wiesen habe (27). Durch die Ideenassociation zwischen den Fragen 23 und 24 veranlasst,6 fügte Lucas eine hierher passend scheinende Stelle von A ein, die aber in der That Parallele zu A Mr. 10, 35 — 45 ist (vgl. S. 147 f.). 120) 22, 31 — 34. A, 73. Verwarnung der Jünger und des Petrus. Geschah nach A auf dem Weg nach Gethsemane , nach 1) VgL Me-yer: Zu Marcus und Lucas, S. 537. — 2) Gegen Meyer, S. 538. — 3) Gegen Wilke, S. 142. — 4) Weisse (Evangelienfrage, S. 144), Bleek (Einlei tung, II, S. 283 f. Synopsis, II, S. 415). — 5) Wilke, S. 415. — 6) Strauss: Lehen Jesu, I, S. 723 f. Composition des Lucas. 239 Lucas noch im Saale, was sich bei Nr. 121 erklärt. Dies hatte Lucas aus derselben eigenthümlichen Tradition , die ihm auch die gewiss ur sprünglichen Worte Jesu 31. 32 und die abweichende Form der Ver heissung des Petrus 33 zugeführt hatte. 121) 22, 35 — 38. Reden vom Schwerdt. Ganz eigenthüm liche, von Lucas aufgefundene, Erinnerung über die letzte Nacht. Ohne Zweifel glaubt er damit zu erklären, wie der, noch gegenwärtig ge dachte, erst beim allgemeinen Aufbruch sich entfernende, Judas dazu gekommen ist, dem Herrn mit Bewaffneten entgegenzugehen. 122) 22, 39—46. A, 74. Seelenkampf in Gethsemane. Nur sehr im Allgemeinen hält sich Lucas an A, indem er mit AMr. 14, 26 beginnt, 27. 28 mit Rücksicht auf Act. 1, 12, AMr. 29—31 dess halb auslässt, weil er 22, 31 — 34 Aehnliches gehabt, A Mr. 32 — 42 so verarbeitet, dass er davon eine Stelle Mr. 13, 38 doppelt (40 und 46) be benutzt. Die Mitnahme von nur drei Jüngern, den schlaftrunkenen Zu stand derselben und den dreifachen Act übergeht er, bringt aber statt dessen 41. 43. 44 einzelne, den Grad der Betrübniss Jesu bestimmende Züge, * eine Notiz über die Entfernung von den Jüngern u. A. bei, dessen Erkundigung er seinem Forschertrieb verdankt , und wovon Et liches, namentlich die Engelerscheinung,2 unter Umständen auch die dqöftßoi aifiaxog, 3 der späteren Sagenbildung angehört. Uebrigens wei sen auf Abkürzung auch die Worte sxi aixov XaXovvTog hin , die in A ihren treffenden Sinn haben, wo es heisst : während Jesus noch die An kunft des Verräthers prophezeite, kam er wirklich. 4 123) 22, 47 — 53. A, 75. Jesu Gefangennahme. Mannig fach modificirt, indem Lc. 52 auch die Hohenpriester — unrichtig5 — als anwesend gedacht sind,dann 48 eine, von Mt. 26, 50 abweichende, Ant wort Jesu, dann 49 aus der Tradition eine Frage der Jünger und 51 aus einer schon sagenhaften Gestaltung derselben die Heilung des Ohres, 6 und endlich 53 ein anderer Schluss der Rede Jesu berichtet wird. Seine Abhängigkeit von Quellen verrath Lucas durch die unpassende Aus lassung von A Mr. 14, 44. 124) Lc. 22, 54 — 62. A, 78. Verleugnung des Petrus. Er fängt mit A an, zu erzählen, nennt den Hohepriester nicht, für wel chen er aber 3, 2 (Act. 4, 6) nur den Hannas gehalten haben kann. 7 1) Wilke (S. 587), E w a 1 d (Evangehen, S. 351 f.) — 2) Gabler, Schleier macher, Strauss, Hase, Theile, Meyer: Zu Lucas, S. 549. — 3) Auf jeden Fall nämlich, wenn die Stelle erklärt wird, wie Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 550) thut. Wahrscheinlich aber auch bei der andern Erklärung ; vgl. Bleek: Synopsis, II, S. 430. — 4) Wilke, S. 382. — 5) Wilke (S. 605), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 552). — 6) Strauss (II, S. 461), Meyer (Zu Matthäus, S. 510. Zu Marcus und Lucas, S. 552). — 7) Wie sei er (Synopse, S. 405), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 553). 240 Drittes Capitel. Anstatt nun aber mit A zur Schilderung der Gerichtsscene vorzuschrei ten, folgt Lucas einer, die Ereignisse anders verknüpfenden, Tradition1 und benutzt die Erwähnung des Petrus in A Mr. 14, 54, um die ganze Geschichte von der Verleugnung gleich anzuschliessen. Diese erzählt er zwar nach A, indem er jedoch aus eigenen Mitteln Manches zufügt, namentlich lässt er den Petrus der Magd nicht zum zweitenmal in den Wurf kommen, sondern nennt als den Veranlasser der-zweiten Verleug nung einen Mann (58). Absichtlich ändert er auch das fisxd fiixqöv in ein öiaoTaorjg wasi äqag fiiäg 59; es ist ihm anstössig, dass Petrus in A Jesum xöv ävdqwnov xovxov nennt, und er verwandelt Dies in die An rede avdgwns, 2 lässt auch den Herrn selbst bei der Verleugnung an wesend sein, was auf fehlerhafter Tradition beruht. 3 125) Lc. 22, 63 — 71. A, 77. Jesu Verurtheilung. Als Lucas nach seiner Anticipation von Mr. 14, 66 — 72 wieder in den Zusammen hang von A zurückkehrt, verfährt er so, dass er zuerst den unmittelbar vor der anticipirten Stelle sich befindlichen Abschnitt von A Mr. 14, 65 = Lc. 63 — 65 frei wiedergibt, dann erst auf die noch restirende Partie A Mr. 14, 55 — 64 zurückkommt. Die Berichte sind also zwar identisch, 4 aber nach Lucas macht sich jetzt die Sache so, dass während der Nacht Petrus im Hause des Hannas verleugnet, Jesus aber einstwei len in Verwahrung gehalten und verspottet (63), erst gegen Morgen also (66) vor das Synedrium gestellt wird. Dass der ganze Verlauf des Processes summarisch und mangelhaft erzählt wird, liegt auf der Hand.8 Namentlich hat Lucas, einer unklaren Tradition folgend, das Material katechetisch verarbeitet (67. 68), 6 das Zeugen verhör und die incrimi- nirte Aussage Jesu, darinnen Lucas nichts von Jesu auf keinen Fall Ge sagtes erblicken konnte, ~ ausgelassen, aus dem schwierigen Ausspruch Mr. 14, 62 besonders das oxpsads weggelassen 69 (vgl. Act. 7, 56)8 und eine Antwort auf die, aus jener dunkeln Rede 69 sich entwickelnden, Frage9 als Schlussstein gesetzt 70. Dagegen ist es willkürlich, mit Wilke zu sagen, das Verhör von Richtern, die bereits vorher mit dem Verdammungsurtheil fertig waren, habe keine Erwähnung ver dient. 10 126) 23, 1—5. A, 80. Die Klage vor Pilatus. Lucas be. stimmt 2 und 5 den Klagepunkt ausdrücklich und genau , wie er ebenso auch die Erklärung des Pilatus für Jesu Unschuld 4 erfahren hat. 1) Bleek (Beiträge, S. 39— 42. Synopsis, II, S. 438. 447). — 2) Weisse: Ev. Geschichte, I, S.609.— 3) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 554. — 4) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 554. — 5) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 554. — 6) Meyer: A. a. O. S. 555. — 7) Der »sächsische Anonymus,« S. 34 f. 184 f. — 8) Zeller: Apostelgeschichte, S. 427. — 9) Wilke , S. 281 f. — 10) Urevange list, S. 587. Composition des Lucas. 241 127) 23, 6 — 12. Jesus vor Herodes. Eingeschoben aus der Tradition, und dahin 9 auch das Stillschweigen Jesu vor Gericht A Mr. 15, 4. 5 = Mt. 27, 12 — 14 verpflanzt. 128) 23, 13—25. A, 80. Verhandlungen vor Pilatus. Im Eingang 13 — 16 hat Lucas eine eigenthümliche und genaue Tradition über den Hergang, wobei namentlich die veränderte Stellung und Be deutung der Geisselung 16 (vgl. A Mr. 15, 15. Mt. 27, 26) zu beachten ist; von 18 folgt er A, berichtet aber sehr summarisch. Die Geisse lung hat er ausgelassen, theils weil er Aehnliches in der Scene vor He rodes berichtet hatte 11, theils weil er zweifeln mochte, ob nicht früher (nach 16) der passende Ort hierfür gewesen wäre. Vgl. die umständ lichere Relation 23. 129) 23, 26—49. A, 81. Kreuzigung und Tod. In den Zu sammenhang von A stellt Lucas Reliquien aus der Tradition, als da sind die Anrede Jesu an die Weiber 27 — 31 , die — kritisch aber nicht voll kommen gesicherte, vielleicht auch nach Analogie vonLc. 6, 28. Act. 3, 17. 7, 60 gebildete — Fürbitte 34, das Gespräch mit dem Schacher 39 — 43 und das, vielleicht aus Ps. 31, 6 gebildete, letzte Wort 46. Anstatt der Notiz in A Mr. 15, 23, dass Jesus den angebotenen Betäubungstrank abgewiesen, hat Lucas, der um abzukürzen die Spottenden und Tränken den combinirt, ' 36 ein grausames Spiel, das die Soldaten mit dem Dür stenden treiben. Nachdem Lucas das Zeugenverhör ausgelassen, übergeht er hier consequent auch die darauf anspielenden Worte Mr. 15, 29 = Mt. 27, 40. Ebenfalls eigenthümlich ist, dass sonst blos die Obersten spotten (iiisfivxxrjqitpv nach LXX Ps. 22, 8), das Volk aber stumm zu sieht (35) und zuletzt unter Zeichen des Entsetzens sich entfernt (48), sowie dass navxsg ol yvwaxol avxcp in der Nähe des Kreuzes gestanden hätten (49). Grundlage der ganzen Stelle ist also die, freilich mannig fach umgestellte, Quelle A , die übrigens gleich am Anfang bei der Er wähnung der beiden hinausgeführten Missethäter verändert ist. Na mentlich ist der Titel über dem Kreuz zuerst ausgelassen, dann aber 38 nachgetragen worden, um zu erklären, wie die Soldaten dazu kamen, Jesum als Judenkönig zu verspotten. 2 Ausgelassen ist auch, da so manche Worte am Kreuz neu beigebracht sind, das EH Eli in A. 130) 23, 50 — 56. A, 82. Begräbniss. Nach A, mit den ge ringen Erweiterungen über Joseph 51 (weil er nach A Mr. 1 5, 43 ßov- Xsvxrjg war, setzt Lucas hinzu : aber keiner von den Mördern), über das Grab 53, sowie mit der, von A abweichenden, Bemerkung 56, wornach die Weiber schon Freitag Abends die äqwftaxa bereitet hätten (gegen A 1) Wilke, 8.411. — 2) Bleek: Synopsis, II, S. 470. Anders und falsch Wilke, S. 411. Holtzmann. 1 6 242 Drittes Capitel. Mr. 16, 1). Das Vorwälzen des Steins lässt Lucas aus, obwohl er es 24, 2 als geschehen voraussetzt. 1 131) 24, 1—8. A, 83. Frauen am Grabe. Der Eingang (1. 2) ist abgekürzt. An die Stelle des Fortgangs aber ist eine andere, spätere Tradition getreten , nach welcher zwei Engel erscheinen, die auch an ders sprechen, als der eine in A, wiewohl man in 6 ovx saxiv wös, aXX rjyiqdrj die Worte von A Mr. 16, 6 hindurchschimmern sieht. Charak teristisch ist, dass die Einladung nach Galiläa ganz wegfällt. Vielmehr macht Lucas aus den betreffenden Worten von A : » ihr sollt ihn, wie er gesagt hat, in Galiläa sehen « die andern : ptvrjadrjxs cbg iXäXrjasv vfilv sxi wv iv xfj TaXiXaia 6. 132) 24, 9-12. A, 83. Die Frauen und die Jünger. Un gefähr sich anlehnend an A Mr. 16, 1 nennt Lucas nun nachträgHch noch die Frauen, fügt die nur ihm (8, 3) bekannte Johanna hinzu, be richtet die Rückkehr dnö xov fivrjftsiov (A Mr. 1 6, 8), lässt aber die Weiber gleich reden, die Apostel jedoch nicht glauben. Also eigen thümliche Tradition. 133) 24, 13 — 35. Gang nach Emmaus. Eigenthümliche Tra dition, von Lucas schriftstellerisch verarbeitet nach Art der Vorge schichten. 2 134) 24, 36 — 49. Erscheinung Jesu inmitten der Jün ger. Erstes und letztes Factum der Art. Eigene Tradition, widerspre chend (vgl. 47. 49) gegen A Mt. 28, 7. 10. 16, dafür aber hinweisend auf Act. 1, 4. 8. Auch wird 49 zum voraus auf das Factum des Pfingst- festes verwiesen. 135) 24, 50—53. Himmelfahrt. Noch am selben Tag ge schehen, wie die Auferstehung. Offenbare schriftstellerische Gestaltung, da nach 50 Jesus sich hätte müssen auf der Strasse zeigen. Vgl. übrigens 52 mit Act. 1, 12, ferner 53 mit Act. 1, 14. 2, 44. 1) Bleek: Synopsis, II, S. 480. — 2) Wilke, S. 649. Der Prolog des Lucas. 243 Viertes Capitel. Proben. §. 14. Der Prolog des Lucas. Indem wir von den Evangelien in ihrer vorliegenden Gestalt un sern Ausgang nahmen und blos auf dem Wege innerer Untersuchung auf die Ausscheidung der beiden Quellen geführt wurden, sind wir einen , dem herkömmlichen entgegengesetzten , Weg gewandelt. Her kömmlich nämlich ist es , von gewissen äussern Anhaltspunkten auszu gehen, unter welchen die Tradition und das Selbstzeugniss der Evange lien von sich und ihrem Verwandtschaftsverhältnisse die erste Stelle ein nehmen. Als ein solches gilt nämlich der Prolog des Lucas, den wir nun als erstes Glied in einer ganzen Reihe von solchen Erscheinungen auf treten lassen, durch welche fast ausschliesslich andere Kritiker sich auf die erste Spur leiten lassen wollten, während dieselben im Verlauf u n - s e r e r Untersuchungen nur als eben so viele Proben für die Richtigkeit des schon gewonnenen Resultates auftreten werden. Lc. 1, 1 — 4 : Da doch einmal Viele es unternahmen , eine Erzäh lung abzufassen über die unter uns voll geglaubten (verwirklichten?) Thatsachen, so wie es uns übergaben Die, welche von Anfang an Augen zeugen und Diener gewesen des Worts : so entschloss auch ich mich, nachdem ich von vorne an Allem genau beihergegangen, es für dich der Reihe nach aufzuschreiben, würdigster Theophilus, damit du, in Betreff der Lehrstücke, in welchen du unterrichtet wurdest, anerkenn test die Unumstösslichkeit. 1) Dieser merkwürdige Eingang1 unterscheidet zuvörderst die, vom öffentlichen Auftreten des Herrn anhebende (an äqxfjg) , durch Augenzeugen und Diener des Worts beglaubigte, evangelische Ge schichte im engeren Sinn von der verlängerten Geschichtslinie, die da durch entstand, dass der schriftstellerische Eifer des Lucas, über die herkömmliche äqxfj (vgl. Mr. 1,1) hinausgehend, den Gang der Ereig nisse ab ovo erforscht und bis auf die Geburtsverhältnisse des Täufers zurückgegangen ist. Denn avwdsv ist jedenfalls umfassender gedacht, als das, aus A Mr. 1, 1 zu erklärende, an äqxfjg. Auch auf rein exege tischem Wege werden wir daher die, aus sachlichen Gründen ohnehin 1) Vgl. Köstlin (Evangelien, S. 56. 132), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 226 ff.), Bleek (Synopsis, I, S. 26 ff.) 16* 244 Viertes Capitel. feststehende, Differenz zwischen der Vorgeschichte und der Hauptmasse in Bezug auf historische Zuverlässigkeit des Berichtes anzuerkennen haben. 2) Die Worte xadwg naqiöoaav fj/ilv Hessen bisher immer auf eine Duplicität der Hauptquellen schliessen , von denen die naqdöoaig der Augenzeugen als die primitive, die öifjyrjaig der noXXoi als die secun däre geltend gemacht wird. » Nach dem Proömium scheint mithin der Verfasser sowohl schriftliche, als mündliche Quellen benutzt zu haben, er ist ein Geschichtschreiber, der Literatur und Tradition zu vereinigen und auf diesem Wege ein nach allen Seiten vollkommenes, ebenso voll ständiges, als getreues Bild der evangelischen Geschichte zu geben be absichtigt. cc1 Sicher ist auf jeden Fall, dass die noXXoi so gut, wie Lucas selbst, Schriftsteller waren ; denn der Versuch, das ävaxäg~aodai öirjyrjoiv von einer , auf die mündliche Tradition gerichteten , ordnenden Thätigkeit zu fassen,2 scheitert schon daran, dass nicht yqäxpai, sondern xads^fjg ygäxpai den Gegensatz zu insysiqrjoav bildet, wie denn Lucas sich offenbar mit xdfioi als ein schreibendes Subject anderen schreibenden Subjecten gleichstellen will. Dass aber wenigstens die avxönxaiundvnrj- qsxai xov Xoyov nothwendiger Weise keine Schriftsteller, und ihr na- qaöovvai nothwendig und ausschliesslich ein mündliches gewesen sein musste , das ist damit auch nicht gesagt. 3 Denn weit entfernt , schrift liche Quellen von mündlichen zu unterscheiden, unterscheidet der Pro log des Lucas nicht einmal Quellen von Quellen, sondern er setzt einen ganz anders gestalteten Gegensatz, welcher stattfindet zwischen der Thätigkeit der überliefernden und derjenigen der zusammenstellenden Subjecte; jene sind im Grunde allein mit QueUen zu vergleichen, diese mit Künstlern, welche die Quellen leiten und fassen. 4 Es unterscheiden sich somit die Subjecte von naqsöoaav und die noXXoi nicht von einander nach den Kategorien des Mündlichen und Schriftlichen, sondern nach de nen der primären und der secundären Autorität. Die secundäre Autorität. wird repräsentirt durch die, nach Quellen arbeitenden, Schriftsteller, denen auch Lucas sich anschliesst; daraus folgt aber nicht, dass die Subjecte von naqiöoaav keine Schriftsteller, sondern nur eben Dies, dass sie keine nach Quellen arbeitende waren. Also z. B. die Quelle A war für Lucas eine, auf unmittelbarer apostolischer naqdöoaig be ruhende, erstmalige ävdxag~ig der, die evangelische Geschichte consti- tuirenden, nqäyfiaxa ; sie gehört insofern nach ihrer Unterlage in die 1) Köstlin, S. 134. — 2) Paulus: Conservatorium, I, S. 168 f. — 3) Gfrö rer: Urchristenthum, II, 1, S. 60. 64 f. — 4) Lekebusch: Apostelgeschichte, S. 31 f. Der Prolog des Lucas. 245 Kategorie der naqdöoaig , nur nach ihrer Form war sie das erste Glied der öirjyfjaetg. Schwerlich kann diese Quelle selbst von einem Apostel herrühren, weil sonst der gesetzte Unterschied zwischen den Subjecten der Ueberlieferung und denen der Aufzeichnung verwischt worden wäre;1 nur wenn aixönxai nicht nothwendig dasselbe Subject mit vnrjqsxai xov Xoyov bezeichnen sollte, könnte A wenigstens auf einen vnrjgsxrjg, A dagegen auf den aixönxrjg zurückgeführt werden. Auf jeden Fall musste die letztere Quelle, wenn von einem Apostel herrüh rend, um so mehr unter die Rubrik der nagdöooig fallen, als sie jeden falls nicht gebracht werden kann unter die zweite Kategorie, unter die der öirjyfjastg xwv nqayftdxwv. 2 Dass nun aber überhaupt noXXoi nam haft gemacht werden, welche auf Grund der naqdöoaig eine äväxa^ig versucht haben, beweist, dass Lucas auch andere Schriften gekannt hat, die auf denselben Quellen, die ihm zu Gebote standen, beruhten.3 Mit diesen Schriften der noXXoi setzt er aber, wie aus dem rjfilv und xäftoi hervorgeht, sich selbst in gleiche Linie, da auch er die ersten Quellen, so gut wie die noXXoi, in ursprünglicher Gestalt vor sich hatte, 4 und nichts steht der Annahme im Wege, dass Lucas unter dem allgemeinern Ausdruck naqdöoaig, wie die schriftlichen Denkmäler der Apostel, so auch die, von den Aposteln ausgegangene, mündliche Tradition ver steht, von der er daher auch sich ebenso, wie seinen Concürrenten, unmittelbare Kenntniss zuschreibt. Nur diese — sei es schrift liche , sei es mündliche — Tradition ist also für ihn Quelle. s 3) Da der Ausdruck inexsiqrjaav blos aus dem Bewusstsein um die Schwierigkeit der Sache geflossen ist , kann derselbe an sich nicht ge rade einen Tadel6 einschliessen , dient vielmehr blos einer objectiven Darstellung des thatsächlich Bestehenden. Wenn aber, wie ausdrück lich zugestanden wird, die schon vorhandenen Darstellungen sich an die UeberHeferungen der Augenzeugen hielten, so konnte ihnen äacpä- Xsia überhaupt nicht abgesprochen werden, 7 und man hätte daher an werthlose apokryphische oder häretische Machwerke gar nicht denken sollen. 8 Eher könnte man versucht sein, sich die vorgefundenen Schrif ten als einzelne , kleinere Aufsätze vorzustellen.9 Aber nicht »Diege- 1) Wilke (S. 112), Zeller (Apostelgeschichte, S. 466). — 2) Köstlin, S. 56. — 3) Gfrörer: Urchristenthum, H, 1, S. 52 ff. — 4) Gfrörer: A. a. O. S. 59. — 5) Gfrörer: Urchristenthum, II, 1, S. 60. 64 f. — 6) So nach patristischem Vor gang Kühnöl, Köstlin, Ebrard, Lekebusch: Apostelgeschichte, S.31. — 7) Wilke, S. 116 ff. — 8) Aberle (Theol. Quartalschrift 1855, S. 173 f) denkt sogar an feindselige, nicht christliche Bücher. Aber selbst das Hebräerevangelium und Petrusevangelium (Köstlin, S. 136) gehören nicht hierher, weil sie, wie die apokry phische Literatur überhaupt, damals gar nicht vorhanden waren. — 9) So Ebrard: Kritik, Ausg. 2. S. 806. 246 Viertes Capitel. sen« haben, dem Wortlaut zufolge, die Vorgänger des Lucas entworfen, sondern eine öirjyrjaig gaben sie, auf welchen Singular zwar Niemand mehr ein Gewicht legen wird, wie Paulus that,1 als ob nur eine und dieselbe Erzählung durch die Mühwaltung Vieler zusammengetragen worden sei, wohl aber geht daraus hervor, dass die Schriften der frühe ren Darsteller, wenigstens ihrer Mehrzahl nach , das Ganze der nsnXrj- qocpoqrjftsva nqäyfiaxa umfassten, mithin Evangelien waren, wie das des Lucas selbst, 2 der darum sein eigenes Unternehmen auch ganz in die selbe Kategorie setzt (söog~s xäftoi) mit den Vorgängern. 3 Es haben dem Lucas also Evangelien vorgelegen , deren äacpäXeia an sich nicht bean standet, wohl aber, wo es auf Entwerfung eines Totalbildes für auswär tige Heidenchristen ankam, in Bezug auf Vollständigkeit (näoi), Ge nauigkeit (dxqißwg), Ordnung (xads^fjg) gesteigert und vervollständigt werden konnte. Lucas erachtete somit allerdings »für seinen beson deren Zweck keine jener Vorarbeiten für ausreichend. «* Von vorn herein ist daher wahrscheinlich, dass er Arbeiten, mit denen seine eigene concurriren sollte, auch gar nicht als Quellen ansah, d. h. gar nicht bei Abfassung eines Buches benutzte, für welches ihm ja die ersten und eigentlichen Quellen selbst zu Gebote standen , so gut wie jenen. 4) Hug5 hat daher die beiden ersten Synoptiker als in erster Linie unter den noXXoi begriffen betrachtet; und Köstlin modificirt Dies dahin, dass er sich unter dem zweiten derselben »den älteren Mar cus « denkt. 6 Dass nun Dieser, d. h. A. in der That die allgemeinste Grundlage unseres Lucas bildet, ist ein unbestreitbares Resultat unserer ganzen Untersuchung. Aber eben desshalb gehörte A als Urmarcus für Lucas auch in die Reihe seiner eigentlichen Quellen, und nur in der Form unseres zweiten Evangeliums in die Reihe der noXXoi. Im Gegen satz zu Marcus, den Lucas besonders was Redestoff betrifft so unge mein überbietet, ist daher die vermehrte äocpdXsia des dritten Evange liums in quantitativer Beziehung aufzufassen. Marcus war ihm nicht reich und vollständig genug ; er hatte nur eine einzige Quelle benutzt. Die qualitative Seite des Gegensatzes aber könnte allerdings unseren Matthäus betreffen, wie Köstlin nachgewiesen hat. "' Wenn Matthäus so viele Facta, z. B. die Wunderthaten nur kurz und summarisch er zählt, so viele Reden und Aussprüche Jesu der Sachordnung zu lieb wider die geschichtliche Reihenfolge und darum auch ohne richtige An gabe der Situationen und Motive an einander reiht, wenn er bei Haupt- 1) Conservatorium, I, S. 169. — 2) Kö s tlin, S. 136. — 3) Bleek: Einlei tung, II, S. 264. — 4) Meyer: Commentar zu Marcus und Lucas, S. 217. 227. — 5) Einleitung, II, S. 105 ff. 132. — 6) S. 139. — 7) S. 136 ff. Der Prolog des Lucas. 247 punkten der evangelischen Geschichte chronologische Bestimmungen vermissen lässt, wenn er nichts weniger, als genetisch erzählt , z. B. den Täufer ganz abrupt in die Geschichte einführt und die Erwählung der Apostel schon in der Bergrede als geschehen voraussetzt : so bildet Lucas in allen diesen Beziehungen allerdings den entschiedensten Ge gensatz, indem er schon in der Vorgeschichte möglichste Reichhaltig keit erstrebt, sehr specielle chronologische (2, 1. 2. 3, 1. 2) und geo graphische (4, 31. 8, 26. 9, 10) Notizen gibt, die Keiner der Andern hat, indem er ferner in genetisch continuirlicher Reihenfolge erzählt, neu auftretende Personen , wie den Täufer, genau beleuchtet, die Aus wahl der Jünger der, an sie gerichteten, Eröffnungsrede vorangehen lässt, an die Stelle summarischer Berichte möglichst viel detaiUirte Dar stellungen treten lässt, die Reden, die Matthäus um des Inhalts willen zusammenstellt, nach der Differenz der Zeit, des Ortes, der Gelegen heit auseinanderrückt und auch in grösseren didaktischen Abschnitten durch ein sXsysv öi, elnev ös — besonders in der grossen Einschaltung — Einschnitte anbringt, indem er überhaupt von jeder Classe von Handlungen und Reden Jesu so viele einzelne Beispiele erzählt, als nur immer nöthig sind, um von den verschiedenen Seiten seiner Wirksam keit eine vollständige und charakteristische Anschauung zu ermögli chen. Eine solche, bei Lucas aus dem Interesse für das Einzelne, der äxqißeia, entsprungene Isolirung der Handlungen und fragmentari sche Zerstückelung der Reden, wäre, wie durch die Natur der Quellen hervorgerufen, so auch im Gegensatz zu einem Evangelium, welches das Einzelne nicht markirt hervorhob , sondern zu grösseren Gruppen zusammen- und dem Ganzen unterordnete, ins Werk gesetzt worden. 5) Indem wir , was die dogmatische Tendenz des Prologs betrifft, auf §.25 verweisen, machen wir nur noch darauf aufmerksam, wie unser letztes Resultat , wornach Lucas von der Existenz der beiden an dern Synoptiker gewusst hat, durchaus keinen Widerspruch enthält ge gen das Resultat von §. 11, wornach Lucas zwar die Quellen A und A, nicht aber die darauf gepfropften beiden ersten Evangelien bei Abfas sung seines Buches benutzt hat. Nicht dass Lc. die noXXoi ausgeschrie ben , sagt der Prolog , sondern dass er, durch ihren Vorgang aufgefor dert, dieselben Studien gemacht, wie sie , dieselben Quellen verarbeitet habe, wie sie. Zwar meint Gfrörer, wenn Lucas es auch nicht aus drücklich sage, so verstehe es sich doch von selbst, dass er die Versuche der Vielen benutzt habe. » Denn der Geschichtsschreiber ist ein Thor, welcher Arbeiten von Vorgängern unberücksichtigt lässt. c1 So urtheilt der Genannte freilich im Sinne und nach der Praxis des XIX. Jahr- 1) Urchristenthum, II, 1, S. 60. 248 Viertes Capitel. hunderts und seiner » Bücherfabriken « (vgl. das oben S. 46 angeführte Urtheil Schleiermachers); unser dritter Evangelist aber wusste nicht blos, dass er, wenn im Besitz der Quellen A und yl, so auch im Besitz der geschichtlichen Substanz von Matthäus und Marcus war, son dern es folgt auch, wenn man sich in jene Verhältnisse nur ein wenig hineinzudenken vermag, daraus, dass Lucas in Rom unsern Marcus und vielleicht in Palästina unsern Matthäus gesehen haben mag, noch gar nicht , dass er auch im Stande gewesen , diese Bücher sich zu kaufen oder abzuschreiben. Genug, dass er wenigstens der Quellen mächtig geworden war. Wer aber in diesem Falle doch wenigstens einen ge- dächtnissmässigen Einfluss des Matthäus auf Lucas in der Art des frühern De Wette1 glaubt annehmen zu müssen, der mag sich die Ueberein stimmung zwischen Beiden gegen Marcus in der Darstellung des Aeh- renausraufens, in der Verbindung der Geschichte von der Belzebuls- klage mit dem Zeichen des Jonas, die Vergrösserung des Wunders mit dem Kinde des Jairus und etwa auch die ausführlichere Vorerzählung vom Täufer Johannes auf diesem Wege erklären ; da aber diese Erschei nungen, wie gezeigt, auch anderswie ihre volle Begründung finden können , so ist die in Rede stehende Annahme überflüssig, mithin wis senschaftlich zu verwerfen. §. 15. Das Zeugniss des Papias. Eine glänzende Probe für die Richtigkeit unserer Untersuchungen in §. 10 liefert das sogenannte Zeugniss des Papias, insofern es das Vor handensein der Spruchsammlung, auf welche uns bereits der exege tische Augenschein geführt hat, nun auch historisch nachweisbar wer den lässt.2 Also weil einerseits die kirchliche Ueberlieferung, sowohl was den Matthäus, als den Marcus betrifft, auf dieses allerälteste Zeug niss zurückgeht, ferner weil man andererseits über die Quellen unseres ersten Evangeliums und über sein Verhältniss zum zweiten öfters in jenem Berichte des Papias ein entscheidendes Datum hat finden wol len , müssen wir uns an dieser Stelle unserer Untersuchung über das selbe aussprechen. 3 Papias,4 der Sage nach erst unter M. Aurel gestorben, war in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts Bischof von Hierapolis, nach Irenäus5 ein Schüler des Johannes. Unter diesem versteht zwar Irenäus offenbar den Apostel, E u s e b i u s aber ist der Meinung, Pa- 1) Einleitung, II, 1826, S. 15s. — 2) Tobler, S. 8 f. — 3) Die Stelle über Pa- pia» ist Euseb ius: Kirchengeschichte 3, 39. — 4) Vgl. Steitz in Herz og's En cyklopädie, XI, S. 78 ff. — 5) 5, 33. Das Zeugniss des Papias. 249 pias versichere selbst, den Apostel weder gesehen, noch gehört, sondern seine Berichte erhalten zu haben naqä xwv ixeivoig yvwqifiwv. Es scheint allerdings, dass der Presbyter Johannes oder sonst ein Presbyter des apostolischen Zeitalters1 zu seinen unmittelbaren Gewährsmännern gehörte, 2 wiewohl der Verkehr des Papias mit apostolischen Männern überhaupt nur in seiner frühesten Jugend statt gehabt haben kann, wesshalb er in seinem Werke eine Zusammenstellung dessen verspricht, was er noxi naqd xwv nqsaßvxiqwv xaXwg gelernt und behalten habe. 3 Er beschäftigte sich nämlich viel mit Nachrichten über das Leben, die Thaten und Reden Jesu; und wenn er, sie kennen zu lernen, mehr Werth auf mündliche, als auf schriftliche Ueberlieferung legte, 4 so ge schah Dies, weil diese ihm auf manche Fragen keine Antwort zu geben, überhaupt auf die Zeitbedürfnisse minder einzugehen schien, als jene. Nur aus diesen Gründen , nicht etwa weil er den ihm bekannten Wer ken keine durchgängige Glaubwürdigkeit zugeschrieben hätte, stellte er in seinen bekannten, bis auf wenige Reste verloren gegangenen, fünf Büchern, betitelt Xoyiwv xvqiaxwv i^fjyrjatg, die ihm bekannt geworde nen Aussprüche des Herrn zusammen , indem er sie zugleich mit Deu tungen und Erklärungen versah. Obwohl er aber die mündliche Tradi tion vorzieht, macht er doch in dem, von Euseb mitgetheilten, Frag mente zwei schriftliche Quellen namhaft, die Euseb wenigstens so ein führt, dass wir glauben, über Matthäus des Papias eigene Ansicht (nsqi öi xov Maxdaiov xavxa s'iqrjTai), über Marcus hingegen eine, ihm durch den besagten Presbyter zugekommene, Nachricht zu verneh men.8 An sich freilich ist es wahrscheinlich, dass Papias das Eine, wie das Andere von demselben Presbyter gehört hat, den wir überhaupt als seinen Gewährsmann in diesen Dingen betrachten können ; 6 wenn auch andererseits ebenso wahrscheinlich ist, dass nicht Alles, was Pa pias von Marcus sagt, auf den Presbyter zurückzuführen ist, da das Ganze, von ov fiivTOt xä^si, oder wenigstens von ovxe yaq rjxovae an, den Eindruck einer gelehrten Reflexion macht, und Papias selbst mit wg s'qprjv sich auf eine frühere Stelle seines Buches zu beziehen scheint.7 Uebrigens weiss er vom Apostel Matthäus zu berichten, derselbe habe Aussprüche des Herrn in hebräischer Sprache zusammengestellt, die dann Jeder nach Vermögen deutete, 8 von Marcus , er habe als 1) Hilgenfeld: Marcusevangelium, S. 109 f. — 2) Delitzsch: Entstehung, S. 8. - 3) Bleek: Einleitung, II, S. 92. - 4) Baur: Evangelien, S. 537 f. Mar cusevangelium, S.131 f. — 5) Meyer: Zu Matthäus, S. 4. — 6) Sieffert, De litzsch: Zeitschrift für luther. Theologie, 1850, S. 459. — 7) Tholuck (Glaub würdigkeit, Ausg. 1. S. 243), Bleek (Einleitung, S. 115). — 8) Ta Xöyia avvt- To"4aT0, oder, wie z. B. Schwegler liest, awty(>d\paTo. In anderer Beziehung ist das Zeugniss des Papias über Matthäus erörtert §.18. 250 Viertes Capitel. Dollmetscher des Petrus sorgfältig aufgezeichnet, was ihm im Gedächt niss geblieben war, jedoch nicht in der Ordnung, wie es vom Herrn ge redet oder gethan war ; denn Petrus habe seinen Unterricht nach dem Bedürfnisse eingerichtet und keine Ordnung beabsichtigt, wesshalb auch Marcus, indem er seinen Reminiscenzen folgte, nicht eigentlich einen Fehler begangen habe ; nur darauf sei seine Vorsorge gerichtet gewesen, nichts zu übergehen und nichts zu alteriren. x Dieses Zeugniss des Papias ist nun freilich ein viel umstrittenes Da tum, seitdem Schleierm acher2 den eigenthümlichen Ausdruck, wo mit Papias das Werk des Matthäus bezeichnete, in einer Weise urgirt hat, in Folge deren der Inhalt dieses Werkes sich auf Redeaussprüche des Herrn (effata Domini = Xöyia xvgiaxä) beschränkt haben würde. Eine Anzahl solcher Worte würde dann Matthäus zusammengeordnet und gestellt haben (ovvsxdc~axo). Der Unterschied dieser Schrift von dem Werke des Papias würde dann hauptsächlich darin bestanden haben, dass der Letztere von der ovvxag~ig eine i^rjyrjOig geliefert, d. h. wohl unter Anderem auch über die disponirte Sammlung des Mat thäus einen Commentar geschrieben hätte, in welchem die einzelnen Xöyia erläutert, mit einem geschichtlichen Hintergrund versehen wor den wären u. s. f. Trotz des grossen Beifalls, welchen diese Ansicht fand, 3 trat doch unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung Widerspruch dagegen ein : der Gesammtinhalt der evangelischen Geschichte sei a po- tiori mit dein Ausdrucke Xöyia bezeichnet; Papias nenne unseren Matthäus so , weil darin die Reden, worauf er das Hauptgewicht legte, hervortraten. 4 1) ßlöoxog fiiv kQjxrjVivTrjg IJirQov ytvöfievog oda ifivrj/jövevatv ctxQißcüg aygaipev ov fiiVTOi Tciijei tcc vnb rov Xoiotov r\ Xi/JUvra rj nga/DivTa- oi/ts yäo tjxov0€ rov xvqiov o#r£ naQ7jXoXovd-r]0-iV avTia ygciipag cog äne/j.vrjtu6vtvosv ivog yaq inoitfcfctTO ngovoiav tov ixrj3tv cöv r\xovGi naoaXintiv r\ ifjevaao&aC ti iv ai- TOig. TctVTa fiiv ovv iGiöquyiai Tip Tlantcc Ttigl tov Mdgxuv. — 2) Studien und Kriti ken, 1832, S. 735 ff. Einleitung, S. 240 ff. — 3) Schneckenburger (Ursprung u. s. f. S. 100), Lachmann (Studien und Kritiken, 1835, S. 577 ff.), Credner (Einleitung, S. 91. 203. 752), Weisse (Evangelische Geschichte, I, 29f., Evangelien frage, S. 78), Wiese ler (Chronol. Synopse, S. 304 f.), Baumgar ten- Crus ius (Commentar über Matthäus, 1844, S. 26 f.), Ewald (Jahrbücher, II, S. 201 f.), Köst lin (Evangelien, S. 46 ff.), Reuss (Geschichte u. s. f. 1860, S. 171), Meyer (Com mentar zum Matthäus, S. 11), Weiss (S. SS ff.). — 1) Lücke (Studien und Kriti ken, 1833, S. 499-503), Kern (Tübinger Zeitschrift für Theologie, 1834, 2, S. 8 ff.), Fromann (Studien und Kritiken, 1840, S. 912 ff.), De Wette (Einleitung, II, S. 197), Harless (Lucubrationes, S.4 ff.), Ebrard (Kritik der evangel. Geschichte, 1850, S. 767 f.), Baur (Evangelien, S. 580 ff.), Kuhn (Lehen Jesu, I, S. 18), Delitzsch (Neue Untersuchungen, S. 10), Guericke (Einleitung, 1S54, S. 111), Thiersch Das Zeugniss des Papias. 251 Wir hören die geltend gemachten Gründe ab : 1) Aöyiov steht nach allgemeinem, griechischem, wie hellenistischem Sprachgebrauch nicht für Ausspruch überhaupt, sondern in Bezug auf göttliche Aussprüche; wie auch die Kirchenväter darunter den ganzen, auch den.historischen, Inhalt der h. Schrift verstehen. Aber zu Zeiten des Papias gab es ja noch keine neutestamentliehe heilige Schrift. Wenn Papias die Vorstellung der Inspiration bereits auf die namhaft gemachten Schriftstücke übertragen hätte, so würde er sie zu allerletzt für unzulänglich gehalten haben. x Eher könnte er den Inhalt des Evangeliums als Xöyia xvqiaxä bezeichnen wollen (vgl. Hebr. 5, 12 : xd Xöyia xov dsov). Darum verstanden Andere unter den Xoyia münd liche Ueberlieferungen von Jesus. Aber wie konnte der Apostel Mat thäus als Autopte sich ein Geschäft daraus machen, den Inhalt der münd lichen Tradition zu sammeln und zusammenzustellen ? Vielmehr ist es das Wort, womit sich zunächst der Begriff der Autorität verbindet (effatum, oraculum); die Reden, Befehle, Sentenzen, Lehren, Weissagungen Jesu machten den ersten Inhalt der apostolischen Ueberlieferung aus ; Erzählungen konnten erst dann Xöyia heissen , als sie, weil in kanoni scher Schrift stehend, selbst wieder als effata Spiritus sancti erschie nen, d. h. erst lange nach Papias. 2) Hilgenfeld erklärt das Zeugniss über Matthäus aus dem über Marcus. Dieser soll aufgeschrieben haben oi ftivxoi xä^si xd vno xov Xgioxov rj Xeydivxa rj ngaxdivxa ; aber Papias, dem es vor Allem auf die Reden Christi ankommt, sehe doch sogleich über die ngaxdivxa hinweg, indem er fortfährt äXX' oix dioneq ovvxa^iv xwv xvqiaxwv noi- ovftsvog Xoyiwv (oder vielmehr Xöywv), der Gegensatz bestehe also nicht zwischen den Xöyia des ersten und den Reden und Thaten des zweiten Evangelisten, sondern blos in dem Mangel an Anordnung, den Papias bei dem Letzteren habe finden wollen. Dass, dem Marcus gegenüber, Matthäus als eine avvxa%ig xwv Xoyiwv bezeichnet wird, komme einfach daher, dass die Reden seinen wesentlichen Inhalt bilden. Aber ebenso gut könnte auch der Contrast im Zeugnisse des Papias ein doppelter sein, so dass im Gegensatze zu blosen Redestücken ein vollständiges Evangelium, wie unser Marcus, als xd vnö xov Xqiaxov rj Xe%divxa rj nqaxdivxa enthaltend bezeichnet wäre. 3) Auch Papias habe die Xöyia beschrieben; in seinem Werke standen aber nach Oekumenius und Theophylakt auch manche (Standpunkt der Kritik, S. 186 ff), Bleek (Einleitung, II, S. 93 f.), Hilgenfeld (Evangelien, S. 110 ff. 1 19 ff. Theologische Jahrbücher, 1857, S. 397 f. Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1859, S. 262 ff. 1861, S. 195 f. 1862, S. 9). — 1) Credner, Beitrage, I, S. 24. 252 Viertes Capitel. Erzählungen, z. B. über Judas Ischarioth's Ende. Dafür war das Werk des Papias auch keine ovvxagig, sondern eine s^fjyrjaig Xoyiwv xvqiaxwv. Erklären aber kann man — und zwar eben durch hinzu gefügte Geschichte — eher Worte, als Wunder. Ist Dem aber so, so spricht, wie schon Anabaptisten zur Reforma tionszeit einsahen, 1 das Zeugniss des Papias von einer Schrift, die wir nicht mehr haben. Ob und wie diese Schrift im Verhältniss steht zu unserem Matthäus, muss erst anderswie untersucht werden. Da wir aber, von ganz anderen Gesichtspunkten ausgehend, in §. 10 bereits eine Re desammlung unter den Quellen unserer Synoptiker gefunden haben, so wird nichts im Wege stehen, beide zusammentreffende Resultate zu identificiren und das, von Papias erwähnte, Apostel werk zu unserm Matthäus genau in dasselbe Verhältniss zu setzen, wie die Quelle A. Dass ein Apostel, wie Matthäus, das §. 10 beschriebene Werk ver fasst habe , ist nun in der That die allernatürlichste Annahme von der Welt. In welch einem Vortheil befinden wir uns doch gegen Köstlin, der in diese apostolische Redesammlung die ausgearbeiteten Compositio- nen des ersten Evangeliums ohne Weiteres hereinverlegt, daher sich genöthigt sieht, zuzugeben, dass ein Apostel sich wohl eine so freie Re daction der Reden des Meisters, eine Anordnung derselben nach Zah lenverhältnissen , grosse Versetzungen , Umstellungen und dergleichen erlauben konnte ! 2 Dies Alles fällt für uns hinweg, nachdem wir erwie sen haben, dass die Quelle A die Reden vielmehr in der allerprimitiv- sten Form wiedergibt, die sich denken lässt. Dazu kommt noch der merkwürdige Umstand, dass A sich mit keiner einzigen von denjenigen Reden berührt, die in A vor die Berufung des Matthäus und der Apo stel fallen, wie die Quelle überhaupt mehr immer aus der späteren Zeit, da Jesus schon öffentlicher als Messias auftrat , Denkwürdigkeiten dar bietet. Aber auch in Hinsicht auf Marcus ist die Brauchbarkeit des Pa- piaszeugnisses angefochten worden von Feilmoser, 3 Schleierma cher,4 Strauss,5 De Wette,6 Gfrörer,7 Baur,8 Schwegler,9 Köstlin.10 Denn nach Papias hätte Marcus blos gelegentliche, für das praktische Bedürfniss berechnete, Aeusserungen des Petrus aufge zeichnet, jedoch ohne Zusammenhang. Und zwar ist ein Mangel an Zeitordnung gemeint, wie daraus erhellt, dass diese Ordnungslosigkeit aus den angegebenen praktischen Zwecken der Lehrvorträge des Apo- 1) Sixtus Senensis: Bibl. VII, 2. S. 924.— 2) S. 56. — 3) Einleitung, 2. Ausg., S. 103 f. — 4) Studien und Kritiken, 1832, S. 75S ff. — 5) Leben Jesu, I, S. 66 f. — 6) Einleitung, II, S. 205 f. — 7) Urchristenthum, II, 1, S. 13 ff. — 8) Evangelien, S. 536 ff. — 9) Nachapostolisches Zeitalter, I, S. 457 — 461. — 10) S. 99 ff. 102 f. 359 f. Das Zeugniss des Papias. 253 stels abgeleitet wird. Nun hat aber gerade das zweite Evangelium unter allen Synoptikern allein einen tüchtigen inneren Zusammenhang. In diesem Falle hätte also Papias entweder unsere Evangelien gekannt, aber aus Unvorsichtigkeit eine, auf ganz andere Schriften sich be ziehende, Tradition darauf angewandt ; oder wahrscheinlicher : er hätte lauter für uns unerreichbare Schriften vor Augen gehabt; sein Zeugniss würde für unsere Synoptiker gar nicht in Betracht kommen ; die Kir chenväter hätten dasselbe vielmehr auf Schriften bezogen , die höch stens, wie unsere ersten Evangelien, in irgend einem Verhältnisse der Abhängigkeit von den Büchern des Papias stehen mochten. So erblickte schon Schleiermacher im zweiten Werke, dessen Papias erwähnt, ganz ebenso eine Quellenschrift unseres Marcus, wie er im ersten eine solche für unseren Matthäus aufgewiesen hatte. Er sah darin eine jener Gelegenheitsschriften , wie er sie in Masse den zusammenhängenden Evangelien vorangehen lassen wollte. Nach Baur soll das bei Papias genannte Werk nach Art der clementinischen Homilien zu denken sein ; dabei würde sehr auffallen, dass Papias so ganz heterogene Schrif ten zusammenstellte. Es rieth daher Köstlin auf ein zusammenhangs loses, vorzugsweise abgerissene Redestücke Jesu enthaltendes, Petrus evangelium; nach Ewald und Hilgenfeld hat der Marcus des Pa pias wenigstens einen weiteren Umfang gehabt, als unser Marcus. Im letzteren Falle nun wird man sich, da der längere Marcus, so gut, als der kürzere, durch Ordnung sich auszeichnete, ebenfalls vor Allem mit dem oi ftivxoi xdg~ei auseinanderzusetzen haben. Mit Recht haben diesen Ausdruck Weisse1 und Bleek2 aus dem subjectiven Maassstabe des Papias erklärt. Offenbar verglich Papias seinen Marcus mit einem anderen Evangelium von abweichender An ordnung , das er aber als chronologisch genauer zu betrachten gewohnt war. Dass im Marcus Ordnung und Zeitfolge maassgebend seien, hat sich ja erst in neuerer Zeit in Folge von sehr eindringenden Einzelfor schungen herausgestellt. Solche dürfen wir aber bei Papias nicht erwar ten. Ob er sich dann aber seine Begriffe von Ordnung in der evange lischen Geschichte nach Matthäus,3 oder vielmehr nach dem vierten Evangelium4 gebildet habe, oder ob er 'an sein eigenes systematisch an gelegtes Werk, an die ij-rjyfjoetg dachte,5 lässt sich schwer entscheiden. Wahrscheinlicher aber ist das Erste. Dann vermisste Papias im Marcus die bekannte principielle Anordnung und Realeintheilung des ersten 1) Evangelische Geschichte, I, S. 43 f. Jenaer Literaturzeitung 1843, S. 911. - 2) Beiträge, S. 65. Einleitung, II, S. 116. — 3) Ebrard (Wissenschaftliche Kritik, 1841, S. 1004), Hilgenfeld (Marcusevangelium, S. 112. Evangelien, S. 148), Weiss (S. 672 f.), Bleek (Einleitung, S. 1 16). ^- 4) E wald: Jahrbücher II, S. 206. — 5) Weisse: Evangelienfrage, S. 91. 254 Viertes Capitel. Evangelisten, dessen er aber, weil er ihn für keine unmittelbare Quelle hielt, nicht neben den Xöyia und dem Petrusberichte besondere Er wähnung thut. So macht ja auch, oberflächlich angesehen, Matthäus bis auf den heutigen Tag noch vielmehr den Eindruck des Ordnungs- mässigen. Dazu kommt, dass auch Lucas, der A vor sich hatte, ge glaubt hat, seine Vorgänger auch in Bezug auf die, von ihnen verab säumte, Zeitordnung corrigiren zu müssen ; wie kann man es dann noch irgend auffallend finden, wenn auch Papias oder der Presbyter Johannes kein Auge hatte für den Vorzug, der dem Marcus gerade in dieser Be ziehung eignet ? x Ist Dem aber so , so brauchen wir nicht dem Zeugnisse des Papias Gewalt anzuthun, wie Dies geschieht vonThiersch2 und von Meyer, der den Papias mit dem svia seinen Vorwurf blos auf einige Partien des Marcus beschränken lässt. Auch er bezieht daher das erste syqaipsv auf das Niederschreiben nach dem Hören der Vorträge des Petrus, das zweite yqdipag auf die Abfassung des Ganzen.3 Dagegen aber spricht sowohl die Uebereinstimmung der Ausdrücke (ovxwg yqdipag — axqi- /3wg syqaipsv und tig änsftvrjfiövsvosv — baa ifivrjfiövsvosv), welche be weisen, dass von demselben Factum die Rede ist, als auch der Anschluss des letzten Theils der Rede an den früheren mit woxs, also der Pragma tismus der Stelle. Gerade von Petrus wird gesagt, dass er eine Ordnung nicht beabsichtigte. Woher hätte sie bei Marcus kommen sollen, wenn doch die fragmentarischen Vorträge des Petrus seine einzige Quelle bil deten ? Die Charakteristik bezeichnet also unser zweites Evangelium in seiner Eigenthümlichkeit gegenüber den Xöyia ganz treffend. Nur so bestimmt und detaillirt lautet das Zeugniss des Papias nicht, dass jetzt schon daraus geschlossen werden könnte, ob dasselbe unsere jetzige Ge stalt des Marcus oder seine Quelle im Auge habe. Die Entscheidung hierüber wird §. 21 zu geben sein, wenn das Verhältniss zu Petrus er örtert ist. §. 16. Die Doubletten. Es gehört mit zu den feinsinnigsten Entdeckungen Weisse's, wenn er zuerst auf gewisse, von ihm als »Doubletten« bezeichnete, 1) Weisse: Evangelienfrage, S. 145. — 2) Er bezieht (Versuch, S. 178 ff.) den ersten Theil des Zeugnisses auf anfängliehe aphoristische Aufzeichnungen (uxi.ißcög eyga\pev, ov fiivToi Tß'fft), den zweiten Theil aber, von tvog yag i nolrjOaxo an, auf unser jetziges zweites Evangelium. Dabei wird das igfttjvevTrig IKtqov yevöftevog, zwar mit Fritzsche (Prolog., in Marcus, S. 26 ff.), aber gegen den Sinn des Papias, eben auf diese aphoristisch aufzeichnende Thätigkeit bezogen. Was aber igfirjvevr^g ist, hat Bleek gezeigt (Studien und Krit. 1836, S. 1064. Beiträge, S. 171 ff.). — 3) Zu Matthäus, S. 35 f. Zu Marcus und Lucas, S. 3 f. Die Doubletten. 255 Erscheinungen aufmerksam gemacht und daraus Schlüsse auf die Ent stehungsweise der Synoptiker gezogen hat. x Seither haben Hilgen feld und Volkmar dieselbe Erscheinung in ihren Interessen auszu beuten gesucht, jener, um seine Theorie von einer späteren Bearbeitung der Grundschrift, 2 dieser , um die doppelte Abhängigkeit des Matthäus von Marcus und Lucas zu beweisen.3 Allerdings ist es auffallend genug, dass wir solchen, mit einem Doppelgänger versehenen, Fragmenten nur im ersten und im dritten Evangelium begegnen , so dass wir von vorn herein auf die Annahme geführt werden, es möchten die Verfasser jener Evangelien in allen den Fällen, wo entweder sie Beide, oder wo Einer von ihnen einen Ausspruch des Herrn zu zwei verschiedenen malen in zwei verschiedenen Zusammenhängen berichten , solchen Ausspruch auch doppelt vorgefunden haben, das einemal in A, das anderemal in A oder in einer weitern , nur von einem einzigen der genannten Evangelisten benutzten, Quelle. Ehe wir jedoch auf die, von Weisse betonten, evangelischen Apophthegmen eingehen, die sowohl bei Mat thäus, als bei Lucas doppelt vorkommen, mag an diesem Orte des weite ren Umstandes Erwähnung gethan werden, dass, wenigstens in einem nachweisbaren Fall, Matthäus auch ein Erzählungsstück doppelt ge geben hat, veranlasst durch seine verschiedenartigen Quellen. Es wird nämlich das Motiv zur Apologie Jesu wider die Belzebulgenossenschaft, verschmolzen zugleich mit dem zur Rede vom Zeichen des Jonas Mt. 12, 22 — 24. 38 in einer Weise referirt, die jedenfalls durch A beeinflusst ist, während das erstere Motiv Mt. 9, 32—34 = Lc. 11, 14. 15, das andere Mt. 16, 1. 4 = Mr. 8, 11. 12 aus A wieder gebracht wird. Auch muss, wo von Verdoppelungen die Rede ist, hier noch der Fälle Erwäh nung geschehen , wo Matthäus die auftretenden Personen von A selbst verdoppelt, aber nicht etwa, weil ausser A auch die andere Quelle ihrer Erwähnung thäte, sondern weil er dadurch der Quelle A selbst, aus deren Zusammenhang er regelmässig zuvor eine ähnliche Geschichte ausgelassen hat, eine Art von Genugthuung leistet. Wilke's Scharfsinn ist diesem eigenthümlichen Verhältnisse auf die Spur gekommen, * und selbst Ebrard kann nicht umhin , dieses Motiv anzuerkennen bei der Verdoppelung der Gadarenischen Besessenen (Mt. 8, 28 — 34). 5 Mat thäus hatte nämlich die Heilung des ersten Dämonischen, dessen A Erwähnung thut (Mr. 1, 21 — 28), ausgelassen, bringt ihn daher jetzt nach in der Gesellschaft des zweiten. Man bemerkt die Combination noch an den Worten , die Matthäus den Besessenen in Gadara in den 1) Evangelische Geschichte, I, S. 82 f. Evangelienfrage, S. 146 ff. — 2) Theolo gische Jahrbücher, 1857, S. 405 ff. — 3) Religion Jesu, S. 379. — 4) Urevangelist, S. 683. — 5) Wissenschaftliche Kritik, 1841, S. 380. Vgl. auch Bleek : Synopsis, I, S. 367. 256 Drittes Capitel. Mund legt: r)Xdeg ßaoaviaai vgl. Mr. 1, 21. Dieselbe Bewandtniss hat es mit den zwei Blinden vor Jericho (Mt. 20, 29—34). Dieselben haben bekanntlich der apologetischen Exegese viel Noth gemacht. Storr trennte einfach den Blinden, den Jesus beim Einzug nach Jericho heilt (Lc. 18, 35), von den zweien, die er beim Auszug aus der Stadt sehend machte (Mt. 20, 29). ' Wie sei er wollte blos je einen vor beideThore Stationiren; dann hätte Mr. 10, 46 das Ereigniss beim Einzug, Lc. 18, 35 das beim Auszug berichtet, Mt. 20, 29 beide zusammengefasst2 und an das Ausgangsthor verlegt. Aber wie wenig ist doch bei allen diesen Versuchen dem apologetischen Interesse wirklich Genüge geleistet. Nach Storr hätte doch wenigstens Marcus, nach Wieseler Matthäus unge nau erzählt, von dem Unglaublichen gar nicht zu reden , dass in unmit telbarer Folge genau dieselbe Geschichte zwei-, resp. dreimal geschehen, von Jesus, den Blinden und den Jüngern dieselbigen Worte zwei-, resp. dreimal gesprochen worden wären. In der That aber hat Matthäus blos die Geschichte vom Blinden in Bethsaida aus A Mr. 8, 22 = 26 aus gelassen, verdoppelt daher den blinden Bartimäus, den Lucas aus Nach lässigkeit vor das Eingangsthor setzt. — Endlich mag hier auch noch Mt. 21, 2. 7 die Verdoppelung des Esels AMr. 11, 2 = Lc. 19, 30 wegen Sach. 9, 9 notirt werden. Hauptsächlich aber versteht man unter Doubletten solche, in dem selben Evangelium doppelt stehende, Sentenzen, welche für die Dupli- cität der Quellen, aus welchen das Evangelium zusammengearbeitet ist, unwiderstehliches Zeugniss ablegen. Die Regelmässigkeit dieser Be bachtungen spricht schon genugsam gegen die faule Ausflucht älterer und neuerer Harmonistik, wornach Jesus alle diese Aussprüche zum mindesten doppelt gethan haben musste. Nun ist an sich die Möglich- Hchkeit solcher Wiederholungen freilich zuzugeben. Schon Weisse führt zwei Fälle an, wo auch in A eine derartige Doublette sich be fand. 3 Der erste betrifft die Wiederholung des Gedankens Mr. 9, 1 = Mt. 16, 28 = Lc. 9, 27 in ganz anderem Zusammenhange Mr. 13, 30 = Mt. 24, 34 = Lc. 21 , 32. Je weniger die Form an beiden Stellen irgend welche gesuchte Uebereinstimmung beweist, desto unverfängli cher ist hier die Sache. Nicht anders verhält es sich mit dem, von Jesus bei zwei Gelegenheiten eingeschärften, Maassstabe für die Grösse des Reiches Gottes, vgl. Mr. 9, 35 = Lc. 9, 48 und Mr. 10, 43. 44 = Mt. 20, 26. 27 = Lc. 22, 26. In beiden Fällen war die Sentenz gleich angemessen. Wir können Dies auch auf einen dritten und vierten Fall anwenden, der bei unserer Vorausssetzung von der Lückenhaftigkeit 1) Evangelische Geschichte des Johannes, S. 345. — 2) Chronologische Synopse 332. - 3) Evangelienfrage, S. 152 ff. Die Doubletten. 257 des Marcus sich ergibt. Zuerst in Bezug auf das iv cp fiixqcp ftexgelxe fts- TqrjdrjosTui vfiiv, das jedenfalls in der Bergpredigt Lc. 6, 38 == Mt. 7, 2, aber auch Mr. 4, 24 steht, wiewohl an letzterer Stelle von Marcus vielleicht eingesetzt (vgl. S. 81); doch passt der, durch xal nqoaTedrjae- xai vfdv an der zweiten Stelle verlängerte, Spruch vortrefflich in den Zusammenhang, und wird somit eine gleiche Beurtheilung auch dieser Doublette zu Theil werden, wie den beiden andern. Ebenso verhält es sich aber auch mit den nur dem Sinne nach verwandten Aussprüchen in der Bergpredigt Lc. 6, 44. 45 = Mt. 12, 34. 35 und in der Erzählung Mr. 7, 21. 22 = Mt. 15, 19. 20. Dies sind nun aber die einzigen Doubletten in A. In den uns hier interessirenden Fällen dagegen findet sich der betreffende Spruch das eine mal immer in gleichem Zusammenhang und gleicher Form, wie im Mar cus , so auch bei Matthäus und Lucas , das anderemal aber kommt er blos bei Matthäus und Lucas vor , offenbar bei beiden wieder aus einer gemeinsamen, aber von A verschiedenen, Quelle geschöpft ; so dass die Duplicität der Redestücke also in einer Duplicität der Quellen ihren Grund hat. J Solche Beispiele sind 1) Mr. 4, 25 = Mt. 13, 12 = Lc. 8, 18 vgl. mit Mt. 25, 29 == Lc. 19, 26. Wer da hat, dem wird gegeben: zuerst aus A, dann aus A. 2) Mr. 8, 34. 35 = Mt. 16, 24. 25 = Lc. 9, 23. 24 vgl. mit Mt. 10, 38. 39 = Lc. 14, 27. 33. Nachfolge, Selbstverleug nung und wahrer Lebensgewinn.2 3) Mr. 8, 38 = Mt. 16, 27 = Lc. 9, 26 vgl. mit Mt. 10, 32. 33 = Lc. 12, 8. 9. Segen des Bekennt nisses. 3 Vgl. auch die Nachwirkung Mt. 25, 31. 4) Mr. 13, 9 — 13 = Mt. 24, 8— 14=Lc. 21, 12— 19 vgl. mit Mt. 10, 17—22 = Lei 2, 11. 12. Die Christen vor Gericht. Wo Lucas diese Stelle zum zweitenmal bringt, paraphrasirt er in einer Weise, wodurch die Wiederholung~fast unbemerkbar wird, während Matthäus , gleichfalls im Gefühle, schon Dagewesenes zu wiederholen, an der zweiten Stelle theils auslässt, theils nur sehr frei reproducirt. 4 Neben diesen gemeinschaftlichen finden sich nun noch andere Doubletten, die blos in dem einen der beiden erweiterten Evangelien vorkommen, während das andere die Wiederholung vermieden hat. So wird Johannes für den Elias erklärt in A Mt. 11, 14 und in A Mt. 17, 11 — 13. 5 So ist der 24, 23. 26 doppelt stehende eschatologische Zug das erstemal aus A Mr. 13, 21, das anderemal aus A Lc. 17, 23 ent nommen. Auch die Aufforderung und Begründung A Mt. 24, 42 = 1) Wedss, S. 43. — 2) Von Weisse übergangen. Dagegen kann das, Evange lienfrage S. 152 stehende, Beispiel nicht gelten. — 3) Ueber die Tragweite dieser Stel len vgl. Weisse: Evangelienfrage, S. 147—150. — 4) W e i s s e (Evangelienfrage, S. 151 f.), Weiss (S. 43 f.). — 5) Köstlin, S. 62. Holtzmann. \ 7 258 Viertes Capitel. Mr. 13, 35 kehrt Mt. 25, 13 wieder. Von diesen Stellen zu unterschei den, und von Weisse nicht richtig beurtheilt, x sind dagegen die Dou bletten , wo Matthäus im Interesse seiner Compositionen Stellen aus A anticipirt hat, die ihm dann im richtigen Zusammenhang wieder begeg nen und nochmals aufgenommen werden, wie Mt. 5, 29. 30 und 18, 8. 9 (= Mr. 9, 43. 47); Mt. 5, 32 und 19, 9 (= Mr. 10, 11); Mt. 10, 40. 42 und 18, 5 (= Mr. 9, 37. 41) ; Mt. 17, 20 und 21, 21 (= Mr. 11, 23. Doch vgl. S. 194). Oefters noch begegnet es aber dem Matthäus, dass er aus Gründen der Composition mehr oder weniger wörtlich wie derholt, was er schon früher am richtigen Orte — gewöhnlich aus A — gehabt hat, so 7, 19 aus 3, 10, so 12, 33 aus A Mt. 7, 16—18 = Lc. 6, 43. 44, so 20, 16 (wenn es nicht aus A Lc. 13, 30 stammt) aus A 19, 30 = Mr. 10, 31, so 23, 5 aus 6, 1, so 23, 11 aus 20, 26, so 23, 22 aus Mt. 5, 34. Ja auch Dies ist ihm begegnet, dass er ein effatum aus A an zwei verschiedenenStellen , wo er diese Quelle berührt, beibringt; vgl. die von Weiss richtig beurtheilte 2 Doublette 10, 15 und 11, 24. Nicht anders verfährt nun aber auch Lucas, der 8,16. 17 einen Spruch aus A Mr. 4, 21. 22 gibt, dessen beide Theile getrennt in A vorkamen Lc. 11, 33 = Mt. 5, 15 und Lc. 12, 2 = Mt. 10, 26. Da hin kann man auch rechnen die doppelte Instructionsrede (Lc. 9, 3=10, 4; 9, 4 = 10, 5. 7; 9, 5 = 10, 10. 11), die doppelte Angriffsrede auf die Pharisäer (vgl. Lc. 11, 43 = 20, 46), sowie endlich auch die dop pelt und dreifach erscheinende eschatologische Rede, in welcher als Doubletten namentlich A Lc. 17, 31 = ALc. 21, 21 und A Lc. 12, 11. 12 = ALc. 21, 14. 15 auffallen. Im Allgemeinen freilich geht Lucas, wie jeder Wiederholung, so auch solchen Doubletten aus dem Weg. Er lässt also 8, 18 den Ausspruch Mr. 4, 24 Heber ganz weg, weil er ihn 6, 38 schon hatte. §. 17. Alttestamentliche Citate. Ein sehr wichtiges Datum für die Beurtheilung des synoptischen Verhältnisses bilden die Citate aus dem A. T. Einige derselben sind nämlich aus den LXX, andere unmittelbar dem Grundtext entnommen; etliche haben alle Drei gemeinsam , etliche finden sich blos bei Mat thäus. Fast unübersehbar ist die Literatur über diesen Gegenstand. 3 Die eingehendere Betrachtung desselben datirt seit Credner, der zu dem Resultat gelangte : Matthäus citire frei nach den LXX, aber nach einem Texte, welcher bei den messianischen Stellen mit dem Urtext 1) Evangelische Geschichte, I, S. 79. 85 f. — 2) S. 73. — 3) Credner: Ein leitung, S. 93. Alttestamentliche Citate. 259 verglichen und nach ihm geändert worden sei. x Einen noch schärfer theilenden Kanon stellten Bleek2 und De Wette3 auf: im Matthäus seien die mitten im Context der Erzählung vorkommenden Citate aus den LXX, hingegen die aus der eigenen Reflexion des Evangelisten stammenden aus dem Grundtext. In der That konnte selbst Baur die Richtigkeit dieser Classification im Allgemeinen nicht bestreiten. 4 Da gegen wurde geltend gemacht : Mt. 1 , 23 gehöre dem Evangelisten an, sei nichts destoweniger aus den LXX, 22, 24 aber stehe im Context und nehme dennoch Rücksicht auf den hebräischen Text : 5 Thatsachen, die sich in der That nicht leugnen lassen. Es wurde daher die Bleek' - sche Beobachtung modificirt durch Ritschl. 6 Vollkommene Klarheit lässt sich aber nur unter unseren Voraussetzungen gewinnen. Wir geben daher unsere Resultate , ohne uns auf die Beschaffenheit der ein zelnen Citate , die nunmehr zur Genüge untersucht worden ist , einzu lassen. Als dem Evangelisten eigenthümlich gelten nämlich die, dem prag matischen Beiwerke seines Evangeliums angehörigen und mit seinen eigenthümlichen Formeln ('iva nXrjqwdfj u. s. f.) eingeführten, Citate: 1, 23 (Jes. 7, 14— 16); 2, 15 (Hos. 11, 1); 18 (Jer. 31,15); 23 (Jes. 11, 1); 4, 15. 16 (Jes. 8, 23. 9, 1); 8,-17 (Jes. 53, 4); 12, 17—21 (Jes. 42, 1 — 3); 13, 35 (Ps. 87, 2); 21, 5 (Sach. 9, 9); 27, 9 (Sach. 11, 12). Von diesen entsprechen genau dem Urtext, von welchem hier die LXX bedeutend abweichen, 2, 15. 23. Eine sehr freie Uebersetzung des Hebräischen, aber ohne Anklang an die LXX, stellt 27, 9 dar. Die anderen füssen zwar auf dem hebräischen Text , doch so , dass der Aus druck der LXX Einfluss übt,7 wie das selbst von 13, 35 gilt, welches Citat in der zweiten Hälfte genau nach dem Urtext gebildet ist, während die erste Hälfte mit der richtigen Uebersetzung der LXX stimmt. Nur das einzige Citat 1, 23 entspricht allerdings vorwiegend den LXX, weil nämlich nur in dieser Form die Stelle 7, 14 einen messianischen Sinn bietet. 8 Wir schliessen also, dass Matthäus ein Jude war, dem das A. T. in hebräischer und in griechischer Gestalt geläufig war, der sich aber, mit einer einzigen , bestimmt motivirten, Ausnahme, an den hebräischen Text hielt, zu dem er vielleicht die Paraphrase eines Targums benutzte.9 Unter den sogenannten Contextcitaten finden sich allerdings fast 1) Beiträge, II, S. 134 ff. Einleitung, S. 93 f. — 2) Beiträge, S. 57 f. — 3) Ein leitung, II, S. 198. — 4) Theologische Jahrbücher, 1853, S. 90. — 5) Ebrard, De litzsch: Zeitschrift für lutherische Theologie, 1850, S. 463 ff. Entstehung, S. 13 ff. — 6) Theologische Jahrbücher, 1851, S. 520 — 524. — 7) Köstlin, S. 37 f. — 8) Ritschl (S. 521), Hilgenfeld (Evangelien, S. 50). — 9) Credner, Köstlin: Evangelien, S. 38. 17* '260 Viertes Capitel. lauter' Berücksichtigungen der LXX, jedoch mit solchen Ausnahmen, dass nur die Annahme einer Quelle im Sinn von A, nicht aber — wie Ritschl, der sonst der Wahrheit am nächsten gekommen ist, glaubt1 — die Marcushypothese den Schlüssel zum vollen Verständnisse der Sachlage bietet. Unter 17 Citaten, die Matthäus und Marcus gemeinsam haben, stimmen nämlich 1 0 wörtlich überein , und 4 enthalten nur unbedeu tende Variationen. (Mr. 7, 10 = Mt. 15, 4. Mr. 10, 7. 8 = Mt. 19, 5. Mr. 12, 29. 30 = Mt. 22, 37. Mr. 15, 34 = Mt. 27, 46). 2 Bedeuten der sind die Abweichungen an zwei Stellen, wo sich Matthäus näher an LXX anschliesst, als Marcus (Mr. 4, 12 = Mt. 13, 14. 15. Mr. 10, 19 = Mt. 19, 18. 19). Hier hat sich aber einfach Matthäus genauer an A gehalten, als der nach seiner Gewohnheit abkürzende Marcus. Wie ferner Mt. 19, 19b, auf Levit. 19, 18 hinweisend, offenbar ein Zusatz des Matthäus ist, so auch das über Mr. 14, 27 hinausgehende Tfjg noiftvrjgM.t. 26, 31. Es bleibt mithin nur noch übrig Mt. 22, 24, wo sich — trotz des Contextcitates — in dem Worte iniyaftßqsvosig ein Einfluss des Grundtextes zeigt. Nun aber hat gerade die Parallelstelle Mr. 12, 19 dieses Wort nicht, wie überhaupt die Stelle ursprünglich auf kein Citat angelegt war; 3 jenes Wort stand also auch nicht in A, sondern beweist nur, dass Matthäus seiner Vorliebe für den Grundtext auch einmal so weit folgte, dass er ein, in A vorfindliches , Citat dar nach modificirte. Er »gibt der Anspielung auf das mosaische Gesetz die Form eines Citats. « 4 Dass endlich die Citate in der Versuchungsge schichte mit geringen Modificationen aus den LXX sind , stimmt zwar nicht mit der Marcushypothese, aber genau mit unserem Resultats. 68 f. Damit sind aber in der That alle Schwierigkeiten gehoben. Denn wenn man Mt. 22, 31. 37 als aus dem Hebräischen übersetzt ansehen wollte, so hat dafür Ritschl gezeigt, dass das erste Citat dem Codex A, das zweite den verschiedenen Lesarten der LXX genauer entspricht, als dem Grundtext.5 Dagegen ist es ein Irrthum von Delitzsch und Ritschl zugleich, wenn sie das, den LXX entsprechende, Citat 3, 3 = Jes. 40, 3 als eine Reflexion des Evangelisten behandeln. Denn da alle drei Synoptiker die jesaianischen Worte an dieser Stelle anführen, sind sie auch in A angeführt gewesen; es ist somit nur in der Ordnung, wenn die LXX befolgt werden. 6 Nun sind noch im Matthäus solche Citate zu unterscheiden, die zwar im Context stehen, aber doch nicht den LXX entnommen sind. 1) S. 522. — 2) Vgl. Ritschl, S. 523. Dass Matthäus in diesen Fällen den LXX öfters auch da folgt, wo dieselben vom hebräischen Text abweichen, vgl. Bleek, S. 57. — 3) Wilke, S. 421. — 4) Wilke, S. 244. — 5) S. 521. — 6) Ebrard, Bleek: Beiträge, S. 168. Alttestamentliche Citate. 261 Es sind einfach diejenigen, die Matthäus in solchen Partien hat, wo er ganz unabhängig von A ist. Dahin gehört das Contextcitat der Vor geschichte 2,6 = Mich. 5 , 1, wo zwar ein flüchtiger Seitenblick in Codex A sich verrath, x durchaus überwiegend aber die Rücksicht auf den Grundtext erscheint, 2 was nach dem B 1 e e k'schen Kanon ebenso unerklärlich, wie nach unseren Resultaten, da ja Matthäus die Vorge schichte selbst bildete, natürlich ist. Dahin gehören ferner die Citate der Bergpredigt 5, 31. 33, die weder mit den LXX, noch mit dem Grundtext stimmen, nicht sowohl, weil sie der pharisäischen Tradition entstammen,3 als weil sie so in den secundären Quellen des Matthäus standen. Auch die, mit LXX Ps. 37, 11 stimmende, Erklärung Mt. 5, 4 beweist wieder, dass im Hintergrunde des ersten Theils der Bergpre digt eine eigenthümliche, für uns nicht mehr deutlich zu unterschei dende, QueUe steht (S. 162). Nur die einzige Stelle Mr. 1,2= Mal. 3, 1, scheint sich dem klar erkannten Gesetze entziehen zu wollen. Dasselbe Citat, nach dem Hebräischen gebildet, findet sich auch Mt. 11, 10 = Lc. 7, 27, wo es gar keine Schwierigkeiten macht. Denn der Context dieser Erzählun gen ist der ersten Quelle fremd , in welcher allein der Grundsatz, nach LXX zu citiren, streng durchgeführt war. Nun steht aber das Citat bei Marcus auch in ganz anderm Zusammenhang, als bei Matthäus und Lu cas, ist also in jeder Beziehung die einzige Ausnahme von der Regel. Hier kommt uns indessen eine längst gemachte Wahrnehmung in Bezug auf den Text dieser Stelle hülfreich entgegen. Den bekannten Schwie rigkeiten in der Construction von Mr. 1, 1 — 4 hilft nämlich in zurei chender Weise blos ab die glückliche Herstellung des Zusammenhangs durch Lach mann,4 dem in der Hauptsache Fritzsche,5 Hitzig,6 Ewald,7 Bunsen8 gefolgt sind. Es ist nämlich das cltg yiyqanxai als Parenthese zu nehmen, und äqyrj mit iyivsxo zu verbinden. Aber nicht beide Verse 3 und 4 sind Einschiebsel und Randglossen (Lach mann, Bunsen) oder Einschaltungen des zweiten Herausgebers (Ewald), sondern blos das Citat aus Maleachi, wie daraus hervorgeht, dass auch Matthäus und Lucas den Jesaias an dieser SteUe mit Mar cus citiren. A bot also die Schwierigkeit, dass unter der Firma des Jesaias zunächst ein Citat aus einem andern Propheten aufgeführt wird, garnicht dar, sondern lautete so: »Anfang der Heils Verkündi gung von Jesus Christus, dem Sohne Gottes (wie geschrieben steht im Propheten Jesaias: hört, wie Einer in der Wüste ruft: bereitet des 1) Hilgenfeld: Evangelien, S. 50. — 2) Köstlin, S.37. — 3) Gegen Ritschl, S. 521. — 4) Studien und Kritiken, 1830, S. 844. Praef. II, S. VI. — 5) Evangelium Marci recensuit, S. 9 f. — 6) Johannes Marcus, S. 188 ff. — 7) Evangelien, S. 154. — 8) Bibelwerk, I, 1, S. CXCIV. IV, S. 95- 262 Viertes Capitel. Herrn Weg, macht gerade seine Pfade!) ward Johannes, der Täufer in der Wüste. « Nachdem aber durch die, von Matthäus und Lucas aus A aufgenommene, Erzählung mit dem Citat aus Maleachi dieses eben falls als charakteristisch für die Mission des Täufers stehend geworden war, hat Marcus es an dieser Stelle gleich zu Anfang eben in jener stehend gewordenen Form zwischen die Citationsformel und das Citat eingerückt, ohne den Namen des Propheten zu ändern. 1 Eine besondere Betrachtung verdient das doppelt (9, 13. 12, 7) vorkommende Citat aus Hosea 6, 6 s'Xsog diXw xai oi dvaiav. Da das selbe mit den LXX stimmt, welche "iDrt an den meisten Stellen mit sXsog übersetzen, läge die Annahme zunächst, es für einen, von Marcus und Lucas übergangenen, Bestandtheil von A zuhalten. Dazu kommt, dass es sich gerade in zwei, zwar bei Matthäus durch einen ziemlichen Zwischenraum von einander getrennten, aber in A unmittelbar aufein ander folgenden, Perikopen (Mr. 2, 13—22 enthält Mt. 9, 13, Mr. 2, 23 — 28 enthält Mt. 12, 7) findet, wodurch man sich auf die Vermu thung gedrängt sieht, es möchte in diesen Regionen von A wirklich vorfindlich gewesen sein. Noch mehr wird man für diese Hypothese gewonnen durch die Wahrnehmung, dass die Verse Mt. 12, 5. 6 wahr scheinlich aus A sind (S. 184 f). Man könnte daher in den beiden Citaten wieder eine Doublette von der gewöhnlichen Art erkennen wollen, indem man Mt. 12, 7 aus A, dagegen Mt. 9, 13 aus A erklärte, wie auch Meyer meint.2 Bei ge nauerer Betrachtung hat sich aber S. 185 herausgestellt, dass Mt. 12, 7 mit den beiden vorhergehenden Versen so gut, wie gar nicht zusammen hängt, sondern- nur, insofern es eine eintretende Lücke ausfüllen soll, Werth hat. Ebenfalls auf Einschaltung beruht nun aber auch Mt. 9, 13, mit Beziehung worauf schon Wilke,3 Weiss,14 Bleek5 u. A. sich beklagten über die Störung, die durch jenes Citat in den Zusam menhang der Stelle Mt. 9, 12. 13 gebracht werde. Wir haben nämlich A Mr. 2, 17 einen allgemeinen Satz ov xqsiav s'xovatv oi layiovxsg la- xqov äXX' ol xaxwg syovxsg und seine Anwendung oix rjXdov xaXioai öixaiovg dXXd dftaqxwXovg. Die Gliederung der Gnome und die ihrer Anwendung stehen also in Parallele zu einander. Nun stellt aber Mat thäus zwischen beide Sätze hinein sein Citat, wodurch zwei Gründe, der, dass Jesus als Arzt handle, und dass er jenem Ausspruche des Hosea gemäss handle, mit einander vermengt werden, und das nachfol gende yäq, dessen sich bekanntlich Matthäus gern bedient, gibt, gerade 1) Vgl. auch Weiss (S. 61) und Bleek (Synopsis, I, S. 164). Was dagegen Hengstenberg (Evangel. Kirchenzeitung , 1858, S. 631) geltend macht, ist aus der Luft gegriffen. — 2) Zu Marcus und Lucas, S. 32. — 3) Urevangelist, S. 318 ff. — 4 ) S. 49. — 5) Synopsis, I, S. 389. Alttestamentliche Citate. 263 wie auch Mt. 12, 8, mehr den Schein einer logischen Verknüpfung, als dass es einen wirklichen Zusammenhang herzusteUen vermöchte. Da aber ein bloses, nach allen Seiten wendbares, Citat nicht als selbst ständige Partie von A betrachtet werden kann , wird man beide Stellen dem Matthäus zuschreiben müssen und dazu die fernere Wahrnehmung machen, dass der Einschalter, als er zum zweitenmal citirt, sich selbst aufsein erstes Citat zurückbezieht, indem der Befehl 9,13 noqsvdiv- xsg öi fiddsxs xi saxtv e'Xsog diXw durch die Formel 12, 7 et de iyvw- xsixs xi iaxiv s'Xsog diXw als ein erfolglos ausgesprochener angedeutet wird. Wahrscheinlich war LXX Hos. 6, 6 an den Rand von A Mr. 2, 13 — 28 geschrieben, und sah sich Matthäus dadurch veranlasst, die Stelle in beide Abschnitte einzuarbeiten. Eine weitere Bemerkung, die sich hinsichtlich der Citate auf drängt, ist die, dass Matthäus fast regelmässig, wenn er zu selbstständi gen Citaten greift, dafür in A eine Abkürzung oder Auslassung eintre ten lässt. So 8, 16. 17 vgl. mit Mr. 1, 32—34 = Lc. 4, 40. 41. Auch füllt das Citat 12, 17 — 21 eine SteUe von A aus, die Matthäus durch Voranstellung der Bergpredigt und Instructionsrede bereits gegeben hat. Ganz ebenso bricht Matthäus 13, 35 die Quelle A ab, indem er ein Citat einfügt, und kürzt A hinter dem Citat 21, 5 ab. — Schon solche EigenthümHchkeit des Matthäus beweist seine schriftstellerische Ab hängigkeit, wie auch von Bleek1 nachgewiesen wurde. Bei Lucas sind alle Citate mit einer einzigen Ausnahme aus den LXX.2 Die Ausnahme aber bildet 7, 27 = Mt. 11, 10 = Mr. 1, 2, worin Ritschl ein Zeichen der Abhängigkeit des Lucas von Matthäus erkennt. 3 Allein die Sache erklärt sich einfach aus der Verschieden heit der Quellen. GewöhnHch schreibt Lucas, wo er citirt, A ab, in jenem Ausnahmsfall aber A, in welch letzterer Quelle Citate aus dem Grundtext und aus den LXX (vgl. Lc. 10, 27) wechselten, wenn nicht Lucas selbst es ist, der im letztem Fall, so gut wie bei der Bearbeitung von A Lc. 3 , 4 — 6 die LXX aufschlägt und ausschreibt. Schliesslich betrachten wir noch den Marcus, der blos gedächtniss- mässige Abweichungen bietet. Uebrigens stehen seine Citate meist im Context, d. h. in den Reden der handelnden Personen. Nur im Ein gange ist das anders. Es ist aber nicht richtig, wenn Ritschl beide Citate aus der Reflexion des Marcus hervorgegangen sein lässt. Sonst wäre nicht zu erklären, warum 1, 2 aus dem hebräischen, 1, 3 aus dem griechischen Text des A. T. entnommen ist. Vgl. vielmehr S. 261. Da die Stelle 15, 28 aus Lc. 22, 37 von späten Abschreibern herübergetra- 1) Beiträge, S. 58. — 2) D e Wette: Einleitung ins N. T. §. 115. — 3) Theol. Jahrbücher, 1851, S. 535. 264 Viertes Capitel. gen und von den kritischen Autoritäten der neueren Zeit fast ausnahms- los getilgt wurde, haben wir in jenem einleitenden Citat 1 , 3 das ein zige Reflexionscitat der Quelle A. Auch abgesehen von diesem Eingang finden wir übrigens ausgesprochene Citate in A noch Mr. 7, 6. 7. 10. 11, 17. 12, 10. 36. 14, 27; weniger bestimmt lauten die Stellen 2, 25. 26. 12, 19. 26 ; als blose Hinweisungen auf das Alte Testament können gel ten die Stellen 1, 44. 13, 24. 15, 34. Anspielungen, jedoch zum Theil mit Verdrängung des Citats erst durch Marcus, stellen dar die Stellen 4, 12. 9, 44. 46. 48. 49. 10, 3. 6. 7. 19. 12, 29—31. 13, 14. Dass aber in ebenso bewusster Weise auch 1, 12. 3, 13 ff. 20. 21. 6, 17 ff. 7, 24 ff. 8, 11 ff. 9, 2 ff. 14 ff. 11, 1 ff. 14, 26 ff. 15, 1 ff. auf das Alte Testament hingezielt sei, ist Privatdogma der Wilke'schen Kritik ge blieben (§. 32). §. 18. Die Ursprache des ersten Evangeliums. Die Beobachtung, dass der erste Evangelist, abweichend von Mar cus und Lucas, aus dem hebräischen Grundtexte citirt, hat vielfach Einfluss geübt auf den Verlauf anderer Verhandlungen, die sich um die Frage drehen , ob unser Matthäus eine Uebersetzung aus dem Hebräi schen sei. Es lässt sich nun allerdings nicht läugnen, dass diese An nahme durch eine geschlossene Kette von Ueberlieferungen gehalten wird, insofern mit den Zeugnissen für die Aechtheit auch die Nach richt, dass Matthäus ursprünglich hebräisch, d. h. da die Kirchenvä ter diesen Unterschied nicht machten, in dem damaligen Landesdia lekt, also aramäisch oder syrochaldäisch, geschrieben habe, Hand in Hand geht. Schon Papias (vgl. S. 249) sagt hierüber : Maxdalog sßgäi'öi öia- Xsxxw xd Xöyia avvsxd^axo, fjqfirjvsvas S" aixd wg rjv övvaxog (Andere rjövvaxo) sxaaxog. Wenn man nicht gerade mit Paulus1 oix sßqäiöi öiaXixxcp , d. h. das Gegentheil von Dem, was dasteht, lesen will, so wird man in diesen Worten das Vorhandengewesensein einer, vom Apo stel Matthäus herrührenden, hebräischen Schrift bezeugt finden. Denn dass Euseb den Papias einmal acpööqa afiixqöv xöv vovv nenne, wird man im Ernste nicht gegen die Glaubwürdigkeit jener Notiz beibrin gen wollen, da der apostolische Vater sich diese Bezeichnung offenbar von wegen seines Chiliasmus verdient hat. 2 Wenn daher von der Seite das Zeugniss feststeht, 3 so fragt es sich blos noch um die Bedeu- 1) Exegetisches Handbuch, I, S. 36. — 2) Credner, Einleitung, S. 90. — 3) Es handelt sich im betreffenden Eall blos um ein referre relata. Ein Mensch, der nicht einmal dazu fähig war, wäre in jener ersten Zeit schwerlich Bischof geworden. Die jenes Armuthszeugniss aufhebende Stelle des Euseb (3, 36 : ävfig xä ndvxa ort Die Ursprache des ersten Evangeliums. 265 tung des Zusatzes. Auch hier stehen die Schi eiermache r'schen und die Lücke'schen Deutungen sich gegenüber (S. 250). Jener bezieht das fjqfivjvevas auf die Erläuterung der Reden durch Einfügung dersel ben in ihren geschichtlichen Rahmen. Aber contextmässig kann aller dings das Wort seine Erklärung blos aus dem sßqa'i'öi öiaXixxw em pfangen und also bedeuten : es dollmetschte sie Jeder, wie er dazu fähig war, was auf den Gebrauch geht, welchen die griechischen Christen von der hebräischen Spruchsammlung des Matthäus machten. x Un begründet und an sich unwahrscheinlich ist es, wenn Thiersch diese Nachricht blos auf die mündliche Paraphrase , bei der Vorlesung der Evangelien in den Gemeindeversammlungen von Seiten der Lehren den gegeben, bezieht;2 zum mindesten eben so gut kann das fjqftfjvsvas sich auf den Privatgebrauch beziehen. Noch irriger aber ist es, wenn man sogar in den Sinn des Papias die Ergänzung verlegt hat, dieses Deuten habe so lange angehalten, bis Matthäus selbst in griechischer Sprache sein Evangelium herausgegeben , oder ein , mit seinem hebräi schen Werke im Wesentlichen identisches, griechisches Evangelium kirchliche Geltung erhalten habe. 3 Nicht einmal das steht fest, dass in dem Aorist fjqfirjvsvoe eine Andeutung darauf zu finden sei, dass zu Zeiten des Papias solche Privatübersetzungen nicht mehr nöthig waren. Würde Dies aber auch der Fall sein und würde Papias dabei an unser erstes Evangelium gedacht haben, so geschah es auf keinen Fall so, dass er dasselbe etwa als ein Werk des Apostels Matthäus gekannt hätte. Sonst würde Papias es sicher angeführt, und Euseb nicht unter lassen haben, diese seine wichtige Nachricht mitzutheilen. 4 Auch die anderen kirchlichen Schriftsteller , die in Bezug auf Matthäus sich im mer auf Papias stützen , würden Dies nicht so gleichmässig haben igno- riren können. Indessen ist, jene Auslegung des Aorists einmal zugege ben, noch viel wahrscheinlicher, dass Papias an sein eigenes, eben ent stehendes, Werk dachte, in welchem jene Xöyia des Matthäus Auf nahme und Erklärung finden sollten. Jedenfalls aber will der Zusatz in dem Bericht des Papias über Matthäus entweder sagen, dass von der Spruchsammlung des Apostels mehrere verschiedenartige griechische Üebersetzungen und Ausgaben bekannt waren,5 oder er bedeutet, dass Jeder mit dem hebräischen Original so gut fertig zu werden suchte, als er es eben vermochte. 6 udXiGTtt XoyccÖTaTog xal rrjg ygacpijg däfjficov) ist zu zweifelhafter Natur, um ebenfalls angeführt zu werden. — 1) Bleek: Einleitung, II, S. 94. — 2) Versuch zur Her stellung, S. 193, 222 ff. 348. Vgl. dagegen Bleek: Beiträge, S. 170. — 3) So Thiersch, Ebrard, Guericke, M e y e r : Zu Matthäus, S.U.— 4) Bleek: Beiträge, S. 59 f. — 5) Bleek: Beiträge, S.60. Einleitung, II, S.95. — 6) Ebrard: Wissenschaftl. Kritik, 1842, S. 954 f. 266 Viertes Capitel. Unabhängig von dem Zeugnisse des Papias ist die Nachricht des Eusebius, wornach etwa um die Mitte des zweiten Jahrhunderts Pantänus das hebräische Evangelium (Eßqaiav yqäfifiaai xfjv xov Max datov yqacpfjv) des Matthäus bei den Indern, wohin es Bartholomäus gebracht habe, aufgefunden und mit sich nach Alexandrien genommen haben soll. 1 Allerdings ist damit wahrscheinlich eine hebräische Ur schrift gemeint. 2 Aber die ganze Auffindungsgeschichte ist offenbar sa genhaften Charakters, wie schon der Name Indiens andeutet , worunter man indessen gewöhnlich das südliche Arabien versteht. In Alexandrien aber hat dann Niemand, auch Eusebius und Hieronymus nicht, dieses merkwürdige Original mehr gesehen. Gehen wir nun weiter herab, so begegnen wir blos noch Wieder holungen der, von Papias gegebenen, Entstehungsgeschichte; nur dass hier und da einer noch seine eigenen Hypothesen beifügt. 3 Jeden falls aber stimmen Irenäus, 4 Eusebius,8 Cyr ill von Jerusalem,6 Epiphanius, 7 Chrysostomus, 8 Augustin9 und alte Hand schriften und Üebersetzungen10 in der Anerkennung einer hebräischen Urschrift zusammen; schon Origenes11 beruft sich hierfür ausdrück lich auf die Tradition, und Hieronymus12 will den hebräischen Ori ginaltext bei den Nazaräern in Beröa aufgefunden und abgeschrieben haben. Es war nämlich in der katholischen Kirche allgemein die An sicht verbreitet, der gelehrte Pamphilus habe ein Exemplar des hebräischen Matthäus auf der Bibliothek zu Cäsarea niedergelegt , und, was unter den Nazaräern als evangelische Urkunde in hebräischer Sprache vorhanden war , d. h. das sogenannte Hebräerevangelium, be ruhe auf Abschriften jenes Originals. Wir dürfen nun aber blos den Anfangs- und den Endpunkt dieser Tradition ins Auge fassen, um über ihren wirklichen Werth Licht zu erhalten. Denn, was das Zeugniss des Papias betrifft, an welches die ganze spätere Reihe sich anschliesst, so bezieht sich dasselbe, wie wir bereits gesehen haben , keinenfalls auf unseren Matthäus , sondern auf ein ganz anderes Werk des Apostels Matthäus, über dessen wahr scheinliches Verhältniss zu unserem Matthäus eine frühere Untersuchung entschieden hat (§§. 10. 15). Eine ähnliche Bewandtniss aber hat es mit der Entdeckung des Hieronymus. Wenn derselbe sich in be kannter Orthodoxie der gangbaren Meinung anschloss, wornach das 1) K. G. 5, 10. — 2) Meyer (Zu Matthäus, 1858, S. 6), Bleek (Einleitung, II, S. 95). — 3) Harless: Lucubr. S. 11. — 4) Haeres. 3, 1. Vgl. Eusebius: Kirchengesch. 5, 8. — 5) K. G. 3, 24. — 6) Cat. 14.— 7) Haeres. 30, 3. — 8) Homil. I inMt., §. 3. — 9) De consensu ev. 1, 2 10) Credner: Einleitung, S. 73. ~ 11) Bei Eusebius: K. G. 6, 25. — 12) De vir. illust. 3. 36. Praef. in Mt. Die Ursprache des ersten Evangeliums. 267 Hebräerevangelium identisch sein sollte mit dem hebräischen Matthäus, so geht doch schon aus den, von Credner1 zusammengestellten, Bruchstücken der Abschrift des Hieronymus und aus den andern noch vorhandenen Fragmenten zur Genüge hervor, dass dieses aramäi sche Evangelium der Nazaräer mannigfach von unserem Matthäus ab weicht, und dass es in der That nichts ist, als eine bearbeitende Ueber setzung des griechischen Matthäus2 — eine Ueberzeugung, die sich auch in Hieronymus selbst mehr und mehr befestigte. 3 Somit lautet zwar allerdings das ausnahmslose Zeugniss der vier ersten Jahrhunderte auf ein hebräisches Original des Matthäus, aber die erste dieser zeugenden Stimmen belehrt uns schon hinreichend darüber, dass von unserem griechischen ersten Evangelium hier gar nicht die Rede sein kann ; und die letzte führt direct auf Resultate, die nur dann bestehen könnten, wenn erstens das hebräische Werk des Matthäus identisch wäre mit dem späteren Hebräerevangelium, und wenn zwei tens unser kanonischer Matthäus den Charakter einer Uebersetzung an sich trüge. Jenes glaubt Hieronymus selbst nicht und beweist es mit den noch übrigen , apokryphischen Charakter tragenden , Resten seiner Uebersetzung; dieses aber ist vollends unmöglich. Die altprotestanti sche Theologie war daher auf der richtigen Fährte , wenn sie die alte 1) Beiträge, I, S. 395-399. — 2) Da die Untersuchung über das Hebräerevange lium unserer Aufgabe fern liegt, so bemerke ich hier nur, dass mir die Gründe, die zuletzt Bleek (Einleitung, II, S. 97 f. 103 — 109) zusammengestellt hat, unwiderleg lich scheinen. Selbst darin hat er Recht, wenn er im Anschluss an Paulus, Eritz- sche, Credner den vielbesprochenen filius magistri eorum erklärt als wörtliche Uebertragung des griechischen BagaßßSv Mt. 27, 16 (Beiträge, S. 61 f. Einleitung S. 108). Auch wenn die lateinische Uebersetzung gar nicht im Sinne der Nazaräer gele genhätte, sondern von Hieronymus selbst herrühren sollte, musste dieser doch -pia gelesen haben, woraus hervorginge , dass der Name des Barrabas, der im griechischen Zusammenhang nur im Accusativ vorkommt, auch in derselben Accusativform in das Hebräerevangelium übergegangen ist. Mag sich dann daran immerhin die, von Meyer (Zu Matthäus, S. 17) statuirte, exegetische Deutelei angeschlossen haben, mag dieselbe sogar vom Uebersetzer schon beabsichtigt gewesen sein , immerhin setzt sie den grie chischen Text als Anhaltspunkt ihrer Entstehung voraus. Vgl. im Uebrigen noch Köstlin , S. 122 ff. — 3) Man vgl. die Stellen : Comment. ad Mich. 7 , 6. ad Mt. 6, 11. 12, 13. 27, 16. De vir. illust. 2 u. 3. Contra Pel. 3, 2 und hierzu Credner: Bei träge, I, S. 390 ff. Zwar will Meyer (S. 15) aus De vir. ill. 3 herauslesen, dass Hie ronymus zwei Werke gefunden habe, einen hebräischen Matthäus und ein Hebräer evangelium. Aber die erhobenen Einreden erledigen sich, sobald man nur den allmä ligen Fortschritt in dem besseren Verständnisse des Hieronymus beachtet. Nir gends spricht er aber davon, dass in Cäsarea zwei Matthäusevangelien lägen , ein wirk liches und ein angebliches, noch sagt er jemals, wo er schlechtweg vom evangehum, quod hebraicis literis scriptum est, spricht (z. B. ep. 120 ad Hedibiam), welches von beiden er meine. 268 Viertes Capitel. Tradition kühn verwarf und die griechische Originalität unsers Evange liums zu einer Art von Dogma erhob. x Zwar haben dann namhafte Ge lehrte2 sogar Uebersetzungsfehler aufgeführt, welche jedoch lediglich in der Einbildung ihrer Entdecker bestanden.3 Seitdem besonders ein so eifriger Jäger auf Uebersetzungsfehler, wie J. D. Michaelis,4 durch seinen Streit mit Ma seh5 die Aufmerksamkeit der Gelehrten wieder der Sache zugewandt hatte, fand zwar die alte Tradition immer noch eine Reihe von Anhängern, 6 ja es tauchte sogar der Gedanke auf, der Apostel könne sich selbst eigenhändig oder fremdhändig übersetzt ha ben7 — ein Gedanke, der sogar mit der altkirchlichen Tradition, der er dienen will, streitet. 8 In neuerer Zeit aber ist mit siegreichen Grün den erwiesen worden, dass unser Evangelium so, wie es vor liegt, die unmittelbare Uebersetzung einer aramäischen Schrift des Matthäus nicht sein kann.So Schubert,9 Hug,10 Paulus,1' Fritzsche, 12 Theile,13 Buslav,14 Grawitz,15 S chott, 16 Credner, ,r Neudecker,18 Baumgarten- Crusius,19 Wilke,20 Harless,21 De Wette,22 Reuss,23 Bleek,24 Ewald,25 Weiss,26 Ritschl,27 Köstlin,28 1) Credner: Einleitung, S. 78 ff. — 2) Richard Simon, Mill, J. D. Mi chaelis, Bolten, Bertholdt, Eichhorn: I, S. 167 f. 198. 2S1 f. 517. — 3) Schubert: Dissertatio qua in sermonem Matthaei inquiritur, S. 30. — Paulus: Conservatorium , S. 30 ff. — 4) Einleitung, II, S. 947 ff. — 5) Grundsprache des Evangeliums Matthäi, 1755. — Sein Hauptvorgänger ist Wetstein (N. T. I, S. 224). — 6) Marsh, Storr, Corrodi, J. E. Ch. Schmidt, Reimarus, Hänlein, Eichhorn, Bertholdt, Ziegler, Kuinöl, Gratz, Meyer: Zu Matthäus, 1860, S. 8 f. — 7) Schwarz (Soloecismi diseipulorum Jesu, 1730, S. 49), Bengel (Gnomon, S. 3), Schott (Isagoge, S. 69), Orelli (Selecta patrum capita, 1821, S. 10 — denkt wenigstens an zwei Schüler des Matthäus), Guericke (Bei träge, S. 36 ff. Einleitung, 2. Ausg., S. 115), Olshausen (Biblischer Commentar, I, S. 11 f.), Ebrard (Kritik, S. 946 ff. 2. Ausg. , S. 780 ff.), Thiersch (Stand punkt der Kritik, S. 193), Lange (Leben Jesu, I, 1844, S. 159 ff.). — 8) Hierony mus: De vir. ill. 3 : quod quis postea in Graecum transtulerit , non satis certum est. Später hat Pseudoathanasius auf Jakobus, Theophylakt auf Johannes gera- then. Vgl. Bleek: Einleitung, II, S. 96. — 9) Dissertatio, qua in sermonem, quo evangehum Matthaei conscriptum fuerit, inquiritur, 1810. — 10) Einleitung, II, S. 16 ff. — 11) Introductio, S. 279. Conservatorium, S. 1 59 f. — 12) Evangelium Matthaei recen- suit, S. 18 ff. — 13) Winer und Engelhardt: Kritisches Journal, 1824, II, S. 181 ff. 198 ff. 346 ff. — 14) Dissertatio de lingua originali evangelii Matthaei, 1826. — 15) Sur la langue originale de St. Matthieu, 1827. — 16) Isagoge, S. 68 ff. — 17) Einleitung, S. 92 ff. — 18) Einleitung, S. 200. — 19) Commentar zu Matthäus, 8. 23. — 20) Urevangelist, S. 692. — 21) Lucubrationes evangelia canonica speetan- tes, 1841. — 22) Einleitung, II, S. 198 ff. — 23) Geschichte, S. 183 ff. — 24) Bei träge, S. 62. Einleitung, II, S. 109. 273. — 25) Jahrbücher, II, S. 214.— 26) S. 86 ff. — 27) Theol. Jahrbücher, 1851, S. 536 ff. — 28) Evangelien, S. 43. Die Ursprache des ersten Evangeliums. 269 Hilgenfeld,1 Delitzsch;2 und wenn Andere, wie Kiener,3 Sieffert,4 Baur5 noch von einer Uebersetzung sprachen, so verstan den sie darunter nur eine sehr entfernte Umarbeitung. Von nur ephemerer Bedeutung war der Einfall, eine unmittelbare Uebersetzung des apostolischen und hebräischen Matthäus in der Hand schrift nachweisen zu wollen, welche, aus den Klöstern der nitrischen Wüste stammend, bedeutende Stücke aus Matthäus und Lucas nach einer bisher unbekannten syrischen Uebersetzung enthält, die wahr scheinlich älter als die Peschito ist.8 Indessen hat Ewald in einer Ab handlung, die auch Hilgenf eld's ganzen Beifall findet,7 dargethan, dass die neugefundene Uebersetzung auch bei Matthäus aus keinem an deren Texte, als aus unserem griechischen, gefertigt ist. 8 Heutzutage steht die griechische Originalität des ersten Evange liums fest. Zwar hat es auch auf Seiten ihrer Vertheidiger nicht an un brauchbaren Argumenten gefehlt ; 9 aber schon die Wortspiele reden deutlich; wenn auch 16, 18 keineswegs nur im Griechischen möglich sein mag. Wohl aber darf man sich berufen auf das ätpaviCovoiv onwg cpavwaiv (6, 16) und auf xaxovg xaxwg (21, 41). Vgl. auch Ausdrücke wie ßaxxoXoyslv und noXvXoyia 6, 7. Undenkbar ist es auch, dass ein Hebräer das Wort rp-i in männlicher Personification habe erscheinen lassen, wie nvsvfia ja vielfach in Kreisen, aufweiche der vorausgesetzte hebräische Matthäus berechnet gewesen sein musste, als Mutter oder Schwester Jesu erscheint. 10 Hauptsächlich aber spricht das dargelegte Verhältniss der Citate (§. 17) für die Originalität.11 Denn die Regel mässigkeit, womit Citate aus dem Urtext und solche aus»LXX abwech seln, schliesst den Gedanken einer Uebersetzung schon an sich aus, ab gesehen davon, dass ein Uebersetzer entweder den hebräischen Text, der ihm vorlag, wiedergegeben, oder sich mechanisch an LXX gehalten hätte. Was Meyer dagegen vorbringt,12 beruht auf den, bereits S. 2 39 f. widerlegten, Ansichten Delitzschs über die Citate. Auch fragt man billio-: warum hat sich der hebräische Urtext, wenn er existirte, nicht nachweisbar bei den palästinensischen Juden erhalten? Zum mindesten ist es darum heutzutage für Jeden, der sich noch der verbrauchten An- 1) Evangelien, S. 115 f.— 2) Zeitschrift für lutherische Theologie, 1850, S.462ff. 466 ff. — 3) Recentiores de authentia Matthaei quaestiones, S. 16 f. — 4) Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums, S. 34 ff. — 5) Evangelien, S. 574 ff. — 6) Cu re to n : Remains of a very ancient recension of the four Gospels in Syriac, 1 858. — Christianus: Der Ursprung der Evangelien, S. 11 ff. — 7) Zeitschrift für wissen schaftliche Theologie, 1861, S. 198. - 8) Jahrbücher, IX, S.69 ff- 9) Vgl. Meyer (Zu Matthäus S. 8 f.) und Bleek's Retractation (Einleitung, II, S. 273).— 10) Cred ner: Beitrage, I, S. 402 f. Einleitung, S. 93. - 11) Vgl. BI eek: Beiträge, S. 58. — 12) Zu Matthäus, S. 9, 270 Viertes Capitel. sieht bedienen wollte, unvermeidliche Nothwendigkeit, den griechi schen Matthäus nicht blos als eine Uebersetzung, sondern auch als Be arbeitung des hebräischen Evangeliums anzusehen; darauf kommt am Ende in concreto auch Meyer hinaus, wenn er die Uebersetzung unter Benutzung der andern Synoptiker — richtiger : unter zum grossen Theil wörtlichem Anschlüsse an dieselben — entstanden sein lässt.1 Für uns aber ist die Frage nach der Ursprache des ersten kanonischen Evan geliums ohnedies schon entschieden durch den Nachweis der Quelle A, Dass diese griechisch war, geht schon aus der wörtlichen Uebereinstim mung, in welcher sie bei den drei Synoptikern öfters zu Tage tritt, un widerleglich hervor. Die Annahme, unser Matthäus sei eine Ueber setzung, würde daher unser ganzes wohlbegründetes Resultat durchweg zerstören. Wir weisen sie um so entschiedener ab, als auch die inneren Gründe, die man für eine Uebersetzung geltend gemacht hat, ohne allen Belang sind. Anders scheint es mit den äussern. Allerdings be finden wir uns hinsichtlich der Grundsprache des ersten Evangeliums im Falle, der gesammten Tradition widersprechen zu müssen. Aber auch mit dieser Tradition werden wir uns völlig auseinander gesetzt haben, wenn nicht blos die Unmöglichkeit ihres Inhaltes, sondern auch die Möglichkeit ihrer Entstehung deutlich geworden ist. Es gibt aber Gründe, die hierfür vollkommen ausreichen: 1) Der Apostel Matthäus hat wirklich ein hebräisches Werk ge schrieben, die Xöyia. 2) Bei Schriften, die, wie unser Matthäus, ihre Bestimmung für gläubige Juden an der Stirn trugen, war es herkömmlich, dass man ihnen hebräische Urschriften unterlegte. 2 Eine solche schwebte dem Clemens von Alexandrien sogar in Bezug auf den Hebräerbrief vor. 3 3) Die Kirchenväter wussten von der, bei den Nazaräern vorhan denen, aramäischen Bearbeitung des Matthäus. Da sie die Entstehungs verhältnisse dieses Hebräerevangeliums nun nicht kannten, und erst Hieronymus dasselbe überhaupt näher untersuchte, lag es nahe, die hebräische Schrift, von der Papias redete, in jenem Hebräerevange lium wiederzufinden. * 4) Auf die Benennung des ersten Evangeliums nach Matthäus hat wahrscheinlich die Thatsache Einfluss geübt, dass das wirkliche, hebräi sche Werk des Apostels darin seine Verarbeitung gefunden hat (§. 20). 5 5) Glaubte man überhaupt an die Existenz zweier nach Matthäus benannter Schriften, so war es das natürlichste, in der aramäischen das Original werk zu vermuthen. 1) Meyer: Zu Matthäus , S. 9. — 2) Hilgenfeld: Evangelien, S. 119 f. — 3) Bei Eusebius: K. G. 6, 14. - 4) Weiss, S. 87. — 5) Weisse: Evangelien frage, S. 142. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 27 1 §. 19. Der Sprachcharakter der Synoptiker. I. Allgemeines. Am deutlichsten vielleicht lässt sich das Ver hältniss der drei Evangelisten zu einander. und zu ihren QueUen dar stellen, wenn wir schliesslich ihre stylistischen Eigenthümlichkeiten untersuchen. Hier vor Allem thut freilich Vorsicht Noth. Denn soll der Grundsatz, dass der Styl der Mensch ist, richtig verstanden und richtig angewandt werden , so darf er nur gelten von den bleibenden, in jeder Stimmung und bei jedweder Art von Darstellung gleich mög lichen, Eigenthümlichkeiten. Es wird also besonders auf solche Ele mente des Ausdrucks und der schriftstellerischen Manier ankommen, worin sich das eigenthümliche Geisteswesen des Schreibenden offen bart, zugleich aber auch auf alle die Constructions- und Redeweisen, sowie auf alle die eigenthümlichen Worte , welche sich der Mensch aus dem allgemeinen Sprachvorrathe heraus nach und nach zugeeignet und behufs der Bezeichnung seiner eigenen originalen Gedanken auserwählt hat. 1 Hat man sich in dieser Beziehung erst sicherer Normen und Ana logien bemächtigt, so wird man auch die verschiedenen QueUen, aus deren Zusammentreffen der Fluss der Darstellung erwachsen ist, und damit auch die jeweils verschiedenen Stromtiefen der Originalität leich ter nachzuweisen und zu bemessen vermögen. Aber erst in neuerer Zeit hat man diesem entscheidenden Punkt, dessen Erforschung freilich auch den mühevollsten Theil des ganzen Geschäftes bildet, die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Denn die Anstrengungen eines Wetstein,2 Van Willes,3 Joh. Daniel Schulze,4 David Schulz5 waren theils von wenig Bedeutung, blie ben aber jedenfalls vereinzelte und fragmentarische Ansätze. Bahnbre chende Verdienste auf unserem Gebiet erwarb sich der sachsen-alten- burgische Landpfarrer Christoph Gotthelf Gersdorf, von Gries- bach aufgemuntert. Sein Werk6 liefert für unsere synoptischen Evan gelisten eine nicht unansehnliche Ausbeute. Zum erstenmal setzte er sich das ausschliessliche Ziel vor Augen, zu beobachten, was den Einen von dem Andern unterscheide sowohl im Gebrauche oder Nichtge- brauche gewisser Wörter, Wortformen und Phrasen, wie auch in der 1) Die Evangelien, ihr Geist u. s. f. S. 265. — 2) Novum Testamentum, I, S. 551 . 3) Specimen hermeneuticum de iis quae ab uno Marco sunt narrata, 1811. ¦ — ¦ 4) »Ueber den schriftstellerischen Charakter und Werth des Marcus« bei Keil und Tzschirner: Analekten, II, 2, 1814, S. 104—151. II, 3, 1815, S. 69—132. III, 1, 1816, S. 88 — 127. — 5) Wachler: Theologisches Journal, 1817, S. 940ff. — 6) Bei träge zur Sprach-Charakteristik der Schriftsteller des Neuen Testaments, eine Samm lung meist neuer Bemerkungen, I, 1816. — Der zweite Theil konnte nicht erscheinen. 272 Viertes Capitel. Bedeutung, Stellung, Verbindung und Aufeinanderfolge derselben. Dabei hatte er aber auch das richtigste Urtheil über die weitgreifende Bedeutung dieser scheinbaren Kleinigkeitskrämerei; und es verdient heute noch wiederholt zu werden, was Gersdorf der, leider nur allzu lang herrschend gebliebenen, Verachtung solcher Studien gegenüber sagt: »Kleinigkeiten sind es, wodurch man in den Stand gesetzt wird, die Schriftsteller des N. T. genauer zu unterscheiden, das Aechte vom Unächten in ihren Schriften schärfer zu trennen und sich durch Interpolationen und Glosseme nur schwerlich täuschen zu lassen. « Er wusste, »dass Dasjenige, welches man die Schreibart eines Menschen nennt, eine Zusammentreffung von tausend feinen Dingen sei, und dass es wunderbar schwer sei, Alles zugleich nachzuahmen. « »Die höhere Kritik ist das unnützeste Ding von der Welt, wenn sie nicht, sie mag nun entweder bisher gültige Schriften für unächt erklären, oder bisher ungültige für acht, vornämlich durch ein sorgfältiges Stu dium der Sprachcharakteristik geleitet wird, cc1 Bei dem Mangel an Hülfsmitteln und der, anfänglich unüberseh bar scheinenden, Fülle des Stoffes, besonders aber bei den elementaren Vorstellungen, die Gersdorf von den Verwandtschaftsverhältnissen der Synoptiker besass, ist es begreiflich, dass er nicht blos sehr Vieles für charakteristisch ansah, was keineswegs darauf Anspruch machen kann, es zu sein, sondern auch dass er manche Eigenthümlichkeit blos als die des Matthäus oder des Lucas auffasste, die vielmehr auf Rech nung des Marcus oder der Quellen zu setzen ist, wie sich Dies Gers dorf selbst auch nicht verhehlt: »Auch Manches von Dem, was den drei ersten Evangelisten oder nur zweien von ihnen gemein ist, darf ursprünglich als Eigenthümlichkeit eines Einzigen angesehen werden.«2 Immerhin bedurften die ordnungslos zusammengetragenen Mate rialien Gersdorfs einer, mit richtigerer Werthschätzung der kriti- tischen Autoritäten vorgenommenen, 3 strengen Sichtung. In dieser Be ziehung hat sich, nachdem auch Kost er4 und De Wette5 die Sache berührt, ein weiteres Verdienst Credner erworben, wenn auch frei lich seine meist aus Gersdorf gemachten Zusammenstellungen zu un vollständig, compendiarisch , hier und da auch ein wenig ungenau, für unsere Zwecke aber um des Mangels der Parallelstellen willen ganz un zureichend sind.6 Ganz ist diese Seite der Sache schon von Schleier macher vernachlässigt worden,7 wie sie denn namentlich auch die 1) S. 13 — 15. — 2) S. 11. — 3) Vgl. Eritzsehe: Ev. Matthaei rencensuit, S. 850 f. — 4) Immanuel, 1821, S. 72 ff. — 5) Studien und Kritiken, 1828, S. 789— 791. — 6) Einleitung, 1836, S. 63-67. 102-105. 132—142. — 7) Briefwechsel mit Gass, S. 140. — Auch seine »Einleitung« S. 367 äussert sich hierüber keineswegs befriedigend. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 273 schwächste Partie in der sogenannten Tendenzkritik bildet. Nur aus weit gehender Nichtbeachtung des philologischen Theils der Arbeit kann es erklärt werden, wie trotz aller, augenscheinlichen oder tiefer liegenden, Indicien des Styls und Wortvorraths ein, in der Phantasie aufsteigendes, Tendenzphänomen hinreicht, um kurzer Hand auseinan derzuschneiden, was sprachlich gar nicht zu trennen ist, und zusam menzuschieben , was sich fliehen muss ; oder wenn gelegentlich doch hier und da bemerkte Eigenthümlichkeiten in sprachlicher Beziehung mit raschem Witz aus dem Lexikon der Parteisucht erklärt werden, ohne dass man es nur der Mühe werth findet, sie noch ein Paar Schritte weit zu verfolgen, um aus anderen Stellen die Probe zu machen. Selbst Baur sind in dieser Beziehung arge Versehen begegnet. Er bemerkt, dass in den fünf Capiteln Lc. 5 — 9 einigemal die Anrede iniaxäxa vorkommt. Nun werden wir aber das Wort intardxrjg als einen von den vielen, dem Lucas eigenthümlichen, Ausdrücken kennen lernen, durch welche er die Sprachfarbe von A variirt hat ; und zwar kommt intaxd- xrjg bei Lucas 4mal vor an der Stelle des öiödaxaXog oder 'Paßßl in A, aber auch sonst noch 2 mal in freien Bildungen des Lucas^ Es hat da mit so wenig etwas Besonderes auf sich , wie etwa mit der andern Ei genthümlichkeit, dass Lucas das galiläische Meer Xifivrj, und nicht dd- Xaaoa nennt. Baur aber, nachdem er eben die gleichfalls irrige (§.25) Ansicht vorgetragen, dass Lucas die zwölf Jünger bei jeder Gelegen heit zu degradiren suche, ist flugs bei der Hand, auch durch jenen Ausdruck ein Verhältniss bezeichnet zu finden, »in welchem die Zwöll Jesu, als einem ihnen noch innerlich fremden Gebieter, wenn nicht in knechtischer Furcht, doch in scheuer Ehrfurcht gegenüberstanden.«1 Aehnlich spürt Hilgenfeld in dem oiwna nscpiftwao Mr. 4, 39 einen bezeichnenden Fortschritt aus über die Einfachheit des Matthäus hin aus. 2 Wir werden aber sehen, dass die, neben die Affirmation hinzu tretende, Negation ein wiederkehrendes Merkmal der ursprünglichsten Darstellung ist, wie es sich besonders bei Marcus, in einzelnen Fällen aber auch sonst noch erhalten hat. Dass solche Versehen den Meistern begegnen konnten, thut ihrem Ruf keinen Eintrag. Dass aber bis zur Stunde es nicht an Solchen fehlt, die in derartigen kühnen Griffen den Triumph einer »acht geschichtsmässigen Auffassung des Urchristen- thums « erblicken, ist ein Uebelstand, dem erst dann abgeholfen werden wird, wenn die Historiker vom Fach noch mehr, als bis zur Stunde der Fall ist, eingesehen haben werden, dass die Erforschung des Urchri- stenthums einen ungleich schwereren gelehrten Apparat erfordert , als er aus aUgemeinen Ideen von Mythus und Tendenzliteratur zu gewin- 1) Evangelien, S. 469. — 2) Evangelien, S. 134. Holtzmann . -1 0 274 Viertes Capitel. nen ist. — Uebrigens hat Zell er das Seine gethan, um diesen wun den Fleck der Tübinger Arbeit zu decken. So unzureichend seine Er örterungen über den Sprachcharakter des Marcus noch sind , so hat er doch nach dem Vorgang May er ho ff 's1 aufs sorgfältigste den dritten Evangelisten, dessen paulinische Sprachfarbe schon der »sächsische Anonymus v erwiesen hatte,2 behandelt und die Untersuchung über diesen Theil unserer Aufgabe im Wesentlichen beschlossen.3 Denn was später Lekebusch in dieser Beziehung geleistet hat, kommt desshalb für uns kaum in Betracht, weil der ganze Katalog blos im Interesse der Apostelgeschichte in ihrem Verhältnisse zum Evangelium, nicht aber des Evangeliums in seinem Verhältnisse zu den übrigen Synoptikern gefertigt ist. 4 Noch darf nicht übergangen werden das bedeutende Verdienst, das sich Wilke auch in dieser Beziehung erworben hat. Er hat durch eine, die drei Texte Abschnitt für Abschnitt verfolgende, mühsame Untersuchung das, von Gersdorf eigentlich nur auf die beiden ersten Capitel des Matthäus und Lucas ausgedehnte, Werk vollendet und die schriftstellerische Selbstständigkeit der drei Evangelisten zur Evidenz erhoben. Die sprachvergleichenden Bemerkungen durchziehen übrigens sein ganzes Werk und sind höchst schätzbar. 5 Nimmt man nun noch hinzu, was Hitzig, indem er das zweite Evangelium mit der Apoka lypse vergleicht, zugleich in Beziehung auf Wortvorrath, Sprachge brauch und Syntax des Marcus, ° was andererseits Weiss in letzter Zeit zur Charakterisirung des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Mat thäus und Marcus geleistet hat,7 so gewinnt man einen Ueberblick über die reichlichen Vorarbeiten, wodurch aber unsere eigenen nachträglichen Forschungen keineswegs überflüssig geworden sind; schon desswegen nicht, weil gerade die genauesten und ausführlichsten dieser Arbeiten die Sache in einem anderen Interesse, als dem der Aufklärung der synoptischen Frage behandelten. Ueberhaupt aber können unsere eigen thümlichen Behauptungen über das synoptische Verhältniss nur Stand halten, wenn sie sich, als durch eine genaue philologische Untersuchung begründet, ausweisen. Als eine Probe für unser ganzes Resultat reihen wir demnach die 1) Einleitung in die petrinischen Schriften, 1835, S. 22— 29. — 2) Die Evange lien, ihr Geist, ihre Verfasser u. s. f. S. 259 ff. — 3) Theologische Jahrbücher, 1843, S. 445 ff. 527 ff. 1851, S. 96 ff. 254 ff. Das Wesentliche bezüglich des Lucas ist zu sammengefasst in dem Werk : Die Apostelgeschichte nach ihrem Inhalt und Ursprung kritisch untersucht , 1854, S. 387— 399. 414 — 425. — 4) Composition und Entstehung der Apostelgeschichte, S. 37 — 74. — 5) Vgl. ausser dem »Urevangelisten« (fast auf jeder Seite) noch seine »Neutestamentliehe Rhetorik,« 1843, S. 435 — 459. — 6) Joh. Mar cus, S. 67- 117. — 7) S. 57 ff. 66. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 275 folgenden Untersuchungen über den Sprachgebrauch hier ein; und zwar wird sich daraus ergeben : 1) Dass allen drei Synoptikern die Quelle A, dem Matthäus und Lucas überdies noch die QueUe A zu Grunde liegt, welche beide Quel len besondere Sprachgebiete darstellen. 2) Dass aber überdies jeder einzelne Evangelist seinen eigenen Styl hat, welcher sich gleichmässig durch Erzählungen, wie durch Reden zieht. Beide Partien sind also gleichmässig bearbeitet; und zwar zeigen auch 'hinsichtlich der Reden am meisten schriftstellerische Thä tigkeit Matthäus und Lucas , welche die beiden Hauptquellen combi- niren. 3) Dadurch ist die ältere Meinung beseitigt , als seien die Synop tiker blose Copisten eines Urevangeliums ; vielmehr sind sie Bearbeiter mit selbstständigem Sprachgebrauch. Keiner gibt die Quelle A oder A ohne Weiteres wieder. 4) Insonderheit ist hiermit zu Fall gebracht die Griesbach'sche Hypothese, da sonst der Epitomator die schriftstellerischen Eigenthüm lichkeiten des Matthäus und Lucas bis in's minutiöseste Detail herein immer consequent aufgespürt und ausgelassen haben musste. 5) Aber auch von einer blosen Aneinanderreihung von Denk schriften kann nicht mehr die Rede sein. Vor Allem also ist das dritte Evangelium nicht aus verschiedenen Diegesen componirt, wie Schlei ermacher wollte. Selbst Ewald's künstliche Quellentheorie schei tert an einer genaueren philologischen Untersuchung, die ergibt, dass die Quellen nie unverarbeitet blieben, sondern eine weit gehende Selbstständigkeit der Redaction anzunehmen ist. 6) Gibt es schriftstellerische Eigenthümlichkeiten im Detail des Ausdrucks, so werden wir auch berechtigt sein, solche anzunehmen be züglich der Anordnung des Stoffes , ja des Inhaltes selbst. Wir werden hier besonders solche Fälle von Bearbeitung der Quelle A verzeichnen, die auf besonderer geistiger Organisation, auf eigenthümlicher Weise, sich einen Vorfall zu vergegenwärtigen, oder Gelesenes aus dem fri schen Gedächtniss zu reproduciren, beruhen. II. Vergleichung der parallelen Texte. Eine eingehen dere Vergleichung der Sprache und des Ausdrucks lässt unsere Synop tiker der Hauptsache nach als Variationen einer und derselben Quelle erscheinen, und zwar lassen diese Abwandlungen sich in Folgendem nachweisen : 1) Wechsel synonymer Ausdrücke, z. B. in der Parabel vom Säe mann hat Marcus aaxaväg (wie hier und da auch die Andern), Matthäus novrjqög, Lucas öiäßoXog (wie hier und da auch Matthäus) ; ferner Mar 18* 276 Viertes Capitel. eus ol ansiqöfievoi, Matthäus b anaqsig, Lucas xö nsaöv. Oefters be ruht dieser Wechsel auf Reflexion, wie z. B. Marcus 1 0, 29 von Resig nation svsxsv sfiov xal xov svayysXiov die Rede ist, während Matthäus 19, 29 setzt svsxsv xov övöfiaxög fiov , Lucas 18, 29 evexev xfjg ßaai- Xeiag xov deov. 2) Wechsel in der Wahl der Bezeichnung von Personen. So gleich 'irjaovg Xqtoxög, der spätere solenne Name, findet sich zwar in der Apostelgeschichte häufig , aber doch nicht einmal bei Lucas, sowenig wie bei den andern Synoptikern (Mt, 1 , 1 8 ist Variante) , abgesehen von dem, den späteren Standpunkt des Erzählenden verrathenden, Titel Mr. 1,1= Mt. 1, 1. Sonst sagt A, und sagen die Synoptiker in der Regel 6 'Irjaovg. Nur dann bleibt der Artikel weg, wenn 'irjaovg durch einen Zusatz näher bestimmt wird, z. B. Mr. 1, 9. 10, 46. 16, 6. Von dieser Regel weicht aber Matthäus hier und da einmal ab, wie 26, 51, was sich wenigstens 29, 30 erklärt aus der Weglassung von b Nataqrj- vög Mr. 10, 47 = Lc. 18, 37. — Ausser 6 'irjaovg gebraucht übrigens A hier und da auch 6 Xqtoxög als Amtsnamen, Mr. 8, 29 = Mt. 16, 16 = Lc. 9, 20. Mr. 12, 35 = Mt. 22, 4*2 = Lc. 20, 41, welchen Sprach gebrauch Matthäus sich angeeignet hat, vgl. 1, 17. 18. 2, 4. 11, 2. Er geht aber noch über die Ausdrucksweise von A hinaus, indem er die Composition bildet 'Irjaovg b Xsyöfisvog Xqtoxög 1, 16. 27, 17. 22 — wie andererseits Lucas die Bezeichnung 6 xvgiog, was bei den Andern nur in der Rede vorkommt, auch in die Geschichtserzählung eingeführt hat, vgl. 7, 13. 10, 1. 11, 39. 12, 42. 13, 15. 17, 5. 6. 18, 6. 22, 31. 61. Wie aber Matthäus aus A sich die Bezeichnung 6 Xqiaxög angeeig net hat, indem er den Amtsnamen in einen Eigennamen umwandelte, so thut er auch mit dem Ausdrucke 6 viög Javiö , der in A selten, und stets genau motivirt, vorkommt Mr. 10, 47. 48 = Mt. 20, 30. 31 = Lc. 18, 38. 39. Mr. 12, 35. 37 = Mt. 22, 42. 45 = Lc. 20, 41. 44. Dies wird aber bei Matthäus zum Lieblingsausdruck, vgl. 1, 1. 20. 9, 27. 12, 23. 15, 22 (nicht Mr. 7, 26). 21, 9 (nicht Mr. 11,9 = Lc. 19, 38). 15. Petrus, mit oder ohne Artikel, heisst in A constant lifiwv bis 3, 16, dann mit der charakteristischen Ausnahme 2lftwv xadsvöstg 14, 37 immer Petrus, während Lucas abwechselnd Ilixqog sagt und 2iftwv. x Matthäus aber hat den letzteren Namen nur 17, 25, sonst aber auch 2iftwv b Xeyöfievog Ilixqog 4, 18. 10, 2 und einmal 16, 16 Siftwv Ilsxqog. 1) Die Unterscheidung Zeller's (Apostelgeschichte, S. 441) lässt sich nicht durchführen, da Lucas fast immer in der Benennung des Apostels von seiner Quelle abhängig ist. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 277 In der Bezeichnung der Jünger wechseln Matthäus und Marcus mit den Benennungen ol öwösxa (besonders Marcus) , ol öwösxa fia drjxai, ol fiadrjxai, dagegen hat jeder nur einmal den Ausdruck anö- axoXoi (Mr. 6, 30. Mt. 10, 2), den wir dafür Lc. 6, 13. 9, 10. 11, 49. 17, 5. 22, 14. 24, 10 aufgenommen finden. 3) Wechsel in der Stellung, die ein bestimmtes Wort im Satzge füge einnimmt, woraus unter Umständen geradezu eine Umstellung der Perioden folgt. Die gemeinsame Opposition je der beiden Andern ge gen den Dritten beweist, dass wir es hier mit Resultaten individueller Textbearbeitung zu thun haben. So hat Lucas 8, 1 2 das alqst xöv Xöyov mit änb xfjg xaqöiag aixwv verbunden, während A Mr. 4,15= Mt. 1 3, 19 zu xöv Xöyov den Zusatz xöv ionaq/iivov slg avxovg hatte; ferner hat er in der eschatologischen Rede aus dem eig fiaqxvqiav avzolg A Mr. 1 3, 9 = Mt. 24, 14 den Satz gemacht 21, 13 änoßijaexai ös vfiiv eig fiag xvgiov, und das oxav öi 'iörjxs xö ßösXvyfia xfjg iqrjfiwoswg A Mr. 13, 14 = Mt. 14, 15 kommt 21, 20 wieder in dem oxav öi 'iörjxs — yvwxs oxi rjyyixsv rj iqfjftwoig zum Vorschein. Für Umstellung von ganzen Sätzen aber vgl. Lc. 8, 21 , wo die Folge A Mr. 3, 35 = Mt. 12, 50 baxig av noifj — ovxog iaxiv invertirt ist in ovxoi sioiv ol noiovvxsg. — Aehnlich verfährt aber auch Matthäus, wenn er 12, 4 xoig fisx' aixov, das A Mr. 2, 26 = Lc. 6, 4 zu söwxev gehört, mit oi5jc ig~öv verbindet; aus A Mr. 10, t4 = Lc. 18, 16 acpeze xd naiöia sqyeadai nqog fii xai fifj xwXvsxs avxd macht 19, 14 acpsxs xd naiöia xai fifj xwXvsxs avxd iXdslv nqog fii, oder wenn er aus dem b 7tqcöxog sXaßsv yvvaixa xal oix äcpfjxsv aniqfia AMr. 12, 20 das dcpijxsv zwar beibehält, aber in folgender Verbindung Mt. 22, 25 fir) eywv aniqfia äff/xsv xfjv yvvaixa aixov. Aus dem zweiten Evangelium gehört hierher das et fifj 'g]äßöov ftövov 6, 8, das aus firjöi qaßöovg A Mt. 10, 10 = Lc. 9, 3 geworden ist (S. 82 f.), und das ovxoi siaiv ot 4, 16 für A Mt. 13, 20 = Lc. 8, 13 ot de — ovxoi siaiv. 4) Wechsel im Ausdruck des Satzes. So hat Mt. 21 , 26 das icpo- ßovvxo xöv Xaöv in die Rede herübergenommen und cpoßovftsda xöv oxXov daraus gemacht. Lucas aber 20, 6 hat an die Stelle dieser Phrase b Xaög anag xaxaXiddösi fjftäg gesetzt, gerade wie er Act. 5, 26 die Verbindung macht icpoßovvxo yaq xöv Xaöv, — 'iva fir) Xidaodwotv1. So sagt Mr. 14, 54 o Tlixgog rjv avyxadrjfisvog fisxd xwv vnrjqsxwv, Mt. 26, 58 sy.ddrjxo fisxd xwv vnrjqsxwv, Lc. 22, 55 ovyxadiaävxwv ixddrjxo b Ilixqog fisoog aixwv. 5) Einfügung erläuternder Zusätze. So Marcus 2, 25 oxs xgsiav sayß und 15, 21 xöv naxiga'AXsg'ävögov xai' Poicpov ; ferner Mt. 16, 21 1) Wilke, S. 396 f. 278 Viertes Capitel. äneXdelv slg'lEgoaöXvfia und 19, 13 xai nqoasv^rjxai ; ferner Lc. 8, 15 iv xaqöia xaXfj xai äyadfj und 21, 8 xai 6 xaiqog rjyyixe. Nachdem A Mr. 12, 27 Jesu Worte oix saxiv dsög vsxqtSv äXXd "QÜvxwv referirt waren, fügtMt. 22, 33 eine Notiz ein, die den Eindruck derselben auf das Volk beschreiben soll, Lc. 20, 38 fügt eine, begründende Formel bei navxsg ydg aixcp "Qwaiv, Marcus aber schliesst die Rede mit noXv nXaväads ab. 6) Dieselben Worte erscheinen in verschiedener Abwandlung. So zuweilen schon bei Marcus, z. B. 8, 36 xi wcpEXfjasi (statt xi wcpsXElxai); mehr aber bei den Anderen. Vgl. Lc. 9 , 4 xai sxsldsv i^iqxsads statt swg av ii-iXdrjxs ixsldsv. 20, 24 xivog exei sixöva statt xivog fj sixwv avxrj. 22, 34 oi qpwvrjosi äXixxwq swg änaqvrjarj statt nqiv äXixxoqa cpwvfjaai änaqvrjarj. Mt. 12, 4 o!>g ovx s§öv rjv für ovg ovx s^saxi. 19, 29 näg Xrjfiipsxai statt oiösig idv fir) Xäßrj. 22, 24 xai ävaaxrjosi statt iva xai ig~avaoxrjarj. 24, 14 xrjqvxdrjasxai statt ösl xrjqvxdfjvai. 22 skXo- ßwdrjoav ai fjfiiqai vielleicht statt ö xvqiog sxoXößwas xdg fjftiqag. Aus der beschriebenen Sachlage erhellt auf jeden Fall Dieses : Alle Synoptiker (also auch Marcus) beweisen durch ihren Sprachgebrauch, dass sie einen, ausserhalb sowohl des Matthäus, als des Marcus, als des Lucas liegenden, bestimmten Text vor sich haben, dem sie bald bis auf's Wort folgen, bald untreu werden in der Wiedergabe des Ausdrucks. Beispiele : 1) Matthäus. Schon S. 12 haben wir aufmerksam gemacht auf die merkwürdige Uebereinstimmung hinsichtlich des doppelten et de firj Mr. 2, 21. 22 = Lc. 5, 36. 37. Während es aber Marcus und Lucas beidemal haben, hat Matthäus im ersten Falle zuerst eine selbstständige Reproduction versucht mit a'iqsi yaq xö nXrjqwfta 9,16, während er im zweiten Fall das Original stehen liess 9, 17. Jenes yaq tritt nun zwar etwas störend in den engen Zusammenhang der beiden Verse herein, aber es gehört nun einmal ein derartiges Hereinschieben von yäq zu dem eigenthümlichen Styl des Matthäus (vgl. 9, 5. 24. 12, 8. 13, 12. 15, 2. 28, 5). 2) In der eben erwähnten Perikope kann aber Lucas ebenso wenig, als Matthäus, den ursprünglichen Text darbieten, welcher (A Mr. 2, 13 — 22) sowohl ausserhalb des Lucas, wie des Matthäus liegt. Denn wenn dieser 9, 13 erweitert, so thut Dies Lucas auch, aber an der andern Stelle 5, 39. Jeder aber schliesst die Zuthat des Andern von seinem Text aus ; derlei Beispiele gibt es aber viele. x 3) Marcus. Hinsichtlich seiner haben wir schon S. 6 1 f. 1 1 0 f. Verzeich nisse von Stellen gegeben, die seine Abweichungen von einem ihm vor- 1) Vgl. Wilke, S. 391. Der Sprachcharakter der Synoptiker.- 279 Hegenden Original constatiren. Nach dieser Thatsache ist Weisse's Kanon zu modificiren: »In denjenigen Partien, welche alle drei Synop tiker gemeinschaftlich haben , ist die Einstimmung der beiden andern immer eine durch Marcus vermittelte : d. h. die beiden andern stimmen in diesen Partien, sowohl was die Anordnung im Ganzen, als was die Wortfügung im Einzelnen betrifft, immer nur insoweit unter sich zu sammen, als sie auch mit Marcus zusammenstimmen; so oft sie aber von Marcus abweichen, weichen sie, einige unbedeutende Weglas sungen ausgenommen, wo das Zusammentreffen als zufällig (?) an gesehen werden kann, jederzeit auch gegenseitig von einander ab. k1 4) Nur so erklärt es sich, dass wechselweise je Zwei in der Wahl eines Ausdrucks gegen den Dritten übereinstimmen. So hatMt. 10, 39. 16, 25 svqrjosi gegen das aoiasi der beiden Andern, hatLc. 19, 46 iaxiv oder saxai gegen das xXrjdrjosxai der Andern, und hat endlich Mr. 6, 1 1 xöv xovv gegen das gemeinschaftliche xöv xovioqxöv der Andern. 5) Nur so erklären sich aber auch die Stellen, wo alle Drei diffe riren. So z. B. in der Erzählung von Jesu Verwandten (A, Nr. 20) stehen die Worte fj ftrjxrjq xai ol aösXcpoi aov si;w fest, aber als Prädi cat hierzu setzt Matthäus saxrjxaai "Qrjxovvxig ooi XaXfjoai , Lucas soxfj- xaai lösiv os diXovxsg , Marcus "Qrjxovai ae , wo offenbar der Ausdruck des Matthäus die andern erklärt (Marcus hat das Suchen, Lucas das Stehen beibehalten). Ebenso hat Matthäus das Ursprüngliche in der Parabel vom Säemann (A, Nr. 21), wenn er den verschiedenen Samen mit dXXo bezeichnet, wofür Marcus aXXa, Lucas sxsqov setzt (Marcus änderte den Numerus, aber nicht das Wort, Lucas das Wort, aber nicht den Numerus). Dagegen findet gerade zwischen Matthäus und Marcus das umgekehrte Verhältniss statt (A, Nr. 58) Mr. 12, 4 aXXov öovXov, Mt. 21, 36 dXXovg öovXovg, Lc. 20, 11 sxsqov öovXov. Ebenso bietet in der oben erwähnten Parabel Marcus die Grundlage für die beiden Andern, wenn er in der Anwendung o'ixivsg äxovovoiv einführt, wofür Lucas o'ixivsg äxovaavxsg, Matthäus 6 äxovwv setzt; ebenso wenn Mar cus sagt xöv Xöyov xöv ianaqfiivov , Matthäus xö ionaqfisvov, Lucas xöv Xöyov. Wieder anders ist es in der Geschichte von der Heilung des Paralytischen (A Nr. 11), wo Marcus xqdßßaxov, Matthäus xXivrj, Lucas (xXivrj und) xXiviöiov hat, wo ohne Zweifel Lucas den, auch sonst zu Deminutivformen neigenden, Urtext gibt und Marcus wieder lati- nisirt (§. 26). 6) Auch in der Umstellung der Sätze und in der Auswahl der , sie bildenden , Worte findet dasselbe Verhältniss statt. So sind z. B. die Parallelen Mr. 1, 7. 8 = Mt. 3, 11 = Lc. 3, 16 nicht anders, als unter 1) Evangelische Geschichte, I, S. 72 f. 280 Viertes Capitel. Zugrundelegung eines gemeinsamen Textes zu erklären. Denn Marcus weicht von den beiden andern ab', indem er das iyw ißänxioa vfiäg vöaxi dem Inhalt von 7 nachsetzt; Matthäus weicht ab, indem er das sqxsxai b laxvqöxsqög fiov öniaw fiov verwandelt in b ös oniaco fiov iqxöftsvog laxvqöxsqög fiov iaxiv; Lucas weicht ab, indem er das oniaw ftov auslässt. Im Allgemeinen wird aus diesen Darlegungen hervorgehen , dass constante schriftstellerische Manieren in der Art der Reproduction von A sich bei allen Dreien finden ; und zwar zeigt Marcus die geringste Kunst im Erzählen , wie er auch im Griechischen am ungeübtesten ist und, wo er selbstständig schreibt, wie 7, 3. 4, leicht den präcisen Aus druck verfehlt. Hingegen theilen sich die beiden Andern in die, bei ihm vermissten, Vorzüge so, dass Matthäus die meiste Uebung im Erzählen zeigt, während Lucas, wenigstens öfters da, wo er selbstständig schreibt, eine gute griechische Form besitzt. Das Körnige, Ungefeilte, Correcte von A ist fast durchgängig in Marcus wieder zu erkennen , während Matthäus conciser, Lucas bei allem Streben nach Verkürzung doch oft breiter darstellt. Beide haben mehr Perioden, als Marcus, dessen Satz bau sich fast ausnahmslos getreu an A hält. Als populäre Autoren sind aber auch die beiden Andern in Beziehung auf ihren Sprachgebrauch durch ihre Quellen beeinflusst, deren Styl sie in verschiedenen Ab schnitten in verschiedenem Maasse angenommen haben. Keineswegs also erscheinen sie als Herren und Meister eines eigenen Styls in dem Maasse, dass derselbe dem von A durchweg und gleichmässig Wider stand hätte leisten können. x III. Die Quelle A. Das Meiste von Dem, was gewöhnlich zum Sprachgebrauch des Marcus geschlagen wird, eignet mehr oder weniger allen Synoptikern , wiewohl die beiden Seitenreferenten dabei hinter Marcus zurücktreten ; es stellt somit den Sprachgebrauch von A dar, als dessen Charakter populäre und nachdrückliche Umständlichkeit gelten kann. 1) Diese Umständlichkeit2 der Relation gibt sich insonderheit zu erkennen in dem eigenthümlichen Echo, welches die Reden Jesu in ge wissen Zwischen- und Vorbemerkungen finden , die zum eigensten Styl in A gehören;3 als z. B. das dvixqa^sv Mr. 1, 23 = Lc. 4, 33, welches auf cptfiwdrjxi Mr. 1, 25 = Lc. 4, 35 vorsieht; das idv diXrjg xadaqi- aai Mr. 1, 40 = Mt. 8, 2 = Lc. 5, 12 verglichen mit diXco xadagi- odrytt Mr. 1, 42 = Mt. 8, 3 = Lc. 5, 13; das äcpswvxai aov al dfiaq- 1) Hitzig: Johannes Marcus, S. 30. — 2) Weiss, S. 61S. — 3) Wilke: Rhe torik, S. 436 ff. Der Sprauhcharakter der Synoptiker. 281 xiai Mr. 2, 5 = Mt. 9,2 = Lc. 5, 20 verglichen mit xig övvaxai äcpiivai dfiagriag Mr. 2, 7 = Lc. 5, 21 (anders Mt. 9, 3) und i£ov- aiav s'xsi äcpiivai dftaqxiag Mr. 2, 10=Mt. 9, 6=Lc. 5, 24. Derselben Eigenschaft von Averdankt man an diesem Orte Mr. 2, 9. 11 . 12 auch das dreimalige aiqsiv xöv xqdßßaxov. Beweist die Uebereinstimmung in die sen Stellen, dass die fragliche Eigenschaft wirklich der Quelle A ange hört, so zeigen andere Parallelen, dass Marcus auch in dieser Beziehung sich treuer an A hält, als Matthäus und Lucas; z. B. 2, 16 iöövzsg ai xöv iadiovxa ftsxd xwv aftaqxwXwv xai xsXwvwv sXsyov oxi fisxd xwv äfiaqxwXwv xal xwv xsXwvwv iadisi xai nivsi (einfacher dagegen Mt. 9, 11. Lc. 5, 30) und 2, 18 ol fiadrjxai 'Iwdvvov xal ol Oaqiaaloi fjaav vrjoxevovxsg xal Xsyovoiv öta xi ol fiadrjxai' Iwdvvov xal ol fiadrjxai xwv (Daqioaiwv vrjoxsvovaiv, ol öi aol fiadrjxai oi vrjoxsvovaiv (einfacher, wiewohl differirend drücken Mt. 9, 11 und Lc. 5, 33 die Sache aus. Damit ist denn also die S. 73 ausgesprochene Wahrscheinlichkeit, dass hier Marcus A hat, bestätigt). — Als fernere Beispiele für die Regel sind anzuführen die Stellen Mr. 2, 24 =Mt. 12, 2 notovaiv (Lc. 6, 2 noislxs) verglichen mit Mr. 2, 25 = Mt. 12, 3 = Lc. 6, 3 ovx äviyvwxs xi snoirjasv. Mr. 3, 2 = Mt. 12, 9 xoig oäßßaoiv (Lc. 6, 7 xcp aaßßdxcp) verglichen mit Mr. 3,4= Mt. 12, 12 (Lc. 6, 9). Man halte noch zu sammen mit den Nebentexten Mr. 3, 22 = 23 (Matthäus und Lucas anders). 32 = 33 (Matthäus folgt). 5, 28 = HO (Lucas drückt nur das eine, Matthäus nur das andere anxsadai xwv ifiaxiwv aus). 5, 38 = 39 (Lucas folgt). 6, 3 = 4 (die Familie doppelt auch bei Matthäus er wähnt). 22 = 25 (ähnlich Matthäus) . 6, 35 (die doppelte wqa nohXfj bei Matthäus halb, bei Lucas ganz verwischt). 48 = 49 (risqinaxslv ini xfjg daXdaarjg). 7, 7 = 8 (xwv ävdqwnwv). 27 = 28 (xd xvvdgia). 7, 32 = 33 (Händeauflegen). 8, 1 = 2 (fifj s'xovatv xi cpdywatv). 4. 8 (yogxdoai). 14 = 16 (kein Brod). 8, 22 = 23 (Anrühren). 9, 9 = 10 [dvaaxfjvai). 11 = 12 (sXdslv). 14 = 16 (ovtfixslv). 10, 2 = 4 (äno- Xvaai). 13 = 16 (Anrühren). 17 = 18 (äyadög). 22 = 23 (xxrjfiaxa s'xsiv). 32 = 33 (ävaßaivsiv). 35 = 36 (diXsiv fis notfjoat vfiiv). 37 = 40 (öovvai). 38 = 39 {övvaodai). 11, 28 = 29 (iv noiq s£ovola). 12, 14 = 17 (öovvai). 16 = 17 (xaioaqog). 28 = 29 (nqwzrj). 29. 30 = 32. 33 (anders Matthäus). 41 = 43 = 44 (ßdXXsiv). 13, 1 =2 (XI- dog). 4 = 7 (xiXog). 1-1, 5 = 7 (nxwxoi). 12 = 15 (sxoifid^siv). 27 = 29 (axavöaXitsadai). 35 = 41 (r) wqa rjXdsv). Eine besondere Gattung dieser eigenthümlichen stylistischen Bil dungen in A bilden solche Stellen, die den Erfolg als der Ursache, der Absicht, dem Entschluss gemäss darstellen. Wenn nämlich gesagt wird, dass etwas geschehen solle, so wird Dies, dass es auch wirklich geschah, nicht blos regelmässig notirt (z. B. 3, 13. 4, 39), sondern ge- 282 Viertes Capitel. wohnlich auch mit denselben Worten ausgedrückt. * Vgl. das öniaw 1, 17. 18. 20, das ii-iqysodai 1, 25. 26, das xrjqvoasiv 1, 38. 39 ; ferner das doppelte xadaqi^sodai 1, 41. 42 (= Mt. 8,3), das doppelte iysi- qsiv 2, 11. 12 (= Mt. 9, 6. 7), das von beiden Nebentexten beibehal tene doppelte äxoXovdslv 2, 14. Man halte noch mit den Nebentexten zusammen 3, 5. 5, 12 = 13. 27 = 28. 6, 31 = 32. 37. 56. 7, 29 = 30. 34 = 35. 8, 12. 9, 19 = 20. 10, 49. 51 = 52. 11, 2—6. 14, 12. 15=16. 44 — 46. Auch wird vor Fragen oder Aeusserungen, die durch einen äusseren Umstand veranlasst sind, dieser Umstand meist so ange geben , wie die Frage oder Aeusserung ihn ausdrückt. So z. B. das doppelte öiaXoyl^sodai 2, 6. 8, was Matthäus verwischt, Lucas noch verstärkt hat durch öiaXoyiaftoi, das doppelte xoig aäßßaaiv Mr. 2, 23. 24, wo Lucas das erstemal, Matthäus das zweitemal iv oaßßdxw setzen, ferner die doppelte Erwähnung der Schweineheerde 5, 11. 12, wo we nigstens Lucas vereinfacht hat. Man vergleiche noch mit den Neben - texten 5, 24. 31. 6, 14. 16. 7, 2. 5. 9, 33. 34. 11, 20. 21. Hierher gehören überhaupt alle diejenigen Erscheinungen, die man sonst als Verbindungen synonymer Ausdrücke, Tautologien des Marcus zu bezeichnen pflegt. Auch sie werden keineswegs immer von den Andern vermieden. Doch geschieht Dies z. B. 1 , 42 änfjXdsv an aixov fj Xinqa xai sxadaqiadrj , wo die Andern Mt. 8, 3 = Lc. 5, 13 sich in den doppelten Ausdruck theilen; 2, 19, wo blos Marcus dasselbe doppelt, nämlich in Fragform und ohne Fragform ausdrückt; 25 oxs ygsiav saxsv xal insivaasv (wonach die S. 73 offen gelassene Möglich keit zu beurtheilen ist). Im Uebrigen vgl. noch' 3, 7. 8. 4, 6. (= Mt. 1 3, 6). 30. 39. 40. 5, 12. 19. 23. 33. 6, 55. 56 (contrahirt Mt. 14, 35.36). 8, 15. 17 (= Mt. 16, 9). 39 (= Mt. 8, 26 = Lc. 8, 24). 12, 23 (= Mt. 22, 28 = Lc. 20, 33). 13, 9. 23. 33. 14, 18. 68. 71 (ävads- fiazi^siv xai öfivvstv = Mt. 26, 74). Durch diese Manieren sind die vielfachen Wiederholungen verursacht , als welche , ausser den bereits aufgeführten Beispielen noch zu notiren sind 3, 24 — 26 das dreifache ov övvaxai axfjvai, 4, 31. 32 das doppelte oxav onaqfj, 7, 36 das doppelte öiaaxiXXstv, 10, 27 das doppelte Tran« dscp, 11, 29. 30 das doppelte ärroxqidrjxi fioi, 12, 11 das dreifache öovvai, 12, 20 — 22 das drei fache ovx äcprjxsv (dipfjxav) aniqfia; endlich die nachdrücklichen Wie derholungen von 11, 18 in 12, 12, von 14, IS in 14, 22, von 14, 60. 61 in 15, 4. 5, von 15, 13 in 15, 14. Eine andere Quelle häufiger Wiederholung derselben Worte in A bildet die Gewohnheit, anstatt des relativen Pronomens, in welches Matthäus und Lucas öfters die Substantiva auflösen, in der Regel (was jedoch hier und da sich auch bei Matthäus und Lucas erhalten hat), das 1) Wilke, Urevangelist, S, 668 f. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 283 Substantiv selbst zu setzen, so dass in einem Verse von A dasselbe No men doppelt und dreifach stehen kann , was der Darstellung den Cha rakter des Schwerfälligen verleiht. Vgl. 1, 16. 34. 2, 19. 20 (= Mt. 9, 15 = Lc. 5, 35). 22. 27. 28. 3, 17. 24. 25. 4, 14. 15. 39. 5, 3. 4. 9. 37. 41. 6, 17. 18. 41. 7, 36 (hier zur Abwechselung auch das Pronomen dreimal hinter einander). 8, 12. 35 (= Mt. 16, 25 = Lc. 9, 24). 10, 13. 46. 13, 15. 14, 5. 67. Eine weitere Folge der Umständlichkeit besteht in dem Nebenein ander von Antecedens und Consequens, wie es so oft in A angetroffen wird. Vgl. 1, 15 (nsnXrjqwxai b xaiqog, fisxavoslxs). 18 (ätpivxsg xd öixxva rjxoXovdrjoav). 2, 12. 14. 3, 13. 7, 14. Eben so ist es zu beur theilen , wenn nach der Nennung eines Ganzen noch ein darunter be griffener Theil besonders genannt wird, wie z. B. ganz Judäa und alle Jerusalemiten 1, 5, die Jünger alle und Petrus 16, 7. Im Allgemeinen in dieselbe Classe von stylistischen Erscheinungen, die dem Ausdruck den Charakter der Umständlichkeit verleihen, gehört die Verbindung des Verbum compositum mit dem simplex (1, 29. 6, 1. 14, 16. 45), oder zweier Composita vom selben Stamm (1, 35. 2, 15. 6, 33), und der abundante Gebrauch von Composita in Wendungen wie i^sqxsadai i§ 1, 25. 26 und s£w 14, 68, ik*rjyayev 's%w 8, 23, ixjcoqsveiv e't;w 11, 19. Meistens, aber nicht immer, werden von den Andern ver mieden Pleonasmen, die besonders durch Erklärung von Adverbien veranlasst sind, wie öipiag ysvofiivrjg oxs söv b rjXtog 1 , 32, xöxs iv xfj ixsivrj fjftiqa 2, 20 (= Lc. 5, 35); vgl. 5, 5. 6, 25. 10, 30. (13, 11.) 14, 30. 43. Ebenso Abänderungen der Ortsbezeichnung, wie I, 28 (?). 38 (?). 6, 10. 7, 21. 8, 4. 7, 21. 23. 14, 9. 54. 66, und Abänderun gen in pronominalen Wendungen, wie ovxog ovxwg 2, 7 , ota xoiavxrj 13, 19, rjg avxfjg 7, 25, oder in Adverbien, wie ix naiöiödsv 9, 21 oder namentlich dnö fiaxqödsv 5, 6. 8. 13. 11, 13. 14, 54 (= Mt. 26, 58). 15, 40 (= Mt. 27, 35). Lucas schreibt an den beiden letztern Stel len fiaxqödsv, nur 16, 23 mit dnö. Damit hängt die Vorliebe zusammen, durch das hinzugefügte Ge gentheil die Aussage zu verstärken , was die beiden Anderen in der Regel vermeiden. So 1 , 22 (= Mt. 7, 29). 45 (= Lc. 5, 15. 16). 2, 27. 3, 26. 29. 4, 17 (= Mt. 13, 21 = Lc. 8, 13). 33. 34 (= Mt. 13, 34). 5, 26. 8, 33 (= Mt. 16, 23). 9, 25. 37. 10, 8 (= Mt. 19, 6). 11, 23. 12, 14 (= Mt. 22, 16 = Lc. 20, 21). 32. 14, 61. 15, 20 (i£s- övaav xai iviövaav). 16, 6 (= Lc. 24, 6) und sonst noch, wo aber oft nicht sowohl schriftstellerische Gewohnheit, als hebräischer Styl und Pointe der Sentenz vorliegt. ' 1) Vgl. Beispiele bei Credner : Einleitung, S. 105. 284 Viertes Capitel. Besonders häufig ist in A die Verbindung von zwei Negationen, welcher Redeweise aber auch die Andern keineswegs immer entgehen können. So das doppelte oiösig 1 6 , 8, oixixi ov firj 14, 25, firjösvi firjöiv 1, 44 (Mt. 8, 5 und Lc. 5, 14 lassen das Letztere weg), oix ovösig 3, 27. 5, 37. 6, 5. 12, 14. 14, 60. 61. 15, 4, ftrjxixi firjös 2, 2, oixixi ovösig 5, 3. 7, 12. 9,8 (die doppelte Negation hatte Einfluss aufLc.9, 31). 12, 34 (= Lc. 20, 40). 15, 5 (=Mt. 27, 14), firjxixi firj- ösig 11, 14 (hatte Einfluss auf Mt. 21, 19), besonders aber ov firj 9, 41 (= Mt. 10, 42). 10, 15 (= Lc. 18, 17). 13, 2 (=Mt. 24, 2). 19 (= Mt. 24, 21). 31 (= Mt. 24, 35 = Lc. 21, 33). 14, 31 (= Mt. 26, 35), fir) firjöi 3, 20. Ferner hat, was die Umständlichkeit in der ganzen Darstellung betrifft, Weiss ausser auf Mr. 1, 35 — 37. 6, 33. 7, 31 — 37. 8, 22— 26 treffend auch auf 6, 22 — 28 verwiesen, als auf ein schlagendes Bei spiel. * Der König verspricht in directer Rede, der Tochter zu geben, was sie bitten werde ; dann beschwört er es mit denselben Worten. Die Tochter geht heraus und fragt wieder in directer Rede die Mutter, was sie bitten soll, diese antwortet ebenso. Die Tochter geht hinein und wiederholt, indem sie wieder direct die Bitte ausspricht, theils die Worte des Versprechens, theils die der Mutter. Dann wiederholt sich derselbe Ausdruck, den wir schon im Munde der Mutter und der Toch ter gehört haben, sowohl im Befehl des Königs, wie im Bericht von seiner Ausführung. Endlich gibt der Diener dem Mädchen das Haupt, dieses gibt es der Mutter. — Mit solcher Liebhaberei für breite Darstel lung hängt auch noch die significante Eigenthümlichkeit von A zu sammen, am Schlüsse der Heilungsgeschichten immer noch die Notiz beizufügen, dass der Geheilte jetzt wieder die Functionen verrichtet habe, zu denen er bisher unfähig gewesen, wie 1, 31 xai öirjxövsi av xolg, 2, 12 (=Lc. 5, 25) aqag xöv xqäßßaxov, 5, 15 (= Lc. 8, 35) aio- cpqovovvxa, 5, 42 xai nsqisnaxsi, 7, 30 ßsßXrjfiivov ini xfjv xXivrjv, 7, 35 iXäXsi öqdwg, 8, 25 ivißXsipe xrjXavywg anavxa. 2) Schon vermöge seines Styls ist dem zweiten Evangelium eine gewisse Frische und Lebendigkeit der Erzählung eigen. Es beruht das auf dem, schon von Hitzig2 angedeuteten, neuerdings besonders aus führlich von Weiss3 dargestellten , lebhaften , hastigen Charakter der Rede, auf dem Gebrauch markanter, derb veranschauHchender Aus drücke, wie gleich im ersten Capitel z. B. 16 äftcpißdXXovxag, 12. 34. 39. 43 sxßäXXsiv, 26 anaqäaasiv, 36 xaxsötwi-av u. s. f. So erhöht es die Lebendigkeit der Darstellung, wenn gewisse an sich unwesentliche Ge berden und die Haupthandlung begleitende Actionen oder die Absich- 1) S. 650. = 2) Joh. Marcus, S. 119. — 3) S. 646 ff. Der Sprach Charakter der Synoptiker. 285 ten derselben besonders hervorgehoben werden, wie nqooöqaftwv 10, 17 und öqaftwv Ib, 36; xadiaag 9, 35. 12, 41, rjdsXs naqeXdelv 6, 48, oix rjdsXev iva xig yvol 9, 30 vgl. 7, 24, ßovXö fievog 15, 15, xoXfirjoag 15, 43. Andere Beispiele vgl. §. 28. Besonders trägt zu dieser naturwüchsigen Frische der Erzählung bei die Gewohnheit, das schildernde Imperfect des erzählenden Styls mit dem Präsens historicum zu vertauschen, 1 welches die Andern ge wöhnlich in Aorist umsetzen, oder mit Iöov ersetzen, vgl. besonders 1, 12. 21. 40. 44 (= Mt. 8, 4). 2, 3—5. 3, 4. 5 (= Mt. 12, 13). 13. 20. 31. 34. 4, 37. 5, 15. 22. 6, 7. 48. 7, 32. 11, 1. 2. 4. 7. 12, 18. 43. 13. 1. 14, 17. 43. 66. 67. 15, 16. 17. 21. 22. 24. 27 (= Mt. 27, 38). 16, 2. 4. Ebenso häufig erscheint in diesen Berichten ein, öfters metabatisch gebrauchtes, sidiwg vgl. 1, 18 (= Mt. 4, 20). 21. 31. 2, 2. 5, 13. Statt svdiwg, welches er hier und da mit Unrecht tilgt, liest Tischen de r f gewöhnlich sidig, vgl. 1, 10 (= Mt. 3, 16). 12. 20 (= Mt. 4, 22). 29. 30. 42 (= Mt. 8, 3 = Lc. 5 , 13). 43. 2, 8. 12. 3, 6. 4, 5 (= Mt. 13, 5). 15. 16 (= Mt. 13, 20). 17 (= Mt. 13, 21). 29. 5, 2. 29. 30. 42. 6, 25. 27. 45 (= Mt. 14, 22). 50 (= Mt. 14, 27). 54. 7, 25. 8, 10. 9, 15. 20. 24. 10, 52 (= Mt. 20, 34). 11, 2 (= Mt. 21, 2). 3 (= Mt. 21, 3). 14, 43. 45 (= Mt. 26, 49). 1 5, 1 . Hier und da setzt Lucas, der sidiwg nur 8 mal hat, dafür naqaxqfjfia. Der populären Sprachweise angehörig ist die Manier, bei vollkom men einfacher Anreihung der Sätze das Einzelne mit xai oder einem rückweisenden ndXiv aneinander zu schliessen. 2 Alles bewegt sich vor wärts vermittelst so einfacher Bewegungswerkzeuge, als da sind xai sXsysv, xai i^fXdsv, xai siafjXde ndXiv u. s. f. Ebenso ist als Beweis eines populären Standpunkts die Vorliebe für Diminutiva anzusehen, als naiöiov 5, 39. 40 = xogdaiov 5, 41. 42 (wo Mt. 9, 24. 25, zum Beweis, dass die Diminutivform ihm vorlag, xoqdatov, Lc. 8, 5 1 das bei Marcus nie vorkommende nalg setzt: der mittlere, Beides erklärende, Ausdruck liegt also evident bei Marcus vor); naiöiov und xvväqiov 7, 27. 28 (wo Mt. 15, 26. 27 das Letztere stehen lässt, das Erstere in xs'xvov abändert); dvydxqiov 7, 25. 5, 23 (wo Mt. 15, 22 und 9, 18 = Lc. 8, 42 in dvydxrjq abändert); ebenfaUs naiöiov 9, 24. 36. 37 (wo Mt. 18, 2—5 und Lc. 9, 47. 48 es belassen); 10, 13—15 (= Mt. 10, 13. 14. Lc. 18, 16. 17 während er 18, 15 in ßqicprj ändert); xogdaiov 6, 22. 28 (wo Matthäus es 14, 11 stehen lässt, aber 14, 6 in dvydxrjq ändert); iydvöiov 8, 7, was 8, 5 ebenfaUs in A 1) Specielle Nachweisung der Regeln für das Präsens historicum bei Wilke, g_ (jgg, __ 2) Vgl. Credner: Einleitung, S. 103. 286 Viertes Capitel. gestanden hatte (Matthäus lässt es am letzteren Orte 15, 34, während er am ersteren 15, 36 ixdig setzt); cuxdqiov 14, 47 (nach der richtigen Leseart; Mt. 26, 51 und Lc. 22, 50. 51 haben wxiov und ovg. — Fer ner gehört in das Capitel der volksmässigen Darstellung die Construc tion mit rjqg~avxo (andere Formen kommen nicht vor) , worauf dann der Infinitiv folgt: 1, 45. 2, 23 (= Mt. 12, 1). 4, 1. 5, 17. 20. 6, 2. 7, 34. 35. 8, 11. 31 (=Mt. 16, 21). 32. 10, 28. 32. 41. 47. 11, 15 (= Lc. 19, 45). 12, 1 (=Lc. 20, 9). 13, 5. 14, 19(=Mt. 26, 22). 33 (=Mt. 26, 37). 65. 69. 71 (= Mt. 26, '74). 15, 8. 18. — Auch gehört hierher die Sitte, Naturlaute wie sa 1, 24 und oiä 15, 29 einzuführen. 3) Es bleibt noch übrig, eine Reihe von grammatikalischen und lexikalischen Eigenthümlichkeiten zusammenzustellen, die unserer er sten Quelle ein besonderes Gepräge verleihen. Bei Ortsnamen pflegt A den Artikel auszulassen, z. B. Mr. 7, 31 und die Parallelen, Mr. 6, 53 = Mt. 14, 34. Mr. 7, 24 = Mt. 15, 21. Mr. 8, 10 = Mt. 15, 39. Mr. 8, 27 = Mt. 16, 13. Wie Mr. 6, 53 das Land Genezaret, so stehen Mt. 4, 13 auch die Gebiete von Sebulon und Naphtali artikellos; grössere Länder aber haben in A regelmässig den Artikel, z. B. Mr. 10, 1 = Mt. 19, 1. So auch bei Mt. 2, 22, nur Lu cas bindet sich nicht daran 17, 11. Sehr oft kommt in A die oratio directa vor, wo bald Matthäus, bald Lucas sie verwischen. So 4, 39. 5, 8. 9, 25. 13, 1, wo Beide, 1, 44. 5, 12. 23. 11, 33, wo wenigstens Lucas, Mr. 4, 35. 6, 23, wo Mat thäus die in directa wählt (abgesehen von solchen Stellen, die wie 5, 9. 6, 3 1 geradezu von den Andern weggelassen werden). Auch wo Mat thäus und Lucas übrigens in der Abwandlung der directa übereinstim men, thun sie es ganz selbstständig von einander, gewöhnlich von der Absicht der Verkürzung geleitet. Dabei ist noch zu merken, dass A die directa auch hat, wo es keineswegs auf wörtlichen Ausdruck gerade an kommt (1, 37. 4, 39. 5, 8. 8, 19. 20. 9, 25. 10, 49. 13, 1. 16, 3), und dass die Rede wohl auch durch fragende Fassung sich lebendiger ge staltet (4, 21. 5, 35. 39. 8, 12. 11, 17); ferner auch, dass in A vor der directen Rede gewöhnlich (circa 27 mal) das anführende oxi steht, was aber nicht als absolut unterscheidendes Merkmal gelten kann; Gers- dorf geht zu weit, wenn er es dem Matthäus ganz abspricht, x der es vielmehr ausser den kritisch zweifelhaften Stellen 5, 31. 21, 16. 26, 65 nicht blos in den Parallelstellen 9, 18. 26, 74. 75 beibehalten, sondern auch 7, 23. (14, 26?) 19, 8. 26, 72. 27, 43. 47. 28, 1 3 selbstständig ge setzt hat. Dagegen hat Lucas es zwar nur 5, 26. 8, 49. 22, 61 nach weisbar beibehalten, unter den übrigen Stellen aber, wo er es hat (1, 1) Beiträge, S. 140. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 287 25. 61. 4, 21. 41. 43. 7, 4. 15, 27. 17, 10. 19, 42. 20, 5. 21, 8) sind manche, die im höchsten Grade wahrscheinlich machen, dass er es aus A herübergenommen, Marcus daher mit seiner Wiedergabe des oxi re- citationis nicht ganz consequent ist. Andere Lieblingsausdrücke von A sind nvevfia äxädaqxov, wo Matthäus gewöhnlich Umschreibungen mit öatfiovt^öfievog machte. So 1, 23 (Lc. 4, 33 nvevfia öatfioviov äxadäqxov). 26 (Lc. 4, 35 öaiftö- viov). 27 (= Lc.4, 36). 3, 11 (=Lc. 6, 18). 30. 5, 2. 8, 13 (= Lc. 8, 29, der aber sonst 27 — 33 öaifiöviov setzt, wie Mt. 8,31 öaiftoveg). 6, 7 (= Mt. 10, 1, während Lc. 9, 1 öiaftövta setzt). 7, 25. 9, 25 (=Lc. 9, 42, während Mt. 17, 18 öaifiöviov setzt). Dies ist auch ein Beweis, dass die Parallelen Mt. 12, 43 = Lc. 11, 24 in den Zusammenhang von A zu verlegen sind (S. 79). — Auch oäqg~, das man bei dem Pauliner Lucas erwarten sollte (der es selbstständig blos 24, 39 hat), gehört ins Sprachgebiet von A Mr. 10, 8 = Mt. 19, 5. 6. Mr. 13, 20 = Mt. 24, 22. Mr. 14, 38 = Mt. 26, 41. Sonst hat es noch Matthäus 16, 17 und Lucas im Citat 3,6. A hat blos swg (Mr. 16, 45. 14, 32) und swg dv (6, 10. 9, 1. 12, 36), während die beiden Anderen auch scog ov und swg oxov bilden. Der Unterschied aber, den Credner in dieser Beziehung auch noch zwischen Matthäus und Lucas statuiren will , lässt sich nicht durch führen. 1 Als Eigenthümlichkeit des Lucas pflegt angeführt zu werden die Verbindung xig oder xi (iaxi) oxi. Allein Lc. 4, 36 ist = Mr. 1, 27. Lc. 8, 25 = Mr. 4, 41, und der selbstständigen Stelle des Lc. 2, 49 steht Mr. 2, 1 6 gegenüber. Einzelne Wörter, wie änoxadiaxävai Mr. 3, 5 = Mt. 12, 13 = Lc. 6, 10. Mr. 8, 25. 9, 12 = Mt. 17, 11. Sonst im N. T. nur noch zweimal. JvoxöXwg steht nur Mr. 10, 23. 24 = Mt. 19, 23 = Lc. 18, 24. 'Exötöövai nur Mr. 12, 1 = Mt. 21, 33. 41 = Lc. 20, 9. 'Eftnxveiv Mr. 10, 34 = Lc. 18, 32. Mr. 14, 65 = Mt. 26, 67. Mr. 15, 19 = Mt. 27, 30. Sonst nirgends mehr. Ebenso inißXrjfta Mr. 2, 21 = Mt. 9, 16 = Lc. 5, 36; d-sqogMr. 13, 28 = Mt. 24, 32 = Lc. 21, 30. Seltenere Formenbildungen von A sind änoxxivveadai Mr. 12,4, änsxaxsoxddrj 3, 5. Gewisse Wörter, die Matthäus und Lucas haben, werden constant nicht gebraucht, wie noqeveodai (dafür vndyeiv u. A.), idv (dafür äqpisvai), ävaiqslv, d-säadai. Sehr häufig ist der Gebrauch von noXvg, 1 5 mal steht auch noXXd als Bestimmung des Zeitworts im Sinne von viel, vielfach, häufig; es stossen 5, 26 sogar noXXd und vnö I) Einleitung, S. 65. OCg Viertes Capitel. noXXwv zusammen. Andere Steigerungsformeln sind noXv 12, 27, Xiav ix negiooov 6, 51, fiäXXov negiaoöxeqov 7, 36, vnsqnsqiaowg 7, 37, ixnsqioawg 14, 31. Syntaktisch gehört hierher der Wechsel im Ausdruck der Anrede mit Vocativ (1, 24. 4, 3S. 9, 19. 10, 17. 48) und Nominativ mit Artikel (5, 8. 9, 25. 10, 47. 14, 36. 15, 18. 29. 34). Die beiden Seitenrelationen verwandeln die Fälle letzterer Art in solche der ersteren, wenn gleich Matthäus zuweilen, wie 27, 29. 40. den Nominativ stehen lässt. Der Singular collectiven Begriffes wird mit dem Plural construirt 3, 7. 4, 1. 7, 14. 8, 1. 9, 15. Fälle von Verletzung des Genus sind vielleicht 5, 12 (Xsyovxsg) und 12, 28 (nävxwv). Zu dem eingeschobenen cog 1, 2 vgl. den ähnlichen Fall 13, 34. Dass die aramäischen Worte in ihrer frischen Unmittelbarkeit wie dergegeben werden (3, 17. 5, 41. 7,11. 34. 9, 5. 10, 51. 11, 9. 21. 14, 36. 15, 22. 34), führt uns von der stylistischen Originalität der Quelle A zu der hebraisirenden Originalität insonderheit. Der hebrai sirende Charakter des zweiten Evangeliums ist zuerst von Hitzig dar- gethan worden.1 Er erinnert an 6, 7. 39 ovo ovo, 10, '11 fioixäxai in aixrjv (Rieht. 19, 2), 8, 12 et beim Schwüre, 9, 49 xai — so wie (Hiob 5, 7. 12, 11), an die Verbindung 15, 25 und überhaupt an den unmässigen Gebrauch der genannten Partikel. Hebräisch ist der Aus druck i^rjqdvdrj fj nrjyr) zov aifiaxog avxfjg 5, 29 (= Levit. 12, 7) und von sqxeadai 4, 21 für »gebracht werden« (2 Kön. 10, 2). In allen diesen Fällen haben Matthäus und Marcus das speeifisch Hebräische vermieden, wie sie auch das 'Paßßovvi Mr. 10, 51 mit xvqis übersetzen. Dazu kommen noch eine Reihe von Lesarten, die Hitzig aus Codex J herbeizieht. Den Hebraismus xoig vlolg xwv ävdqionwv Mr. 3, 38 lässt schon Matthäus 12, 31 nicht mehr zu, wie Matthäus auch die vöaxa Mr. 9, 22 in vöcoq 17, 15 verwandelt. Der Genitiv ist in A hebraisirend fast immer das nachgeordnete Wort; nur das Personalpronomen tritt in sel tenen Fällen voraus (9, 24. 12, 15. 14, 8); ein etwaiges Adjectiv aber zum Regens genitivi tritt ebenfalls nach Art des Hebräischen hinter letzteren (4, 37. 5, 11). Wo der Genitiv ein partitives Verhältniss aus drückt, wird ihm ein sx = ]a vorausgeschickt (9, 17. 14, 18. 20). Dem Dativus instrumenti geht hebraisirend zuweilen ein iv voran, wie ßanx't- 'Qeiv sv vöaxi 1, 8, xqaxslv iv ööXcp 14, 1. Hierher gehören auch Phra sen, wie stvai iv nvsvfiaxi 1, 23. 5, 2. 12, 36, ja sogar iv gvasi aifia xog 5, 25; überhaupt eine gewisse Unsicherheit im Gebrauch von iv, das oft mit etg vertauscht wird (1, 21. 39. 13, 9. 16), und von sni, 1) Johannes Marcus, S. 29 37. 69 f. 91-111. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 289 vgl. ninxsiv inl xfjg yfjg 9, 20. 14, 25 , xadevöeiv inl xb nqoaxscpäXaiov 4, 38 und vielleicht auch oi fir) äcpsdfj wös Xidog inl Xidov (andere Xidcp) 13, 2. Der Casus obliquus wird in der Fortsetzung leicht zum rectus, weil das Hebräische eigentlich gar keinen Casus hat. So ol xa- xsodiovxsg Mr. 12, 40, xadaqi^wv 7, 19. Hebräisch ist die Verbindung des Verbums mit dem Substantivum verbale, wie 1,26 cpwvelv cpwvfj, 3, 28 ßXaacprjfielv ßXaocprjftiag, 4, 41 cpoßeladai cpoßov fiiyav, 5, 42 sg~t- axavai sxaxäosi ftsyäXrj, 7, 1 3 naqaöiöövai naqaööasig, 13, 19 xxiQsiv xxiaiv, 13, 20 ixXiysiv ixXsxxovg. Nach Art des Hebräischen lässt end lich A häufig die Copula aus, z. B. 9, 34. 10, 18. 12, 26. Die Seitenre ferenten pflegen dann die Copula zu ergänzen. Endlich geht gut hebrä isch in A das Verbum finitum gewöhnlich dem Subject voran. Auf diesen Hebraismen in Styl und Sprachgebrauch beruht zum grossen Theil jener Eindruck der Schwerfälligkeit und Unbeholfenheit, den die Leetüre des Marcus im Gegensatz zu Matthäus und Lucas macht, der aber eben damit auch für die Ursprünglichkeit des zweiten Evangelisten zeugt. » Wir brauchen nicht erst zu erinnern , wie ungleich näher es liegt, eine Paraphrase aus hebraisirendem in reines Griechisch anzuneh men, als das Umgekehrte, was in der That wohl das einzige Beispiel sol cher Art sein würde, welches die Literaturgeschichte aufzuweisen hätte.« ' Schliesslich lässt sich noch eine ziemliche Copia verbörum zusam menstellen, darüber die Quelle A verfügt. Wörter nämlich, die allen drei Evangelien gemeinsam sind, zuweilen jedoch bei Einem der Drei fehlen, während sie zum Theil auch sonst noch im N. T. vorkom men, sind folgende. Natürlich kann die Uebereinstimmung zwischen Matthäus und Lucas hier nur berücksichtigt werden, wenn Marcus den selben Zusammenhang hat und absichtlich abweicht. 'Ayavaxxslv — äyyaqsvstv (Matthäus, Marcus) — aysiv neutral (Matthäus, Marcus) — äysXrj — ayvacpog (Matthäus, Marcus) — ayqiog (Matthäus, Marcus) — äörjfiovslv (Matthäus , Marcus) — axavdai — äxvqovv (Matthäus, Marcus) — äXdßaaxqov — aXag — äXsiopsiv — äXsxxwq — dXtsig — äXiQsiv (Matthäus, Marcus) — aXwv (Matthäus, Lucas) — äfifjv Xiyw ifiiv — äfinsXwv — äficplßXrjoxqov (Matthäus, Marcus) — ävä zur Bezeichnung der Distributivzahl — ävaßoqvl — äväxsiodai — ävaxXivsiv — ävaninxsiv — ävmxog (Matthäus, Mar cus) _ ävxdXXayfia (Matthäus, Marcus) — ävxifisxqslv (Matthäus, Lucas) — avvöqog (Matthäus, Lucas) — äflvrj (Matthäus , Lucas) — - änaiqsiv — anaXög (Matthäus, Marcus) — änaqvsladat — änoörjfislv — äno- öoxiftä'Qsiv — änoxeipaXiQe-iv — änoxvX'iQeiv — änonviyeiv (Matthäus, Lucas) — änoaxaaiov (Matthäus, Marcus) — änwXeia = Verschwendung 1) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 67. Holtzmann. 290 Viertes Capitel. (Matthäus, Marcus) — a(jqaoxog (Matthäus, Marcus) — aqwfia (Marcus, Lucas) — aaßeoTog — äoxög — aavvsxog (Matthäus, Marcus) — axofiog (Matthäus, Marcus) — avXrj — dcpsöqwv (Matthäus, Marcus) — Banxiaxfjg — ßöiXvyfia -— ßeeXtsßovX — ßöaxeiv — TaXrjvrj — yatpcpvXdxiov (Mar cus, Lucas) — yafti^sivl — yisvva — yevioia (Matthäus, Marcus) — ysv- vrjfta — yovvnsTslv (Matthäus, Marcus) — Jaifiwv — öaifioviCßadai — öäxTvXog — ösiXög (Matthäus, Marcus) — ösqftäxivog (Matthäus, Marcus) — ösvxs? — örjväqiov — öiaßXijcstvl — ötaXoyi'Csadail — öiagnä^eiv (Matthäus, Marcus) — öiacprjfii^siv (Matthäus, Marcus) — öieysigetvl — öixxvov — övaxöXwg — Ei ös firj — etg xi = warum (Matthäus, Marcus) — sxaxovxanXaoiwvl — ixöiöoodai — ixövstv — ixnvieiv (Marcus, Lucas) — sxxivdaastv (Matthäus, Marcus) — sxcpvsiv (Mat thäus, Marcus) — ifißätixeiv (Matthäus, Marcus) — ifißgtfiäodai (Matthäus, Marcus) — sfinai'Csiv — ifinxvstv — ivxqineodai = sich bekümmern um — ivxvXiooeiv (Matthäus, Lucas) — ig~avaxiXXstv (Matthäus, Marcus) — inavioxaadai (Matthäus, Marcus) — inißXrjua — iniavvdysiv — emxifiäv — iqfjftwoig — svdvg (Matthäus, Mar cus) — svxofiog — swg oxov — Ziftrj — Qävaxov lösiv, dswqslv, davdxov ysvsadai — dsqiOfiög — diqog — drjXd'Qsiv — doqvßslv (Mat thäus, Marcus) — döqvßog (Matthäus, Marcus) — dqrjvslv — dqosladai (Matthäus, Marcus) — 'laxgög — iydvöiov (Matthäus, Lucas) — Kadi- öqa Mr. 11, 15 = Mt. 21, 12. 23, 2. Von Lucas vermieden — xaxwg e'xeiv Mr. 1, 32 = Mt. 4, 24. Mr. 1 , 34 = Mt. 8, 16. Mr. 2, 17 = = Lc. 5, 31 = Mt. 9, 12. Mr. 6, 55 = Mt. 14, 35. Ausserdem hat es noch Lc. 7, 2 gleichfalls aus A — xäfirjXog Mr. 1,6= Mt. 3, 4. Mr. 10, 25 = Mt. 19, 24 = Lc. 18, 25. Sonst noch Mt. 23, 24 — Kavavixrjg nur Mr. 3, 18 = Mt. 10, 4 — xax' iöiav, Lieblingswort von A Mr. 4, 34. 6, 31. 32 = Mt. 14, 13 = Lc. 9, 10. Mr. 7, 33. 9, 2 = Mt. 17, 1. — Mr. 9, 28 = Mt. 17, 19. Mr. 13, 3 = Mt. 24, 3. Sonst noch Mt. 20, 17 (aus A) und Lc. 10, 23 (nachgebildet) — xaxayeXäv Mr. 5, 40 = Mt. 9, 24 = Lc. 8, 53 — xaxaxXqv, blos Mr. 6, 41 = Lc. 9, 16 — xaxafiaqxvgelv, blos Mr. 14, 60 = Mt. 26, 62. Mr. 15, 4 = Mt. 27, 13 — xaxansxaafia Mr. 15, 38 = Mt. 27 , 51 = Lc. 23, 45 — xaxaaxrjvovv Mr. 4, 32 = Mt. 13, 32 = Lc. 13, 19 — xaxaoxqi- cpsiv, blos Mr. 11 , 15 = Mt. 21 , 12 — xaxaxisiv, nur Mr. 14,3 = Mt. 26, 7 — xaxivavxi Mr. 11, 2 = Mt. 21, 2 = Lc. 19, 30. Mr. 12, 41. 13, 3. Vielleicht noch Mt. 27, 24 — xaxet;ovoid£eiv, blos Mr. 10, 42 = Mt. 20, 25 — xavfiaxl&iv, blos Mr. 4, 6 = Mt. 13, 6 und in Apokalypse — xeqdfttov, blos Mr. 14, 13 = Lc. 22, 10 — xfjvaog Mr. 12,14 =Mt. 22, 17.19. Sonst noch Mt. 17, 25 — xXäöog Mr. 4, 32 = Mt. 13, 32 = Lc. 13, 19. Mr. 13, 28 = Mt. 24, 32. Sonst noch Mt. 21, 8 — xXdafia blos Mr. 6, 43 = Mt. 14, 20 = Lc. 9, 17. Mr. 8, Der Sprachcharakter der Synoptiker. 291 8 = Mt. 15, 37. Mr. 8,19. 20. (Sonst im N. T. blos noch in den gleichfalls abhängigen Stellen Joh. 6, 12. 13) — xXfjgog (Mr. 15, 24 = Mt. 27, 35 = Lc. 23, 34), xXrjgovofislv (Mr. 10, 17 = Mt. 19, 29 = Lc. 18, 18, sonst noch Mt. 5, 5. 25, 34. Lc. 10, 25), xXrjqovofiia (Mr. 12, 7 = Mt. 21, 38 = Lc. 20, 14. Sonst noch Lc. 12, 13), xXrjqovöfiog (Mr. 12, 7 = Mt. 21, 38 = Lc. 20, 14) sind in besonde rer Weise Ausdrücke von A — xXonrj , nur Mr. 1, 22 = Mt. 15, 19 — xoivög und xotvovv kommt in den Evangelien nur Mr. 7, 2. 5. 15. 18, 20. 23 = Mt. 15, 11. 18. 20 vor — xöxxog Mr. 4, 31 = Mt. 14, 31 = Lc. 13, 19. Sonst noch Mt. 17, 20 = Lc. 17, 6 — xoXXvßioxrjg nur Mr. 11, 15 = Mt. 21, 12 (= Joh. 2, 15) — xoXoßovv nur Mr. 13, 20 = Mt. 24, 22 — ixönaaev b dveftog ist Ausdruck von A Mr. 4, 39. 6, 51 = Mt. 14, 32 — xoqäatov nur Mr. 5, 41. 42 = Mt. 9, 24. 25. Mr. 6, 22. 28 = Mt. 14, 11 — xoqßäv (Matthäus, Marcus) - xöcpivog, blos Mr. 6, 43 = Mt. 14, 20 = Lc. 9, 17 (= Joh. 6, 13) — xqaviov, blos Mr. 15, 22 = Mt. 27, 33 = Lc.23, 33 (=Joh. 19, 17) - xqäonsöov, nur Mr. 6, 56 = Mt. 9, 20 = Lc. 8, 44. Sonst noch Mt. 14, 36. 23, 5 — - xqaxslv ist besonderes Lieblingswort von A und von Apoc. — xqrjfi- vög, nur Mr. 5, 13 = Mt. 8, 32 = Lc. 8, 33 — xxfjfia Mr. 10, 22 = Mt. 19, 22 — xvxXcp sagt unter den Evangelien blos A Mr. 3, 34. 6, 6. 36 = Lc. 9, 12 — xvXXög Mr. 9, 43 = Mt. 18, 8. Sonst noch Mt. 15, 30. 31 — xvväqiov Mr. 7, 27. 28 = Mt. 15, 26. 27 — xwcpög Mr. 7„ 32 = Mt. 15, 30. Mr. 7, 37 = Mt. 15, 31. Mr. 9, 25. Sonst nochMt. 9, 32. 33 = 12, 22. Lc. 11, 14. Mt. 1 1 , 5 = Lc. 7, 22. Lc. 1, 22 — AaXtä (Matthäus, Marcus) — Xaftfiä (Matthäus, Marcus) — Xa- xoftsiv (Matthäus, Marcus) — Xsyswv — Xinga — Xsnqög — Xrjoxrjg — Xvxqov — Maxqödsv — fiaxqög ftaaxtyovv — fivrjfioovvov (Matthäus, Marcus) — fiööiog — fioixäadat (Matthäus, Marcus) — ftotxsia (Mat thäus, Marcus) — fiovocpdaXfiog (Matthäus, Marcus) — ftiXogl - fivgov — Nfjaxig (Matthäus, Marcus) — vvftcprj (Matthäus, Lucas) — vvftipiog — vvftcpiüv — Srjqög? — Olxoösonöxrjg — ofifia (Matthäus, Marcus) — bfioiätpiv (Matthäus, Marcus). Sonst nicht — övixög'i — ovog (Mat thäus, Lucas) — oniadsv — ogia (Matthäus, Marcus) — öqvxxstv (Matthäus, Marcus) — öqxelodai — oiöeig iaxiv og — oipi (Matthäus, Marcus) — öxpia (Matthäus, Marcus) — TIaieiv — naqaßoXfj — naqa- Xvxixög — naqanoqeveadai (Matthäus, Marcus) — naqaaxsvij — na xqig — nsCfj (Matthäus, Marcus) — nsvdsqd — niqav (Matthäus und Marcus jeder 7 mal, Lucas nur 8, 22) — neqtßXsnsadai (Mr. 3, 5 = Lc. 6, 10, sonst nur bei Marcus noch 5 mal) — nsqiXvnog — nsqia- osvfta — nsqioowg (Matthäus, Marcus) — nsqtaxsqä — nsqixidivai (Matthäus, Marcus)— nsxqdörjg (Matthäus,jMarcus) — nrjga — nivag' — nXixeiv (Matthäus, Marcus) — nviyeiv (Matthäus, Marcus) — nöxe — 19* 292 Viertes Capitel. ngoßaiveiv — ngodvfiog (Matthäus, Marcus) — agxog xfjg nqodsaewg — ngoaaixslv (Marcus, Lucas) — nqooxvXisiv (Matthäus, Marcus) — sig nqöawnov ßXinsiv = parteiisch sein (Matthäus, Marcus) — nqwxo- xXiaia — nvqyog. — nvqiaasiv (Matthäus, Marcus) — - ncoXog — 'Paßßt (Matthäus, Marcus) — qäxog (Matthäus, Marcus) — qaopigl — qrjyvvstv — Saßaxdavi (Matthäus, Marcus) — aivani — aivöcov — axavöaXitfiiv — axXrjqoxaqöia (Matthäus, Marcus) — axaqniQEiv (Matthäus, Lucas) — oxoxia (Matthäus, Lucas) — axvXXstv — anaqdaosiv blos Mr. 1, 26. 9, 20. 26 = Lc. 9, 39. — anXayxviQsadai — anöyyog (Matthäus, Mar cus) — anoqifta — axdyvg — axiyrj — avxov — ovfinviysiv — avvava- xslodai — avvxrjqslv — oyiofia (Matthäus, Marcus) — Tsxvov — xsXwvrjg — xsXwvtov — xi ifioi xai ooi - — xiXXsiv — Ylög Javtö — vnavxäv — vnoxqtxrjg — voxsqov — Oeyyog — opqayfiög — cpvxeveiv — Xolqog — Wevöoftaqxvqelv — ipix'iov — c£ioavvä (Matthäus, Marcus) — wxiov. IV. Styl des Matthäus. Es ist zunächst zu constatiren, dass Matthäus , mag nun sein Abhängigkeitsverhältniss gefasst werden , wie es will, jedenfalls ein Schriftsteller ist, der die Quellen assimilirt und seine eigene Manier durchführt. 1) Die Compositionen mit ovqavog. Am bekanntesten ist wohl die 27 mal bei ihm vorkommende ßa aiXsia xwv ovqavwv, wofür die Andern stets ßaaiXsia xov dsov haben, was aber auch bei Mt. 6, 33. 12, 28. 19, 24. 21, 31. 43 stehen ge blieben ist, wie auch ßaaiXsia xov naxqog 13, 43. 26, 19. Dieser naxrjq heisst zwar auch Mr. 1 1, 25. 26 b naxrjq b sv xoig oiqavoig, 16 mal aber kommt der Ausdruck (wofür Lc. 11, 13 sagt b naxrjq 6 ig~ oiqavov) im Matthäus vor, dem ausserdem noch eigenthümlich ist 6 naxrjq 6 inov- qäviog oder oiqdviog (6 , 14. 26. 32. 15, 13. 18, 35). Die Predigt vom Himmelreich aber heisst b Xöyog oder xö svayyiXtov xfjg ßaaiXsiag 4, 23. 9, 35. 13, 19. 24, 14. 2) Die solenne Formel bei Anführung messianischer Beweisstellen ist iva nXrjqwdfj xö Qrjdsv vnö xov dsov (xvqiov) öid xov nqocpfjxov vgl. 1, 22. 2, 15. Auch 22, 31 zo (irjdiv vnö tov dsov. Jene umständ lichste Formel wird indessen schon 2 , 5 mit yiyqanxai öid xov ngo- cprjTOV, 2, 17 mit inXrjqwdrj to qrjdiv öid xov nqocpfjxov vertauscht, und in ähnlichen abgekürzten Formeln wird sonst noch citirt (vgl. S. 259 f.). Nur die Formel xovxo öi bXov yiyovsv, iva ist noch zu erwäh nen 1, 22. 21, 4. 26, 56. In diesen und ähnlichen Phrasen sind dem Matthäus eigenthümlich die Ausdrücke qrjdsig, qrjdsv, i$q~sdrj vgl. 1,22. 2, 15. 17. 23. 3, 3. 4, 14. 5, 21. 27. 31. 33. 38. 43. 8, 17. 12, 17. 13, 35. 21, 4. 22, 31. 24, 15. 27, 9. 35. Von den übrigen Synoptikern hat Dies nur Marcus in der, von Lachmann eingeklammerten, von Tischendorf getilgten, Stelle 13, 14. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 293 3) Specifisch matthäisch ist die Bezeichnung von Jerusalem als r) ayia nöXig oder 6 a'ytog xönog 4, 5. 24, 15. 27, 53. Vgl. auch 5, 35 nöXig xov fisydXov ßaaiXswg. Ebenso der deög b t,wv 16, 16. 26, 63. 4) Herrschend ist im Matthäus bei Angabe von Namen oder Zu namen das 6 Xsyofisvog, so von Christus 1, 16. 27, 17. 22, von Matthäus 9, 9, vonPetrus 4, 18. 10, 2, von Kaiphas 26, 3, von Ischarioth 26, 14, auch bei Ortsnamen 2, 23. 26, 36. 27, 33. Ahat das 6 Xsyö fievog nur Mr. 15,7= Mt. 27, 16 von Barrabas, und das 6 imxXrjdeig Qaööalog Mt. 10,3 ist unächter Zusatz nach Art des Lucas. 5) Matthäus hat auch eigene Particularaufschriften , wie sie sich, zumal in dieser Form, sonst nicht wieder finden, vgl. 1, 18 xov öi Xgi oxov f) ysveaig ovxwg rjv. 10, 2 xwv öi öwösxa änoaxoXwv xd övöfiaxä iaxiv xavxa. 6) Der Zusammenhang im Einzelnen wird hergestellt durch ge wisse allgemeine chronologische Formeln; besonders gewöhnlich ist die Uebergangspartikel xöxe (änö xöxe), die bei Marcus 6, bei Lucas 14, bei Matthäus 91 mal vorkommt. Im ganzen N. T. ausser den Synoptikern steht es nur noch 50 mal. Auch da, wo A Marcus ausführlicher ist, begnügt sich Matthäus mit dem blosen xöxe 9, 15. Häufig ist aus A svdiwg und sidvg beibehalten. Sonst aber schreitet die Rede fort mit xal iysvexo oxe (7, 28. 11, 1. 13, 53. 19, 1. 26, 1), ixeldev u. s. w. 7) Als zusammengehörige Phrasen, die dem Matthäus eignen, sind zu betrachten: 13, 18 nagaßoXfj xov aneigavxog, 13, 36 naqaßoXr) xwv ty^avlwv, 16, 9. 10 dqxoi xwv nevxaxioxiXiwv und xwv xexqaxiaxiXiwv, 21, 21 xö xfjg avxrjg. 8) Eine iv xi xaxd xivog : 5, 11. 12, 32. 9) Zu yqafifiaxslg oder nqsoßvxsqoi setzt Matthäus gern xov Xaov (2, 4. 21, 33. 26, 3. 47. 27, 1), wovon sonst höchstens Lc. 19, 47 (ol nqcoxoi xov Xaov), 22, 66 (xo ngsoßvxsgtov xov Xaov) Spuren vorkom men. Ahat dafür die Trichotomie nqsoßvxsqoi, äqxisqslg xal yqafifiaxslg, die z. B. Mt. 16, 21 stehen blieb. So oft übrigens Matthäus auf die Hohenpriester und Pharisäer in seinen Einschaltungen zu reden kommt, sagt er, dass sie sich versammelt hätten , z. B. 22, 41. 26, 3. 27, 17. 62. 28, 12. 10) Matthäus sagt noifjoai wg, wansq, waavxwg, xadwg, meist mit nqooixagsv oder dgl. Vgl. 1, 24. 6, 2. 20, 5. 21, 6. 26, 19. 28, 15. Lucas sagt dafür bfioiwg. 11) Matthäus liebt Wörter auf sisiv, meist mit factitiver Bedeu tung. Ausser solchen, die er mit A gemein hat (vrjoxeveiv, nqocprjxeveiv, tpovsveiv, gpvxeveiv , äyyaqsvstv) , gebraucht er fiadrjxeieiv (13, 52. 27, 57. 28, 19), öeOfieveiv (23, 4), iniyaftßqsveiv (22, 24), nayiösvEiv (22, 15, nur bei ihm). 294 Viertes Capitel. 12) Eig xö ovofia, nur Mt. 10, 41. 42. 18, 20. 28, 19. Die Andern haben iv und sni. 13) Iläg daxig 7, 24. 10, 32. 19, 29. Lucas sagt näg og. 14) Statt äxovaofiai sagt Matthäus äxoiaco 12, 19. 13, 14. 15. 1 5) Er Hebt die Präposition dnö auch nach Zeitwörtern, mit denen die übrigen neutestamentlichen Schriftsteller ix verbinden, so nach iysiqsodat (14, 2. 27, 64. 28, 7) und öiEysiqsadai (1, 24). Das owtyiv dnö darf hier nicht angeführt werden, da es bei Matthäus blos 1, 21 (9, 22 gehört nicht hierher) vorkommt und einen Gegensatz gegen die son stige synoptische Sprache höchstens insofern bildet, als bei Marcus gar keine Präposition steht. x 16) Bios bei Matthäus die Ausdrücke fiixqi zfjg arjfisqov 11, 23. 28, 15 und swg xfjg arjfisqov 27, 8. 17) Während der Artikel an sich bei Matthäus natürlich verhält nissmässig so oft steht, als bei den Andern, findet sich bei ihm häufiger, als bei Marcus und selbst bei Lucas, das distinguirende 6 (rj, ot, al) öi. 18) Während ovxog so oft in allen Evangelien vorkommt, hat blos Matthäus die nachdrückliche Verbindung ovxog yäq, vgl. 3, 3. 7, 12. 11, 10. Aehnliche Verbindungen kommen zwar vor bei Lc. 6, 23. 26 (xaxd xavxa yäq), 21, 4 (dnavxsg yaq ovxoi) und Mr. 1, 38 (sig xovxo yaq), aber doch selten, und eben gerade ovzog yaq nicht, wie auch ovxw dem Matthäus eignet 2, 5. 3, 15. 5, 12. 1 9) Im Allgemeinen kann man nicht sagen, dass Matthäus ein her vorragend hebräisches Colorit besitze ; ein solches lässt sich viel eher bei Marcus (S. 288 f.), ja theilweise selbst bei Lucas entdecken. Wo es sich im Matthäus findet, da kommt es fast mehr auf Rechnung der Quellen oder — wie in der Vorgeschichte — des eigenthümlichen Inhaltes, der eine andere, als die naiv alttestamentliche , Form gar nicht vertragen würde.. Sonst aber arbeitet Matthäus gewandt, assimilirt gut und inter polirt den Text von A mit gut griechischen Formen. So Matthäus 21, 41 xaxoig xaxwg änoXiasi avxovg, was ebenso gut Demosthenes ge schrieben haben könnte. 2 20) Endlich geben wir noch ein Lexicon von Wörtern, die über haupt im N. T. oder doch wenigstens unter den Synoptikern — sei es ausschliesslich, sei es vorzugsweise — dem Matthäus eignen. 'Ayyslov, nur 13, 48. 25, 4 — dyysXog xvqiov 1, 24. 2, 13. 19. 28, 2. Nur Lucas hat sonst noch den Ausdruck 1, 11. 2, 9 — äyxiOTqov, nur 17, 27 — ädcpog, nur 27, 4. 24 — aifia öixaiov, nur 23, 35. 27, 24 — alfioqqoslv, nur 9, 20 — aiqsxi^siv, nur 12, 18 — äxftfjv, nur 15, 16 — dxqißovv, nur 2, 7. 16 — ävaßißätsiv, nur 13, 48 — ävaixiog, nur 12, 1) Gegen Gersdorf, S. Sl. — 2) Hitzig: Joh. Marcus, S. 36. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 295 5. 7 — ävaxwqslv, steht zwar einmal bei Mr. 3, 7, bei Matthäus aber 1 0 mal, sonst im N. T. nur noch 3 mal — avrjdov, nur 23, 23 — äno- vinxstv, nur 27, 24 — änoaxqitpsiv kommt im Sinne von Tm'n blos vor 26, 52. 27, 3. In anderer Bedeutung noch 5, 42 und Lc. 23, 14 — dqyvqia, der Plural blos 26, 15. 27; 3.' 5. 6. 9. 28, 12. 15 — aqxi, nur bei Matthäus — Bäq, nur 16, 17 — ßaqvxifiog, 26, 7? — ßaaavi- oxrjg, nur 18, 34 — ßaxxoXoyslv , nur 6,7 — ßtaaxrjg, nur 11, 12 — ßqixstv, ßqoxrj bedeutet 5, 45. 7, 25. 27 Regen, sonst noch bei Lucas, doch nur im bildlichen Sinn, 7, 38. 44. 17, 29 — Jdveiov, nur 18, 27 — 6 öelva, nur 26, 18 — ösoftrj, nur 13, 30 — öiaxwXveiv, nur 3, 14 — öiaXXdxxeadai , nur 5, 24 — öiaaacpelv, nur 13, 36. 18, 31 — öiöqaxfiov, nur 17, 24 — öii^oöog, nur 22, 9 — öiexfjg, nur 2, 16 — öioxd&iv, blos 14, 31. 28, 17 — öivXl&iv, 23, 24 — öixd&iv 10, 35 — öiipqv hat nur Matthäus unter den Synoptikern. — 'Eßöoftrjxov- xäxig, nur 18, 22 — sysqotg, nur 27, 53 — iyw xvqis = -osn unter den Synoptikern blos 21, 30 — idvixög, Heide, nur 6, 7. 18, 17 und 3 Joh. 7? — siöia (löia), nur 28, 3 — slqrjvonoiög, nur 5, 9 — ixXäfi. nsiv , nur 13, 43 — ififiavovrjX , nur 1, 23 — ifinoqia, nur 22, 5 — ifinqrjdsiv, nur 22, 7 — ivdvfislodai 1, 20. 9,4 (für öiaXoyi- t,sadai von A). Act. 10, 19? — ii;exd£eiv, nur Mt. 2, 8. 10, 11 und Joh. 21, 12 — i%oqxiQeiv, nur 26, 63 — i^wxeqog, nur 8, 12. 22, 13. 25, 30 — indvw hat Marcus einmal, Lucas 5, Matthäus 9 mal und' zwar so, dass keine unter diesen 1 5 Stellen mit den anderen parallel läuft. Es darf mithin der häufigere Gebrauch als Eigenthümlichkeit des Matthäus gel ten , um so mehr, als, ausser Matthäus , das, Wort nur noch 1 1 mal im N. T. vorkommt — inixadtQsiv, nur 21, 7 — iniansiqstv, nur 13, 25? — iqsvysodai, nur 13, 35 — iqicpiov, nur 25, 33 — sxalqog hat imN. T. nur Matthäus, und zwar blos in grösseren oder kleineren Einschiebseln, 11, 16. 20, 13. 22, 12. 26, 50 — siöia, nur K, 2 — sivoslv, nur 5, 25 — sivovxi^siv, nur 19, 12. Auch sivovxog kommt nur hier und Act. 8, 27 — 39 vor — siqvxwqog, nur 7, 13 — ZiC/xvia, blos 13, 25 — 40 — 'Hysfiwv, ohne Parallele bei Matthäus 10 mal, sonst nur einmal in A (Mr. 13, 9 =Mt. 10, 18 = Lc. 21, 12) und ausserdem bei Lc. 20, 20 — Qavfiäaiog, nur 21, 15 — dss als Vocativ, nur 27, 46 — dsqioxfjg, nur 13, 30. 39 — drjaavqoi, charakteristischer Plural, vgl. 2, 11.6, 19. 20. Sonst nur Hebr. 11, 26. Auch der Singular kommt zwar einmal in A vor (Mr. 10, 21 = Mt. 19, 21 = Lc. 18, 22), gehört aber sonst dem Matthäus, vgl. 6, 19. 20. 21 (=Lc.l2, 33. 34). 12, 35 (=Lc. 6, 45). 13, 41. 52. Sonst nur noch bei Paulus 2. Cor. 4, 7. Col. 2,3 — dvfiov- adai, 2, 16 — 'Iwxa, 5, 8 — Kadrjyrjxrjg, nur 23, 8. 10 — xaxadefiaxi^siv, nur 26, 47 — xaxafiavdäveiv , nur 6, 28 — xaxanovxi^eadai , blos 14, 30. 18, 6 — xaxoixelv mit eig kommt im N. T. nur 2, 23. 4, 13 und 296 Viertes Capitel. Act. 7, 4 vor, kann also als charakteristisch gelten — xax ovaq, 1 , 20. 2, 12. 13. 19, 22. 27, 19 -- xfjxog, nur 12, 40 — xöXaoig, 25, 46. Sonst nur 1. Joh. 4, 18 — xovoxwöia, nur 27, 65. 66. 28, 1 1 — xqvcpaiog, nur 6, 18 — xvfiivov, nur 23, 23 — xwvwip, nur 23, 24 — MaXaxia, fia- Xaxög, Mt. 4, 23. 9, 35. 10, 1. 11, 3. Sonst nur Lc. 7, 25 — fis- xaigsiv, blos 13, 53. 19, 1 — fisxafiiXeodai, blos 21, 29. 32. 27, 3 — ¦ fiexoixeaia, nur 1, 11. 12. 17 — fiiadovodai, nur 20, 1. 7 — fiv- Xwv, nur 24, 41 — Nöfiiofia, nur 22, 19 — vvaxä'Qsiv 25, 5, sonst 2. Petr. 2, 3 — Olxsxsia, nur 24, 25 — oixiaxög, blos 10, 25. 36— öftvisiv mit sv oder etg, Hebraismus, blos Mt. 5, 34—36. 23, 16. 18. 21. 22 — tvaq, nur 1, 20. 2, 12. 13. 19. 22. 27, 19 — cnwg, beiMarcus 2 mal, bei Lucas 7, beiMatthäus 18 mal — oiöaftwg, nur 2, 6 — Ilayiösvsiv, nur 22, 15 — naqadaXdaoiog, nur 4,13 — naqaxovsiv , nur 18, 17 — naqo- fioiätsiv, nur 23, 27 — naqovaia, nur 24, 3. 37. 39 unter den Dreien — naqoxpig, nur 23, 25. 36 — niXayog ausser 18, 6 nur noch Act. 27, 5 — nXaxig, nur 7, 13 — noXvXoyia, nur 6, 7 — ngäog, nur 11, 29 — nqoosqxsadai, orientalisch die Rede ausmalend, kommt bei Mat thäus 51 mal vor, bei Marcus nur 6 mal (und zwar blos in der Parti- cipialconstruction), bei Lucas 1 0 mal (darunter 9 mal Particip) — nqoo- opiqsiv öwqov, nur 2, 11. 5, 23. 24. 8, 4 — nqocpdävsiv, nur 17, 25 — nqwta, ausser [Joh. 18, 28. 21, 4 nur Mt. 21, 8. 27, 1 — nviiqd- tysiv, nur 16, 2. 3 —'Paxä, nur 5, 22 — qani&iv, blos Mt. 5, 39. 26, 67 — 2ayfjvrj, nur 13, 47 — asisiv , nur Mt. 21, 10. 27, 51. 28, 4 — asXrjvid'Qsodai, nur 4, 24. 17, 15 — oixiaxög, nur 22, 4 — Ofivqva, unter den Dreien blos Mt. 2, 11 — axaxfjq, nur 17, 27 — avftßovXiov Xafißdvsiv, nur Mt. 12, 14. 22, 15. 27, 1. 7. 28, 12 — avväysiv kommt bei Marcus 5 mal, bei Lucas 7 mal, bei Matthäus aber, dessen Lieblings- wort es ist, 24 mal vor. Marcus dagegen setzt z. B. 15, 16 dafür pas sender avyxaXslv — avvaiqsiv Xöyov, nur 18, 23. 24. 25, 19 — ovvdv- xrjaig, nur 8, 34 — avvav^ävsadai , nur 13, 30 — avvxäxxsiv , nur 21, 6. 26, 19. 27, 10 — ovvxiXsia xov alwvog, nur bei Mt. 13, 39. 40. 49. 24, 3. 28, 20. Sonst im N. T. nur noch Hebr. 9, 26 — otpööqa, ent schiedene Eigenthümlichkeit, dem Zeitwort immer nachstehend, vgl. 2, 10. 17, 6. 23. 18, 31. 19, 25. 26, 22. 27, 54. Sonst noch Mr. 16, 4. Lc. 18, 23 — TäXavxov, nur Mt. 18, 24. 25, 15. 16. 20. 22. 24. 25. 28 — xacprj, blos 27, 7 — xäcpog 23, 27. 29. 27, 61. 64. 66. 28, l.Röm. 3, 13. Die Andern sagen ftvrjfislov oder ftvfjfta — xsXsvxrj, nur 2, 15 — xrjqovvxsg, die Wache, blos Mt. 27, 36. 54. 28, 4 — xqans^ixrjg, nur 15, 27 — xqvnrjfia, nur 19, 28 • — "Yaxsqov, 7 mal, sonst blos noch Mr. 16, 14. Lc.4, 2. 20, 32 — Oqd^siv, nur 13, 36. 15, 15 — ipqdvifiog, blos noch Lc. 12, 42. 16, 8 — cpvXaxxrjgiov , nur 23, 5 — cpvxsia, nur 15, 13 — XaXenög, unter den Dreien blos 8, 28 — jjAa^'g, nur 27, Der Sprachcharakter der Synoptiker. 297 28. 31 —xqvoög, bei den Synoptikern nur Mt. 2, ll. io, 9. 23, 16. 17 — Wsvöofiaqxvqia , nur 15, 19. 26, 59 — ipvxsadai, nur 24, 12. V. Abwandlungen von A durch Matthäus. Wir consta- tiren zunächst blos die Thatsache, dass Matthäus den Text von A in eigenthümlicher Weise umbiegt und bearbeitet : 1) Das Participium Xsywv steht zwar auch bei Marcus hier und da ohne hinzugefügten Dativ der angeredeten Person, aber immer nur dann, wenn ein solcher Dativ der Sache nach ungehörig wäre (z. B. 1, 7. 15. 24. 27), dagegen unzähligemal bei Marcus und Lucas, also in A, der Dativ gesetzt ist. Matthäus aber hat ihn consequent ausgelassen. Denn 7, 21 ist nur eine scheinbare Ausnahme. 2) In A (Marcus, Lucas) stehen Adverbien, wie cuös bald vor, bald nach den Zeitwörtern. Nur selten aber hat diese Grundsatzlosigkeit auch auf Matthäus Einfluss geübt; so bei ixsl, das hald vor, bald nach steht (ixsldsv sogar immer nach). — Sonst aber stellt Matthäus die Worte so, dass die Adverbien den Zeitwörtern ebenso consequent voran gehen, als sie, falls diese im Imperativ stehen , denselben nachfolgen. Vgl. 2, 8. 13. 3, 15. 4, 6 (= Lc. 4, 9). 5, 21. 25. 6, 11 (= Lc. 11, 3). 30. 7, 5 (= Lc. 6, 42). 8, 21. 10, 6. 28. 13, 30. 14, 8. 18. 17, 17 (=Lc. 9, 41). 20. 18, 16. 21, 28. 23, 26. 24, 18 (= Lc. 17, 31). 25,9. 26, 45 (= Mr. 14, 41). 27, 42. 43 (= Mr. 15, 32). Ausnahmen sind xäxsi fisivaxs 10, 11, fiovov sine 8, 8 und überall das ovxw und ovxwg, was als Reaction von A anzusehen ist. 3) An Stellen, wo Matthäus die Reihenfolge der Erzählungen aus A \ erändert hat , lässt er natürlich die genauere Zeitangabe weg , wie Mr. 4, 35 iv ixsivrj xfj fjfiiqq Mt. 8, 18 ausgefallen ist; ebenso ist iv ixsivaig xalg fjfiiqaig AMr. 8, 1 weggefallen Mt. 15, 32. Dagegen fügt Matthäus, wo er den Zusammenhang von A durch Auslassungen unterbrochen oder durch Einschaltungen gesprengt hat, aber in densel ben wieder zurückkehren will, hinzu , dass die nunmehr zusammenge stellten Geschichten wenigstens ungefähr in dieselbe Zeit fallen, vgl. iv exiivcp xcp xaiqcp 11, 25. 12, 1. 14, 1 ; iv ixsivrj xfj diqq 18, 1. 26, 55 (ganz- anderer Art sind die Stellen 8, 13. 10, 19); sv ixsivrj xfj fjfiiqq 22, 23 (vgl. S. 94. Ganz anderer Art ist 7, 22). Mit der abweichenden Formel eV xfj fjfiiqq ixsivrj hebt er nur in einem Falle, wo er die Reihenfolge des Marcus beibehält, noch ausdrücklicher, als jener, her vor, dass das zu erzählende Ereigniss an demselben Tag (13, 1) ge schehen ist. x Endlich muss hier auch noch die, in ihrer Bedeutung für die Abwandlung von A schon S. 128 gewürdigte Formel xal iyivsxo oxs ixiXsasv b 'Irjaovg xoig Xöyovg erwähnt werden. 1) Hiernach ist zu berichtigen, -was Weiss, S. 49 bemerkt. 298 Viertes Capitel. 1) Matthäus bildet gern einleitende, gleichsam die Antwort aus dem Munde lockende, also anticipirende Fragen, wie 13, 10. 18, 1. 19, 20 (xi sxi voxsqw, aus A Mr. 10, 21 sv aoi vaxsqsl geformt). 27 (xi aga saxai fjftlv). x 22, 42 (xivog viög ioxi). 24, 3 (xi xö arjfislov xfjg naqov- aiag). Besonders liebt er Fragen, gebildet mit xi aoi öoxsi; 17, 25. 22, 17. xi ifilv öoxsi; 18, 12. 21, 28. 22, 42. 26, 66 (wo Mr. 14, 64 rt vfilv cpaivexat hat). Auch 17, 19 deutet das öid xi directer auf das Un vermögen der Jünger zur Heilung hin, wie denn auch die Antwort dt« xfjv äntoxiav ificov 17, 20 schlagender ist. — Matthäus formulirt gern aus dem vorliegenden Stoffe Dialoge, so 19, 18 noiag. 21, 40. 41 (da mit die Pharisäer sich selbst das Urtheil sprechen). 22, 42.26, 2. 15. Aber auch kurze Reden setzt er in den Context ein. So aus Mr. 14, 23 xai sniov ig avxov navxsg wird nisxe ig avxov nävxeg 26, 27. Aus Mr. 11, 61 ol ös navxsg xaxixgivov aixöv svoxov sivai davdxov wird 26, 66 ol öi änoxqidivxsg sinov s'voxog davdxov. iaxiv. Dahin gehört auch die Erklärung ovxög iaxiv b viög fiov 13, 17 anstatt A Mr. 1, 11 = Lc. 3, 21 ov el b viög fiov. — Ferner bildet Matthäus disjunctive Fra gen, wie 17, 25. 27, 17. 21, oder deutet sie doch stärker an, als die Andern, wie 21, 25 mit 7iödsv. Auch diese Erscheinung gehört wesent lich zur Methode des »steigernden Analysirens, « die Kern im Mat thäus wahrnahm.2 — ¦ Auch bildet er folgernde Sätze mit nwg ovv 12, 26. 22, 43, wo er beidemal erweitert, um die logische Folgerung anzu bringen. — Endlich recapitulirt Matthäus gern zum Schluss einer Er zählung, z. B. 15, 20. 16, 12. 17, 13. 20, 16. 5) Beispiele im Detail. Mt. 12, 4 steht o oix igöv rjv gegen A Mr. 2, 26 = Lc. 6, 4 oix sgsaxiv. Mt. 13, 19 steht der Singular nav- xög äxovovvog gegen den Plural A Mr. 4, 15 = Lc. 8, 12. Mt. 19, 29 näg Xrjfixpsxai gegen A Mr. 10, 29. 30 = Lc. 18, 29. 30 ovösig iaxiv sav fit) Xdß-rj. Mt. 22, 24 steht ävaoxrjosi gegen A Mr. 12, L9 =Lc. 20, 28 igavaaxrjarj. VI. Tendenz der Abwandlungen. Die Aeusserungen von Methode, die sich in der Bearbeitung von A durch Matthäus erkennen lassen, vereinigen sich in dem Bestreben, in den Vortrag die möglichste Vollständigkeit und Bestimmtheit einzulegen ; zugleich geht er auch darauf aus, das Rauhe und Ungefügige in A abzuschleifen. 1) Die auffallendste Umgestaltung des Textes von A ist bedingt durch die Manier des Matthäus, Subject und Object grammatisch zu 1) Man vergleiche wieder die Weisheit der Tendenzkritik bei Hilgenfeld (Evan gelien, S. 111): »Offenbar aus Vorliebe für Petrus werden Mr. 10, 28 die lohnsüchti gen Worte Mt. 19, 27 ti aga earai tjjj.Tv vermieden.« — 2) Tübinger Zeitschrift für Theologie, 1S34, S. 55. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 299 vervollständigen oder durch hinzugefügten Genitiv näher zu bestimmen, wo dies in A nicht der Fall ist. So 9 , 11 ö öiödaxaXog vftwv, wie 17, 24. — 12, 2 ol fiadrjxai, wie auch 14, 26. 19, 25. 26, S. 56 — 13, 18 naqaßoXfj xov aneiqovxog — 17, 1 xöv äöeXcpöv aixov — 19, 20 b vea- viaxog — 21, 8 6 de nXeloxog o^Aog — 9 ot de o%Xoi — 35 ot yewqyoi — 22, 15 ol Oagtoaloi — 26, 10 xfj yvvatxi (für avxfj Mr. 14, 6) — 26, 31 xfjg noifivrjg — 55 xoig oyXotg (für avxolg Mr. 14, 48) — 61 xov dsov — 27, 20 ol ngsaßvxsgoi — 27, 27 oxgaxiwxai xov fjysftövog. Aus demselben Streben nach Bestimmtheit ist es zu erklären, wenn Matthäus zuweilen Namen einschiebt, wie Judas 26, 14, Kaiphas 26, 57; wenn er den Pilatus 27, 2 mit Vornamen und Titel nennt; wenn er 3, 1 die Wüste, darin der Täufer auftrat, als die Wüste Judäas bezeich net und den Johannes gleich von vornherein als den Täufer charakteri sirt; oder wenn er 28, 5, wo A Mr. 16, 6 ftr) ixdafißslods setzt, die Weiber mit fifj tpoßslods vfislg den erschreckten Grabhütern gegenüber stellt. Namentlich aber bringt er zuweilen für Umschreibungen in A bestimmte Substantive ; 1 so soll der geheilte Aussätzige nach AMr. I, 44 = Lc. 5, 14 darbringen ä oder xadwg ngooizagev Mwvafjg, wofür Mat thäus epexegesirt xö öcoqov o nqooixagev Mwvafjg; vgl. xovg Xöyovg ificöv 10, 14 und xö oqafia 17, 9. Um ja nichts an Bestimmtheit des Ausdrucks fehlen zu lassen, bringt er auch solche Zusätze an, wie iv xfj ßaaiXeiq xcöv oiqavcov 18, 1, xovxo 19, 26, ftot 21 , 2, xcp vlcp Javiö 21, 9, rjfiiv 21, 26, vöptiofia zov xfjvoov (für örjväqiov) 22, 19, naq' rjfiiv 22, 25, wöe 24, 2, b Xqiaxög 24, 5, bqäxe 24, 6, eifii xvqis 26, 22, fisd' ificöv 26, 29, iv ooi 26, 33, fiex' aixwv 26, 36, ftsx' ifiov 26, 38. 40. Manchmal geht er in diesemBestreben nach Verdeutlichung zu weit, wie z. B. der Zusatz ovxög fie naqaöwaei 26, 23 ebenso gut fehlen könnte. Ebenso sind die Zusätze mit rj zu erklären, wie z. B. die Herein schiebung des Jeremias 1 6, 9, die Wahl, die er lässt zwischen Dorf und Stadt 10, 11. 14, zwischen Stadt und Haus 12, 25; und Verdeutlichun gen, wie 14, 26 änö xov cpoßov, 20, 23 vnö xov naxqog fiov , 26, 33 oxavöaXiadfjaofiai; und unschuldige Zusätze, wie xadaqq 27, 59 zu oivöövi A Mr. 1 5, 46 = Lc. 23, 53. Darum gibt auch Matthäus, wo er Reden aus A hat, nicht blos den ausführlichen Text, sondern häufig erweitert er ihn noch, wie 3,11 etg ftexdvoiav, 8, 26 öXiyömoxoi, 9, 17 xai äfitpöxeqoi avvxrjqovvxai, 16, 16 b viög xov deov xov ^wvxog, 17, 12 ovx iniyvwaav avxöv, 21, 33 olxoöeonöxrjgl 34 xwv xaqnwv, 41 yswqyolg o'ixivsg änoöwaovaiv aixcp xovg xaqnovg iv xoig xaiqolg aixäv, 22, 18 vnoxqixai, 24, 14 to 1) Wilke: Urevangelist, S. 250. 419 f. Rhetorik, S. 1-17. 300 Viertes Capitel. eiayyiXtov xfjg ßao iksiag, 31 fisxd adXniyyog cpwvfjg fieyäXrjg. Besonders liebt er es, unumwundene Aeusserungen zu bilden, um sie ihren Bewei sen voranzustellen, welche letztere dann wohl auch fehlen. So z. B. 9, 3 ovxog ßXaacprjftsl, 24 ävaxwgslxs, 14, 16 ov xpetav s'xovoiv änsX- dslv, 26, 65 ißXaocpfjfirjos. Dagegen, wo es dem Interesse der Deutlichkeit keinen Eintrag thut, ist er bemüht, die weitschweifigere Ausdrucksweise von A zu kür zen, z. B. durch Umgehung der Constructionen mit iva, vgl. 21, 34 Xaßslv statt iva Xäßrj , 26, 17 cpayslv statt iva cpäyrjg, 39 nagsXddxw statt iva naqiXdrj. Oder er setzt xö orjftslov xfjg nagovaiag 24 , 3 statt arjftelov oxav fiiXXrj xavxa ovvxsXsladai . So geht das Bestreben des Matthäus darauf aus, den Redeinhalt von A mit möglichster Deutlichkeit wiederzugeben, wesshalb er denselben meist in erweiterter Form gibt, wogegen er die Erzählungen, die für ihn meist nur motivirende Bedeutung haben , so durchgängig verkürzt, dass wir nicht begreifen würden, wie Weiss in diesen offenbaren Com- pendien die Grundrisse zu der ausführlicheren Darstellung des Marcus entdecken konnte, x wenn nicht Matthäus dieses Geschäft der Zusam menziehung gewöhnlich so gewandt vollzöge, dass er selten dadurch undeutlich wird. So kann Mt. 8, 2S — 34 die Beschreibung der Krank heit und der jedenfalls ursprüngliche Name Legion fehlen, ohne dass die Pointe der Geschichte abgestumpft wird. 2) Paulus2 und Schott3 versicherten, Marcus verändere an seiner (vermeintlichen) Grundlage, dem Matthäus, absichtlich, um die Rauhheiten des Styles zu mildern. In der That aber verhält sich die Sache gerade umgekehrt. * Matthäus schreibt z. B. das xai iyivsxo iv ixsivag xalg fjfiiqaig rjXdsv 'irjaovg Mr. 1, 9 um in naqayivsTat 'Irjaovg ini xöv 'Iogödvrjv 3, 1 3, das iva iXdcov inidfjg Mr. 5, 23 in dXXd iXdcov inidsg 9,18; ebenso sucht er der Stelle Mr. 7 , 11 nachzuhelfen durch ein eingeschobenes xal ov fifj xififjasixöv naxsga avxov 15, 5. Er verbes sert Mr. 11, 32 das dXXd s'incofisv ig ävdqwnwv, itpoßovvxo xöv Xaöv, indem er 21, 26 den Nachsatz bildet cpoßovftsda xöv oyXov. Umgekehrt bei Mr. 14, 49 äXX' iva nXrtgwdwaiv al ygacpal bildet er einen Vorder satz xovxo öi oXov yiyovsv 26, 56. Consequenter Weise hätte er in der selben Manier auch Mr. 2, 10 = Mt. 9, 6 bearbeiten müssen. Dieses Streben, den inneren Redebau gefügiger zu machen, zeigt Matthäus besonders oft, indem er den Satz auseinander legt, Vordersätze bildet oder abrupte Stellen von A zu Perioden vereinigt. Man vergl. 1) S. 59 ff. — 2) Conservatorium, I. S. 75. — 3) Isagoge, S. 36. — 1) Wilke, -113. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 301 8, 31 si sxßäXXsig rjfiäg änöaxsiXov, 9, 25 oxs öi igeßXrjdrj b öyXog, ixgdxrjasv, 1 7, 4 et diXsig, noirjaw, 19, 1 7 et diXsig slg xfjv tfofjv siosX- delv, xfjgsi, 21 et diXsig xiXeiog sivai, vnaye, 21, 21 oi fiovov xö xfjg ovxfjg noirjasxs, dXXd, 24 ov idv s'inrjxs fioi xqyw vfilv sqcS, 34 oxs ovv rjyyias b xaiqog xaqncTv, äniaxeiXe, 40 oxav ovv s'Xdrj, xi noirjosi (statt xi ovv noifjasi; iXsvasxai), 22, 45 et ovv Javlö xaXsl avxöv xvqiov. Vollends beweisend ist, dass er die in A unaufhörlich wiederkeh rende Verbindung mit xai zu vertauschen strebt mit mannigfaltigeren und abwechselnderen. VII. Abhängigkeit des Matthäus von A. An und für sich könnte man die unter Nr. V und VI zusammengestellten Data auch so erklären wollen, dass Marcus unbestimmter und ungefügiger wieder gibt, was Matthäus besser concipirt hatte. Aber gerade daran, dass Matthäus nicht immer glücklich ist in seinen eleganteren Umbildungen des Styles von A, verrath sich seine Abhängigkeit. So hat er 15, 2 an die SteUe des xoivalg jcepcrtV A Mr. 7, 2 die er klärende Formel oi ydg vinxovxai xdg yelqag gestellt, ohne zu beden ken , dass der ausgelassene Ausdruck nothwendig vorhergehen musste, wenn das xoivovv, das er 15, 11 aus A herübernimmt, unmittelbar ver ständlich sein soll. — In der Antwort Jesu.Mt. 19, 8 hat Matthäus das syqaipsv vfiiv xfjv ivxoXrjv xavxrjv AMr. 10, 5, als wäre die Eheschei dung ein Gebot, milder ausdrücken wollen und schrieb snixqsipsv ; dann musste aber auch öid xrjv axXrjgoxaqö iav stehen. Matthäus aber, an einen anderen Text gewöhnt, liess das ngog mit einlaufen , was aUein bei Marcus einen ganz geraden Sinn gibt : Moses hat sich mit seiner Verordnung nach der Herzenshärtigkeit gerichtet.1 So ist dXXovg ovo äösXopovg Mt. 4, 21 ganz matthäisch (vgl. dXXovg öovXovg 21, 36 und fj dXXrj Magia 27 , 61). Dass Matthäus aber an der bezeichneten Stelle nun doch wieder fortfährt 'idxwßov xai 'iwävvrjv xöv äösXopöv ai xov, ist zwar ebenfalls matthäisch, insofern als die Namen hinter aXXovg stehen, beweist aber zugleich die Abhängigkeit von A Mr. 1 , 19, wo her das überflüssige xöv äösXcpöv unwillkürlich geflossen ist. 2 Aus dem abgerissenen Styl von A macht Matthäus öfters Verbindungen, die er aber manchmal durchzuführen vergisst. So wandelt er das xai igsnXrja- aovxo xai iaxavöaXitpvxo A Mr. 6, 2. 3 zuerst um in waxs ixnXrjaas- adai avxovg, fällt aber bei xai iaxavöaX'iCpvxo alsbald wieder aus dieser Construction in die Schreibweise von A zurück 13, 54. 57. Einmal we nigstens ist er in seinen sachlichen Ergänzungen zu A unglücklich , da nämlich, wo er wegen sx veöxrjxög fiov A Mr. 10, 20 = Lc. 18, 21 aus dem Fragenden einen veaviaxog macht 19, 20. 22, da doch jener Aus- 1) Wilke, S. 580. — 2) Wilke, S. 576. 302 Viertes Capitel. druck geradezu auf das Gegentheil führt, wie auch Neander1 und Bleek2 meinen, es müsse ein älterer Mann gewesen sein, aus dem das Bewusstsein eines von Jugend auf geführten tadellosen Lebens rede. VIII. Styl des Lucas. Es ist zu erweisen, dass so gut, wie Matthäus, ja noch mehr, als dieser, Lucas seine Quellen assimilirt und ihnen den Stempel seiner Schreibweise aufgedrückt hat. Die Thatsache, dass Lucas eine eigenthümliche Ausdrucksweise hat, lässt sich vorläufig am besten constatiren, wenn man einen selbstständig gebildeten Vers, wie 23, 2 betrachtet: rjqgavxo öi xaxrjyogelv aixov Xsyovxsg xovxov svqoftsv ö laaxqicpovxa xö s'dvog rjftwv xai xwXvovxa cpögovg xai- oaqt ötöövai Xiyovxa savxöv Xgioxov ßaoiXia elvai. Hierzu vergl. Act. 24, 5 svqövxsg yaq xöv avöqa xovxov Xoifiöv, zu öiaaxqscpstv Act. 13, 8. 10, und zu dem participialischen Xsywv für die angebliche Rede des Beklagten Act. 17, 7 ßaoiXia Xsyovxsg sxsqov elvai 'irjaovv, ferner Act. 19, 26. 21 , 21. Auch der Ausdruck cpöqov öovvai steht nur noch Lc. 20, 22. Um sich aber einen Begriff davon zu bilden, wie bewusst und absichtlich Lucas den Styl variirt, möge man z. B. in Rech nung bringen, dass er seine Manier, Personen mit ovöfiaxi zu bezeichnen (1, 5. 5, 27. 10, 38. 16, 20. 19, 2, bei Matthäus nur 27, 32) gerade an dem einzigen Orte, wo auch A die Formel hat (Mr. 5, 22 vgl. Lc. 8, 41)- vermeidet, um sich auf das, ihm ausschliesslich eignende, o) ovofia (1, 26. 27. 2, 25. 24, 13. 18) zurückzuziehen. Indem wir nun aber darangehen , den eigenthümlichen Sprachge brauch des Lucas ausführlich zu verzeichnen, müssen wir von vornher ein bemerken , dass wir dabei von der Vergleichung mit den übrigen Synoptikern uns leiten lassen. Dies schon wird unserer Arbeit ein ganz anderes Gepräge geben, als die fleissigen Ausführungen von Lekebusch und Zell er tragen, welche sich durchweg von dem Seitenblick auf die Apostelgeschichte leiten lassen. Eine ganze Reihe von Wörtern und Phrasen konnte von uns nicht aufgeführt werden, weil erst die Apostel geschichte sie als lucanisch constatirt, während sie im Evangelium ent weder nicht, oder nur ganz vereinzelt, gleichsam zufällig, einmal vor kommen. Zuvörderst sind es ganz charakteristische Unterschiede im Gebrauch derselben Wörter und Phrasen, die das Sprachgebiet des Matthäus von dem des Lucas trennen. Wir geben Beispiele: 1) Wo Matthäus sagt yqafifiaxsvg, sagt Lucas 6 mal vofiixög, das sonst nur Mt. 22, 35 sich findet; 5,17 und Act. 5, 34 steht auch vofio- ötöäoxaXog. 2) Wenn Matthäus sagt ovxog ftiyag xXrjdrjoexai 5, 1 9, schreibt da für Lucas 1, 32 vgl. 9, 48 ovxog saxai fiiyag. 1) Leben Jesu, 4. Ausg. S. 587. — 2) Synopsis, II, S. 267 Der Sprachoharakter der Synoptiker. 303 3) Wenn Matthäus das ovxwg dem Verbum immer vorsetzt, so wech selt Lucas mit Vor- und Nachsetzen. 4) Jiaftsqitsodai heisst bei Mt. 27, 35 vertheilen, bei Lucas aber zertheilen 11, 17. 18. 15, 52. 53. 5) Wenn Matthäus sagt xö (irjdiv bei Citaten, setzt Lucas xö slqrr fisvov 2, 24 (Act. 2, 16. 13, 40). Vgl. auch s'iqrjxai 4, 12, s'iqrjxev 22, 13, während sonst nur Matthäus noch elgrjxwg hat 26, 75. 6) Wo Matthäus schreibt agxi, schreibt Lucas vvv. Jenes Wort aber hat er nie. 7) "EXeog ist bei Matthäus (9, 13. 12, 7. 23, 23) masculinisch, bei Lucas (1, 50. 54. 58. 72. 78. 10, 37) generis neutrius. Ebenso charakteristisch ist der Unterschied von dem Sprachge brauch von A in Einzelnheiten; z. B. 1) das galiläische Meer heisst in A immer däXaaaa, bei Lucas dagegen ebenso ausnahmslos Xifivrj (5, I . 2. 8, 22. 23. 33). 2) Jvvaxög heisst in A »möglich, « welche Bedeutung es bei Lucas nur 18, 27 = Mt. 19, 26 = Mr. 10, 27 hat, sonst aber be deutet es »stark« (1, 49. 14, 31. 24, 19). 3) A sagt Mr. 5, 22. 7, 25 ninxeiv nqog xoig nööag, Lucas dagegen 8, 41. 17, 16 naqd xovg nö- öag. 4) Das schlecht griechische öipia steht in A oft (Mr. 1, 32 = Mt. 8, 16. — Mr. 4, 35. Mr. 6, 47 = Mt. 14, 23. Mr. 14, 17 = Mt. 26, 20. Mr. 15, 42 = Mt. 27, 57 vgl. 14, 15. 16, 2. 20, 8), wird aber von Lucas stets vermieden und durch saniqa oder andere Formeln um schrieben. Wir lassen nun zunächst eine Reihe von Beobachtungen folgen, welche dazu dienen, die Singularitäten im Styl des Lucas anschaulich zu machen. 1) Jtd xö mit Infinitiv kommt zwar auch in A Mr. 4 , 5. 6 = Mt. 13, 5. 6. Mr. 5, 4 (Mt. 24, 12) vor, viel häufiger aber bei Lucas, vgl. 2, 4. 8, 6. 9, 7. 11, 8. 18, 5. 19, 11. 23, 8. Ueberhaupt liebt Lucas den Infinitiv mit Artikel; und wie öid, so stehen auch andere Präposi tionen (fisxd, nqö) mit Artikel und Infinitiven bei Zeitbestimmungen. 2) Eigenthümlicher Gebrauch von xö, was zwar auch Mr. 9, 23. Mt. 19, 18 auf ganze Sätze, insonderheit Fragesätze, sich bezieht; vgl. aber Lc. 1, 62 xö xi av diXoi xaXeladai, 9, 46 xö xig av el'rj fiei^wv, 19, 48 xö xi noifjawoiv, 22, 2. 4 xö nwg, 22, 23 xö xig aga eirj, 11, 24 xö xig öoxel slvai, 22, 37 xö xal iXoyiadrj. 3) Tig aqa , xi aqa steht bei Marcus 2 mal , bei Matthäus 4 mal, bei Lucas 1, 66. 8, 25. 12, 42. 22, 23. Act. 4) Die Form öovvai mit nachgesetztem Dativus personae und Ac- cusativus rei wird besonders von Lucas geliebt, z. B. 1, 73. 12, 32. 17, 18 u. a. a. O. Doch steht zuweilen der Dativ (20, 22. 23, 2), zuweilen 304 Viertes Capitel. auch der Accusativ (12, 51) um des Nachdrucks willen voran. Uebri gens braucht Lucas auch öfters, als die andern, die Forin öovvai über haupt. 5) Lucas hat unter allen Schriftstellern des N. T. am häufigsten die Attraction des Relativs. 1 Nicht bei Matthäus und Marcus, wohl aber bei Lucas kommen Fälle vor, wo das Relativpronomen seinen Ca sus einem unmittelbar vorhergehenden Casus von näg anpasst (3, 19. 9, 43. 19, 37. 24, 25), welcher 23, 41 sogar erst supplirt werden muss. 6) 'lösiv xö ysyovög ist Eigenthümlichkeit von Lc. 2, 15. 8, 34. Act. Ueberhaupt ist ysyovög lucanisch 8 , 56. 24, 12. Act. Marcus "hat es nur einmal 5, 14, aber lösiv xi iaxiv xö ysyovög, was Lc. 8, 35 in seinen Lieblingsausdruck verwandelt. 7) Eine charakteristische Verschiedenheit von den Nebentexten bietet auch die Formel s'Xsys (slns) ös naqaßoXrjv 6, 39. 8, 4. 12, 16. 41. 13, 6. 14, 7. 15, 3. 18, 1. 9. 19, 11. 20, 9. 19. 21, 29. 8) Zu den Liebhabereien des Lucas gehört es , Formeln mit xaqöia zu bilden, wie öiavoia xaqöiag 1, 51, xidsodai sv xalg xaqöiaig 1, 66. 21, 14, avfißdXXsiv, öiaxrjqslv iv xfj xaqöia 2, 19. 51. 9) Die Verbindung noXXd sxsga 3, 18. 22, 65. 10) Tov pleonastisch bei Infinitiven, bei Marcus höchstens 4, 3, bei Matthäus 6 mal, bei Lucas 25 mal, besonders um den Zweck einer Handlung zu bezeichnen, z. B. xov fifj 4, 42. 24, 16. 1 1) Eigenthümliche Verbindungen mit xaxd. So hat nur er xaxd xö sdog 1, 9. 2, 42. 22, 39 oder xaxd xö siwdög 4, 16 oder xaxd xö sldia- fiivov 2, 27. Auch steht bei ihm 5 mal, abgesehen von Act., xad fjftigav (bei den Andern nur je einmal) und xax sxog 2, 41. Auch 4, t4. 23, 5 wird xaxd cum genitivo in eigenthümlicher Weise als Ortsbe stimmung gebraucht. 12) Xaqd wird von Lekebusch als 8 mal bei Lucas stehend er wähnt. Aber da es auch 6 mal bei Matthäus vorkommt, hätten vielmehr die eigenthümlichen Redensarten des Lucas genannt werden müssen: Xaqd iaxiv 1, 14. 15, 7, #aoa yivexai 15, 10 (Act. 8, 8). 13) Mexd xavxa hat weder Matthäus, noch Marcus, wohl aber Lc. 5, 27. 10, 1. 12, 4. 17, 8. 18, 4. Act. 14) Eigenthümlich ist dem Lucas die (nur Mt. 7,6. 16, 23 noch vorkommende) Notiz axqacpeig 7, 9. 44. 9, 55. 10, 22. 23. 14, 25. 22, 61. 23, 28. In anderer Form kommt das Verbum gar nicht in seinem Evangelium vor. 15) Ebenso eigenthümlich ist die concret individualisirende Aus- 1) Gersdorf (S. 241), Bruder (S. 619 f.), Lekebusch (S. 75 f.), Zeller (S. 394). Der Sprach Charakter der Synoptiker. 305 drucksweise etg xd wxa 1, 44. 9, 4 4. Act. iv xoig waiv 4, 21 und etg xdg äxoäg 7, 1 . Act. 16) Ilalg xov dsov ist von Lekebusch angeführt. Es musste aber vielmehr auf das Eigenthümliche dieser Verbindung aufmerksam gemacht werden mit Israel (1, 54) und mit David (1, 69 vgl. Act. 4, 23). Aehnlich ist nur Mt. 12, 18. 17) Lucas liebt Umschreibungen mit svqioxsiv 5,19. 19, 48 und s'xsiv xi noislv 7, 42. 9, 58. 11, 6. 12, 17. 50. 14, 14. Act. 18) Kai oxs, xal wg führen sehr oft den Vordersatz ein. 19) Der Gebrauch von iyivsxo. Häufig sind Uebergangsphrasen, wie oxs öi iyivsxo, xal oxs iyivsxo, iyivsxo iv xalg fjfiiqaig, iv xfj fjfiiqq, sv xalg rjfieqaig ixsivaig, iv xalg f^tiqaig xaixaig , sv fitq xwv fjftsqwv. Besonders zu bemerken ist iyivsxo iv xcp mit Infinitiv; es kommt zwar wahrscheinlich auch Mr. 2, 15. 4, 4 vor, bei Lucas aber 1, 8. 2, 6. 3, 21. 5, 1. 12. 8, 40. 9, 18. 29. 33. 51. 10, 38. 11, 1. 27. 14, 1. 17, 11. 14. 18, 35. 19, 15. 24, 4. 15. 30. 51. Die Construction iv xcp mit Infinitiv überhaupt kommt bei Lucas 37 mal, bei Matthäus nur 3 mal vor. Eigen dem Lucas ist auch xal iyivsxo wg 1, 23. 41. 2, 15. 11, 1. 19, 29. Lucas pflegt dann (wie übrigens auch Mr. 1, 9 vorkommt) nach einem xai iyivsxo (iv xalg fjfiiqaig) mit dem Verbum finitum fortzufah ren (1, 59. 2, 1. 7, 11. 20, 1), wofür er zuweilen aber auch den Accu- sativus cum infinitivo setzt (6, 1. 6. 12? 16, 22). Sehr häufig ist die Wortfolge iyivsxo öe oder xai iyivsxo mit xai und xai iöov 2, 6 — 9. 5, 12. 17; 18. 8, 40. 41. 9, 29. 30. 37—39. 14, 1. 2. 24, 4. Eigenthüm lich dem Lucas ist auch die Verbindung eines Vordersatzes, wie xal sv xcp cum infinitivo, oder xai iyivsxo, mit einem Nachsatz, der wieder mit xai anfängt, z. B. 2, 27. 28. 5, 1. 20) Manches Eigenthümliche hat auch der Gebrauch von Adver bien. Adverbien, von näg abgeleitet, werden gesucht, wie ndvxwg, navxaxov, navxsXig, öianavxög. Die eine Reihenfolge bezeichnenden sgfjg und xadsgfjg stehen nur bei Lucas. Dahin gehört auch svddös, dxqi, Adverbien, welche den Begriff des Plötzlichen 'ausdrücken , wie sgaitpvrjg, naqaxqfjfia ; Zusammensetzungen, wie sv xdxsi 18, 8. Act.,eV fisacp 8 mal, Act., in äXrjdsiag 3 mal. 21) Unterscheidend ist auch die Partikelverbindung fiiv ovv und das, in Act. unzähligemal vorkommende, xs, wiewohl das letztere ein mal auch bei Marcus, viermal bei Matthäus steht; ferner xal ydg und das bei Matthäus und Marcus gar nicht vorkommende iöov yäq. 22) Lucas gebraucht als Part. perf. von iaxrjfii und seinen Com posita nie eoxrjxwg, sondern immer soxwg. 23) Lucas liebt mehr, als Dies sonst im N. T. der Fall zu sein Holtzmann. 20 306 Viertes Capitel. pflegt, den Optativ (in der Constructio indirecta 1, 29. 62. 3, 15. 6, 11. 9, 46. 15, 26. 18, 36. 22, 23). 24) Eig sxaoTog 4, 40. 16, 5 kommt bei den Andern nicht vor. 25) Die Umschreibung Ta nsqi Tivog (22, 37. 24, 19. 27. Act., sonst nur im Philipper- und Colosserbrief). 26) Die Fragformel xig av (1, 62. 6, 11. 9, 46. Act.). 27) Nofti'Qsiv hat bei Lucas den Accusativus cum infinitivo nach sich, was sonst im N. T. selten ist. 28) Von besonderem Interesse ist der Gebrauch des Participiums bei Lucas. Häufiger, als die Andern, hat Lucas Participia, welche blos zur Lebendigkeit der Darstellung dienen, wie namentlich löwv, z. B. 8, 47. 9, 47. 18, 24; aber auch Beifügungen, wie ävaaxdg, inioxdg, axa- dsig, laxcüg u. s. f. Auffallend aber ist, dass er sogar zwei solche Parti cipien zusammenstellt, und zwar ohne Copula, vgl. 2, 36 nqoßsßrjxvla ^rjaaoa, 3, 23 äqyöfisvog cov, 4, 20, nxvgag änoöovg, 5, 11. 12. 25. 28. 7, 38. 8, 43. 44. 9, 6. 16. 10, 32. 35 u. s. f.1 Oft begegnet uns aber auch ein Neutrum des Particips zur Umschreibung des Substantivs, z. B. 4, 16 xö sicodög, 8, 34. 35 xö ysyovög, 24, 14 xö ovfißsßrjxög, 22, 22 xö wqiofiivov, 1, 35 xö y evv w fisvov.'1 Endlich liebt er auch die Verbin dung des Particips mit sivai zur Umschreibung des Verbum finitum (48 mal). 3 29) Durch Constructio ad sensum setzt Lucas häufig einen Plural mit Beziehung auf ein vorangegangenes nXfjdog, z. B. 1 9, 37 u. a. a. 0. 4 30) Im dritten Evangelium findet sich 29 mal das steigende ösxai. 31) Verbindungen mit fjfiiqa, besonders rjfiiqa xwv oaßßdxwv oder xov oaßßaxov 4, 16. 13, 14. 16. 14, 5, was sonst nirgends im Neuen Testament steht. 32) Die Zeitwörter slneiv und XaXslv werden gewöhnlich mit nqog xiva construirt, was im übrigen Neuen Testament selten ist, weniger oft mit dem Dativ. Auch bei änoxqlvsodat, änayyiXXsiv, Xiysiv , ovtyjxslv Bteht diese, von Lucas bevorzugte, Construction.8 Sonst findet sich auch XaXslv nsqi xivog (1, 17. 33. 38. 9, 11), was die Andern nicht haben. 33) Auch XaXslv qfjfta 1, 65. 2, 17. 50. Act. steht sonst blos Mt. 12, 36. 34) Kein anderer Evangelist spricht so viel vom nvsvfta ayiov, wie Lucas, der hierfür auch besondere Formeln hat,6 wie nXrjadfjvat nvsifiaxog ayiov , was gleich im ersten Capitel dreimal steht. 1) Vgl. Gersdorf, S. 25S-260. — 2) Andere Beispiele bei Lekebusch, S. 76 f. — 3) Credner, S. 139. Lekebusch, S. 76. — 4) Vgl. Gersdorf , S. 188 f. — 5) Gersdorf, S. 180 f. 186. Credner, S. 138. Zeller, S. 395. — 6) Gersdorf, S. 182—184. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 307 35) Zusammensetzungen mit cpwvrj, wie a'iqsiv cpwvrjv 17, 13, inai qsiv cpwvrjv 11 , 27, cpwvr) yivsxai 1, 44. 3, 22. 9, 35. 36. 36) Zusammensetzungen zweier Substantive, von denen das zweite, im Genitiv stehend, dem ersteren zur näheren Bestimmung dient, wie ßänxiOfia fisxavoiag 3, 3. Act., nvsvfta öaifiöviov 4, 33 und besonders die Zusammensetzungen mit äöixia, welches Wort bei Matthäus nie, bei Lucas 4 mal, und zwar immer im Genitiv steht 13, 27. 16, 8. 9. 18, 6. Act. 37) Dem Worte dvydxrjq wird, wie sonst nur in den CitatenMt. 2 1 , 5. Joh. 12, 15 und Hebr. 11, 24 der Name des Vaters ohne Artikel nachgesetzt (1, 5. 2, 36. 13, 16. 23, 28). 38) Wenn sonst auf nqiv rj immer der Infinitiv folgt, so ist es bei Lc. 2, 26, wohl auch 22, 34, mit dem Conjunctiv verbunden. 39) Eigenthümlichkeiten im Gebrauch des Pronomens. Lucas liebt besonders (28 mal) die Verbindung xal aixög, 1 was bei Matthäus blos 21, 27. 27, 57, vielleicht auch 25, 17, beiMarcus 6, 47. 8, 29. 14, 15. 1 5, 43, vielleicht auch 2, 25 steht. Dagegen kommt xal aixoi bei Marcus nie, bei Matthäus blos 20, 10. 25, 44, beiLucas 13 mal vor. Auch aixög b steht bei Matthäus nur 3, 4, bei Marcus 3 mal, bei Lucas 14 mal; xal ovxog nur Mt. 26, 71, bei Lucas aber 5 mal. Dieses Pronomen gibt Lu cas, und nur er, öfters einem Zahl- oder Fragwort zur näheren Bestim mung ohne Verbindungspartikel oder Verbindungsformel bei, vgl. 16, 2. 24, 21. Auf xovxo lässt, was Matthäus und Marcus nie thun, Lucas 10, 11. 12, 39. Act. ein oxi folgen, 1, 43 auch ein iva. 40) Wie Lucas constante Manieren in der Satzbildung besitzt, geht hervor aus der Vergleichung von 3, 11 6 sywv ovo jctTtoVag, fisxaööxco xcp fifj sxovxi xal b sxwv ßqcofiaxa bfioiwg noisixw = 11, 35 b sycov ßaXdvxiov äqdxw bfioiwg xal nrjqav, xal b fir) sya>v nwXrjodxw xö Ifid- xiov aixov; 4, 21 arjfisqov nsnXrjqwxai fj yqacpr) avxrj = 19, 9 arjfisqov owxrjqia xcp oixcp xovxcp. IX. Wörterbuch des Lucas. Bei Lucas ist eine lexikalische Vergleichung besonders fruchtbar und förderlich. Wir stellen im Fol genden die Wörter zusammen , die zum Sprachgebrauch des Lucas ge hören, d. h. solche, die er entweder allein im N. T. oder allein unter den Synoptikern oder doch wenigstens besonders häufig hat. Dabei sehen wir ab von den Wörtern, die wir unter der folgenden Nummer wieder bringen mussten. "Aßvooog, unter den Dreien blos Lc. 8, 31 — äyaXXiaoig, 1, 14. 44. Act., sonst noch 2 mal — aysiv, 14 mal — äyxdXrj, nur 12, 28 — ayqa, nur 5, 4. 9 — äyqavXslv, nml, 8 — äywvia, nur 22, 44 — äöi- 1) Gersdorf, S. 185. 20 308 Viertes Capitel. xia, bei Matthäus 1 mal, bei Lucas 4 mal — ärjöia, vielleicht' 23, 12 — a'iqeiv, 20 mal — a'ixiov , blos 23, 4. 14, 22. Act. — alxfiäXwxog, nur 4, 18 — äXXoysvfjg, nur 17, 18 — äfinsXovqyög, nur 13, 7 — aficpiä- tyiv, nur 12, 28? — äftcpöxsqoi, 6 mal. Act. — ävaßaivsiv mit Infinitiv kommt zwar Mt. 14, 23 (Mr. 6, 46 steht änsXdslv), aber viel häufiger, wie auch noqsvsodai, igsXdslv u. s. f. bei Lucas vor, z. B. 9, 28. 14, 19. 19, 12, im Ganzen 9 mal. Act. — ävdysiv, bei Lucas 4 mal, Act. 17 mal, sonst im N. T. noch 3 mal, ävdysodat nur bei Lucas — ava- ösixvvvai, nur 10, 1. Act. — äväösigtg, nur 1 , 80 — ävddrjfia, nur 21,5 — ävaiösia, nur 11,8 — äva^rjxslv, nur 2, 44. 45. Act. — avat- qslv, 22, 2. 23, 32. Act. Bei den Anderen nur Mt. 2,16— ävaxa- di^siv, nur 7, 15. Act. — äväXrjipig, nur 9, 51 — ävänrjqog, nur 14, 13. 21 — dvanqäaasiv, nur 19, 23 ? — ävanxvaasiv, nur 4, 17 ? — ävdnxsiv, 12, 49. Act., sonst noch Jak. 3, 5 — ävaanäv, nur 14, 5. Act. — äva- xdoasodai, nur 1, 1 — ävacpalvsodai, nur 19, 11. Act. — ävacpwvslv, nur 1, 42 — ävixXsmxog, nur 12, 33 — ävivösxxog, nur 17, 1 — ävsv- qioxstv, nur 2, 16. Act. — ävdofioXoysladai, nur 2, 38 — ävioxdvat, intransitiv, besonders die Formen ävioxrj, ävaaxäg u. a. ungemein häu figer, als bei Matthäus und Marcus — ävoqdovv, unter den Dreien blos Lucas — ävxstnslv, nur 21, 15. Act. — ävxißäXXsiv, nur 24, 17 — ävxixaXsiv, nur 24, 12 — ävxiXiysiv , unter den Dreien blos Lucas — ävxmaqsqxsadai, nur 10, 31. 32 — ävxinsqav, nur 8, 26 — ävcoxsqov, unter den Dreien blos Lucas — agiog, 8 mal. Act. — ägiovv mit Infini tiv nur 7, 7. Act. — änaixelv, nur 6, 30. 12, 20 — änaXXdaoeiv, 12, 58. Act., sonst nur Hebr. 2, 15 — änaqxiofiög, nur 14, 28 — anag, Lieb lingswort, 20 mal, Act. 16 mal, sonst im N. T. 10 mal — dniqxeadai, 23 mal — änoyqäcpsiv = schätzen nur 2, 1. 3. 5 — anoyqacprj = Schätzung, nur 2, 2. Act. — änoöixsodai, nur 8, 40, 9, 11. Act. — änodXißsiv, nur 8, 45 — änoxXsieiv, nur 13, 25 — änöxqiaig, unter den Dreien blos Lc. 2, 47. 20, 26 — änoXeixeiv , nur 16, 21 — äno- ftäoaeiv, nur 10,11— änonXvvsiv, nur 5, 2 ? — änoqelv, unter den Dreien blos Lc. 24, 4. Act. — änoqia, nur 21, 25 — änoaxofiaxtQeiv, nur 11, 53 — änoxdoosadai, 1 mal. Act. sonst noch 2 mal — änoxsXslv, 13, 32? sonst nur Jak. — änoxiväoosiv , nur 9,5. Act. — änoxpvxstv, nur 21, 26 — aqg, nur 10, 3 — äqioxqv , unter den Dreien blosLc. 11, 37 aqoxqov, nur 9, 62 — dqxizsXwvrjg, nur 19, 2 — aqxsadai, 31 mal — aqxwv, 8 mal Act. — äoxqdnxsiv, nur 17, 24. 24, 4 — axsxvog, nur 20, 28 — 30 — axsq, nur 22, 6. 35 — avgdvsiv, 4 mal. Act. — ini Tfjv avqiov, nur 10, 35. Act. — aioxrjqög, nur 19, 21. 22 — xaxd xd aixd noislv, nur 6, 23. 26 — avxönxrjg, nur 1,2 — acpavxog, nur 24, 31 — aqjeoig xwv äfiagxiwv, 3 mal. Act. — äcpqög, nur 9, 39 — äopvnvovv, nur 8, 23 — äxäqiazog, unter den Dreien blosLc. 6, 35 — axQh 4 mal. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 309 Act. Die andern Synoptiker schreiben, ausser Mt. 24, 38, fiexqi, was Lucas nicht liebt. Dieser hat besonders axqi fjg rjfiiqag, dxqi xfjg fjftsqag xavxrjg — Badiwg, nur 24, 1 — ßadivsiv, nur 6, 48 — ßaXdvxiov, nur 10, 4. 12, 33. 22, 35. 36 — ßaqvvsiv, nur 21, 34? — xd ßaaiXsia, nur 7,25 — ßäxog, nur 16, 6 — ßsXövrj, nur 18, 25 — ßXänxeiv, nurLc. 4, 35 und Mr. 16, 18 — ßXineiv, 14 mal. Act. — ßoqv ausser Citaten nur Lucas 3 mal — ßoXfj, nur 22, 41 — ßo$qäg, unter den Dreien blos Lc. 13, 19 — ßovXr) xov deov 7, 30 Act. — ßovvög, nur 3, 5. 23, 30 — ßqaövg, unter den Dreien nur Lc. 24, 25 — ßqaxiwv, ausser Lc. 1, 51. Act. 13, 17 nur Joh. 12, 38 — ßqaxvg kommt Lc. 22, 58. Act., bei Matthäus, Marcus nicht vor — ßqixeiv = benetzen nur 7, 38. 44 — ßqi- cpog, von Lekebusch vergessenes Lieblingswort, 1, 41. 44. 2, 12. 16. 18, 15. Act. 7, 19. Sonst nur zweimal, nicht aber bei Matthäus, Mar cus — ßgwaiftog, nur 24, 41 — ßvoaog, unter den Dreien blos Lc. 16, 19 — Tsixwv, unter den Dreien blos Lucas 3 mal — ysXqv, nur 6,21. 25 — yrjqag, nur 1, 36 — yivsadai oiv xivi hat blos Lc. 2,13. Act. — yvwoxög, bekannt, unter den Synoptikern blos Lc. 2, 44. 23, 49 — JaxxvXiov, nur 15, 22 ¦ — öaveiOTrjg, nur 7, 41 — öanävrj, nur Lc. 14, 28 — öel schreibt Lucas öfter, als alle andern Schriftsteller des N. T. zusammen. Besonders fii öet 2, 49. 4, 43. 13, 33. 19, 5 — öioftai, da mit hat es dieselbe Bewandtniss. Unter den Dreien hat es blosMt. 9, 38; öirjoighat kein anderer Synoptiker — öeofislv und Ta öiofia, nur 8, 29 — ösanÖTrjg, anrufungsweise von Gott, Lc. 2, 29. Act. 4, 24 — ösvxsqw- nqwxog, nur 6,1 — öixsodai, Lc. 15 mal. Act. — öiaßaivsiv, ausser Hebr. ll,29nurLc. 16, 26. Act. 16,9 — öiaßdXXsiv, nur 16, 1 — öiayvw- qit,siv, nur 2, 17 — öiayoyyv'Qsiv, nur 15, 2. 19, 7 — öiayqrjyoqslv, nur 9, 32 — öiaöiöövai, Lc. 11, 22. 18, 22. Act. 4, 35. Sonst noch 2 mal im N. T., nicht aber bei Matthäus, Marcus — öiaxovia Lc. 10, 40 und Act. Nicht bei Matthäus, Marcus, die dafür öiäxovog eigenthümlich haben — öiaXaXslv, nur 1, 65, 6, 11 — öiaXeinetv, nur 7, 45 — öia- ftaqxvqeodai, Lc. 16, 28 und Act., nicht bei Matthäus, Marcus — öta- fteqiOftög, nur 12, 51 — öiavsvsiv, nur 1, 22 — öiavörjfta , nur 11, 17 — öiavoiyeiv kommt ausser Mr. 7, 34. 35 nur noch bei Lc. 2, 23. 24, 31. 32. 45. Act. vor — öiavvxxeqeieiv, nur Lc. 6, 12 — öianoqsiv, nur Lc. 9, 7. 24, 4 (?) — öianqayftaxeveodai, nur Lc. 19, 5 — ötaasieiv, nurLc. 3, 14 — öiaoxqicpsiv, Lucas 2 mal, Act. 3 mal, sonst noch 2 mal im N. T. — öiaxaqdaasiv, nur 1, 29 — öiaxäaasiv, 4 mal. Act. Aber auch Mt. 11, 1 — ötaxrjqslv, nur Lc. 2, 51. Act. 15, 29 — öiaxids- adai, nur Lc. 22, 29. Act. 3, 25 und im Hebräerbrief — öiacpvXdxxsiv, Lc. 4, 10 — öiaxwqi^sadai, Lc. 9, 33 — öiiqxsodai kommt zwar auch Mr. 10, 25. 4, 35 = Lc. 8, 22. Mt. 19, 2 1. 12, 43 = Lc. 11, 24, aus serdem aber noch 9 mal bei Lucas vor und Act. Besonders zu beachten 310 Viertes Capitel. ist die Phrase öisXdslv swg 2, 15. Act. — öifjyrjGig, nur Lc. 1, 1 — öiiaxdvai, nur Lc. 22, 59. 24, 51. Act. 27, 28 — öiioxvqi&odai, nur Lc. 22, 59. Act. 12, 15 — öixaaxfjg, von Lekebusch vergessen. Nur Lc. 12, 14. Act. 7, 27. 35 — öiö hat Marcus nicht, Matthäus blos 27, 8, Lucas dagegen 1, 35. 7, 7 und 10 mal in Act. — öioösvsiv, nur Lc. 8, 1 . Act. 17, 1 — öiöxi , hat Lucas allein unter den Synoptikern — ööyfia, Lc. 2, 1 und Act. Aber bei Matthäus , Marcus nicht — öo- xslv, 11 mal, Act. — ööga, 13 mal, Act. — öogä^siv xöv dsov steht zwar auch A Mr. 1, 12 = Mt. 9, 8 = Lc. 5, 26, ausserdem noch 3 mal im Matthäus, aber noch 8 mal im Lucas — öovXrj, nur Lc. 1 , 38. 48. Act. 2, 18 — öoxrj, nur 5, 29. 14, 13 — öqaxfifj, nur 15, 8. 9 — 'Eqv, von Lekebusch vergessen, kommt sonst nur Mt. 24, 43. 1. Cor. 10, 13. Apok. 2, 20 vor, aber bei Lucas 4, 41. 22, 51 und in Act. 8 mal — sßqaixög, nur 23, 38 — iyeiqeiv, Lc. 18 mal, Act. 14 mal — ¦ iyxädexog, nur 20, 20 — syxvog, nur Lc. 2, 5 • — iöacpi^siv, nur Lc. 19, 44 — sd-og, Lc. 1, 9. 2, 42. 22, 39. 7 mal in Act. , sonst nur 2 mal im N. T. — sldiafiivov, nur 2, 27 — s'iqrjxa, die Perfectformen sind bei Lucas so gewöhnlich, wie bei Matthäus die Aoriste, vgl. Lc. 2, 24. 4, 12. 22, 13. Act. (bei den Synoptikern blos noch Mt. 26, 75) — slodysiv, Lc. 2, 27. 14, 21. 22, 54. Act. Sonst nur 2 mal im N. T. , nicht bei Matthäus, Marcus — slaiqxsadai, überhaupt häufig, besonders bei Lu cas — slocpiqsiv, ausser Lucas (4 mal. Act. 1 mal) nur noch 3 mal im N. T. — ixxofiitßiv, nur 7, 12 — ixxqiftaadai, nur 19, 48 — sxXsl- nsiv, unter den Dreien nur Lc. 16, 9. 22, 32 — sxfiäaosiv , unter den Dreien nur Lc. 7, 38. 44 — sxfivxxrjqiQsiv , blos Lc. 16, 14. 23, 35 — sxoxaoig und igiaxaodai, bei Lucas häufiger, — ixxsXslv , nur Lc. 14, 29. 30 — ixxsviaxsqov , nur 22, 44 — sxcpsqsiv, 15, 22 und 4 mal in Act., sonst noch 2 mal im N. T. , aber nicht bei Matthäus, Marcus — sxywqslv, nur 21, 21 — sXxog, unter den Dreien nur Lc. 16, 21 — sXxovv, nur Lc. 16, 20 — sXXrjvixög, unter den Dreien nur Lc. 23, 38 — iXn'iQsiv kommt bei Lucas 3 mal (Act. 2 mal), bei den Synoptikern nur Mt. 12, 21 im Citat vor — ifißdXXsiv, nur Lc. 12, 5 — ifinifinXd- vai, Lc. 1, 53. 6, 25. Act. 14, 17. Sonst nur 2 mal, aber nicht bei Mat thäus, Marcus — s'finqoadsv, Lucas 10 mal. Act. — sfiopoßog, 1 mal, Act., und zwar stets mit ysvofisvog oder iyivsxo — s'vavxi, nur Lc. 1, 8. Act. 8, 21 — svavxiov, ausser Mr. 2, 12 nur bei Lucas — ivöixe- adai, nur 13, 33 — iveöqeveiv, Lc. 11, 54 und Act. 23, 21. Sonst nicht — svslvat, nurLc. 11, 41 — ivdäös, Lc. 24, 41 und 5 mal in Act., sonst nur Joh. 4, 15. 16 — iviaxvsiv, nur Lc. 22, 43 und Act. 9, 19 — ivvsvsiv, blos Lc. 1, 62 — ivoxXslv, unter den Dreien nur Lc. 6, 18 — ivcuntov, 20 mal, nie bei Matthäus, Marcus. Lucas hat 5 mal svw- niov xov dsov — igaixsladai, nur Lc. 22, 31 — igaitpvrjg, ausser Der Sprach Charakter der Synoptiker. 3U Mr. 13, 36 nur Lc. 2, 13. 9, 39 und Act. — sgaaxqdnxsiv , nur Lc. 9, 29 — sgfjg, nur Lc. 7, 1 1. 9, 37 und Act. — sgw, 1 1 mal — snay- ysXia, Lc. 24, 49, Act. hat weder Matthäus noch Marcus — inadqoi- t,sodai, nur 11, 29 — inaiqsiv , hat unter den Synoptikern ausser Mt. 17, 8 blos Lucas 6 mal und Act. — inaixslv, blosLc. 16, 3. 18, 35 — inaviqxsadat, blos Lc. 10, 35. 19, 15 — insiöfjnsq, blos Lc. 1, 1 — ineiaiqxsodai , blos Lc. 21, 35 — iniqxsadai, Lc. 1, 35. 11, 22. 21, 26. 35 in Act. 4 mal, sonst nur noch 2 mal, aber nicht bei Matthäus, Marcus — snißäXXsiv in der Bedeutung Zukommen, nurLc. 15, 12; xdg xslqag Lc. 21, 12. 22, 53, was aber auch A Mr. 14, 46 = Mt. 26, 50 hat — inißißät,eiv , blosLc. 10, 34. 19, 35. Act. 23, 24 — ini- ßXineiv, unter den Dreien nur Lc. 1, 48. 9, 38 — iniösiv, blos Lc. 1, 25. Act. 4, 29 — inixaXsladai, bei Benennungen kommt zwar Mt. 10, (3 ?) 25, vor Allem aber bei Lc. 22, 3 und 9 mal in Act. vor. So gewöhnlich 6 imxaXovftevog , wo Matthäus sagt 6 Xsyofisvog — snixslodai, nicht bei Matthäus und Marcus, aber Lc. 5, 1. 23, 23. Act. 27, 20 — inixqivsiv, blos 23, 24 — iniXafißävsadai , steht in AMr. 8, 23, bei Mt. 14, 31, beidemal selbstständig, aber bei Lucas 5 mal und Act. Sonst noch 5 mal im N. T. — iniXsixsiv, nur Lc. 16, 21 — inifisXwg, blos Lc. 15, 8 — inminxsiv, bei Matthäus nicht, bei Marcus 3, 10, bei Lucas 1, 12. 15, 20, 8 mal Act., sonst nur noch 3 mal — inmviysiv, blos Lc. 8, 7 — sninogsvsodai, blos Lc. 8, 4 — iniggi- nxsiv, unter den Dreien nur Lc. 19, 35 — intoixiofiög , blos Lc. 9, 12 — iniaxinxsadai, häufiger bei Lucas, als sonst im N. T. — sniaxdxrjg, nur bei Lucas, aber 6 mal als Anrede an Jesus — sntoxqicpEiv kommt wenigstens öfter bei Lucas vor, als bei den Andern — imaxisiv, nur 23, 5 — inicpwvslv, nur Lc. 23, 21 und Act. — inixstgslv, nurLc. 1, 1 und Act. — inixisiv, nur Lc. 10, 34 — al sqrjftoi heisst nur bei Lucas zuweilen die Wüste, vgl. 1, 80. 5, 16. 8, 29 — eo^g hat ausser Lc. 23, 11 und Act. blos noch Jakobus — s'adrjoig, nur Lc. 24, 4? — saniga, nur Lc. 24, 29 und Act. — sxog hat Lucas (Act. mitgerechnet) öfters, als alle andern Schriftsteller des N. T. zusammen — sisqysxrjg, nur Lc. 22, 25 — svdsxog, unter den Dreien blos Lc. 9, 62. 14, 35 — si- Xaßrjg, blos 2, 25 und Act. — siXoyslv xiva, ausser Mt. 5, 44. Mr. 10, 16 (xaxsvXoyslv) nurLc. 2, 34. 6, 28. 9, 16. 24, 50 — 53 — svgioxsiv ist häufig, mit %«otv hat es blos Lc. 1, 30. Act. und Hebr. 4, 16 — sixövwg, nur 23, 10 und Act. 18, 28 — sifoqslv, nur Lc. 12, 16 — sicpqaivsiv, bei Lucas 6 mal, in Act. 2 mal, im ganzen N. T. sonst noch 6 mal, aber nicht Matthäus und Marcus — scprjfisqia, nur Lc. 1, 5. 8 — s'xsiv, sich befinden, 2 mal, Act. 7 mal — Zrjxslv, 27 mal, Act. — Z,sv- yog, blos 2, 24. 14, 19 — 'Hyslodai kommt ausser dem Citat Mt. 2, 6 in denEvangelien nur nochLc. 22, 26, in Act. 4 mal vor (b rjyoiftsvog) — 312 Viertes Capitel. f/yEftovsvEiv, blosLc. 2, 2. 3, 1 — rjysfiovia, blosLc. 3, 1 — rjfiidavrjg, blos Lc. 10, 30 — xö rjxog, blos Lc. 21, 25 — Qäfißog, blos Lc. 4, 36. 5, 9. Act. 3, 10 — davftä^siv ini zwt hat zwar Mr. 12, 17, sonst blos Lc. 2, 33. 4, 22. 9, 43. 20, 26. Act. — dslov , unter den Dreien nur Lc. 17, 29 — dsfiiXiov, in den Evangelien nur Lc. 6, 48. 49. 14, 29 — dswqia, nur Lc. 23, 48 — dqavsiv, nur Lc. 4, 18 — dqöfißog, nur Lc. 22, 44 — dvfiiafia, Lc. 1, 10. 11. Sonst im N. T. noch in Apok. — dvfiiäv, nur Lc. 1,9 — "laaig, blos Lc. 13, 32 und Act. — löqwg, nur Lc. 22 , 44 — leqaxeia, unter den Dreien nur Lc. 1,9 — leqaxsvstv, blos Lc. 1,8 — Ixavög, in der Bedeutung viel 6 mal, Act. 18 mal, sonst im N. T. nur 3 mal — ixftäg, nur Lc. 8,6 — iXdoxsodai , ausser Lucas noch Hebr. — Ifiaxiofiög, bei Lucas 2 mal, Act. 20, 33, bei Matthäus höchstens 27, 35 — 'iawg, nur Lc. 20, 13 — Kdöog, nur Lc. 16, 6 — xadaiqelv, 3 mal, Act., sonst nur noch 3 mal — xadegfjg, nur Lc. 1, 3. 8, 1 und Act. — xadievai, nur Lc. 5, 19 und Act. — xadonXi'Ljeodai, nur 11, 21 — xadöxi, nur Lc. 1, 7. 19, 9 und Act. — xaxaßaiveiv fiexd xivog hat blosLc. 2, 51. 6, 17 — xaxäßaotg, nur Lc. 19, 37 — xaxaöieiv, blos Lc. 10, 34 — xa- xaxXeieiv, blos Lc. 3, 20 und Act. 26, 10 — xaxaxXiveiv, blos Lc. 7, 36. 9, 14. 14, 8. 24, 30 — xaxaxoXovdslv, blos Lc. 23, 55. Act. 16, 17 — xaxaxqrjfivi%stv, blos Lc. 4, 29 — xaxaXidä"Qsiv , blos Lc. 20, 6 — xa- xavsvsiv, blosLc. 5, 7 — xaxavoslv, bei Lucas 4 mal und ebenso in Act., in den Evangelien nur Mt. 7, 3 — xaxanXisiv, nur Lc. 8, 26 — xaxa- avqsiv, nurLc. 12, 58 — ¦ xaxaacpäxxsw , nur 19, 27 — xaxacpiXslv, Lucas 3 mal, Act., sonst 2 mal im N. T. — xaxaipvxsiv , blos Lc. 16, 24 — xaxiqxsadai, bei Lucas 2 mal, oft in Act. , sonst nur Jak. 3,15 — xaxrjxslv hat unter den Evangelien blos Lc. 1, 4 und Act. — xsqafiog, nur Lc. 5, 19 — xs'qag, unter den Dreien blos Lc. 1 , 69 — xsqäxiov, blos Lc. 15, 16 — xrjqiov, blos Lc. 24, 42 — xXdoig (xov aqxov), blos Lc. 24, 35. Act. 2, 42 — xXivsi rj fjfiiqa, nur Lc. 9, 12. 24, 29 — xXtviöiov, nur Lc. 5, 19. 24 — xXiaia, nur Lc. 9, 14 — xofi'iQsiv activ, nur Lc. 7, 37 — xovioqxög, ausser Mt. 10, 14 nur Lucas 2 mal, Act. — xonqia und xönqiog, nurLc. 13, 8. 14, 35 — xöqag, nurLc. 12, 24 — xöqog, nur Lc. 16, 7 — xqamdXij, nur Lc. 21, 34 — xqdxiaxog, nur Lc. 1, 3 und Act. — xqdxog, in den Evangelien nur Lc. 1, 51. Act. — xqvnxrj, blos Lc. 11, 33 — xxaadai, Lc. 18, 12. 21, 19. Act. 3 mal. Sonst nur Mt. 10, 9. 1. Thess. 4, 4 — Aafinqwg, nurLc. 16, 19 — Xagsvxog, nur 23, 53 — Xaxqsvsiv, bei Lucas viel öfter, als sonst im N. T. — Xfjqog, nur 24, 1 1 — Xlfivrj, unter den Dreien nur Lucas — Xiftög, in Ablos Mr. 13, 8 = Mt. 24, 7=Lc. 21, 11, sonst noch Lc. 4, 25. 15, 14. 17 und Act. — Xoiftög, Lc. 21, 11. Act. Sonst höchstens Mt. 24, 7 — XvaixsXsl, blos Lc. 17, 2 — Xvxqwaig, blos Lc. 1, 68. 2, 38 und Der Sprachcharakter der Synoptiker. 313 Hebr. 9, 12 — Maxaqi^siv, unter den Dreien blos Lc. 1 , 48 — fia- xqög, imN. T. nurLc. 15, 13. 19, 12; fiaxqd kommt vor AMr. 12, 40 = Mt. 23, 13 = Lc. 20, 47 — fiaoxög, unter den Dreien blos Lc. 11, 27. 23, 29 — fisyaXsla, blos Lc. 1, 49 und Act. 2, 11 — fts- yaXsiöxrjg, ausser 2. Petr. 1, 16 nur Lc. 9, 43. Act. — fisXioaiog , nur Lc. 24, 42 — ftivetv kommt öfters für wohnen vor; bei den Anderen nur A Mr. 6,10 = Mt. 10, 11 — fteqioxrjg, nur Lc. 12, 14 — fiexewqi- tyodai, nur Lc. 12, 29 — ftsxoxog, unter den Dreien blos Lc. 5, 7 — ftfjv hat unter den Evangelisten blos Lucas — ftiadiog, nur Lc. 15, 17. 19 — fivä, im N. T. blos Lc. 19, 13 — 25 — ftvfjfta, 3 mal, fivrjfislov 10 mal — ftöytg, blos Lc. 9, 39 — • Noftixög, bei Lucas 6 mal, sonst nur Mt. 22, 35 bei den Synoptikern — vofioöiödoxaXog , statt yqafifiaxsvg, 5, 17. Act. — vöxog, ausser Apok. 21, 23 nur Lucas 3 mal, Act. — oöe, unter den Evangelisten blos Lc. 10, 39. 16, 25 — böeveiv, nur Lc. 10, 33 — öövväodai, nur Lc. 2, 48. 16, 24. 25 und Act. 20, 38 — oixo- öofielv, blos Lc. 16, 2 — olxog gebraucht Lucas häufig für Familie, z. B. 2, 4. 9, 61 und noch 5 mal — olxov ftivrj, 3 mal, Act. 5 mal, sonst noch 6 mal — oixxiqptwv , unter den Dreien blos Lc. 6, 36 — ofißqog, blos Lc. 12, 54 — bftiXelv, blos Lc. 24, 14. 15 und Act. — oveiöog, blos Lc. 1, 25 — bnöxe, blos Lc. 6,3 — önxsadai, davon liebt Lucas besonders die Form wcpdrjv , die A nur Mr. 9,4= Mt. 17, 3 hat — önxög, blos Lc. 24, 42 — öqsivög, blos Lc. 1, 39. 65 — öqdql&iv, blos Lc. 21, 38 — ogdgiog, blos Lc. 24, 22 — oqdqog, blos Lc. 24, 1. Act. 5, 21 und Joh. (?) 8, 2 — oioia, blos Lc. 15, 12. 13 — öcpqvg, nur Lc. 4, 29 — öxsladai, nur Lc. 6,18. Act. 5, 16 — Ilayig, unter den Dreien blos Lc. 21, 35 — naiöeveiv, in den Evangelien blos Lc. 23, 16. 22. Act. 7, 22. 22, 3 — rj nalg, nurLc. 8, 51. 54 — naXaiovv, in den Evangelien blosLc. 12, 33 — nafinXrjdsi, blos Lc. 23, 18 — navöoyelov, blosLc. 10, 34 — navöoxsig, blos Lc. 10, 35 — navxsXig, in den Evan gelien blos Lc. 13, 11 — naqaßid^eadai, blosLc. 24, 29 undAct. — na- qayivsadai, Lieblingswort des Lucas, aber auch sonst — naqdöogov, blos Lc. 5, 26 — naqaixsladai , in den Evangelien blosLc. 14, 18. 19 — naqaxadiXfiiv , blos Lc. 10, 39 — naqaxaXvnxsiv, blos Lc. 9, 45 — naqaxvnxeiv, unter den Synoptikern nur Lc. 24, 12 — naqdXiog, blos Lc_ e, 17 — naqaXvsadai, in den Evangelien blos Lc. 5, 18. 24 (6 naqaXsXvfisvog für nagaXvxixög) — naqaxrjqrjotg, blosLc. 17, 20. Auch nagaxrjqelv hat Lucas öfters, als die andern Schriftsteller des N. T. — 7taqaxqfjfta, nur bei Lucas ausser Mt. 21,19. 20 — naqdevia, blos Lc. 2, 36 — naqoixslv, in den Evangelien blos Lc. 2-1, 18 — naxslv, ausser Apok. blosLc. 10, 19. 21, 24 — navsodai, in den Evangelien blos Lu cas — nsötvög, blos Lc. 6, 17 — nifinsiv, häufiger als bei den An dern — nsvixqög, blos Lc. 21, 2 — nsgiexsiv, in den Evangelien blos 314 Viertes Capitel. Lc. 5, 9 — nsqi^wvvvodai, in den Evangelien blosLc. 12, 35. 37. 17, 8. — nsgixqvnxsiv, blosLc. 1, 24 — nsqtxvxXovv, blos Lc. 19, 43 — nsgi- Xäfinsiv, blos Lc. 2, 9 und Act. 26, 1 6, und zwar von der Schechina — nsqioixslv, blos Lc. I, 65 — nsqioixog, blos Lc. 1, 58 — nsqininxsiv, in den Evangelien blos Lc. 10, 30 — nsqtonäadai, blos Lc. 10, 40 — nrjyavov, blos Lc. 11, 42 — nisQsiv, blos Lc. 6, 38 — nivaxiötov, blos Lc. 1, 63 — nXslv, in den Evangelien blos Lc. 8, 23 — nXrjdog in A blos Mr. 3, 7. 8, dagegen Lieblingswort des Lucas, besonders in der Verbindung näv xö nXfjdog. Doch im Evangelium blos im Singular, gewöhnlich mit dem Genitiv der näheren Bestimmung. — Hieran schliessen sich die häufigen Ausdrücke nXrjqovv, ovfinXrjqovv , nXrjqo- cpoqelv, nXrjqrjg, nXrjodfjvai — nXrjftftvqa, nur 6, 48 — nXovxslv, in den Evangelien blos Lc. 1, 53. 12, 21 — nXvvsiv, ausser Apok. blos Lc. 5, 2 — noislv xivi xi, Lc. 1 , 25. 49. 8, 39; xi fisxd xivog, 1, 58. 72. 10, 37. Act. Redensarten, wie noislv xqdxog 1,51, Xvxqwaiv 1, 68, sXsog 1, 72. 10, 37, ixöixrjaiv 18, 7. 8 — noiftvtov, in den Evangelien blos Lc. 12, 32 — noXixrjg, ausser Hebr. 8,11 blos Lc. 15, 15. 19, 14 und Act. — noqsia, in den Evangelien blos Lc. 13, 22 — noxs (ali- quando unquam) unter den Synoptikern blos Lc. 22, 32 — nqä- xxwq, blos Lc. 12, 58 — nqsoßsia, blos Lc. 14, 32. 19, 14 — nqsoßv- xiqiov von der jüdischen Aeltestenversammlung, ausser 1. Tim. 4, 14 blos Lc. 22, 66. Act. — nqoßäXXstv, blos Lc. 21, 30 und Act. — nqo- ööxrjg , in den Evangelien blos Lc. 6 , 16 und Act. — ngoxönxsw, in den Evangelien blos Lc. 2, 52 — ngoftsXsxqv , blos Lc. 21, 14 — ngo- noqsvsodai, blosLc. 1, 76 und Act. — nqoadysiv, ausser 1. Petr. 3, 18 nur bei Lucas — nqoaavaßaiveiv , blosLc. 14, 10 — nqooavali- oxeiv, blos Lc. 8, 43 — nqoaöanaväv , blos Lc. 10, 35 — nqoaöoxqv, Lc. 6 mal, Act., sonst nur 5 mal — nqoaöoxia, nur Lc. 21, 26 und Act. — nqoosqyd^sodai , blos Lc. 19, 16 — nqoasvxsadai , Lc. 19 mal, Act. — nqoaixsiv savxoig, blos Lucas 3 mal, Act. — nqoonoisiadai, blosLc. 24, 28 — nqooqrjyvvfti , blos Lc. 6, 48. 49 — nqoaxidivai, häufig — nqooxpavsiv, blos Lc. 11, 46 — nqovnäqysiv, blos Lc. 23, 12 und Act. — nqocpiqsir, blos Lc. 6, 45 — nqocpfjxtg, unter den Dreien blos Lc. 2, 36 — nxosladai , blos Lc. 21, 9. 24, 37 — nxvoosiv, blos Lc. 1, 20 - uvxvög, in den Evangelien blos Lc. 5, 33 — ncönoxs, in den Synoptikern blos Lc. 19, 30 — 'Pfjyfia, nur Lc. 6, 49 — qfjfia hat unter den Dreien blos Lucas im Plural, was auch Lekebusch hätte anfüh ren müssen — qvfiipaia, ausser Apok. nurLc. 2, 25 — 2dXog, nurLc. 21, 25 — aixsga, blos Lc. 1,15 — oivid^siv, blos Lc. 22, 31 — aixsvxbg, blos Lc. 15, 23. 27. 30 — aixofiixqtov , blos Lc. 12, 42 — axänxsiv, blosLc. 6, 48. 13, 8. 16, 3 — oxiqxqv, blos Lc. 1, 41. 44. 6, 23 — oxoqniog, ausser Apok. blos Lc. 10, 19. 11,12 — oxvXov, blos Lc. 11, Der Sprach Charakter der Synoptiker. 315 22 — aoqög, nur Lc. 7, 14 — onaqyavwv, nur Lc. 2, 7. 12 — ansv- ösiv, ausser 2. Petr. 3, 12 nur bei Lucas — onXäyXva, in den Evange lien nur bei Lucas — oxslqa, ausser Gal. 4, 27 nur bei Lucas — oxrjqi- "Qsiv, in den Evangelien blos Lucas 9, 51. 16, 26. 22. 32 — oxqazrjyög, blos Lc. 22, 4. 52 und Act. — azqaxtd, blos Lc. 2, 13 und Act. — axqaxönsöov, blos Lc. 21, 20 — ovyysveta, blos Lc. 1 , 61 und Act. — avyxaXsiv, ausser Mr. 15, 16 nur bei Lucas 4 mal, Act. — ovyxaXv- nxsiv, blos Lc. 12, 2 — avyxvnxsiv, blos Lc. 13, 11 — avyxvqia, blos Lc. 10, 31 — avxdftivog, nur Lc. 17, 6 — avxoftoqsa, nur Lc. 19, 4 — ovxotpavxslv , nurLc. 3, 14. 19, 8 — avXXafißdveiv, 7 mal, in A nur Mr. 14, 48 = Mt. 26, 55 — ovXXoyl&odai, nur Lc. 20, 5 — avfißdX Xsiv, blos Lc. 2, 19. 14, 31 und Act. — avfinaqayivsadai, unter den Dreien nur Lc. 23, 48 — avfininxeiv, nur Lc. 6, 49 — avftnXrjqovv, nur Lc. 8, 23. 9, 51 undAct. — avficpwvia, nur Lc. 15, 25 — avvadqoit,eiv, blos Lc. 24, 33 undAct/ — ovvavxqv, ausser Hebr. 7, 1. 10 nur beiLucas — ovvaqnd&iv, nur Lc. 8, 29 und Act. — avvelvat, nur Lc. 9, 18 und Act. — ovvixeiv, in den Evangelien nur Mt. 4, 24 und bei Lucas 6 mal — avviivai, blos Lc. 8, 4 ¦ — avvoöia, blos Lc. 2, 44 — avvxvyyävsiv, blos Lc. 8, 19 — avanaqaxxsiv, blosLc. 9, 42 — owxfjq und ocoxrjqia braucht unter den Synoptikern blos Lucas — Taxewg hat unter den Synoptikern blos Lc. 14, 21. 16, 16— xäxog, in den Evangelien blos Lc. 18, S. Act. — tsXsiovv, bei den Synoptikern nurLc. 2, 43. 13, 32 — TsXsicooig, in den Evangelien nur Lc. 1, 45 — TsXsocpoqslv , blos Lc. 8, 14 — xs- xganXovg, nur 19, 8 — xsxgaqxslv, blos Lc. 3, 1 — xqavfia, blosLc. 10, 34 — xqavftaxitsiv, blosLc. 20,12. Act. — xqaxig, blosLc. 3, 5. Act. — xqfjfta, blosLc. 18, 25 — xinxsiv, Lucas 5 mal, Act., sonst nur 4 mal im N. T. — xqvyäv, ausser Apok. nur Lc.6, 44 — xqvywv, nur Lc. 2, 24 — xqvcprj, unter den Dreien nur Lc. 7, 25 — zvyxävsiv , in den Evange lien blos Lc. 10, 30. 20, 35 — xvqßd&odai, blos Lc. 10, 41 — 'Yyqög, blos Lc. 23, 31 — vöqwmxög, blos Lc. 14, 2 — vndqxsiv, in den Evan gelien nur Lucas, und zwar 7 mal, öfters noch Act. Matthäus hat blos den Ausdruck xd vndqxovxa — vnsqsxxvvsadai, nur 6, 38 — vnsqrj- cpavog, in den Evangelien blos Lc. 1, 51 — vnoösixvvvai, ausser Mat thäus 3, 7 = Lc. 3, 7 blos Lc. 6, 47. 12, 5. Act. — vnoöiyeodai, aus ser Jak. 2, 25 blos bei Lucas — vnoXafißdvsiv , ausser 3. Joh. 8 nur bei Lucas — vnofiovrj, in den Evangelien blos Lc. 8, 15. 21, 19 — vnoaxqitpsiv, in den Evangelien ausser Mt. 8, 13. Mr. 14, 40 nur bei Lucas, und zwar 22 mal, abgesehen von Act. — vnoaxgwvvvsiv, nur Lc. 19, 36 — vnoxäoosiv, in den Evangelien nur Lc. 2, 51. 10, 17. 20 — vnoxwqelv , nur 5, 16. 9, 10 — vxptoxog ist Lieblingswort des Lucas — vipog, in den Evangelien blos Lc. 1, 78. 24, 49 — (Dayelv, 20 mal. Act. — cpäqayg, blos Lc. 3, 5 — cpäxvrj, blos Lc. 2, 7. 12. l(i. 316 Viertes Capitel. 13, 15 — cpiXrjfia, in den Evangelien blos Lc. 7, 45. 22, 48 — qpoßel- adai, Lc. 24 mal — cpößrjxqov, blos Lc. 21, 11 — cpqovifiwg, nurLc. 16, 8 — cpvsiv, ausser Hebr. 12, 15 nur Lc. 8, 6. 8 — qpvXäaosiv hat ausser A Mr. 10, 20 = Mt. 19, 20 = Lc. 18, 21 Lucas noch 5 mal — Xa- Xäv, Lucas 2 mal, Act. 3 mal, sonst noch 2 mal — %dqag, blos Lc. 19, 43 — X<*QlS> gebraucht unter den Dreien blos Lc. 1, 20. 2, 40. 52. 4, 22. 6, 32 — 34. 17, 9 — xdafia, blosLc. 16, 26 — X<>QÖg, nurLc. 15, 25 — XQ$v> d1°s Lc. 11, 5 — xQWfEiXixrjg, nur Lc. 7 , 41. 16, 5 — Wcoxstv, blos Lc 6, 1 — Qöv, blos Lc. 11, 12 — wasi, bei Lucas öfters als bei den andern Schriftstellern des N. T. Werfen wir einen Rückblick auf den zusammengestellten Sprach gebrauch des Lucas, so bemerken wir, den beiden anderen Synoptikern gegenüber, ohne allen Zweifel eine grosse Fülle des Vorraths. Kein Evangelist gebietet insonderheit über eine so reiche Auswahl von Zeit wörtern, die mit Präpositionen (mit dvä, öid, ini, xaxä, nsqi, nqög und ovv) zusammengesetzt sind;1 ein Blick auf die vorstehende Tafel be weist, dass sehr viele dieser Zeitwörter den übrigen neutestamentlichen Schriftstellern weit weniger geläufig sind, als der classischen Gräcität. X. Lucas und Paulus. Sehr in die Augen fallend ist die sprachliche Verwandtschaft des dritten Evangeliums mit der paulini schen Literatur. Wir behandeln diesen, ausführlicher und mit der ge wohnten Uebertreibung zuerst vom »sächsischen Anonymus« geltend gemachten, Punkt hier um so genauer , als sich die dogmatische Parallele zur Sache noch einstellen wird (§. 25). Dabei bemerken wir aber zum Voraus, dass wir uns nur auf die Fälle beschränken, wo ein Wort im ganzen N. T. nur im dritten Evangelium (resp. dem, über die Grenzen des Evangeliums hinausreichenden Geschichtswerke des Lu cas, wobei wir aber die blos in der Apostelgeschichte vorkommenden Parallelen nicht berücksichtigen) und den Briefen des Paulus (resp. der mehr oder weniger paulinischen Literatur) sich findet. Selbstverständlich wird der paulinische Charakter der Diction des Lucas da am hellsten hervortreten, wo der Verfasser am meisten unab hängig schreibt, oder wenigstens seine Quellen am freiesten bearbeitet. Das Letztere ist z. B. nach S. 211 der Fall in der Vorgeschichte. Der »sächsische Anonymus« findet sogar, die beiden ersten Capitel seien, namentlich auch was Sprache betrifft , das Paulinischste im gan zen Lucas; besonders stark sei die Berührung zwischen ihnen und Rom. 9 — 11, welche Capitel sich fast Wort für Wort in der Vorge schichte wieder fänden ; aber auch an die späteren paulinischen Briefe fänden sich mancherlei Anklänge. a Die Beobachtung selbst ist richtig. 1) Vgl. Lekebusch, S. 74. — 2) Die Evangelien, ihr Geist u. s. f. S. 218 f. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 317 Denn abgesehen von einer Reihe von Wörtern, die man aus dem nach folgenden Verzeichniss leicht zusammenstellen kann , finden sich Ver bindungen, wie 1, 75 iv boiöxrjxi xal öixaioavvrj = Eph. 4, 24, und erinnern die Reden des Zacharias, derEHsabeth, der Maria, des Symeon, was Zusammenfügung und Lebhaftigkeit des Gedankengangs anlangt, ganz an paulinische Constructionen , wie z. B. Eph. 1, 3 — 14 — eine Periode, die auch wie Lc. 1 , 68 mit svXoyrjxög b dsög beginnt. Was aber Rom. 9 — 11 betrifft, so besteht das Tertium comparationis in der Durchführung gewisser Hauptideen , als da sind : Barmherzigkeit und Gnade Gottes gegen sein Volk, Verheissungen an Abraham, die durch den Glauben gewonnen werden. Der Stein des Anstosses Rom. 9, 33 erinnert an Lc. 2, 34 — das Nichtglauben an die göttliche Botschaft Rom. 10, 16 an den Unglauben des Zacharias 1, 20 — die beiden Frauen mit ihren Söhnen der Verheissung Rom. 9, 8. 10 an die beiden Mütter der Vorgeschichte, deren eine ja das aniqfia xov Aßqadft Gal. 3, 16 hervorbringt. Bemerkenswerth ist ferner, dass jene eigenthümliche Am- biguität, die sich in den bezeichneten Capiteln bezüglich des Namens xiqiog findet, auch in der Vorgeschichte des Lucas wiederkehrt. Wie wohl sonst der stehende Titel des Messias, wird das Prädicat xvqiog von vornherein (vgl. Lc. 1, 6. 9. 1 1. 15 u. s. f.) auf Gott übertragen, wie Rom. 9, 28. 29. So scheinen denn auch an den beiden Stellen Lc. 1, 16. 17. Rom. 9,5 die beiden Begriffe Gott und Christus geradezu in einander zu verfliessen , wesshalb beide auch in der Geschichte der Or thodoxie dieselbe Rolle spielen. Am schlagendsten aber sind die, sowohl in den beiden ersten Capiteln des Lucas , als in den drei bezeichneten des Römerbriefs, so oft wiederkehrenden Ausdrücke s'Xsog, xdqig, nioxig, nioxsvsiv, övvafitg xvqiov, olxog 'laxeoß, 'loqarjX, Äßqadp, aniqfia Aßqaafi, avyysvrjg, ol naxiqsg fjftwv, b naxrjq fjfiwv, öiadrjxrj, awxrjqia, xö q~fjfia aixov, Xöyoi fiov, sxoiftd^siv, rjysiqe, siayysXi^sadat, b Xaög fiov, avx iXsyö fisvov, änsidrjg, öixaiog, öixaioavvrj, iXsvoOfiai, xXrjdrjas- xai, xaiqog, saxai aoi, oxsvog und xaxsoxsvaoftivog, yivotxo, ysvvqv, viög dsov, Xaxqsia , Xaxqsvsiv, dfisfinxog und ptificpsadai, scog aiiovog und etg xoig alcSvag, nvsvpta ayiov, yvwaig und iniyvwatg, svXoyrjxög, xö övvaxöv und xö xqäxog, xö ovofia aixov, iv xfj xaqöiq, fitaslv, öirj- aig. x Aber nicht blos die beiden ersten Capitel , auch sämmtliche fol gende hat der »sächsische Anonymus« in dieser Richtung verar beitet, um die Paulinismen des dritten Evangeliums möglichst vollstän dig ans Tageslicht zu fördern. z So viel Uebertriebenes sich in diesen Ausführungen findet, so unvollständig, ja, um der vorausgesetzten Ori- 1) Vgl. die Nachweisungen im Einzelnen beim »sächsischen Anonymus,« S. 219 f. — 2) Die Evangelien, ihr Geist u. s. f. S. 271—290. 318 Viertes Capitel. ginalität des Lucas gegenüber dem* Marcus , unrichtig sie andererseits auch noch sind, so wenig anfechtbar ist das allgemeine Resultat, dass zwischen der, in der paulinischen Literatur waltenden, Diction und derjenigen des Lucas ein eigenthümlich enges Verwandtschaftsverhält niss besteht. Wir geben zuerst ein alphabetisches Verzeichniss der Hauptdata. Xyvoslv 9, 45. Act. Besonders bei Paulus, wie alle von vovg abge leiteten Wörter — äywvltsodai 13, 24. Ausser Joh. 18, 36 nur bei Paulus — aörjXog 11, 44. Sonst nur 1 . Cor. 14, 8 — äöixia. Die S. 307 erwähnten Zusammensetzungen mit dem Genitiv dieses Wortes haben ihre Parallele 2. Thess. 2, 3 — ädsxslv 7, 30. 10, 16. Besonders, und in ähnlichen Verbindungen, bei Paulus Gal. 2, 21. 3, 15. 1. Tess. 4, 8. 1. Tim. 5, 12 — alvsiv xöv deöv 4 mal im Lucas, 3 mal Act. Sonst im N. T. nur noch 2 mal im Römerbrief — aiodäveodai, nur 9, 45. Vgl. aber Phil. 1, 9 a'iadrjoig ¦ — altpvlöiog 21, 34. Sonst nur 1. Thess. 5, 3 — aiyfiaXwxi'Qeiv 21, 24. Sonst nur bei Paulus — äxaxaoxaaia 21, 9. Sonst nur Jak. 3, 16 und bei Paulus (1. Cor. 14, 33. 2. Cor. 6, 5. 12, 20) — äXXäye 24, 21. Vgl. 1. Cor. 9,2 — äXX' ovöi, eine Ver bindung, die nur dem Lucas und Paulus eignet — ävdyxrj in dem Ge brauch von 14, 18 kommt auch 1. Cor. 7, 37, in dem von 21, 23 auch 1. Cor. 7, 26. 2. Cor. 6, 4. 12, 10. 1. Thess. 3, 7 (und sonst nicht mehr so) vor — ävat/fjv 15, 24. 32. Nur noch Rom. 7, 9. 14, 9 und Apok. — ävaxqiveiv 23, 14. Act. Sonst noch zehnmal 1. Cor. — äva- Xveiv 12, 36. Sonst blos Phil. 1 , 23 — ävaXwaai 9, 54. Sonst blos Gal. 5, 15. 2. Thess. 2, 8 — ävanifineiv, nur bei Lucas undPhilem. 11 - — avdqwne als Anrede gehört zu den Eigenthümlichkeiten des Lucas. •Aber vgl. Rom. 2,1 — ävd' wv 1 , 20. 12, 3. 19, 44. Act. ist pauli- nisch (2. Thess. 2, 10) — ävörjxoi als Anrede 24, 25. Sonst nur Gal. 3, 1 — dvoia 6, 11. Sonst noch 2. Tim. 3, 9 — ävxanoxqiveadai 14, 6. Sonst nur Rom. 9, 20 — ävxanööofta 14, 12. Sonst nur Rom. 11,9. So auch ävxanoöovvai 14, 14. Sonst nur Hebr. 10, 30 und bei Paulus — ävxixslftsvog 13, 17. 21, 15. Sonst blos bei Paulus — ävxiXafißd- vsodai 1, 54. Act. Sonst noch 1. Tim. 6,2 — dnö xov vvv 1, 48. 5, 10. 12, 52. 22, 18. 69. Sonst nur 2. Cor. 5, 16. Ebenso an alcSvog 1, 70. Act. Sonst nur Col. 1, 26. Eph. 3, 9 — äneXn'iQeiv, nurLc. 6, 35 und Eph. 4, 19 — äneidrjg, nur Lc. 1, 17. Act. und bei Paulus — änoßfjvai 5, 2. 21, 13. Sonst nur Joh. 21, 9 und Phil. 1, 19 (Ganz wie Lc. 21, 13) — änoxaXvnxeadai von einer Person 17, 30. Sonst nur bei Paulus (2. Thess. 2, 3. 6. 8) — änoxäXvxpig. In den Evange lien blos 2, 32. Vgl. Eph. 1, 17 und sonst — anoxsifisvog 19, 20. Sonst 1) Die Evangelien, ihr Geist u. s. f. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 319 nur Col. 1, 5 (2. Tim. 4, 8. Hebr. 9, 27) — änöxqvcpog wird vom »sächsischen Anonymus« fälschlich citirt, da es zwar Col. 2, 3, aber auch Mr. 4, 22 steht — änoXoysiodai 2 mal, Act. Sonst nur bei Paulus — änoXvxqwoig 21, 28. Sonst nur bei Paulus und Hebr. 9, 15. 11, 35 — äqxsiodai 3, 14, wie 1. Tim. 6, 8 xovxoig äqxsadrjoöfisda — äqoxqiäv, nur 17, 7 und 1. Cor. 9, 10 — äoopdXsia 1, 4. Act. Sonst nur 1. Thess. 5, 3 — äacöxwg, nur 15, 13. Aber äawxia Eph. 5, 18. Tit. 1, 6. 1. Petr. 4, 4 — äxsvl&iv 4, 20. 22, 56. Act. Sonst noch 2 mal bei Paulus — äxonog 23, 41. Act. Sonst nur 2. Thess. 3,2 — äcpiaxävai 1, 37. 4, 13. 8, 13. 13, 27. Sonst nur noch Act. und bei Paulus. Ebenso auch iipiaxdvai — ätpößwg 1, 74. Vgl. Phil. 1, 14. I. Cor. 16, 10. Sonst noch Jud. 12 — acpqov, in der Anrede 11, 40. 12, 20. Sonst 1. Cor. 15, 36. Auch das Wort selbst kommt, ausser bei Lu cas und Paulus, nur noch 1. Petr. 2, 15 vor — Biwxixög 21, 34. Sonst nur 1. Cor. 6, 3. 4 — ßvdl&odai 5, 7. Sonst nur 1. Tim. 6, 9 — Fe in der Bedeutung wenigstens 11, 8. Vgl. 1. Cor. 4, 8 — yvw- oig, Lieblingswort des Paulus, unter den Dreien blos Lc. 1, 77. 11, 52 — Jsfjaig hat unter den Dreien blos Lucas 1, 13. 2, 37. Act. Aber noielodai öefjosig 5, 33 ist paulinisch (Phil. 1, 4. 1. Tim. 2, 1) — ösx- xög 4, 19 mit ivtavxög, 1 Cor. 6, 2 mit xat^dg verbunden; wie Lc. 4, 24. Act. 10, 35 steht es Phil. 4, 18. Sonst nirgends — öiayyiXXsiv 9, 60. Act. SonstnurRöm. 9, 17 — öiaiqslv, 15, 12. Sonst nur 1. Cor. 12, 11 — öianoqeveodai 6, 1. 13, 22. 18, 38. Act. Sonst nur Rom, 15, 24 — öieqftrjveveiv 24, 27. Act. Sonst nur noch 1. Cor. — öixatovv, der bekannte paulinische Terminus, findet sich zwar auch Mt. 11, 19. 12, 37, besonders oft aber bei Lucas, vgl. 7, 29. 35. 10, 29. 16, 15. 18, 14. Act. Ebenso hat unter den Synoptikern Lucas allein öixaiwfta.l , 6 und öi- xaiwg 23, 41. Vgl. auch den paulinischen Gebrauch von öixaiog 18, 9. 20, 20. Doch schliesst er sich mit diesen Ausdrücken theilweise an die Quellen (A und A haben öixaiog, A Mt. 11, 19 = Lc. 7, 35 auch öi- xaiovv) an — öiwxeiv instransitive 17- 23. Sonst nur Phil. 3, 12 — ööyfta 1, 1. Act. Vgl. Eph. 2, 15. Col. 2, 14. Hebr. 11, 23 — öovvai TÖnov 14, 9. Vgl. Rom. 12, 19. Eph. 4, 27 — övväoTrjg 1, 52. Act. 8, 27. Sonst noch 1. Tim. 6, 15 — 'Eyxaxelv, das sonst nur paulinische Wort, steht auch Lc. 18, 1 — et xai 11,8. Sonst nur bei Paulus — et fifjxi, obwohl nicht, 9, 13, wie 2. Cor. 13, 5 (die letztere Stelle fehlt in der sonst so zuverlässigen Bruder'schen Concordanz, S. 562) — sl öog, 3, 22. 9, 29. Sonst noch 2. Cor. 5, 7. 1. Thess. 5, 22 und Joh. 5, 37 — ixöixsiv 18, 3. 5. Sonst noch bei Paulus und in der Apokalypse — exölxrjoig 18, 7. 8. 21, 22. Act. Sonst nur bei Paulus und Hebr. 10, 30. 1. Petr. 2, 14 — ixöiwxsiv, nur 11, 49 und 1. Thess. 2, 15 — sx- cpevyeiv 21, 36. Act. Sonst nur bei Paulus und Hebr. 2, 3. 12, 25 — 320 Viertes Capitel. svöogog, nur 7, 25. 1 3, 17 und bei Paulus — ivövaaadai 24, 49 ist ein paulinisches Bild, vgl. Gal. 3, 27. Eph. 4, 24. Col. 3, 10 — evexev steht bei Lc. 9, 24. 18, 29. 21, 12 so gut, wie bei den andern Synopti kern. Aber warum hat er vor diesen voraus die Form s'ivsxsv 4, 18 und svsxa 6, 22? Jene wie 2. Cor. 7, 12, diese wie wahrscheinlich Rom. 8, 36 — iganooxiXXsiv, ausser Lc. 1, 53. 20, 10. 11. Act. blos noch Gal. — igovdsvslv 18, 9. 23, 11. Act. Marcus schreibt igovösvslv 9, 12. Aber wie Lucas, so Paulus an 8 — 9 Stellen. Sonst nicht mehr - — igovoia xov axöxovg 22, 53. Sonst nur Col. 1, 13 — sgovotd^siv , blos Lc. 22, 25 und 1. Cor. — inaivslv 16, 8. Sonst nur Paulus — inavanavsodai, blos Lc. 10, 6 und Rom. 2, 17 — inifieXeladai, blos Lc. 10, 34. 35. 1. Tim. 3, 5 — inicpaiveiv, blos Lc. 1, 79. Act. Tit. 2, 11. 3, 4 — igyaoia, blos 12, 58. Act. und Eph. 4, 19 — evayysXi^sadai, kommt sonst im passiven Sinne vor, wie einmal auch bei Paulus Gal. 1,11. Sonst aber bei Paulus und Lucas immer im activen (ausserdem nur noch 1. Petr. 1, 12) — siysvrjg, nur Lc. 19, 12. Act. 1. Cor. 1, 26 — siöo- xia, ausser Mt. 11, 26 nur Lc. 2, 14. 10, 21 und bei Paulus — icpi- axdvai, Lucas 7 mal, Act., sonst nur noch 3 mal bei Paulus — Zwyqslv 5, 10. Sonst nur 2. Tim. 2, 26 —"H xai 11, 12. 18, 11. Vgl. Rom. 2, 15. 4, 9. 1. Cor. 16, 6 — fjftiqa xvqiov 17, 24 ist ein paulinischer Lieb- lingsausdruck — fjGvyd^siv 14, 4. 23, 56. Act. Sonst nur 1. Thess. 4, 11 — rjyslv, nur 21, 25 und 1. Cor. 13, 1 — Qrjqsvsiv, nur 11, 54. Das dazu gehörige drjqa nur Rom. 11,9 — dvfiög in der Bedeutung Zorn 4, 28. Act. Sonst noch bei Paulus und in der Apokalypse — 'Iöov ydg 1, 38. 44. 48. 2, 10. 6, 23. 17, 21. Act. Sonst nur 2. Cor. 7, 11 — Kaxovqyog 23, 32. 33. 39. Nur noch 2. Tim. 2,9 — xaxäysiv 5, 11. Act. Sonst nur Rom. 10, 6 — xaxaiaxivsiv 13, 17. Sonst paulinischer Ausdruck, nur 1. Petr. 2, 6. 3, 16 aufgenommen — xaxagiovv 20, 35. 21, 36. Act. Sonst nur 2. Thess. 1,5 — xaxaqyslv 13, 7. Ein Lieb lingswort des Paulus — xaxsvdvvsiv 1, 79. Sonst blos in den Thessalo- nicherbriefen — xaxixsiv xöv Xöyov 8, 15. Vgl. 1. Cor. 11, 2 rag naqa ööasig xaxixsxs — xaxrjqxiofisvog 6, 40. Vgl. Rom. 9, 22. 1. Cor. 1, 10 — xivövvsvsiv 8, 23. Act. Sonst nur 1. Cor. 15, 30 — xXvöwv, nur 8, 24 und Jak. 1, 6. Aber das dazu gehörige xXvöwvi^sodai Eph. 4, 14. — xqaxaiovadai 1, 80. 2, 40. Sonst 2 mal beiPaulus — xvqisvsiv 11, 25. Sonst nur bei Paulus — Asixovqyia, blos Lc. 1, 23, bei Paulus und Hebr. — MsyaXvvsiv in der Bedeutung Preisen 1, 46. 58. Act. Sonst nur Phil. 1, 20. 2. Cor. 10, 15 — fisvovvys 11, 28. Sonst nur bei Paulus — fisxaöiöövat 3, 11. Sonst nur bei Paulus — Nöfiog ohne Ar tikel 2, 23. 24. Sonst nur, und zwar gewöhnlich, bei Paulus — vvv. Unter den Synoptikern beginnt nur Lucas zuweilen mit vvv, vvv öi, änö xov vvv u. s. f. Vgl. 2, 29. 5, 10. 11, 39. 16, 25. 19, 42. 22, 36. 69, Der Sprachcharakter der Synoptiker. 321 ähnlich dem paulinischen vvv öi, vvvi öi — 'Oöög elqrjvrjg 1 , 79. Vgl. Rom. 3, 17 — oixovofiia und oixovöftog, Lieblingswörter des Paulus, kommen sonst nur Lc. 12, 42. 16, 1. 2. 3. 4. 8 und 1. Petr. 4, 10 vor — önxaaia 1, 22. 24, 23. Act. 26, 19. Sonst nur 2. Cor. 12,1— bqi'Qsiv 22, 22. Act. Sonst noch Rom. 1, 4. Hebr. 4, 7 — boiöxr]g 1, 75. Sonst noch Eph. 4 , 24 — ovyi dXXd 1, 60. 12, 51. 13, 3. 5. 16, 30. Sonst nur bei Paulus Rom. 3, 27. 1. Cor. 10, 29. 2. Cor. 10, 13 — öipwviov 3, 14. Sonst nur noch Rom. 6, 23. 1. Cor. 9, 7. 2. Cor. 1 1, 8 — Ilavo- nXia 11, 22. Sonst nur Eph. 6, 11. 13 — navovqyia 20, 23. Sonst nur bei Paulus — nävxwg 4, 23. Act. Sonst nur bei Paulus — naxgid 1, 4. Act. Sonst nur Eph. 3, 1 5 — nagd in der comparativischen Bedeutung 3, 13. 13, 2. 4 ist vorzugsweise paulinisch ; vgl. Rom. 12, 3. 1. Cor. 3, 1 1 und Hebr. — naqdösiaog 23, 43. Nur wieder bei Paulus 2. Cor. 12, 4 — naqdxXrjotg 1, 25. 6, 24. Act. Sonst nur bei Paulus — naqaoxfj- oai in der Bedeutung 2, 12, sonst nur bei Paulus — nXrjqovv mit xd grj- fiaxa 7, 1, mit xöv Xöyov Col. 1, 25, mit xö siayyiXiov Rom. 15, 19 — nXrjgocpoqslv 1,1. Sonst nur bei Paulus — nXovxslv et'g xiva 12, 21. Vgl. Rom. 10, 12 — nvevfia (vgl. S. 306) mit övvafitg verbunden fin det sich blos 1, 17. 35. 4, 1. 4. 24, 49. Act. und bei Paulus Rom. 15, 13. 19. 1. Cor. 2, 4. 1. Thess. 1, 5. Dasselbe Wort mit aocpia vgl. 2, 40 (?) und Eph. 1, 17 — nqayfiaxeveodai blos 19, 13. Aber das dazu gehörige Wort nqayfiaxeia 1. Tim. 2,4 — nqäooeiv braucht kein Synoptiker, ausser Lucas; unter den andern neutestamentlichen Schrift stellern nur Paulus. Besonders in der Bedeutung 3, 13. 19, 23 ist das Wort paulinisch. Vgl. 1. Thess. 4, 11 — nqsoßvxrjg 1, 18. Sonst nur bei Paulus — nqög in Verbindungen wie 12, 47 noislv nqog xö diXrjua nur noch 2. Cor. 5, 10. Gal. 2, 14 — nqooöixsadai in eigenthümli- chcmSinn 15, 2 und Rom. 16, 2. Phil. 2, 29 — nqöownov in verschie denen Verbindungen. So ninxsiv enl nqöownov 5, 12. 17, 16 = 1. Cor. 14, 25. Auch xaxd nqöownov 2, 31. Act. ist sonst nur paulinisch ; und nqöownov Xafißdvsiv 10, 21, vgl. Gal. 2, 6 — nvxvd 5, 33. Act. Sonst nur 1. Tim. 5, 23 — Siyqv 9, 36. 18, 39. 20, 26. Act. Sonst nur bei Paulus — axonslv 11, 35. Sonst nur bei Paulus — aocpia deov 11, 49 vielleicht entsprechend der Stelle 1. Cor. 1, 24 — anXäyyva sXiovg 1, 78. Vgl. Col. 3, 12. Phil. 2, 1 — onovöaiwg 7, 4. Sonst nur bei Paulus — oxiyfir) xqövov 4, 5 = gmfj öcpdaXfiov 1. Cor. 15, 32 — oxgaxsvöfisvog für axqaxiwxrjg 3, 14. Sonst nur 2. Tim. 2, 4 — ovyxadi[siv 12, 55. Sonst nur Eph. 2, 6 — avyxaxaxidsodai, nur 23, 51. Das dazu gehörige avyxa- xddsaig nur 2. Cor. 6, 16 — OvyxXsisiv 5, 6. Sonst nur bei Paulus — avyxaiqeiv 1, 58. 15, 6. 9. Sonst nur bei Paulus. Vgl. besonders Phil. 2, 17. 18 mit Lc. 15, 6 — avfinaqayiveadai 23, 48. Sonst nur 2. Tim. 4, 16 — avficpveadai 8, 7. Das dazu gehörige oificpvxog Rom. 6, 5 — oiv Holtzmann. 2 1 322 Viertes Capitel. kommt im N. T. fast nur bei Lucas und Paulus vor — avvavxiXaftßä- vsodai 10, 40. Sonst nur Rom. 8, 26 — ovvsadisiv 15, 2. Act. Sonst nur bei Paulus — ovvsotg 2, 47. Vgl. Eph. 3, 4. Col. 1, 9. 2. Tim. 2, 7 — avvsvöoxslv 1 1, 48. Act. Sonst nur bei Paulus — ovvoxfj 21,25. Sonst nur noch 2. Cor. 2, 4 — awftaxtxög 3, 22. Sonst nur Col. 2,9. 1. Tim. 4, 8 — owxfjq von Gott 1, 47. 2, 11 wie in den Pastoralbriefen — owxrj- qiog 2, 30. 3, 6. Act. Sonst nur Eph. 6, 17. Tit. 2, 11 — Tägig, Lieb lingswort des Hebräerbriefs, sonst nur bei Paulus und Lc. 1, 8 — xi- dsvai defiiXiov 6, 48. 14, 29. Vgl. 1. Cor. 3, 10 — xig ovv 7, 42. 20, 15. 17 ist paulinisch — Ylög slqrjvrjg 10, 6, oder xov aliövog Toixov oder tov cpwxög 16, 8. 20, 34, oder xfjg ävaoxdaswg 20, 36, wie vlol cpcoxög und änsidsiag Eph. 2, 2. 5, 6, xixva cpwxög Eph. 5, 8, xixva oqyfjg Eph. 2, 3 — vnoxqivsodai 20, 20. Vgl. ovvvnoxqivsadai Gal. 2, 13. Sonst nicht mehr imN. T. — vncontdCstv 18, 5. Sonst nur noch 1. Cor. 9, 27 — voziqrjfia 21, 4. Sonst nur noch bei Paulus — (DiXäqyvqog 1 G, 14. Sonst nur 2. Tim. 3,2 — cpiXoveixia, nur 22, 24. Das dazu gehö rige cpiXövsixog nur 1. Cor. 11,16 — cpöqog, blos Lc. 20, 22. 23, 2 und Rom. 13, 6. 7 — cpqövrjoig, nur Lc. 1, 17 und Eph. 1,8 — cpvXaxrj kommt imPlural nur 2, 8. 21, 12. Act. und 2. Cor. 6, 5. 11, 23 vor — Xaiqsiv sv, Lc. 10, 20, sonst nur bei Pauhis — x®qi&odai, blos bei Paulus und Lc. 7, 21. 42. 43. Act. — %äqiv s'xeiv 17, 9. Sonst nur 1. Tim. 1, 12. 2. Tim. 1, 3. Hebr. 12, 28 — xagixovv, blosLc. 1, 28 und Eph. 1, 6. Auch der häufigere Gebrauch von ftdotg gehört hierher — WaXfiög, bei Paulus und Lc. 20, 42. 24, 44 Act. Ausserdem sind noch einige Stellen zu vergleichen, welche in auf fallendem Wort- und Gedankenparallelismus mit einander stehen. Auch hierin ist der »sächsische Anonymus« vorangegangen, hat aber theils zu viel, theils zu wenig Vergleichungspunkte aufgestellt. 1 Lc. 4, 22 Xöyoig xfjg xdqtxog xoig Col. 4, 6 6 Xöyog vfiwv nävxoxs ixnoqsvofiivoig ix xov oröftaxog iv xäqixi. Eph. 4, 29 Xöyog aanqög avxov. ix xov oxofiaxog ifiwv fifj ixnoqsv- iadco aXX iva öcp xäqiv xoig äxov- ovaiv. Lc. 4, 32 iv igovoicfijv b Xöyog 1. Cor. 2, 4 6 Xöyog fiov iv äno- avxov. ösigsi nvsiftaxog xai övväftswg. Lc. 6, 28 svXoyslxs xovg xaxa- 1. Cor. 4, 12 Xoiöoqoifisvoi si- qwftivovg xxX. Xoyov fisv xxX. Lc. 6, 36 6 naxrjq ifiwv oixxig- 2. Cor. 1, 3 6 naxrjq xwv olxxiq- ficov ioxi. ftwv. Rom. 12, 1 öid xwv olxxiq- ftwv xov dsov. I) Die Evangelien, ihr Geist u. ». f. S. 260 ff. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 323 Lc. 6, 37 xal fir) xqivsxs xal ov fir) xqtdfjxs. Lc. 6, 39 fifjxi övvaxai xvcpXög xvcpXöv börjyslv; Lc. 6, 48 s'drjxs dsfiiXtov. Lc. 8, 15 xagnocpogovatv iv vnofiovfj. Lc. 9, 56 oix rjXds ipvyäg äv- dqwnwv änoXiaai aXXd owaat. Lc. 10, 8 iadiexe xd naqaxidi- fieva vfilv. Lc. 10, 20 xd övöftaxa ificöv iyqdcprj iv xoig ovqavolg. Lc. 10, 21 änixqvipag xavxa änö aocpwv xal avvsxwv xal änsxäXv- ipag avxd vrjnioig. Lc. 11, 22 ähnliches Bild, wie Lc. 1 1 , 3 6 ähnlicher Gedanke, wie Lc. 11, 41 nävxa xadaqd vfilv saxiv. Lc. 11, 49 änoaxsXw sig avxovg nqocpfjxag xai änoaxöXovg xai ig aixwv änoxxsvovai xai ixöiw- govoiv. Lc. 12, 2. 3 ähnliche Sentenz wie Lc. 12, 35 eaxwoav ifiwv at öacpveg nsqistfaaftivai. Lc. 12, 42 Tt'g aqa iaxiv b ni- axög olxovöfiog. Lc. 13, 26 xöxs aqgrjads Xiystv scpäyo fisv ivwn töv oov xai in io fisv. Rom. 2, 1 iv cp yaq xqivsig xov sxsqov asavxöv xaxaxqivstg. Vgl. N, 4. Rom. 2, 19 nsnoiddg xs asav xöv börjyöv stvai xvcpXwv. 1. Cor. 3, 10 xidsixa dsftiXiov. Col. 1, 10. 11 xaqnocpoqovvzsg xal avgavöfisvoi sig näaav vno fiovrjv. 2. Cor. 10, S s'öwxsv sig olxoöo- ftfjv xal oix elgxadaiqeoiv. 13, 10. 1. Cor. 10, 27 näv xö naqaxi- diftevov vfilv sadisxs. Phil. 4, 3 wv xd övöfiaxa sv ßißXw Ctofjg. 1. Cor. 1, 19 änoXw xfjv aocpiav xwv oocpcöv xai xfjv avvsoiv xwv avvsxwv ädsxfjow. 27 xd fiwgä xov xöofiov igsXigaxo b dsög iva xa- xaioxvvrj xovg oocpovg. Col. 2, 15. Eph. 5, 13. Tit. 1 , 15 nävxa fisv xadaqd xoig xadaqolg. 1. Thess. 2, 15 xwv xai xöv xi- qiov dnoxxsivävxwv Irjaovv xai xovg nqocpfjxag xai rjfiäg ixöiw- gävxwv. 1. Cor. 4, 5. Eph. 6, 14 axfjxs ovv nsqiQüoad- ftsvoi xfjv öacpvv vfiwv iv aXrjdsiq. 1. Cor. 4, 1. 2 o de Xoinöv tij- xslxai iv xoig olxovöfiotg iva ni- axög xig svqsdfj, wie überhaupt olxovöfiog ausser 1. Petr. 4, 10 nur bei Paulus und Lucas (vgl. 16, l) steht. 1. Cor. 8, 8 ßqcöfia öi fjftäg ov naqioxrjoi xip dscp • ovxs yaq iav cpdywfisv nsgiaasvofisv , ovxs idv fir) cpdywfisv vaxsgovfisda. 21" 324 Viertes Capitel. Lc. 18, 1 öslv nävxoxs nqoasv- Xeodai xal fifj ixxaxelv. Lc. 20, 16 fir) yivoixo. Lc. 20, 17. 18 xö ysyqafifiivov xovxo • Xidov ov änsöoxifiaaav oi olxoöofiovvxsg ovxog iysvijdrj sig xscpaXfjv ywviag. Iläg b nsowv in ixsivov ovvdXaadrjoexai. Lc. 20 , 38 ndvxeg yaq avxip twaiv. Lc. 21, 19 iv xfj vicofiovfj xxrj- oeade xdg ipvydg ificöv. Lc. 21, 24 xai lIegovoaXr)fi s'oxai naxovfiivrj vnö idvwv aygi nXrjgco- diöai xaigoi idvwv. Lc. 21, 34 ngoaixsxs öi savxoig ftfjnoxs ßagvdwaiv vftwv al xaq- öiai sv xqainäXrj xai fisdrj xal altpvlöiog icp' vfiäg inioxfj fj fjfisqa ixsivrj. Lc. 21, 36 äyqvnvelxe ovv sv navxi xatqcp ösöfisvoi iva xaxagiw- dijxs ixqpvyslv xavxa navxa xat oxadfjvai sfinqoadsv xov viov xov ävdqwnov. 2. Thess. 1, 11 etg o xal nqoa- svxöfisda ndvxoxe. Col. 4, 12 ndv- xoxe äywviQöfievog vniq ifiwv iv xalg nqoasvxalg. Vgl. 1 • Thess. 5, 17. Rom. 1, 10. Rom, 9, 14. 11, 11. Gal. 3, 21. Rom. 9, 33 xadcug yiyqanxai- iöov xidrjfii Xidov nqoaxofiftaxog xal nixqav oxavödXov. Rom. 14, 7. 8 iäv xs yaq ^olftsv xcp xvqicp "Cfifisv. Vgl. 2. Cor. 5, 15. Rom. 2, 7 rotg fiiv xad' vnofio vrjv e'qyov ayadov öögav "Crjzovai tjwfjv alcoviov. Vgl. 2. Cor. 1, 6. 6, 4. Rom. 11, 25 ozi nioqwotg zip 'loqafjX yiyovsv ayqig ov xö nXij- qwfia xcöv idvwv siaiXdrj. 1. Thess. 5, 3 — 8 aicpviöiog av xolg scpioxaxai oXsdqog. Aqa ovv vrjcpwfisv. Vgl. Rom. 13, 11 — 14. Eph. 6, 18 dta näorjg nqoosv- Xfjg xai ösfjaswg nqoasvxofisvoi iv navxi xaiqcp xal slg avxö xovxo äyqvnvovvxsg iv naorj nqooxaqxs- grjosi xai ösfjosi. 1. Cor. 5, 10 qpavsqcodfjvai e'finqoadsv xov ßrj- fiaxog xov Xqiaxov. Vgl. 1. Thess. 2, 19. Aus allen diesen Beispielen hat jedoch ausser dem » sächsischen Anonymus« Niemand den Schluss ziehen zu dürfen vermeint, dass etwa Paulus selbst unser drittes Evangelium verfasst habe. Denn die angegebenen Fälle sind und bleiben eben nur Berührungspunkte zwi schen zwei an sich ganz differenten und von einander unabhängigen Sprachgebieten. Noch auffallender ist diese Differenz und bedarf gar keines Beweises mehr, wenn wir ausser auf den Sprachschatz auch noch auf die Ausdrucksweise, auf die Satzverbindung , auf das Syntaktische am Styl des Lucas achten. Bekanntlich bietet in dieser Beziehung Pau- Der Spracheharakter der Synoptiker. 325 lus einen sehr ausgeprägten Typus dar, während Lucas noch die weiche Manier eines Schriftstellers verrath, der auch in Beziehung auf seinen Styl von verschiedenen Quellen verschieden beinflusst wird. Gewisse Aeusserlichkeiten der paulinischen Diction lassen sich zwar allerdings auch im Lucas nachweisen. Es ist wahr, es gibt auch bei ihm Parenthe sen, wie 5, 24. 8, 30. 9, 28. 30. 23, 51; es gibt Anakoluthe, wie 11, 5—7. 11. 17, 7—9. 21, 6. 12; es gibt veränderte Cönstructions - oder Redeweisen, wie 5, 14. 9, 3; es gibt Relativumschreibungen, wie 5, 25; es gibt Ellipsen, wie 8, 20. 12, 47. 48. 15, 7. 17, 2. 18, 14; es gibt Aposiopesen, wie 13, 9. 19, 42; es gibt Breviloquenzen, wie 4, 38. 23, 5. 24, 47. Aber der » sächsische Anonymus « selbst legt auf solche Vorkommnisse geringeren Werth, weil sie weniger dem Styl, als der mo mentanen Stimmung des Schreibenden angehören; wir werden über dies sehen, dass z. B. jene Anakoluthe gar nicht auf des Lucas, son dern auf die Rechnung der Quelle A kommen. x Was aber der Ano nymus noch weiter aufführt, 2 das sind meist Ausdrücke, in welchen Lucas von der Quelle A abhängig ist; ihr gehören, wie §§. 28. 29 noch besonders gezeigt werden wird, jene lebhaften, stark markirenden Worte, jene geschärften Ausdrücke und Antithesen an , an denen der Anonymus kurzer Hand wieder den Apostel erkennen will. Andere Vorkommnisse dagegen beweisen eben nur so viel, als schon bewiesen' ist, die theilweise Abhängigkeit des, in seiner Stylistik nach so ver schiedenartigen Mustern arbeitenden, Lucas auch von Paulus. Dahin gehören die vielen Zusammensetzungen mit oiv, sx und besonders das vnsqsxxvvöfievov 6, 38, da fast alle im N. T. vorfindlichen Compositio nen mit vniq bei Paulus stehen; dahin gehören ferner absonderliche Wortbildungen, wie 6, 49 qfjyfia und 11, 17 ötavörjfia (vgl. bei Paulus nXiyfia, nXdofta, noirjfia, iviqyrjfia, vörjfia, Xelftfta, neqixddaqfta, ne- qiiptjfia, sxxqwfia, xäofia), 11, 53 änoaxofiaiiQsiv (vgl. Tit. 1, 11 ini- GTOfii'Qeiv), 13, 7 äftneXovqyög (vgl. 2. Cor. 12, 16 navovqyog), 14, 28 äjcaqxtofiög (vgl. Eph. 4, 12 xaxaqxtofiög), 16, 24 xaxaipvxsiv und 21, 26 änoxpvxsiv (vgl. 2. Tim. 1 , 16 ävaipixstv), 20, 36 laäyysXog (vgl. Phil. 2, 20 laöxpvxog); dahin gehören eigenthümliche Wortverbindun gen, wie die von övvafiig und läodai 9, 1. 2 (vgl. 1. Cor. 12, 9. 10), wie s'qycp xai Xöyw 24, 19 und äqxal xal igovoiai 12, 11. 20, 20; es ge hören dahin Redensarten, wie slvai xivog 9, 55 (vgl. 1. Thess. 5, 5. 8), Participialconstructionerf, wie 7, 37. 38. 8, 43, gehäufte Relativsätze, wie 9, 30. 31 ; Constructionen mit dem Infinitiv zur Bezeichnung des Orts, der Zeit , des Zwecks , im letzten Fall mit oder ohne xov, wie sie dem Paulus und Lucas vorzüglich eigen sind. Schliesslich sind noch 1) Die Evangelien, ihr Geist u. s. f. S. 205. - 2) A. a. O. S. 266- •269. 326 Viertes Capitel. zu nennen Häufungen, wie xqaindXrj xa) fiidrj 11, 34, wozu Rom. 13, 13 verglichen werden kann. Doch konnte Lucas diese Manier noch viel eher, als dem Paulus, seiner Quelle A (vgl. S. 282) ablernen. Nur anhangsweise sei schliesslich liier noch bemerkt, dass einzelne Ausdrücke des Lucas sich an eine Sprach- und Denkweise anlehnen, die wir sonst nur aus den johanneischen Schriften kennen. Das Räth sel zu lösen, ist nicht sowohl unsere Sache, als die der Kritik des vier ten Evangeliums. Beispiele sind: fiovoysvrjg 7, 12. 8, 42. 9, 38, die Formel öiöövai öögav xcp dscp Lc. 17, 18. Act. 12, 23. Joh. 9, 24, was freilich auch sonst vorkommt, wenn auch nicht bei Matthäus und Marcus. Auffallen der ist, dass sdvog, was bei Johannes immer das Volk Israel bedeutet, so im N. T. allein noch bei Lc. 7, 5. 23, 2 und Act. (sonst nur 1. Petr. 2, 9) steht. Bios Lc. 7, 38. 44 und Joh. 11, 2. 12, 3. 13, 5 steht ixfida- asiv, igrjyslodat nurLc. 24, 35, 4 mal Act. und Joh. 1, 18; iäadai kommt ausser dem Citat Mt. 13, 15 bei den beiden Andern nur noch passivisch vor, dagegen 7 mal bei Lucas und 4 mal Act. activisch, was unter allen neutestamentlichen Schriftstellern sonst nur Johannes thut. Kfjnog für Garten haben blos Lc. 13, 19 und Johannes 4 mal. Auffal lend , dass blos in der übereinstimmenden Auferstehungsgeschichte bei Lc. 21, 12 und Joh. 19, 40. 20, 5—7 das Wort bdönov im N. T. sich findet. Dazu etliche Ausdrücke, die nur bei Johannes und Lucas sich finden, wie nqoxgiysiv, aovöägtov, axoä, avvxidivat, xöXnog, Xsvtxrjg. Wie sonst nur Joh. 2, 12, so steht Lc. 15, 13 und Act. 2 mal ov noXig statt öXiyog. XI. Abwandlung von A durch Lucas. Lucas, der zuweilen epitomirend, ebenso oft aber auch paraphrasirend sich zu A verhält, legt es darauf ab, die etwas spröde Darstellung der Quelle A in Fluss zu bringen, die Ecken abzuglätten und dem Zusammenhang im Einzelnen durch allerhand pragmatische Zwischenbemerkungen nachzuhelfen. 1 1) Dass und wie Lucas die Quelle A stylistisch bearbeitet, lässt sich beispielsweise an 21, 14 — 19 klar machen, wo er 12 seinen Aus druck intßdXXsiv xdg xeto«g hereinbringt, 1 3 der Verständlichkeit hal ber einen neuen Absatz macht, im Folgenden wieder eigenthümliche Phrasen, wie diods iv xalg xaqöiaig, änoXoyrjdfjvai, ävxsinslv, ävxt- xeifisvoi und 15 eine Erinnerung an Act. 6, 10 einfliessen lässt.2 Dass Lucas seinen Sprachgebrauch öfters dem von A (Matthäus = Marcus) substituirt, erhellt aus folgender Reihe von Stellen, die man mit ihren Parallelen vergleichen möge: 5, 20 avdqwns, 5, 24 xXiviöiov und noqsvov, 5, 31 vytaivovxsg, 5, 36 Ifiaxiov xaivov, 8, 6 ixfidöa, 8, 1) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 68. — 2) Wilke, S. 257. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 327 8 äyadrjv, 8, 13 nsxqa und öixovxai, S, 14 xö nsaöv, 8, 21 xöv Xöyov xov dsov, 9, 18 ol öyXoi, 20, 21 öqdwg, 20, 22 cpöqov, 20, 42 iv ßißXy ipaXftwv, 21, 9 äxaxaaxaaiag und fifj nxorjdfjxs, 22, 53 xal ov/. igs- xsivaxE xdg /etgag in ifts. Dasselbe erhellt aus Aenderungen, wie avftnviyovxai 8, 14, wo A Mr. 4, 19 = Mt. 13, 22 das Activ stand; vgl. dieselbe Procedur 18, 32 ifinaiydijoexai gegen A Mr. 10, 34 = Mt. 20, 19. Für die Freiheit, womit Lucas in solchen Fällen verfährt, ist zu vergleichen 9 , 9 'Iwavvrjv syio ansxscpaXiaa - xig öi iaxiv ovxog (vgl. S. 223); 20, 13 nifiipw xöv vlöv fiov xöv äyanrjxöv (anstatt sxi sva sixsv vlöv äyanrjxöv änioxEiXsv aixöv A Mr. 12, 6 = Mt. 21, 37); 21, 29 xai sinsv naqaßoXrjv aixoig- 'iösxs xrjv ovxfjv (anstatt änö ös xfjg ovxfjg ftddsxs xfjv naqaßoXrjv A Mr. 13, 28 = Mt. 24, 32). Für die Art, wie Lucas mit der Satzstellung umgeht, ist massgebend 9, 12, wo das änöXvaov xöv oxXov gegen A Mr. 6, 35. 36 = Mt. 14, 15 vor wös iv iqrjficp xöncp iafiiv gestellt wird; und 22, 10 axoXovdrjoaxs aixcp sig xfjv oixiav ov sionoqsvsxai (anstatt axoXovdrjoaxs avxip xai onov av sioiXdrj AMr. 14, 13. 14). Namentlich aber vereinfacht er A durch Anwendung der Participialconstruction , wie z. B. aqag 5, 24, das aus iysiqov dqov A Mr. 2, 9 = Mt. 9, 6 entstanden ist; 8, 15 dxovoavxsg, 9, 25 xsqörjaag, 18, 15 ixßdXovxeg, 18, 18 noirjaag, 18, Sufiaoxiywoav- xsg, 20, 10 ösiqavxsg, 20, 29 Xaßcöv, 21, 12 naqaöiöövxsg und änayo- fiivovg, 11, 53 owog fiov fisd' vfiwv. Eigenthümlich in der Wiedergabe der Fragen aus A ist dem Lucas auch die Construction des xig und zi mit dem Optativ, wo die Frage in die Seele eines Andern verlegt wird, z. B. 8, 9. 9, 46. 18, 36. Damit hängt zusammen, dass er überhaupt die Umsetzung der Oratio directa in die indirecta liebt. Während A Mr. 1, 44 = Mt. 8, 4 die Oratio directa hat oqa firjösvi e'inrjg, sind wir befugt, das xal avxog naqrjyysiXsv aixcp firjösvi slnslv 5, 14 für eine Abänderung zu halten, zumal da naqrjyysi Xsv sinslv oder Xiysiv zu den Lieblingsausdrücken des Lucas gehört (8, 56. 9, 21. Act.). Ebenso steht es mit der indirecta 8, 29. 32. 41. 20; 7. Auch verwandelt er die Rede von einer Person in die Anrede an dieselbe (6, 2. 21, 16) und umgekehrt (22, 56). Während Matthäus Dialoge liebt, bildet Lucas gern Selbstgespräche, vgl. 9, 9. 16, 3. 20, 13. So bildet er auch eigenthümliche Fragen, wie xig iaxiv b öovg aoi 20, 2, wo A Mr. 11, 28 = Mt. 21, 23 xig aoi söwxsv hat. Ebenso 5, 21 xig iaxiv ovxog dg XaXsl und 8,4 5 Tt'g 6 äipdftsvög fiov, wo beide mal A umgebildet ist. Unabhängig vonA hat Lucas die Form xig iaxiv ovxog og 7, 4 9 und ist dazu die andere, jedoch auch bei Matthäus und Marcus vorfindliche, Formel ovöeig iaxiv og 1, 61. 12, 2. 18, 29 zu vergleichen. 328 Viertes Capitel. Lucas liebt gewisse Formeln der Anrede, wie avdqione, das er 5, 20 anstatt xixvov A Mr. 2, 5 =Mt. 9, 2 gebraucht; dass Dies aber nicht geschieht »auf Grund der Reflexion, dass der in Folge seines Sündenle bens gelähmte Kranke kein Kind mehr gewesen sein kann, « ' sondern vielmehr zu des Lucas Manier gehört, zeigen Stellen, wie 12, 14. 22, 58. 60 und das yvvai 11, 57. 13, 12. Aus seiner Weise, sich den Vor gang in der Phantasie zu vergegenwärtigen, schreiben sich gewisse con- stante Situationen und Geberden her, wie die Angabe, dass Traurige sich an die Brust schlagen 18, 13. 23, 48, dass Jesus die Erweckten den Eltern übergibt, 7, 15. 9, 42, deren einzige Kinder sie sind 7, 12. 8, 42 (9, 38); dass er so oft betet 3 , 21. 5, 16 (aus A Mr. 1, 35 nachgetragen). 6, 12. 9, 18. 28. 29. 11, 1 und bei den Pharisäern zu Gast ist 7, 36. 11, 37. 14, 1. 2) Es lassen sich aber auch noch speciellere Gesichtspunkte für die Bearbeitung von A durch Lucas angeben. Lucas setzt öfters zwei Worte, wo in A nur eines stand. So sodiovoiv xai nivovoiv 5, 33 für oi vrjoxsvovaiv A Mr. 2, 18 = Mt. 9, 11; s'Xaßs xal eepaye 6, 4 für scpaysvMx. 2, 26 =Mt. 12, 4; sysiqs xai oxfjdi 6, 8 für sysiqs A Mr. 3, 3; xai xaxrjnaxrjdrj hinter snsas 8, 5 gegen A Mr. 4, 4 = Mt. 13, 1 ; oi yvwadfjasxai xai slg cpavsqöv sXdrj 8 , 17 gegen den einfachen Aus druck A Mr. 4, 22 = Mt. 10, 26; ol oyXoi ovvixovoiv xai änodXißov- oiv 8, 45 für das einfache änodXißsiv A Mr. 5, 31 ; övvafiig xai igov- oia 9, 1 gegen A Mr. 6, 7 = Mt. 10, 1 ; iva xaxaXvowotv xai svqcootv imotxiofiöv 9, 12 für iva äyoqdocooiv xi cpdycoaiv AMr. 6,36 =Mt. 14, 15. Oefters erweitern sich diese Vervollständigungen zu erklärenden Zusätzen, die dem in A ausgedrückten Gedanken eine prägnantere Ge staltung verleihen. Solche eingelegte Bestimmtheiten sind z. B. etg fis xavoiav 5, 32 (gegen'A Mr. 2, 17 = Mt. 9, 13); xöv anöqov avxov 8, 5 (gegen A Mr. 4, 4 =Mt. 13, 3); iva fifj niaxsioavxsg awdcdoiv 8, 12 (gegen A Mr. 4, 15 = Mt. 13, 19); iv xaqöia xaXfj xai äyadfj und sv vnofiovfj 8, 15 (gegen AMr. 4, 20 = Mt. 13, 23); xfjg Xiftvrjg 8, 22 (gegen A Mr. 1, 35 = Mt. 8, 18); öi rjv aixiav fjxpaxo avxov S, 47 (gegen A Mr. 5, 33); xai xsXsodrjosxai nävxa xd ysyqafiftiva öid xcöv nqocprjzcöv xcp vlcp xov ävdqwnov 1 8, 31 (gegen A Mr. 10, 33 = Mt. 20, 18); iv oiqavcp siqrjvij xai ööga sv viploxoig 19, 38 (gegen AMr. 11, 11 = Mt. 21, 9). Besonders zu beachten sind die dogmatisirenden Erklärungen 20, 36 xai vioi siaiv dsov xfjg ävaoxäoswg vloi ovxsg (ge gen A Mr. 12, 25 = Mt. 22, 30); 3S navxsg yaq aixcp tcuaiv (gegen AMr. 12, 27 =Mt. 22, 32); 21, 8 xal b xaiqog rjyytxsv (gegen AMr. 13, 6 = Mt. 24, 5). Sonst vgl. noch mit den Parellelen die Stellen 4, 38— 1) Weiss, S. 704. Der Sprach Charakter der Synoptiker. 329 41. 5, 17—19. 26. 28—30. 36. 6, 1. 6. 8. 11 — 13. 8, 24. 26. 27. 35— 37. 40. 42. 53. 55. 9, 28. 29. 33. 34. 37—39. 43. 18, 18. 21. 36. 43. 19, 36. 37. 20, 16. 17. 20. 26. 22, 1. 5. 6. S. 41. 45. 48. 59. 61. 23, 2. 20. 23. 35. 48. 51. 53. 56. Hier überall finden sich kleinere Zusätze des Lucas, behufs der Verdeutlichung eingesetzt. x Die meisten dieser, nicht blos die Erzählung, sondern auch die Rede Jesu selbst in's Breite ziehenden, Amplificationen könnten fehlen , ohne dass man eine Lücke bemerken würde, wie z. B. 8, 12. 18, 31. 20, 36. 38. Auf der anderen Seite aber macht sich bei Lucas, wo ihm A un- nöthig weitschweifig vorkam, ein gewisses Streben nach verkürzter Darstellung geltend, wofür eigentlich schon die zahlreichen Beispiele, dass Lucas grosse oder kleine Partien von A übergeht, wenn er Ersatz dafür bieten kann, beweisend sind. Charakteristisch ist aber auch die Vergleichung paralleler Abschnitte , wie Lc. 8, 51 — 54 = Mr. 5, 37 — 41 oderLc. 22, 40-42 = Mr. 14, 32—38. Ausserdem aber vgl. 8, 10 (= A Mr. 4, 11. 12. Mt. 13, 14. 15). 21 (= A Mr. 3, 35. Mt. 12, 50). 44 (= A Mr. 5, 27—29. Mt. 9, 20. 21). 9, 25 (savxöv öi änoXiaag rj trjfiuodsig , eine in's Kurze gezogene Nachahmung der Disjunction A Mr. 8, 36 = Mt. 16, 26). 48 (= AMr. 9, 35. 37 = Mt. 18, 5). 9, 45 (wo xai xdg xganitptg xcöv xoXXvßioxwv xai xdg xadiögag xcöv nwXovv- xwv xdg nsgiaxsgdg xaxiaxgsipsv A Mr. 11 , 15 = Mt. 21 , 12 wegge lassen ist). Insonderheit gehört es zu dieser compendiarischen Manier der Behandlung von A, wenn Lucas manchmal einen Erfolg weglässt, der sich von selbst versteht; so 18, 17 die Bemerkung A Mr. 10, 16; so 19, 31 das änoaxsXsl; so 20, 3 das xal sgw vfiiv A Mr. 11, 29; so 20, 24 das ol ös 'fjveyxav A Mr. 12, 16 ; so 22, 52 das avXXaßelv fie A Mr. 11, 48; so 23, 52 die Bemerkung A Mr. 15, 45 = Mt. 27, 58. Lucas vermeidet überhaupt alles Tautologische; nur im Interesse der Volltönigkeit in Schlussformeln findet sich etwas Derartiges 9, 45. 18, 34. Auch was schon in einer ähnlichen Phrase ausgedrückt war, lässt Lucas aus; so 8, 6 (=Mr. 4, 5. 6) um des erwähnten Felsen willen das onov ovx eiye yfjv noXXfjv und um des igrjgavdrj willen das xai oxe dvi- xsiXsv b rjXiog ixavfiaxiadrj, so 9, 5 um des firj öixwvxai vfiäg willen das firjös äxovawaiv vfiwv, so 9, 12 um des fjftiqa rjqgaxo xXivsiv willen das xal fj wqa rjörj noXXrj; so 9, 41 die Vereinfachung des doppelten tag nöxs; so 18, 32 die Umgehung des doppelten Ausdrucks naqaöw- oovaiv und naqaöodijoexai, wozu 19, 36 (saxqwaav und iaxqdvvvov) die Parallele bildet; so 20, 9 das xal nsqiidrjxs cpqayfiöv, nvqyov, so 20, 21 1) Wilke: Urevangelist, S. 201. 253. 397 f. 546 ff. Neutestamentliehe Rhetorik, S. 457. 330 Viertes Capitel. das xai ov fiiXsi aoi nsqi ovösvög (zugleich ist aber das äXrjdrjg et in Xiysig xai öiödaxsig amplificirt), so 21, 25 die weitere Ausführung der Himmelskatastrophe, so 22, 4 6 die Vereinfachung des dreimaligen Betens, so 22, 69 das xai iqxöftevov ftexd xwv vscpsXwv; so 23, 35, wo die spottenden Parteien, Vorübergehende und Priester combinirt wer den. Soweit sogar geht seine Scheu vor Tautologie, dass er den in A häufigen Wiederholungen derselben Ausdrücke zumeist andere Worte substituirt, z. B. 5, 33 fiadrjxai weggelassen, 5, 37 aixög statt oivog, 6, 10 aixcp statt ävdqwncp , 18, 15 ßqicprj statt naiöia, 21,9 äxaxaaxa- aiag statt äxodg noXifiwv, 11, 11 das doppelte viög xov ävdqwnov ver ein facht. In der Regel zeigen uns die Abbreviaturen und Variationen des dritten Evangeliums seinen Verfasser als einen gewandten Stylisten. Man sehe, wie er 20, 21 die gleichgegliederten tautologischen Sätze A Mr. 12, 14 = Mt. 12, 16 bearbeitet, oder vergleiche die kurze Peri kope 19, 45. 46 mit den Parallelen. Auch sind die Reflexionen, die zu solcherlei Abkürzungen Veranlassung geben , in der Regel von Bedeu tung. Es kommt ihm u. A. befremdlich vor, dass in A Mr. 2, 15 die Sünder neben den Zöllnern als eine besondere Classe von Menschen ge nannt werden, wesshalb er 5, 29 blos »Zöllner und Andere« nennt, die Sünder aber passend blos in der Rede der Pharisäer 5, 30 den Zöllnern coordinirt. 3) Die schriftstellerische Assimilation und Verarbeitung von A bei Lucas geht zwar nicht so weit, wie bei Matthäus. Reflexionen mit Be ziehung auf den Inhalt seiner Erzählungen in Form von alttestamentli chen Citaten anzustellen, wie das Matthäus thut, liegt dem Lucas fern. Es ist daher » vergleichungsweise immer richtig , dass Lucas seine Ma terialien weniger verarbeitet hat, als Matthäus. — Sein Evangelium er scheint in noch bedeutend geringerem Grade, als das des Matthäus, als aus einem Gusse, s1 Vielmehr ist für des Lucas Darstellungsweise cha rakteristisch die Abhängigkeit sowohl von den Quellen, deren mehr oder weniger hebraisirendes Gepräge sich in seiner Relation stets wieder er kennen lässt, als auch von seiner eigenen, einmal gewonnenen, Manier, wie z. B. die Verwandtschaft seiner beiden Relationen über den Haupt mann in Kapernaum und das blutflüssige Weib eine augenfällige ist.2 Lucas schreibt übrigens so, dass er zuerst den zu gebenden Ab schnitt der Quelle ganz liest, dann aber mit einer gewissen Freiheit re- producirt. Dies geht aus den mannigfachen Anticipationen hervor , die er sich erlaubt. So z. B. hat er 5, 17 bereits die Bemerkung A Mr. 2, 6 anticipirt, so steht der Zusatz xöv anöqov aixov 8, 5 bereits in Be- 1) Bleek: Einleitung, II, S. 278. — 2) Bleek: Synopsis, I, S. 401. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 331 ziehung auf 8, 1 1 6 anöqog saxiv b Xöyog xov deov. So anticipirt er 8, 23 das Schlafen Jesu, bereitet durch iöövxsg xö ysyovög 8, 34 das iöelv xö ysyovög 8, 35 (= Mr. 5, 14) vor, nimmt die Erwähnung des Alters des Mägdleins 8, 42 aus Mr. 5, 42 herauf, wie die Zahlenangabe 9, 14 aus Mr. 6, 44 und die Erwähnung der Eltern 8, 51 aus Mr. 5, 40. Aehnlich wird die Bemerkung 8, 27, dass der Dämonische keine Klei der angezogen habe , als aus der spätem SteUe Mr. 5,15 entstanden zu betrachten sein (Bestätigung zu S. 82. 222). ' Aber auch derartige Zu sätze finden sich bei ihm, die auf viel später zu berichtende Bestand theile seiner Relation vorwärts weisen und zeigen, dass ihm das Ganze seiner Geschichtserzählung als bewusster Plan gegenwärtig war. So schiebt er 5, 36 xai xcp naXaicp oi avftcpwvsl ein wegen 5, 39, so 8, 13 ein xal iv xalqq nsiqaofiov äcpioxavxai mit Bezug auf 22, 28 ifistg öi ioxs ol öiaftsfisvrjxöxsg iv xoig nstqaoftolg fiov , wie er andererseits im Hinblick auf diese späteren Versuchungen 4, 13 axqi xaiqov beige fügt hatte. Ebenso weist 9, 9 das xai i'Qrjxsi lösiv aixöv auf 23, 8 vor. Zu diesen Schleifen bilden andere Formeln den Gegensatz, inso fern sie Lücken und Fugen verrathen. Wenn nämlich Lucas den Zu sammenhang von A durchbricht, wendet er, wie Matthäus, gewisse all gemeine Bestimmungen an, um wieder zurückzukommen. Sonst sagt er 8, 22 iv fuq xwv fjfisqcuv, weil er zwei ursprünglich zusammenhängende Stücke durch den Abschnitt 8, 19 — 21 getrennt hat; ebenso 20, 1, wo er zuvor ausgelassen und verwirrt hat. Schon Gfrörer hat daher mit Recht bemerkt, dass es hinsichtlich dieser Formel bei Lucas eine eigen thümliche Bewandtniss habe. 2 Selbst 5 , 1 7 , wo die Formel noch steht, verrath sie wenigstens, dass dem Lucas die Störung, die er nach S. 217 in den Geschichtszusammenhang von A gebracht hatte, auffiel. Seine Abhängigkeit von der Darstellung in A verrath Lucas übri gens durch zahlreiche Inconvenienzen , die ihm bei der Unübersehbar keit aller Details durch die Finger liefen. So berührt er in der Weis sagung 18, 32 aus A Mr. 10, 34 die Verspeiung, was Mt. 20, 19 aus liess, vergisst dann aber in der geschichtlichen Erzählung, wo er von A mannigfach abweicht, dieser geweissagten Handlung doch wenigstens Erwähnung zu thun. So kommt 22, 47 Judas zu Jesus, ihn zu küssen, ohne dass von dem verabredeten Zeichen, oder auch nur von dem Weg gange des Verräthers etwas gesagt war. Hier gibt also Lucas seine Ab hängigkeit durch zu starke Verkürzung kund. Auch sonst beweist öfters der Fortgang seines eigenen Textes , dass er zuvor etwas in A geändert hat. So schreibt er 8, 7 iv fisocp, wo die Andern etg xdg äxävdag haben, 1) Weiss, S. 705. — 2) Urchristenthum, II, 1, S. 325. 332 Viertes Capitel. welchen Ausdruck er aber 8, 14 nachbringt. Ebenso setzt er 8, 8 dya dog für xaXc'g, aber xaXög kommt 8, 15 schon wieder zum Vorschein. XII. Hebraismen des Lucas. Das frühere Urtheil, das in dieser Beziehung zum Theil heute noch gang und gäbe ist, hat Schott in den Worten ausgesprochen: Hebraismi minus frequenter, quam in ceteris evangeliis apparent.1 Dass das gerade Gegentheil davon der Fall ist, hat zuerst Wilke ausführlich bewiesen,2 und ist von da an in neue rer Zeit T i e 1 e zu der Behauptung fortgeschritten, Lucas müsse um sei ner vielen Hebraismen willen ein geborener Jude gewesen sein,3 worüber vgl. §. 22. Hier gilt es nur das Ueberwiegen der Hebraismen im Lucas gegenüber den beiden andern Synoptikern zu constatiren. Es kann nun, was die Vorgeschichte betrifft, zunächst darüber kein Zweifel mehr sein, ist vielmehr heutzutage allgemein anerkannt, dass die Reden der Engel 1, 13 — 17. 19. 20. 28. 30 — 33. 35—37. 2, 10 — 12. 14 und der gottbegeisterten Personen 1, 42 — 45. 46 — 55. 68 — 79. 2, 29 — 32. 34. 35 vollkommen hebräisches Colorit an sich tra gen ; aber auch die übrige Darstellung der Vorgeschichte ist davon be rührt. So kehrt das nXrjadfjvai nvsiftaxog ayiov aus der Rede des En gels 1,15 schon 1, 41. 67 in der Erzählung wieder; so ruht die Phrase xaxd xiyvcöaofiai xovxo 1, 18 auf Gen. 15, 8, so das acpsXslv ovstöog 1, 25 auf Gen. 30, 23. Als mehr oder weniger hebräischartig dürfen folgende Artikel aus dem Sprachschatze und der Ausdrucksweise des Lucas gelten. Das nur bei Lucas (S. 310) stehende ivwntov kommt in allerhand hebraisirenden Wendungen vor, vgl. besonders svwntov xov dsov oder xvgiov !-ri!-p issb 1, 6. 15. 19. 75. 12, 6. 16, 15. Damit verwandt ist der hebraisirende Gebrauch von ngöacanov, worin sich Lucas übrigens mit den andern Synoptikern berührt. Andere zu vergleichende Phrasen sind siarfxovadrj fj öirjaig aov 1, 13, fiiyag in den Verbindungen von 1, 15. 32, ix v.oi- Xiag firjxqög 1,15, nqoßsßrjxvla sv xalg fjfiiqaig 1, 18, inslösv 1, 25, 6 xvqiog fisxd aov 1, 28, svqsg xäqivl, 30, oqxov öfivvsiv 1, 73, öovvai yvcöotv 1, 77, iniaxinxsadai von Gott 1, 68. 78. 7, 16 und inioxonfj 19, 44, böög siqfjvrjg 1, 79, slqfjvrj in den Doxologien 2, 14. 19, 38, öeonöxrjg 2, 29, Phrasen mit oj;g, wie yiveodat eig xd wxa 1 , 44, nXrj- qovodai iv xoig waiv 4 , 21 , diodai etg xd wxa 9, 44, Xoyoi xfjg xäqi- xog 4, 22, äcpoqitsiv 6, 22 (vgl. Jes. 66, 5), xaxd xd avxd 6, 23. 26. 17, 30, utot xov vxpioTOv 6, 35, yßqxaadfjvai änö (15, 16) 16, 21 und xqvnxsodai änö (9, 45) 19, 42, nqooidexo 20, 11. 12, fifj noxs ßaqrj- dcöoiv al xaqöiai 21, 34, sifii wg 18, 11. 22, 27; öiavoiysiv xdg yqa- 1) Isagoge, S. 108. — 2) Neutestamentliehe Rhetorik, S.451 ff. 458 f. — 3) Stu dien und Kritiken, 1858, S. 753—766. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 333 cpäg 24, 32. 45, ig vxpovg 1, 78. 24, 49, q'fjfia, wo es nicht Wort, son dern Sache, Begebenheit, Geschichte ist 1, 37. 2, 15, wohl auch 17. 19. 51, xsiq xvqiov 1, 66 (Lucas liebt derlei Verbindungen mit Xsiq, vgl. 22, 21), öaxxvXog dsov 11, 20, ßovXr) xov dsov 7, 31, xdqig xai aoqpia 1, 40. 52, öiaXoyiafiol ävaßaivovoiv iv xfj xaqöia 24, 3S, fteyalvveiv xöv deöv 1, 46, xiqag awxrjqiag 1, 69, al fjfiiqat inXfjodrj- aav 1, 23. 57. 2, 6. 21. 22, xai xö ovofia xfjg naqdivov Maqiäft 1, 27 (construirt wie 6, 6. 7, 12. 8, 41. 11, 14), Verbindungen mit xeXelwotg 1, 45, xeXsiv 1, 39. 22, 37, xsXsiovv 1, 43, ovvxeXelv 4, 2. 13, Zusam mensetzungen mit e'Xeog, wie noielv e'Xeog 1, 72. 10, 37 und fieyaXvveiv s'Xsog 1, 58, aber auch noislv ixöixrjaiv 18, 7. Besonders im feierlichen Styl Hebt Lucas Hebraismen. So 12, 50 ßänxiOfia ßanx'iQsadai, 20, 36 vioi siaiv dsov xfjg ävaaxäoswg vlol ov xsg. 21, 14 (= 1, 66) dsxs ovv iv xalg xaqötaig ificöv. 19 xal dqlg ov fifj änöXrjxai. 11, 15 snidvftiq insdvfirjoa. 21 iöoi fj xsiq xov na- qaöiöövxog fis ftsx' ifiov inl xfjg xqani^rjg. 31 6 aaxavdg igrjxrjaaxo vfiäg xov aiviäaai wg xöv aixov. Gerade wie Mt. 13, 14 äxofj äxovsiv, so sagt Lc. 1, 42. 23, 46 auch cpwvfj cpcovsiv. Dahin gehört auch der vielfache Gebrauch des Genitivs äöixiag, z. B. iqydxai äöixiag 13, 27, ftafiwväg xfjg äöixiag 19,9= NTOrt ¦püNü. Hitzig macht auf die Pe rikope 13, 6 — 9 aufmerksam, wo sqxofiai tyjxwv dem Gebrauch von Tjjb'n Genes. 15, 2 entspricht, in Ivaxi xai xi]v yfjv xaxaqysl und der Weg lassung des Nachsatzes ganz hebräische Wendungen zu Tage treten. • Aehnlich verhält es sich mit Lc. 12, 16 — 21, wo Hitzig auf die Wahl des Wortes xpvxfj , das Sprechen zu ihr und den Inhalt der Rede (vgl. = Ps. 49, 19. 11, 2. Prov. 27, 7. Jes. 55, 2) und auf änatxovaiv hin weist. 2 Alle diese Erscheinungen beweisen nun zwar, dass man aus dem wohlgesetzten Eingange 1, 1 — 4 gewöhnlich zu viel geschlossen hat. So gewiss der griechische Styl des Lucas sich über A an manchen Stellen bedeutend erhebt, (vgl. z. B. die Umschreibung des einfachen Aus drucks in A durch o'ixivsg iv xagöiq xaXfj xai äyadfj xaxixovaiv Lc. 8, 1 5), so steht er doch selten über Matthäus , den er vielmehr in Bezug auf Hebraismen öfters überbietet. Stehen doch die registrirten Hebrais men öfters an Stellen, wo die Parallelen dem jüdischen Ausdruck ferner rücken. Daraus ist aber nicht zu schliessen, dass wenn Matthäus ein Jude war, Lucas es doppelt gewesen sein muss; sondern, wenn doch aus vielen Spuren des Evangeliums und besonders der Apostelgeschichte unwiderleglich hervorgeht, dass er gut griechisch schreiben konnte, so beweisen dafür die Hebraismen, dass er zuweilen nicht wollte, indem er 1) Johannes Marcus, S. 35 f. — 2) Joh. Marcus, S. 30. 334 Viertes Capitel. etwas darauf hielt, seinem Bericht hebraisirende Formen zu geben. Da her solche, bei keinem andern Evangelisten wieder vorkommende, sprachliche Gegensätze, wie zwischen 1, 1 — 4 und 9, 51. * Uebrigens hat Lucas die zum hebräischen Colorit nöthigen Farben sich aus der Leetüre der LXX angeeignet. Daher hat er Worte, wie ixfivxxrjqiXstv 16, 14. 23, 35 oder axsxvog 20, 28 (was man sogar schon auf Rechnung seiner bessern Gräcität gesetzt hat); daher Phrasen, wie al fjftiqai ix- öixfjoscog 21, 22, oxöfta fiaxaiqag 21, 24, iv elqrjvrj 2, 19. 11, 21. Na mentlich ist nogevov eig elgrjvrjv 7, 50. 8, 48 aus 1. Sam. 1, 17, eVre- oxqexjlisv xö nvevfia 8, 55 aus 1. Sam. 30, 12, noielv öoxfjv 5, 29. 14, 13 aus Esth. 1 , 3, slg jjetoag aov naqaxidsfiai xö nvsvfiä fiov 23, 46 aus Ps. 31, 5. Es gehört mithin zu den Eigenthümlichkeiten des Styls im dritten Evangelium, dass derselbe sich mit Vorliebe in der üblichen frommen Diction,2 in der »Sprache Kanaans« bewegte, in die sein Verfasser sich sowohl an der Hand der LXX, als auch der Quellen einarbeitete. Na mentlich die letztere Bemerkung ist gegen Tiele wohl in's Auge zu fassen, dessen meiste Argumente — wenn man die Parallelen vergleicht — nicht mehr stichhalten. So wird die Bezeichnung des Sonntags als fiia xwv oaßßdxwv für ein Hebraismus des Lucas ausgegeben, 3 der ihn doch blos aus A Mr. 16, 2 hatte; so wird das vielfache iöov ausgebeutet,4 womit sich aber Lucas nur theils an Paulus (S. 320), theils an die Quel len (§. 19, 18) anschliesst; so die griechischen Uebertragungen der hebräischen Phrasen *-ini6 )T avdqwnog s'finoqog 13, 45, avdqwnog olxoösanöxrjg 13, 52. 20, 1. 21, 33, avdqwnog ßaoiXsvg 18, 23. 22, 2. Als Eigenschaft des Lucas darf nämlich die fragliche Erscheinung auch nicht betrachtet werden, da dieser vielmehr, wo er selbständig schreibt, gut griechisch avrjq , nicht avdqwnog gebraucht; vgl. 24, 19 ävfjg nqotprjxrjg, Act. 3, 14 ävfjq cpovsvg. 5) Um die Verneinung auszudrücken, erscheint zuweilen in A, niemals in A, das ov%i, vgl. Lc. 6, 39. 12, 6 = Mt. 10, 29. 12, 11. 13, 27. 18, 12. 20, 13. Lc. 14, 28. 31. 15, 8. 17, 8. 22, 27, wie auch die 1) Volkmar: Religion Jesu, S. 378. Holtzmann. 22 338 Viertes Capitel. Verbindung ovxl ctXXd Lc. 12, 51. 13, 3. 5. 16, 30. Ebenso charakte ristisch ist der Gebrauch des zur Bejahung dienenden val, welches in A nur Mr. 7, 28 = Mt. 15, 27 nachweisbar ist. Gerade so, nämlich zur Bezeichnung der Antwort, gebraucht es Matthäus noch selbstständig 9, 28. 13, 51. 17, 25. 21, 16, von der hier gar nicht in Betracht kommen den Stelle 5, 37 abgesehen. Dagegen setzt A das Wort auch im Con text der Rede, wo Matthäus dafür äfifjv hat, vgl. Mt. 23, 36 mit Lc. 11, 51. Daher die Uebereinstimmung Mt. 1 1 , 9 = Lc. 7, 26. Mt. 11, 26 = Lc. 10, 21 und die bei Lucas allein vorfindlichen Stellen 11, 51. 12, 5. Weiter kommt das Wort bei den Synoptikern nicht vor. 6) In syntaktischer Beziehung ist die Quelle yl noch deutlicher von dem andern Sprachgebiete zu unterscheiden. Zwei ganz ähnlich gestaltete, verwickelte Anakoluthe finden sich l)Lc. 11, 5—8, wo, nach dem Anfange zu urtheilen, der Nachsatz schliessen sollte : und ihm nicht zuletzt seine Bitte gewähren? Das dazwischen Liegende sollte eigentlich in abhängigen relativen Sätzen ausgedrückt sein, ist aber in Wirklich keit in Sätze gefasst, die der Form nach dem ersten coordinirt sind, wozu bei der Leseart s'inrj noch die fernere Ungehörigkeit käme, dass ein Anfang der Rede mit iäv vorausgesetzt wird ; 2) Lc. 11, 11, wo zwei verschieden formulirte Fragen ähnlich in einander geschoben sind, nämlich : welchen Vater würde sein Sohn um Brod bitten , er aber ihm einen Stein bieten? und: würde wohl ein Mensch, den sein Sohn um Brod bäte, ihm einen Stein bieten? — Dass diese Construction nicht Eigenthum des Lucas ist, beweist die Parallelstelle Mt. 7, 9; dass sie zum stylistischen Gepräge der Quelle gehört, aus der Lucas schöpft, beweist ihr zweimaliges Vorkommen in dem kurzen Stück Lc. 11 , 5 — 11; dass sie keiner anderen Quelle eignet, als A, beweist ein dritter Fall Lc. 14, 5, wo gleichfalls zwei Fragen in einander geschoben sind, mit ihrer, Mt. 12, 11 eingeschobenen, dasselbe Satzverhältniss bieten den, Parallele. Vgl. auch Lc. 12, 42. 43 = Mt. 24, 45. 46, wo die Con struction, mit xig aqa iaxiv b niaxog olxovöfiog, ov xaxaaxfjosi 6 xvqiog anhebend, so angelegt ist, wie um nachher fortzufahren : der, wenn sein Herr ihn so handelnd findet, nicht selig zu preisen wäre. Statt dessen folgt die Seligpreisung direct. * Die letzterwähnten Beispiele erinnern noch an eine andere Eigen thümlichkeit dieser Quelle, nämlich an die Manier, den Redestücken als Exordium eine einleitende Frage meist mit xig und sehr übereinstim mender Weiterbildung voranzustellen. So Lc. 11, 5 xig igvfiwvsgsi cpiXov xxX. 11, 11 xiva öi ig ifiwv tov naxiqa aixfjosi b viög = Mt. 7, 9 rj xig ig ificöv avdqwnog ov alhrjosi b vlcg. Lc. 12, 25 = Mt. 6, 27 1) Bleek: Synopsis, II, S. 190. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 339 xig öe ig vftiöv övvaxai nqoadslvai. Lc. 12, 42 = Mt. 24, 45 xig aqa iaxiv b niaxog öovXog. Lc. 14, 5 TtVog ifiwv viög nsaslxai = Mt. 12, 11 Tt'g ig ificöv ävdgwfiog og sgsi. Lc. 14, 28 xig yaq ig ificöv diXwv nvqyov oixoöofifjaai. 31 rj xig ßaoiXsig ßovXsvsxai. 15, 4 Tt'g avdqwnog ig vfiwv e'xav sxaxöv nqößaxa (vgl. Mt. 18, 12 die veränderte Satzform). 8 rj xig yvvfj öqayfidg s'xovaa. 17, 7 Tt'g öi igvfiwv öovXov sxav. 11, 27 Ttg yaq ftsiQiav 6 ävaxsiftsvog rj b ötaxovwv. Solche Wiederholungen in gleichartiger Satzgliederung gehören überhaupt zum schriftstellerischen Charakter von A, nicht aber von Lucas.1 Man vgl. Lc. 7, 24 — 26 = Mt. 11, 7 — 9 (xi igsXrjXvdaxs lösiv mit gleichförmig gebildeter Antwort und Antithese). Lc. 7, 33. 34 = Mt. 11, 18. 19 (sXfjXvdsv — xai Xiysxs). Lc. 11, 31. 32 = Mt. 12, 41. 42 (ävaoxrjoovxai iv xfj xqiasi fisxd xfjg ysvsäg xavxrjg xai xaxa- xqivovoiv, oxi — xal löoi nXsiov wös). 12, 24. 27. 28 = Mt. 6, 26 — 30 (xaxavorjoaxe — nöoap fiäXXov vfielg) 49. 50 (Feuer und Taufe — Beweis, dass das Stück in A stand; vgl. S. 152). 54, 55 = Mt. 1£, 2. 3 (Wetterprophezeiungen). 13, 2. 3. 4. 5 (das Beispiel zuerst, dann öo- xelxe oxi iyivovxo, endlich oixi Xiyw vfilv äXX' idv fifj fisxavofjarjxs navxsg waaixag änoXslads — Beweis, dass das Stück in A stand; vgl. S. 152). 13, 18. 20 (xivi bfioia iaxiv fj ßaaiXsia xov deov xai xivi bftoiwow aixrjv). 14, 8. 10. 12, 13 (oxav - — fir) — äXX' oxav — hierauf Position mit Begründung — Beweis, dass aus A; vgl. S. 153). 28. 31 (Ttg — oixi xadiaag nqcöxov — Beweis, dass aus A; vgl. S. 154). 15, 4 — 7. 8 — 10 (Gleichgliederung der beiden Gleichnisse vom Verlorenen — Beweis für S. 155). 16, 5. 6. 7 (das gleiche Verfahren des ungerech ten Haushalters — Beweis für S. 155). 17, 26 — 29 = Mt. 24, 37. 38 (das gleiche Verfahren in den Tagen Noah's und Lot's). 17, 34. 35 = = Mt. 24, 40. 41 (Zwei werden sein — Eins — Eins). 19, 16 — 19 = Mt.. 25, 20—23 (das gleiche Schicksal der beiden Knechte). Insonderheit zeigt sich diese Gleichförmigkeit in der Weise, Con- traste, Correcturen, Limitationen anzubringen. So Lc. 10, 20 sv xovxcp ftr) /atoere — %at§eT£ öi oxi. (Lc. 10, 41. 42 xvqßätrj neqi noXXd, svög öi iaxiv xqsia.) Lc. 11, 27. 28 fiaxaqia fj ßaaxäoaoa — fisvovvys fiaxdqioi ol äxovovxsg. Lc. 11, 40. 41 = Mt. 23, 25. 26 to s'gwdsv xal xö e'owdev. Lc. 11, 42 = Mt. 23, 23 xavxa e'öei noifjoai xäxelva fir) naqelvai. Lc. 12, 4. 5 = Mt. 10, 28 fir) cpoßelade — cpoßrjdrjxe öi fiäXXov. Lc. 12, 21 b drjaavqit/av savxcp xai fir) sig dsov nXovxwv. Lc. 12, 29. 31 = Mt. 6, 31. 33 ftr) tyjx.eixs xi cpäyrjTS — nXrjv ^rjxslxe xfjv ßaaiXeiav xov deov. Lc. 12, 56 = Mt. 16, 3 xö nqöownov xov ov qavov o'iöaxe öoxifiä'Qeiv , xöv öi xaiqöv oi öoxifiä^exs. Damit hängt 1) Gegen "Wilke: Neutestamentliehe Rhetorik, S. 456 f. 22' 340 Viertes Capitel. endlich noch zusammen die Art, von Dem, was irgendwo statthaft, zu schliessen auf das Verhältniss, in welchem es noch mehr statthaben muss; so Lc. 11, 8. 9. 11 — 13. 12, 6. 7. 26. 28. 14, 5 (= 13, 15. 16). 15, 4—10. 16, 11. 12. 17, 10. 18, 6. 7. 7) In lexikalischer Hinsicht sind folgende Wörter als verhält- nissmässiges Eigenthum von A zu betrachten : HsTÖg Mt. 24, 28 = Lc. 17, 37. Sonst nur Apok. — aXsvqov, blos Mt. 13, 33 = Lc. 13, 21 — äXfjdsiv Lc. 17, 35=Mt. 24, 41 — äXcö- nrjgM.t. 8, 20 = Lc. 9 , 58. 13, 32 — äficpisvvvvai, nur Lc. 7, 25 = Mt. 11, 8. Lc. 12, 28 = Mt. 6, 30. A gebraucht dafür nsqißsßXrjfisvog, svösövftsvog — ävaxoXrj Lc. 13, 29 = Mt. 8, 11 und an einzelnen Stel len Beider, nicht bei Marcus — ävsxxög, nur Lc. 10, 12. 14 = Mt. 10, 15. 11, 22. 24. Nicht Mr. 6, 11 — ävxiöixog Mt. 5, 25 = Lc. 12, 58. 18, 3 — dnXovg, blos Lc. 11, 34 = Mt. 6, 22 — änoöexaxovv Mt. 23, 23 = Lc. 11, 42. 18, 12 — äqidfielv Lc. 12, 7 = Mt. 10, 30. Sonst nur Apok. — dqtaxov Mt. 22, 4 hängt zusammen mit Lc. 14, 12. 15. Sonst noch Lc. 11, 38 — aqnayrj Lc. 11, 39 = Mt. 23, 25. Sonst nur Hebr. 10, 34 — aqnag Mt. 7, 15. Lc. 18, 11. Sonst Paulus — äood- qiov, nur Lc. 12, 6= Mt. 10, 29 — äoxqanr), ausser Apok. nur Lc. 10, 18. 11, 36. 17, 14 = Mt. 24, 27. 28, 3 — avXelv, ausser 1. Cor. 14, 7 nurMt. 11, 17 = Lc. 7, 32 — äxqelog (öovXog) Mt. 25, 30. Lc. 17, 10 — Bid&odai, nur Lc. 16, 16 = Mt. 11, 12 — ßödvvog, nur Lc. 6, 39 = Mt. 15, 14. 12, 11 — ßqvyfiög xcöv ööövxwv, nurLc. 13, 28 = Mt. 8, 12. Sonst noch 5 mal bei Matthäus — Tsvvryxol yvvaixwv, nur Mt. 11, 11 = Lc. 7, 28 — Jioqvaostv, nur Lc. 12, 39 = Mt. 24, 43. 6, 19. 20 — öixoxoftslv, nur Lc. 12, 46 = Mt. 24, 51 — ööfia, in den Evangelien nur Mt. 7, 11 = Lc. 11, 13 — öovXsvsiv, bei den Synoptikern nur Mt. 6, 24 = Lc. 16, 13, und noch Lc. 15, 29 — övaßdoxaxxog, nur Lc. 11,46 = Mt. 23, 4 — övofirj, ausser Apok. 21, 13 nur Mt. 8, 11 = Lc. 13, 29. Mt. 24, 27. Lc. 12, 54 — 'Eyxqvnxsiv, nur Mt. 13, 33 = Lc. 13, 21 — ixyafdtetv und ixyafiiQsadai, bei den Synoptikern blos (Mt. 22, 30 = Lc. 20, 34?) 35. Mt. 24, 38 = Lc. 17, 27 — sxqitpvv Lc. 17, 6. Mt. 13, 29. 15, 13 — iXerjfioovvrj Lc. 11, 41. 12, 33. Mt. 6, 1—4 — Ifininxsiv Mt. 12, 11 und Lc. 14, 5. 6, 39. 10, 36 — svövfia, nurLc. 12, 23 = Mt. 6, 25, und noch 6 mal bei Matthäus — e'vdsv und ivxsvdsv Mt. 17, 20. Lc. 4, 9 (selbstständig). 13, 31. 16, 26 — ewo'gMt. 23, 26. Lc. 17, 21 — iniovoiog Hapax le- gomenonLc. 11,3 = Mt. 6, 11 — iqyäTtjg, bei den Synoptikern blos Mt. 9, 37. 38 = Lc. 10, 2. Mt. 10, 10 = Lc. 10, 7. 13, 27. Mt. 20, 1. 2. 8 — siayysXi'Qsadai kommt in A gar nicht vor, dagegen in passi ver Bedeutung A Mt. 11, 5 = Lc. 7, 22. 16, 16 — Zvfiovv Mt. 13, 33 = Lc. 1 3, 21 — 'Hövooftov Lc. 1 1, 42 = Mt. 23, 23 — Kadtaxd- Der Sprachcharakter der Synoptiker. 341 vat, in den Evangelien nur Mt. 24, 45. 47 = Lc. 12, 42. 44. Mt. 25, 21. 23. Lc. 12, 14 — xaxaßißdtsiv Mt. 11, 23 = Lc. 10, 15 — xaxa- xXvofiögLc. 17, 27 = Mt. 24, 38. 39. Sonst nur 2. Petr. 2, 5 — xa- xaaxfjvwaig Mt. 8, 20 = Lc. 9, 58 — xavawv Mt. 20, 12. Lc. 12, 55 — xsxXrjfiivoi für zu Gaste Geladene, blos Lc. 14, 7. 17. 24 = Mt. 22, 3. 4. 8 — xeqaia, nur Lc. 16, 17 = Mt. 5,18— xXavdfiög Lc. 13, 28 = Mt. 8, 12. Noch 6 mal bei Matthäus — xleieiv und xXeig kommen nur in Stellen vor, die entweder selbstständig, oder aus A sind : Mt. 6, 6. 16, 19. 23, 14 = Lc. 11, 52. Mt. 25, 10. Lc. 4, 25. 11, 7 — xXinxrjg Mt. 6, 19. 20 = Lc. 12, 33. Mt. 24, 43=Lc. 12, 39 — xXißavog, nur Mt. 6, 30 = Lc. 12, 28 — xqivov, nur Mt. 6, 28 = Lc. 12, 27 — xqixrjg steht zwar auch ALc. 11, 19 = Mt. 12, 27, ist aber Lieblingswort in A Mt. 5, 25 = Lc. 12, 58. Lc. 12, 14. 18, 2. 6 — xqoveiv, in den Evangelien nur Mt. 7, 7. 8 = Lc. 11 , 9. 10. 12, 36. 13, 25 — xqvnxeiv steht bei den Synoptikern nur an Stellen, die selbstständig, oder aus A sind: Mt. 5, 14. 11, 25. 13, 35 (Citat). 44. 25, 18. 25. Lc. 18, 34. 19, 42 — MaXaxög Mt. 11, 8 = Lc. 7, 25 — fieqiftvqv, bei den Synoptikern blos Mt. 6, 25. 27. 28. 31. 34 = Lc. 12, 11. 22. 25. 26. Mt. 10, 19. Lc. 10, 41 — Nrjdeiv, nur Mt. 6, 28 = Lc. 12, 27 — vofiixög ist die stehende Bezeichnung in^/Lc. 7, 30. 10, 25 (= Mt. 22, 35). 11, 45. 46. 52. 14, 3. Sonst nur Tit. 3, 9. 13 — "Oqvtg Mt. 23, 37 = Lc. 13, 34 — Iliqag Mt. 12, 42 = Lc. 11, 31 — nooäxig Lc. 13, 34 = Mt. 23, 37. Vielleicht auch A Mt. 18, 21 — nqoacpwvelv Mt. 11, 16 = Lc. 7, 32; bei Lucas noch 3 mal, Act. — nxsqvg Lc. 13, 34 = Mt. 23, 37 — Zdxxog Mt. 11 , 21 = Lc. 10, 13 — aäxov Mt. 13, 33 = Lc. 13, 21 — arjg Lc. 12, 33 = Mt. 6, 19. 20 — axoxsivög Lc. 11, 34. 36 = Mt. 6, 23 — anoöög Mt. 11, 21 = Lc. 10, 13 — axsvög Mt. 7, 13. 14 = Lc. 13, 24 — axqovdiov Mt. 10, 29. 31 = Lc. 12, 6. 7 — avficpavslv Mt. 20, 2. 13. Lc. 5, 36. Sonst noch Act. und Mt. 18, 19 (nicht aus A). — Tö- xog, nur Lc. 19, 23 = Mt. 25, 27 — Odyog, nur Mt. 11, 19 = Lc. 7, 34 — cpoqxigsiv, nurMt. 11, 28. Lc. 11, 46 — cpoqxiov in den Evange lien blos Mt. 11, 30. 23, 4 = Lc. 11, 46 — cpwXsög, nur Mt. 8, 20 = Lc. 9, 58 — cpwxsivög, nur Lc. 11, 34. 36 = Mt. 6, 22 und Mt. 17, 5 _ xqovl%siv, Mt. 24, 48 =Lc. 12, 45. Sonst noch Mt. 25, 5. Lc. 1, 21. Hebr. 10, 37 —"Slfiog, nurLc. 15, 5. Mt. 23, 4. XIV. In dem Sprachgebiete, das man gewöhnlich dem zweiten Evangelium vindicirt, scheidet sich wieder von dem Sprachgebrauch von A, der in geringerem Grade auch bei Matthäus und Marcus nach weisbar ist, deutlich ab die eigenthümliche Manier desMarcus. 1) Wenn diese Beobachtung genügend erwiesen werden kann, so ist sie schon allein hinreichend, eine Reihe von Behauptungen, die wir 342 Viertes Capitel. im zweiten Capitel aufgestellt haben, zu erweisen . Doch brauchen wir, um unseren Satz zu stützen, eigentlich blos hinzuweisen 1) auf die S. 6 1 f. aufgestellte Reihe von Stellen, wo Matthäus und Lucas im Ausdruck gegen Marcus übereinstimmen ; 2) auf die S. 1 10 f. verzeichneten Zusätze des Marcus; 3) auf die S. 278 ff. gegebenen Proben von abweichender Behandlung der Quelle A bei, Marcus ; 4) auf die Latinismen , die in §. 24 besprochen werden sollen. 2) Abgesehen davon sind auch von den oben angeführten Eigen schaften von A wohl einzelne Ausnahmen bei Marcus anzutreffen , wie dass er doch manchmal das oxi recitativum ausgelassen und Substantive in Relative aufgelöst hat, wo die Anderen sie noch stehen Hessen. Wenn z. B. A im Allgemeinen vielen Werth auf Angabe des Gestus legt, so hat Marcus eine solche Notiz z. B. 1, 40 (vgl. Mt. 8, 2 = Lc. 5, 12) ausgelassen. Zu derartigen Liebhabereien, wornach Marcus A alte rirt, mag auch das fisxd xqsig fjftiqag der Auferstehungsweissagung ge hören 8, 31. 9, 34 (?) 10, 34, was sonst nur Matthäus einmal 27, 63 schreibt, während A Mt. 16, 21 = Lc. 9, 22. Mt. 17, 23. 20, 19 = Lc. 18, 33 xfj xqixrj rjftiqq hat, wie auch Lucas 24, 21. 46 sich angewöhnte zuschreiben. Ferner sagt Marcus z.B. 8, 15. 12, 38ßXinsxsänö, woMt.16, 6 und Lc. 20, 46 nqooixsxs änö haben. Doch ist diese Beobachtung noch nicht sicher genug, weil beidemal nur Ein Neben text zur Seite geht, und Matthäus und Lucas das nqooixsxs änö, das bei Marcus nie vorkommt, überhaupt lieben. Anfallender ist dagegen schon das ins- qwxqv, dessen fortwährender Gebrauch zu den hervorstechendsten Ei genthümlichkeiten von A gehört , vgl. 5, 9. 7, 5. 17. 8, 23. 27. 9, 11. 16. 21. 28. 32. 33. 10, 2. 10. 17. 11, 29. 12, 18. 28. 13, 3. 14, 60. 61. 15, 2. 4. 44. Oft haben es auch Matthäus und Lucas, gewöhnlich aber nur Einer von Beiden beibehalten, während es häufig durch slnslv, Xi- ysiv mit directer Frage ersetzt wird. Um so fremdartiger begegnet uns Mr. 4, 10. 7, 26. 8, 5 das einfache iqwxqv. Aber während an der letz teren Stelle die Leseart noch zweifelhaft ist, hat an der ersteren die Parallele Lc. 8, 9 richtig insqwxäv, woraus hervorgeht, dass Marcus zwei bis dreimal den längeren Ausdruck von A verkürzt. Aehnlich ver hält es sich mit [dem Ausdruck von A ini xcp ovöfiaxi (womit iv övo- fiaTi 9, 41. 11, 9 nicht zusammenzuwerfen). Derselbe steht Mr. 9, 37 (= Mt. 18, 5 = Lc. 9, 48). 39. 13, 6 (= Mt. 24, 5 = Lc. 21, 8). Nur Mr. 9, 38 heisst es vielleicht iv Tcp ovöfiaxi, aber Lc. 9, 49 hat noch das ursprüngliche ini. — Ferner ist Mr. 11, 12. 16, 8 igsqxsadai mit änö construirt. Da Matthäus viel häufiger , und Lucas ausser dem zweimaligen naqd (2, 1. 6, 1 9) immer mit änö construiren , so liegt in dem beständigen ix , das Marcus ausserhalb der beiden citirten Stellen gebraucht, eine, ihm und seinem Griffel eigenthümliche, Alteration von Der Sprachcharakter der Synoptiker. 343 A vor, wie er denn überhaupt die, bei den Andern häufige, Präpqsition änö vermeidet. Auch ist Mr. 6, 14 6 ßaaiXeig'Hqwörjg offenbar den römischen Lesern zu lieb gesetzt statt 'Hqwöijg b xexqäqyrjg, was nicht blos durch Mt. 14, 1 = Lc. 9, 7 als ursprünglich erwiesen ist, sondern auch durch die Manier von A, Personennamen, denen eine Apposition beigefügt wird, ohne Artikel voranzustellen (vgl. S. 276. 351). 3) Ausdrücke und Wörter, die das zweite Evangelium allein oder vorzugsweise braucht, kommen nur zum Theil auf Rechnung des Mar cus, da sie von den Andern, weil sie unverständlich schienen, wie z. B. das änixei 14, 41, ausgelassen wurden. Doch zeigte z. B. das iveiXelv Mr. 14, 46, wofür AMt. 27, 59 = Lc. 23, 53 ivxvXiaaeiv bietet, dass auch Marcus eine eigenthümliche Copia verborum hat. Solche Wörter, die Marcus entweder im ganzen N. T. oder doch wenigstens unter den Synoptikern allein hat, sind: dßßä (Paulus) — äyqeveiv — äxävdivog (Joh.) — äXaXd^etv (1. Cor.) — aXaXog — äXexxoqocpavia — äficpi- ßäXXeiv — ixftcpoöog — ävadefiaxi^eiv — dvaXog — avanrjöäv — ävaoxe- väteiv — änoßäXXsiv (Hebr.) — änöörjftog — anonXavqv (1. Tim.) — änoaxsyd^siv — äocpaXwg (Act.) — äxiftovv — aixöftaxog (Act.) — äcpqit,siv — äcpqoovvrj (2. Cor.) — ßanxiofiög (Hebr.) — ßoavsqyfjg — yvacpsvg — öafiä'Qsiv (Jak.) — öiayivsodai (Act.) — öiaanqv (Act.) — Xsysiv ivxfj öiöaxfj — övaxoXog — öwqsladai (2. Petr.) — et= Dtfbeim Schwur, sonst noch Hebr. — etg xad' slg (Mr. 14, 19 = Joh. 8, 9) — ixdafißslodai — ixneqioawg — excpoßog (Hebr.) — iXavveiv intran sitiv (Joh.) — iXwt — eXXrjvig (Act.) — ivayxaXtQeodai — iveiXelv — svvvxov — ivxaipiaofiög (Joh.) — igdniva — igavxfjg (Act. Phil.) — igoqvxxsiv (Gal.) — igovöevelv(1. Cor.) — igovöevovv(Ha.-pa-&. legomenon) — inißäXXeiv neutral — in iXveiv (Act.) — iniqqdnzetv — iniavvxqixeiv ¦— ioxdrwg — evxaiqog (Hebr.) — evxaiqwg (2. Tim.) — - eioxijfiwv (Act. 1. Cor.) — icpcpadä — fjöiwg (2. Cor.) — rjcpiev (1, 34. 11, 6). — dafißeiv — davfid^eiv öid (Joh. Apok.) — deqfiaiveodai (Joh. Jak.) — dvydxqiov — dvqwqög (Joh.) — to ixavöv noielv (Act.) — xäxeldev (Act.) — xaxoXoyelv (Act.) — xaxäßa — xaxaßaqvveivl — xaxaöiwxeiv — xaxaxönxeiv — xaxaxidevai (Act.) — xaxevXoyelvt — xaxoixrjoig — xevxvqiwv — xecpaXatovv — xovfii — xqäßßaxog (Joh. Act.) — an äq- Xrjg xxiaeiog (1. Petr.) — xvXieadai — xvnxeiv (1,7= Joh. 8, 6. 8) — xwftönoXig — Xevxaiveiv (9, 3. Sonst nur Apok.) — fiäXXov vor Comparativ (Paulus) — ftedöqtal — fteXexqv (1. Tim.) — ftrjxvveiv — fiiodwxög (Joh.) — ftoyiXdXog — ftvqi^stv — vdqöog (Joh.) — - vovve- Xwg — giaxrjg — sgrjqafifievog — böonoislv — bXoxavxafia (Hebr.) — ofifia (Mt. ?) — oonsq — 6'aTtg fragend 9, 1 1 ? — oiä — oipiog als Adjec- tiv — naiöiödsv — nafinoXvg'i — navxaxodsv — naqaßäXXsiv (Act.) — naqaöiöövai neutral 4, 9 — naqöftoiog — nsqixqexsiv — niaxixög 344 Viertes Capitel. (Joh.) — nXoidqiov (Joh.) — nqaotä — nqoavXiov — nqoXaftßäveiv (Paulus) — nqofieqifivqv — nqoaäßßaxovl — nqoasyyi^sivl — nqoa- xaqxeqelv (Act. Paulus) — nqoaxecpäXaiov — nqoaoqfii^sadai — nqoa- noqeveadai — nqoaxqixsiv (Act.) — nqifiva (Act.) — nxvsiv (Joh.) nvyfifj — gaßßovvi (Joh.) — q'äniofia (Joh.) — axävöa Xov (Act.) — axw- Xrjg — Ofivqvt^siv — onäodai (Act.) — ansxovXdxwq — oxaaiaaxfjg — oxißäg — axiXßsiv — avyxadfjadai (Act.) — avXXvnsladai — ovft- ßovXiov noielv — avfinöoiov — avvavaßaivsiv (Act.) — ovvdXißetv — ¦ ovqocpoivixiaoa — avaarjfiov — xaXidd — xaqaxrj — xrjXavycög — xqi^eiv — vneqrjcpavia — vneqneqtoowg — vnoXrjviov — vaxsqrjoig (Phil.) — xa^xiov — wqa im Sinne der Tagesstunde (Joh.) — coxäqiov (Joh.). — XV. Gegen die Griesbach'sche Hypothese. Marcus hat von Dem, was bei den Nebenschriftslellern Resultat individueller Text bearbeitung ist und mit ihrer eigenthümlichen Anordnung von A im Zusammenhang steht, nichts; die Lieblingsausdrücke, die eigenthüm lichen Phrasen und Constructionen der Seitenreferenten sind ihr Pri- vateigenthum geblieben. 1) In der Regel hat Marcus allerdings einen Text, der sich bald an Matthäus, bald an Lucas anzuschliessen scheint und öfters in dem selben Verse Bestandtheile beider Texte besitzt, wie z. B. der Abschnitt Mr. 2, 13 — 22 sich bis 19 mehr dem Matthäus, von 20 an mehr dem Lucas nähert, während 18 und 21 eine Mischung darstellen. Aber ein solches Verhältniss des Marcus zu den beiden andern Texten widerstrei tet unseren Resultaten nicht nur nicht, sondern es wird , diese letztere vorausgesetzt, geradezu postulirt werden müssen. ' In der That stimmt Marcus in der Regel mit Beiden überein , wo diese unter einander har- moniren, mit Einem blos, wo der Andere abweicht. Dadurch entsteht allerdings der Schein, als habe Marcus denjenigen Seitenreferenten, der die Uebereinstimmung nicht gebrochen hat, copirt; was der eine Referent aus dem Text wegliess, scheint dann Marcus aus dem andern entlehnt zu haben, oder, was jener hinzusetzt, mit dem andern wegzu lassen. Wie aber schon S. 1 1 7 ff. gezeigt wurde, dass diese Voraussetzung, auf das Detail angewandt, zu Undenkbarkeiten führt, so werden wir jetzt dagegen nicht blos einwenden dürfen, dass die Sachlage selbst sich nach dem von uns angelegten Maassstabe mindestens ebensogut erklärt, wie nach dem Griesbach'schen: sondern wir werden auch namentlich fragen müssen, warum denn bei Marcus nichts, gar nichts von allem demjenigen Material sich findet, was wir als zu der eigenthümlichen Darstellungsweise des Matthäus oder des Lucas gehörig erwiesen. Hätte 1) Wilke: Urevangelist, S. 429 ff. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 345 Marcus sich in der Weise, wie die Griesbach'sche Hypothese will, an dem Eigenthum des Matthäus und Lucas vergriffen , so würde er doch sicherlich das eine- oder das anderemal auch nachweisbare Contrebande darbieten. Aber das gerade Gegentheil findet statt; nichts von allen jenen eigenthümlichen Vorkommnissen im Matthäus, als da sind Fra gen, Satzausfüllungen, Vordersätze; keine ßaaiXsia xcöv oiqavwv, noch iq'qsdrjv, wansq, äösXtpög vom Mitmenschen, xaXslv für Nennen (blos im Citat 11, 17), fjysfiwv, "cog ov und oxov, indvw, xsXsvsiv, vaxsqov, aqxi, cpqöviftog, sv exsivcp xcp xaiqcp u. s. f. Ebensowenig aber ver meidet er die Wiederholungen und Tautologien, wo Lucas sie vermeidet, oder bedient er sich mit Lucas der Participialconstruction, um die Rede compendiarischer zu machen u. s. f. Weit gefehlt, dass Marcus von den Andern je entlehnte, was ihnen gehörte, bricht er vielmehr, so bald so etwas zum Vorschein kommt, die Uebereinstimmung mit ihnen ab, und zwar selbst mit Beiden zugleich, wo nämlich Beide zugleich ihre eigenthümliche Diction einfliessen lassen. So z. B. Mc. 2, 7 vermeidet er sowohl die specifisch matthäische Formel ovxog ßXaacprjfisl Mt. 9, 3 (S. 300), als die lucanische Fragebildung mit Tt'g saxiv ovxog 6g Lc. 5, 21 (S. 327). Dafür hat er die Doppelfrage , die zu seinem eigensten Styl gehört (S. 282 f.) und von Matthäus umgangen wurde. Wen sollte er denn hier also abgeschrieben haben? — Das Wort öiaXoyiOfiög findet sich Mt. 15, 19 = Mr. 7, 21, sonst noch Lc. 2, 35. 5, 22. 6, 8. 9, 46. 47. 24, 38. Ist Marcus Epitomator, so muss er den eigenthümlichen Grundsatz befolgt haben, dieses Wort abzuschreiben, wo es ihm bei Matthäus , es auszulassen , wo es ihm in den viel zahlreicheren Stellen bei Lucas begegnete. Ebenso that er dann auch mit xad' fjfiiqav, vgl. Mr. 14, 49 = Mt. 26, 55 = Lc. 22, 53; ausserdem aber noch Lc. 9, 13. 11, 3. 16, 19. 19, 47. — Wir sollten denken, solche Beispiele mussten doch hinreichen, um endlich eine Hypothese zu antiquiren-, die freilich leicht sagen hat, dieses Wort habe Marcus aus Matthäus, jenes aus Lucas abgeschrieben , dabei aber von aller schriftstellerischen Methode, die in den Synoptikern zu finden ist, Umgang nehmen muss. Mit Recht hat daher schon Wilke die Frage aufgeworfen : »Wie aber, wenn das angeblich Weggelassene mit Schriftstellermethode oder Dic tion sart im Zusammenhang steht, die, wo sie sich äussert, überall nur ein Besonderes für sich bleibt? Sollten wir denn dadurch nicht eher aufmerksam gemacht werden, dass es sich wohl mit Dem, was man für Compilation erklärt, anders verhalten möge, und dass das metho disch Besondere, das hinter dem Gemeintext immer zurückbleibt, diesem wohl auch erst später nachgefolgt sein könne ? « ' 1) Urevangelist, S. 433. 346 Viertes Capitel. 2) Aber auch von denjenigen sprachlichen Eigenthümlichkeiten, die in Matthäus und Lucas aus A übergegangen sind, hat Marcus nichts, und das ist, wenn er Excerptor war , noch viel wunderbarer, da diese Ausdrücke sich in beiden Nebentexten hören lassen, daher mit ver doppelter Kraft auf das Gedächtniss des Epitomators hätten einwirken müssen. Beispielshalber sei an ovyi erinnert, das sich 10 mal bei Matthäus, 1 5 mal bei Lucas findet, bei letzterem 5 mal in der Formel ovxi — dXXd. Das Wort kam in A vor. Aber auch Matthäus (13, 55. 56) und Lucas (1, 60. 17, 17. 24, 26. 32) haben es sich angeeignet. Warum findet es sich bei Marcus gar nicht ? Oder woher hat er die Consequenz geschöpft, mit der Wörter, wie öcpsiXsiv, öcpsiXixrjg, öcpsiXrj, ocpsiXrjfta, die sich bei Matthäus und Lucas finden, bei Marcus wegfallen? Ebenso verhält es sich mit nalg und allen den S. 343 f. aufgezählten Ausdrücken. XVI. Einfluss von A auf Matthäus und Lucas. Nichts ist bei der zur Gewohnheit werdenden Abhängigkeit von der ersten Quelle natürlicher, als dass der Sprachgebrauch von A auf Matthäus und Lucas auch da, wo beide selbstständig schrieben, bis zu einem gewissen Grad bestimmend einwirken musste. Diese, übrigens auch genau nachweis bare , Thatsache ist es , welche Anlass zu der Illusion gegeben hat , als ob der Epitomator Marcus hier und da aus Matthäus und Lucas Worte, die er sonst nicht kennt , aufgenommen oder wenigstens stehen gelas sen habe. 1) Zeller hat auf rein philologischem Wege nachzuweisen ge sucht, dass Marcus in seiner Diction sowohl von Matthäus, ' als von Lu cas,2 und dass wiederum der Letztere von Matthäus abhängig sei.3 Näher besehen erweisen seine Beispiele blos das Eindringen des Sprachge brauchs von A in die Schreibart des Matthäus und Lucas. Wir begin nen mit einer Reihe von Beispielen, die unsere Erklärungsart zum min desten ebenso gut vertragen, wie die Zeller'sche. /togaQsiv xöv dsov steht wenigstens einmal in AMr. 2, 12 = Mt. 9, 8 = Lc. 5, 26; ausserdem noch 3 mal im Matthäus, 8 mal im Lucas , wie es denn auch sonst im N. T. häufig ist. — Das öid xovxo mit Beziehung auf einen, das eben Vorzubringende rechtfertigenden Umstand, gehört A an Mr. 6, 14 = Mt. 14, 2. Mr. 11, 24. 12, 24. Mt. 12, 27 = Lc. 11, 19 und wurde sowohl von Lucas (vgl. 11, 19. 49. 12,22. 14,20), als auch besonders von Matthäus (6, 25. 12,31.13, 13.52. 18, 23. 21, 43. 23, 13. 24. 24, 44) angeeignet. — Der Gebrauch des Wor tes naqaxaXslv für Bitten, Auffordern ist Eigenthümlichkeit von 1) Theologische Jahrhücher, 18-17, S. 528 ff. — 2) A. a. O. S. 532 f. — 3) A. a. O. S. 533 ff. Apostelgeschichte, S. 444 f. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 347 A Mr. 1, 40. 5, 1». 12 (= Mt. 8, 31 =Lc. 8, 31. 32). 17. 18 (= Mt. 8, 34). 23 (= Lc. 8, 41). 6, 56 (= Mt. 14, 36). 7, 32. 8, 22. Mt. 8, 5 = Lc. 7, 4. Matthäus hat an dreien dieser Stellen das Wort umgangen 8, 1. 9, 18. 15, 30; Lucas dagegen gebraucht dafür sqcoxäv 8, 37 und sein Lieblingswort öslodai 5, 12. 8, 38. Dennoch haben Beide das naqaxaXslv etlichemal auch selbstständig im Sinne von A gebraucht Mt. 18, 29. 32. 26, 53. Lc. (3, 18). 15, 28. — Bios die Synoptiker unter den neutestamentlichen Schriftstellern haben das Wort ifinaitsiv, und zwar Mr. 10, 34 = Mt. 20, 19=Lc. 18, 32. Mr. 15, 20 = Mt. 27, 29. 31 = Lc. 23, 36. Mr. 15, 31 = Mt. 27, 41. Ausserdem aber steht es noch Mt: 2, 16 und Lc. 14, 29. 22, 63. 23, 11. — Ferner gebraucht A 10 mal ovxw und ovxwg so, dass es vor dem Verbum steht (nur Mr. 4, 40 ist Ausnahme). Ganz in demselben Verhältniss gestaltet sich der Sprachgebrauch des Matthäus 1, 18. 2, 5. 3,15. 5, 12. 16. (47). 6, 9. 30 (Lc. 12,28). 7, 12. 17. 11, 26 (=Lc. 10,21). 12, 40 (=Lc. 11, 30). 45. 13, 40. 49. 17, 12. 18, 14. 35. 19, 10. 20, 10. 26. 23, 28. 24, 27. 33. 37. 39. 26, 40. 54. Ausnahmen sind Mt. 5, 19. 9, 33. 19, 8. 12. 24, 46. Bei Lucas ist kein so bestimmter Usus nachzuweisen (15 mal vor, 7 mal nach). — Bei Marcus findet sich nicht blos dreimal,1 sondern 1, 24. 2, 17. 5, 14. 10, 45. 15, 36 die Construction von sqxsodai und iXdelv mit Infinitiven des Aoristes. Diese Construction ist bei Matthäus und Lucas sehr gewöhnlich geworden. — Auch das ixeldev als locale und das iv ixsivrj xfj fjfiiqq, iv ixsixatg xalg fjfiiqaig als temporale Uebergangspartikel gehören ursprünglich A an, finden sich jedoch bei Matthäus ungefähr gerade doppelt so oft und vermehrt mit den Formeln iv ixeivcp xcp xaiqcp (S. 297) und änö xfjg wqag ixsivrjg, an ixeivrjg xfyg fjfisqag. Lucas hat iv sxsivrj xfj fjfiiqq und iv sxsivatg xalg fjfiiqaig bei behalten. Dazu die Formel ev fiiq xcöv rjfieqcöv eingeführt (S. 331). — Tlqoäysiv hat Marcus 5 mal, Lucas blos einmal (18, 39 aus A), hingegen Matthäus 6 mal, aber keineswegs mit der von Gers dorf vermutheten Eigenthümlichkeit. ' — Kqaxslv ist Lieblingswort von A (1 5 mal), aber auch Matthäus hat es 7 mal in Parallelstellen , 5 mal selbstständig, bei Lucas kommt es in demselben Doppelgebrauche, je einmal, vor. Die Construction von nqoaxvvslv mit Dativ wird als Eigenthüm lichkeit" von Matthäus angeführt; aber beidemale, wo das Wort auch bei Marcus steht 5, 6. 15, 19, hat es dort ebenfalls den Dativ. Nur Lu cas weicht von diesem Gebrauch constant ab, Matthäus hat wenigstens einmal 4, 1 0 den Accusativ. Also ist blos der häufigere Gebrauch des, aus A aufgenommenen, Verbums Eigenthümlichkeit des Matthäus. Denn A hatte öfters ninxsiv naqd xoig nööag, wo Matthäus nqoaxv- 1) Gegen Gersdorf, S. 98. — 2) S. 115. 348 Viertes Capitel. vslv setzt, vgl. z. B. Mr. 5, 22 = Lc. S, 41 gegen Mt. 9, 18, ferner Mr. 7, 25 gegen Mt. 15, 25. — Die Construction von iv fiiocp mit d'rm Genitiv steht A Mr. 6, 47 = Mt. 14, 24. Mr. 7, 31. 9, 36 = Mt. 18, 2, wird aber auch bei Mt. 10, 16. 13, 25. 49. 18, 20. 25, 6 und öfters noch bei Lc. 2, 46. 4, 30. 8, 7. 10, 3. 21, 21. 22, 27. 55. 24, 36 ange troffen. — Das Wort Ixavög Mr. I, 7 = Lc. 3, 16 = Mt. 3, 11. Mr. 10, 46. 15, 15. Mt. 8, 8 = Lc. 7, 6 hat sich Mt. 28, 12, mehr noch aber Lucas angeeignet, der es noch 8 mal und öfters noch in Act. hat. — Die Formel ixxsivsiv xrjv x^lqa Mr. 1, 41 = Mt. 8, 3 = Lc. 5, 13. Mr. 3, 5 = Mt. 12, 13 = Lc. 6, 10 wurde angeeignet sowolil von Mat thäus (12, 49. 14, 31. 26, 51), als auch von Lc. 22, 53. Act. 2 mal. Sonst im ganzen N. T. nur Joh. 21, 18. Der Fall ist also significant. 2) Was aber unsere Anschauung des Verhältnisses auf eine höhere Stufe der Gewissheit erhebt, ist der Umstand, dass — wie schon Wilke nachwies * — der Styl des Marcus da, wo er allein schreibt, ganz mit demjenigen, der sich in den gemeinschaftlichen Stücken als der Urty pus geltend macht, zusammenfällt. Umgekehrt ausgedrückt : es sind die Eigenthümlichkeiten von A, von denen auch Matthäus und Lucas, trotzdem, dass Jedem ein eigenthümliches Sprachgebiet zu Gebote steht, sich nie völlig losmachen können. So führt A wo möglich Verba ipsissima an (S. 286); die Seitenreferenten lieben mehr die Oratio indirecta. Aber vgl. Mr. 1, 24. 27 = Lc. 4, 34. 36. Mr. 1, 44 = Mt. 8, 4. Lc. 5, 14 (der sehr bezeichnend aus der intentirten indirecta in die directa des Textes zurückfällt). Mr. 4, 35 = Lc. 8, 22. Mr. 5, 12 = Mt. 8, 31. Mr. 5, 23 = Mt. 9, 18. Mr. 5, 41 = Lc. 8, 54. Ja es begegnet beiden Evangelisten sogar, dass sie je einmal die directa aus der indirecta bil den, so Mr. 6, 39 = Mt. 14, 19 vgl. mit Lc. 9, 14 und Mr. 9, 34 = Lc. 9, 46 vgl. mit Mt. 18, 1. Ferner Hebt A Unterscheidungen und Ge gensätze, vgl. 2, 27. 3, 26. 29. 5, 26. 6, 5. 9. 9, 37. 10, 27. Aber an anderen Stellen folgen ihm hierin auch Matthäus und Lucas. So Mr. 1, 22 oix wg.ol yqafifiaxslg = Mt. 7, 29. Mr. 3, 29 oix — aXXä = Mt. 12, 31. Mr. 4, 17=Mt. 13, 21. Mr. 4, 34 = Mt. 13, 34. Ferner sehen wir oben (S. 280 f.), dass A in der sich fortsetzenden Rede bei näheren Bestimmungen gern die kurz vorher gebrauchten Worte wiederholt. Allein im Anschlüsse an A thut ebenso Mt. 9,17 6 otvog — ol äaxoi, Mt. 9, 20. 21 das doppelte anxsodai, Mt. 12, 29 das doppelte laxvqög, Mt. 12, 49. 50 das doppelte firjxrjq xai aösXcpoi, Mt. 13, 7 das doppelte al äxdvdai, Mt. 13, 22 das doppelte xöv Xöyov, Mt. 13, 34 das doppelte XaXslv, Mt. 24, 22 das doppelte xoXoßovv, Mt. 26, 24 das doppelte 6 viög xov ävdqwnov und b avdqwnog ixsivog. 1) Urevangelist, S. 457 ff. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 349 Ebenso kommt aber auch Lc. 4, 38 zu seinem doppelten 2iftwvog, und beide Nebenreferenten sind von dieser Eigenthümlichkeit von A ab hängig in den Parallestellen zu Mr. 8, 35 (das doppelte ipvxrjv) 11, 28 (das doppelte sgovoia). 12, 7 (xXrjqovöfiog und xXrjqovofiia). — A liebt es, um eine Handlung als unnöthig zu bezeichnen , Fragen zu bilden, welchen assertorische Sätze beigefügt werden, aus denen die Unschick lichkeit jener Handlung sich ergibt. Oefter weichen die Nebenreferen ten von dieser Manier ab , wie Mr. 8, 12 xl£,rjxsl, woraus Mt. 16, 4 inttrjxsl macht, oder wie Mr. 5, 35 Tt axvXXeig, woraus Lc. 8, 49 firj axvXXe,''Mr. 5, 39 xi xXaiexe, woraus Lc. 8, 52 fir) xXaiexs macht. Aber in andern Fällen schreiben Matthäus und Lucas die Fragen einfach herüber, wie Mr. 2,8= Lc. 5, 22 Tt öiaXoyi^sads; 4, 40 = Mt. 8, 26 xi ösiXoi saxs; 8, 17 = Mt. 16, 8 Tt öiaXoyl&ods; 14, 6 = Mt. 26, 10 Tt aixfj xönovg naqixsxe; — A liebt das elvai mit dem Participium. Aber so geht das rjv öiöäoxwv Mr. 1 , 22 auch auf Mt. 7, 29, und das rjv xrjqvoowv Mr. 1, 39 auch auf Lc. 4, 44 über. Vgl. auch Mr. 10, 22 = Mt. 19, 22 — Schliesslich ist noch anzuführen die Liebhaberei von A für Inversionen, wie z. B. og — aixög : 8, 38 og yaq idv i7raioxvvdfj fis, 'snaia%vvdrjasxai aixöv b viög xov ävdqwnov. Während Lucas an der Parallelstelle 9, 26 für avxöv schreibt xovxov, hat er doch anderswo derartige Inversionen genauer abgeschrieben, wie Lc. 8, 18 = Mr. 4, 25. Lc. 9 , 4 = Mr. 6, 10. Aber auch Matthäus thut ebenso 26, 48 = Mr. 14, 44. Mt. 12, 50 = Mr. 3, 35. 3) Fassen wir nun insonderheit den Matthäus in's Auge, so hat schon Weiss mit Recht auf einige Anzeichen sprachlicher Abhängig keit bezüglich solcher Ausdrücke aufmerksam gemacht, die bei Mat thäus seltener vorkommen, als bei Marcus.1 Uebersehen ist von ihm das o iaxi ftedeqfirjvevöftevov Mr. 5, 41. 15, 22. 34, welches Matthäus zwar in den Parallelstellen vermeidet, während es ihm 1, 23 in die Feder fliesst. So gebraucht Marcus das Wort a^woxog zweimal 6, 5. 13. (16, 18), Matthäus nur einmal 14, 14. So steht naqdöoaig in der Stelle Mr. 7, 3—13 fünfmal, in der Parallele des Mt. 15, 2—6 dreimal; sonst nicht in den Evangelien. Das Wort nqw'i hat Lucas nicht, Mar cus 5 mal (und 16, 9), Matthäus nur 2 mal; xoiovxog bei Marcus 7 mal, bei Matthäus 3 mal; xXivrj bei Marcus 3 mal, bei Matthäus 2 mal. — So ist das Lieblingswort von A eidiwg an Stellen, wie Mt. 3, 16. 4, 20. 22. 8, 3. 14, 22. 27. 20, 34. 21, 2. 3. 26, 49 ganz in der Art der Quelle gebraucht; so schreibt Matthäus das 26 mal bei Marcus stehende rjqgaxo ab 12, 1. 16, 21. 22. 26, 22. 37. 71. Das noXXd setzt er 13, 3. 16, 21 ebenfalls; auch änö fiaxqödev 26, 58. 27, 55. So nimmt er von A herüber die Participien ävaaxdg (6 mal in A, bei Mt. 9, 9. 26, 62), 1) S. 57-59. 350 Viertes Capitel. dvaßXiipag (3 mal in A, bei Mt. 14, 19), ifißXsipag (3 mal in A, bei Mt. 19 , 26). Matthäus nimmt herüber aus A Latinismen , wie cpqaysXXovv 27, 26 = Mr. 15, 15, nqaixwqiov Mt. 27, 27 = Mr. 15, 16 und Diminutiva, wie xoqäoiov, das 9, 24. 25. 14, 11 in parallelen Abschnitten steht; ebenfalls nur in Parallelen hat er exnXfjxxsodai (A 5 mal, Matthäus 4 mal), irtixiftqv (A 9 mal, Matthäus 6 mal), dscoqslv (A 7 mal , Matthäus 2 mal) , öiacpXoyit,sadai (A 7 mal , Mat thäus 3 mal), grjqaivsiv (A 7 mal, Matthäus 3 mal) und wenigstens zweimal 10, 1 = Mr. 6, 7 und Mt. 12, 43 = Lc. 11, 24 die Be Zeichnung der Dämonen als nvsvftaxa äxädaqxa. x Dazu kommen Aus drücke, die bei Marcus häufiger, bei Matthäus fast nur in den Paralle len stehen, wie insqcoxqv (A 26 mal, Matthäus 8 mal), xrjqvoastv (Mar cus 12 mal, Matthäus 9 mal), siayy iXiov (Marcus 8 mal, Matthäus 4 mal), xadsvösiv (Marcus 8 mal, Matthäus 7 mal), öiöaxrj (Marcus 5 mal, Matthäus 3 mal), övvaxog (Marcus 5 mal, Matthäus 3 mal), öe- qsiv (Mt. 21, 35 = Mr. 12, 3. 5, aber noch Mr. 13, 9), öiwyfiog (Mt. 13, 21 = Mr. 4, 17, aber noch Mr. 10, 30), xonät,siv (Mt. 14, 32 = Mr. 6, 51, aber noch Mr. 4, 39), fiiXsi ooi (Mt. 22, 16 = Mr. 12, 14, aber noch Mr. 4, 38), nsqioowg (Mt. 27, 33 = Mr. 15, 14, aber noch Mr. 10, 26), aivöwv (Mt. 27, 59 = Mr. 15, 46, aber noch Mr. 14, 51. 52), OTß%t'g(Mt. 12, 1 = Mr. 2, 23, aber noch Mr. 4, 28), oxqcöv- vvfii (Mt. 21, 8 = Mr, 11, 8, aber noch Mr. 14, 15), xoXfiäv (Mt. 22, 46 = Mr. 12, 34, aber noch Mr. 15, 43). 4) Wohl zu unterscheiden von solchen Fällen, wo Matthäus ein fach nachschreibt, sind die andern, wo Sprachformen und Wendungen, die in A Marcus nur gelegentlich vorkommen , bei Matthäus nicht blos meist in den Parallelstellen schon wieder vorkommen , sondern zur Ei genthümlichkeit sich steigern. Eben diese Fälle beweisen, wie er seinen Styl an dem von A bildete. Also iöov steht 12 mal bei Marcus, 59 mal bei Matthäus, swg 14 mal bei Marcus, bei Matthäus viel häufiger, Tore 6 mal bei Marcus, 9 1 mal bei Matthäus, nqoasqxsadai im Participium, bei Marcus 6 mal, bei Matthäus 29 mal; dahin gehören dann ferner die bei Marcus nur ein- oder zweimal stehenden Ausdrücke änoörjfislv (3 mal), iXeslv (7 mal), oxXoi (33 mal), novrjqög (24 mal), 6Vrtüg(18 mal), s'finqoadsv (1 7 mal), änoöiöövai (1 7 mal), vnoxqixrjg ( 1 5 mal), nqoaxvvslv (13 mal), oval (13 mal), ovxag ioxi, saxai (12. mal), drjoavqög und dtjaavqiCsiv (11 mal), 6 naxrjq iv xoig ovgavotg oder oiqäviog (10 mal), ävaxwqelv (10 mal), nqößaxa (10 mal), äadsvrjg (4 mal), öaifiov ixöfisvog (7 mal), ftiXXsiv (9 mal), öwqov (8 mal), vai (8 mal), nqocprjxrjg (36 mal), bftoiovv (8 mal), arjfisqov (8 mal), yssvva (7 mal), d-iXrjfta (7 mal), nXelov (7 mal), fiovov (7 mal), iqyät,eadai (4 mal). 1) Versehen von "Weiss, S. 58. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 351 Zeller, der dieser Richtung der Sprachverwandtschaft besonders fleissig nachgegangen ist, stellt 70 Wörter zusammen, in deren Ge brauch nach ihm Marcus von Matthäus abhängig sein soll. ' Wir müssen zwar gestehen, dass wir auf einen, mit diesen Mitteln geführten, Nach weis der Abhängigkeit des Marcus un verhältnissmässig grösseren Werth legen, als auf die leicht zu erwerbende Virtuosität der tendenzkritischen Experimente. Nichts destoweniger können uns 70 Wörter, die Mat thäus öfters gebraucht als Marcus, an unserem , auch philologisch schon so sicher gestellten, Resultat nicht irre machen; abgesehen davon, dass ihnen S. 349 f. eine Reihe anderer Vocabeln gegenübergestellt wurde, in deren Gebrauch Marcus die Vorhand hat, lässt es sich bei einer Schrift, die um so viel länger ist, als Marcus , nicht anders erwarten , als dass gewisse Wörter, die durch A gangbar geworden und bei einem evange lischen Bericht nicht leicht zu umgehen waren, auch im entsprechen den Maasse öfters vorkommen werden. Indessen fügen wir den Zeller'schen Beobachtungen hier noch einige significante Fälle bei, durch welche das enorme Uebergewicht von Wahrscheinlichkeit, welches für unser Resultat spricht, nicht be einträchtigt werden wird. Es ist Eigenthümlichkeit von A, Personen namen, wenn eine nähere Bestimmung als Apposition folgt, in der Re gel ohne Artikel zu geben, womit vielmehr die Apposition versehen erscheint. So z. B. 'Iwdvvrjg b ßanxi^wv oder ßanxioxrjg Mr. 1, 4 = Mt. 3, 1 = Lc. 3, 2. Mr. 6, 14. 24 = Mt. 14, 2. 8. Aehnliche Verbindungen in A vgl. Mr. 4, 19 = Mt. 4, 21. Mr. 3, 16 — 19 = Mt. 10, 2—4 = Lc. 6, 14—16. Mr. 6, 17 = Mt. 14, 3 = Lc. 3, 19. Mr. 14, 3 = Mt. 26, 6. Mr. 15, 40. 47 = Mt. 27, 56. 61. Mr. 16, 1 = Mt. 28, 1. Mit Ausnahme von Mt. 1, 6. 16. 18. 12, 24. 16, 16. 23, 35 hat sich der erste Evangelist diese Redeweise völlig angeeignet. Man vgl. ausser den S. 293 angeführten Beispielen mit 6 Xsyofisvog noch 1, 19. 20. 2, 1. 11. 17. 22. 3, 3 (wo Mr. 1 , 2 den Artikel doppelt hat). 11, 11. 12. 12, 39. 17, 1. 13. 21, 11. 23, 25. 24, 15. 26, 69. 71. 27,2. 37. — Ebenso verhält es sich mit naqa?Mfißdvsiv, was zum Sprachgebrauch von A gehört Mr. 4, 36. 5, 40. 7, 4. 9, 2 = Mt. 17,1= Lc. 9, 28. Mr. 10, 32 = Mt. 20, 17 = Lc. 18, 31. Mr. 14, 33 = Mt. 26, 37. Ausserdem aber hat es Lucas blos noch 9, 10, dagegen ist es besonders Lieblingswort bei Matthäus geworden , der ihm übrigens auch in A öf ters begegnet war, vgl. Mt. 1, 20. 24. 2, 13. 14. 20. 21. 4, 5. 8. 12, 45 = Lc. 11, 26. Mt. 18, 16. 24, 40. 41 = Lc. 17, 34—36. Mt. 27, 27. — Auf die Anrede ysvvrjfiaxa sxiövwv war Matthäus in A Lc. 3,7 = Mt 3, 7 gestossen und bringt sie dann noch zweimal 12, 34. 23, 33. — 1) Theologische Jahrbücher, 1S43, S. 528 ff. 352 Viertes Capitel. Credner führt als Eigenthümlichkeit des Matthäus an, dass bei ihm ovo stets dem Hauptworte voran und mit demselben im gleichen Casus stehe. x Das hat seine Richtigkeit, aber diese Manier ist noch vor Mat thäus Eigenthum von A gewesen. Denn dass dort neben neun correcten Beispielen zweimal auch steht ovo xwv fiadrjxiöv Mr. 11, 1. 14, 13, hat seinen guten Grund in der Vorstellung der Auswahl, die Jesus unter den Zwölfen veranstaltet. An der ersteren der beiden Stellen hat Lc. 19, 29, wie Marcus, während Mt. 21, 1 daraus ovo fiadrjxdg macht, was allerdings zeigt, wie bei ihm die Regel noch stärker durchgeführt ist, als in der Quelle. Denn einmal wenigstens 12, 42 setzt Marcus das ovo dem Substantiv nach, was Lucas öfters thut. — Matthäus beginnt sehr oft mit einer Participialconstruction, um, meist ohne Hinzufügung eines Zwischensatzes (doch vgl. Ausnahmen 1, 18. 2, 1), im bestimmten Tem pus fortzufahren, wie er Dies z. B. in dem einen Verse 2, 11 dreimal thut. Darin will nun Gersdorf eine Eigenthümlichkeit des Matthäus erkennen,2 in der That aber liefern Stellen, wie Mr. 1, 7. 41. 43. 2, 4. 3, 5. 5, 33, 7, 33. 34. 8, 12. 23. 24. 9, 15. 36. 10, 16. 17. 21 — 23 den Beweis, dass Matthäus auch diese Manier von A angenommen hat. AUerdings folgt dann bei Matthäus häufig das Subject erst auf das, zu ihm gehörende und vorangestellte, Participium. Doch ist auch diese Wortstellung dem Matthäus nicht ausschliesslich eigen,3 sondern nur vergleichungsweise, wie z. B. das zweite Capitel fast nur derartige Con- structionen bietet. Vgl. aber auch Mr. 10, 23 xai nsqißXsipdfisvog b 'Irjaovg Xiysi. Endlich Hebt Matthäus auch ganz bestimmte Participien, die er meist voranstellt, wie z. B. iysqdsig, das er 9 mal, Lucas nur 2 mal, und Marcus höchstens einmal 4, 39 hat, wo aber die Variante öisysqdsig bezeugter ist. So verhält es sich auch mit den Participien axovöag, löwv, iXdwv, sgsXdcov, n,sowv, naqäywv, änooxsiXag, änoxqi- dsig, intyvovg, äcpsig u. a. , die zwar auch bei den Anderen, bei Mat thäus aber besonders häufig, und gewöhnlich dem Subject vorangestellt, vorkommen. Ebenso steht es auch mit dem — übrigens gut griechi schen — Gebrauch eines doppelten Dativs in diesen Participialconstruc- tionen, was zwar auch in A vorkommt Mr. 5, 2 = Mt. 8,28= Lc. 8, 27, sonst aber doch hauptsächlich bei Matthäus an der Stelle eines Ge- nitivus absolutus 8, 1. 5. 23. 9, 27. 21, 23. — Eine ganz besondere Erwägung verdienen aber noch die beiden Participien nqoasXdwv und noqsvdsig. Das Erstere kommt bei Marcus 6 mal vor, dem Subject, wofern es überhaupt genannt ist, stets vorangestellt. Bei Lucas steht es 8 mal, bei Matthäus aber 44 mal, meist mit nachfolgendem Subject. 1) Einleitung, S. 60 f. — 2) Gersdorf, S. 90 f. — 3) Gegen Gersdorf, S. 1-16. Der Spraehcharakter der Synoptiker. 353 Wir haben also hier ein Beispiel, wie anknüpfend an den Sprachge brauch von A, Matthäus den seinigen bildete, wie er einzelne Eigen thümlichkeiten von A erst recht zu Eigenthümlichkeiten weitertrieb. 5) Was schliesslich den Lucas anlangt, so gebraucht er z. B. dno- öoxifiä^eiv noch einmal öfter, als A, äqyvqiov dreimal über A hinaus, aqxiavväywyog 1 mal, äanaofiög 4 mal, ßaoxä^eiv 4 mal, ßdxog lmal, ßiog 4 mal, elqrjvrj 1 mal, dveiv noch 3 mal ; er eignet sich zu öfterem Ge brauche an Wörter wie öixeodai, nqoaöixeadai, öiiqxsodai, während eine Menge anderer Beispiele — Zell er hat 24 gesammelt1 — nur ganz geläufige Phrasen und Worte betreffen, von denen nichts natür licher ist, als dass sie in einer längeren Schrift, wie Lucas ist, auch öfters vorkommen, als in der kürzeren des Marcus. Wir fügen auch hier noch weitere Beispiele bei. So steht ovtyjxsiv Mr. 1, 27. 8, 11. 9, 10. 14. 16. 12, 28. Lucas hat das Wort 22, 23 herübergenommen und 24, 15. Act. selbstständig gebraucht. — Der viög xov deov xov vipiaxov kommt bei Matthäus nicht vor; Lucas aber eignet ihn sich aus A Mr. 5, 7 = Lc. 8, 28 an, vgl. 1, 32. 6, 35. So auch övvafiig vipi axov 1, 35, nqocffijxrjg vipiaxov 1, 76. — Das oxi recitativum geht Mr. 5, 35 = Lc. 8, 40. Mr. 13, 6 = Lc. 21, 8 auf Lucas über, der es auch selbstständig braucht. — Stereotype Formeln, wie cpwvr) fisyäXrj A Mr. 1, 26 = Lc. 4, 33. Mr. 5, 7 = Lc. 8, 28. Mr. 15, 34 = Mt. 27, 46 = Lc. 23, 46. Mr. 15, 37 = Mt. 27, 50. vgl. Mt. 24, 31 eignet sich Lucas an 1, 42. 17, 15. 19, 37. 23, 23. Aehnlich cpößog ftsyag A Mr. 4, 41. Mt. 28, 8, vgl. Lc. 2, 9. 8, 37, oder die Formel in äXrj- dsiag 4, 25. 22, 59 aus A Mr. 12, 14 = Mt. 22, 16 = Lc. 20, 21. Mr. 12, 32. Zell er selbst, der an eine Abhängigkeit des Lucas von Matthäus glaubt, bemerkt ausdrücklich, dass Lucas offenbar sich auch im Aus druck von seinen Quellen abhängig gemacht habe: »so konnte auch bei längerer Beschäftigung mit der Schrift des Matthäus Einzelnes aus dieser in seinen Sprachgebrauch über gehen.«2 Wir nehmen dieses, im Allgemeinen gemachte, Zugeständ- niss getrost für das, von uns nachgewiesene, Quellenverhältniss in An spruch, indem wir blos anstatt der vorausgesetzten Abhängigkeit von Matthäus eine solche von A behaupten. Daher allein rührt sidiwg 5, 1 3 (sonst nicht mehr in der Erzäh lung), neqißXeipdfievog 6, 10, tö niqav 8, 22, änexaxeaxddrj 6, 10. Am auffallendsten ist aber, dass Lucas, auch wo er selbstständig schreibt, memorielle Reminiscenzen an die Darstellungsweise von A verrath, aus 1) Theologisehe Jahrbücher, 1843, S. 532 f. — 2) Theologische Jahrbücher, 1813, 563. Holtzmann. 23 354 Viertes Capitel. welcher Quelle ihm fort und fort Wendungen und Phrasen in die Fe der kommen. So ist das Wort 7, 14, womit Jesus den Jüngling zu Nain erweckt, aus A Mr. 5, 41, so der Schluss der Salbungsgeschichte 7, 50 aus Mr. 5, 34, so das ävd ovo 10, 1 aus Mr. 6, 7 , so Lc. 10, 27 aus Mr. 12, 30. 31, und Lc. 19, 28 aus Mr. 10, 32.' Ad oculos lässt sich dieses Verhältniss demonstriren bei dem Na^aqrjvs Lc. 4, 34, das aus A Mr. 1, 24 sein muss, da Lucas sonst (18, 37. 24, 19 und 8 mal in Act.) Na^wgalog hat. Ganz augenfällig aus A stammen : das sonst fehlende änoxxavdfj- vai 9, 22 = A Mr. 8, 31. Mt. 16, 21, und xXrjqovöfiog Lc. 20, 14, na- Xaiög 5, 36. 37. (39). Aus seiner Hauptquelle fliessen ferner ganz selbst verständlich eine grosse Reihe von Ausdrücken, wie ßaaiXsia dsov, viög ävdqwnov, alwv ovxog, öiödaxaXog, öovXog, dfiaqxwXög, xsXwvrjg, xXijgovOfislv t,cor)v alwvtov. Endlich ist aber auch nicht zu vergessen, dass eine Reihe von Wörtern im Marcus öfter steht, als im Lucas, wie aiv- öwv, axdyvg, anagdaasiv, xvxXcp, xadsvösiv, nsgtßXsnsadai, grjqaivsiv, öaifioviCsodai. XVII. Einfluss des Styls von A auf Matthäus und Lu cas. Aehnlich verhält sich Matthäus auch zu A, woraus er einzelne Phrasen und Wörter sich vollständig aneignet. 1) 6 xXavdfiög xal b ßqvyfiög xcöv ööövxwv kommt A Mt. 8, 12 = Lc. 13, 28 vor, wird aber von Matthäus noch verwendet 13, 42. 50. 22, 13. 24, 51. 25, 30. 2) öXiyöniaxog, die tadelnde Anrede aus A Lc. 12, 28 = Mt. 6, 30 kommt sonst nur noch vor Mt. 8, 26. 14, 31. 16, 8. 3) xdfiivog steht ausser der Apokalypse blos Mt. 13, 24. 50, wohl auch aus A. 4) fiadrjxsisiv Mt. 13, 52 aus A, kommt bei Marcus und Lucas nicht, bei Matthäus aber noch 27, 57. 28, 19 vor. Gewisse Wörter sind Eigenthum von A, werden dann aber gele gentlich auch von Matthäus und Lucas selbstständig gebraucht. So änoxaXvnxsiv, was Marcus nie hat, ist Lieblingswort von A Mt. 10, 26 = Lc. 12, 2. Mt. 11, 25 = Lc. 10, 21. Mt. 11, 27 = Lc. 10, 22. Lc. 17, 30. Ausserdem gebraucht es Matthäus blos noch 16, 17, Lu cas 2, 35. Andererseits gibt es Fälle, wo nur einer der Evangelisten sich ein Wort aneignet, sich aber damit an beide Hauptquellen anlehnt. Lekebusch findet den seltenen Gebrauch von xöofiog bei Lucas be- merkenswerth;2 in der That gebraucht Lucas das Wort blos, wo er sich an A Mr. 8, 36 = Lc. 9, 25, oder an A Lc. 11, 50. 22, 30 anschliesst; Marcus hat es noch 14, 9 und im unächten Schluss 16, 15, Matthäus 1) Weiss, S. 706. — 2) Apostelgeschichte, S. 57. Der Spraehcharakter der Synoptiker. 355 aber ausser A Mr. 8, 36 = Mt. 16, 26 noch 8 mal. Andererseits gehört avXXsysiv sowohl A (Lc. 6, 44 = Mt. 7, 16), als A (Mt. 13, 28— 30. 48) an und wird sonst nur von Matthäus, an letztere Quelle anknüpfend, ge braucht 13, 40. 41. — üqoocpwvslv ist Ausdruck von A Mt. 11, 16 = Lc. 7, 32, kommt aber sonst nur noch bei Lucas vor. — Ebenso intöi- öövai vom Darreichen von Speisen A Mt. 7, 9. 10 = Lc. 11, 11. 12 wird von Lucas wieder so angewandt 24, 30. 42. — Kontäv, aus A Mt. 6, 28" = Lc. 12, 27. Mt. 11, 28 hat Lucas noch 5, 5. Act. 20,35. — üqoaöoxäv ist Ausdruck von A Mt. 11, 3 = Lc. 7, 19. 20. Mt. 24, 50 = Lc. 12, 46, angeeignet von Lucas 1,21. 3, 15. 8,40; sonst nicht mehr in den Evangelien. — So ahmt aber Lucas auch in seinen selbst- ständigen Bildungen nach die S. 339 verzeichnete Weise der Quelle A, die Reden Jesu in gleichförmigen Perioden zu geben (vgl. 4, 25 — 27 noXXoi fjoav — xai oiösig. 7, 44— 46 ai oix — avxrj öi), so die S. 339 beschriebenen Correcturen und Contraste (23, 28 fifj xXaisxs in ifti- nXfjv icp' savxdg xXaisxs) und die Argumenta a minori ad majus (13, 15. 1 6, was man am Sabbat am Thier, also auch am Menschen thun dürfe). XVIII. Neutrales Gebiet. Ueberhaupt gibt es, was Sprache und Styl anbelangt, einen neutralen Boden, auf dem sich mehr oder weniger alle Synoptiker zusammenfinden. Wenn man gewöhnlich bei Marcus weniger, als bei Matthäus und Lucas allgemein durchgreifende Spracheigenthümlichkeiten bemerken will, so kommt Dies zum guten Theil daher, dass man die stylistischen Eigenthümlichkeiten von A schon bei Matthäus und Lucas aufgefunden und als charakteristisch für Mat thäus oder Lucas angemerkt hat. Da nun aber der Einfluss von A auch über die parallelen Stücke im Matthäus und Lucas hinausreicht, und da überdies von der Uebersetzung der LXX, von alttestamentlichen Rede weisen, von der hellenistischen Literatur gemeinsame Impulse auf un sere Synoptiker und ihre Quellen ausgegangen sein müssen, so kann es nicht befremden, wenn hinter dem erkennbaren Unterscheidungscha rakter der Dreie ein gemeinsames Sprachgebiet als Hintergrund schwebt, und wenn die Uebergänge aus dem Gemeinsamen in das Besondere nicht mehr mit absoluter Sicherheit gezeichnet werden können. Gers- dorf führt z. B. das fifj gpoßrjdfjg, fir) cpoßrjdfjxs als eine Phrase des Matthäus an.1 Aber dieselben Ausdrücke kommen auch in A vor, nur heisst es dort firj cpoßov Mr. 5, 36 = Lc. 8, 50, ftr) cpoßelods Mr. 6, 50 = Mt. 14, 27. Dieselbe Form hat sich auch Lucas angeeignet 1, 13. 30. 2, 10. 5, 10. 12, 32. Act. Auch Matthäus hat 17, 7. 28, 5. 10 an Stel len, wo die parallelen Texte überhaupt abweichen, die Präsensform viel leicht aus A beibehalten. Einmal, wo er unabhängig schreibt, gebraucht I) S. 77. 23* 356 Viertes Capitel. er ftr) cpoßrjdfjg 1, 20. Eine besondere Bewandtniss aber hat es mit den Stellen Mt. 10, 26. 28. 31 = Lc. 12, 4. 5. 7, wo die aus A geläufige Form promiscue gebraucht wird mit cpoßrjdfjxs, welches also mit grös serer Wahrscheinlichkeit für Eigenthümlichkeit von A, als von Mat thäus angesehen werden kann. — Hierher gehört ferner auch das iöov, welches sehr häufig ist bei allen Synoptikern. Dafür setzt Mat thäus. blos in der Geschichte von den Talenten (25, 20. 22. 25) und 26, 65, Marcus im Ganzen 5 oder 6 mal 'lös. Während es aber Marcus nur 1 1 mal hat , steht es bei den Andern sehr häufig. Am meisten Re gelmässigkeit aber lässt sich bei Matthäus nachweisen. Gers dorf be merkte zuerst, dass es auf absolute Genitive zu folgen pflege,1 vgl. 1, 20. 2, 1. 13. 19. 9, 32. 28, 11, was sonst nur noch Lc. 22, 47 vorkommt. Auch A wird von Matthäus in dieser Manier verändert 9, 1 8 (= Mr. 5, 2 1). 17, 5 (= Mr. 9, 7), besonders wenn A im Präsens erzählt, vgl. 12, 46 (= Mr. 3, 31). 26, 47 (= Mr. 14, 43). Gelegentlich rückt Matthäus sein iöov wohl auch einmal ohne vorherigen Genitiv in A ein, vgl. 24, 25. — Ausserdem setzt Matthäus sein iöov bei alttestamentlichen Citaten, vgl. 1,23. 11, 10 (= Mr. 1, 2 =Lc. 7,27). 12,18. 21,5. Wahr scheinlich gehört auch hierher 23, 34, was nach Lc. II, 49 ursprüng lich ein Citat ist. Ausserdem lässt Matthäus fast überall sein iöov fol gen auf et?re, Xiyovoi u. s. f. So z. B. 19, 27. 22, 4. 25, 6. — Diese Ge wohnheit aber hat er wieder von A (vgl. z. B. Mr. 15, 35 für iöov, Mr. 11, 21. 13, 1. 15, 4. 16, 6 für tde) angenommen, vgl. Mr. 2, 24 = Mt. 12, 2. Mr. 3, 32. 34 = Mt. 12, 47. 49. Mr. 4, 3 = Mt. 13, 3. Mr. 10, 28 = Mt. 19, 27 = Lc. 18, 28. Mr. 10, 33 = Mt. 20, 18 = Lc. 18, 31. Mr. 13, 21 = Mt. 24, 23 (= Lc. 17, 20). Auch im Zu sammenhang der Rede steht es Mr. 14, 41. 42 = Mt. 26, 45. 46. Ganz ebenso wurde Iöov aber auch gebraucht in A, sowohl im Anfang (Lc. 17, 23 = Mt. 24, 26. Lc. 7, 34 = Mt. 11, 19), als im Fortgang der Rede (Lc. 13, 35 = Mt. 23, 38); eigenthümlich ist A Lc. 7, 25 = Mt. 11, 8, wo es zwar im Fortgang, aber doch als Antwort auf eine Frage steht; so, als Antwort einführend, noch Lc. 2, 48. Act. — Eine besondere Bewandtniss hat es endlich mit xai iöov, welches bei Marcus niemals, bei Matthäus und Lucas sehr oft vorkommt als Ankündigung von etwas Neuem (12, 41. 42 = Lc. 11, 31. 32. Mt. 2, 9. 28, 2. 9. 20 u. a. Lc. 7, 12. 37 u. a.). Oefters setzt es sowohl Lucas, als beson ders auch Matthäus in den Zusammenhang von A ein. Beide stimmen zufällig überein an der Stelle Mt. 17, 3 = Lc. 9, 30. Sonst vgl. Lc. 5, 12. 18. 8, 41. 9, 38. 39. 23, 50. 24, 4. Mt. 3, 16. 17. 4,11. 7,4. 8,32. 34. 9, 2. 10 (wieder nach absolutem Genitiv). 20. 12, 10. 15, 22. 19, 16. 1) S. 72 ff. Vgl. "Wilke: Neutestamentliehe Rhetorik, S. 381. 446. Der Sprachcharakter der Synoptiker. 357 20, 30. 26, 51. 27, 51. 28, 7. Lucas dagegen gebraucht es mehr in sei nen selbstständigen Relationen, 5 mal in der Vorgeschichte, sonst noch 10, 25. 11, 41. 13, 11. 30. 14, 2. 19, 2. 23, 14. 15. 24, 13. 49. Den Nachsatz führt es bei Lucas 1 2 mal ein. Höchst auffallend ist der Gebrauch der Synonymen fiiqrj und oqia bei Matthäus und Marcus. Das Letztere kommt im Lucas gar nicht vor, das Erstere wenigstens nicht in dieser Bedeutung. Aber xd oqia gehört jedenfalls A an Mr. 5, 17 = Mt. 8, 34. Mr. 10, 1 = Mt. 19, 1. Das fisdöqia Mr. 7, 24 ist Mt. 15, 21 mit fiiqrj, gleich darauf 15, 22 mit oqia wiedergegeben. Mr. 7, 31 ist ohne Parallele. Aber auch Marcus setzt einmal fiiqr) 8, 10, und zwar wo Mt. 15, 39 oqia hat. Ausserdem braucht Matthäus diesen Ausdruck (oqia) noch 2, 16. 4, 13, den an deren aber (fiiqrj) 2, 22. 16, 13, wo Mr. 8, 27 xcöfiai hat. Hier ist schwer zu bestimmen, wie sich A zu dem Ausdruck fiiqrj verhält. — KXsnxsiv soll nach Gersdorf1 Eigenthümlichkeit des Matthäus sein; aber an den Stellen 27, 64. 28, 13 brachte der Inhalt es nothwendig mit, wie auch yl Mt. 6, 19. 20 und A Mr. 10, 19 = Mt. 19, 18 = Lc. 18, 20 es haben. — 'Afirjv Xiyw vfilv hat Marcus 13 — 14 mal, Mat thäus 31 mal, Lucas 7 mal, und zwar verhalten sich die Stellen so zu einander, dass wir annehmen müssen, es habe diese, für die Redeweise Jesu überhaupt charakteristische, Formel ihre Stelle sowohl in A, wie in A gehabt. Ebenso verhält es sich mit öid xovxo Xiyw vfiiv. — So auch das Wort vnov.qixrjg, das Mr. 7, 6 = Mt. 15, 7 in A stand, wie auch die Anrede vnoxqixä Lc. 6, 42 = Mt. 7, 5. Aber auch die Quelle A kennt dieses Wort vnoxqixai Lc. 12, 36 = Mt. 16, 3. Lieblingswort ist diese Anrede im Plural dann, sei es aus A, sei es aus A, bei Matthäus geworden, der sie noch 8 mal, das Wort selbst noch 4 mal hat. — Kaxd ftövag kommt nur Mr. 4, 10 und Lc. 9, 18 vor in nicht parallelen Stel len. Wer will entscheiden, ob Lucas das Wort aus A entnommen, oder nicht ? Verlorene Mühe ist es auch, aus dem verneinenden Imperativ mit folgendem begründendem yäq eine Eigenthümlichkeit irgend einer Quelle oder Evangelienschrift machen zu wollen, da diese Verbindung sowohl in A sich findet (Mr. 10, 14 = Mt. 19, 14 = Lc. 18, 16. Mr. 1 3, 21.22 = Mt. 24, 23. 24), als in A (Mt. 6, 31. 32. 34 = Lc. 12, 29.30. Mt. 10, 9. 10 = Lc. 10, 4. 7. Mt. 7, 34. 35 = Lc. 12, 51. 52. Mt. 24, 26. 27 = Lc. 17, 23. 24), ausserdem auch in Stellen des Lucas, wie 1, 27. 2, 10. 7, 6, und sehr oft bei Matthäus , z. B. 1, 20. 6, 7. 8. 16. 7, 1. 26. 18, 10. 23, 8—10. 24, 23. 24. 28, 5. Mit Bestimmtheit wird daher auch nicht auszumachen sein, ob an Stellen von A, wie Mt. 3, 9 1) S. 155. 358 Viertes Capitel. = Lc. 3, 8. Mt. 9, 24 = Lc. 8, 52. Mt. 24, 4 — 6 = Lc. 21, 8. 9 das yäq von Marcus ausgelassen, oder von den Anderen hinzugefügt wurde. — Gleicher Weise hat der Zufall sein Spiel, wenn bei Matthäus sowohl, wie bei Lucas, und zwar in Stellen, die bald aus A, bald aus A sind, der Genitiv der Eigennamen öfters artikellos steht, selbst dann, wenn das den Genitiv regierende Substantiv articulirt ist.1 — Das Wort no- qsvsadai (besonders im Particip) findet sich bei Matthäus 29 mal, bei Lucas, meist in parallelen Stellen, 50 mal,2 bei Marcus nie (ausser im unächten Schlüsse 16, 10. 12. 15). Dafür bei Marcus ixnoqsieodai 1 1 mal, bei Lucas 3, bei Matthäus 6 mal : und zwar sind die beiden An dern zu Mr. 1, 5 parallel ; 6, 1 1 haben die Andern igiqxeadat; 7, 15 — 23, wo es 5 mal steht, hat es Matthäus bald gelassen, bald mit igiqxeadat ersetzt; 10, 17 ist Marcus ohne Parallele; 10, 46 = Mt. 20,29; 11, 19 hat Matthäus igiqxeadat; ebenso 13, 1. Dafür hat umgekehrt Mat thäus ixnoqsvsodai 17, 21, wo Mr. 9, 29 igiqxeadat setzt.3 Doch setzt Matthäus das ixnoqsvsodai noch 3, 5. 20, 29 und hat es gleichfalls aus A, wo es 6 mal steht. Ebenso hat Marcus allein das Compositum naqa- noqsvsadai und zwar 4mal, was sonst blos noch Mt. 27, 39 aus Mr. 15, 29 stehen geblieben ist. Dagegen setzt Lucas zuweilen, z. B. 6, 1, an statt des naqanoqsvsodai ein öianoqsieodai, was wiederum nur er hat unter allen Evangelisten. Endlich steht das Compositum sianoqsv- sodat bei Marcus 8 mal, bei Lucas 4 mal, bei Matthäus blos 15, 17 aus Mr. 7, 19. Aus diesen Beobachtungen erhellt aber, dass im Gebrauche des Worts noqsvsodai und seiner Composita nicht blos Matthäus und Lucas, sondern auch Marcus eigene Liebhabereien besitzen. So Hegt es namentlich nahe, das gänzliche Fehlen der Form noqsvdsig, die doch bei Matthäus 1 2 mal, bei Lucas 9 mal steht, auf Rechnung des Marcus zu setzen. Denn obwohl nur Lc. 7, 22 und Mt. 11,4 sich vollkommen correspondiren, lässt doch die Thatsache, dass in der Apostelgeschichte das noqsvdsig gar nicht wiederkehrt, darauf schliessen, dass Lucas durch seine Quellen zu seinem Gebrauch veranlasst war. Im Einzelnen ist die Sache nicht mehr aufzuhellen. 1) Gersdorf, S. 49 f. 161 f. — 2) Darf also auf keinen Fall mit Credner, S. 65 als Eigenthümlichkeit des Matthäus betrachtet -werden. — 3) Ein Versehen bei Weiss, S. 57. Traditionelle Voraussetzungen über Matthäus. 359 Fünftes Capitel. Die synoptischen Evangelien als Geschichtsquellen. §. 20. Traditionelle Voraussetzungen über Matthäus. Nach der traditionellen Ansicht ist das erste Evangelium auf einen Apostel, die beiden andern auf Apostelschüler zurückzuführen, die aber unter apostolischer Beeinflussung geschrieben hätten. Diese Angabe ruht auf der weiteren Voraussetzung, dass alle Synoptiker unabhängig von einander nicht blos, sondern überhaupt unabhängig von jeder schriftstellerischen Vermittlung, also in origineller Weise ihren Bericht abgefasst hätten. Eben diese Voraussetzung aber hat sich im Lauf der Zeiten als irrig erwiesen, und so ist z. B. Gfrörer schon auf das ent gegengesetzte Resultat gekommen, dass vielmehr keines der drei Evan gelien von dem Verfasser herrühre, dem die Tradition es zuschreibt.1 Somit bedarf die kirchliche Tradition einer Revision und Correctur vom Standpunkte unseres, der inneren Kritik entstammenden , Resul tates aus. Nicht aber ist, wie Olshausen2 und alle conservativen Kritiker zu thun pflegen , mit der äusseren Ueberlieferung bei Beur theilung unserer evangelischen Quellenschriften zu beginnen. Abgesehen vom Manichäer Faustus3 wird das erste kanonische Evangelium von der alten Kirche durchweg und einstimmig auf einen Apostel zurückgeführt, über dessen Person wir sonst nur noch ganz spärliche Nachrichten besitzen. Matthäus, von Geburt jedenfalls ein Jude, vielleicht ein Galiläer, bekleidete ein Zollamt am See Tiberias, als er von Jesus in die Zahl seiner Jünger berufen ward (Mt. 9, 9. 10, 3). Merkwürdig bleibt immer, dass A ihn Levi nennt (Mr. 2, 14 = Lc. 5, 27), ohne dann im Apostelverzeichniss (Mr. 3, 18 = Lc. 6, 15 = Act. 1, 13) die Identität der Person besonders zu bemerken; merkwür diger noch, dass eben das nach seinem Namen genannte Evangelium es ist, welches jeden Missverstand in dieser Beziehung ausdrücklich aus- schliessen zu wollen scheint; wie auch der Verfasser des ersten Evan geliums allein im Apostelverzeichniss 10, 3 zum Namen des Matthäus noch einmal ausdrücklich zu bemerken veranlasst ist, dass dieses der 1) Geschichte des Urchristenthums, II, 2, S. 244. — 2) Die Aechtheit der vier kanonischen Evangelien aus der Geschichte erwiesen, 1823. — 3) Augustin: Contr. Faust. 17, 1. 32, 2. 33, 3. 360 Fünftes Capitel. Zöllner gewesen sei. Wie diese Aenderungen einerseits schon an sich genügen, um unser Evangelium als eine secundäre Quellenschrift zu erweisen — zumal wenn man die, einen Augenzeugen ausschliessende, mittlere Relation der unmittelbar folgenden Geschichte dazunimmt (S. 181) — : so scheinen sie andererseits allerdings auf ein besonderes Verhältniss, in welchem unser Evangelium gerade zu der Person dieses Apostels stehen will, hinzudeuten. Wie dem nun sei, jedenfalls ist die Identität des Levi und des Matthäus unter unseren Voraussetzungen das Wahrscheinlichste. Die früheren Zweifel * haben zwar auch neuerdings wieder Vertheidiger ge funden.2 Sobald aber einmal die Identität der Geschichte erwiesen ist, liegt es nahe, auch die Identität der Person vorauszusetzen; und wenn der berufene Levi später im Apostelverzeichnisse sich nicht wieder vor finden will, dagegen in einer Umarbeitung der Quelle A, wie unser erstes Evangelium eine ist , geradezu als Matthäus auftritt, so ist klar genug , dass schon der Verfasser dieser Umarbeitung in der Darstellung von A eine Lücke erkannte, die er um so eher bemerken und ausfüllen musste, als der Apostel Matthäus auch sonst eine grosse Rolle in diesem ersten Evangelium spielt, insofern nämlich der ganze unterscheidende Charakter desselben gegenüber der ersten Quelle auf der Einverleibung der Hinterlassenschaft jenes Apostels beruht (S. 252). Es ist daher an zunehmen, dass der apostolische Name Theodor = Matthäus den Levi ebenso verdrängt habe, wie der Felsenname den ursprünglichen Simon.3 Wenn übrigens Mr. 2, 14 Alphäus als Vater genannt wird, so kann da mit schon desshalb nicht an den Vater des jüngeren Jakobus gedacht werden, weil sonst Matthäus in den Apostelverzeichnissen eben mit diesem Jakobus ein Paar bilden würde.4 Von einem sachlichen Grund, das erste Evangelium gerade auf diesen Namen zurückzuführen , muss die alte Kirche um so mehr ge leitet erscheinen, als sonst die Person des Apostels Matthäus in der Geschichte des apostolischen Zeitalters gänzlich zurücktritt. Zwar no- tirt ihn Clemens von Alexandrien als einen Anhänger der fleisch scheuen Juden christlichen Askese;5 er soll sich sogar nach Apollo- nius6 mit den andern Aposteln noch zwölf Jahre seit des Herrn Tod in Jerusalem aufgehalten und dann — wie Eusebius hinzufügt — 1) Herakleon, Origenes, Grotius, Michaelis, Theodor Hase, Frisch: De Levi cum Matthaeo non confundendo, 1746. — 2) Sieffert (Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums, S. 59), Neander (Leben Jesu, S. 361), Ewald (Evangelien, S. 199 f., Geschichte Christus, S. 253. 281), Reuss (Geschichte, S. 155. 182). - 3) Meyer (ZuMatthäus, 1860, S. 2), Bleek (Einleitung, II, S.88f.). — 4) Meyer (A. B. O. S. 1), Bleek (Einleitung, II, S. 90. Synopsis, I, S. 386). — 5) Paed. 2, 1. S. 148, D. ed. Sylb. — 6) Eusebius: K. G. 5, 18. Traditionelle Voraussetzungen über Matthäus. 361 nachdem er sein , den Juden verkündigtes, Evangelium in hebräischer Sprache schriftlich niedergelegt hatte, abgereist sein.1 Noch haltuno-s- loser sind spätere Nachrichten, wornach dem Matthäus bei der aposto lischen Ländervertheilung Aethiopien zugefallen, 2 und er daselbst als Märtyrer gestorben wäre.3 Die letztere Nachricht wurde indessen schon von Her akleon4 bestritten; überhaupt aber stehen sämmtliche No tizen offenbar mit Reflexionen und Traditionen über das Evangelium in Verbindung und münden daher in jene, als grundlos erkannte, Angabe über die Ursprache des ersten Evangeliums aus (S. 270). Dagegen wird uns Charakteristisches, von dem aus wir auf das Verhältniss unseres Evangeliums zu der Person des Matthäus schliessen könnten, so gut wie gar nichts geboten. Nichtsdestoweniger blieb man lange dabei stehen, die Aechtheit des Evangeliums mit um so grösserem Zutrauen auf die angedeutete Reihe alter Zeugnisse zu gründen, als die inneren Gründe, über die man verfügen zu können glaubte, zwar keinerlei Art von Nothwendig keit mit sich führten, gerade den Apostel Matthäus unter allen Männern, die möglicher Weise ein solches Evangelium hätten schreiben können, als den Verfasser auszuzeichnen, dafür aber andererseits auch ganz wil lig der durch die Tradition dargebotenen Annahme sich anschlössen. Man berief sich nämlich, was diese inneren Gründe betrifft, auf die in der Einzelnheit lebendige, den Verhältnissen der apostolischen Zeit ganz entsprechende Darstellung; man fand auch Denkweise, Sprache, Bil dungsstand ganz so, wie man es von Jemand in des Matthäus Stellung erwarten könne. So betrachtete man die constante Ueberlieferung nur als die ungerufen sich einstellende Probe eines aprioristischen Calculs, als geschichtsmässige Umsetzung einer, mit unbenannten Grössen ge führten, Rechnung in benannte Zahlen. Anders musste es werden, sobald eine eindringendere Quellen kritik die Abhängigkeitsverhältnisse auch des ersten Evangeliums zu entdecken begann. Schon Eichhorn bemerkte, dass das erste Evan gelium, wie es vorliegt, keinesfalls vom Apostel herrühren könne, son dern höchstens seine Grundlage.8 Aber erst von Schleiermacher's beiden kritischen Arbeiten datirt eine schärfere Beobachtung, und seine Schule bewies sich in demselben Maasse gegen die Augenzeugenschaft des ersten Evangelisten eingenommen, als sie für die des vierten von vornherein passionirt war. Einer der beiden angeblich apostolischen 1) K. G. 3, 24. — 2) Ruf in (Kirchengeschichte, 1, 9), Sokrates (Kirchenge schichte, 1, 19). — Spätere nennen Macedonien, Parthien, Indien, Arabien. — 3) Ni- ceph. Kall. K. G. 2, 41. — 4) Bei Clemens: Strom. 4, S. 502, C. ed. Sylb. — 5) Einleitung, I, S. 122 ff. 457. 362 Fünftes Capitel. Berichte schien — in Folge der, durch Lücke1 und Usteri2 ange bahnten, Vergleichung beider Schriften — aus der Zahl unmittelbarer Geschichtsquellen zu streichen. Auch Sieffert, wiewohl er auch mit andern Gründen die Annahme einer Augenzeugenschaft des ersten Evangelisten A'ernichtet hatte,3 und Schneckenburger4 theilen noch diesen Standpunkt. Ebenso mussten diejenigen Gelehrten, welche den Matthäus durch Lucas, oder den Lucas durch Matthäus benutzt werden Hessen, dem ersten Evangelium nothwendig die apostolische Verfasser schaft absprechen, da im ersteren Falle Lucas es besser benutzt, viel leicht auch anders charakterisirt hätte (vgl. S. 246 f.), im letzteren aber ein Apostel sich von einem secundären Schriftsteller in seiner Darstel lung abhängig gemacht hätte. Man fand nun also — und in diesem Stück war besonders David Schulz vorangegangen5 — im ersten Evangelium, mit sich selbst und mit den übrigen verglichen , einen Mangel an Anschaulichkeit und Ur sprünglichkeit. Dieser Charakter hat sich uns in §. 12 auf Schritt und Tritt bereits herausgestellt. Das Unbestimmte in Bezeichnung von Ort und Zeit, das Summarische der in Bausch und Bogen gegebenen Be richte, das Syntomistische der Darstellung spricht gchon dafür. Zu sol chen, gegen Marcus fast immer, zuweilen aber auch gegen Lucas im Einzelnen zurückstehenden, Berichten kommt aber auch der Mangel an concretem Pragmatismus im Ganzen. Man machte aufmerksam auf die vagen Ausdrücke »alle, jeder, viele«, auf das xoxe u. dgl. Ein Augen zeuge würde aber auch seinen Stoff nicht nach so allgemeinen Gesichts punkten geordnet, nicht eine von der unmittelbaren Geschichte so ent fernte Planmässigkeit in der, oft genug unwidersprechlich unchronologi schen,6 Aufreihung der Thatsachen befolgt haben, da die ersten schriftstellerischen Versuche vielmehr nur den Zweck verfolgt haben können, geradezu und schlechtweg das Gesehene und Gehörte, wie es vorgefallen ist, zu erzählen.7 Ihm hätte es nicht begegnen können, dass seine Reden durch Zusammenfliessen verwandter, obwohl augen scheinlich bei verschiedenen Veranlassungen gesprochener, Elemente so zu grossen Massen anschwollen, wie solches im Matthäus der Fall ist. 1) In dem 1820 erschienenen ersten Bande seines Commentares zu Johannes. — 2) Commentatio critica, in qua evangelium Joannis genuinum esse ostenditur, 1S23. — 3) Ueber den Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums, 1832, S. 123f. — 4) Bei träge zur Einleitung in das N. T. 1832, S. 23 — 47 (»Andeutungen möglicher Zweifel an dem apostolischen Ursprung des Evangeliums Matthäi«). — Ueber den Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums, 1834, S. 61. — 5) Die christliche Lehre vom h. Abendmahl, 1S24, S. 302 — 322, welcher Anhang in der zweiten Ausgabe übrigens fehlt. — 6) Sieffert (S. 159), Schneckenburger (S. 21). — 7) Sieffert (S. 76), Schneckenburger (S. 73. 76 if.). Traditionelle Voraussetzungen über Matthäus. 363 Was von Seiten Sieffert's1 und Schneckenburger's2 bemerkt worden ist hinsichtlich der Unbekanntschaft des Matthäus mit Dingen, die ein Apostel hätte wissen müssen, lassen wir am besten dahin°-estellt, als auf einer schon vorgefassten Ansicht über die evangelische Ge schichte und auf, hier nicht in Betracht kommenden, Voraussetzungen über das vierte Evangelium beruhend.3 Wohl aber hat Matthäus manche Ereignisse so offenbar sagenhaft ausgeschmückt, dass an eine primitive Darstellung der evangelischen Geschichte bei ihm nicht zu denken ist. Wir wollen von der Kindheitsgeschichte nicht reden, die Schnecken burger noch als eine Umbildung der Relation des Lucas betrachtet,4 während heutzutage man an beide Berichte denselben Maassstab anlegen kann; aber wenigstens die Geschichte von den auferstandenen Leich namen und den Grabeswächtern sieht jetzt kein besonnener Theologe mehr für hervorragende Indicien eines apostolischen Ursprungs an , wie das auch Kern anerkennt.5 Dass endlich nach subjectivem Redactions- ermessen einzelne Berichte verdoppelt werden (S. 255 f.), spricht gleich falls nicht für einen Augenzeugen. Für den apostolischen Ursprung des Matthäus traten seither zwar noch auf Theile,6 Heydenreich,7 Bengel,8 Kern,9 Fritzsche,10 Kuinöl,11 Guericke,12 Olshausen,13 Ebrard,14 Schott,15 Rördam,16 Delitzsch17 und Hengstenberg.18 Wenig empfehlend für diesen Standpunkt ist die frivole Begründung, die er noch neuestens bei dem Letztgenannten gefunden hat, der zuerst den Nachweis des Zusammenhangs zwischen altem und neuem Testament als Thema des Matthäus angibt und dann fortfährt: »Wenn die Lösung dieser schwie rigen und wichtigen Aufgabe einem Andern, als einem Apostel über tragen worden wäre, so würde Dies eine Verleugnung der Prärogative sein, die der Herr nur den Aposteln ertheilt hat. « 19 Meyer hat zwar allen guten Willen, gleichfalls auf diese Seite zu treten, bleibt aber doch zuletzt bei einem » sehr relativen Maasse « von 1) S. 158. — 2) S. 6. — 3) Strauss: Charakteristiken und Studien, S. 262 — 271. — 4) Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums, S. 69. — 5) Tübinger Zeit schrift für Theologie, 1834, S. 100.— 6) Winer und Engelhardt: Neues kriti sches Journal , II, 1824, S. 181 ff. 346 ff. — 7) Ebendaselbst, III, 1825, S. 129 ff. 385 ff. , Heydenreich und Hüffel: Zeitschrift für Predigerwissenschaften, I, 1828, 3, S. 10 ff. — 8) Archiv für Theologie, VI, 1824, S. 572. — 9) Tübinger Zeit schrift für Theologie , 1834, S. 1-132. — 10) Proll. in Matthaeum, 1826, S.20ff. — 11) Commentarius, I, S. 1 ff. — 12) Beiträge, S. 23 ff. Einleitung, 2. Asg. S. 792 f. — 13) Apostolica evangelii Matthaei origo, 1835 — 37.— 14) Wissenschaftliche Kritik, 1. Asg. S. 926 ff. — 15) Isagoge, S. 75 ff. — 16) De fide patrum antiquissimorum, 1839. _ 17) Zeitschrift für lutherische Theologie und Kirche, 1850, S. 489 ff. — 18) Evangelische Kirchenzeitung, 1858, S. 627 ff. — 19) Evangelium des heil. Johan nes, I. S. 628. 364 Fünftes Capitel. Authentie stehen.1 Entschieden verworfen wurde aber die apostolische Verfasserschaft seither noch von Schulthess,2 Fischer,3 De Wette,* Lücke,5 Rödiger,6 Orelli,7 Lachmann,8 Credner,9 Neudecker,10 Strauss,11 Weisse,12 Gfrörer,13 Wilke,14 Reuss,15 Bleek16 und Bunsen,17 wie natürhch alle Forscher, die für die Priorität des Marcus eingetreten waren — abgesehen von den unhaltbaren Positionen Thiersch's und Mey er's — eo ipso auch gegen die Apostolicität des Matthäus zeugen mussten. Dabei schliesst dieser negative Standpunkt aber nicht aus , dass man wenigstens einen aposto lischen Kern, eine matthäische Grundlage für unseren Matthäus setzt. So hielt schon Reimarus unseren Matthäus für eine, nach mündlichen und schriftlichen Quellen vor sich gegangene, Bearbeitung des hebräi schen Matthäus; 18 ähnlich führte auch Ammon unser erstes Evange lium auf ein apostolisches Hebräerevangelium zurück. 19 Kien er sah im Matthäus eine freie Erweiterung der apostolischen Urschrift, 20 die nach Sieffert hebräisch abgefasst war.21 Schleiermacher liess die historischen Elemente durch Papias in den Zusammenhang der Xöyia eingefügt werden.22 Der spätere Schott23 und Kern24 postulirten wenigstens eine Recension der hebräischen Urschrift. Schnecken burger dagegen stellte eine Entstehungsgeschichte des Matthäus auf, wornach derselbe aus sieben Quellen entstanden wäre, deren bedeu tendste, das aramäische Original des Apostels, er mit der einfachen Ge stalt des Hebräer evan geliums identiflcirte.25 Während also noch bei Kern Das, was im Matthäus auf Rechnung des Ueberarbeiters zu setzen ist, auf ein Minimum zusammenschwindet , setzt Schnecken burger dafür ein Maximum an. Indessen war doch bei allen diesen Forschern der Unterschied zwischen dem ächten und dem kanonischen Matthäus immer noch ein quantitativer geblieben ; ihn zu einem qualitativen zu steigern, war das 1) Zu Matthäus, 1858, S. 14. — 2) Rosenmüller's biblisch-exegetisches Re- pertorium, II, 1824, S. 172 f. — Wachler: Theologische Annalen, 1823, S. 1 117 ff. — 3) Einleitung in die Dogmatik, 1828, S. 115. — 4) Einleitung, II, S. 202.— 5) Stu dien und Kritiken, 1833, S. 497 ff. — 6) Symbolae quaedam ad N. T. pertinentes, 1827. — 7) Selecta patr. cap. II, S. 10. — 8) Studien und Kritiken, 1835, S. 577. — 9) Einleitung, S. 95 ff. — 10) Einleitung, S. 209 ff. — 11) Leben Jesu, I, S. 65 f. 571 f. 702 ff. — 12) Evangelische Geschichte, I, S. 46 ff. — 13) Geschichte des Ur- christenthums, II, S. 7. 114 f. — 14) Urevangelist, S. 692. — 15) Geschichte, S. 1S2f. — 16) Einleitung, II, S.286. — 17) Bibelwerk, I, S. XL. IV, S. 15.— 18) Strauss : Reimarus, 1862, S. 176. — 19) Leben Jesu, I, S. 53 ff. — 20) Recentiores de authen- tia evangelii Matthaei quaestiones, 1832. — 21) S. 37. 175. — 22) Einleitung, S. 248. — 23) Ueber die Authentie des kanonischen Evangeliums , genannt nach Matthäus, 1837. — 24) Tübinger Zeitschrift, 1834. S. 123. 1835, S. 133—138. — 25) Ursprung, S. 105 ff. Traditionelle Voraussetzungen über Matthäus. 365 Ziel der Tübinger Schule. Hiernach fasst das erste Evangelium ent weder blos einzelne Elemente,1 oder eine ganze zusammenhängende Grundschrift,2 vielleicht eine Redesammlung,3 in sich, die vom Apostel herrührt; in der vorliegenden Gestalt aber ist und bleibt das Werk un apostolisch. Halten wir damit zusammen die Mittelstellung, zu der hin sichtlich des Matthäus selbst Tholuck4 undNeander5 sich beque men, jener mehr für, dieser mehr gegen die Aechtheit redend, so kann schlechterdings darüber kein Zweifel mehr bestehen : dass zwar auch die Gegner der Aechtheit öfters unnütze Waffen gebraucht haben , in dem sie mit blosen Geschmacksurtheilen die Resultate der Detailfor schung vorwegnehmen zu können glaubten und sich öfters auf die angeb lich richtigem Berichte der andern Synoptiker beriefen, als seien diese jedenfalls Autopten gewesen; dass aber andererseits auch die geschick testen Anstrengungen der Apologeten es nur zur allgemeinen Geltend machung einer apostolischen Grundschrift gebracht haben, auf welcher das erste Evangelium beruht; wie denn sowohl dieses Resultat, als auch das andere, dass Matthäus in vereinzelten Partien seiner Darstel lung den Charakter der Ursprünglichkeit mehr, als Marcus und Lucas trägt, von uns bereitwilligst zugegeben wird. Andererseits ist eine bestimmte Opposition gegen die kirchliche Tradition bezüglich des Matthäus unvermeidlich gegeben mit unserem Hauptresultat, dass der Verfasser des ersten Evangeliums einen ander weitig überlieferten Stoff verarbeitet hat und den Thatsachen selbst ferne steht. Diese Opposition gegen die Tradition ist schon darum keine Opposition gegen das Evangelium selbst, weil dieses nirgends darauf Anspruch macht, Werk eines Apostels zu sein. 6 Ja wir treten sogar zur Tradition dadurch in ein positives Verhältniss, dass wir die Existenz eines, vom Apostel Matthäus herrührenden, Werkes ausdrücklich anerkennen, wozu die conservativen Kritiker gar kein Recht haben, weil das Zeugniss der alten Kirche nur einem hebräischen Buche gilt, unser Matthäus aber, zu dessen Gunsten sie es anwenden, weder selbst hebräisch geschrieben, noch aus dem Hebräischen über setzt ist. Ist es doch auch schon an sich wahrscheinlich, dass ein Apo stel der späteren Generation palästinensischer Judenchristen Aufzeich nungen hinterliess, und nicht minder wahrscheinlich, dass diese Hin terlassenschaft sich zunächst auf Reden und Aussprüche, nicht auf das Thun und Lassen Jesu bezog. 7 Ebenso ist zweitens anzuerkennen, dass der Name unseres ersten Evangeliums sich nur durch eine bestimmte 1) Baur: Evangelien, S. 619. — 2) Hilgenfeld: Evangelien, S. 115. — 3) Köstlin: Evangelien, S. 56. — 4) Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte, S. 240. — 5) Leben Jesu, S.U. — 0) Bleek: Einleitung, II, S. 286. — 7) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 46 f. 366 Fünftes Capitel. Beziehung desselben zu jener apostolischen Schrift erklären lässt. Wenn es eine solche Quelle gab, so wurde sie doch sicher auch benutzt bei der Abfassung grösserer Evangelien ; und dass Dies gerade in unserem Mat thäus geschehen sei, dafür spricht ausser dem Namen auch die innere Beschaffenheit desselben, indem er Bestandtheile von der Art, wie wir uns die Xöyia vorstellen müssen, in Menge besitzt.1 Das zwar ist zu viel gesagt, wenn Köstlin aus dem Namen des ersten Evangeliums ohne Weiteres schliessen will, dass die ganze Spruchsammlung des Apostels darin Aufnahme gefunden habe. 2 Wir sahen vielmehr (S. 140 ff.), dass Lucas manche Theile dieser Quelle allein enthält; es hätte somit an sich auch das dritte Evangelium ein gewisses Recht, sich nach dem Namen des Apostels Matthäus zu nennen. Da nun aber doch der Hinzutritt von A nicht das einzige Plus ist, mit dem Lucas über den Typus von A hinausragt, da weiterhin für das dritte Evangelium der Name des Verfassers von vornherein festgestanden zu haben scheint, blieb für Namhaftmachung der Autorität von A keine Stelle mehr va- cant ausser der Ueberschrift des ersten Evangeliums. 3 §. 21. Traditionelle Voraussetzungen über Marcus. Ohne Zweifel verstand man unter dem Marcus, dem man das zweite Evangelium zuschrieb, den Sohn jener Maria, in deren Hause die ersten Christen in Jerusalem sich versammelten (Act. 12, 12). Sein jüdischer Name war also Johannes,4 und er selbst höchst wahrscheinlich in Jeru salem geboren. Durch Barnabas kam er in Verbindung mit dem Apo stel Paulus (Act. 12, 25. 13, 5. 13), bis er, »dem es in seiner unterge ordneten Stellung an Lust und Eifer slg xö s'qyov Act. 15, 38 gefehlt zu haben scheint,«5 nach der bekannten Streitscene, zu der er Veran lassung gegeben (Act. 15, 37 — 39), sich blos noch an Barnabas hielt — eine Thatsache, die sich durch das Prädicat 6 ävsxpiög Baqvdßa (ver mutlich Schwestersohn) Col. 4, 10 hinreichend erklärt. Aus derselben Stelle geht auch seine Identität mit dem zur Zeit des Colosser- und Phi- lemonbriefs (V. 24) bei Paulus wieder anwesenden Marcus hervor, was auf spätere Verständigung deutet (vgl. auch 2. Tim. 4, 11). Hitzig hat auch 2. Cor. 8, 18 für die Geschichte des Marcus verwerthet. 6 Aber von hier an wird mehr und mehr Alles unsicher. Für den Fall, dass 1) Weisse: A. a. O. S. 48. — 2) Evangelien, S. 66. 3) Weiss, S. 88 f. — 4) Wesshalb ihn Hitzig um so mehr als den Verfasser der Apokalypse betrachtet (Joh. Marcus, S. 149). Vgl. auch Weisse: Evangelienfrage, S. 92. 140. 180. Dann -würde sich freilich die spätere Lebensgesehichte des Marcus bestimmter gestalten lassen, vgl. Hitzig, S. 149 — 186. — 5) Hitzig: A. a. 0. S. 152. — 6) Joh. Mar cus, S. 167—177. Traditionelle Voraussetzungen über Marcus. 367 Marcus sich aufs Neue von dem Apostel trennte , wahrscheinlich bei dessen Abführung nach Rom, wollen die Meisten, dass er, die beabsich tigte Reise nach Kleinasien vielleicht aufgebend (Col. 4, 10), sich spä ter an Petrus anschloss. Wie schon früher Petrus im Hause des Marcus befreundet erscheint (Act. 12, 12), so wird der Letztere auch 1. Petr. 5, 13 der Sohn des Petrus genannt, was eher von einem innigen geistli chen Verhältnisse, als von leiblicher Abstammung zu deuten ist. So wahrscheinlich nun eine Berührung mit Petrus ist, so unwahrscheinlich ist die, gleichfalls an jene, von Babel-Rom datirte, Stelle sich anschlies sende, weitere Tradition , wornach Marcus mit dem genannten Apostel nach Rom gekommen und dort Dolmetscher des , entweder mit dem Griechischen, oder mit dem Lateinischen x wenig vertrauten, Petrus ge wesen sein soll. Das bald stereotyp werdende Prädicat sqfirjvEvxfjg (iu- terpres) scheint übrigens auf einen Secretär hinzuweisen ; z und zwar bezeichnet ihn als solchen zuerst Papias, ohne damit schon die Nach richt von einem römischen Aufenthalte zu verbinden. 3 Der letztere ist jedenfalls so lange höchst zweifelhaft, als noch Grund vorhanden ist, zu glauben, dass die Ebioniten den unzweifelhaft feststehenden Märty rertod des Petrus nach Rom verlegt haben, wesshalb schon Eichhorn die traditionelle Entstehungsgeschichte des zweiten Evangeliums für Fabelei erklärte. 4 Doch mochte das Bedürfniss eines Dolmetschers für Petrus allerdings im Occident ein viel dringenderes gewesen sein, als im Orient. Uebrigens verfolgt die Ueberlieferung5 den Lebenslauf des Dolmetschers noch über Rom hinaus, indem sie ihn sich nach Ale xandrien wenden, dort das Christenthum begründen und als erster Bi schof und Vorgänger des Anianus daselbst im Jahr 61 sterben lässt.6 Constanter Inhalt der Ueberlieferung hingegen blieb die An nahme einer Verbindung des Marcus und Petrus, und so suchte man das zweite Evangelium direct ebenso auf den Ersten, wie indirect auf den Zweiten zurückzuführen. Voran geht schon das Zeugniss des Papias (S. 250), welches, ganz ähnlich wie hinsichtlich des Matthäus, von allen späteren wiederholt und in einer Weise erweitert wird, die den Eindruck hinterlässt , als hätte man in demselben Maasse, als man um der zunehmenden zeitlichen Entfernung über die Entstehungsverhält nisse unseres Evangeliums weniger wissen konnte, mehr darüber zu 1) Bleek: Einleitung, II, S. 113. — 2) M ey er : Zu Marcus und Lucas, S. 2. — 3) Mit der, auf den Presbyter Johannes gestützten , Angabe des Papias scheint es zusammenzuhängen, wenn Clemens von Alexandrien (bei Eusebius: K. G. 6, 14) die Nachricht vom römischen Secretariat geradezu als nagdäoaig tcöv avixaStv ngiaßvrigcov bezeichnet. — 4) Einleitung , I, S. 554. — 5) Eusebius (K. G. 2, 16), Epiphanius (Haer. 51, 6), Hieronymus (vir. ill. 8). — 0) Was Thiersch wirklich glaubt: Kirche im apostolischen Zeitalter, S. 104 f. 368 Fünftes Capitel. wissen geglaubt. Namentlich wird der Einfluss des Petrus aus nahe He genden Gründen ein immer grösserer. Den die Weiterbildung der Tra dition leitenden Gedanken spricht daher Tertullian aus : Marcus quod edidit, Petri affirmatur.1 Zuerst hat Marcus xd vnö Ilsxqov xrjqvoaö- fisva erst nach dem Tode des Letzteren, also aus dem Gedächtnisse auf geschrieben ; 2 nicht lange dauert es , so hat Petrus die Abfassung des Evangeliums noch erlebt. Wenigstens enthielten die Hypotyposen des Clemens3 eine Nachricht, wornach Petrus in Rom gepredigt, die Zu hörer aber, mit seinen mündlichen Vorträgen nicht zufrieden, den Mar cus um Aufzeichnung derselben gebeten hätten; Dies sei geschehen, ohne dass Petrus ihn verhindert oder ermuntert habe. Derselbe Cle mens soll auch erfahren haben von alten Presbytern , dass vorher die Evangelien mit Genealogien geschrieben worden seien. Noch specieller erzählt E use bius selbst,4 irrthümlich auf Clemens sich berufend, 5 die Sache : Petrus habe das Vorhaben des Marcus durch Apokalypse er fahren und hierauf das fertige Werk desselben zum kirchlichen Ge brauche .bestätigt — welcher Bericht eine offenbare Weiterbildung der Sage enthält. Jetzt also hat Petrus das fertige Werk wenigstens gelesen und bestätigt; von da ist nur noch ein Schritt zu der, schon durch Origenes präformirten, 6 Nachricht des Hieronymus,7 wornach geradezu Marci evangelium Petro narrante et illo scribente, d. h. dic- tatsweise entstanden ist. Offenbar sah man sich für das zweite Evange lium nach einer apostolischen Autorität um und gelangte zu einer sol chen zuerst durch die Combination von 1. Petr. 5,13 mit dem angeb lichen Aufenthalte des Apostels in Rom , dann durch ein immer enger gesetztes Verhältniss des directen Verfassers zum indirecten. Dasselbe Ziel suchte auf einem anderen Wege eine spätere Tradition zu errei chen, die, wie den Lucas, so auch den Marcus zu einem Jünger aus der Zahl der 70 machte — dem Zeugniss des Papias direct entgegen.8 Besitzt nun die kirchliche Tradition trotz ihrer Einstimmigkeit hinsichtlich des Marcus fast so wenig ausreichende Kraft, wie hinsicht lich des Matthäus, so fragt sich doch, ob nicht aus inneren Gründen die Darstellung einem Apostelschüler zugeschrieben werden müsse, und ob die Hand des Apostels, mit welchem Marcus in genauester Verbin- 1) Adv. Marc. 4, 5. Vgl. auch den Kanon des Muratori bei Credner: Zur Ge schichte des Kanons, S. 77. — 2) Irenäus, 3, I. Bei Eusebius: K. G. 5, 8. — 3) Bei Eusebius: K. G. 6, 14. —4) K. G. 2, 15. So Credner (Einleitung, S. 113), Kuhn (Leben Jesu, I, S. 47), Thiersch (Historischer Standpunkt, S. 212 f.), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 4). — 5) Credner (Einleitung, S. 1 13), Thiersch (Standpunkt, S. 212 f.). - 6) Bei Eusebius: K. G. 6, 25. — 7) Vir. ill. 8. Ep. 150 ad Hedibiam, 11. — 8) Epiphanius (Haer. 51, 6), Ps eudo- O rigines: De recta in Deum fide, 1 . Traditionelle Voraussetzungen über Marcus. 369 düng stand, im Evangelium wiederzuerkennen ist, Nimmt man die Ueberlieferung der alten Kirche nur nicht in dem mechanischen Sinne, als ob das zweite Evangelium ein schriftlicher Abdruck der Lehrvor träge des Petrus sein solle, so lässt sich an sich nichts einwenden gegen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Apostelschüler, wenn er als Schrift- -steller auftritt, sich an einen der Hauptapostel halten und in dessen Sinne schreiben werde. Würde sich etwa in Beziehung auf den paulini schen Charakter des Lucas die Sache wirklich so verhalten, so Hesse «ich nicht absehen , wesshalb nicht auch bei der Abfassung des zweiten Evangeliums petrinischer Einfluss statt gehabt haben sollte, zumal da ja eben dieses zweite Evangelium in seiner ganzen, Unmittelbarkeit und Lebensfrische verrathenden, Anlage einer solchen Hypothese gün stig ist. Bekanntlich war Storr der Erste, der die Ursprünglichkeit des Marcus in der theologischen Welt geltend gemacht hat. So wenig er auch auf die Zuverlässigkeit der Tradition , die das zweite Evangelium mit Petrus in Verbindung setzt, vermöge seines geschärften kritischen Urtheils hält, l so war er doch zu seinem Schlüsse in erster Linie zum Theil an der Hand dieser, auf Petrus weisenden, Tradition,2 nicht minder aber auch durch seine orthodoxe Richtung überhaupt gelangt. Wie die orthodoxe Scholastik, ohne dass man es ihr zum wissenschaftlichen Ver dienst anrechnen kann, bezüglich der Ursprache des Matthäus lediglich in Folge ihres Inspirationsinteresses zu richtigen Behauptungen geleitet wurde (S. 2Ö7 ff.), so fand Aehnliches auch in Bezug auf Marcus statt, den man natürlich möglichst auf eine apostolische Autorität zurückzu führen bestrebt war, 3 wie es andererseits im Interesse der Aufklärung lag, die alte Tradition bezüglich des petrinischen Charakters des Mar cus zu entkräften ; 4 in diesem Sinne also wandelte der » letzte Vertreter der Orthodoxie« auf ganz sachgemässen Bahnen. Das Glück der Hy pothese war aber, dass von umgekehrtem Standpunkte ausgehend, Weisse, dem gleichzeitig Kuhn zur Seite trat,5 als das bei Weitem interessanteste Moment, das er für den petrinischen Ursprung der Re lation im Marcus anzuführen weiss, auf blos kritisch-exegetischem Weg gewonnene Resultate anführte, um zu beweisen, dass jene Tradition auch durch die innere Beschaffenheit des Evangeliums bestätigt werde. 6 Er sah im Marcus eine, nach dem Tode des Petrus veranstaltete, Aufzeich nung seiner Erzählungen, wobei jedoch zur Ergänzung und Vervoll - 1) Evangelische Geschichte des Johannes, S. 249 ff. 265 ff. 366. — 2) A. a. O. S. 265 ff. 282. — 3) Credner: Einleitung, S. 115. — 4) Semler (Zusätze zu To wnson, I, S. 21), Griesbach (Opuscula academica, II, S. 387 ff.), Eichhorn (Einleitung, I, S. 554 ff.), Fritz sehe (Proll. ad Marcum, S.26ff.).— 5) Leben Jesu, I, 1838, S. 39 ff. — 6) Evangelische Geschichte, I, S. 64 ff. Holtzmann. 24 370 Fünftes Capitel. ständigung seiner . fragmentarischen Erinnerungen noch Beiträge der mündlichen Tradition verwerthet worden sind. * Auf unserem Standpunkte fällt jedenfalls die tendenziöse Ent stehungsgeschichte des Marcus, von der die Kirchenväter berichten, unrettbar dahin, denn der Verfasser unseres zweiten Evangeliums hat blos eine Quelle bearbeitet, und Niemanden sollte es der Mühe werth dünken, sich für das Wenige, was Marcus dabei selbstständig hinzu oder abgethan hat , nach einer apostolischen Quelle und Autorität um sehen zu wollen. 2 Aber auch A kann wenigstens kein unvermitteltes Dictat des Petrus sein, wie aus einer §. 28 zu liefernden Betrachtung über den allgemeinen historischen Charakter dieser Quelle hervorgehen wird. Dagegen lassen sich allerdings gewisse Data für Annahme einer entfernteren Beziehung dieser ersten Quelle zur Person des Petrus auf treiben, die uns in dem Urtheil mancher Gelehrten, dass das Zeugniss des Papias auf das Original unseres Marcus, nicht auf diesen selbst passe,3 bestärken mögen. Dahin können wir schon die Weis s'schen Be obachtungen rechnen von dem, in unserem Evangelium hervortreten den, Interesse an den Jüngern, besonders den drei Vertrauten,4 was — wenn die Sache sicher wäre — auf eine Autorität aus diesem Kreise schliessen Hesse. Besonders im Unterschied zu Lucas hebt A den Petrus insofern hervor , als die eigentliche Erzählung gerade mit seiner Beru fung Mr. 1, 16 und der Heilung seiner Schwiegermutter 1, 29 beginnt,3 ja es sogar den Schein gewinnt, als sei das Haus des Petrus in Kaper naum der eigentliche Ausgangspunkt für die im weiteren Verlaufe be richteten Züge und Wanderungen Jesu (§. 29), wie überhaupt ein grosser Theil der Erzählungen sich um Kapernaum dreht. 6 Gleich darauf 1,36 werden die Jünger auch blos bezeichnet als 2 ifiwv xal ol fiEx' aixov. Auch die genaue Sorgfalt, womit in der Quelle die Namen Simon und Petrus (S. 276) auseinandergehalten werden, sowie die in ihr allein hervortretende (§. 27) Epoche der Petruserklärung im öffentlichen Leben des Herrn ist dieser Hypothese günstig. Dagegen scheint im weiteren Fortgang der Geschichte Petrus wieder zurückzutreten, bis 11, 21. 13, 3. 16, 7 sein Name wieder im zweiten Evangelium allein hervorgehoben wird. 7 Dagegen fehlt es nicht an Stellen , wo die Seitenberichte in dieser 1) Evangelisehe Geschichte, I, S. 32 ff. 59 ff. — 2) Weisse: Evangel. Geschichte, I, S. 65. — 3) Credner, Reuss: Nouvelle revue, II, S. 62. Geschichte, S. 172.— 4) S. 659—665. 674. — 5) Weisse (Evangelische Geschichte, S. 59 f.), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 21). — 6) Hilgenfeld (Marcusevangelium, S. 119), Köst lin (Evangelien, S. 355). — 7) Dürften -wir Voraussetzungen aus dem vierten Evan gelium (1 , 45) entlehnen , so würden -wir hier auch des TJmstandes Erwähnung thun, dass Mr. 6, 45. 8, 22 Bethsaida in eigenthümlicher Weise vorkommt. Traditionelle Voraussetzungen über Marcus. 37 t Beziehung mehr thun, als Marcus. Zwar was die Hervorhebung des Petrus Mt. 15, 15. Lc. 8, 45. 22, 8 anstatt der Jünger überhaupt (Mr. 5, 31. 7, 17. 14, 13) betrifft, so hat Weisse wenigstens für die beiden ersten Fälle wahrscheinlich zu machen gewusst , dass Matthäus , nach dem er 15, 12 — 14 etwas eingeschoben, und Lucas, nachdem er äqvov- ftsvwv öi ndvxwv eingefügt hatte, die Nothwendigkeit verspürt hätten, anstatt der Jünger überhaupt vielmehr einen bestimmten zu nennen (vgl. auch S. 191), und dass die Nennung gerade des Petrus deutlich zeige, dass schon Matthäus und Lucas die Relation in A als von Petrus ausgehend dachten. x Es bleibt also immerhin wahrscheinlich, dass die Nennung des Petrus Lc. 8 , 45. 22, 8 auf Rechnung des Lucas kommt, welcher Evangelist überhaupt in seinen , aus eigenen Mitteln geschöpf ten Berichten Manches zu Ehren des Petrus sagt, wie 5, 3. 12, 41 — 44. 22, 32. 24, 12. 34. Am allerauf fallendsten aber ist das Hervortreten des Apostels im ersten Evangelium, so dass eben dieses einst dem »säch- sischenAnonymus« als das eigentliche Petrusevangelium erscheinen wollte.2 Matthäus hat nicht blos eigene Petrusanekdoten, wie 14, 28 — 31. 16, 17 — 19. 17, 24 — 27, sondern schiebt ihn auch, vielleicht aus oben angedeutetem Grund, 15, 15. 18, 21 in den Zusammenhang seiner Er zählung ein, wie er ihn im Apostelkatalog 10, 2 als nqwxog hervorhebt. Im ganzen Evangelium ist es Petrus allein, der sich für befugt erachtet, unmittelbar mit dem Herrn zu verhandeln.3 Auf ganz unrichtigen Vor aussetzungen über das Quellenverhältniss beruht es dagegen, wenn Hil genfeld gerade in der Auslassung von Mt. 14, 28 — 31, sowie in der Differenz zwischen Mr. 6, 51. 52 und Mt. 14, 33 (angeblich hervorge gangen aus dem Interesse, das spätere PetfUsbekenntniss hervortreten zu lassen) deutliche Anzeichen des Petrinismus merkt. 4 Unbefangener Weise kann jedoch in den zuletzt erwähnten That sachen keine Instanz gegen die Beziehung erkannt werden, in welche wir die erste unserer Quellen zu der Person des Hauptapostels gesetzt haben. Denn die angeführten Stellen erledigen sich zum Theil durch Erwägung der anderen Stellung, welche das erste Evangelium gegen über dem zweiten zu dem Christenthum der Urapostel einnimmt (§. 23), theils aus der Celebrität des Mannes überhaupt , an dessen Person sich leicht noch einige, von Matthäus und Lucas aufgefangene, vereinzelte Anekdoten und Sagen knüpfen konnten. 5 Dagegen scheinen Stellen, wie Mr. 5, 37. 41—43. 8, 29—33. 9, 5. 6. 10, 28. 11, 21. 13, 3. 14, 13 = Lc. 22, 8. 14, 37. 47 und die Verleugnungsgeschichte ganz un- 1) Evangelische Geschichte, I, S. 61 f. — 2) Die Evangelien, S. 8 ff. Vgl. Köst lin S. 105 f. — 3) Ritschl: Evangelium Marcions , S. 187. — 4) Evangelien, g 136 f. 5) Hierüber vgl. besonders Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 63. 24* 372 Fünftes Capitel. gezwungen auf die Mittheilungen des Petrus zurückgeführt werden zu können. x Diesen Beobachtungen kommt nun der bekannte Umstand entge gen, dass Justin die, nur im zweiten Evangelium vorfindliche, Stelle Mr. 3, 16 als in den änofivrjfiovsvfiaxa Ilixqov enthalten anführt.2 So finden wir denn noch neuerdings jene Stelle des Justin von Ritschl,3 Köstlin,4 Meyer,5 Weiss6 und Chris tianus7 geradezu auf un seren Marcus bezogen. Andererseits hat Hilgenfeld jene Stelle be nutzt, um einem, unserem Marcus vorangehenden, von ihm zu unter scheidenden, Petrusevangelium Existenz zu verleihen;8 und Köstlin ist ihm in dieser Hereinschiebung des Petrusevangeliums gefolgt. 9 In sonderheit wollte Hilgenfeld in dem Petrusevangelium des Justin jenes unkanonische Evangelium erkennen, dessen Benutzung durch Ju stin nicht wohl geleugnet werden kann; es sei, wie auch Zeller10 wahrscheinlich findet, identisch gewesen mit dem papianischen Urmar cus, eine Hauptquelle für unser zweites Evangelium. Aber Hilgen feld und Köstlin zerreissen alle und jede Verwandtschaft dieses Petrusevangeliums mit unserem zweiten kanonischen dadurch, dass sie die Citate, die sich bei Justin aus Lucas finden, auf dieses Petrus evangelium zurückführen, vornehmlich daher auch die Geschichte von den siebzig Jüngern u. dgl. dorthin verlegen, worin Zell er11 und Baur12 doch mit Recht eine etwas starke Zumuthung erblicken. Ueber- haupt aber ist dieses Petrusevangelium mit seiner angeblich fortgeschrit ten judenchristlichen Tendenz eine sehr unbestimmte Grösse von ausser ordentlich zweifelhafter Existenz , mit welcher wir gegen so bekannte Grössen , wie unsere synoptischen Evangelien, und gegen so unzweifel haft gewordene Resultate, wie unsere Untersuchungen sie geliefert haben, keinen Augenblick mehr zu operiren versucht sein können. Das Petrusevangelium, in welchem die späteren Ausläufer der Tübinger Schule den Urmarcus erblicken wollen, hat kein grösseres Glück ge macht, als jenes Hebräerevangelium, in dem man den Urmatthäus, und das marcionitische Evangelium, in dem man den Urlucas aufgefunden haben wollte. Indem wir also die Stelle des Justin für die Bestimmung derjeni gen apostolischen Autorität benutzen, auf welche die Quelle A in nähe- 1) Weiss, S. 674 f. — 2) Dial. c. Tryph. 106. Gieseler's Auslegung (Histo risch-kritischer Versuch, S. 58) ist jetzt verschollen. — 3) Theol. Jahrbücher, 1851, S. 499 f. — 4) Evangelien, S. 368 f. — 5) Zu Marcus und Lucas, S. 3. Zu Johannes, S. 7. — 6) S. 677. — 7) Der Ursprung der Evangelien, S. 19. 31. — 8) Evangelien Justin's, S. 259 ff. Evangelien, S. 147 f. — Vgl. dagegen Baur; Marcusevangelium, S. 119 ff. — 9) S. 99 ff. 104 ff. 359 ff. — 10) Apostelgeschichte, S. 40. — 11) Apo stelgeschichte, S. 40 ff. — 12) Christenthum der drei ersten Jahrhunderte, S. 76. Traditionelle Voraussetzungen über Lucas. 37S rer, ihr Auszug im zweiten Evangelium in entfernterer Weise zurück langt, sehen wir ganz ähnlich, wie Dies auch bei der Quelle A vermöge des Papiaszeugnisses der Fall war, unsere, aus innerer Kritik gewonne nen, Resultate durch eine in der äussern Tradition erhaltene Notiz be stätigt. Sonach müssen wir aber als entschieden über das Maass des kritisch Gebotenen hinausgehend verwerfen nicht blos die Ansicht Gfrörer's, der von einer Abfassung des zweiten Evangeliums durch Marcus nichts wissen will,1 sondern auch die Unterscheidung des Pau liners und des Petriners Marcus ; 2 vielmehr ist es recht wohl möglich, ja wahrscheinlich, dass der aus der übrigen neutestamentlichen Litera tur bekannte Jude Johannes Marcus der Verfasser ist. Aber selbst dabei können wir nicht stehen bleiben, die Nachricht des Papias etwa mit Bleek anzuerkennen , soweit sie die Person des Schriftstellers , sie zu verwerfen, soweit sie die Art der Schriftstellerei betrifft.3 Vielmehr er klärt sich die Ursprünglichkeit der Relation in A am leichtesten , wenn wir der altkirchlichen Tradition die Concession einer mittelbaren Ab stammung jenes Berichtes aus dem Munde des Petrus machen. Jene Mittelbarkeit aber ist im Ganzen wohl als erreicht und hergestellt anzusehen durch die, ebenfalls an der Hand der Tradition hergehende, Genesis des Evangeliums, wie Weisse sie beschreibt: »Es ist nicht, wie das Werk eines Augenzeugen , auch nicht wie das Werk eines Sol chen, der noch unmittelbar Gelegenheit hatte, durch sorgfältig for schende Befragung von Augenzeugen, oder auch von Forschern, die ihrerseits schon ein zusammenhängendes Studium aus dem Gegenstande gemacht, die Lücken auszufüllen, jedem einzelnen Theile seine rechte Stelle anzuweisen und das Ganze zu einer nicht blos einerseits innerli chen, andererseits blos äusserlichen, sondern wahrhaft organischen Ein heit zusammenzuschliessen. Der Evangelist, obgleich ihm aus den Er zählungen seines Meisters das Ganze eben als ein geistiges Ganze leben dig vor der Seele stand, war doch genöthigt, die Bruchstücke, aus denen dieses Ganze bestand, auf eine Weise äusserlich zu verknüpfen, die nicht umhin kann, auch uns noch bemerklich werden zu lassen, dass es eben nichts als Bruchstücke waren, was er zu verknüpfen hatte. «4 §. 32. Traditionelle Voraussetzungen über Lucas. Der Verfasser des dritten Evangeliums ist der Einzige, der wenig stens am Anfang seiner beiden Schriften persönlich hervortritt. Als 1) Urchristenthum, II, 2, S. 247 ff. — 2) Grotius, Calov, Cotelerius, Schleiermacher, Kienjen: Studien und Kritiken, 1843, S. 423 ff. — 3) Synop sis, I, S. 13. — 4) Evangelische Geschichte, I, S. 69. 374 Fünftes Capitel. ausgemacht darf man heutzutage wohl annehmen, dass der Verfasser der Apostelgeschichte und des dritten Evangeliums ein und dieselbe Per son sind. * Nicht so ausgemacht ist freilich, ob der Verfasser der erste ren Schrift sich in der That selbst als einen Begleiter des Apostels Pau lus darstellt. Jedenfalls schreibt die kirchliche Tradition seit Irenäus2 das dritte Evangelium einem Pauliner zu, dessen Name zusammengezo gen ist aus Lucanus, vielleicht Lucilius, wie ähnliche Beispiele öfters vorkommen (Silas , Demas , Zenas , Epaphras, Hermas). Nach Col. 4, 1 4 war er ein Arzt, 3 und die spätere Sage macht ihn, freilich ohne alle historische Grundlage, sogar zum Maler. 4 Vermuthlich war er ein ge borener Heide und wird desshalb Col. 4, 11. 14 von den ovxsg ix nsqi- xofirjg unterschieden. Die Hebraismen in seinen Schriften nöthigen mit nichten, an jüdische Geburt des Lucas zu denken,5 da sie sich erklären aus den Quellenundaus dem S. 332 f. Gesagten. Ein Judenchrist hätte schwerlich gerade so, wie Lc. 7, 3 von nqsoßvxsqoi xcöv 'lovöaiwv, oder 23, 51 von einer nöXig xwv'lovöaiwv gesprochen. Auch ob er einProse- lyt gewesen, 6 ist ungewiss. 7 Jedenfalls aber besass er eine verhältniss mässig grössere wissenschaftliche Bildung, was wenigstens nicht im Widerspruche steht mit der, seit Eusebius8 öfters vorkommenden, Annahme , derzufolge er aus Antiochia gebürtig gewesen wäre. Allzu vorschnell sind einige Neuere9 dieser Nachricht gefolgt, die doch am Wahrscheinlichsten auf einer leicht möglichen Verwechselung mit dem Act. 13, 1, freilich als Cyrenäer, genannten Lucius beruht,10 welcher Name jedoch auf keinen Fall identisch mit Lucas ist.11 Noch weniger ist an den Rom. 16, 21 genannten Lucius zu denken'; 12 und vollkom men abenteuerlich ist es, den Lucas mit Silvanus zu identificiren, weil lucus = silva. 13 Ebenso ist die alte Tradition, wornach er unter den siebzig Jüngern gewesen sein soll,14 ohne Zweifel auf Grund seines 1) Abschliessend sind die Untersuchungen von Zeller: Apostelgeschichte, S. 414—452. — 2) Haer. 3, 14. — 3) Vgl. die medicinischen Forschungen von Hug (Einleitung, II, S. 139), Delitzsch (Hebräerbrief, S. 705), Lekebusch (S. 393). — Am sichersten sind die von uns S. 216. 222 f. mitgetheilten Data. — 4) Erst bei Nicephorus : K. G. 2, 43. — 5) Gegen He umann, Lardner, Tiele: Studien und Kritiken, 1858, S. 753 ff. — 6) So Isidorus Hispal. : De vita et obitu sancto- rum, 82. — 7) Gegen Kuinöl, Guericke, Riehm, Bleek: Einleitung, II, S. 119. — 8) K. G. 3, 4. Hieronymus: Praef. in Matthaeum. De vir. ill. 7. — 9) Hug, Guericke, Thiersch: Standpunkt für die Kritik, S. 51. — 10) De Wette, Winer, Lekebusch: Composition der Apostelgeschichte, S. 390. — 11) Gegen Eichhorn: Einleitung, I, S. 626 ff. — 12) So Tiele: A. a. O. S. 766. Vgl. dagegen Lekebusch (S. 390 f.), Bleek (Einleitung, II, S. 119). — 13) Kohl reif (Chronologia sacra, S. 99), Haub er (Betrachtungen über Einige der ersten Gläubigen und Lehrer, S. 61 f.), H e n n e 1 1 (Untersuchung über den Ursprung des Christenthums, 1840, S. 104). — 14) Seit Pseudo-Origines (De recta in Deum Traditionelle Voraussetzungen über Lucas. 375 eigenen Evangeliums entstanden , das diese Nachricht allein mittheilt, scheitert übrigens schon an Lc. 1,1. Dass Lucas ein ständiger Begleiter des Paulus war, ist ausser allem Zweifel. Auch abgesehen vom Colosserbrief grüsst Paulus mehrfach von ihm (Philem. 24. Vgl. noch 2. Tim. 4, 11. Schwerlich gehört hier her auch 2. Cor. 8, 18). * Vielleicht ist er mit dem Apostel in Rom ge storben. Dies wäre um so glaublicher, wenn die, seit Act. 16, 11 in den Zusammenhang der Apostelgeschichte eintretende , erste Person wirk lich keine, bei der schliesslichen Redaction stehen gebliebene, Redeform eines Timotheus oder beliebigen anderen Quellenschriftstellers wäre, sondern den Lucas selbst mit einschlösse. 2 Dann schliessen sich auch die Abfassungsverhältnisse des Evange liums dahin weiter auf, dass Lucas, der in dem rjfieig enthalten zu denken ist, sich dem Apostel auf seiner zweiten Missionsreise in Troas anschloss, aber in Philippi zurückblieb, um denselben auf seiner letzten Reise nach Jerusalem zu begleiten. Er wäre also einige Wochen daselbst gebHeben, um dann zwei Jahre lang mit dem Gefangenen in Cäsarea zu zubringen. An beiden Orten hat er die, meist judäische Localitäten be rührende, Geschichtstheüe gesammelt, die er in A einfügt; der, in Cä sarea sich aufhaltende (Act. 8, 40. 21, 8), Diakon Philippus and seine vier Töchter (21, 9) bieten sich ganz naturgemäss als derartige Quellen dar, namentlich auch hinsichtlich der 9, 52 ff. 10, 33 ff. 17, 16 ff. vor handenen Erzählungen , in denen es sich um Samariter handelt, mit de nen Philippus zu thun gehabt hatte (Act. 8, 5 f.). 3 So dient das hier Gefundene dem S. 166 f. Gesagten zur vollen Bestätigung. 4 Eine alte Ueberlieferung lässt nun das dritte Evangelium in ganz ähnlicher Weise unter dem bestimmenden Einflüsse des Paulus geschrie ben sein, wie Marcus den Inhalt seiner Schrift aus der Verkündigung des Petrus geschöpft haben sollte. Dies bezeugt — abgesehen von den Marcioniten, die das Evangelium geradezu dem Paulus zuschrieben5 — zuerst Irenäus: Lucas habe die Berichte des Paulus niedergeschrie ben. 6 Nach Origenes soll er bereits unter der Approbation des Apo stels als dritter Evangelist sein Werk herausgegeben haben, 7 und E u - fide) und Epiphanius (Haer. 51, 11) öfters wiederkehrend. Nach Theophylakt oder Lc. 24 , 13 war er auch bei dem Vorgang in Emmaus betheiligt. — 1) Neander (Apostolisches Zeitalter, I, S. 340), Schneckenburger (Zweck der Apostelge schichte, S. 27 f.). Aber vgl. dagegen Lekebusch, S. 396 ff. — 2) Vgl. Leke busch: Apostelgeschichte, S. 131 — 189. 393—402. — 3) Schneckenburger (Ueber den Zweck der Apostelgeschichte, S. 161 ff.), Hitzig (Johannes Marcus, S. 62), Lekebusch (A. a. O. S. 413). — 4) Sagen über das spätere Leben des Lu cas vgl. bei Credner (Einleitung, S. 126 ff.) und Bleek (Einleitung, S. 121). — 5) Tertullian: C.Marc. 4, 5.-6) Haer. 3, 1. Vgl. Euseb: K. G. 5, 8. — 7) Bei Euseb: K. G. 6, 25. 376 Fünftes Capitel. s ebius meint geradezu, das evayyeXiöv fiov der paulinischen Briefe be ziehe sich auf die dritte kanonische Schrift.1 Wenigstens als Vermuthumg Einiger berichtet das Letztere auch Hieronymus. 2 Aber gerade dass man den dritten und zweiten Evangelisten in dieser Beziehung so pa rallel stellte, erweckt gerechte Bedenken, ob man sich hierbei auch auf historischem Boden, befinde, ob nicht vielmehr die Ueberlieferumg sich erzeugt habe aus dem dogmatischen Interesse, den beiden Evangelien der Apostelschüler eine höhere Autorität zu vindiciren.3 Lucae dige- stum Paulo adscribere solet — diese Worte Tertullian's4 geben je denfaUs den leitenden Gedanken der Tradition an. Doch verhält es sich hierbei mit dem dritten Evangelium theils günstiger, theils ungünstiger, als hinsichtlich des zweiten. Das Erstere, insofern die unverkennbare Grundlage der ganzen Tradition , der pau linische Charakter des Evangeliums, eine, von der inneren Kritik an erkannte, Thatsache ist (§. 25). Das Zweite, insofern als 1) jene patri- stische Deutung von evayyiXiov fiov anerkannter Maassen exegetisch unmöglich ist. 2) Schon Hieronymus meint, Lucas könne seine Be richte auch von anderen Personen , ausser Paulus, haben; und Lc. 1, 1 — 4 erhebt diese Vermuthung zur Gewissheit, so dass Schleierma cher,5 Köstlin6 u. A. aus dem Prolog, weü derselbe auf die Urapo stel zurückgeht und des Paulus gar keine Erwähnung thut, gegen die Autorschaft des historischen Lucas argumentirt haben. 3) JedenfaUs muss bei Lucas ein anderes Verhältniss angenommen werden, als bei Marcus; da Paulus für den historischen Theil eines Evangeliums nicht in derselben Weise, wie etwa Petrus, Gewährsmann sein konnte. Alles zugegeben, was schon Kuhn für den historischen Gehalt der paulini schen Theologie geltend gemacht hat, 7 so musste Paulus seine Kennt nisse von dem irdischen Leben Jesu immer aus den Mittheilungen An derer schöpfen. 4) Ueberhaupt erstattete Paulus keinen ausführlichen historischen Bericht, sondern nahm blos die dogmatisch wichtigen Höhepunkte der evangelischen Geschichte in seinen Vortrag auf. Hier nach ist die Ansicht von Thiersch zu beurtheilen, derzufolge Paulus nach 2. Tim. 4, 13 schriftliche Aufzeichnungen für Lucas herbeikom men liess und so dem Evangelium zur Existenz verhalf. 8 Von der Tradition über das dritte Evangelium bleibt daher ausser dem biblischen Namen und der Identität des Verfassers beider Ge schichtsschriften hauptsächlich übrig der von der Kirche richtig aufge- 1) K. G. 3, 4. Dasselbe gibt er als Meinung des Or ige nes 6, 25. — 2) De vir. ill. 7: Quidam suspicantur. — 3) Vgl. Köstlin, S. 291. — 4) C. Marc. 4, 5. 5) Einleitung, S. 239. — 6) Evangelien, S. 290 f. — 7) Leben Jesu, I, S. 59 ff. — 8) Kirche im apostolischen Zeitalter, S. 158. 177. Dogmatischer Charakter des Matthäus. 377 fasste Gesammtcharakter des Evangeliums,1 den der »sächsische Anonymus « so weit überspannte, dass er das dritte Evangelium ge radezu auf Paulus zurückführte.2 Freilich sollte mit Angabe des Namens nicht blos die Richtung, sondern der wirkliche Verfasser bezeichnet werden. Warum dieser Lucas nicht gewesen sein könne, ist schon an sich, zumal aber, wenn man in angedeuteter Weise über die Apostelge schichte denkt, durchaus nicht einzusehen. Bios insofern sie sich von dem Interesse leiten lässt, das dritte Evangelium unter apostolischer Obhut abgefasst sein zu lassen und demgemäss seine Entstehungsge schichte in's Detail ausspinnt, ist die Tradition entschieden zu ver werfen. §. 23. Dogmatischer Charakter des Matthäus. Besonders seit dem »sächsischen Anonymus«3 stellt die Ten denzkritik unseren Matthäus bekanntlich am entschiedensten unter allen Synoptikern auf die Juden christliche Seite. Sehen wir ab von blos so phistischer Weise herbeigezogenen Stellen, deren Angesicht zum min desten ebenso stark nach der entgegengesetzten Seite gewandt ist, so las sen sich als Beweise für die particularistische Tendenz anführen die, nur bis auf Abraham zurückreichende, Genealogie, die exclusive Mis- sionsinstruction der Apostel (10, 5. Vgl. 7, 6. 15, 24), die ausgespro chene Unverbrüchlichkeit des Gesetzes (5, 17 — 19. 11, 13. 23, 3. 23), ferner die Herleitung alles Elends aus der Trübung des Gesetzes durch die Tradition (5, 20. 15, 3. 6), die Rechtfertigung aus des Gesetzes Werken (7, 19—23. 12, 33—37. 19, 17. 21, 34. 41. 25, 31 ff.), die auf die Spitze getriebene Heiligung des Sabbats (24, 20), die Hervorhe bung des Petrus (10, 2. 16, 17 — 19), die, als lügnerische Erfindung hingestellte, Erklärung Jesu über den Tempel (26, 61), die Darstellung Jesu als des Judenkönigs (2, 2. 25, 31 ff.), die localen und temporalen Modificationen der Parusie (10, 23. 16, 28), überhaupt diese ganze Escha tologie , derzufolge das Ende Israels zugleich auch das Ende der zeit lichen Ordnung der Dinge ist (24, 3. 22. 10, 23),4 daher denn auch die naXiyyeveoia des öwöexdqpvXov 19, 2 8 als das Endziel alles geschichtlichen- Werdens erscheint. Aber unwillkürlich drängen sich auch wieder Beob achtungen von ganz entgegengesetzter Art in Menge auf. Wie contrasti ren doch in jener Geschichte vom kananäischen Weibe Wort und That ! 1) De Wette (Einleitung, II, S. 207) und Hilgenfeld (Evangelien, S. 225) bleiben daher bei der Annahme, dass der Verfasser ein Pauliner -war, stehen, — 2) Die Evangelien , ihr Geist u. s. f. S. 251 ff. — Vgl. dagegen : Theologisches Lite raturblatt, 1846, S. 10 ff. — 3) S. 31 ff. — 4) Köstlin, S. 15 ff. 378 Fünftes Capitel. Gerade bei Heiden findet Jesus einen, ihn selbst überraschenden Glauben, wie er ihn in Israel nicht gefunden (8, 10. 15, 28). Viele — heisst es 8, 11.12 — werden vom Aufgang und Niedergang kommen (vgl. 24,31), um mit den Patriarchen zu Tische zu liegen, während die Söhne des Reichs ausgestossen werden. In dieser Richtung enthalten ja gerade die letzten Capitel des Matthäus eine Reihe von Andeutungen des Ueberganges des Evangeliums zu den Heiden ; er allein berichtet von dem Fluch , den das Volk über sich herabgerufen (27, 24. 25); kein anderer Synoptiker widmet der antipharisäischen Opposition eine solche Breite der Darstel lung; Matthäus nur will in der Geschichte von den Grabeswächtern den letzten und grössten Betrug entlarven, welchen die Juden dem Christenthum gespielt. ' Er allein theilt die Drohung Jesu an die Juden mit, dass das Reich Gottes von ihnen genommen und den Heiden übergeben werden solle (21, 43);2 was hierüber schon der Täufer 3, 9 angedeutet hatte, wird in Parabeln (20, 1—16. 21, 28—43. 22, 1—14) deutlich genug wiederholt; wie denn auch die particularistischen Mis sionsaussprüche vollkommen aufgewogen werden durch unmissversteh- bar klare universalistische Weissagungen (24, 14) und Befehle (28, 19). Aehnlich wird die Genealogie durch die Geburtsgeschichte,3 wird 24, 20 durch 12, 8, und 5, 17 — 19 gedeckt durch 9, 16. 17, so 5, 23 durch24, 1. 2, so 19, 12 durch 11, 18. 19, so 16, 28 durch 13, 31 — 33. Dazu kommt , dass noch deutlicher , als selbst bei Lucas, der Werth des Gesetzes in das religiöse und moralische Element gelegt wird; so an Stellen, wie 7, 12 (vgl. Lc. 6, 31). 22, 40 (vgl. Lc. 10, 26). 23, 33 (vgl. Lc. 11, 42). Auch Heiden, die das Gebot der Liebe erfüllt haben, werden selig (25, 31—45. Vgl. 11, 22. 12, 41. 42). Ja selbst in der Vorgeschichte sind es nicht, wie Lc. 2, 11 Juden, sondern Heiden, die Christum, wenn gleich als Judenkönig, zuerst anerkennen (1, 11. 1 2). Schon Schwegler sprach daher von einer ungleichartigen Com position des ersten Evangeliums ; es enthalte verschiedenartige Schrif ten und sei ein zufälliges Aggregat successiver Entwickelungsformatio- nen der evangelischen Geschichte auf Grundlage des Hebräerevange liums. 4 Noch vorsichtiger hat dann Baur die Unbefangenheit des Evangelisten im Ganzen anerkannt,5 wogegen Hilgenfeld und Köstlin eine auf Grund von A entstandene judenchristHche Schrift von einem späteren Katholiker überarbeitet sein lassen, nur dass Letz- 1) Weiss, S. 35 f. — 2) Vgl. gegen Köstlin's (S. 25) Abschwächung die Ent gegnung Hilgenf eld's (Evangelien, S. 97). — 3) Vgl. über den universalistischen Charakter derselben besonders Hilgenf eld: Evangelien, S. 51 ff. — 4) Nachapo- ßtolisches Zeitalter, I, S. 248. — 5) Theologische Jahrbücher, 1843, S. 550 — 564. Evangelien, S. 578 ff. 612 ff. Dogmatischer Charakter des Matthäus. 379 terer im Grunde blos die Stellen 21, 43. 28, 19. 20 dem Bearbeiter zu schreibt, x während Hilgenfeld auf seine Rechnung mit Bestimmt heit 1, 18—2, 23. 4, 13—16. 23—5, 1. 7, 28—8, 1. 5—13. 17. 9, 35. 11, 1. 12, 17—45. 13, 1. 10—23. 35—43. 49—52. 16, 9. 17, 22. 23. 20, 1—19. 21, 33 — 44. 22. 1—14. 24, 1—25, 46. 26, 6—13. 27, 3— 10. 19. 52. 53. 62—66. 28, 11—15 setzt.2 Nun hat sich uns aber er wiesen, dass Matthäus die Quellen A und A voraussetzt, und dass das Meiste von Dem, was als judaistisches Tendenzwerk des ersten Evan geliums figurirt, einfach aus diesen beiden Schriften herübergenommen ist, zum Theil allerdings auch an Stellen, wo Marcus und Lucas An stoss genommen haben. Aber auch über die dogmatische Beschaffenheit jener Quellenschriften darf man sich keinen voreiligen Auffassungen im Sinne der Tendenzkritik hingeben. Sie stellen nichts weniger als denjenigen Parteistandpunkt dar, den man als vom späteren Judenchri stenthum eingenommen kennt. Vielmehr sind sie Producte des primitiven Christenthums , einer allerdings noch beschränkt palästinensischen Re ligionsform, die aber erst durch Ablehnen aller, in ihrem Princip doch angelegten, fortbildenden Mächte zum abgeschlossenen Ebionitismus wurde. Man kann die erste Quelle einseitig finden, wenn man z. B. nur Mt. 15, 24 herausreisst und, anstatt zu bedenken, dass in derselben Quelle auch Mt. 8, 10 = Lc. 7, 9 stand (S. 77 f.), vielmehr den Hil genf eld'schen Beschluss unterschreibt, wornach Mt. 15, 21 — 28 als Aequivalent für Mt. 15,24 auf Rechnung des Bearbeiters zu bringen wäre.3 So kann man auch unserer zweiten Quelle judaistische Einseitig keit zuschreiben, wenn man sich etwa blos an Mt. 10, 5. 6 hält und vergisst, dass Mt. 8, 11. 12 = Lc. 13, 28. 29 in derselben Schrift zu lesen war, vielmehr das obige Hilgenfeld'sche Decret auch auf diese Stelle anwendet. Aber dieses Verfahren geht eben noch acht philoso phisch vom Ganzen aus und beurtheilt darnach das Einzelne, welches dann nolens volens in diese Behandlung sich fügen muss. Die » histori sche Schule « würde daher besser gethan haben , wahrhaft historisch zu Werke zu gehen und aus dem voraussetzungslos untersuchten Verhält niss der evangelischen Geschichtserzählungen die Thatsache zu consta- tiren, dass jene beiden, später in ein gegensätzliches Verhältniss zu einander getretenen, Factoren des Urchristenthums im Bewusstsein des Stifters vereint beisammen lagen , daher auch in den ersten schriftstel lerischen Darstellungen noch in unbefangener Nachbarlichkeit sich vor finden. Baur selbst hat für eine derartige Auffassung der Sache die 1) Evangelien, S. 44. — 2) Evangelien, S. 106 ff. — 3) Evangelien, S. 67. 86 f. 107. 380 Fünftes Capitel. trefflichsten Anhaltspunkte geliefert und gezeigt, wie es nur mit natür lichen Dingen zuging, wenn dann die erste Generation und der nächste Kreis, der sich um den Mittelpunkt bildete, vorzugsweise an die histo rische Form, an die nationale Seite des Selbstbewusstseins Jesu sich gehalten hat. x So ist der Befehl Mt. 10,5.6 eben einfach als historisch an zuerkennen und schon desshalb daraus nichts auf die jüdischen Liebha bereien des ersten Evangelisten zu schliessen, wenn auch 28, 18 — 20 gar nicht in demselben Buche stünde. Ebenso kann auch nur die Verken nung der positiven Stellung, die Jesus dem alttestamentlichen Gesetz ge genüber einnahm, zu Urtheilen Veranlassung geben, wie sie in Bezug auf die Bergpredigt des Matthäus öfters gehört wurden. Gerade diese Rede zeigt vielmehr, wie einmal der Inhalt der Quellen selbst nur mit Gewalt samkeit auf spätere Verhältnisse bezogen werden kann, und wie anderer seits Matthäus durch die Art, in der er seine Quellen bearbeitet, Dasj enige, was ihm selbst von judenchristlichem Gepräge noch anzukleben scheint, aufzuheben trachtet. Wenn Stellen, wie Mt. 5, 17 — 19. 7, 6. 21—23 den Tübingern nur um so mehr Veranlassung scheinen, Matthäus zum ju daistischen Tendenzschriftsteller zu machen, so findet sich ja die erste Stelle der Sache nach auch Lc. 16, 17, stand also theilweise wenigstens (S. 17 6) in A, und der iXdyiaxog Mt. 5, 19, in welchem Köstlin eine Anspielung auf den iXdxtoxog 1. Cor. 15, 9 entdeckt,2 wird um so un schuldiger zu nehmen sein, je weniger gerade der letzte Bearbeiter, von dem jene Form herrührt, auch nach Köstlin selber zu irgend einem Verdacht des Antipaulinismus Veranlassung gibt. Dann aber wird es eine ähnliche Bewandtniss auch mit 7, 21 — 23 haben, wo Hilgenfeld in den Namenchristen paulinische Heidenchristen gekennzeichnet fin det, welcher Polemik angeblich Lc. 6, 46 ihre Spitze abgebrochen sei.3 Vgl. vielmehr hierüber und über 7, 6 S. 178. Nimmt man noch hinzu, dass gerade Matthäus es ist, der in den beiden selbstständigen Zusätzen 9, 13. 12, 7 die sittliche Forderung des Gesetzes für dessen Schwer gehalt erklärt und die cerimonieUen Gebote ganz entschieden hinter demselben zurücktreten lässt, wie ja auch die selbstständigen Partien der Bergpredigt nur dazu dienen , die alttestamentlichen Forderungen über sich selbst hinauszuführen : so wird man alle Ursache haben, bezüglich des dogmatischen Charakters des Matthäus zunächst einmal nicht hinaus zugehen über das Urtheil von Reuss: »Das Evangelium nach Mat thäus, wie es vorliegt, ist also nicht eine Parteischrift, sondern eine' Sammelschrift, die aus den, dem Verfasser zugänglichen, Quellen das Material der Geschichte treu und fleissig zusammenliest. Sofern das 1) Die Tübinger Schule, 1859, S. 28-41. — 2) Evangelien, S. 55. — 3) Evan gelien, S. 173. Dogmatischer Charakter des Matthäus. 381 Letztere im Einzelnen die Farbe eines besonderen religiösen Gesichts punktes trägt, klebte dieselbe ihm schon an, ehe es hier verwendet wurde, und sie ist nicht der Grund der Aufnahme oder Ausschliessung gewesen.1 Ist nun aber auch eine eigentlich judaistische Tendenz ausgeschlos sen, so blieb freilich noch eine andere Auffassung der, in besagtem Ten denzzweck verwendeten, Stellen übrig; und diese muss nun noch näher untersucht werden. Man wollte nämlich den Zweck, der der Composition des Evange liums zu Grunde Hegt, darin finden, dass es geschrieben sei, um » Chri sten aus dem Judenthum den Beweis zu liefern, dass der gekreuzigte und auferstandene Jesus wirklich der von den Juden erwartete Messias gewesen sei«,2 wesshalb denn auch das Evangelium nicht sowohl als geschichtliche , denn als dogmatische Schrift betrachtet werden sollte.3 Die letztere Behauptung, insofern sie das Ganze des Evangeliums von Anfang bis zu Ende im Auge hat, beruht nun aber jedenfalls auf Ueber- treibung. Wir haben aber gesehen, dass das erste Evangelium zunächst eine historische Schrift sein will; und sein Inhalt erklärt sich im Ein zelnen meist nicht sowohl aus irgend einer leitenden Tendenz, als viel mehr blos aus der stofflichen Beschaffenheit der Quellen; daher es eine bedeutende Masse didaktischen Stoffes enthält, der weder an sich, noch in der Darstellung des Evangelisten mit der Frage, ob Jesus der alt testamentliche Messias sei, ,in irgend einem Zusammenhang steht, son dern nur für das christliche Leben an sich von Bedeutung ist.4 Ja wir haben weiter bemerkt, dass neben den Stellen, in welchen die Einheit des Alttestamentlichen und des Christlichen durchgeführt scheint, auch wieder so viel Antijüdisches, so viel Erklärungen gegen den Unglauben des herrschenden Judenthums sich finden, dass eben auch die Hervor hebung des Gegensatzes, in welchem Jesus zum Judenthum trat, als ein Hauptzweck des Evangelisten betrachtet werden muss 5 — zumal da das polemische Verhältniss Jesu zu den Pharisäern gerade auf den beiden Punkten, wo das Evangelium ganz original ist (vgl. S. 162), am schärf sten betont und bis in's Einzelnste ausgeführt ist. Köstlin, der unter den Neuern diese Seite der Sache weitaus am gründlichsten untersucht hat, gibt daher die Tendenz des Evangeliums näher und bestimmter da hin an, nachzuweisen, »dass Jesus wirklich der dem jüdischen Volke verheissene und zur Erlösung des jüdischen Volkes gekommene Messias 1) Geschichte der heil. Schriften, 1860, S. 182. — 2) Credner: Einleitung, S. 60. — 3) Credner: Das N. T. nach Zweck u. s. f. II, S. 150. — 4) Köstlin: Evangelien, S. 7. 27. — 5) Zeitschrift für Protestantismus und Kirche, 1856, S. 22 f. 382 Fünftes Capitel. sei, obwohl das Judenthum ihn nicht als solchen anerkennen will«.1 »Es hat ebenso einen judaisirenden Charakter, sofern es die Thätigkeit Jesu auf das jüdische Volk beschränkt und Jesum in ein durchaus posi tives Verhältniss zum alten Testament und namentlich zum mosaischen vöfiog setzt, als auch einen antijüdischen, sofern es die Unempfänglich keit der Nation und ihrer Häupter gegen das ihr dargebotene Heil stra fend hervorhebt und die Erhabenheit der Lehre Jesu über die jüdische (pharisäische) Gesetzesauffassung mit allem Nachdruck hervortreten lässt. « 2 Bei dieser apologetisch-polemischen Tendenz der Schrift ist aber anzunehmen , dass der Verfasser sich die Möglichkeit , dass ausser Ju denchristen auch noch wirkliche Juden sein Werk lesen werden, kei neswegs als ausgeschlossen gedacht habe. Das Judenchristenthum will er schützen und im Bewusstsein seines Rechts stärken, das Judenthum selbst angreifen. Daher denn bekanntlich die häufigen Citate des A. T. zum Nachweise, dass die Erscheinung Jesu wirklich die Erfüllung wie der Weissagung, so auch des Gesetzes darstelle.3 Dabei ist besonders auch auf solche Stellen zu achten , wo Matthäus mit Rücksicht auf den, von den Juden den Christen beigelegten, verächtlichen Namen der Na zarener oder Galiläer beweist, dass der Messias schon nach den Prophe ten aus Nazareth kommen (2, 23) und in Galiläa wirken solle (4, 14 — 16). Dahin gehören aber auch eigenthümliche Alterationen, die Mat thäus in der Geschichtserzählung selbst anbringt um der alttestament lichen Reminiscenzen willen, die er zu erwecken beabsichtigt. Er trägt offenbar alttestamentlich - prophetische Züge in die Geschichte Jesu hinein, wenn er 21, 5 wegen Zach. 9, 9 von zwei Eseln, 26, 15 wegen Zach. 11, 12 von dreissig Silberlingen, 27, 34 von ogog fiexa xoXfjg we gen Ps. 69, 22 und 27, 43 von Schmähungen nach dem Muster Ps. 22, 9 berichtet. Einen ganz besonders jüdischen Charakter tragen auch und sind auf den jüdischen Glauben an den, die Seelen der Frommen aus dem Hades befreienden, Messias berechnet die Wunder, die Matthäus allein, als die Messianität des eben Gestorbenen beweisend, erzählt.4 Auch sonst sind alle grösseren eigenthümlichen Partien dieses Evange liums nach alttestamentlichen Typen gebildet , wie sich in der Vorge schichte nur die Geschichte des Moses und des Auszugs aus Aegypten, in dieser Bergrede nur die Gesetzgebung auf Sinai in höherer Form wiederholt.5 So weisen auch die dem Matthäus angehörigen nqößaxa xd änoXwXöxa tov o'ixov 'IaqafjX auf bekannte alttestamentliche Aus drücke zurück, und wird ihnen gegenüber Jesu die Stelle des messia- 1) A. a. O. S. 8. — 2) A. a. O. S. 15. — 3) Ewald (Jahrbücher, II, S. 211.), Meyer (Zu Matthäus, S. 19 f.), Hengstenberg (Evangelische Kirchenzeitung, 1858, S. 630). — 4) Köstlin, S. 9. 28 f. — 5) Köstlin, S. 29. Dogmatischer Charakter des Matthäus. 383 nischen Hirten Ez. 34, 23 zuerkannt.1 Die allgemeine Absicht, das Vorhandensein der messianischen Merkmale an Jesu nachzuweisen, liegt aber auch der Geschichtserzählung im Grossen und Ganzen zu Grunde, besonders der Hinweisung auf die, in erster Linie nur »seinem Volke« (1, 21) zugewandte, hülfreiche und erlösende Thätigkeit Jesu — womit sich die, als Indicium des Particularismus missdeuteten, Stellen 1 0, 5. 6. 23. 15, 24 erledigen. Aber auch in den Reden Jesu hebt Matthäus mit Vorliebe und Ausführlichkeit Alles hervor, was eine bestimmte Bezie hung auf die Juden als Volk Gottes, auf ihr Verhältniss zum Gesetz und zum messianischen Heil hat, wie namentlich die dem Matthäus eigen thümlichen Partien der Bergpredigt zeigen , welche Rede, ähnlich wie die andere in Cap. 23, auch durchgängig das Bestreben verrath, Jesum in Opposition nicht sowohl zu dem Gesetze selbst, als zu der, im rabbini schen Judenthum geltenden Form desselben, also zu den pharisäischen Auslegungen und Ueberlieferungen erscheinen zu lassen.2 Wenn daher der Verfasser mehrfach gegen A die Sache so darstellt, als seien nicht nur Pharisäer und Schriftgelehrte, sondern auch Pharisäer und Saddu cäer die unter sich verbündeten Gegner des Himmelreiches gewesen (3, 7. 16, 1. 6. 11. 12), so hängt auch dieser ungeschichtliche Zug da mit zusammen, dass der Verfasser von dem Gesichtspunkte ausgeht, nicht das Judenthum als solches, sondern die herrschenden Secten und Richtungen desselben seien die Hauptfeinde Jesu gewesen.3 Es steht sonach fest, dass das erste Evangelium auf jeden Fall in einer sehr nahen und positiven Beziehung zum Judenthum steht. Da her enthält es so Vieles, was als von speciell jüdischem Interesse von den übrigen Evangelisten ausgelassen wurde, weil es für das christliche Bewusstsein als solches keine Bedeutung mehr haben konnte. Das Evan gelium setzt ein, aus der nationalen und religiösen Einheit mit dem Ju denthum noch nicht herausgetretenes, sondern noch innerhalb ihrer sich bewegendes, Bewusstsein und zugleich Zustände der christlichen Ge meinschaft voraus, die noch ein ganz theokratisches Gepräge tragen. Daher jene eigenthümliche Quelle, der die Stellen von der Binde- und Lösegewalt der Apostel und die Regeln über die Kirchenzucht entnom men sind (S. 161); daher aber auch Jesus schon in der Bergrede als Gesetzgeber und künftiger Richter auftritt, wie andererseits die Para beln es wieder vorzugsweise mit dem Weltgericht zu thun haben, welches der erfüllende Vollender des mosaischen Werkes halten wird. »Das Evangelium soll offenbar zugleich ein , die wichtigsten Seiten des Le- 1) So viel ist wahr an Weiss e's Behauptung, dass beide Stellen als Interpola tionen des Schlussredactors zu betrachten seien. Vgl. Evangelische Geschichte, S. 526. Evangelienfrage, S. 154. — 2) Köstlin, S. 12. — 3) Köstlin, S. 13. 384 Fünftes Capitel. bens und Thuns vollständig umfassender, Codex der christlichen Ge setzgebung sein. « x Nur auf ein jüdisches Bewusstsein kann es auch berechnet sein, wenn so grosser Werth auf die.Zahlenverhältnisse eben in diesem Evangelium zum Unterschiede von den andern gelegt wird (vgl. S. 171. 200).- Andererseits wird hier Dasjenige, was in Bezug auf Sitten und Gewohnheiten , auf religiöse und bürgerliche Verhält nisse, auf geographische und topographische Notizen den Gläubigen aus der Beschneidung bekannt sein musste, auch als bekannt vorausgesetzt. Es wird nicht erst gesagt, dass die ayia nöXig 4, 5. 27, 53 Jerusalem ist; es werden die Tendenzen der verschiedenen Secten nicht erst be schrieben. Wenn 22, 23 einmal eine Erklärung bezüglich der Dogma tik der Sadducäer vorkommt, die für judenchristHche Leser nicht abso lut nöthig war, so bezeugt Dies blos die Abhängigkeit der Stelle von A Mr. 12, 18. 2 Noch mehr weisen Citate, die nur für Kenner der pro phetischen Ausdrucksweise (2, 23), des Urtextes (§. 17), der hebräi schen Sprache (1, 22) verständlich waren,3 auf das palästinensische Ju denchristenthum oder doch auf ein, in Verbindung mit dem Stammlande stehendes, Judenchristenthum hin. Dagegen kann der Umstand, dass besonders merkwürdige Namen gedolmetscht sind, nicht geltend ge macht werden; denn die Hauptstellen 27, 33. 46 ruhen einfach auf dem Vorgange von A, und 1, 23 wird mehr als gedeckt durch 1,21, wo die, dem Schriftsteller vorschwebende, Dolmetschung zum Verständnisse des Zusammenhangs viel nöthiger gewesen wäre (vgl. Sir. 46, 1). Nach allen diesen Indicien müssen wir bei dem Resultate stehen bleiben, dass das Evangelium, für den Gebrauch von Judenchristen be stimmt, nach ihren Bedürfnissen und Interessen eingerichtet ist, ohne aber desshalb den dogmatischen Tendenzen der später abgeschlossenen Partei zu dienen. Wäre das Letztere der Fall gewesen, so hätte diese Partei aus unserem ersten Evangelium sich nicht erst ein Apokryphon zurechtzuschneiden nöthig gehabt, und der Ebionit Symmachus hätte grundlos seine Polemik eben gegen es selbst — und nicht etwa gegen eine spätere katholische Bearbeitung desselben4 — gerichtet.5 §. 24. Dogmatischer Charakter des Marcus. Das zweite Evangelium ist im Ganzen wenig lehrhaft. Zwar wird wiederholt berichtet, dass Jesus zu dem Volke tov Xoyov redete (1, 21. 2, 2. 6, 34. 10, 1. 14, 29), aber nur 4, 2—34 haben wir eine ausführ lichere Inhaltsangabe. Daraus allein wird kein Unbefangener einMerk- 1) Köstlin, S. 28. — 2) Weiss, S. 48 f. — 3) Köstlin, S. 35 f. — 4) Ge gen Schwegler , S. 247 f. — 5) Eusebius: K. G. 6, 17. Dogmatischer Charakter des Marcus. 385 mal für die Bezeichnung des Parteicharakters unsres Evangeliums ent nehmen wollen. »Eine Vorliebe für Facten und Wunder kann bei einem Sammler evangelischer Geschichten so früh vorkommen, als eine für Sittensprüche und Lebensregeln. « 4 Namentlich aber erklärt sich das Verhältniss unsres zweiten Evangeliums, das ja an Redestoff noch ärmer ist, als A (S. 110), zu A am besten unter der Voraussetzung, dass Mar cus bei seiner Bearbeitung von A zugleich ein Werk liefern wollte, welches einem, schon in den Händen der Gemeinde befindlichen, die Reden Jesu enthaltenden Buche, unsrer zweiten Quelle, ergänzend zur Seite treten sollte. Daher muss die Bekanntschaft mit den Reden zur Leetüre des Marcus mitgebracht werden. »Die Xoyoi 8, 38 werden nicht namhaft gemacht — bemerkt Hitzig2 — sondern vom Verfasser, dem sie bekannt waren , für seine Leser vorausgesetzt. « Der Verfasser ist sich dessen überhaupt völlig bewusst, dass er in Absicht des Didakti schen unverhältnissmässig wenig gethan hat (4, 22. 33. 12, 38); »ganz als wollte er damit die Leser zu weiterem Forschen veranlassen. « 3 Nur die Gleichnisssammlung, die sich in A nicht befand, und die eschato logische Rede, welche ganz selbstständig den beiden eschatologischen Reden in A zur Seite steht, hat Marcus beibehalten, sonst aber liefert er immer nur so viel Redestoff, als in Jesu Munde eben schlechterdings durch die Umstände geboten erschien, und vermeidet Alles, wodurch dem Blick des Lesers die Aussicht auf die thätige Wirksamkeit Jesu getrübt werden könnte. Jesus spricht bei ihm immer in Bezug auf Geschichte, gegenwärtige oder künftige. Seine Reden sind äusserlich motivirte, kurze und entscheidende Aussprüche, die das sie veranlassende Factum selbst erläutern oder auf Factisches hindeuten, meist ohne alle Ab schweifung auf Dogmatisches.4 Alles dies lässt darauf schliessen, dass Marcus die zweite Quelle in den Händen seiner Leser wusste; dass er selbst diese Quelle gekannt hat, geht klar aus dem S. 261 über das, nunmehr erst vollständig erklärte, Citat Mr. 1, 2 Gesagten hervor, wo Marcus den Anfang der Quelle A mit dem Anfang der Quelle A (S. 142 f.) combinirt hat. Die schriftstellerische Persönlichkeit dessen, der im angegebenen Zweck A bearbeitete , lässt sich nur dahin bestimmen , dass er wahr scheinlich jüdischen Ursprungs gewesen ist, wie die vielen, aus A stehen gebliebenen, Aramaismen beweisen, während schon Lucas damit z. Th. viel freier umgeht. .Der Verfasser muss aber als Christ doch entschie den über das Judenthum hinausgewachsen sein, da er 7, 3 (navxsg ol 1) Reuss: Geschichte, S. 176. — 2) Joh Marcus, S. 122. — 3) Credner: Einleitung, S. 110. — 4) Wilke: Urevangelist, S. 666. Neutestamentliehe Rhetorik, S. 440. Holtzmann. 25 386 Fünftes Capitel. 'Iovöaloi) ähnlich von ihm redet, wie der Verfasser des vierten Evange liums. Auch aus der Vergleichung von Stellen, wie Mr. 2, 27. 12, 33. 13, 10 mit den Parallelen ergibt sich eine dem Judenthum frei gegen überstehende Anschauung. Namentlich aber zeigt die Aenderung, die Marcus vornimmt 14, 58, wie ihm die mosaische Religion als äusserer Ceremoniendienst erscheint gegenüber der christlichen Geistesreligion. Denn der vaög axsiqonoirjxog weist an erkanntermaassen auf eine, durch das Christenthum an die Stelle des Judenthums getretene, Anbetung im Geist hin.1 Oefters aber sind auch die Verkürzungen, die Marcus in seiner Quelle eintreten lässt, aus demselben Interesse geflossen. So vielleicht schon bei der Bergrede, wenn er dieselbe, abgesehen von ihrer Länge, etwa auch um ihres ebionitischen Exordiums willen ausgelassen haben sollte. Jedenfalls aber hat er in der Erzählung von der Kana- näerin theils gemildert, theils weggelassen (S. 85). Ebendahin gehören auch, wie Hilgenfeld richtig gesehen hat,2 die Modificationen, welche zu A Nro. 47 und 49 S. 90 bereits notirt wurden. Dass er auch in Anbetracht seines Leserkreises 11, 17 das näoiv xoig s'dvsaiv herein gesetzt habe, möchten wir jedenfalls nicht mit Bestimmtheit behaupten. Wahr aber ist, dass er, weil seine Leser von Geburt nicht mit dem alten Testament vertraut waren, ausser der oben beurtheilten Stelle 1, 2 kein alttestamentliches Citat den in A vorliegenden mehr beifügte. Ueber- triebener Scharfsinn ist es endlich, wenn Hilgenfeld in den Stel len Mr. 9, 38. 39. 50 bereits die Duldung des paulinischen Christen thums vorgeschlagen sieht;3 und nur der üppigste Schössling der Ten denzkritik konnte aus den vorgeführten Daten schliessen, das ganze Evangelium müsse ein Parteiprogramm der paulinischen Richtung sein (S. 41 f). Liesse sich doch aus 9, 1 und der eschatologischen Rede noch genug Judenchristenthum zusammenlesen, um auch bezüglich des Mar cus von zwei direct sich entgegenstehenden Redactionen zu sprechen — wenn solches überhaupt noch an der Zeit wäre. Schon im Bisherigen haben wir den Leserkreis, für den das zweite Evangelium bestimmt ist, als maassgebend für seinen dogmatischen Charakter — soweit ein solcher vorhanden ist — kennen gelernt. Nun weist aber schon die Sprache auf Heidenchristen hin. Wir haben näm lich alle Ursache, unseren griechischen Text als Original zu betrachten. Zwar bestreitet das ein altes Zeugniss der Peschito, das von einer römi schen Predigt des Marcus wissen will. Dem tritt aber Hieronymus gegenüber mit der ausdrücklichen Bemerkung, blos Matthäus sei ur- 1) Baur (Evangelien, S. 141), Hilgenfeld (Marcusevangelium, S. 127. Evan gelien, S. 146), Köstlin (Evangelien, S. 315). — 2) Evangelien, S. 149. — 3) Evan gelien, S. 140. 146. Dogmatischer Charakter des Marcus. 387 sprünglich nicht griechisch geschrieben gewesen.1 Offenbar hängt die Sage von einem römischen Original blos an jenen, den römischen Aufenthalt des Petrus mit hineinziehenden, Voraussetzungen über die Abfassungsverhältnisse des Marcus (S. 367). Liessen sich diese auch rechtfertigen, so wäre damit doch noch keineswegs die Wahrscheinlich keit einer lateinischen Urschrift des Marcus gegeben. Vielmehr hat zwar das Mittelalter geglaubt, eine solche entdeckt zu haben, ja selbst Baronius liess sich noch täuschen ; 2 seitdem aber Dobrowsky die ses Fragment herausgegeben und als ein Stück der verbesserten Ueber setzung des Hieronymus erwiesen hat,3 ist man allgemein davon zurückgekommen; wie auch das koptische Original, von dem Wahl sprach , dem Reich der Phantasie angehört , 4 schon desshalb , weil da mals in Alexandria noch gar nicht koptisch gesprochen wurde. Es ha ben daher schon die Vertreter der alten Orthodoxie,5 dann Eichhorn,6 Schott,7 De Wette,8 Wilke,9 Schleiermacher,10 Credner,11 Bleek12 die griechische Abfassung unseres Evangeliums festgestellt. Somit hat sich für das zweite Evangelium ein Resultat ergeben, das in genauem Zusammenhang mit unseren Ansichten über die Com position und das Quellenverhältniss der Synoptiker überhaupt, nament lich über den Charakter von A und A steht. Nach dem, was S. 379 in letzter Richtung sich ergeben hat , können wir nun sagen : Nicht der Tendenzcharakter der Quellenschriften war es, was ihr Zurücktreten in der späteren Kirche bedingte ; sondern ihre stoffliche Differenz war von der Art, dass Alles dazu aufforderte, diese Differenz entweder dadurch noch zu schärfen, dass man, wie A nur Redestoff enthielt, so A auf blos geschichtlichen reducirte (unser zweites Evangelium), oder aber sie ganz aufzuheben durch Combinationsversuche beider Quellen, wie sie bei Mat thäus und Lucas vorliegen. Weiter ist über eine sogenannte Tendenz des Marcus nichts mit Sicherheit zu sagen. — Es beruht auf vollständiger Verkennung des eigen thümlichen , epischen Charakters des zweiten Evangeliums , wenn die Tübinger Schule es durchaus unterbringen wollte in den literarischen Parteikämpfen der nächsten hundert Jahre nach Christus ; » und wenn man nun schliesslich seinen Tendenzcharakter nur als den der Neutra lität bezeichnen kann, so heisst das doch in der That nichts Anderes, als eingestehen, dass eben keine Spuren einer Tendenz in diesem Sinne 1) De vir. ill. 8. — 2) Annal. ad annum Chr. 45. No. 41. — 3) Fragmenten Pragense evangelii S. Marci, vulgo autographi, 1778. — 4) Magazin für alte, beson ders morgenländische und biblisclie Literatur, 1790, 3, S. 8. — 5) Credner: Einlei tung, S. 121. — 6) Einleitung, I, S. 461 f. — 7) Isagoge, S. 89. — 8) Einleitung, II, S. 204. — 9) Urevangelist, S. 407. — 10) Studien und Kritiken, 1832, S. 758 ff. — 11) Einleitung, S. 124 ff. — 12) Einleitung, II, S. 47 f. 25* 388 Fünftes Capitel, vorliege.«1 Fast] verschollen sind dermalen die Versuche Schweg- ler's, in dieser Farblosigkeit des Marcus einen bestimmten Contrast gegen die Farbe des Matthäus zu erkennen.2 Dass bei Marcus jene Ci tate des Matthäus fehlen, beweist nach Schwegler seine Verwerfung jüdischer Prophetie (aber vgl.obenS.263f.); dass der vlögJav'tövor 10, 47 nicht erwähnt wird, beweist die Verwerfung der Davidischen Abstam mung (aber vgl. §. 27); dass der Herr 4, 11 zu den sgw in Parabeln redet, ruht auf dem Unterschied von Klerikern und Laien (aber vgl. S. 188); ferner soll Marcus es vermeiden, controverse Fragen zu berüh ren, wie über Speisen (aber 7, 1 — 23), über Fasten (aber 2, 18 — 22), über die Ehe (aber 10, 1 — 12), über Armuth (aber Mr. 10, 17 — 31). Noch Genaueres wusste in dieser Beziehung Baur zu sagen, dessen zuerst in's Feld geführte Gründe3 aber von Hilgenfeld widerlegt wurden.4 Dieser nämlich erkannte mit Scharfsinn, was lange der Tü binger Schule verschlossen geblieben war, dass im zweiten Evangelium ein innerer Fortschritt in der Geschichte Christi statt hat (§. 29), so dass auch Baur anfing, sich ein günstigeres Urtheil über den Marcus zu bilden und sogar von einem, den Marcus gegenüber dem Matthäus und Lucas auszeichnenden, historischen Charakter seiner Darstellung zu re den , vermöge deren es ihm gelungen sei , sein Evangelium auf eine Stufe zu erheben, » auf welcher es den andern, an Originalität und histo rischer Bedeutung soweit über ihm stehenden, Evangelien sich eben bürtig zur Seite stellt.«5 Aber auch Hilgenfeld konnte über den Tendenzcharakter des zweiten Evangeliums nicht zu völliger Unbe fangenheit gelangen, da er einerseits an seiner Abhängigkeit von Mat thäus festhielt, andererseits über die Tendenz des auf Marcus auferbau ten Lucas sich starken Blusionen hingab. So spricht er denn beständig von einer milden vermittelnden Richtung des zweiten Evangelisten, dessen Grundsatz es sein soll , sich ausserhalb der principieUen Contro verse zu stellen, jedoch unbeschadet seines wesentlich Juden christlichen Gepräges, womit er wieder ganz auf den Standpunkt Schwegler's zurückkehrt, der schliesslich auch nichts Anderes zu sagen weiss, als im zweiten Evangelium werde Alles ausgelassen, was den Judenchristen im Lucas, den Heidenchristen im Matthäus habe anstössig erscheinen können, und so habe man eine Schrift, deren Motto in dem Satz : in ne- cessariis unitas, in dubiis Hbertas ausgesprochen sei, auch auf den Marcus zurückgeführt, der ja als Mittelperson zwischen Paulus und Petrus er scheine.6 Wenn dann aber Köstlin an die Stelle aller andern tenden- 1) Weiss, S. 689. — 2) Nachapostolisches Zeitalter, I, S. 455 ff. 470 ff. — 3) Evangelien, S. 539 ff. 561 ff. — 4) Marcusevangelium, 1850. — 5) Marcusevange lium, S. US. 150. — 6) A. a. O. S. 478 ff. Dogmatischer Charakter des Lucas. 389 ziösen Momente die Hervorhebung der Göttlichkeit der Person Jesu stellt, alsbald aber einräumen muss, dass auch diese nicht doctrinell, sondern durch unmittelbare geschichtliche Darstellung dargethan wer den solle,1 so sagt er doch damit schliesslich auch nichts Anderes, als dass die Tendenzkritik hinsichtlich unseres Evangeliums an sich selbst irre geworden ist und sich wieder auf eine historische Auffassung des Inhalts gewiesen sieht. Aus unsrer ganzen Untersuchung hat sich herausgestellt, dass Mar cus weder den Matthäus, noch den Lucas gekannt haben kann; wenn Dies noch einer schliesslichen Bestätigung bedürfte, so läge sie gerade in dem aufgefundenen Charakter des Evangeliums. Sein Standpunkt wäre dann immer ein unbegreiflicher, sollte er etwa blos Matthäus — wie Hilgenfeld meint — oder, nach Baur, Matthäus und Lucas gekannt haben. Beidemale hätte er, der Absicht seines ganzen Schriftsteller- thums zuwider, alle universalistischen Züge, in denen Matthäus und Lucas über A hinausgehen, ausgelassen. §. 25. Dogmatischer Charakter des Lucas. Das interessanteste Licht, welches die neuere Kritik auf das dritte Evangelium fallen liess, betrifft seinen paulinischen Charakter, in des sen allgemeiner Anerkennung man seit Gieseler2 einig ist. Am über triebensten hat diese Entdeckung ausgebeutet der »sächsische Ano nymus,« der nichts als einseitige Judenfeindschaft und »schneidende Satyre « gegen Petrus, Persiflage des Matthäus und dergleichen im Lu cas wahrnimmt.3 Zeller,4 Schwegler5 und Ritschl6 untersuch ten die Sache genauer und kamen zu dem, auch von Köstlin7 ge- theilten, Resultat, es seien in unserm Lucas divergirende Richtungen, Elemente sowohl paulinischer, als judenchristlicher Art, in conciliato- rischer Weise vereinigt. Später hat Schwanbeck wieder die Spuren paulinischer Auffassung zu leugnen versucht,8 während gegentheils, und zwar je länger je mehr, auch Baur selbst,9 in gelinderer Weise auch Hilgenfeld,10 in schrofferer Volkmar11 den antijudaistischen Tendenzcharakter betonten. 1) Evangelien, S. 316. — 2) S. 126 ff. — 3) S. 16 ff. 20. 27. 47 f. 51 f. 175. 246. Diese Kritik ist übrigens von Baur selbst gerichtet worden : Evangelien, S. 522 — 531. — 4) Theologische Jahrbücher, 1843, S. 59 ff. 626 f. 1851, S. 275 ff. Apostelge schichte, S.432 ff. — 5) Nachapostolisches Zeitalter, II, S. 39—73. — 6) Evangelium Marcion's, S. 177—202. — 7) Evangelien, S. 182. 216. 262. — 8) Quellen der Schrif ten des Lucas, I, S. 127. — 9) Evangelien, S. 428 ff. 445 ff. 501 ff. Christenthum der drei ersten Jahrhunderte, 1860, S. 73 ff. — 10) Evangelien Justin's, S. 474. Evange lien, S. 153 f. 220 ff. — 11) Theologische Jahrbücher, 1850, S. 215 ff. Evangelium Marcion's, S. 228 f. 390 Fünftes Capitel. Für uns fällt nun ein, in der Voraussetzung der meisten Genann ten vorhandener, Hauptanhaltspunkt der Tendenzkritik von vornherein hinweg, nämlich die beständige Rücksichtsnahme auf das erste Evan gelium,1 das angeblich bei jeder Auslassung, die auf Seite des Lucas gegenüber dem Matthäus vorkommt, corrigirt worden sein soll. Was für eine paulinische Correctur wäre es auch, die gerade den Befehl zur Hei denmission Mt. 24, 14. 28, 19 ausgelassen haben würde ! Dagegen ist vor Allem anzuerkennen, dass das Recht der Heiden, in's göttliche Reich aufgenommen zu werden, bei Lucas mit aller Entschiedenheit be tont und vor allen Beeinträchtigungen gewahrt erscheint. Nach Lucas ist Jesus überhaupt gekommen ^rjxfjaai xai acöaai xö änoXwXög 19, 10. Er ist also für das menschliche Geschlecht überhaupt da, und wurde daher schon frühe (Chrysostomus, Luther u. A.) eine derartige universalistische Tendenz in der, bis auf Adam zurücklangenden, Ge nealogie 3, 23 — 38 bemerkt. Ein solches Geschlechtsregister hat für Lucas überhaupt nicht die Wichtigkeit, dass er es, wie Matthäus, als Introduction aufzustellen veranlasst wäre. Auch ist es nicht der kö nigliche Zweig des Davidshauses, dem hier der messianische Keim ent- sprosst, wie Jesus selbst auch wenigstens in den Gleichnissen nicht als »König«, sondern als avdqwnog xig 14, 16. 16, 1, höchstens als av- dgconog eiyevrjg 19, 12 auftritt. Wie bezeichnend in diesem Sinne auch Umstellungen des Geschichtsstoffes sind, wie namentlich die Anticipa tion der Rede 4, 16 — 30 (vgl. S. 214 f.), und Auslassungen, wie A Nro. 33 und A Mt. 10, 5. 6, bedarf gar keines ausführlichen Nach weises. Werden solche judaistisch klingende Stellen übergangen, so er scheint dafür das positive Interesse an den Heiden in dem Verhältnisse Jesu zu den, von den Juden als heidengleich geachteten, Samaritern. Nicht nur wird auf die Wirksamkeit Jesu in Samarien ein besonderes Gewicht gelegt 9, 52. 17, 11, und spielt trotz 10, 38— 42 und 13, 31 — 35 wenigstens dem Plane des Lucas zufolge die ganze zweite Reihe von Erzählungen auf samaritanischem, jedenfalls auf aussergaliläischem Bo den (S. 208 f.): sondern es wird auch der gegen dies Volk gerichtete jüdische Zelotismus zurückgewiesen 9, 55. 56; ja es zeichnen sich Sa mariter vor Mitgliedern des Volks Israel 1 7, 1 1 — 19, sogar vor Priestern und Leviten 10, 25 — 30 vortheilhaft aus. Dagegen stehen die Aussich ten des Judenthums schlimm genug, wie aus Jesu Klage über Jerusalem 1) Baur: Evangelien, S. 428 : »Der eigenthümliche Charakter des ursprüngli chen Lucas-Evangeliums stellt sich /vor Allem auf negative Weise an seinem Unter schied vom Matthäus-Evangelium dar.« S. 455 : »An dem Matthäus-Evangelium haben wir allein den sicheren Maassstab zur Beurtheilung des Charakteristischen unseres Evangeliums.« Dogmatischer Charakter des Lucas. 391 (19, 42) und dem Gleichnisse vom Feigenbaum (13, 6 — 9) zu schliessen ist. Wo aber die Sache selbst mit so klaren Beweismitteln dargethan werden kann, sollte man sich billig hüten, die Evidenz des Resultates durch Uebertreibungen zu schwächen, was geschieht, wenn man die Anwendbarkeit gewisser Bilder auf spätere Verhältnisse flugs verwech selt mit ihrer ersten Veranlassung und Bestimmung, der jede Reflexion auf das Verhältniss von Judenthum und Heidenthum um so ferner lag, als ja sowohl die beiden Knechte 12, 47. 48, wie die beiden Söhne 15, 11 — 32 ursprünglich einem Hause, einer Volksgemeinschaft ange hörig erscheinen. x Ebensowenig darf man Parabeln , die Lucas selbst als antipharisäisch deutet (vgl. 14, 15. 16. 15, 1. 2. 16, 14. 15), ohne Weiteres für antijüdisch erklären; sonst wäre am Ende das erste Evan gelium noch paulinischer, als das dritte (S. 381). Geradezu verfehlt aber ist es, wenn die Tübinger Kritik sogar in Erzählungen, wie 23, 39—43 von den beiden Schachern,2 10, 38 — 42 von den beiden Schwestern,3 oder in der Weglassung von A Mt. 22, 11 — 144 spätere Parteiverhält nisse abgebildet sehen wollte. Auch auf Lc. 13, 28. 29 sollte man sich nicht berufen, weil Mt. 8, 11. 12 dasselbe steht, wie ja auch das, viel leicht theokratisch gemeinte, Wort von den Ersten und Letzten sogar in A stand (Mr. 10, 31 = Lc. 13, 30 = Mt. 19, 30). Das Gleichniss vom Gastmahl Lc. 14, 16 — 24 kommt noch antijüdischer geformt Mt. 22, 1 — 14 zum Vorschein. Zweitens aber ist als erwiesen anzuerkennen , dass manche Stellen des dritten Evangeliums deutlich auf das paulinische Interesse an der freien Gnade und Barmherzigkeit weisen. So mag es schon als bezeich nend gelten, wenn Lucas, anstatt die Pflicht der FriedensHebe mit Mat thäus auf das Gesetz zurückzuführen, dieselbe aus dem allgemeinen, auch subjectiv gefassten, Princip des Christenthums ableitet, indem er 6, 36 statt xeXeiog Mt. 5, 48 vielmehr schreibt olxxiqfiwv. 5 Daher denn auch die sich zum Dienst darbietenden Aeusserungen des Eliasgeistes zurückgewiesen werden mit dem Wort ovx o'iöaxe oiov nveifiaxög eaxe vfielg 9, 55. Wie man auch über die Quellenverhältnisse der drei Pa rabeln von der Rettung des Verlorenen Cap. 15 denken mag, jedenfalls 1) Köstlin, S. 224.— 2) Nach Schwegler (S. 50ff.) soll die synoptische Tra dition im Interesse des Heidenchristenthums. alterirt sein. Wo aber ist eine nachweis bare Beziehung auf Letzteres ? Doch nicht in dem guten Griechischen , was der Scha cher spricht (der »sächsische Anonymus, « S. 197)? — 3) Baur, Zeller, der »sächsische Anonymus,« Hilgenfeld, Schwegler, S. 52 f. (milder Ritschl: Evangelium Marcion's, S. 180 f.) — wodurch »man mit eben so kühnem, wie unzartem Griff diese häusliche Reliquie Jesu in den fremdartigen Bereich der Allegorie versetzt hat« (Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 390). — 4) Schwegler (S. 62), Ritschl (S. 184). — 5) Ritschl: Evangelium Marcion's, S. 180. 392 Fünftes Capitel. geht Lucas in diesem Preis der barmherzigen Sünderliebe Gottes weit über die Parallele Mt. 18, 12 — 14 hinaus. Durch solche dem Lucas eigenthümliche Berichte, wie auch die; sind von der Sünderin 7, 36 — 50, vom Pharisäer und Zöllner 18, 10 — 14 und wohl auch vom Zak chäus 19, 1 — 10, hebt Lucas die paulinische Lehre von der Begnadi gung des an sich selbst verzweifelnden Sünders in einer Stärke hervor, wie keiner der andern Synoptiker. Nimmt man noch hinzu, wie in die sen Stellen die Liebe ausdrücklich als das Consequens der, durch den Glauben erlangten, Sündenvergebung erscheint (7, 41 — 50), wie die paulinischen Briefe den einfachen Commentar zu dem Ausdrucke öeöi- xaiw fievog 18, 14 bilden, oder berücksichtigt man die hierher viel bes ser passende Geschichte 23, 39 — 43: so tritt das paulinische Gepräge des Evangeliums mit unverkennbarster Evidenz zu Tage. Eben dahin sind zu rechnen die unnützen Knechte (17, 10), die [dynamische Auf fassung des Reiches Gottes (17, 20. 21), vielleicht auch das näg 16, 16 (vgl. Mt. 11, 12. 13). In die Reihe der im paulinischen Interesse vom Verfasser producirten Elemente wurde von Strauss,1 De Wette,2 Gfrörer,3 Theile,4 Ammon,5 dem »sächsischen Anonymus, «s Ritschl,7 Schwegler,« Baur,9 Volkmar,10 Scherer,11 Zeller,12 Köstlin13 auch die Nachricht von den 70 Jüngern 10, 1. 17 gesetzt. Dieselben sollen einen, von den Zwölfen unterschiedenen, ihnen selbst ständig gegenüberstehenden, Jüngerkreis bilden, den man fingirte, um in ihm eine Repräsentation — sei es des Paulinismus, nach Baur — sei es der Heidenmission, nach Köstlin — finden zu können. Selbst Bleek erinnert daher noch an die 70 oder 72 heidnischen Völ kerschaften des alten Testaments.14 Aber nach dem S. 145 f. bereits Bemerkten müssen wir vielmehr annehmen, dass Lucas für eine und dieselbe Rede, die ihm in zweierlei Quellen sich geboten hatte, ver schiedene Zuhörer sucht. Er benutzte daher eine Tradition, deren Ent stehen Ewald im Allgemeinen so beschrieben hat: »Als die Zwölf mehr und mehr dahinschwanden, wurden die Uebrigen, welche den Herrn wenn auch weniger nahe und weniger beständig begleitet hat ten , desto wichtiger ; so dass man unwillkürlich , was zuerst nur von den Zwölf galt, auf einen weiteren Kreis übertragen und mit einem ge wissen Rechte sagen konnte, Jesus habe nicht nur zwölf, sondern eine 1) Leben Jesu, I, S. 594 ff. — 2) Einleitung, II, S. 1 79. — 3) Jahrhundert des Heils, II, S. 371. — 4) Zur Biographie Jesu, S. 51 f. — 5) Leben Jesu, II, S. 355 ff. — 6) S. 24 ff. — 7) Evangelium Marcion's, S. 185. 188 f. — 8) S. 45 f. — 9) Evan gelien, S. 435 ff. 498 ff. Marcusevangelium, S. 163. — 1 0) Religion Jesu , S. 308. 325 f. — 11) Nouvelle revue, IV, S. 340 f. — 12) Apostelgeschichte, S. 41 f. 448 f. 451 f. — 13) Evangelien, S. 267 ff. — 14) Einleitung, II, S. 282. Synopsis, II, S. 149 f. Dogmatiseher Charakter des Lucas. 393 weit grössere Zahl von Jüngern gebildet; da man aber dann wieder gern eine runde grössere Zahl nannte, so lag die Zahl 72 oder kürzer 70 nach alten und neuen Vorgängen in der Gemeinde Israel am näch sten. (i1 Es sind mithin die 70, wie die, 12 nach der Zahl der Stämme, ihrerseits nach den 70 Gehülfen des Moses (Num. 11, 16. 25) und nach der Zahl der Synedristen gezählt, wie überhaupt ,bei den Juden die Zahl 70 oder 72 in ähnlicher Weise wie die Zahl 12 heilig war. Gerade so kommen ja die 72 Jünger sogar in den Clementinen noch vor.2 Gleichwie also der Darstellung in A zufolge unter den Zwölfen Fünf einen Vorrang des Alters und unter diesen wieder Drei ein persönliches Privilegium besassen , also engere Kreise im Cirkel der Zwölfe ange nommen werden müssen, so gab es auch einen erweiterten apostoli schen Kreis, dessen Maasse nach der grössern heiligen Zahl bestimmt wurden. Hilgenfeld selbst hat solche Andeutungen in Mr. 3, 32. 33. 4, 10. 36. 8, 34. 14, 51. 52 aufgefunden,3 womit man noch Act. 1, 15. 21. 1. Cor. 15,6 vergleichen möge. Es fehlt daher diesem Berichte alle und jede charakteristische Beziehung auf paulinische Wirksamkeit oder auf Heidenmission, mit welcher 24, 47 vielmehr die Zwölf betraut werden.4 Kaum sind die Siebzig genannt, so verschwinden sie auch wieder, und in dem »neuen, freieren Wirkungskreise« sind es 9, 54. 17, 5. 18, 31 wieder die Zwölf, welche Jesu nächste Umgebung bilden. Wenn daher Ritschl,5 Schwegler,6 Baur,7 Zeller,8 Hil genfeld9 gewisse Bestandtheile der, an die Zwölf gerichteten, Instruc tionsrede des Matthäus in der ehrenvollsten und für die Zwölf zugleich unangenehmsten Weise auf die Siebzig übertragen werden lassen, womit sich zugleich der Tendenzcharakter des Lucas in handgreiflichster Weise verrathe, so können wir ihnen höchstens in dem einem Punkt Recht geben, dass die particularistische Stelle A Mt. 10, 5.6 von Lucas aus gelassen wurde, worin sich eine gewisse Tendenz allerdings verrath. Wir halten also die Geschichtlichkeit der zweiten Instructionsrede Lc. 10, 1 — 16 fest, wobei wir den paulinischen Charakter derselben (10, 7. 8 = 1. Cor. 9, 5 — 14. 10, 27. Der » sächsische Anony mus « will auch 10, 19 mit Phil. 4, 3 und 10, 20 mit Act. 28, 1—6 vergleichen10) in der gleichen Weise zugeben, wie überhaupt hinsicht lich der eigenthümlichen Bestandtheile des Lucas. Aber nicht in paulini- 1) Evangelien, S. 285. Geschichte Christus, S. 349. Geschichte des apostolischen Zeitalters, S. 158. — 2) Recogn. 1, 40. — Vgl. Hilgenfeld: Evangelien Justin's, S. 356 f. Clementinische Reognitionen und Homilien, S. 66. Evangelien, S. 209. — Köstlin, Evangelien, S. 267 f. — 3) Evangelien, S. 147. 209. — 4) Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 377), We i ss (S. 711). — 5) Evangelium Marcion's, S. 188 f. — 6) A. a. O. S. 46. — 7) Christenthum der drei ersten Jahrhunderte, S. 76. — 8) Apo stelgeschichte, S. 41. — 9) Evangelien, S. 183 ff. — 10) S. 25 f. 394 Fünftes Capitel. scher Tendenz ist der Bericht gebildet, sondern vielmehr umgekehrt handelt Paulus in Voraussetzung eines solchen (1. Cor. 9, 14. 2. Cor. 10, 14. Rom. 15, 20). Der paulinische Standpunkt des Lucas aber be dingt zwar Auswahl und Darstellung des Stoffes, hier und da auch den wörtHchen Ausdruck der überlieferten Reden, jedoch nicht so, alsob desshalb an die Stelle objectiver Geschichtsanschauung ein subjectiver Tendenzcharakter getreten wäre.1 Wenn aber gar 10, 20 eine polemi sche Beziehung auf Apok. 21, 14 vorliegen soll,2 so ist um so auffal lender , dass aus derselben Schrift Apok. 11, 2 ein Wort dem Herrn selbst in den Mund gelegt wird Lc. 21 , 24. Auch Hilgenfeld meint: »Da aber die johanneische Offenbarung 3, 5. 17, 8 auch bei Nicht- Apo steln ein Aufgeschriebensein im Buch des Lebens erwähnt, so bleibt man vielleicht am besten dabei stehen, dass Lucas nur dieses himmli sche, allgemein christliche Bürgerrecht im Himmel vor Augen hat und als das Höchste und Wesentliche über jede persönliche Auszeichnung und Begabung stellt. « 3 Indem wir also die , aus der Erwähnung der Siebzig und aus Dem, was Jesus bei ihrer Rückkehr sagt, auf eine antiapostolische Tendenz des dritten Evangeliums gemachten, Schlüsse zurückweisen, erkennen wir vollkommen an, dass sich gewisse Spuren bei Lucas finden , welche zeigen, dass ihm, dem Pauliner, die Urapostel nicht eine so hohe Stel lung einnehmen, wie etwa dem Matthäus. Nur will Dies nicht in der outrirten Weise Baur's,4 der trotz 9, 10 (was gerade bei Matthäus fehlt) von der Erfolglosigkeit der Sendung der 1 2 spricht, sondern mit Berücksichtigung der weisen Modificationen Köstlin's5 und Zeller's6 behauptet werden. Abgesehen von den SteUen, die, für das Nichtver- ständniss der Jünger zeugend, Lucas blos aus A herübernimmt , ohne wie Matthäus in Versuchung zu gerathen, sie abzuschwächen, haben wir bei Lucas die starken Erklärungen 9, 45. 51—56. 18, 34. 24, 25. 36— 43. 45. 49 , ja es scheint 22, 32 sogar ein Abfall der Jünger, wie ihn Justin7 kennt, angedeutet.8 Nicht ganz mit Recht wird zwar von Zell er Lc. 8, 21 angeführt,9 da die fiadrjxai hier nicht von Lucas ausgelassen, sondern von Matthäus 12, 49 eingetragen werden. Sollte aber Lucas das Matthäus-Evangelium wenigstens gekannt haben , so liegt es 1) Weisse (Ev. Geschichte, I, S.91), Ritschl (Evangelium Marcion's, S. 180. 201), Lechler (Apostolisches Zeitalter, S. 157 ff.), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 221). — 2) Baur: Evangelien, S. 439. Christenthum der drei ersten Jahrhunderte, S. 76. — 3) Evangelien, S. 185. — 4) Evangelien, S. 435 ff. Marcusevangelium, S. 225 f. Christenthum der drei ersten Jahrhunderte, S. 75 f. Vgl. auch Ritschl (Evangelium Marcion's, S. 187 ff.) und Hilgenfeld (Evangelien, S. 179. 181. 222). — 5) Evangelien, S. 200 f. — 6) Apostelgeschichte, S. 448 ff. — 7) Apol. 1, 50. Dial. 53. — 8) Zeller: A. «. O. S. 449. — 9) A. a. O. S. 450. Dogmatischer Charakter des Lucas. 395 allerdings ganz in seiner Art, weder jene Alteration, noch spätere selbst ständige Zusätze des Matthäus, wie 16, 17 — 19. 18, 18 aufzunehmen. »Aber eine eigentliche Feindseligkeit gegen die Urapostel können wir desshalb bei ihm nicht voraussetzen, weil er auch Solches, das ihnen zur Ehre gereicht, selbst in Fällen , wo es Matthäus nicht hatte, aufge nommen und Andres, was ein ungünstiges Licht auf sie werfen konnte, entfernt hat. k1 Wie sollte er sonst dazu gekommen sein, so stark zu be tonen, wie die Jünger Alles verlassen haben (5, 11. 28. 18, 28), ja ge rade die ausführlichere Relation über die Berufung der ersten Jünger aufzunehmen (5, 1 — 11)? wie sollte er den Jüngern für die Zukunft doch wieder verheissen 24, 31. 45. 49 , was er ihnen in der Gegenwart abspricht? Schwerlich würde er dann 8, 10 (wornach die Jünger das Geheimniss des Himmelreichs besitzen) aus A, die Verheissung 22, 28 — 30 und die, ihre Empfänglichkeit constatirende, Bitte 17, 5 (sogar in günstigerer Form als Mt. 17, 20) aus A aufgenommen haben. Dass alle Jünger sprechen, wie Petrus, Mt. 26, 35 und alle auch fliehen Mt. 26, 56 — hat Lucas nicht; dafür aber lässt er den Schlaf der Jün ger in Gethsemane in einem viel milderen und erklärlicheren (22, 45. 46) Lichte erscheinen, als A, wie er denn auch den Petrus, an den die Worte in A Mr. 14, 37 = Mt. 26, 40 gerichtet sind, nicht nennt; so lässt er auch die fatalen Betheuerungen weg, womit Petrus nach A Mr. 14, 72. Mt. 26, 74 seine Verleugnung begleitet; er hat Mt. 14, 28 — 31. 17, 25 — 27 nicht, ja — was vollends beweisend ist — er lässt auch die starke Anrede an den Satan A Mr. 8, 33. Mt. 16, 23 hinweg, wäh rend er den Petrus durch Stellen, wie 22, UI. 32. 24, 12. 34 besonders ehrt. Auch über die Weglassung von A Mr. 10, 35 = Mt. 20, 20 kön nen sich die zwei dort genannten Apostel wenigstens nicht beklagen.2 Die Voranstellung der Scene in Nazareth ist zwar im universalistischen Interesse geschehen, wie wir sahen , darum aber nicht als ein Hieb auf die ältesten Apostel anzusehen, die allerdings jetzt nicht mehr Veran lassung zu Jesu Niederlassung in Kapernaum werden. 3 Viel entschiedener, als die Relation über die Jünger, fällt für un seren Zweck in's Gewicht die Darstellung der Abendmahlsstiftung 22, 14 — 19. Nach Schwegler soll zwar schon Dies tendenziös sein, dass Jesus vorher das alttestamentliche Passah für abgethan erklärt. 4 Allein jene Worte tragen ganz den Stempel der Aechtheit, und die Unklarheit unsers Berichts erklärt sich aus der Combination der paulinischen und der synoptischen Relation (S. 237 f.). Unnöthig ist demnach auch die 1) Zeller: Apostelgeschichte, S. 450. — 2) Gegen hier nicht erwähnte, zum Theil abenteuerliche Argumente Baur's vgl. Weiss , S. 711 f. — 3) Gegen Volk mar: Religion Jesu, S. 309. 314. — 4) S. 55 f. 396 Fünftes Capitel. Annahme Ewald's, Lucas und Paulus hätten hier Beide das angebliche Evangelium des Philippus benutzt. x Nicht einmal eine Benutzung des Corintherbriefs ist zu statuiren, 2 sondern einfache Abhängigkeit von dem xrjqvyfta IlaiXov, in welchem der Abendmahlsbericht eine fixe Ge stalt angenommen hatte. Aehnlich verhält es sich schliesslich auch mit den Erzählungen des Lucas, in welchen der Auferstandene in Jerusalem erscheint. Die Abhängigkeit des Lucas von Paulus angenommen, erklären hier Lc. 24 und 1. Cor. 15, 1 — 7 sich gegenseitig. Die erste Erscheinung des Auf erstandenen, die den Weibern zu Theil wurde, berichtet Lucas noch nachA, dann aber, wo diese Quelle den Schauplatz der Dinge nach Galiläa verlegt, verlässt Lucas sie gänzlich, um den paulinischen Be richten zu folgen, die sich auf die jerusalemischen Erscheinungen be schränken. Er erzählt daher ausführlich die Geschichte, die Paulus vielleicht 1. Cor. 5, 7 andeutet: wcpdrj 'iaxwßcp. Gemeint wäre dann der jüngere Apostel, der mit seinem Vater, dem Lc. 24, 18 genannten KXeönag (AXcpalog) nach Emmaus ging. Einstweilen aber war, wie Beide bei ihrer Rückkehr erfahren , der Herr erschienen dem Petrus (unter den Synoptikern hat blos Lc. 24, 34 wcpdrj Slfiwvi = 1. Cor. 15,5 wcpdrj Krjtpq), 3 und gleich darauf wurde er von dem ganzen Jün gerkreise gesehen (Lc. 24, 36 = 1. Cor. 15, 5 xoig öwösxa). Mit dieser Erscheinung schliesst Lucas im Evangelium ab, da er später gesprochene Worte Jesu noch anreiht, ohne die verschiedenen Veranlassungen mehr anzugeben. Paulus aber erwähnt noch der Erscheinung, die mehr als fünfhundert Brüdern zu Theil wurde. Diese waren Osterfestgäste in Jerusalem ; die Erscheinung musste also nahe an die bisher genannten sich anschliessen. Hierauf also käme die dem Jakobus 1. Cor. 15, 7 gewordene Erscheinung an die Reihe , falls sie zu dem Gang nach Em maus nicht könnte in Beziehung gesetzt werden. Zuletzt aber ist Jesus auch nach Lucas näaiv xoig änooxöXotg erschienen, wie Paulus schreibt, weil er im Sinne hat, sich nunmehr selbst anzuschliessen, 1. Cor. 15,8. Unter allen Umständen stimmen daher auch in Bezug auf die Aufer stehungsgeschichte Paulus und Lucas näher überein, als je zwei andere der fünf Berichte, die uns über jene Vorgänge vorliegen. Dasselbige Interesse an judäischen Erscheinungen des Auferstande nen lässt sich übrigens auch noch von einer andern Seite her begreifen. Kein Evangelist spricht so viel vom heiligen Geist, als Lucas. Als Er zeugniss des Geistes heisst Jesus Gottes Sohn 1 , 35. Derselbe heilige Geist wäre nach einer freüich zweifelhaften Lesart 11, 2 ein Hauptge- 1) Jahrbücher, II, S. 194 f. — 2) Gegen Hilgenfeld, Bleek: Einleitung, II, S. 283. — 3) Baur: Evangelien, S. 483 f. Dogmatischer Charakter des Lucas. 397 genstand des christlichen Gebets; seine Ertheilung charakterisirt Gott erst als Vater, die Christen als Kinder 11 , 13. Er wird vor jüdischen und heidnischen Behörden das Wort führen 12, 12; ihn lästern ist eine unsühnbare Schuld 12, 10; erst mit der allgemeinen Ertheilung dieses Geistes, der vorher nur aus vereinzelten Propheten redete 1 , 67. 2, 27. 28, beginnt die Stiftung der christlichen Gemeinde 24, 49. Um dann die, in der Apostelgeschichte zu berichtende, Ausgiessung dieses Geistes in Jerusalem vorzubereiten und seiner reichen Entwicklung im Schoos der apostolischen , auch der paulinischen, Gemeinden (deren Vertreter ja beim Pfingstfeste anwesend erscheinen) eine Grundlage zu geben, hat Lucas um so mehr die Erscheinungen des Auferstandenen aus schliesslich nach Judäa verlegt, so dass die in Rede stehenden Differen zen schon von der Seite angesehen paulinischen Charakter tragen. ' Damit sind wir aber auch, was die sicher nachweisbaren paulini schen Elemente betrifft, zu Ende gediehen. Wenn nun weiter auch in der Leidensgeschichte die Feindschaft des Heidenthums in tendenziöser Weise gemildert worden sein soll, 2 so thut doch Lucas, wie es scheint, der Darstellung in A nichts Wesentliches hinzu, als dass von dem Juden Herodes gesagt wird, dass er keine Schuld an Jesu fand 23, 15, 3 und von dem Heiden Pilatus, dass er gegen bessere Ueberzeu gung xöv öid axäoiv xai cpövov ßsßXrjfiivov sig xfjv cpvXaxrjv 23, 25 frei gegeben hat. 4 Wie wenig tendenziös im schlechten Sinne des Worts Lucas in dieser Richtung verfährt, zeigt ja auch sein Bericht über den Hauptmann in Kapernaum, den er in einer, dem Heidenthum weniger günstigen, Form blos desshalb aufnimmt, weil seine mündliche Quelle ihn darbot (S. 220). — Ebensowenig kann von einem antinomistischen Charakter des dritten Evangeliums geredet werden. Wenn bei Matthäus das affirmative Verhältniss Jesu zum Gesetz allerdings sehr prononcirt hervortritt, so geschieht Dies zumeist in Stellen, die er allein hat, und für deren Fehlen in den gemeinsamen Quellen Lucas nicht verantwort lich gemacht werden kann (S. 179). Wo aber A sich anerkennend be züglich des Gesetzes ausspricht, da übergeht Lucas solche Stellen kei neswegs. Verkürzt er- sie auch , wie 16, 16. 1 7 wirklich geschieht , so gibt er doch ihren specifischen Sinn richtig wieder5 — selbst auf die Gefahr hin, missverständlich zu werden (S. 144 f. 156), wie überhaupt 1) De Wette: Einleitung, II, S. 178. — 2) Schwegler (S.49 f.), der »säch sische Anonymus« (S. 187 — 194), Ritschl (Evangelium Marcion's, S. 192 f.), Baur (Evangelien, S.489). — 3) Weiss, S. 710. — 4) Köstlin, S. 210.— 5) Ge gen die Ursprünglichkeit der marcionitischen Lesart tcov Xoycov fiov vgl. Ritschl (Theol. Jahrbücher 1851, S. 351 f.), Köstlin(S. 303 f.), Zeller (Apostelgeschichte, S. 15 f.), Franck (Studien und Kritiken, 1855, S. 311 f.), Volkmar (Religion Jesu, S. 207 ff.), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 475). 398 Fünftes Capitel. fast Alles, was Ritschl auf seinem früheren Standpunkte für den An tin omismus des Lucas geltend gemacht hat,1 durch unsere Resultate über den dogmatischen Charakter der Quellen und das schriftstelleri sche Verhältniss des Lucas zu ihnen, seine volle Erledigung findet. Der Begriff des vöfiog selbst tritt sogar bei Lucas noch öfters, als bei Mat thäus auf; und der Evangelist, bei dem er niemals unter diesem Namen erscheint, ist eben nicht Lucas, sondern Marcus; und so werden auch Stellen, wie Lc. 5, 14. 10, 25—28. 17, 14. 18, 18—20 nicht mehr » eben nur Ausnahmen« zu nennen sein. Ebenfalls mit Unrecht hat man selbst den Prolog hierher gezogen. Zwar wollten noch Eichhorn2 und De Wette3 e silentio einen Be weis gegen die Annahme ziehen, dass das Evangelium des Lucas auf paulinischem Grunde ruhe. Aber Lucas erklärt sich ja überhaupt nicht direct über seine Quellen. 4 Im geraden Gegensatze zu den Genannten riethen die Tübinger auf eine paulinische Tendenz des Prologs, wie selbst Köstlin sie in der, vonLucas in Anspruch genommenen, äocpä- Xsta wittert.5 Baur findet sogar eine Art Versprechen darin, es solle die ganze Darstellung des Urchristenthums , wie Lucas sie geben will, dem conciliatorischen Interesse des zweiten Jahrhunderts dienlich, der ihrem vollen Inhalte nach verwirklichten, also auch den Paulinismus in sich verarbeitenden, Idee des Christenthums angemessen sein6 — - was, abgesehen von allen anderen hineingetragenen Gedanken, auf einer unhaltbaren Exegese des Ausdrucks nXrjqocpoqsladai beruht, wie überhaupt die Wahl zwischen dem Urtheil Baur's, demzufolge das Vorwort erst von der letzten Hand hinzugethan , resp. hinzugedichtet wurde, und demjenigen Ewald's, der vielmehr schlichte Einfalt, Be scheidenheit und Kürze darin findet, 7 nicht schwer sein kann. Es hat daher auch Hilgenfeld unsere Stelle wieder dem Evangelisten zu rückgegeben, freilich nur um darin ein Zeugniss für den bewusst sub jectiven Charakter der ganzen Schrift zu finden, welche nicht sowohl auf das Geschichtliche, als vielmehr auf Sicherung der dogmatischen Ueberzeugung eines paulinischen Christen abzwecke — ein Gedanke, der an sich ebenso richtig, als »bei den Verkehrten verkehrt« sein kann. Wie wenig unbefangen Hilgenfeld solche Verhältnisse aufzufassen vermag, geht recht schlagend aus der klugen Bemerkung hervor, dass Lucas seine Gewährsmänner als »Diener des Worts« bezeichne, damit sie ja nichts voraus hätten vor Paulus, der ja auch ein vnrjqixrjg des sen heisse, was er gesehen habe — nämlich in der, von demselben Lu- 1) Evangelium Marcion's, S. 178 ff. — 2) Einleitung, I, S. 598. — 3) Einleitung, II, S. 207. — 4) Weiss, S. 707. — 5) S. 136. — 6) Evangelien , S. 516 ff. — 7) Jahrbücher, II, S. 182 f. Dogmatischer Charakter des Lucas. 399 cas geschriebenen Stelle Act. 26, 16. x Für ein unbestochenes Urtheil wird aber unsere Vorrede nur als Beweis dienen können für die Unbe fangenheit, womit auch der Paulinismus auf das Leben des historischen Christus, als auf das christliche Urdatum, zurückging und in diesem Lebensbilde die volle Berechtigung für alles Charakteristische in der eigenen Auffassung des Christenthums vorzufinden hoffte. Dieser paulinische Charakter des Evangeliums soll nun freilich ein bedeutendes Gegengewicht finden in anderen, der judaisirenden Tradi tion angehörigen, Elementen. Schwegler,2 Ritschl,3 Zeller4 und Köstlin5 rechnen dahin die, der Sprache und dem Inhalte nach j üdische Vorgeschichte, die Versuchungsgeschichte, ferner alle Sprüche, wodurch irdischer Reichthum verdammt , und die Armen selig gepriesen werden (6, 20—25. 16, 19 — 31), wo das Gebet (11,5 — 13) und andere asketische Dinge (6, 35. 16, 9. 18, 29. 30) empfohlen, oder von einem Gegensatze zwischen aiwv ovxog und aiwv fisXXwv geredet wird. Auch die Verwei sung auf das Gesetz (10, 26), das nicht vergehen wird (16, 17), und die den Jüngern gemachten eschatologischen Aussichten (19, 30) sollen ju daistisch sein. Man erinnere sich auch solcher Aussprüche, die das jüdi sche Volk als zunächst zum Heil berechtigt darstellen, wie 13, 16. 19, 6, an Stellen, die Gesetz und Propheten anerkennen, wie 4, 21. 5, 14. 16, 29—31. 17, 14. 18, 20. 23, 56. 24, 44. Die milde Beurtheilung des Alten 5, 39 gehört vielleicht auch hierher, wiewohl ihre Spitze zu gleich gegen die Zähigkeit gerichtet wird , womit die Judenchristen am Buchstaben hielten.6 Hat man doch auch den »Propheten, mächtig in Wort und That« (24, 19) hierher gezogen. Aber Dies Alles wurde ja zum Theil schon von Baur selbst auf seinen wahren Werth zurückge führt7 und beweist nur wieder, dass im Lucas judenchristHche und hei denchristliche Traditionen friedlich neben einander hergehen, und dass der von Tübinger Seite postulirte schroffe Gegensatz nicht statthatte. Was namentlich bezüglich der sogenannten ebionitischen Elemente des Lucas bemerkt werden wollte, hat keineswegs in irgend welcher Ten denz, sondern in der Objectivität der historischen Verhältnisse selbst seinen Grund.8 Auch kann man z. B. Zeller Recht geben, dass die Vorgeschichte des Lucas nur auf Juden christlichem Boden entstanden sein kann,9 ohne dass man desshalb Ursache hätte, Volkmar direct ent gegenzutreten, der jedes antipaulinische Gepräge in den beiden ersten Capiteln in Abrede stellt. 10 Unseres Erachtens hat schon der »sächsi- 1) Evangelien, S. 155. — 2) Nachapostolisches Zeitalter, II, S. 56—61.— 3) Evan gelium Marcion's, S. 201. — 4) Theologische Jahrbücher,' 1843, S. 69 ff. Apostelge schichte, S. 433—438. — 5) Evangelien, S. 220 ff. — 6) Der »sächsische Ano nymus« (S. 213), Baur (Evangelien, S. 459). — 7) Evangelien, S. 446— 455. — 8) Baur: Evangelien, S. 447. — 9) Apostelgeschichte, S. 433—436. — 10) Theol. Jahrb. 1850, S. 216 f. Evangelium Marcion's, S. 228 ff. Religion Jesu, S. 291 ff. 400 Fünftes Capitel. sehe Anonymus« diesen Doppelcharakter der Vorgeschichte des Lucas auf eine im Ganzen unanfechtbare Weise erwiesen. x Ueberall ist der Rohstoff gut jüdisch; er ist aber so von paulinischem Geiste durchhaucht, dass er in dieser künstlerischen Vollendung die in der That passendste Vorrede bildet zu einem Evangelium, dessen eigen thümlicher unterscheidender Charakter der paulinische ist. Auch sonst ist die Darstellung des Lucas durchaus so, wie wir es von dem univer sal christlichen Geiste eines, unter dem Einflüsse des Paulus stehenden, Schriftstellers erwarten können. Er lässt daher allerdings aus A und A weg, was auf seinem Standpunkte nicht ganz durchsichtig erschien (vgl. S. 390); vieUeicht gehört hierher auch die Weglassung des, der paulinischen Terminologie widerstrebenden, Schlusssatzes Mt. 22, 14. Wie wenig aber Lucas dabei mit schlimmer Absicht! ichkeit zu Werke ging, zeigt eben der Umstand, dass theils aus A (vgl. 6, 20) , theils aus A (vgl. 16, 17) das Anstössigste stehen geblieben ist. Was hilft es, hier marcionitisch zu lesen, und 16, 16 im Gegensatz zu Mt. 11, 13 auszu legen, wenn doch diese Auslegung unsicher, ihr Zielen auf Mt. 11, 13 unmöglich, und jene Textkritik so zweifelhaft, als möglich ist? Was sonst Schwegler geltend gemacht hat, um den doppelten, oder viel mehr halben dogmatischen Standpunkt zu erweisen, darf auf sich be ruhen. 2 Ist es doch wenig einladend, wenn der arme Lazarus bald im Dienst einer ebionitisirenden Richtung erscheinen, bald wieder, ähnlich dem verlorenen Sohn , das Heidenthum repräsentiren , den universaH- stischen Charakter des Lucas darthun helfen, und desshalb die ganze, so einfache Parabel als eine Composition von widersprechenden Phan tasiegebilden dargestellt werden muss. 3 Ueberhaupt aber wird man wohl dem Verfasser des dritten Evan geliums , der seine Quellen sprachlich so wohl zu assimiliren verstand, in sachlicher Beziehung ein allzu grosses Ungeschick zutrauen , wenn man annimmt, derselbe habe Quellen, die in seinem eigenen Bewusstsein als feindliche Mächte auftreten, in ein gutes Einvernehmen zu bringen gesucht durch ein so rein quantitatives Verfahren, dass er nämlich der altern evangelischen Ueberlieferung »paulinische Elemente in überwie gender Anzahl beifügt. « 4 Bis zu welchem Grade von Verwirrung die ganze, an sich so klare, Frage vermöge der einseitigen Anlegung von immer neuen Tendenzkriterien gediehen ist , ersieht man an der letzten Wendung , womit Baur, nachdem er die frühere Unterscheidung von 1) Die Evangelien, ihr Geist u. o. f. S. 228- Vgl. auch Baur: Evangelien, S. 503 ff. — 2) S. 63—65. — 3) Ritschl (Ev. Marcions, S. 182 f.), Zeller (Theol. Jahrb. 1843, S. 83 ff. 626 ff.) , Schwegler (Nachapostolisches Zeitalter, II, S. 59. 65—68), Baur (Evangelien, S. 443 ff.). — 4) Zeller: Apostelgeschichte, S. 439. Zeitliche und örtliche Abfassungsverhältnisse. 40 1 vor- und nachmarcionitischem Lucas aufgegeben, doch wieder zweierlei Paulinismus in unserem Evangelium aufgespürt hat. Die ältere Gestalt desselben sollte nämlich jetzt die persönliche Sache des Paulus gegen die Zwölfe führen ; ein späterer Ueberarbeiter aber , der zugleich Ver fasser der Apostelgeschichte war, setzte noch Stellen wie 4, 16 — 30. 5, 39. 10, 22. 11, 30—32. 49—51. 12, 6. 7. 13, 1—5. 28 — 35. 16, 17. 19, 28—46. 21, 18. 22, 30 hinzu — Partien, deren antithetische Ten denz nicht gegen die Zwölf, sondern nur gegen das Judenthum über haupt gehen soll. l Dieser Urlucas soll dann von dem Verfasser der Apostelgeschichte in kirchlichem, von Marcion in gnostischem Sinne überarbeitet worden sein — eine Vermuthung, die schon von Zell er als durchaus unbegründet erwiesen worden ist. 2 Wir bleiben also bei dem Resultate stehen, dass, wie schon die Re desammlung, das älteste nachweisbare Schriftstück, ohne alle dogmati- sirende Absichtlichkeit, ganz nur im Interesse des grossen Inhalts abge fasst war, 3. so auch noch das letzte umfangreichste Werk der synopti schen Literatur die Tendenz seines Autors nur erkennen lässt, theils in der Ordnung und Auswahl des Stoffs, theils in leichten, äusserlich auf getragenen, Modificationen der Darstellung. Zunächst will jedes Evan gelium Geschichte erzählen. Die dogmatische Etiquette, an der man die Bestimmung der Schriften erkennt, klebt blos oben auf. §. 26. Zeitliche und örtliche Abfassuügsverhältuisse. Vor Allem hat man sich zu erinnern, dass die ganze Frage nach der chronologischen Folge, in welcher die Synoptiker geschrieben haben, ihre volle Bedeutung nur unter vorausgesetzter Richtigkeit der Be nutzungshypothese hat, dagegen viel schwieriger zu beantworten ist, wenn die Evangelisten unabhängig von einander dieselben Quellen be arbeiteten. Indessen lassen sich auch unter Voraussetzung dieses unse res Resultates, wenigstens gewisse Anhaltspunkte gewinnen, die jeden falls für Denjenigen genügen können, der nicht von vornherein zu viel verlangt. Wir fragen zuerst nach dem Terminus ad quem. Denselben so spät, als immer möglich zu setzen, dafür hat Baur eingestandenermaas- sen den einen Hauptgrund : die Ungeschichtlichkeit des Inhalts. 4 Uns scheint im Gegentheil, als ob die Frage über Geschichtlichkeit oder Ungeschichtlichkeit sich erst entscheiden lasse, wenn man die Entfer nung des Berichts vom Factum aus Gründen festgestellt hat, die von 1) Marcusevangelium, S. 223 ff. — 2) Apostelgeschichte, S. 446-452. 3) Weisse: Evangelienfrage, S. 90 f. — 4) Evangelien, S. 530. Holtzmann. 26 402 Fünftes Capitel. jedem Urtheil über die Geschichtlichkeit der Person und des Lebens Jesu unabhängig sind. Die Tübinger Schule weicht diesem Begehren auch nicht aus, son dern stellt eine Reihe solcher Gründe auf, und zwar in erster Linie die späte Bezeugung unserer Evangelien in der Geschichte. Ohne alle Frage steht zwar die allgemeine Annahme unserer Evangelien fest zu den Zeiten des Irenäus, Tertullian, Clemens von Alexandrien. Auch dass schon vor der Blüthezeit der Genannten Tatian und Theophi lus die Evangelien harmonistisch bearbeiteten, dass insonderheit Apol- linaris sich mit den Differenzen der synoptischen und johanneischen Tradition zu thun machte, wird als im Allgemeinen zugestanden be trachtet werden dürfen. Also nur um die eigentliche Mitte des zweiten Jahrhunderts kann es sich hier noch handeln. Hier aber müssen wir wieder absehen von Zeugnissen, die auf ganz andere Schriften sich beziehen, dürfen also die Ueberlieferungen von Papias1 undPantänus(S. 266) nicht für unsern Matthäus in Anspruch nehmen, da sie vielmehr auf A sich beziehen ; selbst für Marcus kommt Jener nicht in Betracht, wenn doch wahrscheinlich ist, dass er nicht vom zweiten Evangelium, sondern von A spricht (S. 370). Die anderen apostolischen Väter aber citiren überhaupt wenig. Zwar finden sich z. B. in dem Briefe des Barnabas2 Stellen, die theils wörtlich, theils dem Gedanken nach dem Text unserer Synoptiker, auch des Lucas, entspre chen ; aber kein eigentliches Citat. Man könnte daher an und für sich diese Anklänge auch aus einer längeren Bildungsgeschichte des synop tischen Textes, aus einer mündlichen Form der Erzählung, die vielleicht auf der Harmonisirung des Matthäus- und Lucas - Textes beruhte , aus dem Vorhandensein ausserkanonischer Evangelien von synoptischem Gepräge oder sonst wie erklären. Ebenfalls sehr schwer ist zu beurtheilen, was uns von Zeugnissen der Häretiker überliefert ist ; denn die Berichte hierüber rühren von Späteren und von Gegnern her. So sollen, nach Tertullian und an deren Kirchenvätern , Marcion und Valentin alle vier Evangelien gekannt haben, 3 was freUich von den Marcioniten und Valentinianern unzweifelhaft ist. Jedenfalls aber bietet Marcion das älteste Zeugniss für Lucas. Die Streitigkeiten, die über Marcion's Evangelium und über die Evangelien des Justin geführt wurden, zu berühren, Hegt uns hier fern. Der ganze Handel ist bekanntlich innerhalb der Tübinger Schule 1) Credner wollte den Papias sogar als Zeugen für das dritte Evangelium ver- werthen (Einleitung, S. 202). — Vgl. dagegen Zeller: Apostelgeschichte, S. 10 f. - 2) Köstlin, S. 121 f. — 3) Literatur bei De Wette: Einleitung, II, S. 135 f. 141 f. Zeitliche und örtliche Abfassungsverhältnisse. 403 durch- und nunmehr auch ausgefochten worden. Es genügt zu bemer ken, dass das Vorhandensein des Lucas vor Marcion von Volkmar,1 Köstlin,2 Hilgenfeld,3 Ritschl4 und Zeller5 nachgewiesen wurde. Noch weniger bedarf die Hypothese, dass Marcion der eigent liche Verfasser des kanonischen Marcus sei,6 einer Widerlegung. An dererseits steht fest, dass Justin den Matthäus und Lucas voraussetzt, weil er einen aus beiden gemischten Text gibt.7 Ueber seine Bekannt schaft mit Marcus aber vgl. S. 372. Sicher ist übrigens, dass unser zweites Evangelium auch in den Clementinischen Homilien be nutzt wird.8 Wenn nun aber ferner Celsus in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts alle Evangelien gekannt hat, 9 wenn sich Wider spruch gegen irgend einen unserer Synoptiker nirgends erhob : so geht" aus diesen Daten hervor, dass dieselbigen um 140 — 150 bereits in kirch lichem Gebrauche waren; und Dies genügt schon an sich, um Ansich ten fern zu halten, wie die frühere B a u r's , derzufolge die Entstehung des Matthäus zwischen 130 und 134 fiele, die des Urlucas circa 140, die des kanonischen Lucas 150. Wir finden daher in der Tübinger Schule eine allgemeine Rückbewegung , bis zuletzt Hilgenfeld die evange lische Literatur in einer Zeit zum Abschluss bringt, wo sie nach Baur erst angefangen hätte. 10 Um die Grenzen einer legitimen Untersuchung nicht zu überschrei ten, lassen wir das, ausserhalb unseres Gesichtskreises liegende, Datum, welches durch das vierte Evangelium bezüglich des Terminus ad quem geboten wird, 1 1 unberücksichtigt und suchen nach Anhaltspunkten in dem synoptischen Text selbst. Es tritt uns hier die viel ventilirte Streit- 1) Theol. Jahrbücher 1850, S. 110 ff. 185 ff. Evangelium Marcion's 1S52. — 2) Evangelien, S. 302 ff. — 3) Evangelien Justin's, S. 391 ff. Theol. Jahrbücher 1S53, S. 192—244. Evangelien, S. 30. — 4) Theol. Jahrbücher 1851, S. 528 ff. — 5) Theol, Jahrbücher 1851, S. 330 ff. Apostelgeschichte, S. 11— 26. — 6) Christianus, S. 37. 40. — 7) Semisch: Denkwürdigkeiten Justin's, S. 142 ff. — Zeller: Apo stelgeschichte, S. 26—49. — 8) Zeller: A. a. O. S. 53 — 59. — Uhlhorn: Homi lien und Recognitionen, S. 120 ff. — 9) De Wette: A. a. O. S. 141. — 10) Zeit schrift für wissenschaftliche Theologie, 1861, S. 179 f. — 11) Es war bekanntlich eine Eigenthümlichkeit Bleek's, das zweite Evangelium als in Abhängigkeit vom vierten stehend zu betrachten; vgl. Beiträge, S. 83. 200 ff. Einleitung, II, S. 289. Er berief sich dabei auf Mr. 6, 37. 39 = Joh. 6, 7, 10. — Mr. 14, 3. 5. 6 = Joh. 12, 3. 5. 7. — Mr. 14, 65 = Joh. 18, 22. — Mr. 15, 9 = Joh. 18/ 39. — Mr. 16, 9 = Joh. 2d, 1. 14. De Wette (Einleitung, II, S. 192) fügte noch bei Mr. 2, 9. 12 = Joh. 5; §. 9, _ Mr. 11, 9 = Joh. 12, 13. Natürlich steht und fällt diese Hypothese ganz mit dem angeblichen Epitomatorcharakter des zweiten Evangeliums. Vgl. da gegen die Ausführungen der Tübinger in den »Theologischen Jahrbüchern,« 1847, S. 1 38 f. und in der »Haller Allgemeinen Literaturzeitung,« 1847 , Nr. 81 f. Als jetzt ziemlich allgemein zugegeben darf daher die Thesis betrachtet werden, dass das vierte Evangelium alle Synoptiker , namentlich aber auch den Marcus, voraussetze. 26* 404 Fünftes Capitel. frage entgegen, ob darin die Zerstörung der Stadt vorausgesetzt werde, oder nicht. Darauf müssen wir wenigstens bezüglich des Matthäus mit einem entschiedenen Nein antworten. Zwar hat Gfrörer gemeint, die Beschränkung der Sage auf Galiläa erkläre sich nur, wenn der Haupt sitz des Judenthums bereits zerstört war; * aber selbst Hilgenfeld hat treffend nachgewiesen, dass in Stellen, wie Mt. 5, 35. 8, 4. 10, 23. 15, 5, 23, 2 ff. das jüdische Volksleben, und 5, 23. 17, 24—27. 23, 16 f. 2 1 auch der Tempelcultus als noch bestehend vorausgesetzt sind ; 2 die Stellen 23, 38. 24, 2. 15 hingegen, die er gleichwohl für eine spätere Abfassung geltend macht, könnten als Beweise, dass der Tempel zur Zeit der Abfassung zerstört war, nur dann gelten, wenn man dem dort Redenden überhaupt jede bestimmte Vorahnung von der Zerstörung der Stadt und von der Auflösung des Staats absprechen will. 3 Zu viel thut aber Hug, wenn er hierher auch die Stelle Mt. 23, 35 = Lc. 1 1, 5 1 zieht und darin eine specielle Weissagung Jesu auf den von Jose phus genannten,4 zur Zeit des jüdischen Krieges umgekommenen, Zacharias bezieht. 5 Auch Andere sind dieser Deutung gefolgt, aber nur, um in jener SteUe um so gewisser ein Oraculum post eventum zu er blicken und sie so gegen die Abfassung des Evangeliums vor 70 zu be nutzen. 6 Aber das grosse Uebergewicht von Gründen spricht dafür, dass sich die SteUe auf 2. Chron. 24 , 20 bezieht, 7 und die einzig ent gegenstehende Schwierigkeit, dass der Vater des dort genannten Zacha - rias nicht Barachias, wie Mt. 23, 35, sondern Jojada hiess, erledigt sich unter Voraussetzung unserer Resultate sehr einfach damit, dass in A Lc. 11, 51 der Vater gar nicht genannt ist. So gut wie daher das Hebräerevangelium den richtigen Namen beifügen konnte, 8 war es auch möglich, dass unser erster Evangelist, den Priester mit dem Propheten verwechselnd (vgl. Sach. 1, 1), auf einen falschen gerieth. 9 In demselben Interesse, die Abfassungszeit zu bestimmen, hat man besonders die eschatologischen Reden des Herrn und die Abwandlun gen , in welchen dieselben bei den verschiedenen Evangelisten erschei nen, genauer untersucht. Nun hängt freilich Alles davon ab, ob Mt. 24, 1 5 ff. wirklich von der Zerstörung Jerusalems durch Titus die Rede ist. 1) Urchristenthum, II, 2, S. 117 f. — 2) Hilgenfeld: Evangelien, S. 65. 73. 91. 100 f. 114. Theologisehe Jahrbücher, 1857, S. 402 f. Zeitschrift für wissenschaft liche Theologie, 1859, S.268.— 3) Gegen Hilgenfeld: Zeitschrift für wissenschaft liche Theologie, 1862, S. 40. — 4) B. J. 4, 6, 4: iv fiiaco tu) hgcp 6iaipSetgovoiv iov ZaxagCav viov tov Bagov/ov (Variante: Bagaaxatov). — 5) Einleitung, H, S. 9 ff. — 6) Eichhorn, Credner, Gfrörer, B. Bauer, Baur: Theol. Jahrbücher, 1851, S. 320 f. — 7) Meyer: Zu Matthäus, S. 426.— 8) Thilo: Codex apocryphus, S, LXIV. — 9) Bleek: Einleitung, II, S. 274 f. Synopsis, II, S. 177 ff. Zeitliche und örtliche Abfassungsverhältnisse. 405 Baur stellt Dies in Abrede,1 weü sich vor diesem Ereignisse weder falsche Messiase, noch bedeutende Völkerkriege, noch versuchungs volle Christen Verfolgungen nachweisen lassen, wogegen dies Alles auf den jüdischen Krieg unter Hadrian passe; die Warnung vor Pseudochristen beziehe sich auf Barchochba, das ßöiXvyfta xfjg iqrjficoaewg auf die Bild säule, die Hadrian auf dem Tempelplatze dem capitolinischen Jupiter errichten liess. Bestechend in dieser Beweisführung ist aber blos der letzterwähnte Punkt; hingegen wird die Vielheit der ipevööxqiaxoi durch die Beziehung auf Barchochba nicht erklärt, abgesehen davon, dass jene als Verführer, nicht als Verfolger erscheinen. Die Völkerkriege, die geweissagt werden, konnten als eingetreten betrachtet werden in den Kriegen im Osten, namentlich in den Dissidien zwischen Rom und Par- thien, die der Christenheit sehr bedeutsam erschienen. Die Thronrevo lutionen in Rom, die Aufstände des Theudas und des Aegypters, Erd beben, wie sie zu Laodicea, Hungerszeiten, wie sie unter Claudius und Nero vorgekommen waren — das AUes konnte mit dazu dienen , schon vor der Zerstörung Jerusalems die Weissagungen Jesu theils zu bestäti gen, theils ihnen die vorliegende bestimmte Form zu verleihen. 2 Ver folgungen aber , wie sie in Aussicht gestellt werden , waren gleichfalls schon vor dem Jahre 70 in Jerusalem und Rom eingetreten. Ferner stand in Aelia Capitolina kein Tempel mehr; es muss daher selbst Baur die Verse Mt. 24, 1 — 3 auf die Zerstörung im Jahr 70 beziehen. Wo aber ist im Texte eine Andeutung von solcher Unterscheidung zweier Epochen? und warum ist das unendlich wichtigere Ereigniss unter Titus nicht von dem Darsteller des Nachspiels unter Hadrian kräftig hervor gehoben worden? und wie hätten unter dieser Voraussetzung unsere Evangelien um die Mitte des zweiten Jahrhunderts schon bekannt sein soUen?3 Wir nehmen daher mit der grossen Mehrzahl von Kritikern4 an, dass Mt. 24 die Zerstörung unter Titus berücksichtigt werde. Die ipev ööxqiaxoi, welche als aus dem Judenthum hervorgegangen dargestellt werden, und nicht minder das ßöiXvyfia xfjg iqrjftwaewg, welches sich auf die Profanation durch die Feinde bezieht,5 zeigen übrigens, dass von einem eigentlichen Vaticinium post eventum gar nicht die Rede sein kann. Denn die antichristliche Doctrin der sechziger und siebziger Jahre bezog sich keineswegs mehr auf das feindliche Judenthum,6 wie 1) Evangelien, S. 605—609. Theologische Jahrbücher, 1851, S. 323. — 2) Köst lin, S. 17 f. 22 ff. — 3) Köstlin (S. 114—117), Meyer (Zu Matthäus, S. 464 f.). — 4) De Wette, Credner, Meyer, Köstlin: S. 117. — 5) Meyer: Zu Mat thäus, S. 443. — 6) Böhmer: Zur Lehre vom Antichrist nach Schneckenburger (Jahrbücher für deutsche Theologie, 1859, S. 405 ff.). 406 Fünftes Capitel. ja auch andererseits wirkliche Pseudomessiase aus demselben zu jener Zeit sich wenigstens nachweisbar nicht erhoben hatten. Das ßöeXvyfia Mt. 24, 15 wäre von einem Verfasser nachträglicher Weissagungen nicht vor die Flucht 1 6 gestellt worden, da in dem Augenblicke , wo die rö mischen Sieger den Tempelplatz verwüsteten, es zu einer Flucht jeden faUs zu spät war. Matthäus hat daher solche Züge, wie sie ihm einmal vorlagen , beibehalten ; und wir können nicht aus dem positiven Inhalt der Rede , sondern blos aus der bestimmteren Färbung derselben , na mentlich aus der Anordnung, in der die einzelnen Momente der über lieferten Weissagung erscheinen, Schlüsse ziehen. Nun lassen sich dieser Momente aber drei unterscheiden in der eschatologischen Rede von A. Einleitend nämlich sind die äqxai wöi- vwv, zu deren Zeiten das Evangelium sich über die bewohnte Erde ver breiten wird. Von diesem Moment heisst es Mr. 1 3, 7 = Mt. 24, 6 äXX' ovnw iaxiv xö xiXog. Zweitens aber wird erwähnt Mr. 13, 14 = Mt. 24, 15 die wirkliche Zerstörung von Stadt und Tempel. Beim Eintritt die ser Ereignisse sollen die Christen die Flucht ergreifen, denn das Straf gericht über Jerusalem wird zugleich die mannigfachsten Drangsale und Verführungen für die Christen mit sich bringen. Dies die Tage der dXlipig, die um der Christen willen abgekürzt werden Mr. 13, 20 = Mt. 24, 22. Darauf aber folgt endlich drittens die Wiederkunft des Messias in Herrlichkeit; und zwar nach Mr. 13, 24 iv ixeivaig xalg fjfiiqaig fiexa xfjv dXlxptv ixsivrjv , nach Mt. 24, 29 evdiwg fiexa xfjv dXlipiv. Nun ist auffallend, dass Lucas noch angelegentlicher, als die an dern, den blos einleitenden Charakter der äqyval wöivwv betont (21, 9 : äX)' ovx sidiwg xö xiXog) und die abschliessende Formel xavxa äqyf wöivwv A Mr. 13, 9 = Mt. 24, 8 weglässt; dass er ferner bei Beschrei bung des zweiten Momentes die allgemeine Noth auf das jüdische Volk beschränkt (23 xq Xacp xovxcp) und die eintreten sollende Verkürzung gar nicht erwähnt, dass er vielmehr — was Wilke grundlos leugnet 1 — zwischen die Zerstörung und die Parusie einen Zeitlauf von längerer Dauer einschiebt ; denn 'IsqovoaXfjfi eaxai naxovftivrj vnö idvwv, axqi ov nXrjqwdcöoiv xaiqoi idvwv 21, 24. Der Uebergang vom zweiten zum dritten Moment ist endlich ein ganz allgemeiner, der auf keine bestimmte Erwartungen hinsichtlich der Zeit schliessen lässt (21, 25 : xai eoovxai arjfisla iv f,Xicp). Aber auch die specielle Beschreibung der Zerstörung 19, 43. 44. 21, 20—24 weist daraufhin, dass dieselbe zur Zeit, da Lu cas schrieb, schon eingetreten war. 2 Und zwar um so sicherer wird sie bereits dahinten Hegen, je unbestimmter die arjfisla des Lucas 21, 10 ff. 1) Urevangelist, S. 266. 368. — 2) Bleek: Synopsis, II, S. 370. Zeitliche und örtliche Abfassungsverhältnisse. 407 25 ff. sind, je offenbarer das Streben des Evangeliums zu Tage tritt, allzu frühen Erwartungen hinsichtlich des Endes zu begegnen (17, 22. 18, 8. 19, 11. 21, 9. 12. Act. 1, 7). Ist doch 6 xaiqog fjyytxe schon zum Schibbolet der Verführer geworden 21,8. Mithin ist Lucas bereits in nerhalb der xaiqol idvwv geschrieben. x Ganz anders steUt sich die Sache bei Matthäus, der » im vollen Ge dränge der die Parusie unmittelbar herbeiführenden Ereignisse«2 ge schrieben hat. Er steht in der letzten Entscheidung des Kriegs darin, wenn auch die Gründe, mit denen Hug Mt. 24 Angesichts der römi schen Legionen geschrieben sein lässt,3 nicht stichhaltig sein mögen und das 6 ävayivwoxwv voeixw 24, 15, weil es aus A ist, nicht für Mat thäus in Betracht kommen darf. 4 Wohl aber hat Matthäus eine Reihe von Zügen aus A Lc. 17, 22 — 37 , welche Rede auf die jüdische Kata strophe keine Beziehung hat, mit der letzteren in Verbindung gebracht und so einen grossen Theü der exegetischen Schwierigkeiten erst durch seine Composition geschaffen.5 Hauptsache aber ist, dass er unmittelbar (eidiwg) auf die Zerstörung Jerusalems und den, damit verbundenen, Culminationspunkt der dXlipig die Parusie folgen lässt. Mit jenem si diwg findet sich Kös tlin viel zu schnell ab, wenn er meint, die pseu- domessianischen Umtriebe, deren zwischen der Zerstörung und der Pa rusie Erwähnung gethan wird, setzten eine ziemliche Zwischenzeit vor aus. 6 Aber die Einschiebung dieses zweiten Momentes war durch den Charakter der Quelle gegeben, und gerade mit seinem sidiwg will Mat thäus einer Vorstellung wehren, welche das Nebeneinander der be schreibenden Darstellung als ein Nacheinander der chronologischen Aufzählung betrachten könnte. Matthäus schrieb also unmittelbar vor der Katastrophe,7 selbst dann, wenn die Differenz dieser Texte mit Wilke nur auf Rechnung des, den Ausdruck glättenden, Bearbeiters von A zu setzen wäre. 8 Das Evangelium ist ungefähr gleichzeitig mit der Apokalypse entstanden, an deren Vorstellungen es auch 23, 30. 31 streift. 9 Es mögen vielleicht zwischen der Auffassung des Matthäus und der des Lucas nur wenige Jahre in der Mitte liegen, jedenfalls aber 1) So Credner (Einleitung, S. 159. 207), De Wette (Einleitung, II, S. 208), Bleek (Beiträge, S. 53. Einleitung, II, S. 275), Reuss (Geschichte, S. 183. 196), Köstlin (S. 286 ff.), G ü der (Herz og's Encyklopädie, VIII, S. 552), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 222), Ewald (Jahrbücher III, S. 142 f.), Lekebusch (Com position der Apostelgeschichte, S. 413 ff), Tobler (Evangelienfrage, S. 29). — 2) Baur: Theol. Jahrb. 1851, S. 323. — 3) II, S. 11 ff. — 4) Gegen Bleek: Ein leitung, II, S. 274. Synopsis, II, S. 368 f. — 5) Bleek: Synopsis, II, S. 358 f. — 6) S. 113 f. Vgl. jedoch S. 383. — 7) Bleek: Beitrage, S. 63 f. Einleitung, II, S. 273 f. — 8) Urevangelist, S. 443. — 9) Hitzig: Joh. Marcus, S. 141 f. 408 Fünftes Capitel. erklärt sich die Differenz aus der einfallenden Zerstörung. Zweifelhaf ter kann man sein hinsichtlich des Marcus, den Meyer1 vor, Weisse nach der Katastrophe entstanden sein lässt. 2 Es ist hier natürlich zu unterscheiden zwischen dem Urmarcus (A) und unserem zweiten Evangelium. Jene Schrift ist jedenfalls vor der Zerstörung geschrieben, wie schon aus dem über Matthäus Gesagten hervorgeht. Um so mehr also haben wir wirkliche Weissagungen Jesu, die niedergeschrieben wurden, noch ehe die Erfüllung eingetreten war. Während aber bei Matthäus die Wiederkunft sidiwg hinter die dXliptg tritt, verknüpft Marcus das zweite mit dem dritten Moment in allge meinerer, weniger unmittelbarer Weise : dXXd iv ixsivatg xalg fjfiiqaig fisxd xrjv dXlxptv ixsivrjv. Da nun in A die Uebergänge sich gewöhnlich mit svdiwg bilden (S. 285), scheint Marcus hier geändert zu haben, was noch Matthäus unbefangen stehen lassen konnte. 3 Sollten sonst auch keine Züge mehr vorkommen , die irgendwie darauf hindeuten, dass die Thatsache schon eingetreten war, so erklärt sich Dies aus der, auch von Köstlin bemerkten,4 besondern Genauigkeit, mit der sich Marcus hier an seine Quelle hält. Immerhin aber liegt es nahe, auch aus dem ixoXö- ßwasvMr. 13,woMt. 22 das wahrscheinlich ursprünglichere xoXoßw- drjaovxai hat, einen ähnlichen Schluss auf einen späteren Standpunkt zu machen. 5 Ganz dasselbe Verhältniss macht sich nun aber auch in den übrigen SteUen geltend, wo die Synoptiker von der Parusie sprechen. Nament lich stimmen sie alle darin überein, dass fj ysvsd avxrj nicht vergehen werde, bis jenes Alles geschehen, der ganze Verlauf der Endschicksale durch seine drei Stadien sich vollzogen haben werde (Mr. 13, 30. Mt. 24, 34. Lc. 21, 32). Nun heisst aber ysvsd weder jüdische Nation, noch sonst etwas Anderes, als Generation (Mr. 8, 12. 13. Mt. 11, 16. 12, 41. 42. 45. 23, 36. Lc. 7, 31. 11, 29—32. 50. 51). Auch umfasst der Begriff nicht etwa einen längeren Zeitraum von 100 — 120 Jahren,6 son dern bedeutet die Zeitgenossen, und zwar zunächst nicht etwa die Zeit genossen der Zerstörung oder gar einer, auch für uns noch in der Zu kunft bevorstehenden, » letzten Trübsal, « 7 auch nicht die der Quelle A, oder des Matthäus, Marcus, Lucas, sondern einzig und allein Jesu selbst.8 1) Zu Marcus und Lucas, S. 8. — 2) Evangelienfrage, S. 169 f. — 3) Hilgen feld: Evangelien, S. 142 f. — 4) S. 384. — 5) Bleek: Synopsis, II, S. 371 f. — 6) Gegen Baur (Theol. Jahrbücher, 1849, S. 316 f. 348 f.), Zeller (Theol. Jahr bücher, 1852, S. 299 f., Apostelgeschichte, S. 467), Hilgenfeld (Evangelien Ju stin's, S. 367 f.). — 7) Gegen Crem er: Die eschatologische Rede Jesu Christi, S. 125 f. — Auch Auberlen findet Dies zu stark: Theologische Studien und Kriti ken, 1862, S. 216. — 8) Vgl. Meyer: Zu Matthäus, S.456. 465. Zu Marcus, S. 171. Zeitliche und örtliche Abfassungsverhältnisse. 409 Die Mehrzahl dieser Zeitgenossen war nun aber im Jahr 70 wohl schon gestorben, und die Parusie hat Keiner erlebt. Dieselbe Schwierigkeit kehrt wieder an der Stelle von A, wo der Herr geradezu Einige der bei ihm Stehenden als Zeugen der Parusie zum voraus aufruft. Die Zähigkeit der mehrfachen Ueberlieferung weist daraufhin, dass Jesus wirklich etwas gesprochen haben muss, was so lautete oder solcher Deutung fähig war. Aber gerade die Abweichun gen, unter welchen jene Stelle bei den einzelnen Synoptikern zum Vor schein kommt (Mr. 9, 1 = Mt. 16, 28 = Lc. 9, 27), geben uns den richtigen Schlüssel für die Auffassung dieser Dinge an die Hand. Es war vom Kommen in der Herrlichkeit des Vaters mit den Engeln die Rede. Der Herr fährt fort : äfifjv Xiyw vftlv oxi siaiv xivsg wöe xwv saxrjxoxav o'ixivsg ov fir) ysiawvxai davdxov l'wg «V 'iöwatv Matthäus Marcus Lucas xöv vlöv xov ävdqwnov xrjv ßaoiXsiav xov xrjv ßaaiXsiav xov iqxöfievov iv xfj ßaai- d-sov iXrjXvdvlav iv dsov. Xsiq aixov övväfisi Wir haben hier eine dreifache Wendung, die ganz dem dreifachen Sinne entspricht, in welchem Jesus, auch anderen Stellen zufolge, von seiner Wiederkunft redete. Im eigentlichen Sinne von der Wiederkunft zum Endgericht, also von der eschatologischen Parusie, handelt z. B. die Rede A Lc. 17, 24. Davon zu unterscheiden ist aber die historische Parusie, bestehend aus einer Reihe evidenter geschichtlicher Machttha- ten, in denen er sich als erhöhten Messias beweisen will. Dass er in solchen geschichtlichen Ofienbarungen seiner Herrschaft sein Kommen, gleichsam die fortschreitende Erfüllung von Mt. 28, 30, erkannt haben will, beweist klar Mt. 26, 64. 1 Welches nun auch im Einzelnen die geschichtlich nachweisbaren Momente dieses Kommens sein mögen, immerhin ist gewiss, dass Jesus, als bald nach seinem sinnlichen Ab sterben eintretend, ein Ereigniss bevorstehen sah, welches für den Kreis seiner Jünger und für das ganze menschliche Geschlecht als nach weisbarer, energischer Anfang zur Verwirklichung des Gottesreiches gelten könne. 2 Wie daher alle stoss weisen Fortsetzungen dieses An fangs , so musste das Eintreten dieses Anfangs selbst vor Allem unter den Gesichtspunkt der Parusie fallen, und so berichtet wenigstens das vierte Evangelium von einem geistigen Kommen, von einer, in der Sendung des Parakleten erfolgten, Parusie. 3 Während nun jene oben I) Vgl. hierzu De Wette, Meyer, Neander: Leben Jesu, S. 739. — 2) Weisse: Evangelienfrage, S. 233. — 3) Calvin, Lücke, Tholuck, Ols hausen, Baumgar ten-Crusius, Fromann, Köstlin, Reuss, Maier, Meyer: Zu Johannes, 1862, S. 444 f. 410 Fünftes Capitel. berührte Stelle aus A bei Matthäus noch offenbar im Sinne der escha tologischen Parusie gemeint ist, nimmt sie bei Marcus ein Gepräge an, das so deutlich als möglich eine historische Auslegung fordert, bis end lich Lucas blos bei dem Reich Gottes stehen bleibt, das aber bei ihm dynamisch und innerlich gefasst ist (17, 20 nach beiden möglichen Auslegungen), so dass also er sich der johanneischen Auffassung nähert ; x daher auch Lc. 22, 69 der Herr nicht mehr von einem Kommen auf den Wolken (A Mr. 14, 62 = Mt. 26, 64), sondern blos vom Sitzen zur Rechten spricht. Dies Resultat weist aber wieder darauf hin, dass Mat thäus, welcher auch allein das bezeichnende Wort von den Städten Ju das 10, 23 hat, vor, die beiden anderen Evangelien nach der Zerstö rung Jerusalems geschrieben wurden. Es zeigt sich aber auch, dass die Reden Jesu von seiner Parusie in verschiedenartigen und divergirenden Beziehungen aufgefasst wurden. Um so näher liegt es, das Wort Mr. 1 3, 30 = Mt. 24, 34 = Lc. 21, 32 insofern auf ein Missverständniss zu rückzuführen, als es nicht in eschatologischer Weise gemeint sein konnte. So sicher die Apostel sich hinsichtlich der Parusie längere Zeit allzu glühenden Erwartungen hingegeben haben, so wenig wahrschein lich ist Solches bei dem Herrn selbst (vgl. Mt. 22, 1 — 14. 25, 19), zu mal er sich principiell gegen die Bestimmung von Zeit oder Stunde aus spricht, und überdies das wirkliche Verhältniss, in welchem seine Wie derkunftsweissagungen zu seinen Auferstehungsreden stehen, noch lange nicht zu vollständiger Klarheit gebracht ist. 2 Beides läuft auf jeden Fall zurück auf ein sicheres Vorgefühl des Hinausreichens auch seiner persönlichen Thätigkeit über die Schranken seines irdischen Wirkens; weil nun aber in dieser, nach dem Tode erst recht beginnenden, welthi storischen Wirksamkeit Christi die Zerstörung Jerusalems ein Haupt moment, ein epochemachendes Ereigniss bildete, konnte man, wenn Jesus diese Katastrophe noch in die Lebenszeit seiner Generation ge stellt hatte, auch die eschatologische Parusie gleich dahinter erwarten.3 Wenn nun aber alle Synoptiker die Erfüllung der ganzen Weissa gung Jesu nach dem Vorgange von A in die Lebzeiten dieser ysvsä ver legen, so dürfen wir jedenfalls auch nicht sehr lange nach 70, höchstens 5 bis 10 Jahre später,4 den Terminus ad quem festsetzen. Namentlich ist Lc. 17, 20 f. 21, 34 f. die Wiederkunft keineswegs in ganz unbe stimmte Ferne zurückgeschoben (vgl. vielmehr 21, 32), wie denn auch Lucas überhaupt noch sehr eifrig ist in seinen Ermahnungen zur Wach- 1) Aehnlich Bleek (Synopsis, II, S. 359 f.), Weisse (Evangelienfrage, S. 231 ff. 237 ff.). — 2) Schleiermacher (Der christliche Glaube, Aufl. 2. II, S. 527), Weisse {Evangelische Geschichte, II, S. 315 f.). — 3) Vgl. Bleek: Synopsis, I, S. 432. — 4) Ewald: Jahrbücher, III, S. 144. Zeitliche und örtliche Abfassungsverhältnisse. 4 [ J samkeit (12, 35ff. 21, 34ff); und dem Bilde der von jüdischer Seite aus gehenden Verfolgungen (6, 22. 23) werden aus späteren Verhältnissen nur eben so viel Farben zugethan, als die Lebenserfahrungen des Lucas mit sich brachten (S. 236), ohne dass man desshalb, weil auch das zweite Buch des Lucas nur bis in's Jahr 63 führt, vor die Neronische Verfol gung zurückzugehen braucht. x Dies Letztere wird sogar durch 21, 13 ausgeschlossen, womit Lucas auf die Neronische Verfolgung und den Tod des Paulus hindeutet. Nur Processe, wie sie unter Trajan vorka men, sind dem Verfasser noch fremd, sowie auch von dem späteren Wiederaufbau Jerusalems 21, 24 oder von dem Aufstand unter Trajan und Hadrian keine Spur sich findet. Vielmehr war die Erinnerung an die Zerstörung unter Titus und an die traurige Lage, in welche das jü dische Volk durch die Auflösung seiner nationalen Existenz gerieth, offenbar noch sehr lebendig (19, 43. 44). Aus diesen Gründen ist schon Zell er mit der Abfassungszeit des Lucas auf 130 oder noch weiter hinaufgegangen2 und haben Köstlin,3 Hilgenfeld4 und Volk mar5 sich veranlasst 'gesehen, unseren Lucas circa 100 — 110 entstan den sein zu lassen. Am sichersten aber werden wir in der zur Abfas sung des Lucas frei bleibenden Zeit 70 — 100 auf die früheren Jahre unser Augenmerk richten, wie auch dem »sächsischen Anonymus« zwischen der Abfassung von A und Lucas höchstens vier Jahrzehnte in der Mitte zu liegen scheinen. G Dies führt uns auf unseren Terminus a quo, der mit dem Entstehen der mündlichen Sage gegeben ist. Diese musste längere Zeit fortge pflanzt worden sein, ehe sie die Form von A annehmen konnte. Denn es lag in der Natur der Sache, dass dergleichen schriftliche Darstellun gen erst in einer Zeit entstehen konnten, die dem Factum ferner lag, wie denn selbst in der frühesten Bearbeitung von A Ausdrücke, wie swg xfjg ofjfisqov Mt. 27, 8. 28, 15, slwdsi Mt. 27, 15 auf einen ansehn lichen Zwischenraum hinweisen.7 Eine Erhaltung der Kunde von Christus für die Zukunft auf literarischem Wege konnte erst dann ein rechter Gegenstand der Sorge für die Christenheit werden , als dieselbe überhaupt anfing, an eine irdische Zukunft zu glauben, d. h. als die Verbreitung unter den Heiden in grossartigerem Maassstab betrieben wurde, und als die Auflösung des jüdischen Staates sich als ein, die ganze Entwicklungsreihe noch keineswegs abschliessendes , Moment zu erweisen anfing. Daher die Entstehung unserer synoptischen Literatur 1) GegenEbrard, Guericke, Thiersch: Kirche im apostolischen Zeitalter, S. 158. — 2) Theol. Jahrbücher, 1848, S. 573. Apostelgeschichte, S. 470. 488. — 3) S. 288 f. — 4) Evangelien, S. 224 f. — 5) Religion Jesu, S. 331. — 6) Send schreiben an Baur, 1848, S. 34. — 7) Bleek: Einleitung, II, S. 273. 412 Fünftes Capitel. circa 70. Aber auch zur Zeit der Abfassung von A muss wenigstens das eine beider Momente, die Entwicklung der Christenheit auf heidni schem Boden, schon begonnen haben, da sie in A vorausgesetzt wird (Mr. 13, 10. 14, 9). Hitzig trägt daher kein Bedenken, seinen Mar cus, d. h. bei uns die Quelle A, als bereits im Jahre 57 vorhanden zu betrachten, wofür ihm die Hypothese, dass 2. Cor. 8, 18. 19 auf Jo hannes Marcus ziele , einen Anhalt bietet. x Die andere Quelle A wäre nach Plitt sogar schon in den Jahren 50 — 52,2 nach Köstlin wenig stens circa 60 — 65 entstanden.3 Wie aber ihm4und Weisse,5 so scheint allerdings auch uns eine Bekanntschaft des Apostels Paulus mit schrift lichen Urkunden schwerlich nachgewiesen werden zu können ; und so lassen wir denn beide Quellen in der späteren, vielleicht schon römi schen, Periode der paulinischen Wirksamkeit entstehen. Doch mag eher A, als A das erstgeschriebene Schriftstück darstellen. Unser Resultat, wornach die Zeit zwischen 60 und SO sowohl die QueUen, als auch die synoptischen Evangelien producirt hat, steht in der innigsten Beziehung mit unseren Aufstellungen hinsichtlich des Verwandtschaftsverhältnisses und kann natürlich da, wo über das Letz tere falsche Voraussetzungen herrschen, keine Geltung erlangen. Wenn beispielsweise Zell er den Matthäus nach 70 setzen will, weil er die Parusie nicht unmittelbar an die Zerstörung, sondern an den Zustand der Verwüstung 24, 15 anknüpfe;6 wenn Köstlin den Matthäus zwi schen 70 und 80, seine katholische Verarbeitung zwischen 90 und 100, kurz vor derselben aber den Lucas, kurz nachher unseren Marcus ent standen sein lässt;7 wenn nach Hilgenfeld zuerst Matthäus, Marcus gegen Ende des ersten, Lucas zu Anfang des zweiten Jahrhunderts ge schrieben haben sollen;8 wenn Volkmar den Marcus circa 80, den Lucas circa 100, den jetzigen Matthäus circa 110 setzt:9 so sind Dies offenbar lauter Hypothesen, die vor Allem mit unrichtigen Ansichten über die Priorität und Composition des Matthäus zusammenhängen, ge wöhnlich aber auch mit Annahme eines epitomatorischen Charakters des Marcus und mit Voraussetzung von allerhand früheren Gestaltungen des synoptischen Stoffes , welche sich doch als ebenso überflüssig, wie unnachweisbar erwiesen haben. Aber auch wo die wesentlichsten Grundzüge unserer Auffassung anerkannt werden, finden sich manche Aufstellungen, die durch die Resultate unserer Quellenkritik ausge schlossen werden. So steht, wenn Meyer den Marcus vor 70 geschrie- 1) Joh. Marcus, S. 167 — 173. — 2) De compositione evangeliorum , S. 5. — 3) S. 52. 57. — 4) S. 96 f. 391 f. — 5) Evangelische Geschichte, I, S. 22 ff. — 6) Apo stelgeschichte , S. 470. — 7) S. 119. 131. — 8) Evangelien, S. 148. 224 f. — 9) Re ligion Jesu, S. 202 ff. 357 ff. Zeitliche und örtliche Abfassungsverhältnisse. 413 ben werden lässt, blos weil er ja zu den Quellen des ebenfalls vor 7,0 geschriebenen Matthäus gehöre, x offenbar die mangelnde Unterschei dung von A und Marcus einer richtigen Zeitbestimmung des Letzteren hemmend im Weg. Ebensowenig sind wir auf irgend einem Punkte unserer Untersu chung auf Wahrnehmungen gestossen, die uns mit der, besonders von Hilgenfeld2 und von Bun sen3 aufgestellten Behauptung befreun den könnten : dass das erste kanonische Evangelium noch längere Zeit in ziemlich verschiedenen Recensionen bestanden -haben und erst nach Justin seinen Abschluss gefunden haben soll. Als einen solchen meta morphosenreichen evangelischen Proteus, der schneeballenartig sich bald verdichtet, bald abschmilzt, hatte schon Lessing sein, endlich in dem Matthäus sich krystallisirendes, Hebräerevangelium hingestellt. 4 Hilgenfeld beruft sich insonderheit auf die, von Matthäus abwei chende, Form, in welcher Justin den Vorgang bei der Taufe darstellt. So nahe ihm bei seiner Tendenz auf Erweisung der äussern Legitima tion Jesu auch die Darstellung des Matthäus gelegen habe, so habe er doch nur eine solche Form der Taufgeschichte gekannt, nach welcher Ps. 2, 7 den Inhalt der Himmelsstimme gebildet habe. 5 Aber abgesehen von der eingehenden Widerlegung, die Weisse diesen Behauptungen angedeihen liess, 6 findet sich jene Darstellung mit der Psalmstelle an erkannter Maassen auch bei einer ganzen Reihe viel späterer Schriftstel ler, von denen Hilgenfeld nicht wird behaupten wollen, dass sie un seren Matthäus noch nicht gekannt; sie beruht auf einer sehr alten, selbstständig neben unserer synoptischen Form hergehenden und darum erst später als apokryphisch notirten, Ueberlieferung; wie ja Hilgen feld auch selbst die Möglichkeit zugibt, «dass Justin sich hier blos an sein ausserkanonisches Lieblingsevangelium hielt, ohne den Matthäus zu beachten.«7 Ebenso steht es auch mit Mt. 19, 16. 17, welche Re daction der Rede Jesu, verglichen mit Mr. 9, 17. 18 = Lc. 18, 18. 19 so offenbar secundärer Natur ist, dass Hilgenfeld auch hier eine andere ursprünglichere Form der Stelle unserm Text vorangehen lässt, die er bei Justin, den Markosiern und in den Clementinen findet;8 dem Bestreben, die Stelle für die Gnostiker unbrauchbar zu machen, soll die Textform bei Marcus = Lucas entstammen , die sich aber doch gleich- 1) Zu Marcus und Lucas, S. 8. — 2) Evangelien, S. 117 ff. — 3) Bibelwerk, I, S. XLII, CXIV. — Vgl. auch Christianus: Der Ursprung der Evangelien, S. 11. — 4) Theologische Schriften, III, S. 7 ff. — 5) Evangelien, S. 57 f. Theologi sche Jahrbücher, 1857, S. 410 ff. — Ritschl: Theologische Jahrbücher , 1851, S. 498. — 6) Evangelienfrage, S. 191 f. — 7) Evangelien, S. 58. — 8) Evangelien Justin's, S.220f. 362.426. Theolog. Jahrbücher, 1853, S. 207. 235 f. 1857, S. 415 f. - Volkmar: Evangelium Marcion's, S. 86 ff. 198 ff. 4 1 4 Fünftes Capitel. falls schon bei Justin findet, so dass mit Sicherheit nur dies Eine zu schliessen ist, dass beide Formen schon früh vorkamen und in freien Citaten, wie solche auch das von Justin benutzte, ausserkanonische Evangelium enthielt, erweitert oder verschmolzen wurden. Schliesslich befinden wir uns mit unseren, die Abfassungszeit der Synoptiker belangenden, Resultaten in überraschender Harmonie mit den Angaben, welche in dieser Beziehung die kirchliche Tradition lie fert. Darin ist nämlich diese einig, dass sie dem Matthäus den ersten Platz rücksichtlich der Zeitfolge einräumt, x worauf ja auch wir — trotz der grösseren Ursprünglichkeit der Marcus - Relation — uns gewiesen sahen. Wenn aber das erste Evangelium nach Euseb geschrieben wurde, als sein Verfasser eben Palästina verlassen wollte,2 nach Ire näus, während Paulus und Petrus zu Rom predigten, 3 was auf die sechziger Jahre führen würde (später wurde das Werk sogar in die vier ziger Jahre herabgerückt4) : so sind dies zwar lauter Angaben, die schon dadurch an Gewicht verlieren, dass man, wenn die Väter von Matthäus reden, nie gewiss weiss, über welches Buch sie Traditionen mittheilen;5 indessen würde die Nachricht des Euseb recht wohl aufA, die des Irenäus auf A sowohl, wie auf das erste Evangelium selbst passen (S. 412). Noch weniger handhablich sind die Zeugnisse über die Ab fassung des Marcus, mögen sie nun auf die Lebzeiten des Petrus, oder auf eine Zeit nach seinem Tode lauten (S. 367 f.), denn sie setzen alle die Richtigkeit jener Beziehungen voraus, die man zwischen dem zwei ten Evangelium und dem Apostel Petrus statuirt hat; und auch hier bleibt immer zweifelhaft, ob die Väter auf jenes Evangelium oder auf die Quelle A zielen. Indessen hat sich auch für uns die zu Grunde lie gende Ansicht bestätigt , wornach die Zeit der Entstehung sowohl der Quelle, als des Marcus ungefähr mit den letzten Lebzeiten des Petrus zusammenfällt, jedenfalls nicht allzulange nachher zu setzen ist (S. 373. 408). Das Zeugniss des Irenäus endlich, wornach Lucas erst nach dem Tode des Paulus und Petrus geschrieben hat,6 ist freilich ein sehr ungefähres, aber in dieser seiner Allgemeinheit jedenfalls richtig. Es zeigt sich also, dass wir im vollen Einklänge mit dem Kerne der Tradi tion stehen, der darin gefunden werden kann, dass unsere Evangelien in den sechziger und siebziger Jahren geschrieben wurden, und zwar in der Ordnung, in der sie im Kanon stehen. Ist nun dem so , so kann aber auch Matthäus recht wohl im Ost jordanland geschrieben worden sein (Pella war ja das christliche Asyl 1) Clemens (bei Euseb: K. G. 6, 14), Origenes (bei Euseb : K. G. 6, 25), Epiphanius (Haer. 51, 4), Hieronymus (De vir. ill. 3). — 2) K. G. 3 , 24. — 3) 3,4. 2. Vgl. Euseb: K. G. 5, 8. — 4) Vgl. Meyer: Zu Matthäus, S. 22. — 5) Gegen Meyer: Zu Matthäus, S. 21. — 6) Haer. 3, 1. Zeitliche und örtliche Abfassungsverhältnisse. 415 im Juden krieg), wofür mit Delitzsch1 und K östlin2 auch der Um stand geltend zu machen wäre, dass sich die, aus A Mr. 10, 1 über geschriebene und charakteristisch alterirte, SteUe Mt. 19, 1 am einfach sten erklärt, wenn der Standpunkt des Schreibers ein jenseitiger war. Ebenso leicht versteht sich unter diesen Voraussetzungen der Umstand, dass dem Verfasser eine grosse Zahl von Anekdoten aus Galiläa und my thische Traditionen jerusalemischer Ereignisse, womit er die Erzählung von A ausschmückt, zu Gebote gestanden haben müssen. Dadurch wird aber nur wieder bestätigt, was aus anderen Gründen schon S. 383 f. er hellte, und worauf auch die ganze alte Tradition hinweist, dass der Verfasser unseres ersten Evangeliums auf einen nicht blos jüdischen Leserkreis überhaupt rechnete, sondern auf einen speciell palästinensi schen, respective syrischen, wie er denn auch selbst wohl Palästinenser war, daher aus dem Urtext citirt (S. 259). Dagegen kann der Gebrauch der griechischen Sprache nichts ausmachen ; denn erst später , als die syrischen Judenchristen zu einer vereinsamten Secte herabgesunken waren, bedurften sie einer syrischen Evangelienschrift, und so entstand aus einer Verarbeitung des Matthäus das sogenannte Hebräerevange lium.3 Zumal aber, wenn die dem ersten Evangelisten zu Gebot stehende Hauptquelle bereits griechisch abgefasst war, konnte Matthäus um so weniger Veranlassung finden, seine Schrift hebräisch zu verfassen und ihr dadurch schon eine minder weite Verbreitung zu versprechen , als die war, welche die Quellen gefunden hatten. 4 Am leichtesten lässt sich der Abfassungsort des zweiten Evange liums bestimmen. Denn wie überhaupt die Tradition , die das zweite Evangelium auf Petrus zurückführt, damit auch auf Rom weist (S. 368), so wird dieser Abfassungsort auch von Irenäus,5 Clemens von Alexandrien,6 Eusebius,7 Epiphanius,8 Hieronymus9 voraus gesetzt; und nur ganz vereinzelt steht eine, mit der S. 367 berichteten Sage zusammenhängende, Nachricht, die auf Alexandrien führt. 10 Nach Rom weisen aber auch innere Data, wie wenn Simon von Kyrene 15, 21 als Vater des, den Römern bekannten, Rufus (Rom. 16, 13) näher be stimmt wird. Namentlich aber stimmt damit Alles, was sich in sprach licher Beziehung geltend machen lässt. Denn dass Marcus jedenfalls für Nicht- Palästinenser schrieb, geht daraus hervor, dass er aramäische Wörter, die er aus A anführt, immer erklärt (3, 17. 5, 41. 7, 11. 34. 9, 43. 10, 46. 14, 36). Nur zweimal fanden sich solche Erklärungen 1) Zeitschrift für lutherische Theologie, 1850, S. 493 f. — 2) S. 35. 112 f. — 3) Credner (A. a. O. S. 405), Köstlin (S. 45). — 4) Köstlin, S. 112. — 5) 3, 1. Bei Euseb. : K. G. 5, 8. — 6) Bei Euseb. ; K. G. 6, 14. — 7) K. G. 2, 15. — 8) Haeres. 51, 6. — 9) De vir. ill. 8, — 10) Chrysostomus: Hom. in Mt. 1, §. 3. 416 Fünftes Capitel. auch in A (Mr. 15, 22 = Mt. 27, 33 = Lc. 23, 35. Mr, 15, 34 = Mt. 27, 46). Die Stelle Mr. 3, 22 aber gehört gar nicht hierher. Dass die Leser des zweiten Evangeliums mit jüdischen Sitten unbekannt waren, zeigen die erläuternden Zusätze 7, 2 — 4. 10, 12. 12, 18. 42. 14, 12. 15, 6. 42. 16, 4. Bezeichnend genug ist es, dass der, sonst im N. T. so häufige, aber doch nur für judenchristliche Ohren recht ver ständlich klingende, Name vöfiog im Marcus ganz vermieden ist. Das Evangelium setzt also Leser voraus, denen das Fremdartige des jüdi schen Colorits erst erklärt werden musste. Dass es geradezu Lateiner waren, beweisen die Latinismen. Zwar fanden sich solche auch schon in A (S. 350), und so darf man für Marcus] allerdings nicht anfüh ren Wörter, wie örjväqtov = denarius, xfjvaog = census, xoöqävxrjg = quadrans, Xsyswv = legio, nqaixwqiov = praetorium, cpqayeXXovv = fiagellare, die auch bei Matthäus oder Lucas vorkommen. Wohl aber gehört es zu den Eigenthümlichkeiten des zweiten Evangelisten , statt sxaxövxaqxog (Mt. 27, 54 = Lc. 23, 47) zu sagen xevxvqiwv (15, 39. 44. 45), statt xXivrj zu sagen xqäßßaxog (1 , 4. 9. 11. 12. 6, 55), Aus drücke zu gebrauchen, wie gsaxrjg = sextarius (7, 4. 8), ansxovXdxaq (6, 27), xö ixavöv noifjaai = satisfacere (15, 15), iaxäxwg e'xsiv = in extremis esse (5, 23), avfißovXtov ötöövai= consilium dare (3, 6). Es soll daher das Evangelium auch nach De Wette,1 Guericke,2 Tho luck,3 Gieseler,4 Hug,5 Meyer,6 Bleek,7 Schwegler,8 dem »sächsischen Anonymus,«9 Hilgenfeld,10 Köstlin,11 Ewald12 in Rom seine Entstehung gefunden haben. Ebendahin weist aber auch das dritte Evangelium. Im Unterschied zu den andern nennt Lucas seinen Leser. Es ist der xqäxtaxog Qsö- cpiXog (1, 3), dem Lucas durch seine Schrift historische äacpäXiia über die evangelische Geschichte verschaffen will. Diesen Titel führten nun u.A. Magistrate, Oberpriester, vornehme Leute (Act. 23, 26. 24, 3. 26, 25). Man hat keine Ursache, den Angeredeten für den abgesetzten Hohepriester Theophilus,13 noch für den Athener,14 noch ^für einen Antiochener, 15 noch endlich mit Epiphanius für eine fingirte Person zu halten. lfi Am besten wird man in ihm einen Proselyten (daher sein Interesse für die christliche Urgeschichte, sein » Unterricht «) erblicken 1T 1) Einleitung, II, S. 206. — 2) Einleitung, Ausg. 1 , S. 259 f. — 3) Glaubwür digkeit, S. 258. — 4) Versuch, S. 124. — 5) Einleitung, II, S. 48. — 6) Zu Marcus und Lucas, S. 9. — 7) Einleitung, H, S. 47. 290. — 8) Theol. Jahrbücher, 1843, S. 233. — 9) Die Evangelien, ihr Geist u. s. f. S. 367. — 10) Marcusevangelium, S. 121. — 11) Evangelien, S. 376. — 12) Jahrbücher, II, S. 207. — 13) Jose phus: Ant. 18, 5, 3. 19, 6, 2. — 14)Tacitus: Ann. 2, 55. — 15) Clem. Recognit. 10, 71. — 16) So der »sächsische Anonymus,« S. 249. — 17) Wilke, S. 113. Zeitliche und örtliche Abfassungsverhäitnisse. 417 und in Italien suchen,1 wohin auch das Aufhören der geographischen Erläuterungen Act. 28, 12 ff. führt.2 Mit der Geographie von Palästina dagegen war der Leser von Lc. 1, 26. 4, 31. 24, 13 wenig bekannt. Unter diesen Umständen aber denkt man sich das Evangelium am ein fachsten als in Rom entstanden.3 Was früher Gfrörer aus dem iv rjfilv des Prologs zu Gunsten einer palästinensischen Abfassung des Evangeliums geschlossen hat,4 bedarf wohl keiner Widerlegung mehr. Wie aber nicht in Palästina, so hat Lucas auch insonderheit nicht in Cäsarea geschrieben. 5 Selbst was Köstlin neuerdings für einen ephesinischen Ursprung des dritten Evangeliums geltend gemacht hat,6 ist bereits von Zell er Punkt für Punkt erledigt worden.7 Die alten Traditionen führen zwar nur zum Theü auf Rom, aber gar nicht auf Ephesus, sondern vielmehr auf Böo- tien, Achaia, Alexandrien, und wo die Kirchenväter zufällig noch sonst belieben, indem sie den Verfasser des Hebräerbriefs oder den, angeb lich auf das dritte Evangelium sich beziehenden (2, 16), Römerbrief mit in Rechnung bringen. 8 Immerhin hat demnach Hilgenfeld, der an Achaia oder Macedonien denkt, 9 noch eher einen Anhaltspunkt an die ser, übrigens in sich ganz haltungslosen, Tradition. Wenn aber Köst lin eine gewisse Verwandtschaft des Lucas mit den Epheser- und Co- losserbriefen betont, so könnte man mit noch grösserem Schein eine solche Berührung behaupten mit dem Hebräerbrief10 oder mit den Pa storalbriefen. " Die Berührung solcher einzelner Sprachgebiete des N. T. ist überhaupt ein bis auf den heutigen Tag noch lange nicht be friedigend gelöstes Räthsel der neutestamentlichen Kritik. — Zunächst also war das Evangelium blos für Theophilus bestimmt; es gelangte dann aber auch in weitere paulinische Kreise. Nur aus der Notiz über die Sadducäer 20, 27, die ja aus A Mr. 12, 18 stammt, hätte Tiele nicht schliessen sollen, dass das Evangelium sich ausschliesslich an Hei denchristen richte. 12 Wir können von den vorliegenden Bearbeitungen aus aber auch auf die Abfassungsverhältnisse der Quellen selbst zurückgehen. Wo nun 1) Eichhorn (Einleitung, I, S. 593), Hug (Einleitung, H, S.98f.), De Wette (Einleitung, II, S. 208 f.). — 2) Andere Gründe vgl. bei Zeller: Apostelgeschichte, S. 487 ff. — 3) Ewald, Zeller, Lekebusch: Apostelgeschichte, S. 430. — 4) Urchristenthum, II, 1, S. 47. — 5) Gegen Michaelis, Kühnöl, Schott, Th oluck, Thiersch: Kirche im apostolischen Zeitalter, S. 158. — 6) Evangelien, S. 294 ff. — 7) Apostelgeschichte, S. 482—489. — 8) Credner (Einleitung, S. 128 f. 151f.), De Wette (Einleitung, II, S. 208), Lekebusch (S. 429), Zeller (Apostel geschichte, S. 482). — 9) Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1858 , S. 594 ff. 1861, S. 179. — 10) Köstlin (S. 299 ff.), Ebrard (Ebräerbrief, S. 426 ff.), Lange (Apostolisches Zeitalter, I, S. 185), Delitzsch (Hebräerbrief, S. 701). — 11) Schott (Isagoge, S. 321), Zeller (Apostelgeschichte, S. 483 ff). — 12) S. 751. Holtzmann. 2 7 418 Fünftes Capitel. A entstanden ist, lässt sich keinesfalls mehr sicher angeben ; selbst für Palästina und Galiläa (wofür Bleek stimmt1) sprechen keine entschei denden Gründe. Dort blieb ja die Erinnerung an den Herrn auch bei mündlicher Ueberlieferung , wie sie im damaligen Judenthum gewöhn lich war, noch lange lebendig genug ; wogegen sich das Bedürfniss nach zusammenhängender schriftlicher Darstellung wohl am ehesten bei aus- serpalästinensischen Juden- und bei Heidenchristen regen mochte.2 Doch nöthigt der Umstand, dass schon A griechisch geschrieben ist, keineswegs an sich schon zur Annahme einer ausserpalästinensischen Entstehung; denn dass die, im südlichen Syrien lebenden, Chri sten jedenfalls das Griechische verstehen und lesen konnten, ist heutzutage eine ausgemachte Sache ; 3 ebensowenig aber weist uns die Gewohnheit, nach den LXX zu citiren (S. 261), gerade auf einen palä stinensischen Ursprung. Wenn aber A zu den Ueberlieferungen des Apostels Petrus in eine Beziehung gebracht werden soll, so ist es am natürlichsten, entweder die Tradition von dem römischen Aufenthalt desselben anzuerkennen und wie Marcus, so auch A in Rom entstehen zu lassen, oder aber — und Dies scheint schon um des Gebrauchs, den das erste Evangelium von A macht, das Wahrscheinlichere — diese Quelle ist in einer, von Galiläa, dem Schauplatz der Erzählung, nicht allzu entfernten Gegend, in welcher Petrus eine längere Zeit gewirkt hat, entstanden, d. h. ohne Zweifel in Syrien;4 wie ja auch Storr sein Marcus-Urevan gelium in einem orientalischen Klein -Rom, dem syri- rischen Antiochia entstanden sein lässt. 5 Dann aber hat der Umstand, dass die Quelle A ihre gegenwärtige Gestalt (Marcus) in Rom erhielt, das Seine dazu beigetragen , um sowohl den Apostel in Rom auftreten zu lassen, als auch die Tradition, die von A gilt, auf Marcus zu übertra gen. Wie also die Recognitionen, obwohl wahrscheinlich in Syrien ent standen, später in Rom umgestaltet und Eigenthum der römischen Kirche wurden , so gestaltete sich auch das Schicksal des zweiten Evan geliums. Der Verfasser der anderen Quelle aber schrieb um so mehr in Palästina und für Palästinenser, als er ja selbst an den Ufern des gali läischen Sees zu Hause war und die damalige Landessprache auch zu seinem schriftstellerischen Zwecke gebrauchte. §. 27. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. Seit durch Eichhorn eine evangelische Quellenkritik in umfas senderem Maassstabe gegründet worden war, ist auch das Bewusstsein 1) Beiträge, S. 76. — 2) Köstlin, S. 111. — 3) Credner: Beiträge, 1, S. 374 ff. — 4) Köstlin, S. 364 f. — 5) Evangelisehe Geschichte des Johannes, S. 278 ff. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 419 erwacht, dass nur auf diesem Wege die »innere Glaubwürdigkeit und Wahrheit der evangelischen Geschichte unerschütterlich zu befestigen « sein werde.1 In der That ist jede andere Methode ober fläch lich und nichtig. Es liegt uns daher hier ferne, zu wiederholen, was seit zwanzig und mehr Jahren über die Frage, ob Sage, ph Ge schichte, unzähligemal in Wort und Schrift repetirt worden ist. Auch sehen wir hier ab von jenen allgemeinen Untersuchungen, ob nicht durch die Anwendung der mythischen Hypothese auf den Ursprung des Christenthums die Ursache aus dem Erfolge , statt der Erfolg aus der Ursache erklärt werde ; ob es der Gesetzmässigkeit der menschlichen Natur angemessen sei, ein so lebendiges Gebilde, wie die Christusgestalt der Evangelien, auf so mechanische Weise entstehen zu lassen, wie wenn es seine Existenz blos der Uebertragung der alttestamentlichen Phantasie der Propheten auf den geschichtlichen Boden jener Zeit verdankte; ob denn wirklich diese beiden Bilder sich überhaupt auch nur annähernd decken, u. s. f. Dagegen möchte es sich der Mühe verlohnen, festen Fuss fassend auf dem Boden der zu Tage geförderten Resultate sich die Frage vorzulegen, ob und inwieweit die Perspective, die sich uns in der synoptischen Darstellung eröffnet, als bereits unter dem Einfluss starker Lichtbeugung und farbiger Strahlenbrechung producirt zu den ken ist. Am Unbefangensten hat unter den Neueren wohl Köstlin die Rechnung angeschrieben , wenn er seinen Ausgangspunkt von der genau abzumessenden Entfernung zwischen Factum und Bericht nimmt.2 Diese ist nun für ihn, der den Matthäus nach 70, den Marcus zu An fang des zweiten Jahrhunderts entstehen lässt, freilich eine längere als für uns ; aber dieser Unterschied ist doch kein so bedeutender, dass die beiderseits resultirenden Ergebnisse anders als graduell zu unterschei den sein sollten. »Die Geschichtserzählung der Synoptiker stammt aus einer Zeit, welche den von ihnen berichteten Thatsachen noch nahe genug stand, um dieselben noch in Erinnerung zu behalten und auch da mit dem geschichtlichen Thatbestande noch in Einheit zu bleiben, wo sich an einzelne Hauptmomente desselben , wie an den Anfang und das Ende der öffentlichen Wirksamkeit Jesu in Galüäa, bereits Ver suche anknüpften, die Jesu als dem Messias zukommende Erhabenheit und Würde und die von ihm auf sein Volk ausgehende segensreiche Wirksamkeit nach alttestamentlichen Vorbildern durch ideale, seine irdische Person und Geschichte in dem Glänze der messianischen Herr lichkeit darstellende Erzählungen in symbolisch -poetischer Weise zur Anschauung zu bringen.«3 »Die synoptische Erzählung ist eine solche, in welcher das reale und das ideale Element noch eines neben dem an- 1) Einleitung, I, S. 459. - 2) S. 396-400. — 3) S. 397. 27 j 420 Fünftes Capitel. deren hergehen , und zwar so , dass das erste immer noch das Ueberge- wicht über das andere behält, und sie unterscheidet sich eben hierdurch aufs Bestimmteste von Allem , was das zweite Jahrhundert mit seiner idealischen Transcendenz, sei es nun auf dem Felde der kirchlichen oder der apokryphischen oder der gnostischen Literatur, in diesem Gebiete her vorgebracht hat.«1 Diese Sätze geben gleichsam das Maass des weitesten Fortschritts an, der innerhalb der Tübinger Theologie aus dem Fabel lande der Mythentheologie hinüber auf den realen Boden geschichtlich nachweisbarer Thatsachen gemacht worden ist. Aber auch sonst wird heutzutage kaum irgend ein besonnener Historiker, der die Erscheinun gen nach Analogien zu beurtheilen geübt ist , es mehr nachsagen, dass in den dreissig Jahren, die zwischen dem urchristlichen Factum und der Abfassung von A Hegen, jene gänzliche Verkehrung des richtigen Sach verhaltes, jene, mit beispielloser Fruchtbarkeit vor sich gehende, Ausge burt einer ungemein reichen, farbenhellen Mythenwelt stattgehabt habe. Doch wird man uns vielleicht die Zuversichtlichkeit, womit wir im Grossen und Ganzen dem Standpunkt der Mythentheologie gegen übertreten, zunächst mit Berufung auf unsere eigenen Resultate streitig machen woUen. Vorausgesetzt, — so wird man sagen — die Quellen seien wirklich der Hauptsache nach so glaubwürdig und geschichtstreu gehal ten, als bei der eigenthümlichen Natur der Sache es nur immer möglich ist: haben wir diese QueUen denn noch in ihrer ersten Gestalt? hebt denn nicht die Freiheit, womit, wie wir sahen, die Synoptiker mehrfach diese Quellen bearbeitet haben, die Glaubwürdigkeit ihrer Berichte von selbst auf? führt eine solche Annahme nicht direct auf eine Fälschungs hypothese , wie sie neuerdings sogar auf » gläubiger « Seite aufgestellt wurde?2 Wilke, der bekanntlich den Urbericht selbst nur für eine tendenziöse Nachbildung alttestamentlicher Geschichten hält, stellt hier über folgenden Kanon auf und beweist ihn : » Die Referenten haben ihrer benutzten Geschichtsquelle darin vollen Glauben geschenkt, dass Jesus die referirten Reden wirklich gesprochen ; aber sie sind der Mei nung gewesen, dass ihnen die Vornachricht die Freiheit nicht benehme, weder diese Reden in einen anderen Zusammenhang zu stellen, noch zum Ausdrucke ihres Sinnes andere Worte statt der vorausgegebenen zu gebrauchen.3 « In der That macht sich wenigstens in Bezug auf Mar cus durchweg bemerklich, dass er fast kaum geändert, dass er das Em pfangene meist sogar wörtlich genau wiedergegeben hat; Matthäus da gegen, der auf Vollständigkeit der Materialien ausgeht, ist allerdings weniger besorgt um den Zusammenhang und die Veranlassung der Worte Jesu; ihm ist genug, dass es eben Worte Jesu sind, die er berichtet, 1) S. 398. — 2) Christianus, S. 1. 7. 22. — 3) Urevangelist, S. 467 f. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 421 und dass sie es bleiben, wie sie auch gestellt werden mögen. Ein Gan zes darzustellen, zusammengewebt aus Worten des Herrn, wo und wann sie auch gesprochen seien, ist sein erster Zweck. Wir sind somit aller dings in der Lage , die einzelnen Redetheile des Matthäus erst darauf ansehen zu müssen , inwiefern sie dem Context ursprünglich angehört haben oder erst aus einem andern Zusammenhange hierher versetzt wor den sind. Matthäus hat namentlich in der Zusammenfügung verschiedener Fragmente aus A oder auch in ihrer Einfügung in den Zusammenhang von A eine wahrhaft künstlerische Virtuosität erreicht ; man vergleiche nur die S. 174 ff. 200 ff. gegebenen Dispositionen und Ausführungen. Im Einzelnen aber verfährt er, um sein Ziel zu erreichen, auch wieder mit einer Freiheit, die das betreffende Xöy tov nicht blos ganz anders motivirt erscheinen lässt, sondern auch geradezu unter einen anderen Gesichtspunkt bringt, wie z. B. eine Vergleichung von Mt. 5, 25. 26 mitLc. 12, 58. 59, oder von Mt. 18, 10—14 mit Lc. 15, 3 — 7 zeigt. Im Gegensatze zu Weisse, der in Bezug auf solche Stoffe immer dem Matthäus den unbedingten Vorzug vor Lucas eingeräumt wissen will, l müssen wir im Hinblick auf das S. 130 ff. gewonnene Resultat hier den Kanon aufstellen, dass der Inhalt der Quelle A im Allgemeinen bei Lucas aufzusuchen und darnach die parallele Partie im Matthäus zu be urtheilen sein wird. Gerade bei Lucas erscheinen die Lehraussprüche des Herrn abgelöst von den häufig so störenden Einkleidungen der prag- matisirenden oder gruppirenden Relationen des Matthäus. Abgesehen von den leicht abzustreifenden Ueberschriften , treten sie bei Lucas meist ohne alle künstlerische Ordnung und Fassung auf. Nur selten hat auch Lucas Fragmente von A ungeschickt verbunden (16, 16) oder in den Zusammenhang von A eingemauert (6, 39. 40). Dann erkennt man aber die Fugen und Spalten um so leichter. Man sieht gleich : hier will nicht aus dem Zusammenhang argumentirt werden, sondern jeder Edel stein will besonders gefasst sein. Wir haben also für die Beurtheilung der Quelle A im Lucas das Correctiv für das , an sich allerdings öfters den ursprünglichen Sinn eines Ausspruchs undurchsichtig machende, Verfahren des Matthäus. Uebrigens ist es nicht blos die Quelle A, die aus unserem Matthäus nur mit Vorsicht herausgelesen werden will, son dern auch durch solche Erklärungen, die Matthäus nach eigener Auf fassung zu A beifügt, erleidet der Sinn der Worte Jesu hin und wie der eine leichte Alteration. So bezieht sich das ovnw avvisxs oder nwg ov avvisxs Mr. 9, 2 1 darauf, dass die Jünger aus den Speisungen immer noch nicht gelernt haben, die ängstliche Sorge fahren zu lassen. Mat- 1) Evangelische Geschichte, I, S. 90 f. 422 Fünftes Capitel. thäus knüpft an diese Worte 16, 11. 12 eine längere Betrachtung, in welcher aber der Sinn, den seine Warnung vor dem Sauerteige der Pharisäer gehabt hat, als das Object der vermissten Einsicht erscheint.1 Aehnlich commentirt er das Wort des Herrn Mr. 14, 8 : »Was sie ver mochte, hat sie gethan; sie hat vorweggenommen, meinen Leichnam (awfia) zu salben zum (nqög) Begräbniss« so, dass aus owfia ein leben diger Leib wird und nqög die Bedeutung »in Beziehung auf« erhält: » Indem sie die Salbe auf meinen Leib gegossen hat , hat sie es gethan in Bezug auf mein Begräbniss.«2 Es gilt also jedenfalls, aufzumerken und nicht mit blöden oder schlafenden Sinnen zu lesen, wenn man dem Mt. 13, 14. 15 gedrohten Schicksale nicht selbst verfallen will. Ueberdies könnte man gegen Matthäus noch ein gesteigertes Miss trauen desshalb empfinden, weil jene beiden Hauptquellen es nicht ein mal allein sind , daraus er seine Reden bildet. Nicht blos eine bedeu tende Anzahl von Einschiebseln, sondern auch wichtige Partien, wie sie im fünften und drei und zwanzigsten Capitel vorkommen , erschei nen dadurch gleichsam blosgestellt. Was nun zuerst jene kleineren Einschaltungen (vgl. S. 158 f. Nr. 2. 13. 16. 22. 28—33. 35) betrifft, so sind dieselben allerdings ohne Weiteres als die ersten, noch ganz nur an vereinzelte Punkte im Leben Jesu sich heftenden, Ansätze der Sa genbildung anzuerkennen. Ja selbst unter den kleinen eingeschalteten Redestücken gilt wenigstens von den beiden zusammengehörigen 16, 17 — 19. 18, 15 — 20 und wohl auch von 28, 19, dass sie in dieser vor liegenden Form mit Rücksicht auf spätere Gemeindeverhältnisse redigirt erscheinen. Nur hier tritt in den Evangelien das Wort ixxXrjola auf, des sen Jesus sich schwerlich bedient hat, wie Weiss e,3 S c he r e r,4 B 1 e e k 5 u. A. hervorhoben. Aehnliches gilt jedenfalls auch von der, ebenfalls nur diesen beiden Stellen gemeinsamen, Potestas clavium. Und doch sind diese Worte nichts weniger^ als subjective Fictionen. So sicher ihre heutige Gestalt ein schon bestehendes Gemeindeleben voraussetzt, so zeugt doch für die Gewalt, womit sie sich dem urchristlichen Bewusstsein eingeprägt hatten, schon die Apokalypse mit ihren verschiedenartig nu- ancirten Bildern vom Himmelsschlüssel (1, 18. 3, 7. 9, 1. 11, 6. 20, 1), wie andererseits auch das vierte Evangelium (20, 23); G diese Stücke tragen überhaupt den Stempel des höchsten Alterthums, wie z. B. 18, 17 die Formel wansq b idvixög xal b xsXwvrjg auf einen noch ganz innerhalb des ersten Judenchristenthums stehenden Berichterstatter rathen lässt.7 Noch mehr darf von den, einer unerkennbaren Quelle ent- 1) Wilke, S. 579. - 2) Wilke, S. 581 f. — 3) Evangelische Geschichte, II, S. 94 f. 101 f. — 4) Nouvelle revue, IV, S. 68. — 5) Synopsis, II, S. 91. — 6) W e i s s e : Evangelienfrage, S. 238 f. — ,7) K ö s 1 1 i n , S. 61 . Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 423 stammten, Partien der Bergpredigt die Authenticität, abgesehen von der Composition, zuversichtlich behauptet werden. Diese Stellen mit ihrer malerischen Beschreibung der pharisäischen Praxis, die sofort unter das Gericht der unnachahmlichen Einfachheit der religiös-sittli chen Natur Jesu fällt (6, l — 8. 16 — 18), mit ihren alterthümlichen, das volle Bestehen des israelitischen Volkslebens und Tempeldienstes voraussetzenden, Anschauungen (5, 21 — 24. 33—37) beglaubigen sich durch sich selbst; wie auch nach Volkmar's Urtheil die damit in Zu sammenhang stehende Partie Mt. 23, 7 — 12 noch ganz und gar vorhier archischen Datums ist. x Dies schliesst nicht aus , dass Matthäus auch diese kleinere Quelle gerade so, wie wir es bei A und A nachgewiesen haben, behufs seiner eigenen Ideenassociation bearbeitete und assimi- lirte. So ist sehr wahrscheinlich, dass z. B. 5, 37 in der Quelle gelau tet hat, wie Jak. 5,12: e'oxw ös ificöv xö val val xal xö ov ov, in wel cher Form auch Justin2 und die clementinischen Homilien3 den Spruch kennen.4 Oder man nehme gleich den ersten Vers 5, 14. Hier ist, wie wir S. 149. 154. 176 sahen, vftsig ioxi xö cpiög xov xöofiov eine Metamorphose der betreffenden Rede vom Licht in A, dagegen ist ohne Parallele schon die zweite Hälfte oi öivaxai nöXig xgvßfjvai indvw ogovg xeiftevrj — ein Satz, der aber so gewiss echt ist, wie das, vom in sich selbst getheilten Hause oder Reiche ausgesagte oi övvaxai axadfjvai und oi övvrjoexai axfjvai Mr. 3, 24. 25. Dazu kommt, dass jenes Bild von der oben gelegenen Stadt ganz der freien Weise entspricht, womit Jesus durchweg über die , in seinen Anschauungskreis fallenden , Na tureindrücke verfügt (vgl. §. 28). Wir haben hier offenbar den Nach klang einer Jugenderinnerung ; denn die beschriebene Bergkrone ist nichts anderes, als die befestigte Stadt, die zu jener Zeit auf dem Gipfel des zwei Stunden von Nazareth entfernten Tabor gelegen war. 5 Wie nun aber Matthäus mit Redestücken verfährt, dass er sich zwar an lauter achtes Material hält, dasselbe aber in eine ganz neue, ihm ursprünglich fremde, Ordnung bringt, so thut er gerade auch mit den Thatsachen des Lebens Jesu. Baur, wiewohl er das erste Evange lium auch für das der wirklichen Geschichte am nächsten kommende hält, muss doch zu allerlei rückläufigen Cautelen seine Zuflucht nehmen, insofern der, von ihm anerkannte, eigenthümliche Pragmatismus des Evangeliums nothwendig auch auf das Materielle seiner geschichtlichen Darstellung rückwirken musste. 6 Schon die eigene Weise des Evange listen, die Gegenstände seiner Darstellung nach bestimmten Gesichts- 1) Religion Jesu, S. 360. — 2) Apol. I, 16. — 3) 3, 55. 19, 2. — 4) Hilgen feld: Evangelien Justin's, S. 175 f. 312. Evangelien, S. 63. — 5) Robinson: Pa lästina, HI, S. 464 ff. — 6) Evangelien, S. 602 f. 424 Fünftes Capitel. punkten zu gruppiren , musste nothwendig die geschichtliche Stellung des Geschehenen vielfach verrücken. Wie lässt sich annehmen, dass Jesus das einemal (Cap. 8 und 9) nichts als Wunder gethan und Kranke ge heilt, ein andermal (Cap. 13) nur Parabeln vorgetragen habe? Wollte man aber übertreiben und daran die Befürchtung knüpfen, dass auf solche Weise der Geschichtsdarstellung des ersten Evangelisten jegli cher Credit entzogen werde, so sind wir in der Lage, für die gegen thei- lige Behauptung, dass der wesentlichen Glaubwürdigkeit des Inhalts von Matthäus die schriftstellerische Kunst, worauf die Redaction des Ganzen beruht, keinen Eintrag thue, die Stimme der heutigen Ortho doxie selbst anführen zu können. Auch Philippi kann sich dieser Wahrnehmung nicht entziehen, bemerkt aber, was auch für seinen Standpunkt wenigstens vollkommen ausreicht: »Matthäus reiht die Thatsachen oft nach ihrer inneren Verwandtschaft aneinander, wie sie seinem Hauptgesichtspunkte, dem Erweis, dass Christus der im alten Testament verheissene Messias, der wahrhaftige Prophet, bewährt durch Thun und Wort sei, am leichtesten dienstbar sind. « »Ueberdies war er zu dieser Freiheit um so mehr berechtigt, da, abgesehen von den Haupt epochen, der Geburt, der öffentlichen Lehrwirksamkeit, des Leidens und Sterbens , der Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn, in deren chronologischer Anordnung natürlich alle Evangelisten übereinstim men, der Lebenslauf Christi von Tag zu Tag ein so gleichförmiger, in beständigem Umherziehen, Predigen und Wunderthun bestehender war, dass eine genauere Angabe der Aufeinanderfolge der einzelnen Mo mente dieses mannigfaltigen und doch einheitlichen Thuns nicht einmal an sich von grosser Bedeutung war. « 1 Auch treffen — was sehr für das unmittelbar Einleuchtende des fraglichen Punktes spricht — protestan tische Gelehrte, wie Köster,2 und katholische, wie Kuhn,3 voll kommen zusammen in der Anerkennung, dass unser Matthäus zwar ein Kunstproduct ist im Geschmack seines Vaterlandes und seiner Zeit, da her ohne alle chronologische Gesichtspunkte gearbeitet, dass aber eben hierdurch ein grosser Theil der von Strauss gegen die evangelische Geschichte erhobenen Einwürfe völlig beseitigt werde, weil der erste Evangelist gar nicht wie eine juristische Relation ex actis behandelt sein will, die in Bezug auf jegliches Detail mit den Relationen der Neben zeugen stimmen müsse. Wir glauben desshalb , mit dem, im Einzelnen nachgewiesenen, Charakter der matthäischen Composition zugleich die 1) Kirchliche Glaubenslehre, I, S.206 f. — 2) Ueber die Composition des Mat thäus-Evangeliums, in Pelt's «Theologischen Mitarbeiten,« 1838, 1, S. 94—129. — 3) Jahrbücher für Theologie und christliche Philosophie, VI, 1836, S. 33-91. Leben Jesu, I, S. 89 ff. 417 ff. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 425 sichersten Anhaltspunkte gegeben zu haben für Beantwortung der Frage , wie weit die Glaubwürdigkeit des Berichtes im Einzelnen sich erstreckt. Die Darstellung des Lucas, verglichen mit A, könnte vielleicht am ehesten für eine Anschauung von der evangelischen Geschichte im Sinne der Mythentheologie zu sprechen scheinen. Schon Frisch hat auf gewisse poetisirende und rhetorisirende Ausschmückungen , Engelerscheinungen u. dgl. , als allgemeine Kennzeichen seiner Geschichtsschreibung hingewie sen. 1 Während bei Matthäus ausser den drei Traumerfccheinungen des Jo seph (1,20.2, 13. 19) nur die Engel der Quelle A auftreten, welche aber blos den Anfang (Mr. 1, 13 =Mt. 4, 1 1) und den Schlusspunkt (Mr. 16, 5 = Mt. 28, 2. 5) der evangelischen Geschichte berühren: so treten bei Lucas gleich 1, 11. 26. 2, 9 Engel auf, und zwar nicht im Traum, sondern sie erscheinen theils bei hellem Tag, theils allerdings bei Nacht, aber nicht den Träumenden, sondern den Wachenden. Ausser den Auf erstehungsengeln hat ja er noch die mythische Erzählung 22, 43; von der Apostelgeschichte gar nicht zu reden. Auch was Zell er sonst noch über die , beiden Büchern des Lucas gemeinsame , Tendenz nach derb realistischer Wunderbarkeit bemerkt hat, ist vollkommen richtig.2 Alle diese Stellen zeigen aber nur, dass die mündliche Tradition, aus der Lucas seine Zusätze schöpfte, bereits an einer späteren Stelle aufgefasst und schriftlich fixirt worden ist, als im Matthäus. Von seiner Bearbei tung der schriftlichen Quellen aber gilt vollkommen Wilke's Satz: » Was gibt er in der Sorgfalt , mit der er sich gehütet hat, wegzulassen, was nicht entweder wegbleiben könnte, oder wieder ersetzt würde, an ders zu erkennen, als die Ueberzeugung, dass die von ihm benutzte Normalschrift einen glaubwürdigen Inhalt habe, und diesen Inhalt in einem Ausdrucke darbiete, von dem sich der evangelische Schriftsteller so wenig, als möglich zu entfernen habe?«3 Auch die jedenfalls unge schichtliche Art, womit die ganze zweite Hauptmasse von Erzählungen an einen einzigen Punkt der, in der Hauptquelle gezeichneten, Lebens linie Jesu zusammengedrängt wird (S. 209 f.), wird nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Evangehsten selbst geltend gemacht werden wol len, da jener Uebelstand eben nur die Rathlosigkeit verrath, in der sich Lucas , und nicht minder auch Matthäus der Natur der Sache nach an einem bestimmten Punkte ihres Unternehmens befinden mussten. Das Vorhandensein der beiden Hauptquellen brachte für Diejenigen, welche sämmtlichem Stoff eine einheitliche Redaction zu verleihen unternah men , d. h. eben für unsere beiden Evangelisten die Aufgabe mit, sich 1) Utrumque Lucae commentarium de vita, dictis factisque Jesu non tarn histo- ricae simplicitatis, quam artificiosae tractationis indolem habere, 1817. — 2) Apostel geschichte S. 428 ff. — 3) S. 470. 426 Fünftes Capitel. nach einem Princip umzusehen , nach welchem die beiden Schriften in einander zu arbeiten waren. Diese Aufgabe war desshalb nicht leicht zu lösen, weil — äusserlich betrachtet — beide QueUen sich ziemlich disparat zu einander verhielten. Die Lebensgeschichte Jesu war so reich, dass zwei Schriftsteller, die unabhängig von einander ein Sum- marium seiner Worte oder Thaten zu geben beabsichtigten, nur an ganz wenigen Stellen — und auch da nur zufällig — sich berührt haben. Wie schwer es daher für die evangelische Geschichtsschreibung wurde, Ordnung und Klarheit des Planes herzustellen, sobald man es einmal unternommen hatte, das in zwei Schichten aufgehäufte Material in eins zusammenzufassen , sehen wir aber am Deutlichsten bei Lucas, der sich — da auch in A ein gewisser historischer Faden festgehalten schien — nicht anders zu helfen weiss, als so, dass er die Hauptmasse der zweiten Quelle an derjenigen Stelle von A einschob, wo diese letztere Quelle eine Fuge darbot; den Rest von yL hat er theils vor 9,51, theils nach 18, 14 an vereinzelten Stellen eingesprengt. So hat auch Gförer für seinen Satz, dass Lucas nur schriftliche Urkunden, ein beschränktes Maass todter Quellen, auch Traditionen der Gemeinde, aber keine eigentlichen Augenzeugen consultiren konnte, die Thatsache geltend gemacht, dass er zwar verspricht, xadegfjg zu erzählen, den Unterschied der Zeiten zu beobachten, dass aber sein Eifer für genaue Zeitfolge nur in einem sehr beschränkten Maasse Erfolg hat. x Weder wann Je sus geboren ward, noch in welchem Jahre er starb, noch wie viele Monate oder Jahre er öffentlich wirksam war, erfahren wir; vielmehr begegnet man auch bei ihm nur höchst unbestimmten Redensarten, wie iv ixeivaig xalg rjftiqatg, fiexa xavxa, ndXiv u. s. f. Er hatte also offen bar die Mittel nicht zur Hand , den zeitlichen Abstand der einen Bege benheit von der andern zu bestimmen ; er konnte keine Erkundigungen darüber einziehen, wie sich die Berichte von A chronologisch in die von A einfügen. Mochte er noch so gründliche Zeitbestimmung wünschen, es half ihm nichts, wenn nicht der alte Zeuge, von dem die Urkunde her rührte, gerade dieselbe Absicht gehegt hatte, wie er, der Spätere. Bei dem besten Willen blieb ihm nichts Anderes übrig, als die Nachrichten in der Reihe, die ihm die sicherste schien, auf einander folgen zu lassen, diese Reihenfolge durch allgemeine Formeln zu verfestigen, wo sie ihm nicht ' strict genug schien, endlich aber die von ihm selbst gesammelten münd lichen Traditionen an passend scheinenden Orten einzuschieben. Hier ist aber auch der Ort, noch auf einen Einwand zu antworten, den man in der Nachfolge eines älteren , gegen das Urevangelium üb lich gewesenen Geredes etwa auch gegen unser gesammtes Resultat er- 1) Urchristenthum, II, 1, S. 56 f. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 427 heben könnte : warum — ¦ könnte man sagen — wenn sie doch existir- ten, sind denn diese Quellen spurlos verschwunden ? warum keine Nach richt in der Apostelgeschichte, in den Briefen? — Darauf diene zur Antwort : Spurlos verschwunden ist keine von beiden. Denn A liegt vor in allen drei Evangelien, ja, wenn einmal ein Fragment in keines der dreie Aufnahme gefunden hat, so ist es doch sonst nicht verloren gegangen, wieS. 92 ff. bewiesen; A aber liegt, wie eben gezeigt, wenig stens in zwei Bearbeitungen vor. Gerade nun um dieser ihrer reichen Verarbeitung willen konnten die ersten Quellen um so füglicher in den Hintergrund treten. Bei der Sorglosigkeit jener Zeiten erachtete man ihre gesonderte Aufbewahrung für überflüssig. x Aber auch wenn alle beglaubigten Nachrichten über das Vorhandensein dieser Quellen fehlen würden, so könnte uns Dies nicht irre machen, da doch aus dem Verwandtschaftsverhältniss der drei Producte auf eine derartige Kreu zung zweier Factoren nothwendig geschlossen werden muss. Zum Ueber fluss aber sagt Papias, dass es eine Quelle, wieA, und sagt Lc. 1, 1 — 4, dass es Quellen, wie A, gegeben habe. Also ist der Einwurf nicht ge schickter, als der, wenn gesagt würde : Wie kann Lucas sagen , dass Viele vor ihm dergleichen Schriften verfertigt haben, da sie nicht mehr vorhanden sind? Würden sie so spurlos haben untergehen können und nicht noch vorhanden sein müssen ? 2 — Was nun unter Voraussetzung der dargelegten literarischen Ver hältnisse in der wissenschaftlichen Behandlung des Lebens Jesu unrett bar dahinfällt, das ist die bekannte Taktik der sogenannten Harmo- nisten. So oft nämlich parallele Abschnitte wieder unter sich, sei es in der verschiedenen Folge, in der sie bei verschiedenen Berichterstattern auftreten, sei es in der Darstellung des Hergangs selbst, auf eine Weise von einander abweichen, dass blos die Wahl bleibt, Alterationen des Berichts anzuerkennen, oder die Selbigkeit des erzählten Vorgangs zu leugnen, so lautet der Grundsatz der Harmonistik dahin, den letztem Weg unbedingt vorzuziehen und bei verschieden gestalteten Berichten auf verschiedene Ereignisse zurückzuschliessen. Es ist ein nicht sehr erhebendes Geschäft, die Principlosigkeit zu verfolgen, mit der man sich in diesen Schwierigkeiten hin und her geworfen hat, ohne sich entschliessen zu können, den, von der Quellenkritik gebotenen, Ariad nefaden zu ergreifen, der allein aus diesen Labyrinthen zum Ziele führt. Zwar hatte schon das Alterthum die Unmöglichkeit einer wirk lich durchgeführten Harmonistik anerkannt. Augustin wenigstens spricht von Anticipationen sowohl, als von nachträglichen Beibringun- 1) Credner (Einleitung, S. 204 f.), Weisse (Evangelienfrage, S. 142), Weiss (S. 88). — 2) Wilke, S. 658. 428 Fünftes Capitel. gen. Es war daher der dreifache Schlüssel des Ordo rei gestae , antici- pationis und rememorationis , den G e r s o n anwandte, um ein vollstän dig ineinandergefügtes Monotessaron herzustellen.1 Aber selbst dieses geringste Maass von freierer Beurtheilung evangelistischer Glaubwürdig"- keit erregte innerhalb der Lutherskirche Anstoss. Seit dem Werke des Andreas Oslander2 gibt es sogenannte Harmonisten, von denen Augustin's Kanon zunächst mit der Rücksichtslosigkeit hartnäckigster Consequenz überschritten und ein Totalbild des Lebens Jesu hergestellt wurde, in welchem kein Wort der Quellen verloren gegangen, und jeder Synoptiker in seiner durchgehenden Akoluthie und Integrität wieder zum Vorschein kam. Aber auch in dem Verlauf dieser Harmo nistik ist kein anderer Fortschritt zu entdecken, als der der Selbstauflö sung. Denn schon das nächste grosse Werk, geliefert von Martin Chemnitz, PaulLeyser und Johann Gerhard, 3 sieht sich be reits genöthigt, nach bestimmten Regeln für die Unterbrechung der Akoluthie zu greifen und insonderheit die augustinischen Anticipatio nen und Recapitulationen wieder freizugeben. Baldigst sehen wir aber auch diese abstracten Regeln mit einer concreteren Betrachtung des Details vertauscht, wie Dies bei Bengel geschieht, der bereits von Versetzungen spricht und hier und da sogar parallele Geschichten mit Unterbrechung der Akoluthie zu identificiren wagt. 4 Noch häufiger versündigt sich gegen das Dogma der Akoluthie Storr. Immer aber tragen solche Wagnisse noch den Charakter von Ausnahmen. In der Mehrzahl der Fälle hält nicht blos Ben gel, sondern auch Storr Zu- fammenfallendes auseinander. Mögen auch Anfang, Mitte und Ende der beiden Bergpredigten identisch sein, die eine ist auf dem Berge ge halten , die andere auf der Ebene. Dies und Andres von der Art macht den Unterschied. 5 Am meisten zu beklagen ist es aber, dass man apolo getischer Seits auch gegen Strauss, der alle solche Täuschungen eigent lich ein- für allemal zerstört hat, diese verbrauchteste aller Schutzwaffen wieder anlegen zu müssen glaubte. So steht schon Neander nicht sel ten wieder auf dem willkürlichen Standpunkte der Harmonistik. In noch weit höherem Grade aber ist Dies der FaU bei Wieseler und Ebrard, in deren Werken (vgl. S. 28) die harmonistische Richtung, auch was Scharfsinn und Gelehrsamkeit anlangt, ihren Höhepunkt er reicht. Freilich lässt sich die Nothwendigkeit eines principiellen Bru ches mit dem ganzen System auch nirgends besser, als an diesen Schrif ten, erkennen und nachweisen. 1) Vgl. Baur: Evangelien, S. 3 f. — 2) Harmoniae evangelicae libri IV , 1537. — 3) Harmoniae evangelicae libri V, 1593 — 1626. — 4) Richtige Harmonie der vier Evangelien, 1734. Neueste Ausgabe von 1862. — 5) Storr: Evangelische Ge schichte des Johannes, S. 347 ff. — 6) Leben Jesu, S. 406 ff. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 429 Ebrard hat »mit der juridischen Genauigkeit eines Processes«.1 die vollkommene Glaubwürdigkeit der verschiedenartigsten Berichte zu vertheidigen unternommen. Am meisten Schwierigkeiten bereitet hier natürlich die Akoluthie. Dieselbige findet nach Ebrard überall da statt, wo sie von den Evangelisten selbst in Anspruch genommen wird. Dies aber sei keineswegs immer der Fall, denn es gebe 1) allgemeine Schlussformeln, die den Temporal- und Realzusammenhang bestimmt unterbrechen; 2) lose Verbindungen, die sogar gestatten, das Nachfol gende als vorher Geschehenes zu fassen; 3) unbestimmte Verbindungen, die zwar das ante oder post bemerken , aber nicht angeben, wie lange vor- oder nachher Etwas geschehen sei; 4) mittelbare Verbindungen, welche das Zwischeneinschieben gewisser Begebenheiten gestatten; 5) unmittelbare Verbindungen der Abschnitte, die jede derartige Licenz ausschliessen. Dass nun dieser scharfsinnigst durchgeführte Versuch schon in sich unhaltbar ist, haben Planck,2 Bleek,3 Baur,4 und be sonders Hilgenfeld5 hinlänglich gezeigt; dass er unrichtig sein muss, wenn auch nur der zehnte Theil unserer Resultate sich als probehaltig erweisen sollte, versteht sich gleichfalls von selbst. Das einfache xöxe z. B. erscheint Mt. 12, 38. 13, 36 als unmittelbarste Verbindung; und wir haben nichts dagegen zu erinnern. Dasselbe xöxe thut aber bei Ebrard auch die entgegengesetzten Dienste einer ganz unbestimmten (Mt. 19, 13. 20, 20), ja der losesten Verbindung (9, 14), es unterbricht 15,1 sogar aUen zeitlichen Zusammenhang ; aber gerade in diesen vier Fällen verbindet Matthäus mit xöxe je zwei, auch in A aufeinander folgende, also in richtigem unmittelbarem Zusammenhange stehende, Berichte. Anstatt daher diesem harmlosen xöxe so entgegengesetzte Ge schäftsverrichtung zuzumuthen, scheint es doch viel gerathener, in sei ner ungemein häufigen Wiederholung einfach eine schriftstellerische Eigenthümlichkeit des Matthäus anzuerkennen (vgl. S. 293) und von allen weiteren Grübeleien über seine Bedeutung zu abstrahiren. Wenn schliesslich Etwas die Fruchtlosigkeit aller dieser harmonistischen Zwangs arbeit ad oculos zu demonstriren geeignet ist, so ist es der Umstand, dass Wieseler und Ebrard so vollkommen übereinstimmen in Ver achtung Derer, die nicht an eine vollständige Akoluthie und Harmonie der Synoptiker glauben, dass sie dagegen in Herstellung dieses Zusam menhangs selbst wieder auf jedem Schritt und Tritt von einander abwei chen. Indessen thut sich namentlich Wieseler immer etwas darauf zu gut, wenn einmal seiner Zurechtlegung der synoptischen Geschichte 1) Wissenschaftliche Kritik, 1842, S. 58. — 2) Theologische Jahrbücher 1845, S. 145 ff. S. 315 ff. — 3) Beiträge, S. 9 ff. — 4) Evangelien, S. 58 ff. — 5) Die Evan gelien, S. 11—18. 430 Fünftes Capitel. der Calcul irgend eines oder mehrerer anderer Apologeten schützend zur Seite tritt. ] Dass aber dadurch die Sache nicht besser wird, mag gerade jenes, schon früher von mir gegen Wieseler geltend gemachte,2 Bei spiel vom Blinden zu Jericho zeigen. Wie wir nachwiesen (S. 91. 256), berichtet A von einem Blinden, der beim Auszug geheilt wird, welche Scene Lucas aus Gründen (S. 233 f.) so umstellt, dass die Heilung beim Einzug geschieht. Matthäus erzählt von zwei Blinden, nicht aber, als ob er den des Marcus und den des Lucas zusammenfasste, wie Wiese ler harmonisirend einträgt,3 was nicht einmal schriftgemäss ist, da Mat thäus beide Heilungen zeitlich richtig in den Ausgangsmoment verlegt (S. 198); sondern aus ganz andern, S. 256 angegebenen, Ursachen. Lieber aber, anstatt dass Wieseler diesen klaren Sachverhalt anerken nen wollte, muthet er uns das Unglaubliche zu: dass zweimal an einem Tag ein Blinder hörte , wie Jesus kam ; dass zweimal ein Solcher den Sohn Davids um Erbarmen anrief; dass zweimal die Menschen ihm weh ren wollten ; dass zweimal er um so ärger schrie ; dass zweimal ihn Jesus kommen liess; dass zweimal er ihn um seinen Wunsch fragte; dass zwei mal ein Blinder denselben mit ebendenselben Worten angab ; dass zwei mal Jesus ihn gleichfalls mit ebendenselben Worten entliess. AUes ge schieht zweimal, nur Dies ist der Unterschied : einmal diesseits, das an deremal jenseits von Jericho. In der That können es nur, der Kritik als solcher fremde, Gründe des Schicklichkeitsgefühls und des, gegen die nothwendigen Consequenzen des Princips, reagirenden gesunden Menschenverstandes sein, wenn ein Harmonist von der Art sich bis auf den Tag noch scheut, den Herrn selbst, zu Gunsten des in den vier Evangelien differirenden Buchstabens, zweimal geboren, dreimal getauft werden und viermal auferstehen zu lassen.4 Aber auch noch eine andere Art von Harmonistik hat nunmehr ihr definitives Endziel gefunden; es ist jene, die Einheit dadurch glaubt herstellen zu können, dass sie nicht das letzte Product, die verschiede nen Berichte, in ein falsches Verhältniss zum Factum bringt, sondern 1) Eine Untersuchung über den Hebräerbrief, 1861, I, S. XVII f. — 2) Schen ke l's Allgemeine kirchliche Zeitschrift , 1860, VIII, S. 57 f. — 3) Chronologische Synopse, S. 332. So auch Sieffert, Ebrard, Neander: Leben Jesu, S. 614 ff. — 4) Dass sich Wiesel er (Hebräerbrief, I, S. XVII) über diese Zumuthung entrü stet , ist ganz in der Ordnung. Ich würde es auch thun , wenn man mir sie machte. Dass er aber nicht einsehen will , wie in den Principien seiner Harmonistik alle Prä missen zu so ungeheuerlichen Consequenzen gegeben sind, und dass an sich nichts ihn hindern könnte , sie wirklich zu ziehen, zeigt eben nur , wie man, in eigener Sache plaidirend, je nach Bedarf scharfsinnig und stumpfsinnig sein kann. Ganz ähnlich be weist R6nan (Etudes d'histoire religieuse, S. 204 f.), dass die Harmonisten eigent lich 8 oder 9 Verleugnungen des Petrus annehmen müssen, wiewohl Jesus selbst deren nur drei geweissagt hatte, Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 431 gleich bei den ersten Augen- und Ohrenzeugen desselben den Anfang macht. Selbst Schleiermacher hat noch zu solchen Künsten seine Zuflucht genommen, wenn er z. B. Lc. 8, 22 — 56 Untersuchungen an stellt, wie viel von den daselbst enthaltenen Berichten von einem Jün ger, wie viel von einem beim Schiff zurückgebliebenen Begleiter u. s. f. aufgeschrieben worden sein möchte1 — was freilich mehr mit seiner Diegesentheorie, als mit dem Streben nach Harmonistik zusammenhing. Heutzutage werden höchstens englische Theologen es sich noch ein fallen lassen, die Differenzen der Synoptiker durchgehends aus der artigen Zufälligkeiten zu erklären, wie dass bald Petrus (Marcus), bald Matthäus den Herrn begleitet, dass bald dieser, bald jener Berichter statter früher auf dem Schauplatze erschienen, länger auf demselben verblieben sei, u. s. f . 2 Nach diesen Vorbemerkungen constatiren wir schliesslich noch die tiefgreifendsten und allgemeinsten Differenzen, die sich in Be zug auf die Lebensgeschichte Jesu in , unseren Synoptikern vorfin den. Baur meint von der Relation des ersten Evangeliums, »dass sich hier Alles in einer sehr natürlichen Ordnung entwickelt, und es bietet sich nirgends ein zureichender Grund zu dem Zweifel dar, dass Dies nicht auch wirklich, wenigstens in den wesentlichen Momenten, der geschichtliche Hergang der Sache selbst gewesen sei. «3 Wie schief und am allerwenigsten historisch eine solche Betrachtung der Sache ist, haben wir schon S. 103 f. im Allgemeinen gesehen. Insonderheit haben sie seither widerlegt Ritschl, durch eine eingehende Kritik der evan gelischen Geschichte, wie sie sich bei Marcus im Unterschied von Mat thäus gestaltet, * und Weiss, durch scharfsinnige Vergleichung einer grossen Menge von Details. 5 Indem wir auf diese Zusammenstellungen im Allgemeinen verweisen , beschränken wir uns hier auf eine , zuerst von Schneckenburger gemachte, Entdeckung hinsichtlich der »mes sianischen Oekonomie Jesu. « G Auffällig im höchsten Grade ist nämlich der bei Marcus wahrzunehmende stetige Fortschritt in dem Eindrucke, den Jesus auf seine Jünger macht, und in Folge dessen auch in der all mäligen Anerkennung seiner Messianität von Seiten dieser Jünger. 7 Diese sind nämlich keineswegs die ersten, die in Jesu den Sohn Gottes erkennen. Vielmehr kommt dieser Vorrang nach Mr. 1 , 24. 34. 5, 7 den Dämonischen zu , auf welche die Nähe Jesu gewaltsam aufregend 1) S.91 ff. (124 ff.) — 2) Fr. See bohm: The facts of the four Gospels, 1861. — 3) Evangelien, S. 600. — 4) Theol. Jahrb. 1851, S. 51 6 f. - 5) Studien und Kritiken, S. 36—59. Siehe besonders in Betreff der Leidensgeschichte Weiss (S. 52 f.) und Reuss (Nouvelle revue II, S. 64 ff.) — 6) Ursprung des ersten kanonischen Evange liums, S. 28 f. — 7) Ritschl: A. a. O. S. 513—515. — Hilgenfeld: A. a. O. 1857, S. 421. 432 Fünftes Capitel. einwirkt. Ihnen wird Stillschweigen auferlegt, auch nachdem sie ihn schon einmal 3, 11. 12 vor einer grossen Menge als Messias ausge schrieen haben. Dieser Anfangspunkt messianischer Anerkennung kann nur, wo man mit dogmatischen Voraussetzungen an die evangelische Geschichte überhaupt herantritt, als zu dunkel erfunden werden, um eine Argumentation darauf zu gründen.1 Uebrigens erkennt Baur selbst an : » Nur Marcus ist es, der immer wieder von diesem Verbot spricht und den grössten Nachdruck darauf legt « 2 — womit, nach allem Bisherigen, nur Ewald's richtige Fühlung bestätigt ist : »Nichts kann geschichtlicher sein, als die in den Evangelien bei vielen Anlässen wie derholte Ermahnung Christi, von seinen Heilsthaten nicht laut zu reden. «3 Aber nicht blos den Dämonen, auch den Geheilten legt Jesus An fangs noch Stillschweigen auf, 1, 44. 5, 43. 7, 36. 8, 26. Hier sind nun die Parallelen bei Matthäus von äusserster Wichtigkeit. 4 Zur letztgenann ten Stelle existirt zwar eine solche nicht, wohl aber Mt. 9, 26. 33 zu den beiden mittleren. Beidemal aber ist bei Matthäus das Verbot, ihn bekannt zu machen, ausgelassen. Dasselbe Verhältniss Beider kehrt aber regelmässig wieder, weil bei Matthäus Jesus von Anfang an als Messias öffentlich auftritt, ja als solcher schon durch die Stimme bei der Taufe (wo Matthäus ovxog hat statt av) proclamirt wird. 5 Die Ab hängigkeit des Matthäus ist daher schon an diesen Auslassungen zu er kennen ; noch mehr aber an einzelnen Inconsequenzen. Zufällig näm lich lässt Matthäus einigemal das Verbot gerade an solchen Orten stehen, wo es zu der von ihm vertretenen Form der Erzählung nicht stimmt: ein Umstand, der blos vermöge gewohnheitsmässiger Abhän gigkeit von einem Original eintreten konnte. Hier kommt besonders in Betracht die erste der aus Marcus angeführten Stellen, welche ihre Parallele in Mt. 8, 4 hat. Daselbst nämlich wird das Verbot einem Aus sätzigen gegeben ; aber nach der eigenthümlichen Scenerie Mt. 8 , 1 (S. 178) sind oxXoi noXXoi gegenwärtig, so dass das Verbot zwecklos wird.6 In Wahrheit (Mr. 1, 43) hatte Jesus den Aussätzigen zu sich in ¦ ein Haus kommen lassen. Noch auffälliger ist Folgendes. Kurz vor der Erwählung der Apo stel hat Mr. 3, 10 — 12 die generelle Notiz, Jesus habe Viele geheilt, und dabei stets den Dämonen verboten, seine Gottessohnschaft bekannt 1) Gegen Baur: Theol. Jahrb. 1853, S. 88. — 2) Marcusevangelium , S. 59. — 3) Jahrbücher, I, S. 117. — Ueber den geschichtlichen Charakter gerade dieses Zuges, dessen sich die Mythentheologie am ehesten zu bemächtigen getraut, vgl. auch Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 356—358. — 4) Wilke, S. 630 ff. — 5) Weiss, S. 32. - 6) Hilgenfeld: Evangelien, S. 66. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 433 zu machen. Dies kürzt Mt. 12, 15. 16 dahin ab, dass oxXoi noXXoi Jesu nachfolgen, und er sie (ndvxag) nicht blos heilt, sondern auch bedroht, iva fir) cpavsqöv aixöv noirjawotv. Die Volksmassen sollen Jesu messia nische Würde nicht unter das Volk bringen ! Hier hat Matthäus zwar einen Satz seines Originals beibehalten, ihm aber im Interesse der Ab breviatur eine unrichtige Beziehung gegeben, in Folge deren sein Be richt unverständlich wird. 1 Beobachten wir die weitere Darstellung des Marcus, so sind auch die Ausnahmen, die nach und nach in des Herrn Handlungsweise ein treten, wohl motivirt. Zuerst nämlich ist es blos der Gadarener, der in seiner heidnischen Heimath ausnahmsweise die Wunderthat Jesu bekannt machen darf,2 vgl. 5, 19. 20. Allein diese Praxis konnte nicht festge halten werden, da Jesus mehrfach vor einer grossen Volksmenge heilte. Daher das Wegfallen des Verbotes 2, 11. 12. 3, 5. 5, 34. 6, 56. 9, 27. 10, 52. So fing er an, bekannt zu werden; und man machte sich Ge danken über ihn und sein Wesen 6, 14. 15. 8, 28. Bisher hatte Jesus seine Messianität nur angedeutet in dem ver hüllenden Namen : » Menschensohn, « vgl. Mr. 2, 10. 28. Auch die aus gesandten Jünger hatten nicht den Auftrag, Jesum als Messias zu ver kündigen, sondern nur den, -das Volk wegen der Annäherung des Reiches Gottes zur Besserung aufzufordern und Kranke zu heilen. 3 Endlich reift zuerst in Petrus die Einsicht in das wahre Wesen des Meisters zu dem Bekenntnisse heran : ai et 6 Xqiaxög 8, 29, was er noch für keine Partei unter dem Volke gewesen war, wie aus den vorher ge meldeten Antworten hervorgeht. Damit fällt aber die ganze Argumen tation Baur's, dass Jesus gerade um dieser Stelle wUlen mit dem Aus druck 6 v log xov ävdqwnov den Begriff der Messianität nicht habe ver binden können , weil er sonst gefragt hätte : für wen halten die Leute den Messias ? 4 Denn abgesehen davon , dass 6 viög xov ävdqwnov auf keinen Fall für » eine so bekannte und vulgäre Bezeichnung des Mes sias«5 zu halten ist, steht der Ausdruck xiva Xiyovaiv ol avdqwnoi elvai xöv vlöv xov ävdqwnov nur Mt. 16, 13, wo sonach Jesus die eigens er wählte dunkle und die gangbare populäre Bezeichnung der Messianität in Eins zusammenfassen will. A aber hat blos xiva fie Xsyovaiv ol avdqwnoi slvai Mr. 8, 27 = Lc. 9, 18. Auch der Widerspruch Meyer's6 gegen ein, sogar von Werner Hahn anerkanntes,7 Resultat beruht auf falscher Auffassung des Menschensohnes. 1) Bruno Bauer (Kritik der Evangelien, II, S. 192 f.), Ritschl (Theol. Jahr bücher, 1851, S. 516), Köstlin (S. 340). — 2) Bleek: Synopsis, I, S. 376 f. — 3) Wilke, S. 633. — 4) Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1861, S. 277.— 5) A. a. O. S. 278. — 6) Zu Marcus und Lucas, S. 32. - 7) Das Leben Jesu, 1844, S. 88. Holtzmann. 28 434 Fünftes Capitel. Aber auch jetzt dürfen nach A die Jünger nicht alsbald dem Volke die Messianität Mr. 8, 30 und himmlische HerrHchkeit 9, 9 des Messias bekannt machen, sondern nur freier redet Jesus und offener zum Volk 8, 32, und erst 11, 1—11 lässt er beim feierlichen Einzug in Jerusalem die letzten Rücksichten fallen. — Dies ist in der That eine wohlgeordnete und in sich übereinstimmende Darstellung von dem Kern der evangelischen Geschichte, die Matthäus aber verwischt, in dem er schon vor jenes denkwürdige Bekenntniss des Petrus Geschich ten setzt, in denen Jesus als Messias anerkannt und bald von Blinden und Heilsbedürftigen Davidssohn (9, 27. 15, 22, vgl. auch 12, 13), bald von den Jüngern 14, 33 geradezu als Gottessohn angerufen [wird. Indem Baur diese Verwirrung anerkennt,1 zeugt er indirect für Marcus, und Hilgenfeld erklärt geradezu, man könne den Folgerungen, die Ritschl aus Mt. 14, 33 gezogen hat,2 nur entgehen durch die Unter scheidung einer Grundschrift von dem jetzigen kanonischen Matthäus.3 Unsere Untersuchungen haben uns aber hinlänglich gezeigt, dass eine solche Grundschrift des Matthäus nur in A Marcus mit Sicherheit zu entdecken ist. An die Darstellung dieser Quelle hält sich nun aber überdies auch Lucas. Denn bei ihm finden sich jene störenden Aus drücke und Anticipationen des Matthäus nicht und überhaupt nichts von der Messianität vor 9, 20. Denn auch die Sendung des Täufers Lc. 7, 19 erklärt sich nur aus dem fortwährenden Zögern Jesu, das aus zusprechen, was der Täufer von ihm erwartete. Jesu Erwiederung aber 7, 22 enthält nur eine indirecte Erklärung, indem auf Facta verwiesen wird, auf Grund deren das Volk auch auf einen Propheten rathen konnte, wie auch die Rede über den Täufer 9, 27 durchaus keine deut liche Selbstankündigung Jesu als des Messias enthält. 4 — Ganz anders freilich Matthäus. Während bei Marcus Jesus den Dämonen Schweigen gebietet über seine höhere Würde, weist Jesus Mt. 8, 29 dieses un willkommene Zeugniss nicht zurück, ja er tritt gleich in der Bergrede 7, 2 t — 23 in ganz specifischer Weise als Herr und Richter auf, wie auch in späteren Stücken 10, 22 — 33. 11, 25 — 27. Hatten aber in der Weise alle Jünger in Jesu den Sohn Gottes erkannt , so brauchte es keiner be sonderen göttlichen Offenbarung mehr, um hierüber auch dem Petrus die Augen zu öffnen, und am wenigsten konnte er der erste gewesen sein , der diese Entdeckung machte. Jene Aussage steht daher nur bei Marcus und Lucas an ihrem Orte. Es ist auch an sich nichts weniger als wharscheinlich, dass Jesus längere Zeit in gleicher Weise vor allem 1) Theol. Jahrbücher, 1853, S. 77 f. Christenthum der drei ersten Jahrhunderte, S. 37 f. — 2) Theologische Jahrbücher, 1851, S. 515 f. — 3) Evangelien, S. 85. 138f. - 4) Wilke, S. 633 f. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 435 Volke als erklärter Messias aufgetreten sein sollte. Gar lange würde Dies die römische Polizei kaum geduldet haben. Eben desshalb, weil Matthäus das Wirken Jesu von Anfang an als messianisches auffasst , weil er den Messias, dem die Volkshaufen zu strömen, gleich aus der Wüste hervortreten lässt, hatte auch jene schrift stellerische Metathesis , die durch die Anticipation der Bergrede veran lasst war, für sein Bewusstsein nichts Unzulässiges. l Aber auch in anderen Partien der evangelischen Geschichte lassen sich ähnliche Bemerkungen machen. So ist bei Marcus ganz sachgemäss die Verbindung der Momente, durch welche die pharisäische Opposition erweckt und gesteigert wird. Nachdem Jesus einen (S. 71) oder zwei (S. 78. 149) Dämonische geheilt hatte (Mr. 3, 11. 12 steht von Heilung nichts), sind die Pharisäer schon bei der Hand mit ozi iv xcp aqxovxi xwv öaiftoviwv ixßäXXsi xd öaifiövia 3, 22, welche Beschuldigung Mt. 9, 34. 12, 24 nach Erwähnung so vieler Heilungen viel zu spät kommt.2 Nicht minder consequent ist bei Marcus durchgeführt die Un fähigkeit der Jünger, sich in Jesu Reden und Thaten zu finden, vgl. 4, 13. 40. 41. 6, 52. 7, 17. 18. 8, 17. 18. 21. 33. 9, 6. 19. 32. 34. l'O, 24. 32. 35. 14, 40. Vergleichen wir den Matthäus, so finden wir hiervon merkwürdige Abweichungen. Gewöhnlich spricht man von einem gün stigeren Lichte , in welchem die Apostel bei Matthäus erscheinen sollen im Vergleich mit Marcus und Lucas.3 So bei Gelegenheit der Parabel vom Säemann. Diese haben sie nach Mr. 4, 10 = Lc. 8, 9 einfach nicht ver standen. Bei Mt. 1 3, 1 0 ist die betreffende Notiz weggefallen ; vielmehr fragen die Jünger nur, warum Jesus überhaupt in Parabeln rede ; das Gleichniss selbst aber scheinen sie, der Antwort Jesu 13, 11. 12 zufolge, zu Verstehen. Doch darf man diesen Gegensatz, so sehr er durch Mr. 4, 13 '(oix ol'öaxs xfjv naqaßoXrjv xaixrjv) und Mt. 13, 16 (vftwv ös fta- xäqtoi ol otpdaXfiol oxt ßXinovaiv) angedeutet erscheint (vgl. aber S. 80), nicht überspannen. Denn wie bei Matthäus, so erscheinen auch Mr. 4, 11. 12 die Jünger als Solche, denen das Geheimniss des Him melreichs gegeben ist. Und wenn sie dieses Gleichniss vom Säemann Mr. 4, 13 nicht verstehen, so verstehen sie dafür Mt. 13, 36 das vom ungleichen Samen nicht. Ja selbst von der ersteren Parabel berichtet Matthäus eine privatissime an die Jünger gerichtete Auslegung, was doch jedenfalls darauf hindeutet, dass es ihnen nicht schon vollkommen 1) Weisse: Evangelienfrage, S. 213. - 2) Wilke, S. 135. 621. - 3) Ritschl (Theol. Jahrb. 1851, S. 517), Meyer (Zu Marcus und Lucas, 1860, S. 61). Was Baur (Theol. Jahrb. 1853, S. 88 f.) dagegen sagt, würde allerdings »darauf hinauskommen, dass Marcus, der doch neutral sein soll, in diesem Punkte den Lucas noch überboten hätte. <. 28* 436 Fünftes Capitel. durchsichtig gewesen sein kann. Wenn aber Wilke sagt, die Jünger würden Mr. 4, 24. 25 durch denselben Spruch beschämt, der ihnen bei Mt. 13, 12 zur ehrenden Auszeichnung diene,1 so hat nicht blos Meyer auch die Stelle bei Marcus im letzteren Sinne erklärt,2 sondern die hier bei Matthäus statthabende Anticipation beruht auch auf blosen Redactionsmotiven (vgl. S. 188). Ferner macht Ritschl geltend: bei Matthäus seien die Jünger von vornherein Licht und Salz der Welt, 5, 13 — iß • bei Marcus aber sollten sie blos Salz bei sich haben, 9, 50, das Licht aber sei Jesus selbst, 4, 21. Allein dieses Licht, das nicht unter den Scheffel kommen soll, ist doch wohl die Einsicht in das Mysterium des Himmelreichs (S. 81), und den Spruch Mc. 9, 50 liess Matthäus aus, weil er die Reden vom Salz bereits anticipirt hatte (S. 195). Zu viel hat man endlich auch geschlossen aus dem Umstand, dass Mt. 20, 20 die Mutter der Zebedaiden, Mr. 10, 32 diese selbst um die Ehren plätze bitten. Da die Antwort an die Jünger gerichtet ist, haben Mar cus und Lucas offenbar die ursprünglichere Relation. Aber ob die Er zählungsform des Matthäus gerade in der Absicht gebildet sei, die Jünger in Schutz zu nehmen, lässt sich wenigstens bezweifeln. Denn, wie aus der Antwort Jesu hervorgeht, wissen sie jedenfalls um das Anliegen der Mutter; und man könnte auch meinen, dass, wenn die Mutter fiexd twv vlwv aixfjg zu Jesu tritt, Dies eher dazu dienen kann, die Letzteren noch tiefer zu stellen : als Unmündige, für welche daher die Mutter das Wort nimmt.3 Doch vgl. S. 198. — Wir dürfen also nicht mit Ritschl sagen, dass nach der Gesammtanschauung bei Matthäus die Jünger sehr einsichtsvoll und verständig gewesen. Stellen, wie 15, 15. 16 (äavvexoi) ; 16, 5 — 12 (ovnw voelxe oiöi fivrjftoveiexe). 23 (aaxava); 17, 6 (ecpoß/- drjoav). 17 (w yeved anioxog xal öisoxqaftfiivrj); 18, 1 (xig aqa fisi- t,wv); 19, 25 (sgsnXrjooovxo), verbieten auf jeden Fall alle Schlüsse, die in einseitiger Weise gezogen sind aus Mt. 8, 26 (die Frage nach der Stillung des Sturms xig aqa oiixog, aus dem Munde der Jünger Mr. 4, 40 in den Mund des Publikums verlegt); 14, 30 (wo die Jünger sagen äXrjdwg dsov viög sl, während sie nach Mr. 6, 51. 52 nichts von dem Wesen Dessen verstehen, den sie auf dem Meer hatten wandeln sehen) ; 17; 23 (während Mr. 10, 32 die Leidens Weissagung nicht verstan den wird, scheinen sie die Jünger zu verstehen und sind desshalb traurig); 20, 17 (wo die Bemerkung Mr. 10, 32, wornach die Jün ger Jesu mit Staunen und Furcht nach Jerusalem folgten, ausgelas sen ist). Mit Rücksicht auf solchen Befund der Sache werden wir daher da- 1) Urevangelist, S. 209. — 2) Zu Marcus und Lucas, S. 57. — 3) R aur: Theol. Jahrb. 1S53, S. 89. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 437 bei stehen bleiben, dass Matthäus ein geschichtliches Gesammtbild gibt, das dem des Marcus ganz nahe kommt, dass es ihm aber viermal begeg net ist, den ursprünglichen Bericht, in den er sich nicht zu finden wusste, zu alteriren in einem Sinne, dem zu Folge es scheinen muss, als hätten die Jünger schon von Anfang an genau verstanden, worum es sich handelte. Dies thut er aber in ganz schlichter, unbefangener Weise. Denn die bewusste Absicht hätte auch zu grösserer Consequenz geführt. Immer aber erscheint hiernach der Evangelist, wie nicht als Augenzeuge, so auch nicht als unabhängiger und den Sachverhalt klar durchschauender Schriftsteller. Wie viel mehr, als Marcus, Matthäus überhaupt schon in der späteren, einer dogmatischen Terminologie Zustrebenden, Anschauung von Person und Werk Christi drinnen steht, zeigen auch die Titel, die er bereits auf historische Personen überträgt; so heisst Jesus wenigstens im ersten Capitel 'irjaovg Xqtoxög, Simon heisst von Anfang an Petrus, die Zwölfe schon 1 0, 2 ohne Wei teres Apostel (vgl. S. 276 f.), was Alles in der Quelle A noch nicht der Fall sein konnte. Aber nicht blos im Verhältnisse zu Matthäus, auch gegenüber Lucas erweist sich A Marcus als ein wohlzusammenhängendes, durch keine Einschaltung derangirtes Ganzes. Lucas (vgl. 2, 1. 2. 3, 1. 2) ist »der erste Schriftsteller, welcher die evangelische Geschichte durch nähere Zeitbestimmung in die grosse Weltgeschichte einrahmt und dafür sorgt, dass sie auch in der äusseren Zeitrechnung nicht mehr ohne Zusammen hang mit dieser erscheint. « ' Nächstdem offenbart sich sein, im Prolog verheissenes, Streben nach Geschichtlichkeit noch darin , dass er Noti zen aus A zuweilen vorwegnimmt und dahin setzt, wo sie ihm der Voll ständigkeit halber hinzugehören scheinen ; 2 so das Dasitzen der Phari säer 5, 17 (A Mr. 2, 6), das Schlafen Jesu 8, 23 (A Mr. 4, 38), das zwölf Jahre alte Kind 8, 42 (A Mr. 5, 42), das Schicksal des Täufers 3, 19. 20 (AMr. 6, 17—29), die fünftausend Mann 9 , 14 (AMr. 6, 44), die zwei Mitgekreuzigten 23, 33 (A Mr. 15, 27 vgl. 29). Nichts destoweniger bietet Lucas im Einzelnen, wie bereits S. 426 nachgewie sen, durchaus keine chronologischen Anhaltspunkte oder zuverlässige Akoluthie der Erzählungen. Er lässt aus A häufig aus, schaltet noch öfter ein , und es ist nur wieder ein Beweis für den guten geschichtli chen Zusammenhang von A, dass man trotz der freien Behandlung doch Beides, Ausgelassenes und Eingeschaltetes, leicht bemerkt.3 Die geschichtlichen Einschaltungen bestehen aus kleinen Notizen, die ihr Dasein gewissen allgemeinen Gesichtspunkten verdanken, unter 1) Ewald: Evangelien, S. 188. — 2) Wilke, S. 586. — 3) Vgl. Nachweisun gen bei Wilke, S. 602—607. 438 Fünftes Capitel. welche bei Lucas Jesu Leben und Wesen gestellt ist. So vergisst Lucas ausser 4, 42 niemals, so oft Jesus allein ist, anzumerken, dass er gebetet habe (vgl. S. 217. 328). Auch von den Pharisäern macht er 5, 13 die selbe Bemerkung. Anderes von der Art vgl. S. 328. Höchst auffallend ist auch der Gebrauch, den Lucas in seiner Zurechtlegung der, in der Quelle vorfindlichen, Andeutungen eines chronologischen Verhältnisses von der Zahl Acht macht, die bei keinem Synoptiker wieder vorkommt, bei Lucas aber als Ordinalzahl 1, 59 (vgl. Act. 7, 8), als Cardinalzahl 2, 21. 9, 28 (und zwar hier der Quelle A zum Trotz, vgl. S. 224). 13, 4. 11. 16 (vgl. Act. 9, 33. 21, 6); auch öyöorjxovxa Lc. 2, 37. 16, 7. Aber Lucas hat den Rahmen der vorgefundenen Geschichte nicht blos durch solche kleinere Züge und andere Verbindung der Abschnitte, sondern namentlich auch durch grössere Einfügungen erweitert. * Solche neue Stoffe, die ihm zuwachsen, geben zuerst eine Vorstellung davon, dass die wirkliche Lebensgeschichte Jesu unendlich reicher gewesen ist, als A vermuthen lässt, aber dadurch, dass Lucas auch den erweiterten Stoff in die engen Grenzlinien der stereotypen Skizze einzwängt, büsst sein Evangelium an geschichtlicher Ueberschau des Ganzen ebenso viel ein, als es quantitativ gewonnen hat. 2 Die erste Verwirrung bringt er in den wirklichen Gang der evan gelischen Geschichte durch die Anticipation der Scene in Nazareth (S. 214). Alsbald knüpft er wieder an den Gang von A an beiMr.l, 21. Nach diesem neuen Zusammenhang, den er herstellt, ist es dann — um von anderen Selbstwidersprüchen zu schweigen (S. 217) — freilich befremdlich, dass Jesus bei seinem Eintreten in Kapernaum ohne Wei teres in das Haus des Petrus sich begibt. In A , wo Petrus gerade zu vor berufen v/orden war, erklärt sich dies Alles von selbst. Denn so wohl Petrus, als die andern Berufenen wohnen in Kapernaum, und Jesus geht daher mit ihnen ; hier aber wird ja Petrus erst später beru fen — freilich auch, ohne dass man den Zusammenhang begreift. Denn allerdings ist 4, 42—44 die erste Reise Jesu aus A beigebracht; indessen von der Rückkehr wird nichts erwähnt, dennoch aber unmittelbar jene Berufungsgeschichte, deren Scene der See bei Kapernaum ist, ange reiht. Gleichfalls zu Umstellungen und Aenderungen der Scenerie greift Lucas bei Gelegenheit der Apostel wähl (S. 219). Sehr charakteristisch aber für die Methode des Lucas ist die Ver bindung der Speisungsgeschichte 9, 10— 17 mit dem Petrusbekenntnisse 9, 18 — 27. Zwischen beiden Erzählungen fällt eine ganze Reihe von Stücken aus. Aber hier zeigt sich, dass Lucas, wenn er auslässt, 1) Bunsen: Bibel werk, I, S. XLI. — 2) Weizsäcker: Jahrbücher für deut sche Theologie, IV, S. 687 f. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 439 Gründe hat, in der Regel sogar irgend welchen Ersatz bietet. Vgl. S. 105 ff. Am merkwürdigsten bleibt freilich, dass Lucas für die Ge schichte, die er nun wieder aufnimmt, die Localität entlehnt aus dem übergangenen Stück A Mr. 6, 46, wo Jesus in Galiläa ist, die wahre Localität aber (Cäsarea Philippi nach A Mr. 8, 27) auslässt, weil bei ihm die ganze Reise in die nördlichen Gegenden fehlt (vgl. 9, 18 mit A Mr. 8, 27 = Mt. 16, 13). Ueberhaupt aber führt es eine bedeutende Störung des wirklichen Zusammenhangs mit sich, wenn Lucas geflis sentlich alle Spuren einer aussergaliläischen Wirksamkeit Jesu vor der grossen Einschaltung vermeidet. Er hatte sich offenbar vorgenommen, erst in dem mit 9, 51 beginnenden Abschnitte die grösseren Reisen Jesu zu erwähnen , vorher aber seine Thaten in Galiläa zu absolviren (S. 208 f.). Dies thut er unter Zugrundelegung von A, welche Quelle er aber etwas zusammenzieht, um für seinen andern Hauptabschnitt Raum zu gewinnen. Er vermeidet daher, nachdem er 4, 31 schon Gali läa als Schauplatz angegeben hat, die Erzählung, die in dem Gebiet von Tyrus und Sidon spielt Mr. 7, 21. 31, eben so auch die Reise nach Cä sarea Philippi Mr. 8, 27, und umgekehrt lässt er 9, 44 die für seine Darstellung selbstverständliche Bemerkung aus, dass Jesus wieder durch Galiläa zieht Mr. 9, 30. Auch die Rückkehr nach Kapernaum A Mr. 9, 33 = Mt. 17, 24 ist für Lucas überflüssig, vgl. 9, 46. Denn nach seiner Darstellung entfernt sich Jesus bis 9 , 51 überhaupt nicht aus Galiläa, und selbst der ganz vorübergehende Ausflug nach der Ge gend von Gadara 8, 26 wird durch den Zusatz rjxig iaxiv ävxmsqa xfjg raXtXaiag mit diesem ausschliesslichen Schauplatz seiner Wirksamkeit in Verbindung gebracht.1 Während nun aber Matthäus, wie A, abgesehen von solchen klei neren Ausflügen nach 'Norden und von der letzten Reise doch eigentlich nur von einer galiläischen Wirksamkeit Jesu weiss, daher auch die ganze mittlere Partie seines Evangehums mit dem Citat 4, 14 — 16 überschrei ben kann, nimmt Lucas zu A auch insofern eine eigenthümliche Stel lung ein , als er einzelne Elemente darbietet, welche darauf hinweisen, dass Jesus auch schon vor der letzten Reise das südliche Palästina be sucht habe. Wenn 2, 41 gesagt wird, die Eltern Jesu hätten alljähr liche Festreisen nach Jerusalem unternommen, so sollte es sich wohl von selbst verstehen, dass Jesus auch in seinem späteren Leben diese, nach dem Gesetz dreimal jährlich zu vollziehende, Sitte beobachtet und dabei zugleich den weiten, günstigen Schauplatz der Festversammlungen und die Gelegenheit, auf den gebildetsten und einflussreichsten Theil seines Volkes zu wirken, benutzt habe. Am sprechendsten aber ist in dieser 1) Wilke (Urevangelist, S. 586 f.), Weiss (S. 700). 440 Fünftes Capitel. Beziehung die grosse Einschaltung, wo der Bericht des Evangelisten über die letzte Wallfahrt mit allerhand Nachrichten, die wohl auf frühere Festreisen weisen, verschmolzen ist, wie auch aus dem mehr fachen Durchzug durch Samarien (9, 52. 17, 11) zu erhellen scheint.1 Namentlich aber hat man aufmerksam gemacht auf Lc. 13, 34 = Mt. 23, 37, eine Stelle, die sich uns nicht als eine Weissagung ex eventu, son dern als ein vereinzelt überliefertes , daher von Matthäus und Lucas in beliebigen sachlichen und chronologischen Zusammenhang gebrachtes, Xöyiov erwiesen hat (S. 153. 200. 230). Mag man nun das Wort mit Lucas in frühere , oder mit Matthäus in spätere Tage verlegen , immer hin ist das noaäxtg nur gerechtfertigt , wenn Jesus öfters in Jerusalem gewesen war; und B au r's Bemerkung, Kinder der Hauptstadt seien alle, die im Lande wohnen,2 ist um so mehr Ausflucht, als bei beiden Evangelisten eine specielle Beziehung auf die Hauptstadt im Zusam menhang gegeben ist. 3 Endlich legen die Worte, die der Verfasser des dritten Evangeliums Act. 10, 39 den Aposteln in den Mund legt (rjfislg fidqxvqsg nävxwv wv inoirjosv sv xs xfj x^qq xcöv 'iovöaiwv xai Isqov- oäXrjft) das unwidersprechlichste Zeugniss dafür ab, dass Lucas Ga liläa nicht einmal für den regelmässigen Aufenthalt Jesu gehalten ha ben kann. Vergleicht man nun , durch die Andeutungen des Lucas aufmerk sam gemacht, nochmals die erste Quelle und ihre anderweitigen Bear beitungen, so passt sich auch ihr Bericht der Voraussetzung eines öfte ren Aufenthaltes Jesu in Judäa leicht an. Wenn Jesu Name erst nach dem Tode des Täufers zu den Ohren des Herodes Antipas dringen konnte (Mr. 6, 14), so liegt es nahe, anzunehmen, dass die erste Wirk samkeit Jesu sich in nur untergeordneter Weise auf Galiläa erstreckte. Eben weil Herodes in Galiläa herrschte, kann auch der, von Matthäus 4, 1 2 gewählte, Ausdruck äv sxwqrjasv keine Flucht vor dem Mörder des Täu fers bedeuten, sondern es wird dadurch Galiläa als ein verborgener Auf enthalt Jesu gegenüber einer öffentlicheren Scene bezeichnet. Auch was A von Volksmengen, die Jesu aus Jerusalem und Judäa schon frühe nachfolgten (Mr. 3, 7. 8 = Mt. 4, 25), von auflauernden Schriftge lehrten und Pharisäern erzählt, die von Jerusalem nach Galiläa gekom men waren, um Jesum auszuspähen und zu verfolgen (Mr. 2,6. 3, 6. 7. 1), von einem Jünger aus der Stadt Karioth in Juda, der Jesu nach- 1) Wir sehen hier ab von Allem, was die Lösung der johanneischen Frage vor aussetzt, also auch von dem Abschnitt 10, 38 — 42, wo in einer verhältnissmässig frühen Zeit das enge Verhältniss Jesu zu einer Familie erwähnt wird, deren Wohnort nach Joh. 11, 1. 18 in der nächsten Nähe Jerusalems zu suchen ist. — 2) Evangelien, S. 127. — 3) Ganz verzweifelt sind die ferneren Ausflüchte : Theol. Jahrb. 1817, S. 99f. Evan gelien, S. 127 f. — Vgl. dagegen Bleek: Einleitung, II, S. 178 f. Glaubwürdigkeit der synoptischen Evangelien. 441 folgte (Mr. 3, 19), endlich von seinem nahen Verhältniss zu dem von Arimathäa gebürtigen, in Jerusalem begüterten Joseph (Mr. 15, 43. 46), überhaupt von seiner Bekanntschaft in Jerusalem (Mr. 11, 3. 14, 14. 32) erzählt, lässt den Schluss berechtigt erscheinen , dass Jesus schon vor seinem letzten Auftreten in Jerusalem sowohl Gegner, als Freunde gekannt habe. Der Einwand, Jesus habe diese Bekanntschaften schon vor seinem messianischen Hervortreten machen können, will offenbar nichts besagen, da ja eben sein öffentlicher, sein prophetischer Charak ter es ist, der ihm, den betreffenden Stellen zufolge , sowohl Anhänger, als Gegner verschafft. Ohne diese Voraussetzung' und bei nur einmali ger Anwesenheit begreift es sich selbst nach Strauss nicht, wie Je sus in Jerusalem so rasch sich mit der daselbst herrschenden Partei ver feinden konnte. 1 Zwar beruft sich Baur2 eben auf jenen Mr. 2, 6. 3, 6. 7, 1 be zeugten hierarchischen Nexus zwischen Jerusalem und den Provinzen ; man findet es überhaupt wahrscheinlicher, dass Jesus den entscheiden den Schritt eines Auftretens in der Hauptstadt auf zuletzt gespart, also nur einmal in Jerusalem als Messias aufgetreten, dann aber alsbald von den Römern unschädlich gemacht worden sei. Aber die Römer bei der Hinrichtung Jesu in erster Linie thätig sein zu lassen, heisst Geschichte construiren im Widerspruch nicht blos mit den synoptischen , sondern geradezu mit allen Quellen, die hierfür zu Gebote stehen. Da übrigens eben nach unserer Darstellung das Auftreten Jesu als Messias nicht von Anfang an ein gleich öffentliches war, vielmehr erst bei seinem letzten Einzug in Jerusalem ein solches wurde (S. 434), entbehrt dieser Ein wand aller und jeder Berechtigung. Jesus musste sich auf eine Wirk samkeit in Jerusalem, dem Mittelpunkte des Volkes Gottes, durch die Sache selbst gewiesen sehen und konnte nicht so lange damit warten, bis der Hass der hierosolymitanischen Obersten so gross geworden war, um gleich die erste Erscheinung in Jerusalem tödtlich werden zu lassen. Wenn Strauss3 der Meinung ist, dass man wohl von GalUäa keine Festbesucher in Jerusalem erwartete, so ist Dies eine Voraussetzung, die nichts für sich, Alles gegen sich hat. Wenn er zum Beweise hierfür gar auf den judenchristlichen Leserkreis des ersten Evangeliums recur- rirt, der andernfalls die Nichterwähnung solcher Festreisen höchst auf fallend hätte finden müssen, so löst sich dieses Bedenken gegenüber den, von uns dargelegten, Entstehungs Verhältnissen des Matthäus in sich selbst auf. Es war die galiläische Ueberlieferung, die dem Conci- pienten von A zu Gebote stand; dass er, um die Geschichte Jesu zu 1) Leben Jesu, I, S. 470. — 2) Evangelien , S. 128 ff. — 3) Leben Jesu, I, S. 469 f. 442 Fünftes Capitel. Ende zu führen, die letzte Reise nach Jerusalem erwähnen musste, ver stand sich von selbst. Dass er sie mit Absicht als die einzige habe hinstellen und den sich aufdrängenden Gedanken an jährliche Festrei sen ausschliessen wollen, ist blose Unterstellung. Sehr wahrscheinlich wusste er — und ebenso auch Matthäus , vgl. 16, 21 — zwar von den früheren Festreisen nach Jerusalem nichts;1 aber daraus folgt noch nicht, dass der erzählte Stoff selbst eine derartige Ergänzung nicht ver trage. Es ist auch nicht richtig, dass der Berichterstatter nur ein ein jähriges Lehramt Jesu kenne. Vielmehr liegt jede Reflexion auf die Ein- oder Mehrzahl der Jahre, die Jesus mit seiner öffentlichen Wirksamkeit ausfüllte, ihm ganz fern. Er hat keine anderen Anhaltspunkte, als An fang und Ende der Wirksamkeit Jesu. Die Mitte füllt er aus mit einer Reihe von Erzählungen, deren Gedächtniss in ihm frisch war. Es war daher ein unberechtigter Schluss , wenn die Valentinianer, die Aloger und viele Kirchenväter die Wirksamkeit Jesu auf ein Jahr beschränk ten. Denn abgesehen davon, dass der sviavxög xvqiov ösxxög Lc. 4, 19 an und für sich dazu nicht berechtigt, ist es wieder geradezu Lucas, der, wie räumlich, so auch zeitlich die Perspective der Synoptiker unwill kürlich zu erweitern scheint, indem er von einem oaßßaxov ösvxsqönqw- xov 6, 1 redet, was, wenn es nicht nach S. 219 zu erklären ist, auf ein, in die öffentliche Wirksamkeit Jesu hereinfallendes, Passahfest weisen würde, wie auch 13, 7 auf eine mehrjährige Wirksamkeit Jesu hin deutet. Endlich stört Lucas auch die Reihenfolge der Tage in Jerusalem, wenn er die Geschichte vom Feigenbaum um der Parabel 1 3 , 6 — 9 wil len auslässt2 und die Tempelreinigung gleich auf den ersten Tag an setzt oder vielmehr alle Tagezählung aufhebt (S. 235. 237). Dann feh len im parallelen Zusammenhang die Geschichten von der Ehebrecherin wegen 7, 36 — 50 (vgl. auch S. 94), von der Frage nach dem grössten Gebot wegen 10, 25 — 28 und von der Salbung in Bethanien, gleichfalls wegen 7, 36 — 50. Jesus scheint bei Lucas während der letzten Woche überhaupt nicht aus der Nähe Jerusalems sich zu entfernen, sondern sich Nachts auf den Oelberg zurückzuziehen (S. 237). Dennoch setzt Lucas Bethanien wieder voraus, weil er die Sendung der Jünger zur Bereitung des Passahs hat, die nur zu verstehen ist, wenn man sich Jesus von Bethanien aus wandelnd denkt. Dann berichtet er 22, 24 — 27 die Geschichte eines Rangstreites, die AMr. 10, 35 — 45 in frühe- 1) Vgl. Mr. 10, 32. 11, 11 [nävxa nsgißXtcpdfievog, wozu Weisse: Evangelien frage, S. 45, Dante's Fegfeuer 2, 54 citirt), welche Stellen daher von Weisse (Evan gelische Geschichte, I, S. 296) falsch angewandt werden. — 2) Storr (Zweck der evangelischen Geschichte, S. 276), Wilke (Urevangelist, S. 571). Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. 443 rem Zusammenhang steht. Endlich vermeidet er alle Weisungen der Jünger nach Galiläa (A Mr. 14, 28 = Mt. 26, 32 fällt weg, und A Mr. 16, 7 = Mt. 28, 7 wird Lc. 24, 6 verändert) und lässt den Herrn in Bethanien bei Jerusalem den letzten Abschied von den Seinen neh men 24, 50. So gestaltet sich bei Lucas die evangelische Geschichte in einer Weise, die allen Einblick in ihren wirklichen Gang unmöglich machen würde, wofern wir an sie allein gewiesen wären. So undurchsichtig nun aber diese eine Quelle A bei Lucas geworden ist, im Vergleich mit Marcus, so durchsichtig ist bei ihm die andere A im Vergleich mit Mat thäus — und darin, dass Lucas die BestandtheUe der Redesammlung in ursprünglicher Ordnung und mit grösserer Genauigkeit in dem Bericht der empirischen Veranlassung wiedergegeben hat, liegt der Haupt- werth seines Evangeliums für die Geschichtsforschung. §. 28. Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. Ein so freisinniger Forscher, wie Ernst Renan, gewinnt aus dem Ueberblick der neuesten kritischen Arbeiten auf dem Felde der Evangelienkritik die Zuversicht, es mussten unsere evangelischen Be richte dem urchristlichen Factum selbst sehr nahe ihre Entstehung ge funden haben , » wenn auch nicht hinsichtlich ihrer letzten Redaction, so doch hinsichtlich der sie constituirenden Bestandtheile. « x Wie rich tig diese Ahnung in Bezug auf Zeit und Ort war, geht aus den S. 41 1 f. 4 1 7 f. geführten Untersuchungen hervor. Den geschichtHchen Charak ter kann man zum mindesten im Grossen und Ganzen einem Berichte nicht absprechen, der in dem Stammlande des Christenthums selbst ent standen ist, und zwar in zwei unterschiedenen Formen, insofern die ga liläische Relation von A bei Lucas (vergl. S. 166) mit einer Reihe ju- däischer Traditionen versetzt ist, die viel zu klein und untergeordnet sind, und was die Hauptsache ist, zu viel local jüdische Züge und Be ziehungen haben, als dass ein Schriftsteller, wie Lucas, welcher dem Hei- denchristenthum angehört und, nach manchen Verstössen gegen die jüdische Geschichte zu schliessen, dem Judenthum und jüdischen Chri stenthum ferner stand, zur Composition derselben befähigt gewesen wäre. 2 Es ist also in unserm Lucas sowohl die galiläische, als die judäi- sche Tradition repräsentirt, » so dass wir sicher sind, in ihnen zusammen so ziemlich den ganzen Inhalt der Erinnerungen an Jesus, wie sich die selben in dem Gebiete seiner eigenen persönlichen Wirksamkeit erhal- 1) Etudes d'histoire religieuse, 1857, S. 172. — 2).Kö stlin, S. 216. 444 * Fünftes Capitel. ten hatten, zu besitzen, und zwar gleichsam aus dem Munde zweier, in ihren Angaben des Einzelnen häufig differirender , aber dieser ihrer ge genseitigen Unabhängigkeit ungeachtet doch im Wesentlichen mit ein ander übereinstimmender Zeugen, deren Aussagen eben desswegen allen Anspruch auf Glaubwürdigkeit (im Ganzen und Grossen) haben, cc1 Während aber die judäischen Nachrichten des Lucas am längsten Eigenthum blos mündlicher Ueberlieferung gewesen sind und daher am sorgfältigsten untersucht werden müssen in Bezug auf Geschichtlich keit, nimmt A eine mittlere SteUung ein. Diese im südlichen Syrien entstandene Schrift setzt sich nicht, wie Lc. 8, 39 vgl. mit Mr. 5, 20, dem Verdacht aus, dieDekapolis nicht zu kennen, und die, von Wilke,2 Bruno Bauer,3 Hitzig4 u. A. notirte Schwierigkeit, dass Mr. 6, 45 Bethsaida an das östHche Seegestade verlegt erscheint, löst sich am ein fachsten durch die Erwägung, dass Marcus die Einsamkeit der Wüste so sicher nach Peräa verlegt wissen will, als er 6, 53 die, von hier über den See Gefahrenen, in der Landschaft Genezareth ankommen lässt; wie er denn überhaupt nur von einem Bethsaida spricht (vgl. S. 84. 86. 224). Erst als bei Gelegenheit der letzten Reise das eigenthümliche geographische Gebiet dieser Quelle verlassen werden muss, stellt sich auch alsbald eine auffallende und mit dem Früheren contrastirende Un sicherheit in topographischer Beziehung ein, wie es z. B. Mr." 11,1 = Lc. 19,29 scheint , als seien Bethphage und Bethanien neben einan der gelegen.5 Aber nur mindere Sicherheit soll damit ausgesagt werden, nicht Unkenntniss der Localitäten. Gegen letztere Annahme sprechen Stellen, wie Mr. 11, 4. 12, 41. 13, 3. 14, 3. 15. 18. 22. 26. 32. 54. 68. 15, 16. 22. Am sichersten werden wir uns immerhin auf A verlassen können, wo die Relation sich auf galiläischem Boden bewegt, wenn gleich auch hier wieder angenommen werden muss , dass dieses älteste Geschichtsbild schon durch die locale Beschränktheit der, in ihm zu- sammengefassten, Ueberlieferungen von vornherein in einen beengen den Rahmen gefasst erscheine; wenigstens werden wir diese Conces- sion in dem Falle nicht umgehen können, wenn wir jene, bei Lucas aufgefundenen, Spuren einer aussergalüäischen Wirksamkeit Jesu aner kennen. Nehmen wir noch hinzu, dass auch A erst entstanden ist, nachdem die darin zusammengefassten Ueberlieferungen einige Jahrzehnte blos mündliche gewesen waren , so lässt sich zwar immer voraussetzen , dass der wirkliche Gang der galiläischen Ereignisse in A noch deutlicher 1) Köstlin, S. 398. — 2) Urevangelist, S. 568. — 3) Kritik der ev. Gesch. der Synoptiker, II, S. 357 f. - 4) Joh. Marcus, S. 43 f. 121 f. — 5) Bleek: Synopsis, II, S. 296 f. Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. 445 wieder zu erkennen sein werde, als in den späteren Combinationen und Compilationen. Dennoch aber ist schon in dieser Hauptquelle das histo rische Gebiet in mehr als einer Beziehung schwankend und unklar ge halten. Man merkt nicht einmal, ob Jesus nur ein Jahr, oder mehrere, und im letzteren Falle, wie lange ungefähr er öffentlich aufgetreten ist.1 Nur dass 2, 23 das Getreide hoch steht und 14,1 wieder die Osterzeit naht, wird ausdrücklich gesagt.2 Ferner hat manchmal, wie z. B. bei Verbin dung der beiden Sabbatserzählungen Mr. 2, 23 — 3, 6 offenbar die sachliche Verwandtschaft Anlass zur Folge der Ereignisse gegeben. Auch scheint Mr. 1 , 14 = Mt. 4, 12 der Zug Jesu aus Judäa nach Ga liläa mit der Gefangennahme des Täufers durch Herodes in Verbindung gebracht, was an sich nicht wahrscheinlich ist, weil sich sonst Jesus ge rade in das Gebiet desselben Herodes zurückgezogen hätte. Indessen ist aUerdings anzuerkennen, dass Marcus diese falsche Motivirung nicht direct an die Hand gibt,3 und über Matthäus vgl. S. 440. Was die, der Beobach tung der Gewährsmänner nicht unmittelbar sich darbietenden, Vorgänge Mr. 6, 14 — 29 betrifft, so mag sich der Schriftsteller bei Abfassung des Abschnittes allerdings mehr von seiner Combination haben leiten las sen.4 So ist auch der Bericht vom Speisewunder, wie er in doppelter Gestalt cursirte, auch an zwei Stellen des Lebens Jesu angebracht, was nicht ohne Verwirrung abgeht (S. 85 f.). Hinsichtlich des Redeinhaltes aber ist durchaus unbegreiflich, wie bei den Jüngern so oft wiederholte, dürre Worte, womit Jesus in A auf detaillirteste Weise sein Leiden und Auf erstehen vorhersagt, theils nicht verstanden worden (Mr. 9, 32), theils ganz ohne Wirkung geblieben sein sollten in Bezug auf die Aufer- stehungshoffnung. Es muss daher angenommen werden, dass zur Zeit der Abfassung von A die allgemein und räthselhaft gefasste Vorhersa gungen Jesu, von deren Manier die Quelle A ein Muster liefert Mt. 12, 39. 16, 4, bereits nach dem Erfolg commentirt und specialisirt waren, wie ja in ebenso anachronistischer Weise 1, 15. 8, 35. 10, 29. 13, 10. 14, 9 auch vom Evangelium die Rede ist. Aber auch in formaler Beziehung sind die Worte Jesu, wie sie in A vorliegen, durch das Me dium einer erkennbaren Bearbeitung hindurchgegangen, insofern als die wenigen Partien, wo A grössere Redestücke gibt, sich als Aggregate präsentiren. Dies gilt schon von Mr. 4, 21—25. 8, 36—9, 1,B noch sicherer von 9, 33 — 50, einer Stelle, »in deren Zusammensetzung das 1) Hilgenfeld (Die clementinischen Recognitionen und Homilien, 1848, S. 160 f. Evangelien Justin's, S. 337), Baur (Evangelien, S. 363 f. Christenthum der drei ersten Jahrhunderte, S. 38). — 2) Hitzig: A. a. O. S. 123. — 3) Hitzig: Joh. Marcus, S. 43. — 4) B. Bauer (Kritik der ev. Geschichte der Synoptiker, II, S. 348 ff.), Hitzig (Joh. Marcus, S. 121). - 5) Weisse : Evangelische Geschichte, I, S. 491. 531. 446 Fünftes Capitel. Element der Zufälligkeit, welches von der Entstehung dieses Evange liums sich datirt, auffallender noch als anderwärts , hervortritt. « * Es wird nämlich zum Schlüsse des Berichtes von Jesu Wandel in Galiläa an die Erzählungen vom Rangstreit und von dem in die Mitte gestell ten Kinde 9, 33—37 zuerst — und zwar blos durch das ini xcp ovöfiaxi veranlasst2 — die Antwort Jesu auf die Frage des Johannes 38 — 41, und an deren Schluss mit leichter Ideenassociation die Rede vom Aer gerniss 42 — 48 angehängt; schon oben (S. 89) wurde gezeigt, wie die Rede weiter schreitet zu dem Ausspruch über die Versöhnlichkeit Lc. 17, 3. 4 = Mt. 18, 15. 22, woran sich dann erst die Schlussverse Mr. 9, 49. 50 anschlössen. Diese sind zunächst allerdings vermöge eines blos lexikalischen Zusammenhangs durch die Erwähnung des Salzes zu sammengehalten, desshalb auch schlechterdings unverständlich, so lange man dem Spruch vom Salz 50 a die ihm ganz fremde bildliche Bedeu tung, die das Salz 50 b hat, unterlegen wiU,3 oder so lange man den ganzen Vers mit der bei Marcus unmittelbar vorhergehenden Partie glaubt in Einklang bringen zu müssen.4 Auch enthält dieser Schluss keineswegs eine Rückbeziehung auf die 33 erzählte Veranlassung der Reden , sondern erklärt sich vielmehr blos unter der , auch sonst fest stehenden, Voraussetzung, dass Marcus vorher abgekürzt hat, und dass in A vor Mr. 9, 49. 50 die Reden von der Versöhnlichkeit standen (S. 232). — Nicht minder schimmert durch die geschichtliche Form der Erzählung A Mr. 10, 2—43 die lehrhafte Absicht durch, die christliche Ansicht von der Ehe, dem Besitz und den irdischen Rangverhältnissen darzulegen,5 wie auch die Wortkämpfe A Nr. 57 — 64 in ihrem ganzen Baurisse und in der Art, wie alle Parteien nach einander auf der Scene erscheinen, eine zu verdächtige Aehnlichkeit miteinander haben, als dass man die ununterbrochene Folge solcher Auftritte in die Wirk lichkeit verlegen dürfte.8 Als ein bloses Anhängsel charakterisirt sich im Weiteren Mr. 11, 25. 26 ;r und auch die Frage, ob eine Rede, wie Mr. 13, nicht schon als Composition des frühesten evangelischen Schriftstellers zu betrachten sei, verdient noch eingehender unter sucht zu werden.8 Nehmen wir dies Alles zusammmen und erinnern uns zugleich, dass die Berichte über Taufe, Versuchung, Verklärung in dieser Form, wie schon A sie liefert, anerkanntermassen ebenso viel idealen, wie realen Gehalt haben, so ist klar, dass wir es hier nicht mit einem , auf exacte Darstellung im Sinne unserer Zeit Bedacht nehmen- 1) A. a. O. S. 74. 555. — 2) A. a. O. S. 77. — 3) Baur: Evangelien, S. 591. — 4) Gut hierüber Seh er er (Nouvelle revue, IV, S. 76), Bleek (Synopsis, II, S. 87). — 5) Hilgenfeld: Evangelien, S. 96. — 6) Gfrörer: Urchristenthum, n, 1, S. 213. — 7) Bleek: Synopsis, II, S. 314. — 8) Weisse: Evangelienfrage, S. 170 ff. Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. 447 den, Geschichtsschreiber, sondern mit einem solchen Referenten zu thun haben, dessen, von der Herrlichkeit seines Gegenstandes bewegtes, Herzblut zwar zuweilen vorschiessen will bis in die, den ersten Ein druck aufnehmenden , Sinnesorgane , x dem aber dennoch der darzustel lende Gegenstand in einer viel zu übermächtigen Wirklichkeit und Nähe noch vor dem inneren Auge stand, als dass an eine Verflüchtigung seiner eigentlichen Substanz im Nebel der frommen Phantasie gedacht werden könnte. Es gilt besonders für die letzte Behauptung, die aber schon an den S. 431 ff. gemachten Beobachtungen eine feste Stütze hat, fernere Beweise beizubringen. Schon S. 106 f. wurde auf die vielfachen, bei Matthäus und Lucas meist verwischten, Vor- und Rückweisungen im Text des Marcus aufmerksam gemacht. Merkwürdiger aber ist noch, dass der Schrift steller sich dieses fortlaufenden Fadens, der das Ganze durchzieht, so vollkommen bewusst ist, ohne dass er es je für nöthig findet, ihn so deutlich und absichtlich sichtbar werden zu lassen , wie Matthäus und Lucas thun, sobald sie einmal einen wirklichen Zusammenhang aufge funden zu haben glauben. Diese echt epische Weise, das Einzelne her vorzuheben und den allgemeinen Zusammenhang im Hintergrunde zu lassen, zeigt sich z. B. darin, dass nirgends, wie Mt. 4, 13, gesagt ist, dass Jesus Kapernaum zum Mittelpunkt seiner Wirksamkeit machte, aber daraus, dass er von seinen Reisen immer wieder dorthin zurück kehrt, entnehmen wir die Bedeutung der kurzen Notiz Mr. 1, 21. Es wird nirgends mitgetheilt, dass er am Meer zu lehren pflegte ; so oft er es aber im einzelnen Falle that, wird es immer hervorgehoben. Es wird nicht beschrieben , wie die feindliche Partei seit dem ersten Mo ment der Collision 3 , 6 ihm auf allen Wegen nachschlich , aber aus den zwei Fällen 3, 22. 7, 1 kann man es sich klar genug abstrahiren. Aehn lich zeigt uns die zweimalige Angabe 7, 24. 9, 30, dass Jesus sich in der letzten Zeit seiner galiläischen Wirksamkeit vom Volke zurückge zogen hat, und die zweimalige Angabe 11, 11. 19, dass er in seinen letzten Tagen ausserhalb Jerusalems zu übernachten pflegte, was erst Lc. 22, 37 generaUsirt und deutlich ausgesprochen wird.2 Während die Quelle A es daher dem Leser überlässt, sich eine Totalansicht von dem Wirken Jesu auch in geographischer Hinsicht zu entwerfen, ist sie sehr genau in der detaillirten Angabe der Oertlichkeit, wie z. B. dass etwas im Hause (2, 1. 3, 19. 7, 17. 9, 28. 33. 10, 10) oder auf dem Wege (2, 23. 8, 27. 9, 33. 10, 17. 32) vor sich geht. Dahin gehört auch 4, 1. 6, 47 der Gegensatz von iv xfj daXäoorj und ini xfjg yrjg. Bios Marcus hat die Situation Christi auf dem Schiff 4, 38, das nqög xcp oqsi 5, 11 , das 1) Vgl. a. a. O. S. 92. — 2) Weiss, S. 651 f. 448 Fünftes Capitel. xaxsvavxi xov ieqov 13, 3, das eig fiiaov 14, 60 und sig xö nqoavXiov 14, 68, das e'ow xfjg aiXfjg 15, 16, das naqsoxrjxwg ig ivavxiag avxov 15, 39. Vgl. auch die Angaben der Oertlichkeit 1, 28. 4, 10. 11. 5, 20. 6, 55. 7, 31. 8, 10. 9, 30. 11, 4. 12, 41. 16, 5 — SteUen, in welchen die Genauigkeit des Marcus zum mindesten nicht immer von den beiden Seitenreferenten zugleich erreicht wird. Andererseits ist zum Beweise für den historischen Charakter von A und der Reproduction dieser Quelle im zweiten Evangelium, dieses letz tere auch genauer in Zahlangaben, z. B. 2, 3 (4 Träger). 5, 13 (2000 Schweine). 6, 7 (je zwei Jünger).. 6, 37 (200 Denare). 40 (die 5000 sind gelagert in 50 Reihen zu je lOOMann). 8, 14 (das eine Brod). 13, 3 (4 Jünger). Nicht von dem nämlichen Werth ist 14, 30 der zweimalige Hahnenschrei. Dagegen sind auch die Zeitangaben wie malerischer (1, 35. 16, 2), so auch bestimmter und häufiger, vgl. Mr. 2, 1. 26. 4, 35. 6, 2. 11, 11. 20. 14, 12. 68. 72. 15, 25 (er allein hat die Kreuzigungs stunde). 42. 16, 1. Noch auffallender ist, wie Marcus oft, im Gegen satz zu den Anderen , die handelnden Personen näher bestimmt nach Namen (1, 20. 3, 17. 10, 46. 11, 21. 15, 21. 40. 47), Verwandtschaft (3, 32), Begleitung (4, 36. 8, 10), Situation (7, 30. 9, 14. 15. 25. 11, 4. 13, 1); wie er, um ja nicht missverständlich zu werden, dieselben Namen immer wieder entweder andeutet (15, 20), oder ausdrücklich nennt (2, 16. 18. 10, 46), wo die Anderen diesen Ueberfluss scheuen. Von manchen historischen Erscheinungen wissen wir blos durch Mar cus, z. B. von den Herodianern, die Mr. 3,6 und 12, 13, vielleicht auch 8, 15 stehen, während Matthäus sie zwar 22, 16 = Mr. 12, 13 ab schreibt , dagegen 16,6 durch die Sadducäer ersetzt ; Lucas aber weiss gar nicht mehr, was er aus ihnen zu machen hat, und lässt sie überall weg. Dahin gehören auch 3, 22. 7, 1 die aus Jerusalem herabgekom- menen Schriftgelehrten und so manches Andere, bei Aufstellung der Tafeln in §§. 5. 12. 13 Angedeutete, worin die grössere Geschichtlich keit des Marcus vor den Seitenreferenten nicht blos , sondern auch der gewöhnlich bis in die Einzelnheiten herein acht historische Charakter der QueUe A sich bewährt. Es sei hier besonders noch Eins hervorgehoben. Schon die Be sprechung des Sprachcharakters (S. 284 f.) hat uns auf das Resultat eines unmittelbareren, lebensfrischeren Colorits der Darstellung in A geführt. Hier nun , wo von dem Charakter dieser Schrift als einer Ge schichtsquelle die Rede ist, muss dieses malerische Gepräge noch be stimmter hervorgehoben werden. Hierher gehören schon umständlichere Motivirungen und Erklärungen, wie 2, 15. 18. 5, 29. 30. 6, 52. 8, 1. 3. 33. 9, 6. 11, 13. 31. 12, 28. 34. So hat aber auch blos Marcus die Scene mit dem um Jesus herumsitzenden Volk 3, 32. 34, die Tafelord- Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen, 449 nung des Herodes 6,21, die Beschreibung der Freude des geheUten Blinden 10, 50, die radicale Verdorrung des Feigenbaums 11, 20, das Umherblicken (11, 11) und Umherwandeln (11, 27) im Tempel, das neugierige Nahen des Schriftgelehrten (12, 28), das sich Wärmen des Petrus 14, 54. 67. Hierzu kommt eine Reihe kleinerer Federstriche, die nur mit der grössten Ungerechtigkeit als Schnörkeleien des » stummel- fingrigen Evangelisten« (S. 121) betrachtet werden können, während sie in der That doch auch zum Colorit des Ganzen das Ihre beitragen, wie 5, 42 xai nsqisndxsi , 6, 5 die einzelnen Heilungen, 14, 3. 5 die Beschreibung der Nardensalbe ; endlich sind auch kleinere Partien, die Marcus allein hat, ganz individuellen Gepräges, wie 11, 16. 14, 51. 52 und vor allem die beiden Heilungsgeschichten 7, 32 — 37 und 8, 22 — 26 mit ihrer detailHrten Beschreibung des Heilverfahrens Jesu und des Hergangs der Heilung; vgl. besonders Mr. 8, 24. 25 — womit freilich nach Baur »nur der Verfasser seine physiologischen Kenntnisse über die Theorie des Sehens an den Tag legt. « x Unter so bewandten Um ständen werden wir, bei aller Anerkennung, dass auch Marcus zuweilen Zusätze macht (S. 1 11), wie z. B. des rjv fisxd xwv drjqiwv 1, 13 (S. 69 f.), doch wohl thun , solcherlei kleine Züge , von denen uns , ob sie in A standen, oder nicht, bisher zweifelhaft war, dieser Quelle zuzuschreiben, sobald sie diesem Charakter malerischer Lebendigkeit entsprechen, wie vielleicht schon 1, 10 axitpfievovg, sicherer 1, 7 xvxpag, 1, 20 fisxd xwv fiiadwxwv, 9, 3 oia yvacpsvg ini xfjg yrjg oi övvaxai ovxwg Xsvxävai. Die letztere Notiz erinnert uns überdies noch an die sogenannten hyper bolischen Ausdrücke des Marcus, aus denen man schon auf seinen secun dären Werth schliessen wollte. Aber jene mehr oder weniger überschweng lichen Ausdrücke tragen doch niemals den Charakter gedankenloser Uebertreibung , sondern sind durch klare Vergegenwärtigung des be stimmten historischen Moments hervorgerufen. So waren die Hyperbeln nävxag 1, 32 und oXrj 1, 33 nothwendig, um das Wort des Petrus zu motiviren, oti navxsg ^rjxovaiv os, 1, 37; so das nqwi i'vvvxa Xiav 1, 35 (vgl. 1 6, 1), um zu erklären, wie Jesus unbemerkt des Petrus Haus ver lassen konnte; so das waxs firjxexi avxöv övvaadai cpaveqwg eig noXiv eiaeXdelv 1, 45, um den Charakter zunehmender Unstetheit, den von jetzt an Jesu Wandel darbietet, zu begründen; so das waxs firjxexi xotqelv ftrjöi xd nqög xrjv dvqav 1,1, um das Verfahren der von Jesu gewür digten niaxig zu beschreiben 4/5; so 3, 10 waxe inminxeiv aixcp, um auf die Nothwendigkeit der Herbeiziehung mehrerer Jünger, sowie der Lehrvorträge vom Schiffe aus vorzubereiten; so 3, 20 waxs ftr) övvaadai aixoig firjöi aqxov opayeiv — eine specielle Erinnerung, die an jenem 1) Mareusevangelium, S. 58. Holtzmann. 29 450 Fünftes Capitel. Moment haftete, der das angespannte, stets im Feuer stehende , daher auf Andere einen so bedenklichen Eindruck machende (21. 22), Wesen und Walten Jesu besonders stark hervortreten liess; so 4, 37 die Heftig keit des Sturms, so 5, 3. 4 das unheimliche Treiben des Dämonischen, um die Reaction dagegen und ihren psychologischen Effect anschaulich zu machen. Alle diese Ausdrücke sind mit dem darzustellenden Stoff aufs engste verwachsen, ja unmittelbar damit gegeben. * Zu solchen dem unmittelbaren Leben entnommenen Zügen in A gehört auch jene lebendige Weise des Fragens, wovon uns S. 92 schon ein Beispiel vorgekommen ist; übrigens mag hier, was S. 345 bereits angedeutet wurde, noch näher ausgeführt werden, wie, was die Seiten referenten in der Regel verwischen, im Marcus eine Frage selten allein steht, sondern immer von einer andern gefolgt wird, die nach demselben Objecte, aber von einer andern Seite her zielt; so 2, 7 — 9. 6, 2. 3. 7, 18. 8, 17. 18. 9, 19. 11, 28. 14, 37. Im Uebrigen verweisen wir hier auf Wilke's Darstellung des contrastliebenden und mit dem Ende gern in den Anfang zurücklaufenden Redestyls in A, der bei Matthäus und Lucas zuweilen nur so wiedergegeben ist, dass ein unnöthig scheinen des, aber zur Symmetrie des Ganzen nothwendiges , Redetheilchen ab geschlagen, das Ganze also verstümmelt erscheint. 2 Haben wir so in der Quelle A eine Geschichtserzählung gefunden, in deren anschaulicher und kernhafter Eigenthümlichkeit sich die ur sprünglichste Erinnerung der Jünger kundgibt, so liegt uns nun ob, den zweiten Grundstamm authentischer Berichterstattung, die Quelle A, einer ähnlichen Betrachtung zu unterziehen. Wie wir schon S. 126 ff. sahen, lässt sich weder des Matthäus noch des Lucas Composition unter der Voraussetzung blos Einer Quelle erklären. Beide theilen z. B. den Weheruf über Bethsaida und Kapernaum mit, Beide aber berichten nichts von Ereignissen, durch welche er veranlasst sein könnte. 3 Auch Bleek findet es daher am wahrscheinlichsten, dass dieser Ausspruch eben in einer Quelle gestanden habe, die ursprünglich blos Reden und Sprüche Jesu enthielt. 4 Natürlich konnten die angezogenen Reden nur in einen späteren Zeitraum des Lebens Jesu fallen , und dass sie in A ziemlich weit vorgerückt stehen (S. 146), beweist nur, dass wir in dieser Quelle nichts weniger als einen chronologischen Fortschritt suchen dürfen. Verhält es sich nun mit dieser zweiten Quelle wirklich so, wie wir nachgewiesen haben, dass sie nämlich als von einem apostolischen Ohren zeugen herrührende , fast ganz ohne alle geschichtliche Einkleidung ab- 1) Wilke : Neutestamentliehe Rhetorik, S. 438 f. 448 f. — 2) Rhetorik, S. 437 ff. 441. — 3) Hilgenfeld: Evangelien, S. 76. — 4) Synopsis, I, S. 462. Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. 451 gefasste, Redesammlung aufzufassen ist, so muss ihr gegenüber jeder Zweifel an vollkommener Glaubwürdigkeit am sichersten verstummen, zumal unter den S. 379 f. gegebenen Voraussetzungen hinsichtlich ihres Tendenzcharakters. Schleier macher's glückliches Apercu hat uns hier in der That auf einen Stoff gewiesen, der, wenn irgend ein anderer, das innere Merkmal seiner Aechtheit, die Kraft der Selbstbeglaubigung in sich trägt und uns eben dadurch ganz von selbst einen fast untrüglich zu nennenden Maassstab des Urtheils über die inneren Zusammenhänge und über den geschichtlichen Charakter der übrigen Masse des Ueber- lieferten an die Hand gibt. 1 Erst auf dieses , besonders bei Lucas noch im Naturzustand vorfindliche, Aggregat von Edelsteinen findet seine Anwendung, was Baur von den Reden im Matthäus sagt: »Es ist nicht sowohl die Person , die der Rede ihre Bedeutung gibt , als vielmehr das Inhaltsschwere der Rede, das die Person selbst erst in ihrem wahren Licht erscheinen lässt, es ist die Sache selbst, die hier spricht, die innere, unmittelbar an die Herzen dringende Macht der Wahrheit, die sich hier in ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung ankündigt. « 2 Man lese diese Reden, man beobachte, wie da ein gewichtiger Satz den andern, ein Lichtblick den andern drängt, wie Spruch an Spruch, Bild an Bild sich reiht, und es wird zugleich eine hellere Vorstellung sich bilden von der unendlichen Fülle, von dem nicht auszuschöpfenden Born, dem sie entstammen. Während der, das Bewusstsein Jesu aus füllende, originale Gedankeninhalt in der Quelle A, gemäss ihrem historischen Charakter, gleichsam nur nach Einer Dimension zur Dar stellung kommt, auf dem langen Faden des geschichtlichen Nacheinan- ders einzelne Knotenpunkte bildend, gewinnen wir aus A eine über raschende Einsicht in seine Breiten- und Tiefenverhältnisse. Es ist nicht zu viel gesagt, was Ewald hier findet vom »lebendigen Hauch, der Alles durchströmt, « von »rein schöpferischer Kraft, welche überall in dem einzelnen Satze, wie in dem ganzen Gefüge und Fortschritte der Rede hervorsprühet,« von »unnachahmlichem rednerischem Schwung, welcher in wenigen Worten und Sätzen sich bis zum Aeussersten stei gert und mit leichter Wendung sich wieder in ruhigster Würde herab- lässt,« von einer »ganz erhabenen Gewalt, welche jede, auch die entfernteste Wahrheit, unentweichbar trifft und mit jedem Schritte un widerstehlich wächst. « » Es ist eben vorzüglich auch dieser völlig eigen thümliche Zauber des Ganzen dieser Reden , worin man noch den An hauch des Einzigen ganz nahe fühlt, und den Niemand wieder in's Leben rufen und in der Schrift verewigen konnte , der nicht ihm ur- 1) Weisse: Evangelienfrage, S. 79. — 2) Christenthum der drei ersten Jahr hunderte, 1860, S. 25 f. 29* 452 Fünftes Capitel. sprünglich ganz nahe gestanden, und in dessen Geist seine Art, zu reden und zu beweisen, nicht aufs Tiefste sich eingesenkt hätte. « 1 Irrthümer, wie die des »sächsischen Anonymus,« als könnte ein solcher In halt selbst dann, wenn er, was als möglich gesetzt wird, von einem Apostel aufgezeichnet ist, doch unächt und ungeschichtlich sein,2 wer den daher je länger, je weniger bei competenten Richtern Gehör finden. 3 Von der grössten Bedeutung ist nun aber eine Vergleichung beider Hauptquellen, angestellt als Versuch, eine Controle zu finden für die historische Richtigkeit jedes einzelnen Berichterstatters. Eine mäch tigere und unverwerflichere Gewähr für die Geschichtlichkeit eben dieser, in den Evangelien mit bestimmten Charakterzügen gezeichneten, Persönlichkeit und ihrer Lebensschicksale kann es nicht geben, als wenn durch Combination beider nachgewiesener Quellen sich ein Ap parat herstellen lassen sollte, vermittelst dessen die historische Forschung nicht blos auf den geschichtlichen Boden des Lebens Jesu überhaupt, sondern auch bis auf den bestimmten Moment zurückzulangen vermag, dem dieses oder jenes Wort seine Entstehung verdankt. Schon Köst lin hat im Allgemeinen darauf hingewiesen, wie die Quelle A uns von Inhalt und Charakter der Lehre Jesu ein Bild liefert, das dem, aus A gewonnenen , vollständig entspricht und oft bis ins Einzelste zur Be stätigung dient. 4 Aber gerade dieses Einzelne richtig nachzuweisen, hindert ihn seine schiefe Ansicht über Umfang und Charakter jener Quellen. Unter Voraussetzung unserer Resultate lässt sich dagegen die Sache zur vollen Evidenz bringen. Wir beginnen mit dem Aeusserlichsten. So charakteristisch die schriftstellerische Verschiedenheit im Ausdruck der Reden Jesu in bei den Quellen hervortritt, so auffallend treffen dieselben doch zusammen nicht blos in dem substanziellen Inhalt jener Reden, sondern selbst in der Wiedergabe der äusseren Form und Manier, in der wir sonach ohne Weiteres den eigensten Styl des Herrn selbst anzuerkennen haben. Dass die Rede Jesu besonders in der Quelle A in gleichgegliederten Sätzen sich bewegt, wurde schon S. 339 nachgewiesen. Aehnliches findet sich aber doch auch sonst (vgl. S. 355) und besonders in der Berg predigt A Lc. 6, 20—22. 24—26. 32—35. 47— 49 und in parabolischen Erzählungen, wie z. B. Mr. 12, 1—8. Auch die Makarismen der Berg predigt Lc. 6, 20—22 haben ihre Parallelen in A Lc. 7, 23 = Mt. 1 1, 6. Lc. 10, 23 = Mt. 13, 16. Lc. 11, 28. 12, 37. 38. 43 = Mt. 24, 46. Lc. 14, 14. Dass überhaupt der originelle Styl der Reden, die glück liche Form, die Jesus für seine Anschauungen über Göttliches und Welt. 1) Jahrbücher, II, S: 197 f. — 2) Sendschreiben an Baur, 1848, S. 26 ff. -*- 8) Vgl. Baur's Antwort: Theol. Jahrbücher, 1849, S. 313 f. — 4) Evangelien, S. 397.' Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. 453 liches zu finden weiss, die Vorliebe für populäre Argumentationen a majori, a minori, a parte, hier wie dort völlig identisch ist, bedarf kaum mehr eines Beweises. Aber auch der geschichtliche Hintergrund ist für einzelne Rede theile in beiden QueUen derselbe, wie z. B. A Lc. 1 , 24 — 26 = Mt. 11, 7—9. Lc. 7, 33 = Mt. 11, 18 zur Bestätigung des Berichtes A Mr. 1, 1 — 6 dient. Ja selbst in der, vorauszusetzenden, äusseren Si tuation findet zwischen A und A zuweilen ein Zusammentreffen der frappantesten Art statt. Wir erinnern an das bezeichnende Stück A Mt. 9, 32—34 = 12, 22—24, wozu jedenfalls in A eine Parallele zu finden war (S. 148 f.), aber so, dass unmittelbar ' hinter die Erzählung von der, durch die HeUung eines Dämonischen motivirten, Lästerung der Pharisäer angereiht war das durch eine ähnliche Heilung (eines Taubstummen nach A Mr. 7, 32) motivirte Zeichenfordern derselben Pharisäer, welches aber in Wirklichkeit erst geraume Zeit nach dem ersteren Vorfall statthatte. Nichtsdestoweniger ist dem Verfasser von A die wirkHche Situation, die zu den Reden gegen die Beschuldigung der Belzebulgemeinschaft Veranlassung gegeben hatte, so gegenwärtig geblieben, dass er unmittelbar an dieselben, und noch ehe er auf das Stück vom Zeichen des Jonas übergeht, eine, zwischen beiden noch Lc. 11, 27. 28 sich vorfindliche, Scene einschiebt, wornach ein Weib die Mutter Jesu darum , dass sie diesen Sohn geboren , selig pries. Dazu bemerkt schon Schleiermacher: »So etwas erdenkt sich nicht leicht jemand, und schiebt auch Keiner anderwärts her in einen schon organi- sirten Zusammenhang der Darstellung mitten ein. Dagegen gehört eine frische und lebendige Erinnerung dazu, um solche kleine, den grösseren Zusammenhang eigentlich störende Umstände an Ort und Stelle mit zu erwähnen. « 4 Die Veranlassung zu diesem Makarismus liegt nun aber klar zu Tage, sobald wir die parallele Scene A Nro. 1 9 vergleichen, wo während Jesus im Innern des Hauses sich gegen die Pharisäer verthei- digt, von aussen Maria und ihre Kinder hereindrängen, bis ihre An wesenheit dem Herrn gemeldet wird. Gerade in diesem Moment über tönte die Stimme eines Weibes, die seine Mutter sah, das aufgeregte Hin- und Widersprechen der streitenden Parteien, und so dient der in A mitgetheilte Zug zur ungesuchten Ausmalung der ganzen, in A ge schilderten, Scene. Damit ist aber ein Räthsel, mit dem schon Strauss2 und Ritschl sich zu schaffen gemacht, und das sie für unlösbar erklärt hatten, 3 in einer Weise aufgehellt, die zugleich ein Siegel auf das be deutendste aller unserer Resultate drückt. 1) Versuch, S. 177 (129 f.). — 2) Leben Jesu, I, S. 718 ff. — 3) Evangelium Mar cion's, S. 254. 454 Fünftes Capitel. Zur Uebereinstimmung in der äusseren tritt eine ebenso auffallende Uebereinstimmung in der inneren Situation, welcher die Reden Jesu ent stammen. Wie in A Mr. 6, 6 den Herrn selbst der Unglaube der Na zarethaner überrascht, so auch ist er A Mt. 11, 25. 26 = Lc. 10, 21 anfänglich betroffen über die Thatsache, dass die Unmündigen allein für seine Predigt Ohren haben. Von Einzelnheiten aus dem Lebensgange Jesu sei hier nur an die beiderseitigen Berichte über die Jünger erinnert. Wie Solche, die ihm näher treten wollten, anzuknüpfen Gelegenheit nahmen, darüber finden sich in A Mr. 12, 28 — 34 und in yL Lc. 10, 25 — 28 zwei Erzählungen , die sich offenbar auf dasselbe Factum beziehen (S. 226) und daher schon Mt. 22, 34—40 combinirt werden. Wenn ferner A Mr. 1, 16. 2, 14 auf die genaue Beobachtung der zu Berufen den aufmerksam macht, so lässt uns A auf die strenge Prüfung der sich selbst Anbietenden schliessen Mt. 8, 18—22 = Lc. 9, 57—62. Ja der dritte der bei Lucas aufgeführten Fälle ist offenbar nichts als eine com- pendiarische Parallele zu A Mr. 10, 17—31 = Mt. 19, 16—30 = Lc. 18, 18 — 30. Auch A Lc. 9, 61. 62 schlägt Jesus das Ansinnen ab mit der Bemerkung, dass seine Jünger nicht nach ihrem Eigenthum zurück blicken dürfen. »Das sieht ganz so aus, als wäre unser Vorfall vom reichen Jünglinge auf seinen kürzesten Ausdruck zurückgebracht. « ' Nun erklärt sich die S. 180 noch nicht zu beantwortende Frage, wesshalb Matthäus, der sonst die Dreizahl liebt, sie hier, wo sie von selbst sich bot, umging. Im Gegensatze zu Lucas erkannte er die Identität der Vorgänge und, da er die ausführlichere Relation von A mitzutheilen beschlossen, übergeht er die kurze in yl. Was A Mr. 6, 8—11 von In structionen an die Zwölf hat, gibt ähnlich auch A Lc. 10, 2 — 12. Vgl. insonderheit die Aufträge A Lc. 9, 2 mit A Lc. 10, 9 = Mt. 10, 7. 8; A Mr. 6, 8 mit A Lc. 10, 4 = Mt. 10, 9 ; A Mr. 6, 10. 11 mit A Lc. 10, 5—11. Ferner zeigt Mt. 19, 28 = Lc. 22, 30, dass auch A die Zwölfzahl kannte und sie durch die Zwölfzahl der Geschlechter Israel motivirt dachte Mt. 10, 6 . — Selbst die äusseren Lebensverhältnisse, soweit sie in A angedeutet sind, stimmen vollkommen mit A. Wie in der erzählenden Hauptquelle Jesus je länger, je mehr ein ruhe- und heimathloses Leben führt, so nimmt er dies auch A Mt. 8, 20 = Lc. 9, 58 ausdrücklich als sein Charakteristicum in Anspruch; und wenn die Ueberschriften des Lucas irgendwelchen Anhaltspunkt im Text von A finden dürfen, so war Jesus dort öfters bei Gastfreunden über Tisch und nahm Einladungen selbst von Gegnern unter Umständen an , wie denn überhaupt in der völligen Freiheit seiner Lebensweise von Allem, was Pietismus oder Methodismus heissen könnte, ein, in die Augen 1) Gfrörer: Urchristenthum, II, 1, S. 290. Historischer Charakter der synoptischen "Geschichtsquellen. 455 springender , Coincidenzpunkt beider Darstellungen besteht (A Mr. 2, 16. 17 und A Mt. 1 1, 19 = Lc. 7, 34). Das allerschlagendste Zeugniss für die Glaubwürdigkeit beider Quellen liegt aber in der ungesucht sich ergebenden Congruenz des substanziellen Inhalts der Reden Jesu. Keinem einzigen Forscher ist es eingefallen, zwischen dem Redestoff, den wir als in A, und dem an deren, den wir als in A ursprünglich niedergelegt nachgewiesen haben, auch nur entfernt eine derartige Differenz nachweisen zu wollen , wie man Dies bezüglich des vierten Evangeliums und seines Verhältnisses zu den drei früheren thun konnte. Wir verweisen einfach auf alle die doppelt berichteten Aussprüche vom Sauerteig der Pharisäer, von der Sünde wider den heiligen Geist, überhaupt auf die S. 257 f. verzeich neten Doubletten des Matthäus und des Lucas, um das gleich unmittel bare Verhältniss beider Quellen zu dem Objectiven der Geschichte an schaulich zu machen. Bedarf es hierfür noch weiteren Beweises, so liegt solcher vor in einer ganzen Reihe anderer Parallelstellen, die bei aUer Verschiedenheit der Form doch nur Variationen desselben origi nalen Themas sind. So haben wir A Lc. 5, 31. 32 = A Lc. 15, 7 beidemal denselben Gedanken , in A durch das Bild vom Arzte , in A durch das vom Hirten mit leichter Farbendifferenz nuancirt, beidemal aber auslaufend in denselben, relativ zwar hingestellten, aber absolut gemeinten , daher ironisch zu fassenden Gegensatz gegen die angeblich keiner Busse mehr bedürftigen Gerechten. Dieselbe Ansicht vom Ver hältnisse des Innern und Aeusseren liegt den Berichten von A Mr. 7, 15. 18—23 und von ALc. 11, 39—41 = Mt. 23, 25—28 zu Grunde, und über das Verhältniss des Verborgenen zum Offenbaren spricht Jesus in A Mr. 4, 22 gerade wie in A Lc. 12, 2 = Mt. 10, 26. Vollkommen wie die Unseligkeit des Aergerniss Gebenden in A Mr. 9, 42. 47. Lc. 17, 1. Mt. 18, 7, so wird die Seligkeit dessen, der sich nicht ärgern lässt, in A Mt. 11,6 = Lc. 7, 23 angelegentlichst betont. Oder man erinnere sich der Art, wie A Lc. 12, 50 vor Jesu geistigem Auge das zukünftige Leiden erscheint unter dem Bilde einer Taufe, da die Wasserwogen über ihm zusammenschlagen werden , welche charakteri stische Anschauung A Mr. 10, 39 alsbald wieder erscheint, wo der Rangstreit seiner Jünger, die schon auf dem festen Boden gesicherten Besitzes stehen, jene Ahnung in ihm erweckt. Ja der Rangstreit selbst, wie er Mr. 10, 35—45 und Lc. 22, 24—30 beschrieben ist, liefert ein frappantes Argument für die Identität und Objectivität des Geschichts stoffs. Beide Berichte sind völlig unabhängig von einander, aber, selbst wenn wir die Verwandtschaft von Mr. 10, 42 — 44 und Lc. 22, 25. 26 auf Rechnung einer, auf Seite des Lucas vorausgesetzten, Accommodation des Ausdrucks setzen wollen, so ist doch der Ausspruch Jesu Lc. 22, 27 456 Fünftes Capitel. eine selbstständige Fassung des Sinnes von Mr. 10, 45, und die Aner kennung der bisherigen Treue der Jünger Lc. 22 , 28 ist die Voraus setzung für die Frage nach dem Vermögen , bis ans Ende auszuharren Mr. 10, 38, wie auch die Worte von der, aus der absoluten Macht des Vaters stammenden, Machtbefugniss des Sohnes Lc. 22, 29 nur die po sitive Kehrseite zu den Mr. 10, 40 ausgesprochenen Gedanken sind. Schliesslich wird das Sitzen auf Stühlen , wornach in der einen Quelle Mr. 10, 37 zwei Jünger begehren, in der andern allen Zwölfen zuge sprochen Lc. 22, 30 = Mt. 19, 28. Eine hervorstehende Eigenthümlichkeit der Quelle A ist die schroffe Ansicht von den irdischen Gütern, die strenge Fassung der christlichen Weltentsagung. Denn auf Rechnung von A kommen ja Stellen, die man gewöhnlich als Eigenthümlichkeit des Lucas geltend macht, wie 11, 41. 12, 15—21. 33. 34. 14, 25—27. 33. 16, 1 — 13. 19 — 31. Aber auch die desshalb an die Armen adressirte frohe Bot schaft A Mt. 11,5 = Lc. 7, 22 hat ihre vollständige Parallele in A ' Lc. 6, 20 = Mt. 5, 3, wie denn überhaupt die ganze Bergpredigt (vgl. Lc. 6, 21. 24. 25), wenn man will, ebionitischen Charakters ist; aber denjenigen Partien aus ihr, worin die gedrückte Lage der Christen her vorgehoben wird (6, 22. 27 — 29), entsprechen wieder aus A Stellen, • wie Lc. 12, 32. 18, 7. 8; und damit man nicht zweifle, dass die Ueber einstimmung in der Sache selbst, nicht im Schriftsteller Hegt, möge man noch neben die » ebionitisirenden « Stellen des Lucas die Erzählung vom reichen Jüngling A Nro. 49 halten , und mit dem » Schatz im Himmel « Mr. 10, 21 die merkwürdige Parallele A Lc. 12, 33 = Mt. 6, 20 ver gleichen. Aber auch die Grundzüge des eigentlichen Lehrgehaltes der Reden Jesu sind beiderseits identisch. Neulich hat sich Weisse das Verdienst erworben, auf die hochwichtige Thatsache hingewiesen zu haben, dass unter stillschweigender Beseitigung des Jahvehnamens der Vatername durch Christus zum Namen Gottes erhoben wurde. x Während sich aber in A die eigentlichen Sedes doctrinae hierfür finden, namentlich jenes Gebet, dessen erste Bitte auf Heilighaltung des neuen Namens geht, liefert auch A 5 oder 6 Belegstellen dafür, dass im Munde Jesu auf diese Bezeichnung Gottes der eigentliche Accent fällt, vgl. Mr. 8, 38. 11, 25. 26. 13, 32. 14, 36. Lc. 6, 36 = Mt. 5, 48. Schwerlich wird aber erst noch bewiesen werden müssen , dass in beiden Quellen auch die übrigen Mittelbegriffe identisch sind , also namentlich die , aus dem apokalyptischen Buche des A. T. herübergenommenen, Ideen des viög xov 1) Reden über die Zukunft der evangelischen Kirche, S. 233. Philosophische Dog matik, I, S. 392 ff. Evangelienfrage, S. 200 ff. Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. 457 ävdqwnov und der ßaoiXela xov deov, welche letztere aber geschichtlich nicht unvermittelt, wie bei Daniel, gefasst ist, sondern vgl. A Mr. 4,31. 32 = A Lc. 13, 18. 19; daher die ßaatXeia auch in ihren Anfängen bereits vorhanden ist A Mr. 1, 15 = Mt. 4, 17 und A Lc. 10, 9 = Mt. 10, 7. Tritt der Stifter dieses Reiches in A auf mit dem Bewusstsein einer göttlichen Mission (Mt. 10, 40 = Lc. 10, 16: 6 änoaxeiXag fie) und mit dem grossen Wort auf den Lippen nävxa fioi naqeöödrj inö xov naxqog fiov Lc. 10, 22 = Mt. 11, 27, so ist nicht minder viel damit gesagt, wenn in A Mr. 2,10 »des Menschen Sohn Macht hat, Sünden zu vergeben auf der Erde,« also eine nicht von der Erde stam mende Macht, wenn er am Schlüsse seiner Laufbahn sich bewusst ist, ein dauerndes weltgeschichtliches Princip geworden zu sein (A. Mr. 13, 10. 14, 9) und in seinem vergossenen Blut das Bundesblut erblickt, das eine neue Menschheit mit dem Vater verbinden wird (A Mr. 14 , 24). Es stimmt somit trefflich und un gesucht zusammen, was in beiden Quellen berichtet wird von der ganz singulären Art und Weise, wie eben seine Individualität durch die Berührung mit dem Göttlichen bestimmt wurde. Dagegen könnte es einen Augenblick scheinen, als ob ein so wich tiges Moment in der Stellung, die Jesus zu den Lebensmächten der Zeit einnahm , wie sein Verhältniss zum mosaischen Gesetze ist , in den ver schiedenen Quellen eine verschiedene Behandlung erfahre. Oder stehen sich nicht die betreffenden leitenden Aussprüche , einerseits A Mr. 2, 27. 28 = Mt. 12, 8 = Lc. 6, 5, und A Mt. 5, 17—19 = Lc. 16, 17 andererseits, so direct als möglich gegenüber? Aber wie wir schon oben S. 379 f. gesehen haben, dass die beiden Pole, die später allerdings in einen geschichtlichen Gegensatz zu einander traten, anfänglich fried lich geeinigt waren und in den frühesten Quellen nebeneinander vor kommen , so verhält es sich auch hier. In derselben Quelle A , deren gesetzesfreier Charakter besonders von Ritschl treffend erörtert wurde,1 werden doch die Geheilten gewiesen, sich den Ceremonialvorschriften des Pentateuchs anzupassen Mr. 1, 44, und der Schriftgelehrte, der die rechte Erkenntniss von dem inneren Sinn des Gesetzes hat, und die grossen Gebote den kleinen überzuordnen versteht, ist »nicht ferne vom Reiche Gottes« Mr. 12, 34. Aber auch der Kleinste im Himmelreich ist doch noch grösser als der grosseste Vertreter der Gesetzlichkeit — so lehrt Mt. 11, 11 =Lc. 7, 28 dieselbe Quellet, die nach Köstlin »noch ganz judenchristlich« sein soll. 2 So werden wir denn aber einen Schritt noch weiter zurück wagen und diese grossartige Unbefangen heit, womit der göttliche Werth des mosaischen Gesetzes, als des reinen Ausdrucks der ewigen Sittlichkeit mit der gleichen Energie an- 1) Altkatholische Kirche, 1857, S. 28 ff. — 2) Evangelien, S. 55. 458 Fünftes Capitel. erkannt, wie seine äussere Form vernachlässigt, ja gesprengt wird, als einen stehenden Zug in dem sittlichen Charakter Jesu selber betrachten müssen. Den höchsten Zweck des Gesetzes weist er nach in dem mo saischen Gebot der reinsten Gottesliebe, die in der liebeathmendsten Aufgeschlossenheit für jedes äussere und innere Bedürfniss der Mensch heit nur ihre Kehrseite hat. Von der Seite betrachtet ist das mosaische Gesetz so hehr und gross, dass keine Plerophorie der anerkennenden Uejahung eine Hyperbel sein kann , auch das vom Strichlein und Jota Gesagte nicht; aber gerade in diesem höchsten Punkte weiss sich def Herr so Eins mit der Idee des Gesetzes, findet sie so sehr in sich selbst verwirklicht und Leben und Geist geworden vor, dass die zeitlich be schränkten Erscheinungen des höchsten sittlichen Begriffes, wie sie in den mosaischen Verordnungen über Sabbatsruhe und Opferdienst, über Ehescheidung und äussere Reinigkeit auftreten, weit hinter ihm liegen. So ganz ordnet er sich ihm unter, dass er den als seinen geringsten Jünger ansieht, der sich aufs hastige Brechen äusserer Gesetzesnormen verlegen wollte, und so sehr steht er darüber, dass er selbst bestimmt, was im Gesetze auf ihn Anwendung finde , was nicht, -dass er sich den Herrn des Gesetzes nennt, der die authentische Interpretation desselben in seinem freien Willen trägt. »Wie es zu den Privilegien der Geistes- grösse gehört, das Entlegene zur Einigung zu bringen, so ist -die Jesu eigene Geisteshoheit aUein die genügende Erklärung der scheinbar ent gegengesetzten Aussagen über das alte Testament.«1 Von Incongruenzen möchte daher nur die eine wirklich zu constatiren sein, dass nach A Mt. 10, 23, falls überhaupt die Stelle der Quelle A angehören soUte, Christus wieder erscheinen will, während die Jünger noch den nächsten Kreis ihrer Aufgabe , die palästinensische Mission , nicht überschritten haben, während nach A Mr. 13, 10 = Mt. 24, 14 das Evangelium vor her allen Nationen verkündigt worden sein soU. Aber wir haben schon oben gezeigt (S. 410), dass in einem unserer Evangelien sogar sich widersprechende Anschauungen behufs der Parusie zu entdecken sind und dass diese Wahrnehmung überhaupt auf die Incommensurabilität der Weissagung Jesu zurückzuführen ist. Schliesslich muss auch darauf noch aufmerksam gemacht werden, wie beide Quellen sich so vollkommen homogen verhalten bezüglich des Materials, das sie eingehenderen Bestimmungsversuchen des sittlichen Charakters Jesu überhaupt bieten. Hier wie dort wird ein harmonisch angelegtes Geistesbild entfaltet, dessen Grundzug in der Kräftigkeit des allezeit und allerorts präsenten Gottesbewusstseins besteht; eine viel seitig fortschreitende Lebensentwicklung, deren treibendes Princip der t) Dorner: Jesu sündlose Vollkommenheit, S. 38. Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. 459 religiös-sittliche Factor büdet, welcher mit einer Macht arbeitet, dass mit gänzlicher Abstreifung aller theologischen Zänkereien und Schul meinungen der Zeit, ja auch mit Vermeidung alles Strebens nach wis senschaftlich formulirbarer Erkenntniss stets lauter ewige sittliche Wahrheit producirt wird, der historischen Beschränktheit in einem solchen Grade bar und ledig, wie Niemand ein zweites Beispiel in der Geschichte des fortschreitenden Gottesbewusstseins mehr wird nachwei sen wollen. Zugleich aber stimmt auch im Detail so trefflich zusammen Alles , was in beiden Quellen berichtet wird von der Art und Weise, wie Jesus die Freuden und Leiden , die Güter und Verluste des Lebens beurtheilt, wie er den Menschen in allen seinen Beziehungen und Zu ständen, das Kind, den Zöllner, den Pharisäer, den Feind, den Jünger, anzufassen weiss ! Hier wie dort dieselbe Verbindung von Liebe und Zorn, Milde und Tapferkeit, von herbem Lebensernst und sorgloser Lebensheiterkeit; das Ineinander von Abgeschlossenheit und Aufge schlossenheit für die Welt, von Innerlichkeit und Theilnahme, von suchender Liebe und bedürfnissloser Ruhe. An diesem Orte, wo wir die christologische Frage nur im kritischen Interesse berühren, genügt es, die behauptete vollständige Uebereinstimmung noch insbesondere nachzuweisen bezügHch der Quellen , aus denen Jesus den Inhalt seines Selbstbewusstseins, sein geistiges Eigenthum im allgemeinsten Sinn, die Anschauungen und Bilder, die zu Vehikeln seiner Gedanken werden, geschöpft hat. In dieser Richtung begegnet uns nämlich nirgends die geringste Spur, die etwa auf reservirte Ansprüche zurückweisen könnte, ein besonderes Wissen ausser dem selbsterzeugten, erfahrungsmässigen^ zu besitzen. Vielmehr haben die Bilder, die in reinster Spiegelhelle auf der Oberfläche seines Vorstellungsvermögens schweben, ihre ursprüng liche Heimath alle entweder in dem alten Testament oder im Men schenleben oder in der Natur. Mit voller Freiheit schaltet und waltet er zunächst über die Reich- thümer der Schrift ; er trägt in sich den Schlüssel wenn nicht zum hi storischen (A Mr. 12, 35 — 37), so doch zum inneren, reHgiös-sittlichen Verständnisse des alten Testaments ; es ist sein eigenstes Eigenthum in einem Grade geworden, dass er, wie S. 458 erhellte, sogar als Herr darüber disponirt, was gelten soll , was nicht. So muss ihm aber auch Alles dienen, muss helfen, seine Gedanken zu illustriren, was die Schrift erzählt von der Anfangsgeschichte und dem, daselbst gesetzten, geschlechtlichen Verhältnisse (A Mr. 10, 6—9), vom ersten Hass und Mord (A Lc. 11, 51 = Mt. 23, 35), von Lot's Gefahr (A Lc. 17, 26. 28. 29. 32 = Mt. 24, 37. 38) und Sodom's Untergang (A Lc. 10, 12 = Mt. 10, 15. 11, 23. 24), von Moses, dem Gesetzgeber, (AMr. 7, 10. 12. 26. 29—31. 10, 9. 1 9) und seinem Opferritual (A Mr. 9, 49), vom 460 Fünftes Capitel. späteren Tempeldienst (A Mt. 12, 5), von David (A Mr. 2, 25. 26) und von Salomo (A Lc. 11, 31 = Mt. 12, 42; Lc. 12, 27 = Mt. 6, 29); ihm ist gegenwärtig, was die Dichter sangen (Ps. 22, 2 = A Mr. 14, 34. Ps. 91, 13 =A Lc. 10, 19. — Ps. 110 = A Mr. 12, 36. — Ps. 118, 22. 23 = A Mr. 12, 10. 11. — Ps. 118, 26 = Lc. 13, 35 = Mt. 23, 39) und die Propheten redeten (Jesaias: A Mr. 7,6. 7. 9, 48. 11, 17. AMt. 11, 5 = Lc. 7,22. Jeremias: AMr. 11, 17. — Michas: A Lc. 12, 52. 53 = Mt. 10, 35. 36. — Zacharias: A Mr. 14, 27. — Ma leachi: A Mr. 9, 12. AMt. 11, 10 = Lc. 7; 27); er argumentirt aus den Schicksalen des Elias (A Mr. 9, 13. A Mt. 11, 14), des Jonas (A Lc. 11, 29. 30. 32 = Mt. 12, 39—41), des Priesters Zacharias (A Lc. 1 1, 51 = Mt. 23, 35), aus dem prophetischen Loos überhaupt (ALc. 6, 23. 26 = Mt. 5, 12. Mr. 6, 4. ALc. 11, 47. 49. 50 = Mt. 23, 29— 31. 34; Lc. 13, 33. 34 = Mt. 23, 37), wie aus dem Schicksal der Städte, denen das prophetische Wehe galt (A Lc. 10, 13. 14 = Mt. 11, 21, 22). Dabei sehen wir noch ganz ab von den zahllosen biblischen Reminiscenzen, die ihm stets zur Hand sind, von den alttestamentlichen Redeformen, von denen sein Vortrag durchwebt ist in A so gut, wie in A, wie denn ja auch die in beiden Quellen vorkommende parabolische Lehr weise nach Mustern der Schrift geformt ist (Rieht. 9, 7 — 15. 2. Sam. 12, 1 — 4. 2. Kön. 14, 9. Jes. 5, 1—7. 28, 23—29. Ez. 15, 1—8. 17, 1—10. 22—24. 19, 1 — 14). Hauptsächlich ist es aber das wirkliche Menschenleben, das in allen seinen Höhen und Tiefen und nach allen seinen Breiten- und Längen verhältnissen zur Darstellung kommt und zum Abbilde ewiger Wahr heit wird. Und zwar ist die Virtuosität der, nach allen Seiten offen stehenden und einsaugenden Receptionskraft nicht minder hoch anzu schlagen, als die, Schlag auf Schlag sich bethätigende, Uebung und Fertigkeit, den Reflex des geistigen Verhältnisses im Empirischen wahrzunehmen. Gerade hier aber liefern beide Quellen die reichste Auswahl von wesentlich gleichartigem Stoffe. Weisen doch beide darauf hin, wie die Blicke des Herrn stets suchend überall sind, wo etwa ein treffendes Spiegelbild des geistigen im natürlichen Leben zu vermuthen war AMr. 4, 30. AMt. 11, 16 = Lc. 7, 31. Und wenn etwa sein Auge einmal einen unbesonnenen Bauherrn entdeckt hat, wie verschie den ist der Gebrauch, der von diesem Funde in A Lc. 6, 49 = Mt. 7, 26. 27 und wieder in A Lc. 14, 28 — 30 gemacht wird! Wie vollkom men treffen aber beide Quellen in der Eigenthümlichkeit des aufgegrif fenen Bildes selbst zusammen ! Uebrigens liegt hier in der That kein Gegenstand zu fern ; keiner ist zu grob materieller Natur, um nicht ver wendbar zu erscheinen. Splitter und Balke (A Lc. 6, 41. 42 = Mt. 7, 3. 5), Schwerdt des Kriegers (A Lc. 12, 51 = Mt. 10, 34) und Maass Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. 461 des Kaufmanns (A Lc. 6, 38 = Mr. 4, 24), Mühlstein (A Mr. 9, 42), Joch (A Mt. 11, 29. 30) und Pflug, das von Jugend auf wohlbekannte Geräthe (A Lc. 9, 62) 1 — AUes hat seine Bedeutung; so auch im Hause die engen oder weiten Thüren (A Lc. 1 3, 24=Mt. 7,13.1 1), Kam mer und Dach (A Lc. 12, 3 = Mt. 10, 27), ja sämmtlicher Hausrath (A Mr. 3, 27 =Mt. 12, 29), vom Trinkgeschirr (A Mr. 7, 8. A Lc. 1 1, 39 = Mt. 23, 25. 26), sei es Weinkelch (A Mr. 10, 38. 39. 14, 36), sei es Wasserbecher (AMr. 9, 41), von Tellern und Schüsseln (ALc. 1 1, 39 = Mt. 23, 25) an bis zum Hausschlüssel (A Lc. 11, 52) und Nadel öhr (A Mr. 10, 25) herab. Gerade was der rein materiellen Seite des Daseins am auffallendsten dient, erhält um so mehr symbolischen Werth für das analoge Leben des Geistes : die Keller und Vorrathskammern (A Lc. 12, 24 = Mt. 6, 26) mit ihrem Inhalt, Salz (A Mr. 9, 50. A Lc. 14, 34. 35 =Mt. 5, 13), Sauerteig (A Mr. 8, 15. ^Lc. 12, 1), Mehl (.//Lc. 13, 21=Mt. 13, 33) und dem Wein in den Schläuchen (AMr. 2, 22); daneben die Geldkästen, Beutel voll gemünzten Goldes fassend (yL Lc. 12, 33 = Mt. 6, 19), davon jedem einzelnen Stücklein mit seinem Bild und seiner Ueberschrift eine politisch -religiöse Mahnung aufge prägt ist (A Mr. 12, 15); und die Kleiderschränke mit abgetragenen und neuen Stücken (A Mr. 2, 21), sowohl Hochzeitsgewändern (A Mt. 22, 11) und weichen Kleidern (A Mt. 11, 8 = Lc. 7, 25), als auch gewöhnHcher Tracht, an der besonders das bauschige Busenkleid als Receptaculum für den Segen des Füllhorns (A Lc. 6, 38), und der Gurt über den Hüften als Bild der Dienstbereitschaft (A Lc. 12, 35) erscheint. Im Innern des Hauses begegnet uns alsbald der Hausvater, der seinen Gästen Altes und Neues aufzuweisen hat (A Mt. 13', 52); die Kindlein sitzen um den Tisch, die Hunde warten auf die abfallenden Brosamen (A Mr. 7, 27). Wird's aussen dunkel, so leuchtet innen das aufgesteckte Licht für Alle, die im Hause sind (A Mr. 4, 21. A Lc. 12, 35. 11, 33 = Mt. 5, 15). Auch Nachbarn und Nachbarinnen finden sich ein, wo im Hause Festfreude ist (A Lc. 15,6. 9). Abends ruhen dann die Kinder beim Hausvater in der Kammer (A Lc. 11,7); da meldet sich plötzHch nächtlicher Besuch (A Lc. 11, 5. 6) mit starkem Pochen, welche letztere Kundgebung — geschehe sie nun mit Erfolg, oder vergeblich — besonders oft die vielerlei menschlichen Intentionen darstellt (A Lc. 11, 5—10. 12, 36. 13, 25. Mt. 25, 10. 11). Auf kei ner Partie dieses Familienbildes ruht aber der Blick des Herrn mit so viel Theilnahme, wie auf den Kindern ; sie erfreuen und Heben zu können, ist eine wunderbare Lichtseite auch an der verdorbenen menschlichen 1) Justin: Dialog. 462 Fünftes Capitel. Natur (A Lc. 11, 13 = Mt. 7, 11); das Kind erwählt er, um an ihm ein sprechendes Bild für die seinem Herzen Nächststehenden zu besitzen (^/Lc. 10, 21 = Mt. 11, 25. — A Mr. 9, 36. 37. 10, 14. 15). Es ent geht ihm aber auch nicht, wie verschiedenartiger Same aus den Herzen Solcher, die in einer Wiege gelegen, hervorspriessen kann (AMt. 18, 28 — 30. Lc. 15, 9 — 32), wodurch dann das Gemälde vom getheilten Haus entsteht (A Mr. 3, 25. — A Lc. 12, 52. 53 = Mt. 10, 35. 36). — Ebenfalls den historischen Verhältnissen angehörig ist ein anderes, in A und A auf Schritt und Tritt wieder begegnendes, Bild, hergenom men von den damaligen Herrschafts- und Dienstboten-, respective Scla- venverhältnissen. Freier stehen draussen im Weinberg die Lohnarbei ter (A Mr. 12, 1. 7. 9. AMt. 20, 1 — 8). Mit ihnen verhandelt der Herr erst durch die eigentlichen Sclaven (AMr. 12, 2. 4. 5) und inson derheit durch den inixqonog oder olxovöfiog (A Mt. 20, 8). Dies ist der Obersclave, der Hausverwalter, der das Gesinde beaufsichtigt und durch bewiesene Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit immer höher steigt (A Lc. 12, 42. 44 = Mt. 24, 45. 47), aber auch leicht auf die Abwege tyrannischer Laune und selbstsüchtiger Wirthschaftsmethode geräth (yL Lc. 12, 45 = Mt. 24, 48. 49); unter ihm stehen die Mägde, die Handmühlen drehen (ALc. 17, 35 = Mt. 24, 41), und die Sclaven, welche bei Tag auf dem Acker arbeiten und Nachts je zwei auf ein Bettge stell zusammengepackt werden (A Lc. 17, 34 = Mt. 24, 30). Sie aUe theilen das eigentliche Sclavenlos, werden bestraft nach dem grausamen Rechte der Zeit (A Lc. 12, 46 — 48), wobei im guten Falle das Mehr oder Minder von Bekanntschaft mit dem Willen des Herrn als Maass stab dient (A Lc. 12, 47. 48). Auch nachdem sie draussen auf dem Felde sich müde gearbeitet, werden sie herkömmlicher Weise zu Hause noch ausgebeutet (ALc. 17, 7—9), und eines einzigen Herrn Wille reicht aus, sie alle im Athem zu erhalten (A Lc. 16, 13 = Mt. 16, 24). Neben dem zu Tische Dienen , was mit aufgegürtetem Oberkleid ge schieht (A Lc. 12, 35. 37. 22, 27), erscheint dann aber als eine beson dere, ehrenvollere Obliegenheit erprobterer Knechte, dass sie ihrem Herrn in Geldgeschäften nützlich werden (A Lc. 19, 13. 15. 17. 22 = Mt. 25, 20 — 30), wesshalb der mit seinen Knechten rechnende Haus herr in diesen Reden öfters wiederkehrt (A Mt. 18, 23. 24. Lc. 19, 15 = Mt. 25, 19). Damit in Verbindung steht das, gleichfalls wiederholt vorkommende, Bild vom verreisenden Hausherrn (^Lc. 19, 13 =Mt. 25, 14. A Mr. 13, 34) und besonders die Nachts wachenden, bei Fackel sehein der Ankunft ihres Herrn harrenden Knechte (A Mr. 13, 35. A Lc. 12, 35. 36. 38). So sind die Jünger nach all diesen Richtungen Knechte, und zwar nicht blos ihres Herrn, sondern auch wechselseitig unter einander (A Mr. 9, 35. 10, 43—45 = Lc. 22, 26). Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. 463 Aber der enge Bereich des Hauses und desPrivateigenthums bildet keineswegs die Grenze , innerhalb deren die symbolisirende Rede Jesu sich bewegt. Alle Verhältnisse der Sterblichen (ALc. 7, 28 = Mt. 11, 1 1 : yevvrjxol yvvatxcöv) durchwandert sie. Voran steht das Treiben der Gewaltigen dieser Erde (AMr. 10, 42), die ihre besonderen Namen und Titel führen (A Lc. 22, 25). Da ist der König bald vom Kriegs- rath umgeben (A Lc 14, 31), bald im gefüllten Saal die Gäste besu chend (A Mt. 22, 11); Luxus herrscht in Tafelfreuden (A Mt. 22, 4) und Kleidung (A Mt. 11, 8 = Lc. 7, 25). In letzterer Beziehung na mentlich ein strenges Ceremoniell (A Mt. 22, 11), das auch nach ande ren Richtungen in der herrschenden Sitte weiterer wohlhabender Kreise Nachbildung findet (A Lc. 14, 16. 17 = Mt. 22, 3. 4). Derlei grosse Gastmähler im erleuchteten Saal, während draussen dichte Finsterniss herrscht, Hefern das stehende Bild für die Beschreibung der messiani schen Seligkeit und ihres Gegentheils (_4Lc. 22, 30. 12, 28. 29=Mt. 8, 11. 12), während einmal wenigstens dem Liegen zu Tische das Sitzen auf Thronen zur Seite tritt (A Lc. 22, 30 =Mt. 19, 28. A Mr. 10, 40). Von solchen hohen Orten geht aus die Vergewaltigung und Misshand lung der Schwächeren (A Lc. 6, 29 = Mt. 5, 39. 40), Angriff und Zer störung (A Mt. 22, 7), Kriegs- und Friedensgeschicke (A Lc. 14, 31. 32) ; dahin gehören noch die Aussichten auf getheiltes Reich (A Mr. 3, 24), auf Belagerung (AMr. 3, 27 = ALc. 11, 21. 22. — AMr. 13, 7. 8), und gewaltthätige Eroberung (A Lc. 16, 16 = Mt. 11, 12). Ne ben dem weltlichen Arm ist aber auch der geistliche geschäftig zum äussern und inneren Verderb und Schaden des Volkes (vgl. die detail- lirte Beschreibung Ä Lc. 11, 39 — 47. 52 = Mt. 23, 4. 13. 23—36. A Mr. 7, 8. 11 — 13. 12, 38—40). Daher der grelle Contrast von glän zender Ueppigkeit und widrigem Elend (A Lc. 16, 19 — 21) ; die Bett ler auf den Gassen (A Lc. 14, 21), die Vagabunden auf den Landstras sen (A Lc. 14, 23 = Mt. 22, 9), die Diebe in den Städten (A Lc. 12, 33 = Mt. 6, 19), die Räuber in den Wäldern (A Lc. 10, 38), die Misse thäter, die ihr Kreuz zur Richtstatt schleppen (A Mr. 8, 34. 10, 21. A Lc. 14, 27 = Mt. 10, 38), die Gefangenen, die ihr Leben im Schuldthurm vertrauern (A Lc. 12, 59 =Mt. 5, 26). Letztberührter Gegenstand spielt eine besonders bedeutende Rolle in-//: Wucher- und Zinswesen (Lc. 19, 13. 23), Schuldscheine (Lc. 16, 6. 7), harte Praxis der Gläubiger (Mt. 18, 25. 30), die streitenden Parteien auf dem Weg zumRichter und das Strafverfahren (Lc. 12, 58 = Mt. 5, 25) — Alles Verhältnisse des concreten Lebens jener Zeit, so gut als die jüdischen Zauberer (A Mt. 12 , 27=Lc. 11, 19); wie denn auch geradezu Vorgänge der Zeitgeschichte aufgeboten werden, wenn vom Thurm zu Siloah A Lc. 1 3, 4, vom Opfer 464 Fünftes Capitel. der Galiläer ALc. 13, 1 , von der Romfahrt des Archelaus A Lc. 19, 12 — 15 die Rede ist. So wird hier Alles Symbol, Trauern und Weinen, Lachen und Hüpfen (ALc. 6, 21. 23. 25 = Mt. 5, 5. 12), Reichthum und Armuth (A Lc. 6, 20. 24), Hunger und Durst (A Lc. 6, 21 = Mt. 5, 6), Ge sundheit und Krankheit (A Mr. 2, 17), Kinderspiel (A Mt. 11, 16. 17 = Lc. 7, 32) und PoHtik (A Lc. 14, 31. 32), glücklicher (A Mt. 13, 44) und unglücklicher (A Lc. 14, 5. Mt. 12, 11) Zufall, Sammeln und Zerstreuen (A Mt. 12, 30 = Lc. 11, 23), Abreise vom Haus (A Mr. 13, 31), Herberge (A Lc. 10, 35) und Heimkehr (A Lc. 19, 15 = Mt. 25, 19), Hochzeit (A Mr. 2, 19. A Lc. 12, 30. Mt. 22, 2. 25, 1 — 13) und Todtentrauer (A Mr. 14, 8. A Mt. 8, 22 = Lc. 9, 60. Vgl. auch Lc. 16, 22); der Luxusbau des Lebenden (ALc. 14, 28 — 30) und das Grabdenkmal der Tödten (A Lc. 11, 44. 47 = Mt. 23, 27. 29). Die irdische Speise und ihr Vergehen steht im umgekehrten Verhältniss zum geistigen Ernährungsprocess (A Mr. 7, 19), der Bereiter der ir dischen Nahrung aber, was Anspruch auf Lohn betrifft, im geraden zum Spender der geistlichen Speise (A Lc. 10, 7 = Mt. 10, 10). In beiderlei Beziehung tritt der Fall ein , dass das Maass der Arbeitskraft wenigstens nicht gleich von vornherein in irgend einem Verhältnisse zur Masse des zu bewältigenden Stoffes steht : immer neue Lohndiener, die noch auf den Märkten müssig stehen , dingt der Hausvater für sei nen Weinberg (Mt. 20, 1 — 16), immer neue Arbeiter sendet er in seine Erndte (A Mt. 9, 37. 38 = Lc. 10, 2). — Aber nicht blos die Schnit ter auf dem Felde, die Winzer in den Weinbergen versinnbildlichen das werdende Reich Gottes; auch der suchende Hirte auf dem Felde (ALc. 15, 4. 5 = Mt. 18, 12. 13), auch der, dem Fange nachgehende, Fischer am See (AMr. 1, 17), auch der perlenhandelnde Kaufmann auf dem Meere (AMt. 13, 45) thut Dasselbe; und die bestehenden Ver hältnisse zwischen Lehrer und Schüler dienen gleichfaUs dem einen grossen Zwecke (A Mt. 10, 24. 25 = Lc. 6, 40). Dem männlichen Thun und Lassen gegenüber ist wieder mit an deren Farben das weibliche gemalt. Von den Hochzeitsjungfrauen, zur Hälfte klug, ihren Vortheil und Bedarf genau berechnend (A Mt. 25, 2. 4. 9), zur Hälfte leichtsinnig und anspruchsvoll (A Mt. 25, 2. 3. 8. 11), werden die letzteren ausgeschlossen trotz ihres Pochens (A Mt. 25, 1 2) ; die andere Art kommt wieder zum Vorschein in den Weibern, die Acht haben, wie viele Maasse Weizenmehl auf ein bestimmtes Quantum Sauerteig kommen müssen (A Lc. 13, 21 = Mt. 13, 33), die um einer verlorenen Drachme willen das Haus umkehren (A Lc. 1 5, 8) und ver mittelst consequenter Taktik auch vor dem morosen Amtmann zu dem Ihrigen kommen (A Lc. 18, 3. 5), ohne dass damit gesagt wäre, dass Historischer Charakter der synoptischen Geschichtsquellen. 455 dieser, den geringsten Besitz achtende, Sinn nicht auch in geringe Gaben die grösste Aufopferung zu legen im Stande wäre (A Mr. 1 2, 43. 44); wie andererseits wieder Sinn und Trieb des — vielleicht unbe- wusst — symbolisirenden Handelns vorzugsweise auf dieser Seite des Lebens liegen (A Mr. 14, 8). Uebrigens verdient als besonders charakteristisch hervorgehoben zu werden eine eigenthümliche, zum Theil schon im Bisherigen be rührte, ironische Schärfe der Weltbeobachtung, die aber stets in dem paradoxen Verhalten der Gegenstände selbst ihren Grund hat, daher im Entferntesten nicht karrikirender Natur ist. Wir bringen unter diese Kategorie aus A die überflüssige Sorge und Mühwaltung des Augen arztes Lc. 6, 41. 42 = Mt. 7, 3. 4, sowie die unökonomische Sparsam keit, die in jedem neuen Herbst mit den alten Schläuchen auszureichen Mr. 2, 22, oder den Ausgaben für ein neues Kleid mit fortgesetztem Flicken zuvorzukommen gedenkt Mr. 2,21. Dieser unpraktischen Art, Geld zu behalten , tritt dann gegenüber die sehr praktische, d. h. auf Vergeltung speculirende, Manier, Geld auszugeben Lc. 6, 34; zu wel cher Stelle in A sich uns alsbald als Parallele darbietet die, in A ge kennzeichnete, Liberalität des Einladens , die aber schon auf das Wie dergeladen werden reflectirt Lc. 14, 12. Man erinnere sich ausserdem — was die Quelle A betrifft — noch an die Kinder , von denen keines den Eingebungen des eigenen Kopfes entsagen mag, wiewohl sie doch gemeinsam sich vergnügen wollen (Mt. 11, 16. 17 = Lc. 7, 32); an die Zeichnung der herkömmlichen Sorglosigkeit (Lc.17, 26 — 28=Mt. 24, 38. 39); an die Blinden, die sich für die berufenen Wegweiser halten (A Lc. 6, 39 = Mt. 15, 14); an die Geladenen, denen AUes, was im Leben nur vorkommen kann, zur unrechten Stunde in den Weg gelau fen scheint (A Lc. 14, 18—20 = Mt. 22, 5). Dahin gehören auch die thörichten Sorgen der Eitelkeit, die schöner und stattlicher sein möchte, als sie ist (Lc. 12, 25 = Mt. 6, 27); die Monologen des Weinkenners sowohl (Lc. 5, 39), als des gefrässigen Reichen, der sein Futter auf viele Jahre, nur leider die Jahre selbst nicht, eingespeichert hat (Lc. 1 2, 17 — 19), indessen auch jenseits noch den Armen für seinen Lohndiener hält (Lc. 16, 24. 27); ferner das Ehrgefühl des in Sünden ergrauten Wirthschaftsführers, der sich zu betteln , nicht aber zu betrügen schämt (Lc. 16, 3); der Richter, der grundsatzmäss^g weder Gott, noch Men schen scheut und sich das selbst vorerzählt, den aber die Furcht vor der Zunge und den Händen einer Wittwe zwingt, sein besseres Ich walten zu lassen (Lc. 18, 2—5). Auch in der ausführlichen Beschreibung der Positur, die der pharisäische Musterfromme beim Beten annimmt, und in dem aufgerollten Register seiner Tugenden Lc. 18, 11. 12 ist ein leichter Anflug von Ironie nicht zu verkennen. »Wer sich selbst er- Holtzmann. 30 466 Fünftes Capitel. höhet, der soll erniedrigt werden« Lc. 18, 14 = Mt. 23, 12, wie ja auch jede Taktlosigkeit, die der Hochmuth eingibt, leicht fatale Beschä mungen zur Folge hat, und vom obersten Platz, den die Eitelkeit bean sprucht, zum untersten, der der Dreistigkeit angewiesen wird, ein über raschend schneller Uebergang führen kann Lc. 14, 8 — 10. Schliesslich wäre also noch hinzuweisen auf den so überaus spiegelhell und lieblich strahlenden Reflex, den die äussere Natur in dem Bewusst sein des Redenden beider Quellen findet, ohne dass irgendwo einmal ein Ueberschwall der Phantasie, eine Verirrung im Trivialen oder Unge heuerlichen, ein missglückter Griff des Witzes vorkäme. Schon die leb lose Natur und die elementaren Kräfte sind Bilder. Ueberschwellende Wasserfluth (A Lc. 6, 48. 49 = Mt. 7, 25. 27), Meerestiefe (A Mr. 9, 42) so gut, wie das aufflammende Feuer (A Lc. 12, 49) und der rasch niederfallende Blitz, der auf den jähen Sturz der bösen Gewalten (A Lc. 10, 18), auf alle gewaltigen Katastrophen der Weltgeschichte deu tet (A Lc. 17, 24 = Mt. 24, 27). Ihn begleitet der grollende Donner — das sind die zürnenden Lieblingsjünger des Meisters (A Mr. 3, 17), während der Dritte im Bunde sein Abbild im schroff ansteigenden Fel senriff gefunden hat (A Mr. 3, 16). Ergiebiger noch ist die belebte Natur. Gleichwie »Salomo redete über die Bäume, von der Ceder an auf dem Libanon bis zum Ysop, der aus der Wand wächst, dessgleichen auch über das Vieh, die Vögel, das Gewürm und die Fische« (1. Kön. 4, 1 3), so umfasst auch das Naturgemälde in diesen Reden Alles aufwärts vom kleinen Senfkorn, das als Samen in die Erde fällt (A Lc. 17, 6 = Mt. 17, 20), bis zur Baumkrone, dem schattigen Laubdach der Vögel (AMr. 4, 31. 32 = ALc. 13, 19), von den unscheinbarsten Garten kräutern (A Lc. 11, 42 = Mt. 23, 23) bis zum wogenden Schilf im Jordan (A Lc. 7, 24 = Mt. 11, 7), und wieder abwärts von dem, das Kolossale repräsentirenden, Schiff der Wüste (A Mr. 10, 25. A Mt. 23, 24) bis zum werthlosen Sperling (A Lc. 12, 6. 7 = Mt. 10, 29—31), von dem gefiederten Volk der Luft (A Lc. 12, 24 = Mt. 6, 20) bis zu den Fischen im Wasser und dem im Staub kriechenden Gewürm (A Lc. 11, 11 = Mt. 7, 9. 10). Otter (A Mt. 23, 33) und Scorpion (A Lc. 11, 12 = Mt. 7, 11), Schlange und Taube (A Mt. 10, 16), Fuchs (A Lc. 13, 32. 9, 58 = Mt. 8, 20) und Wolf (A Lc. 10, 3), die Schaf herde auf dem Felde (A Lc. 12, 32), die Henne mit den Küchlein (A Lc. 13, 34 = Mt. 23, 37) — Alles findet seine Stätte. Aber das com- plicirteste, und darum der Symbolik und Allegorik den weitesten Raum bietende, Naturwesen ist der menschliche Organismus selbst ; das Auge ist die Leuchte (A Lc. 11, 34 = Mt. 6, 22), ohne welche die Glieder nur die dunkeln Mächte der Seele repräsentiren (A Mr. 9, 43 — 47). Das Aeusserlichste und Zufälligste selbst, die Haare gehören mit zur voraus- Historischer Charakter der synoptischen Geschiehtsquellen. 467 bedachten Harmonie des Ganzen (A Lc. 12, 7 = Mt. 10, 30); dagegen weist das Innerlichste, Herz und Eingeweide, auf einen Dualismus von Kräften, die den Menschen zugleich gen Himmel ziehen und zur Erde drücken (A Mr. 7, 19); zuletzt freilich wird das, von irdischer Speise erhaltene, Gefäss zerbrochen, und so muss jene Speise selbst, das beim Mahle gebrochene Brod und der ausgegossene Wein, auf die Auflösung des, von Brod und Wein erhaltenen, materiellen Organismus weissagen (A Mr. 14, 22. 24). Auch die äussere Natur kennt einen solchen Wechsel von Ent stehen und Vergehen, einen Kreislauf von Bildern. Der Redende in A und A hat Morgens Wolken und Winde, Abends die bald verheissende, bald drohende Röthe im Westen beobachtet (A Mt. 16, 2. 3 = Lc. 12, 54. 55); er spricht von der Mittagsschwüle (AMr. 4, 6. A Mt. 20, 12) wie vom Feierabend, da der müde Taglöhner seinen spärlichen Lohn empfängt (A Mt. 20, 8), oder von der Nacht, da die Arbeit der Diebe (A Lc. 12, 39 = Mt. 24, 43), zugleich freilich auch Derer beginnt, denen sie Ar beit machen (A Mr. 14, 48). — Und das Jahr hat gleichfalls seinen Morgen und Abend. Der Redner ist mit der ganzen Aufmerksamkeit dabei, wenn im Spätherbst der Säemann die Furchen auf dem Acker zieht; er weiss, wie der Pflug geleitet sein will, und dass übel fährt, wer die Hand auf dem Pflugbalken, die Augen aber in der weiten Welt hat (A Lc. 9, 62) ; so streut auch der Säemann nachlässig die Saat hin, dass die Körnlein auf den Weg fallen , wo die hungrigen Vögel sie auf lesen und forttragen (A Mr. 4, 4). Denn es naht der Winter, der nicht blos ihnen Gefahr droht, sondern auch den Menschen Beschwerden be reitet und den armen Flüchtling hemmt (AMr. 13, 18). Einstweilen aber, während der glückliche Besitzende in der sicheren Wohnung von Morgen zu Abend sein regelmässiges Geschäft treibt, wächst draussen auf dem Felde von selbst die Saat, zuerst das Gras, dann die Aehre , endlich der volle Weizen in der Aehre (A Mr. 4, 27. 28). Wie Vieles aber liegt in der Mitte! Dort sieht das Auge der liebenden Theilnahme Weizen halme erstickt unter den Dornen des Gehegs (A Mr. 4, 7); hier hebt der Lolch anmaassend sein Haupt über die gebückten Aehren (AMt. 13, 26); Pflanzen wuchern auf, die allerdings ausgerottet werden müssen (A Mt. 15, 13), aber unverständige Arbeiter zertreten und zerreissen aus blindem Zorn auch die hoffnungsreichste Saat (A Mt. 13, 28. 29). Morgens geht der Herr vorüber im Feld, wie so oft (A Mr. 2, 23), und sieht hochgewachsene Halme, Abends aber bei der Heimkehr sind sie verdorrt; er forscht nach und findet, dass auf steinigen Grund gesäet war (A Mr. 4, 5). Anders ist es auf dem üppigen Wiesengrün, das in seinem vollen Lilienflor prangt : so viel unbegreifliche Schönheit ver schwenderisch ausgegossen über die hinfälligsten Staubgebilde (Lc. 12, 30* 468 Fünftes Capitel. 27. 28 = Mt. 6, 28 — 30)! Tausend Dinge sieht er nun; er kennt jeden Baum und bemerkt, ob er gute, ob schlimme Flüchte bringen will (A Lc. 6, 43. 44). Von Dornen liest man nicht Feigen, aber auch nicht jeder Feigenbaum selbst entspricht der Erwartung (AMr. 11, 13. A Lc. 1 3, 6). Doch nur das Einzelne täuscht. Gewiss ist, wenn die Blät ter des Feigenbaums hervortreiben und sein Zweig zart wird, dass der freudige Sommer nahe ist (A Mr. 13, 28), wo 30-, 60-, lOOfältige Ernte winkt (A Mr. 4, '8), wo die Sichel ausgesandt wird auf das Feld (A Mr. 4, 29), und der Jubel töntln den Weinbergen (A Mr. 12, 2). Oft hat er das »Gewächs des Weinstocks« betrachtet und er nimmt zuletzt einen wehmüthigen Abschied von diesem labendsten Bild des Segens (AMr. 14, 25). Wie in den grünen Weingärten, so steht er auch wieder an der blauen Fluth in Galiläa und sieht , wie aus der Tiefe die Fische auffahren, wie sie die Angel fassen oder, gute wie faule, im Netz an's Land geschleppt werden (A Mt. 13, 4 7. 48). Ihm ist die ganze Natur Heimath und Haus, wie ja auch in jener besonderen Quelle des Mat thäus über dem Allen der weite Himmel ausgespannt erscheint als Got tes Thron, und unten die Erde ruht als seiner Füsse Schemel (Mt. 5, 34. 35). %. 29. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. Wir dürfen es vieUeicht als den schätzbarsten Gewinn unserer Un tersuchungen bezeichnen, dass wir durch sie in Stand gesetzt sind, ein irgendwie bestimmtes Bild von dem historischen Charakter der Person Jesu und des , seinen Lebensrahmen erfüllenden , Inhaltes zu geben. Darin erblicken wir zugleich den entschiedensten Fortschritt, womit wir , ohne zu den abgestumpften Waffen einer , auf dogmatischen Vor aussetzungen ruhenden, Apologetik greifen zu müsssn, die Resultate der Tübinger Schule ein für allemal hinter uns liegen lassen. Zwar schlagen wir die letzteren keineswegs gering an, namentlich im Gegen satze zu Strauss. Schon S. 3 ff. wurde daraufhingewiesen, dass jenes Verhältniss bioser Steigerung und Ueberbietung in der Verneinung, wie Strauss es zwischen dem »Leben Jesu« und der Theologie der letzten 20 — 30 Jahre stattfinden lässt, selbst dann auf einer ganz einsei tigen Bekanntschaft mit den Leistungen dieses Vierteljahrhunderts be ruhen würde, wenn solche blos von der »Tübinger Schule« ausgegan gen wären, und daher Alles in Abzug gebracht werden musste, was von anderer Seite gesagt wurde über die Unwahrscheinlichkeit einer so über aus rasch sich vollziehenden und in reichster Folge Blüthe auf Blüthe treibenden Sagenschöpfung auf dem Boden des nüchternsten Monotheis mus und in der Zeit zersetzender Verstandescultur. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 469 Nur einleitungsweise machen wir in dieser Beziehung noch einmal aufmerksam auf das, im Laufe unserer Untersuchungen oft genannte, Buch von Karl Reinhold Köstlin, welches diesen Punkt mit einer Nüchternheit und Gewissenhaftigkeit behandelt hat, die man auf con- servativer Seite nur allzu oft vermisst. Was er über die » unzweifelhaft ächten DarsteUungen der Lehren und Reden Jesu, u über die mit ihnen » in der Hauptsache vollkommen harmonirende « Geschichtsdarstellung der synoptischen Evangelien, über die erwiesene »Richtigkeit und Voll ständigkeit der synoptischen Erzählung, « über die » schmucklose natur getreue Einfachheit« derselben sagt,1 ist sogar grundstürzend für die Strauss'sche »Mythologie.« Gerade die farbigsten der künstlichen Blumenwerke, welche Strauss in seinen Sagenkranz verwebt hat, werden dort als dem wirklichen Geschichtsboden entsprossene, leben dige Blüthen und Früchte erkannt, welche dann in der evangelischen Ueberlieferung aufbewahrt wurden. Mag vielleicht in dieser Beziehung Köstlin selbst über die späteren Errungenschaften seines Meisters hin ausgegangen sein, so lässt sich doch Aehnliches auch von den letzten Werken Baur's sagen, wie Dies schon Weisse anerkannt hat.2 Konnte man es früher als die Achillesferse der Baur'schen Geschichtsanschau ung bezeichnen, dass sie das Christenthum aus lauter Elementen, mit denen die Zeit geschwängert war, zusammengerinnen liess , dass sie we sentlich den Apostel Paulus zu seinem Urheber machte, die Person Christi selbst aber in mehr denn halbdunkle Entfernung zurückschob, so warf Baur später die allerdings sehr naheliegende Frage auf: »Kann man überhaupt von dem Wesen und Inhalt des Christenthums reden, ohne zum Hauptgegenstand der Betrachtung vor Allem die Person seines Stifters zu machen und den eigenthümlichen Charakter des Chri stenthums eben darin zu erkennen, dass es Alles, was es ist, einzig nur durch die Person seines Stifters ist, so dass es demnach sehr gleichgül tig wäre, das Christenthum seinem Wesen und Inhalt nach aus dem Gesichtspunkte seines weltgeschichtlichen Zusammenhangs aufzufassen, da ja seine ganze Bedeutung durch die Persönlichkeit seines Stifters so 1) Evangelien, S. 397 ff. — 2) Evangelienfrage, S. 75 f. — Aehnlich äussert sich Baur selbst in seiner »Kirchengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts,« 1862, S. 399 : »Meine Kritik ist methodischer, als die Strauss'sche, weil sie auf die Frage zurück geht, welche Strauss vor Allem hätte in's Reine bringen sollen. Man kann dasLeben Jesu nicht zum Gegenstände der Kritik machen , so lange man sich nicht über die Schriften, welche die Quelle unserer Kenntniss desselben sind, und ihr Verhältniss zu einander eine bestimmte kritische Ansicht zu bilden im Stande ist. Meine Kritik ist ebendesswegen auch conservativer , als die Strauss'sche, sofern sie nach einem be stimmten Gesichtspunkt die geschichtlichen Elemente von den nichtgeschichtlichen zu scheiden weiss.« 470 Fünftes Capitel. bedingt ist, dass die geschichtliche Betrachtung nur von ihr ausgehen kann?« Dieses »Unmittelbare und Ursprüngliche« am Christenthum findet er nun in unzweifelhaftester Gestalt ausgesprochen in der Berg predigt, in den Gleichnissen. Es ist »die Sache selbst, die hier spricht, die innere unmittelbar an die Herzen der Menschen dringende Macht der Wahrheit, die sich hier in ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung an kündigt. « »In welches Verhältniss man auch alles Andere, was zum Charakter und Inhalt des Christenthums gehört, zu jenem Ursprüngli chen und Unmittelbaren setzen mag, gewiss ist doch, dass das rein Sitt liche, von welchem es ausging , die unmittelbare substanzielle Grund lage geblieben ist, welcher es nie entrückt werden konnte, ohne seinen wahrsten und eigentlichsten Charakter zu verleugnen , auf welche man daher auch immer wieder aus allen Verirrungen eines überspannten Dogmatismus zurückgehen musste, wenn so oft die aus ihm gezogenen Consequenzen den innersten Grund des sittlich-religiösen Lebens unter wühlt hatten. « Sonach ist es also die Person Christi, die in ihrer, durch die evangelischen Berichte sattsam durchleuchtenden, Lebensfülle und Unerschöpflichkeit die Selbigkeit des Christenthums für alle Zeiten be dingt und verbürgt. » Betrachtet man den Entwickelungsgang des Chri stenthums, so ist es doch nur die Person seines Stifters, an welcher seine ganze geschichtliche Bedeutung hängt. Wie bald wäre Alles, was das Christenthum Wahres und Bedeutungsvolles lehrte, auch nur in die Reihe der längst verklungen en Aussprüche der edeln Menschenfreunde und der denkenden Weisen des Alterthums zurückgestellt worden, wenn seine Lehren nicht im Munde seines Stifters zu Worten des ewi gen Lebens geworden wären ? « x Man sieht : diese Sätze sind einem für die Mächte, welche die Geschichte wirklich bewegen, ungleich em pfänglicheren Geiste, einem tieferen Verständnisse entstammt, als jene gänzlich abstracte und geschichtslose Auffassung war, derzufolge Träume und Gedankenbilder einer Winkelgemeinde, im besten Falle ein in die Welt geschleudertes tendenziöses Buch, die zufällige Veranlassung geben muss zu der ganzen Entwickelung des Christenthums, dem doch in den Augen selbst des nüchternsten Geschichtsforschers immer der Ruhm bleiben wird, sittliche Lebensmächte entbunden zu haben, wie keine andere weltgeschichtliche Gewalt. Damit soll nun freüich nicht gesagt sein, dass die Baur'sche Schule es zu etwas bestimmteren, nachzuzeichnenden Umrissen in Betreff des Person- und Lebensbildes Jesu gebracht hätte. Nach Ritschl2 hätte die 1) Christenthum der drei ersten Jahrhunderte, 1860, S. 22 ff. — 2) »Ueber ge schichtliche Methode in der Erforschung des Urohristenthums,« in den »Jahrbüchern für deutsche Theologie,« 1861, S. 429—459. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 47 ( Schuld an einem inneren Zwiespalt in den philosophischen Grundan schauungen des Meisters selbst gelegen, insofern Dieser in seinen, stets mit einer gewissen Zurückhaltung abgegebenen , Erklärungen über die Person Christi ein eigenthümliches Schwanken verrathe zwischen sol chen Aeusserungen, die auf gewisse Merkmale specifischen Charakters hindeuten (so wenn er schon 1835 »in Ansehung der Form des Wis sens wenigstens, obgleich nur in dieser einen Hinsicht, den gottwissenden Philosophen über den historischen Christus stellte« x), und anderen, denen zufolge nicht sowohl die eigenthümliche Person Christi, als der eigenthümliche Glaube an dieselbe der feste Grund für die ge schichtliche Entwicklung des Christenthums geworden wäre. 2 Sicher ist jedenfalls, dass in der sogenannten historisch-kritischen Schule ein einigermassen bestimmteres Bild der urchristhchen Thatsachen nicht gewonnen werden konnte, weü die eingebildeten Parteitendenzen und Kunstgriffe der Quellenschriftsteller keinen reinen Durchblick gestat teten. Anstatt aber diesen wirklichen Mangel in's Auge zu fassen, fuhr einstweilen die sogenannte »gläubige Kritik« in hergebrachter Trägheit fort, die synoptischen Evangelien nach den alleroberflächlichsten Ge sichtspunkten zu beurtheilen. So lässt sich z. B. Einer dünken, Matthäus Habe den Herrn als Sohn des Menschen , Marcus als Sohn des Vaters, Lucas als Sohn der Maria schildern wollen,3 und was dergleichen wohl feile Einfälle mehr sind. Natürlich werden dann auch von den vier Weltgegenden menschlicher Standpunktsmöglichkeiten aus allerhand Eintheilungsgründe angegeben, vom Zaun gepflückt, gerade so rasch und kurzer Hand, wie wenn es sich um die Disposition einer' erbauli chen Rede handelte. Dahin gehört auch der S. 41 erwähnte Aufsatz Kalchreuter's, welcher in der gemeinsamen urchristlichen Erinne rung die einzige Quelle und den ausreichenden Erklärungsgrund für das Verwandtschaftsverhältniss der Evangelisten, kurz das wahre Ur evangelium endlich entdeckt zu haben glaubt. Dieses sei dann von Mar cus so dargestellt worden, dass das Christenthum als das vollendete Ju denthum oder als israelitische Weltkirche erscheine, von Matthäus als die Juden und Heiden vereinigende Apostelkirehe, von Lucas als die Volkskirche, die aber in Israel ihren Ausgangs- und Endpunkt habe. * Wir unsererseits können zu einer Zeit, wo durch saure und anhal tende Arbeit von zwei Menschenaltern die Abhängigkeitsverhältnisse der Synoptiker, wenn nicht auf dem ganzen dreifach parallelen Linien netz, so doch auf einer grossen Reihe einzelner Punkte zur Evidenz 1) Gnosis, S. 7. — 2) Vgl. noch Baur: Kirchengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, 1862, S. 447. — 3) Theologisches Literaturblatt, 1860, Nr. 91, S. 1083. — 4) Jahrbücher für deutsche Theologie, 1861, S. 519. 472 Fünftes Capitel. gebracht worden sind, über derartige leichtere Arbeit getrost zur Tages ordnung übergehen, d. h. zur genaueren Erforschung des Marcusevan geliums, von dessen richtiger Beurtheilung alles Andere abhängt. Auch in dieser Beziehung haben wir schon S. 388 eines grossen Fortschrittes Erwähnung gethan, der sich zuletzt noch innerhalb der Tübinger Schule selbst vollzog. Schon Baur entdeckte später im Mar cus eine »Gewohnheit, vor Allem nach Demjenigen zu greifen, was die sinnlich concreteste Vorstellung der Sache gibt und mit dem ganzen Eindruck seiner äusserlichen Erscheinung sich vor Augen stellt.«1 Darauf hin hat einerseits Volkmar wenigstens die rein kritische Seite an der Sache durch Geltendmachung der Priorität des Marcus in's Reine gebracht, während er freilich ausser den prosaischen Thatsachen der Taufe, des Lehrens in Kapernaum, des-Reisens in Galiläa und Hin ziehens zum Tod in Jerusalem wenig historischen Inhalt mehr in seinem Urevangelium findet; 2 andererseits hat Hilgenfeld, wiewohl ersieh den richtigen kritischen Resultaten noch verschliesst, doch manchen ungerechten Scrupeln Baur's gegenüber aus dem Contrast der immer steigenden pharisäischen Feindschaft gegen Jesus einerseits und der sich entwickelnden Empfänglichkeit des Jüngerkreises andererseits einen inneren Fortschritt der Lebensgeschichte Jesu bei Marcus hergestellt — so dass der anfangs ungetheilt günstige Eindruck der Wirksamkeit Christi allmälig auseinandergeht nach diesen beiden entgegenstehenden Seiten. 3 Aber so glücklich Hilgenfeld auf allen Punkten ist, wo er die Unabhängigkeit des Marcus von Lucas gegen Baur behauptet, so sind doch in ihm selbst noch gewisse Vorurtheile haften geblieben, die ' nur einer ganz scharfen Betrachtung der Stellung weichen können, die Jesus überhaupt in unseren synoptischen Evangelien einnimmt. Hierüber zunächst Folgendes : Während Jesus der ältesten Auffassung in A zufolge von Gott zum XqiOxog erhoben, ihm daher der Name viög xov deov zunächst wegen seiner messianischen Ausrüstung, wozu die Wundergabe gehört, eigen ist(Mr. 3, 11. 5, 7): ist Matthäus derjenige Be richterstatter , welcher die übernatürliche Empfängniss zuerst in die evangelische Geschichte einführt und in Folge dessen allzu deutliche Spuren des »werdenden Christus« verwischt, wie namentlich die Text änderung 19, 17 zeigt (S. 197). Aber eine solche Tragweite gewinnt doch auch bei ihm dieser Gedanke nicht, dass er das eigenthümliche Verhältniss Jesu zu Gott durchweg vom religiös-sittlichen auf den Boden der Metaphysik überzutragen Anstalten träfe.- Vielmehr lässt er nicht blos Stellen ruhig stehen, wie aus A den Taneivög Trj xagöiq 11, 29, I) Marcusevangelium, S. 41. — 2) Religion Jesu, S. 26^ ff. — 3) Evangelien, S. 145. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 473 aus A die Versuchungsgeschichte 1 , 1-11, die Jesum als den , seine Würdigkeit zum Messiasberuf durch die That bewährenden Homo labilis darstellt : sondern er bringt auch selbst Einfügungen an, die einer ähn lichen Anschauungsweise entstammt sind, wie 3,15 nginov saxiv rjfiiv nXrjgwaai näaav öixaioavvrjv, und das Citat 12, 18, so dass Köstlin, indem er die erlösende, menschenfreundliche Liebe mit Recht als einen Charakterzug des matthäischen Christus hervorhebt, auf die einseitige und irrige Meinung gerathen konnte , das Uebermenschliche finde sich nur im Marcus und Lucas.1 In einer ganz ähnlichen, durch das Zusammen gehen historischer und dogmatischer Anschauungen bedingten Ueber- gangsstellung befindet sich auch Marcus, in welchem De Wette's ver- irrter Scharfsinn eine »zum Doketismus hinneigende Ansicht« entdecken wollte,2 während in der That die Anschauungsweise von A nirgends durchsichtiger ist, dagegen das in dem viög dsov 1, 1 (S. 67) und im Wegfall von viög 'Iwofjcp 6, 3 (S. 82) sich verrathende Interesse des Bearbeiters für die evangelische Vorgeschichte nirgends so leicht oben angeklebt und daher auch leicht ablösbar erscheint, wie eben hier. Sehr unglücklich findet De Wette in der Combination Mr. 15, 39. 44 einen Beweis, dass der Evangelist versucht habe, Jesu Tod als einen freiwilli gen hinzustellen. Wenn etwas Derartiges in dem Bericht des Marcus gefunden werden kann, 3 so hat es jedenfalls nicht Marcus hineinge zaubert , sondern es stand auch in A , wie nicht blos die Parallelen be weisen Mt. 27, 54 = Lc. 23, 47 zu Mr. 15, 39, sondern noch mehr das Fehlen der Parallelen zu Mr. 15, 44 (vgl. S. 107). Endlich soll — der Tübinger Kritik zufolge 4 — Lucas in Beziehung auf seine Darstellung der Person Christi sich geradezu auf dem Uebergang zwischen dem synoptischen viög xov dsov und dem johanneischen Xöyog befinden. Auf jeden Fall wird aber so gut wie in A, auch Lc. 18, 38. 39 Jesus als Davidssohn gefeiert, und der messianische König 19, 38 sogar im Gegensatze zu A noch ausdrücklich hereingebracht. Als Messias der Juden gibt Jesus sich selbst vor Gericht aus 22, 70. 23, 3, und hat also der hier gebrauchte Titel viög dsov seinen ursprünglichen Sinn noch nicht verloren. So wenig geht Lucas in bestimmter Weise über den Anschauungskreis seiner Quellen hinaus , dass er ja auch das höchste Wort nävxa fioi naqsöödrj vnö xov naxqog fiov 10, 22 nur aus A herübernimmt und mit Matthäus theilt. Was Baur hierüber und über andere angebliche Erweise des halbjohanneischen Standpunktes (soll doch in dem xig b Xöyog Lc. 4, 30 bereits die Präformation zum Logos- 1) Evangelien, S. 10 f. 127. — 2) Einleitung, II, S. 184. — 3) Bitschl hat die selbe Entdeckung gegentheils in Lc. 23, 10 gemacht (Evangelium Marcion's, S. 2(11). — 4) Baur: Evangelien, S. 49(1. 474 Fünftes Capitel. begriff liegen) beigebracht hat, x dürfen wir jetzt wohl übergehen, da für Jeden, der uns bis hierher gefolgt ist, alle diese Argumente bereits anderweitig unschädlich geworden sind. Wenn namentlich Jesus im dritten Evangelium als Ueberwinder der Dämonen, d. h. der Mächte des Heidenthums auftreten soll , 2 so werden wir sehen , wie schief eine solche Charakteristik des dritten Evangeliums neben dem zweiten, auf das sie viel besser passt (§. 30), sich ausnimmt; gegen theils hat daher Köstlin erklärt, dass »die Bewältigung der übernatürlichen Kräfte des Bösen von Marcus am entschiedensten unter allen Evangelien als das Specifische der Wirksamkeit Jesu hingestellt ist. « 3 So weit aber die Tübinger Erörterungen soliden Grund haben, so weit hängt Dies mit clem unzweifelhaft paulinischen und universalistischen Charakter des Lucas nachweisbar genug zusammen (vgl. S. 390 ff). Die Erzählung des Lucas beginnt mit einer noch ausführlicheren DarsteUung des göttlichen Ursprungs der Persönlichkeit Jesu, als dieselbe bei Matthäus zu finden ist, wie sie auch abschliesst mit einer nochmaligen Hinweisung auf den, in Jesu Leben sich verwirklichenden, Erlösungsplan und mit der Dar stellung seiner Erhöhung zum Himmel (24, 26. 44 — 53). Wenn nun aber Köstlin daraus schliessen wiU, dass auch zwischen diesen beiden Endpunkten das Eigenthümliche des dritten Evangeliums in dem stär ker hervortretenden göttlichen Charakter der Person und des Werks Jesu bestehe,* so kann Dies doch wohl von dem eigentlichen, den Quellen entlehnten , Geschichtsstoff weniger gelten wollen , als von den Farben, womit Lucas diesen Stoff colorirt. Dahin möchten wir nament lich rechnen die Bezeichnung Jesu als des xvqiog (S. 276), die Aus malung der Verklärungsgeschichte, die Bezeichnung seiner Lehre als Xöyog xov dsov 5, 1 , die merkwürdige Hinweisung auf seine ävdXrjiptg 9, 51, als auf dasjenige Ereigniss, in welchem seine irdische Geschichte ihren eigentlichen Zweck und Abschluss finden sollte, und die aus drückliche Hervorhebung des Sterbens als eines Hingebens des nvsvfia an Gott 23, 40. Mit dem Paulinismus des Verfassers hängt es auch zu sammen , dass Jesus , der » Gewalt der Finsterniss « (Kol. 1,16) gegen über, als Vertreter des guten Princips, die jüdischen Gegner hingegen als Werkzeuge eben jener Macht der Finsterniss 22, 53 erscheinen. Sollte es aber richtig sein, dass das häufige Beten, welches von Jesu be richtet wird (S. 328), im Sinne des Evangelisten dazu dienen soll, das Verhältniss Jesu zu Gott zu vermitteln , B so liegt darin so wenig eine Annäherung zum Logosbegriff, dass vielmehr eine derartige sittliche 1) Evangelien, S. 192 ff. — 2) Ritschl (Evangelium Marcion's, S. 196 ff.), Baur (Evangelien, S. 429 ff. 490 f.). — 3) Evangelien, S. 313. 317. — 4) Evangelien, S. 181. — 5) Bitschi: Evangelium Marcion's, S. 199. Lebensbild Jesu naeh der Quelle A. 475 Vermittlung jenes Verhältnisses alle metaphysische Begründung als überflüssig erscheinen lässt. Auch dieses Evangelium, wie die beiden andern , gehört also in Betreff seiner Auffassung der Person Jesu » der vordogmatischen Periode « an. 1 Unleugbar ist uns nun aber in A , respective Marcus ; die Person des Herrn noch um ein Merkliches näher gerückt, als im Matthäus oder Lucas. Das. geschichtlich Bedingte, das menschlich Individuelle tritt hier am wenigsten zurück vor dem Allgemeinen und Göttlichen. Viel mehr bieten sich dem forschenden Auge der feiner angelegten , mit den Erdfarben zeitlicher und localer, ja individueller Bedingtheiten gemal ten Züge so viele dar, dass wir sagen können: nirgends tritt, was der Mensch Jesus als solcher war, so erkennbar hervor, als in A, respec tive im Evangelium des Marcus. Während die anderen Synoptiker die Person des Herrn in den zuvor aufgestellten Rahmen seines messiani schen 'Berufes und Werkes hineinzeichnen; während wir daher bei Matthäus (1, 21) und Lucas (1, 31 — 35) vor Allem ein dogmatisches Programm antreffen zu der Reihe von Auftritten aus dem Leben Jesu, die sie zusammengestellt haben , fehlen bei Marcus alle derartige An deutungen , fehlt ganz das geheimnissvolle Vorspiel der Geburtsge schichte, dessen Ausbildung das erste apostolische Zeitalter der nächsten Generation überliess; es wird daher bei Marcus blos »Jesus von Na zareth« (1, 9) genannt, als zur Zeit des Täufers am Jordan auftretend. So ganz erscheint er aus dem irdischen Boden Galiläas hervorgewachsen, dass seine Mutter, Brüder, Schwestern allbekannt sind und Joseph wohl nur wegen frühen Todes, jedenfalls aus demselben Grunde nicht mit genannt wird, aus welchem sein frühes Zurücktreten in der evangeli schen Geschichte überhaupt zu erklären ist. An seiner Stelle gilt jetzt Jesus selbst als » der Zimmermann « (6, 3) , 2 der aber zu Beginn unserer Darstellung sein Geschäft eben mit dem Berufe eines öffentlichen Lehrers vertauscht. Sofort stellen ihn die Zeitgenossen auf eine Linie mit dem Täufer und anderen Propheten (6, 14. 15. 8, 28). Davon aber, dass es mit seiner Erscheinung von Anfang an eine besondere Bewandt niss gehabt haben möchte, wissen sie, und, wie es scheint, auch unser erstes Quellenbuch nichts. Denn, dass 6, 3 der »Sohn des Joseph« keine Aufnahme im Text gefunden hat, kommt blos auf Rechnung desselben Marcus, der auch 1, 1 den Herrn ohne Weiteres »Gottessohn« nennt (S 473). Nur durch diese Unterscheidung erledigt sich der Streit zwi schen Köstlin, der die Voraussetzung übernatürlicher Entstehung im zweiten Evangelium leugnet,3 und Hilgenfeld, der sie statuirt. * 1) Kitschi: A. a. O. S. 200. — 2) Der t&.tmv soll freilich nach Baur (Marcus evangelium, S. 47) wieder apokryphisch sein, — 3) Evangelien, S. 323. — 4) Evan gelien, S. 135. 476 Fünftes Capitel. Dagegen beginnt bei Marcus das Einzigartige, Ausserordentliche im Leben Jesu mit dem Taufacte, wo der heilige Geist, zu welchem Jesus also nicht in ursprünglichem Verhältnisse gedacht ist, »auf ihn herabkommt« (1, 10). So wenig das, was eigentlich geschehen ist, aus der Darstellung des Marcus von dem wunderbaren Gesichte (1, 10) und der göttlichen Ansprache (1 , 11) mehr deutlich zu erkennen ist, so ist diese , vielleicht auf einem originalen Ausdruck Jesu selbst ruhende, ' Darstellung dennoch für die ursprünglichere zu halten den beiden an dern Synoptikern gegenüber , die den Vorgang mehr oder weniger in's Objective umbilden. Jedenfalls ist es Ansicht des Quellenbuchs, dass mit jener Thatsache eine eigenthümliche Steigerung im Selbstbewusst sein Jesu eingetreten ist; eine »gewaltig in ihm aufgehende Klarheit über seinen göttlichen Beruf, die wie ein Lichtstrom vom Himmel das Auge , wie eine göttliche Stimme das Ohr seines Geistes traf. « 2 Denn von nun an hat sein ganzes Wesen und Sein wenigstens nach einer be stimmten Richtung hin etwas über unsere Erfahrungen Hinausliegendes. Es macht sich eine Kraft geltend, zu deren Verständniss uns keine Ver gleichung gewöhnlicher Beobachtungen den Schlüssel bietet. Es findet nämlich vom Augenblick der Taufe an unserm Berichterstatter zufolge eine gewaltig drängende Einwirkung des Geistes statt , die dem Träger des Geistes keine Ruhe lässt, bis sein Werk im vollen Gange ist. 3 Das erste Resultat dieser mächtigen Wirkung ist, dass sie ihn in die tiefe Einsamkeit der Wüste »hinaustreibt« (1, 12), wo die innere Verfassung zur Ausführung der Aufgabe schliesslich errungen werden soll. Es folgt daher nun der noch ganz im Dunkel der Sage zurückliegende Wüsten aufenthalt, das Weilen im Lande alles Grauens und Mangels, die Ver- suchungsgcschichte. Das Hauptverdienst des zweiten Evangelisten ist nun aber, dass er, nachdem er die halbgeschichtliche Eingangspartie rascher, als A, zum Abschluss gebracht, die Eigenthümlichkeit des ersten prophetischen Auftretens Jesu noch so farbenhell gezeichnet hat. Der Herr erscheint hier selbst als Erstling derer, die dem'Himmelreich Gewalt anthun. 4 Sein Leben ist hier, wie Kaichreuter bemerkt, »bisweilen wie von einem Sturmwinde getragen. « 5 Es liegt nicht blos in der, dem Marcus eigenthümlichen plas tischen Ausdrucks weise (S. 284 f. 448 f.), sondern in 1) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 474. Vgl. Lc. 10, 18. — 2) Weisse: Evangelienfrage, S. ISS. — 3) Ewald: Evangelien, S. 161. — 4) Weisse: Evan gelische Geschichte, II, S. 70 zu Mt. 11, 12 = Lc. 16, 16: »Jesus stellt das durch ihn geschehene Herabziehen des Himmelreichs auf die Erde als eine Gewaltthat vor, die er, und mit ihm alle , die seinen Weg gehen , an dem Himmelreich verüben. Er stellt es so dar nicht ohne ironische Hindeutung auf den sachten , bedächtigen und gemesse nen Gang, den die Juden nach dem göttlichen Reiche wandeln — als solle das Messias reich im Schlaf den Müssigen entgegengebracht werden.« — 5) A. a. O. S. 518. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 477 der That macht das ganze Auftreten Jesu in den ersten Momenten seiner Berufsthätigkeit den Eindruck der stürmischen Unwiderstehlichkeit, des gewaltigen und gewaltsamen Eifers. Es muss eine ausserordentlich erschütternde Bewegung gewesen sein , die vom Augenblick der Weihe her noch lange fühlbar nachzittert und bebt. Die ersten Thaten, welche das zweite Evangelium von ihm berichtet, werden ausgeführt mit einem entschlossenen Kraftauf wände , wie derselbe nur bei einem Manne zu erwarten ist, welcher den Beruf fühlt, dem in mächtigen Schwingungen rollenden Rad der Menschheitsgeschichte in die Speichen zu greifen und seinem Lauf eine andere Richtung, eine neue Geschwindigkeit zu ver leihen. Im drängenden Gefühl des unvergleichlichen Momentes, in wel chem Gottes Tritt in der Weltgeschichte deutlich, wie nie, zu erkennen war, sieht er sich nach einem bestimmten Wirkungsfelde um ; aber nicht eher , als bis er über seinen göttlichen Beruf und über die Zeitverhält nisse , in die er einzutreten im Begriff war , ein vollkommen klares Be wusstsein gewonnen hatte, bis er also sagen konnte : nsnXrjqwxat 6 xaiqog (nur Mr. 1, 15). 1 Zunächst sucht er Organe. Es soll etwas geschehen, und zwar rasch. Mit einem gemessenen Befehl ruft er seine Erstlinge vom Handwerk (1, 17), und ebenso unvermittelt folgen sie, Familie und Geschäft im Stiche lassend (1, 20. 2, 14). Nun aber eröffnet sich vor unseren Blicken ein ganz seltsames Berufsfeld, ein Schauspiel, dessen Verlauf wir hier nur zu verzeichnen , dessen Räthsel wir nicht zu lösen haben. Alsbald in den Synagogen auftretend und in durchaus origineller Energie und Kraftfülle der Rede vordringend (1, 21. 22) wird er schnell das Gespräch der Hütten und Paläste. In den Zuhörern tritt hier und da das gewöhnliche Bewusstsein zurück. Auftritte kommen vor, die an Manches erinnern, was der occidentalischen Auffassung un seres Jahrhunderts höchstens durch ausländische Erscheinungen näher gebracht worden ist (1, 26). Wie aber die » Geister « der Hörenden auf seine Predigt in gewalt samen Zuckungen rcagiren , so ist auch sein Eindringen auf sie ein in Rede (imxifiäv 1, 25. 3, 12. 9, 25) und That (sxßäXXeiv 1, 34. 39) Animoses; und diese temperamentsmässige Färbung des Thuns und Lassens Jesu macht sich bei Marcus auch sonst in auffallender Weise geltend, z. B. 3, 5 (wozu Meyer gut: »Zorn und Mitleid wechselte«). 8, 12. 33. 9, 19. 11, 14. Dabei erscheint die aus dem Innersten heftig quiUende Handlung das eine- und anderemal unvermittelt und fremd artig bis zur Unvorstellbarkeit und Unverständlichkeit. So z. B., wenn 1) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 316. Philosophische Dogmatik, III, 289 ff. 478 Fünftes Capitel. er im Kampfe mit den Dämonen nicht blos zu heftigen Drohworten greift, sondern auch den geheilten Aussätzigen so schnell als möglich abfertigt, und sogar zürnend — es ist nicht gesagt und auch nicht mehr zu sagen, wesshalb — zur Thüre hinaustreibt (1, 43). Alles dieses konnte aber bei befangener oder böswilliger Beobachtung auf Jesu Geg ner geradezu den Eindruck der Besessenheit (3, 22. 30), auf die Seini gen aber den des Wahnsinns machen (3, 21): eine Beurtheilung, die sich das erste originale Auftreten des Geistes in der Welt überhaupt ge fallen lassen muss (Act. 2, 13). Schon um dieses durchaus Auffallenden in seiner Wirksamkeit willen ist Jesus, besonders anfangs, beständig vom Volk belagert im eigentlichen Sinne des Wortes. Diese Schilderungen bilden einen spe cifischen Grundzug in A Marcus, von woher sie gelegentlich auch in den Matthäus oder Lucas gekommen sind; vgl. 1, 32. 33. 45 (= Lc. 5, 15). 2, 2. 3. 15. 3, 7—10 (= Mt. 12, 15. 16. Lc. 6, 17 — 19). 20. 4, 1 (= Mt. 13, 2. Lc. 8, 4). 5, 21. 24 (= Lc. 8, 40. 42). 6, 31. 54—56 ( = Mt. 14, 35. 36). 8, 1. 10, 1 (= Mt. 19, 2). Oefter als Matthäus oder Lucas beschreibt daher Marcus den Eindruck, den Jesu Lehre, seine Wunder, ja 9, 15 sein bloses Erscheinen gemacht hat, so dass trotz aller Verbote der Ruf Jesu in immer weiteren Kreisen sich ausbreitet 7, 36, und je länger, je mehr auch von der Ferne Zudrang statt findet. So wird denn gleich von vornherein sein eigenes Haus für ihn die Stätte unausgesetzten, angespannten Kraftaufwandes (1, 33. 2, 1. 15. 3, 20). Er fängt daher bald an, die Städte zu vermeiden und das Herauskommen der Leute zu ihm zu erwarten (I, 45. 2, 13. 3, 9). Ueberhaupt aber wird die Einsamkeit für ihn in demselben Maasse Bedürfniss, als die Oeffentlichkeit seines Auftretens zunimmt. In der Frühe der Morgen dämmerung (1, 35), wie in der Späte des Abends (6, 46), zieht er sich zurück in die schweigende Natur, um in langem Gebete zu dem Vater aufzuathmen von der gewaltigen Spannung der physischen und geistigen Kraft. Dies geht so fort bis zur letzten Einsamkeit im Schatten von Gethsemane (14, 35. 39). Früher aber wird als Ort seiner Ruhe bald egrjfiog xönog, welcher Ausdruck so 1, 35 (= Lc. 4, 42). 45. 6, 31. 32 (= Mt. 14, 13). 35 (= Mt. 14, 15. Lc. 9, 12) vorkommt, bald das Heidenland genannt 7, 24; und gerade der letztere Fall beweist, wie er solches Ausathmen als ein Recht in Anspruch nimmt und auf, auch dorthin ihn verfolgenden, ohnehin etwas zudringlich scheinenden, Hülferuf nicht ohne Weiteres eingeht (7, 27). Fragen wir nun aber nach den Umrissen, mit denen der "äussere Verlauf dieses, so energisch in Gang gebrachten, öffentlichen Auftretens gezeichnet wird , so finden sich solche unter allen Synoptikern nur in unserem zweiten Evangelium, Während im dritten eine allgemeine Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 479 chronologische und geographische Unordnung wenigstens für die grosse Einschaltung 9, 51 — 18, 14 fast allgemein zugegeben wird, leidet in dieser Beziehung auch das erste nicht blos an den S. 103 f. 431 ff. her vorgehobenen Mängeln , dass Jesus schon in der Bergrede als Messias spricht, und doch fortwährend mit seiner Messianität zurückhält, dass schon 14, 33 die Jünger ihn als Sohn Gottes begrüssen, während doch erst 16, 16 dem Petrus dieses Wissen aufgeht u. s. w., sondern es lassen sich auch auf keiner Karte die Schritte und Tritte dieses, gleichsam all gegenwärtigen , Messias nachzeichnen , während man im zweiten Evan gelium fast immer die Station kennt, auf der man sich befindet, weil ganz allmälig und bewusst die Kreise , die der Herr auf seinen Reisen beschreibt, sich erweitern. Es waltet in diesem äusserlichsten Theil der Darstellung derselbe Fortschritt, wie in der innern Entwicklung und dem allmäligen Hervordrängen des Messiasgedankens. Durchweg fällt daher ein scharfes und helles Licht auf das galiläische Wesen und Sein Jesu, wie er hier waltet in seinem — oder, wie nach 1, 29 mit grösserer Wahrscheinlichkeit gesagt werden muss, des Petrus — einstöckigen (2, 4),1 aber mit einem Vorhof versehenen (2, 2), Hause, darinnen er — was bei Matthäus und Lucas schon verwischt ist — die Jünger (3, 20) und in Fällen auch weiter sich hinzufindende Personen (2, 15) be- wirthet. Ueberhaupt wird die Wohnung Jesu in keinem Evangelium so oft (vgl. auch 2, 1. 9, 33) genannt, wie bei Marcus.2 Die öffentliche Wirksamkeit aber, die von diesem Hause aus in Galiläa unternommen wird, theilt sich in sieben, stets weiter ausgedehnte Kreise, die ganz be stimmt gezogen werden können , ohne dass der Uebergang dem Schrift steller immer braucht in's Bewusstsein gefallen zu sein. Wir zeichnen dieselben in Kürze ab : 1. Cap. 1. Anfang des Evangeliums von Christus ist — nach der ältesten evangelischen Schrift — Johannes der Täufer, von dem übrigens im Vergleich mit Matthäus und Lucas nur kurzer Bericht gethan wird, um rasch zu dem Augenblick hinzueilen , wo Jesus mit dem Geiste ge salbt wird (1, 9 — 11). So fällt auf die vorwärts und rückwärts noch in sagenhaftes Dunkel gehüllten Anfänge des Auftretens Jesu der erste Lichtstreifen der Geschichtlichkeit, der den künftigen Messias am un tern Jordan, wo Johannes taufte (1, 5), hervortretend, von da sofort 1) Ewald: Evangelien, S. 197. — 2) Dagegen können wir nicht mit Bleek (Synopsis, II, S. 29) das Haus Jesu in Kapernaum auch 7, 17. 9, 28. 10, 10 ange deutet finden, da 10, 10 der Herr nach 10, I gar nicht in Galiläa zu 'denken ist, 9, 28 wenigstens nicht in Kapernaum, wohin er 9, 33 erst kommt, die Scene 7, 1 7 aber eben desshalb leichter mit Meyer in die Landschaft Genezareth verlegt wird. So ist ja auch das Haus 7, 24 offenbar nicht in Kapernaum , sondern im Gebiet von Tyrus zu suchen. 480 Fünftes Capitel. aber in die Wüste sich zurückziehend erscheinen lässt. Doch ist dieser ganze Anfang, zumal in unserem Marcus, knapp und gedrängt gehalten. Deutliche Spuren der Augenzeugenschaft trägt der Bericht erst da, wo Jesus in Galiläa auftritt1 und, durch seine erst berufenen Jünger ver anlasst, in Kapernaum sich niederlässt. Zumal seit Marcus 1, 21 macht die bisherige skizzenartige Arbeit einer grösseren Ausführlichkeit, viel leicht auch die bisherige Flüchtigkeit des römischen Bearbeiters einer, meist an's Wort sich haltenden, Genauigkeit Platz.2 So beginnt die eigentliche Erzählung von Jesu galiläischer Wirksamkeit mit der Dar stellung seines Tagewerkes an einem Sabbat in Kapernaum. Der Dä monische wird in der Schule, die Schwiegermutter des Petrus unter ihrem eigenen Dache geheilt, dann Jesus Abends in seinem Hause von Hülfesuchenden stark und lange bedrängt (1, 21 — 34). Morgens in aller Frühe bricht er daher, um aHein zu sein, auf, wird aber von seinen vier Jüngern eingeholt ; bereits ist, wie er erfährt, seine Schwelle in Kaper naum wieder belagert, er wendet sich daher auf einer ersten Rundreise durch Galiläa in andere Städte, als welche auch mit zu seinem Berufs felde gehören , heilt irgendwo einen Aussätzigen und ist bald weder in den Ortschaften, noch in den abgelegenen Gegenden, dahin er sich zu rückzieht, mehr sicher vor dem, durch sein Auftreten elektrisch berühr ten, Volke (1, 35—45). 2. 2, 1 — 3, 6. Nach der ersten, nur mit vier Jüngern unternom menen Reise finden wir ihn wieder in seinem Hause zu Kapernaum, dieses abermals im Zustande der Belagerung. Kaum hat der , durch's Dach herabgelassene und durch die Thür wieder ausgegangene , Para lytische die Volksmenge zertheilt und nach sich gezogen , so begibt sich auch Jesus in's Freie, um seine Lehrthätigkeit am Meer fortzusetzen (2, l — 13). Von nun an wird ein, mehrere Tage anhaltender, Aufenthalt in und bei (2, 13. 23) Kapernaum beschrieben, ohne dass gesagt wird, wie die einzelnen berichteten Thatsachen sich auf die verschiedenen Tage vertheilen (2, 14 — 3, 6), wesshalb Matthäus, der die beiden Sab batsgeschichten auf denselben, und Lucas, der sie auf zwei verschiedene Sabbate verlegt, gleich unsicher verfahren. Zu bemerken ist noch, dass Jesus in Levi einen fünften Jünger beruft, gleich nachdem bei Gelegen heit der Heilung des Paralytischen das erste deutliche Zeichen von pharisäischer Opposition zu Tage getreten war (2, 6. 7), die sich freilich zunächst nur an die Jünger wagt (2, 16), dann den Herrn selbst inter- pellirt (2, 18. 24) und ihm auflauert (3, 6). So rasch hat sich diese Opposition gesteigert, dass schon 2, 20 ein Trauer verheissendes Wort 1) Weisse: Ev. Geschichte, I, S. 58. — 2)Ewald (Evangelien, S. 194), Meyer (Zu Marcus und Lucas, S. 21). Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 4g 1 in Jesu Munde, und 3, 6 der Anschlag, ihn zu Grunde zu richten, in der Pharisäer Herzen zu finden ist. Dies aber ist auch der einzige trübe Punkt in dem anfangs so lichtvollen Gemälde des Erfolges , den Jesus bei der Volksmasse findet. 3. 3, 7 — 19, wo vor den Worten »und sie kommen nach Haus« der römische Bearbeiter abbricht und seine grösste Lücke eintreten lässt (S. 75 f. 78). Ein entscheidender Tag, Wahl der Zwölfe und Bergpredigt in sich fassend. Jesus hatte sich aus Kapernaum an den See begeben, sinnend über die neue, schwüler und verhängnissvoller werdende, Sachlage; bald genug ist er jedoch umdrängt nicht blos von Hülfesuchenden, sondern auch von Neugierigen, deren jetzt bereits aus Judäa und Peräa Etliche herbeigekommen sind. Sobald es irgend an geht, entzieht er sich, indem er, begleitet nur von entschiedenen An hängern, einen Berg besteigt. Dort nun wählt er aus der grössern An zahl derselben noch andere sieben zu den vorhandenen fünf Jüngern . Ein grösserer, geordneter Kreis von solchen war ihm, bei steigen der Schwierigkeit der Sache, als Haupterforderniss erschienen, um festeren Fuss im Volke zu fassen. Während die früheren Jünger von der Arbeit ihres Berufs gelegentlich abberufen werden, zeigt sich daher eine planmässige Absichtlichkeit in der Wahl der Zwölfe. Damit aber war ein zweiter, geschlossenerer Bau auf die erste Grundlage befestigt,1 dagegen Jesus zur grossen Volksmenge fortwährend in einer ganz unge bundenen Stellung verblieb und grundsätzlich verbleiben wollte. 2 An j ene Jünger nun hält er die vom römischen Bearbeiter ausgelassene, von Lc. 6, 20 — 49 nur an einer Stelle (39. 40), von Matthäus aber durchaus überarbeitete Bergrede. Ihr ursprünglicher Inhalt bewegt sich in der rein sittlichen Sphäre, geht über die klar ausgesprochenen und allseitig entwickelten Grundsätze heilig duldender Feindesliebe nicht hinaus — ¦ Grundsätze, die eben jetzt, wo die Opposition in ihrer verhängniss vollsten Tragweite vor das Auge seines Geistes getreten war, errungen und zum festen, unerschütterlichen Eigenthum gemacht werden mussten. Nur durch Ausdulden des Widerstandes kann der ewige Sieg unserer Sache gerettet werden : diese Losung prägt die Bergpredigt des Lucas ganz sachgemäss in jedem Verse den neuerwählten Jüngern ein, wäh rend die Bergrede des Matthäus als Rede nirgends im geschichtlichen Verlauf des Lebens Jesu unterzubringen ist , so geschichtlich und acht sie auch in allen ihren einzelnen Fragmenten sein mag. Steht es aber so mit der Bergrede, so liefert schon sie Beweis genug hierfür, dass Jesus von Anfang an ein Kreuzesreich vor Augen sah , und dass er sich 1) Ewald: Evangelien, S. 191. 294. — 2) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 388 f. Holtzmann. 3 1 482 Fünftes Capitel, nie der Illusion hingegeben hat, eine weltliche Reform oder auch nur einen allgemeinen religiös-sittlichen Umschwung im Volke Israel gleich sam wie mit dem Zauberstabe hervorrufen zu können.1 Eine Theokratie mitten im römischen Reich gründen zu wollen, wäre die Sache eines Schwärmenden gewesen. 2 4. 3, 19 von xal sqxovxai eig olxov an bis 4, 34. Jesus kehrt, was nicht am selben Tage braucht geschehen zu sein , nach Kapernaum zu rück. Der Bearbeiter nimmt den Text übrigens erst da wieder auf, wo die Erzählungen von dem, beim Eintritt in die Stadt ihn behelligenden, Hauptmann und dem, unmittelbar darauf geheilten , Stummen bereits absolvirt sind. Kaum ist Jesus zu Hause, so drängt sich eine grosse Masse Volkes herein, füllt das Haus an, so dass an ein Abendessen nicht gedacht werden kann (3, 20). Es waren Dies nicht mehr blos Leute, in und um Kapernaum wohnhaft, sondern auch jene schon 3, 7. 8 be zeichneten Ankömmlinge aus weiterer Ferne. Zu diesen waren nun neu hinzuge stossen seine Mutter und Geschwister ; aufgeregt durch das viele Gerede, schmerzlich berührt durch den Tumult, der sich alsbald bei Jesu Einzug erhebt, beschliessen sie, der Sache ein Ende zu machen und das , ihnen vöUig fremd und unverständlich gewordene , Familien glied als wahnsinnig festzunehmen — eine Thatsache, die schon dem Matthäus und Lucas zu unanständig erschien und darum in ihren Evan gelien wegfiel. Gleichwohl ist noch viel herber die Beurtheilung, die Jesus von den aus Jerusalem von ihren Gesinnungsgenossen nach Gali läa gerufenen Pharisäern erfuhr. Dieselben kommen ihren, durch Jesu Wunder in Verlegenheit gesetzten, Parteigängern zu Hülfe und scheuen sich nicht , die populärste Erklärungsweise des Wahnsinns auch auf ihn anzuwenden und so seine Besessenheit, in Folge deren auch den hölli schen Ursprung seiner Wunder zu behaupten. Schon dieser Pragmatis mus verbietet also, das igiaxrj 21 etwa blos von einer Ohnmacht zu er klären, wie neuerdings noch Linder will. 3 Kaum hat sich Jesus dann mit scharfer Dialektik vertheidigt, so sind seine Verwandten unterdessen soweit vorgedrungen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Hierdurch ver anlasst schneidet Jesus die sein Werk störend durchkreuzenden Fäden natürlicher Familiarität mit unzweideutigem Wort ab (3, 33 — 35). Ganz in Analogie mit dem Ausspruch der anderen Quelle A Lc. 14, 26. 27 = Mt. 10, 37. 38 handelt er, wenn er trotz der Sorge, die sie seinet wegen beweisen, in der Absicht, ihn mitten in seiner Berufsthätigkeit zu stören, ja ihn derselben zu entreissen, eine Rücksichtslosigkeit er- 1) Dorner: Jesu sündlose Vollkommenheit , S. 31. 45. — 2) Gegen Lessing, Reinhard, Venturini, Ammon, Paulus, De Wette, Hase: Leben Jesu, 2. Asg. S. 83. ff. — 3) Studien und Kritiken, 1862, S. 556. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 483 blickt , die auch ihn seinerseits nicht veranlasst , ihrethalben bis vor die Thür zu gehen. Der Evangelist aber benutzt diesen Ruhepunkt, um » ein Bild der Lehrweise Christi « x oder vielmehr einen Ueberblick über die nunmehr folgenden, einer weniger von aussen bewegten Lehrwirk samkeit gewidmeten, Tage zu geben (4, 1 — 34). Wenn daher gegen die Verbindung aller, in dieser Nummer angebrachter, Stücke bemerkt wurde , dass Marcus offenbar ungeschichtlich in den Zeitraum eines ein zigen Tages zusammenzwänge, wozu ein Tag nicht ausreiche, 2 so fehlt hierzu jeder Anhaltspunkt in dem Schriftstücke selbst.3 Die paraboli schen Reden müssen vielmehr in ähnlicher Weise im Zusammenhang des Ganzen betrachtet werden, wie das Programm im ersten Evangelium Mt. 5—7. 5. 4, 35 — 6, 6. Von nun an überwiegen die Reisen den Aufenthalt in Kapernaum entschieden, ja sie nehmen auch weitere Ausdehnung an. Zwar was die Richtung nach Osten anlangt, findet Jesu Wirken ein nahes Ziel in dem überseeischen Gebiet von Gadara, dagegen dringt er, nach kurzem Zwischenaufenthalt in Kapernaum (5, 21 — 43), diesmal westlich bis nach Nazareth vor, wo er Veranlassung findet, eine ähn liche bittere Erfahrung, wie er sie in seiner Familie gemacht hatte, auch mit Beziehung auf Vaterstadt und Gemeindegenossenschaft auszu sprechen (6, 4). 6. 6, 1- — 7, 37. Von hier an beginnt ein grosser Wendepunkt. Auch Hitzig hat in der vorhergehenden Scene zu Nazareth richtig den Abschluss des ersten Kreises in Jesu lehr- und werkthätigem Herum wandern erkannt.4 Denn bis jetzt waren die zwölf Jünger Jesu ständige Begleiter gewesen; nun aber ist ihre erste Lehrzeit vorüber, und sie werden selbstständig ausgesandt. Durch diese allerorts erscheinenden Jüngerpaare (ovo öio , nur Mr. 6, 7) musste aber Jesu Name vollends in jedes Ohr erklingen, und so kann jetzt auch Herodes Antipas nicht mehr umhin, Notiz davon zu nehmen (6, 14 — 16). Die Gedanken des Herodes über Jesus, ob er nicht etwa gar der Täufer sei, benutzt dann der Evan gelist, um in geschicktester Weise den Stillstand, der bis zur Wieder kunft der Jünger in Jesu Leben eingetreten war, mit der nachträglichen Erzählung vom Ende des Täufers auszufüllen. Damit war dann aber auch vor Jesu Seele selbst sein eigener tragischer Ausgang um ein Gutes näher und gewisser hingetreten. Während bisher Galiläa, das vom Sectengeist weniger durchsäuerte Land, wo er auf eine, von Feinden weniger durchkreuzte, Wirksamkeit hoffen konnte, Hauptschauplatz seiner Thätigkeit war, insonderheit die nördliche Gegend Galiläa's, 1) Weiss, S. 668. — 2) Saunier, S. 80 f. — 3) Wilke, S. 603 f. — 4) Joh. Marcus, S. 129. 31* 484 Fünftes Capitel. westlich vom See, von wo er nur etwa dreimal auf kurze Zeit übersetzte : so führt er dagegen jetzt ein vorwiegend unstätes Leben, vermeidet so viel als möglich das Land des Herodes, sucht gleich nach Rückkunft der Jünger die Einsamkeit auf und lässt sich zu diesem Zweck in des Philippus Tetrarchie übersetzen (6, 32); er vermeidet auch nach der Rückfahrt die Städte, und wandelt die Landschaft Genezareth entlang (6, 53 — 55), seine Heils Wirksamkeit fortsetzend, seine antipharisäische Opposition schärfend. Endlich geht er geradezu in's Ausland, sucht Ruhe im heidnischen Gebiet von Tyrus (7, 24), wendet sich weiter nach Norden bis nach Sidon und kehrt dann durch die halbheidnische Deka pohs zurück (7, 31). 7. 8, 1 — 9, 50. Der Höhepunkt von Jesu Wirksamkeit. Diese Ab schnitte bilden zusammen eine neue Epoche im Leben Jesu, der also nochmals auf kurze Zeit die Ufer des See's besuchte (8, 10. 22), um sich bald wieder" nach Norden in die Gegend von Paneas zurückzuziehen (8, 27); dann aber, im Gefühl des nahenden Todes nach Jerusalem ge zogen, betritt er zum letztenmal und nur incognito (9, 30) Kapernaum, das lange verlassene (9 , 33). Zwar das öffentliche Wirken Jesu ist nun vorbei; er widmet sich eigentlich schon seit 8, 27, besonders aber 9, 31 — 10, 45 nur noch der Unterweisung seiner Jünger. x Dennoch stellt diese Epoche den Höhepunkt in seinem Leben dar, einerseits insofern als er jetzt zum ersten Mal von einem Jünger als Messias erkannt und bekannt wird (8, 29), andererseits insofern , als unmittelbar darauf im Angesicht von drei Jüngern die Scene der Verklärung beschrieben wird, deren wesentlichster geschichtlicher Gehalt im Gegensatze zum Petrus- Bekenntniss sicherlich in dem bereits dreifachen Aufleuchten der Flam me zu suchen ist, welche anzuzünden Jesus erschienen war. 2 Es ist nun aber auch die höchste Zeit, dass die Jünger über das wahrhafte Wesen seiner Messianität in's Klare kommen, da deren innere Vollen dung bereits erreicht , 3 die Lebenslinie Jesu daher von nun an eine ab steigende ist. »Vom hohen Berge steigt Jesus wieder herunter (9, 9); aber auch seines Lebens Sonne neigt sich jetzt abwärts ; und er wandert von nun an in südlicher Richtung nach Galiläa und durch Galiläa und Peräa dem Schicksale, das zu Jerusalem seiner harrt, entgegen.«4 Daher von nun an die Leidensweissagungen, in Folge deren 9 , 30 —32 eine ernste und finstere Stimmung sich über das ganze Bild lagert, so dass selbst die Jünger sich fürchten , ihn über das unfassbar nahe Ver- hängniss zu befragen. 1) Weiss, S. 651. 670 f. — 2) Ewald (Geschichte Christus, S. 339), Weisse (Evangelienfrage, S. 259). — 3) Ewald: Evangelien, S. 270. — 4) Hitzig: A. a. O. S. 12S. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 485 Blicken wir auf diese sieben Stufen des öffentlichen Lebens Jesu zurück, so bestätigt sich uns das Resultat, dass nur allmälig, und klar erst fast ganz am Ende, die Jünger mit aller Entschiedenheit in Jesu, der ihnen diese Ueberzeugung nicht aufnöthigte, den Messias erkannt haben. Damit verträgt es sich recht wohl, wenn ein bestimmtes Mini mum von Vertrauen, in ihm den Verheissenen gefunden zu haben, schon von Anfang an in ihrem Herzen vorhanden war , wie denn andererseits auch das Misstrauen , womit die Pharisäer dem werdenden Messias folg ten, sich schon dadurch hinlänglich zu erkennen gibt, dass sie ihn auch in Galiläa, wohin sie ihm folgen, sorgsamst überwachen und seine Wirk samkeit zu hemmen suchen (2, 6. 3, 6. 22). Hier aber thut Jesus seiner seits die ersten und entscheidenden Schritte; er nimmt den unvermeid lich gewordenen Kampf mit grösster Energie auf, indem er besonders gegen die peinliche Sabbatmode, den Triumph pharisäischer Werk gerechtigkeit, absichtlich und bei jeder Gelegenheit opponirt (Mr. 2, 23 — 28. 3, 4), aber auch sonstige Liebhabereien der Orthodoxie durch bricht (2, 16. 18. 23. 7, 1 — 5), und den spähenden Gegnern Anklage auf Anklage, jede an und für sich schon von Centnerschwere, in's An gesicht schleudert (vgl. besonders 3, 28—30. 7, 6—13). Schnell reift daher in den Gegnern der Entschluss, ihn vom Leben zum Tode zu bringen (3, 6). So neigte sich die Laufbahn Jesu rasch ihrem tragischen Ende zu, einem Ende, welches von Jesus selbst mit immer steigender Klarheit als das aHein mögliche, aber auch als das allein seiner würdige, als das göttlich nothwendige vorausgesehen und vorausgesagt worden war. Der Hass der Pharisäer und die Indolenz des Volkes Hessen von Anfang an keine andere Aussicht. Jener konnte sich nur im höchsten Maasse herausgefordert fühlen durch die rücksichtslose Strenge, womit Jesus Alles aufdeckte , was in und an ihnen war , das lieblose Herz , die im Innersten durchlöcherte und zerfetzte Sittlichkeit, den äusseren Tugend schein, den heuchlerischen Hochmuth. Zwischen der so gearteten un beugsamen Opposition eines Mannes, der allem Anscheine nach darauf ausging, die messianischen Hoffnungen des Volkes für sich in Anspruch zu nehmen, und der zähesten, empfindlichsten Hierarchie, die je da war, musste es rasch zum unheilbaren Bruche kommen. Leicht aber war vorauszusehen, dass auch in Galiläa nur der kleinere Theil des Volkes es mit ihm wagen würde auf die Gefahr eines solchen Bruches hin. Denn nur ein Umstand hätte dem, schon früh feststehenden, Todes urtheil die Spitze abbrechen können : eine Reihe unmissverständlicher, energischer Demonstrationen des Volkes. Um solche aber hervorzurufen, hätte Jesus, wenn auch nur vorübergehend, die volksthümlichen , trieb kräftigen, rasch entzündbaren Messiasgedanken in Dienst nehmen, oder 486 Fünftes Capitel. vielmehr sich ihnen in Dienst geben müssen. Dass er diese, aller sonst geltenden menschlichen Politik zufolge unverfänglichen, weil allein gangbaren, Geleise mit keinem Schritt und Tritt betreten hat, ist, bei den ausserordentlichen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, allein der ausreichende, AUes erklärende Grund seines Untergangs geworden. Gerade die Tausende, die er geheilt hatte, die neugierig ihm zuströmten, die seine Worte und Thaten nach allen vier Winden ausbreiteten (Mr. 5, 20), waren doch wieder Verwandte und Landsleute jener Nazarener, unter welchen Jesus eine der bittersten Erfahrungen machte (6 , 1 — 6) ; sie waren nur die regbarern Theile des schweren, sittlich rohen und harten Stoffes, aus welchem das ganze Volk gebildet war. Aber nicht etwa unverhofft, wie ein Verhängniss, kam die dunkle Katastrophe über ihn, er ging ihr vielmehr im entscheidenden AugenbHck entgegen. »Wenn er nach längerem, ununterbrochenem Wirken in Galiläa, nach allen Erfahrungen, welche er über die Aufnahme seiner Lehre bei dem Volke , und den Widerstand gegen sie bei den Gegnern , mit welchen er schon damals in Berührung kam, gemacht hatte, den Entschluss fasste, sich aus Galiläa nach Judäa zu begeben und in der Hauptstadt selbst zu erscheinen, am Sitze der Machthaber, zu deren herrschendem System seine ganze bisherige Wirksamkeit in dem entschiedensten Gegensatze stand, so kann dieser so folgenreiche Schritt nur aus der Ueberzeugung der Nothwendigkeit hervorgegangen sein , dass seine zur Entscheidung reife Sache sich jetzt auch wirklich entscheiden müsse. «4 Das so vorbereitete letzte Geschick stellt dann das zweite Evan gelium von 10, 1 an dar in einem, ganz aus einem Gusse gefertigten, Stücke. Abgesehen von etlichen Specialitäten haben daher auch die anderen Synoptiker hier den Gang des Marcus innegehalten. Nur trägt bei ihm die Leidensgeschichte jenes, den meisten Partien eignende, Ge präge der Ursprünglichkeit in ganz basonders deutUchem Grade. Man darf nur die Berichte über das Zittern in Gethsemane, über das unwillige und schmerzliche Schweigen vor geistlichem und weltlichem Gericht, über den heftigen Kampf am Kreuz vergleichen, um zu der Ueber zeugung zu gelangen, dass mehr die Vollständigkeit, als die intensive Lebensfülle des Bildes Jesu durch die späteren Berichte gewonnen hat. Denn auch Das, was den Charakter des Heilandes als solchen ausmacht, jenes auf rastlosem Umherreisen ihn begleitende Hungern und Dürsten, die Seelen an ihrem tiefsten Bedürfnisse zu fassen, findet bei Marcus den concretesten Ausdruck (1 , 38). Seine Darstellung thut Alles, um als besonders denkwürdig hervortreten zu lassen jenen unwiderstehlich sten Herzensdrang, jenes, allezeit frisch und lebendig aus der Seele her- 1) Baur: Christenthum der 3 ersten Jahrhunderte, 1860, S. 38. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 487 vorquillende, Seufzen des Mitgefühls (vgl. anXayxviadeig 1, 41. 6, 34. 8, 2. 9, 22; ävaaxsvägag xcp nvsifiaxi 7, 34. 8, 12), vermöge dessen Jesus auch im physischen Leiden immer das Sittliche erkennt, durch die leidenden Augen in das Leiden der Seele zu blicken versteht (2, 5). Dies erinnert uns einerseits überhaupt an die, auch auf die Jünger über tragene (6, 11), lebendige Symbolik des äusseren Auftretens, an die sprechende Geberde, wie sie das zweite Evangelium überhaupt auf Schritt und Tritt erkennen lässt, vgl. ivayxaXioäfisvog 9 , 36. 10, 16, nqoaxaXsadftsvog 3, 23. 8, 34. 12, 43, ifißqifirjodfisvog 1, 43, axvyväoag 10, 22, avXXvnoifisvog 3, 5. Hierzu sind ferner zu verglei chen Stellen, wie 1, 31 rjysiqsv aixrjv xgaxrjoag xfjg x^iqög, 1, 39 rjv xrjqvaawv sig xdg avvaywydg (wozu Meyer), 4, 39 öteyegdslg inexi- firjoev, 5, 40 ixßaXwv nävxag, 5, 41 xgaxrjoag xfjg xetoog (haben Mat thäus und Lucas es an dieser Stelle ebenfalls, so doch Marcus 9, 27 wieder allein), 8, 23 iniXaßöftsvog xfjg xsiqög, inidstg xdg xslqag u. s. f. Ausser dem deutet das häufige neqißXeipdfievog (3, 5. 34. 5, 32. 9, 8. 10, 23. 11, 11), ävaßXixpag (6, 41. 7,34. 8,24. 16, 4), iftßXeipag (10, 21. 27. 14, 67), iniaxqacpslg xal iöwv (8, 33) auf Erinnerungen, wie sie für Augen zeugen an den Thatsachen selbst haften. So besonders 10, 14 (rjyavdx- xrjasv). 21 (rjydnrjasv aixöv), wo Marcus allein den Affect ausdrückt. Andererseits tritt aber in jenen Krankenheilungen auch zu Tage eine gewisse , freilich auch von allen andern Evangelisten notirte, Unmittel barkeit, womit er mit den Herzensgedanken anderer Menschen über haupt in Berührung tritt (vgl. besonders 2, 8. 3, 4. 8, 17. 9, 33 — 35. 12, 15, auch 3, 16. 17. 14, 18. 30). Charakteristisch für seine Art, die Menschen schnell und scharf nach ihrem jedesmaligen individuellen Thun zu beurtheilen, sind unter Anderm wohl auch die Situationen, in welchen die Jünger von ihm berufen werden. Den Petrus beobachtet er im Fischen, den Johannes im Ausbessern des Netzes, den Matthäus im Ausrichten des Zöllneramtes (1, 16. 19. 2, 14), ähnlich auch die Wittwe beim Einlegen in den Gotteskasten (12, 41). Daher uns auch das, bei Justin zunächst mit einer anderen Pointe versehene,1 »unge schriebene Wort« den Stempel der Aechtheit nicht wenig zu tragen scheint : iv otg av iftäg xaxaXäßa, iv xovxotg xal xqivcö. So ist Beobachtungsgabe und Urtheil von derselben im Flug auf fassenden, durchdringenden und scharf theilenden Art, auf welche die sonstigen Charakter- und Temperamentseigenthümlichkeiten schliessen lassen. Wie er selbst verständige Antworten liebt (12, 34), dagegen der geistigen Unlust und der Trägheit der Auffassung gegenüber eine sitt liche Erregung hervortreten lässt (Mr. 8, 17. 21), so sind seine eigenen 1) Dial. cum Tryph. 47. 488 Fünftes Capitel. Erklärungen stets überraschend auch in ihrer Form. Das unbewusste und in Frage gezogene Recht der Liebe weiss er mit der schönsten Deu tung ihres Thuns zu bestätigen (14, 6 — 9); niemals ist er, wo er selbst gefragt wird, um's rechte, hier nur einschlagende, Wort verlegen (12, 15. 17); er weist Fragen mit berechtigten Gegenfragen zurück (11, 28. 29. 33), dringt selbst in unausweichlichen Berufungen auf allgemein Zugestandenes vor (8, 19. 20), und wirft nieder mit bildlicher, aber in ihrer Anzüglichkeit nicht missverständlicher Rede (12, 12). Wie er aber im lebhaftesten , Schlag auf Schlag fortlaufenden , Dialog stets sei nen Gegnern voraus ist und verkehrte Gedanken, seien dieselben aus gesprochen, oder nicht, mit unerbittlicher Dialektik zu vernichten weiss (2, 9. 25 — 28. 3, 4. 23), so geht er endlich kühn von der Defensive auch zur unverhüllten Offensive über (12, 35 — 37), wo dann seine Rede leicht die ganze Heftigkeit und Energie ihrer ursprünglichen Form wie der erreicht und den Gewinn einer so langen Beobachtung in der tref fendsten, mit wenigen Strichen Alles kennzeichnenden, Individuali- sirung niederlegt (12, 38 — 40). Die letzt angedeuteten charakteristischen Züge haben nun freilich auch in Matthäus und Lucas ihre Parallelen, so dass Keim es versuchen konnte, gerade die »menschliche Entwicklung Jesu« an der Hand des Matthäus darzustellen. Die wesentlichen Züge seines Bildes sind aber folgende. Wie jedes menschliche Bewusstsein sich bildet, so lässt er auch dasjenige Jesu hervorgehen aus jenem geheimnissvollen Concert, zu welchem Selbstanschauung und Weltanschauung zusammen treten. Wir sehen in seinem Leben nichts davon, dass er Menschen und Dinge apriorisch in sich trüge ; mag die Gabe der Divination ihm, wie so manchem wunderbar und tief angelegten Geiste, zu Gebote ge standen haben : » im Grossen und Ganzen ist sein Wissen von der Welt nicht durch Intuitionen, sondern durch Perceptionen , und zwar durch eine ganz ungewöhnlich enorme Akribie theilnehmender, kritischer, ironischer Weltbeobachtung zu Stande gekommen. « • Nun treten ihm, abgesehen von den so genial ausgebeuteten Stoffen des Natur- und Ge sellschaftslebens, drei geschlossene Mächte entgegen als die tiefsten Im pulse des Erlöseramtes. Es waren die stille gewordenen Männer des alten Bundes, die ihm zu Hause, in der Leseschule und in der Synagoge vor die Seele traten und diese Seele ganz erfüllten. Aber so sehr er, was äusserliche historisch -kritische Beurtheilung jener Bücher und Ge schichten betrifft, ganz auf der Linie seiner Zeit überhaupt sich bewegt, so schlechthin einzig steht er doch da in der scharf- und tiefsinnigen Behandlung der Schrift , womit er den sittlichen Wesensgehalt des Ge- 1) S. 13. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 489 setzes unermüdlich aus der Schale herausbildet und mit den erleuchtet sten Höhen des prophetischen Wortes verbindet. Was dann zweitens die religiösen Gemeinschaften seines Volkes betrifft, so lehnt Keim mit Recht alle Beziehungen auf den Essenismus ab , macht aber dafür die treffende Bemerkung, dass der Pharisäismus es vielmehr gewesen sein muss, den der junge Israelite in Nazareth mit der gespanntesten Aufmerksamkeit verfolgte ; eben der spätere Eifer seiner Widerlegungen ruht auf der Anerkennung des hinreissenden und verführerischen Ein druckes, den der Pharisäismus unter dem damaligen Jammer der un nationalen und heidnischen Herodeszeit auf alle treuen und hoffnungs starken Gemüther machen musste. Hilgenfeld's Gegenbemerkungen x lassen blos noch dem weiteren Gedanken Raum, dass die innere Abkehr Jesu vom Pharisäismus in demselben Maasse an bitterem Ernste zunahm, als der Lauf seines Lebens ihn in immer unmittelbarere Berührung mit dem unabgesch wachten Musterpharisäismus setzte, wie er in Jerusalem, am eigentlichen Heerd des Heiligthums, Pflege fand. Drittens endlich ist es der Wüstenprediger Johannes, an dessen Art und Wesen sich Jesus im Anfange völlig anschliesst , in dessen Ausgang er auch zuerst sein eigenes dunkles Schicksal liest. Diesen äusseren Eindrücken begegnete nun aber die Widerstands kraft des eigenen Genius, einer eigenthümlichen, ja einer wunderbaren Begabung aus jenen Tiefen Gottes, welche selbst gewöhnlichere Men schen zum räthselvollen Geheimniss stempeln, einer eminenten Stärke des Willens und der Entschlüsse und einer Verkehrsrichtung, welche im Voraus noch voller und sehnsüchtiger, als sie in die Welt ging, rück wärts in die Tiefen des eigenen Geistes und in die Offenbarung Gottes im Menschengeist sich versenkte.2 »Aus der scheinbar widerspruchs vollen Doppelheit entwickelte sich unter Kämpfen und Ringen der wunderbare weltgestaltende Einheitsgedanke seines Lebens, der Sohn Gottes und als Sohn Gottes der Retter einer Welt zu sein.«3 Diese innere That war aber nicht fertiges Resultat , sie war Process ; der erste siegreiche Grundsatz, das politische Messiasthum zurückzustossen, um der arme Diener einer sittlichen Menschheit zu sein, lag immer noch im Bereiche der Anfechtbarkeit und Erschütterung; die Ruhe thronte erst auf dem Kreuz und auf dem Haupte, das sich dort in den Tod beugte. Unter solchen sittlichen Thaten und Kämpfen gestalteten sich seine Ueberzeugungen von seiner Mission. An seine Messianität glaubte er allermeist um seiner selbst willen , indem er eben sich , den Mann der Zeit und den Mann Gottes in Kraft und Geist, der Zeit und der Mensch- 1) Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1862, S. 40 ff. — 2) Keim, S. 22. 3) S. 24. 490 Fünftes Capitel. heit entgegen brachte. Aus der Verzweiflung der Zeit, die nur er ganz verstand, appellirte er an das Herz eines väterlichen Gottes, das nur durch ihn sich der Menschheit öffnen konnte. »Das messianische Selbst gefühl, innere Stimmen und Selbstanschauungen, die verschärfte Selbst unterscheidung von der sündigen lichtlosen Welt, endlich der ruhelose Drang, über der kranken Menschheit und für die kranke Menschheit die Anker des Seins und Hoffens in das Unendliche einzuschlagen, das Alles bringt den Gottessohn in der Einzigkeit zum Durchbruch. « x Beides, das Wissen um seine Messianität und um seine Gottessohnschaft, hat sich parallel entwickelt; eine Idee hat die andere gefördert und ge steigert, nicht aber ist die eine ganz in die andere über- und aufgegangen. So macht sich die national bedingte Seite in seinem Selbstbewusstsein bis zuletzt auch darin geltend, dass neben dem geistigen Kreuzreich ein eigentliches Messiasreich doch stets festgehalten, ja in nächster Nähe er wartet wird. Aber » das sittliche Reich war die welthistorische Central- idee, das Messiasreich ist der ablösbare Ausläufer. «2 So treffend ohne alle Frage diese allgemeine Charakteristik des Ent wicklungsganges Jesu ausgefallen ist, so würde sie doch zu recht indivi duellem und concretem Leben erst haben gedeihen können, wenn der Verfasser mit weniger Vorurtheil an's Werk hätte gehen können hin sichtlich des » Schoosskindes neuester Kritik « , des Marcus. So sehr Keim sich von seinem Lehrer Baur unterscheidet durch unbefangene und gerechtere Anerkennung dessen, was sich durch selbsteigene Origina lität als geschichtlich legitimirt, so ein treuer Schüler seines Meisters ist er doch geblieben in seinem Urtheil über den Matthäus sowohl im Gan zen, als auch namentlich über die matthäische Bergrede, die doch — mit der des Lucas verglichen, ja auch nur mit sich selbst, und den unmittelbar folgenden Partien verglichen — offenbar als Composition sich darstellt (S. 75ff. 174ff.). Unser Verfasser aber findet nur im ersten Evangelium eine schöne Entwicklung in der Darstellung des Selbst bewusstseins Jesu, der Offenbarungen desselben, der Anerkennungen und der Gegensätzlichkeiten seitens der Welt. Und doch ist an dieser Behauptung nur so viel Unwiderlegliches, als das erste Evangelium durch Aufnahme eines möglichst reichhaltigen Redestoffes, also nur quantitativer Weise, die beiden andern Synoptiker überragt, sobald man in diesen Schriften nach Offenbarungen des Selbstbewusstseins in erster Linie sucht. Sieht man aber davon ab, richtet man vielmehr sein Augen merk weniger auf das Gewordene, als auf das Werden selbst, auf die irdischen Bedingungen und Maasse des Auftretens im gezeichneten Bude, so steht Marcus so entschieden dem Matthäus voran, dass wir 1) S. 33. — 2) S. 38. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 49 \ eine Darstellung, die sich gegen dieses Verhältniss verschliesst, freilich noch nicht für das Vollkommenste, Getreueste zu halten vermögen, was sich hier unter den jetzt schon gegebenen Voraussetzungen wissenschaft licher Leistungen erreichen lässt. Es sei uns erlaubt, auf Weniges hin zudeuten. Mehrfach macht der Verfasser aufmerksam auf das Allmälige in der Divination Jesu , wie es sich erkennen lasse in folgender Reihe von Stellen des Matthäus 16, 21 (Mord überhaupt); 17, 22 (Verrath); 20, 1 8. 1 9 (Verurtheilung, Auslieferung an die Heiden, Misshandlung und Kreuz). x Aber das ist ja gerade so im zweiten Evangelium 8,31 (rjq- gaxo). 9, 31. 10, 33. 34, während hingegen die keine Steigerung mehr bietende Stelle Mt. 26, 2 sowohl bei Marcus, als bei Lucas fehlt. In der That macht Keim selbst bemerklich, wie Mt. 26, 2 nur zu begreifen ist aus dem Motiv der Gliederung, das den ganzen zweiten Haupttheil des Evangeliums beherrscht. Aber um so gewisser verdankt diese Stelle, wie auch 19,1 (wo Matthäus nach einer Einschaltung zum Faden der Geschichte zurückkehrt, vgl. S. 196), nur der Kunstarbeit der matthäi schen Composition ihr Dasein. Was Hilgenfeld in der Beziehung gegen mich vorgebracht hat, 2 erledigt sich theils durch das in den Tafeln §§. 5. 12. 13 zu den betreffenden Stellen Gesagte, theils durch die Wahrnehmung, dass alle seine aufgeführten Beweisstellen auch im Marcus stehen , den er doch für das Fehlen des Schlusses von 1 6, 9 an nicht verantwortlich machen sollte; über Mt. 26, 2 aber vgl. S. 203. Ausserdem findet sich im ersten Evangelium noch eine Reihe von Leidensweissagungen , die den bei Marcus allein gerechten Zusammen hang geradezu durchbrechen, daher auch Keim zu Umstellungen und Versetzungen nöthigen. »Die Stelle Mt. 12, 39 mag geschichtlich erst nach Mt. 1 6, 4 gehören. « In der That gehört sie nicht blos dahin, vgl. Mr. 8, 12, sondern sie fällt geradezu mit 16, 4 zusammen (S. 149); wir haben hier blos eine von den vielen Doubletten, zu welchen die Zwei- heit der Quellen Veranlassung gegeben hat, aus denen vorzüglich unser erstes Evangelium zusammengearbeitet ist (S. . 257). Dass sich das Quellenverhältniss des ersten Evangeliums allein so begreifen lässt , be weisen insonderheit die grossen Reden, deren jede auch Elemente ent hält, die der Christus des zweiten Evangeliums damals entweder noch nicht, oder nicht mehr gesprochen haben kann. Auch dies muss Keim selbst wieder anerkennen, wo er sich »Zweifel erlaubt«3 gegen die Stellung des Worts vom Kreuztragen in der Instructionsrede 10, 38 und gegen die Erwähnung der Parusie 10, 23. Aber beide Stellen sind der QueUe A entnommen , machen also auf Richtigkeit ihrer Stellung 1) S. 13. 30. — 2) Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1862, S. 6 f. 3) S. 30. 492 Fünftes Capitel. im Zusammenhang gar keinen Anspruch, weisen aber, wie fast die ganze zweite Hälfte der Composition Matth. 1 0 , auf die Abschiedsreden Jesu vor. Mit Recht sagt Keim: »Die Wiederkunftsidee hatte in der Aus sendung der Jünger durchaus keinen Sinn, da sie das sichere Wissen Jesu und der Jünger von seinem Scheiden voraussetzt. « Während sie aber demgemäss bei Marcus erst 9, 1 angedeutet erscheint, nachdem die Leidensweissagungen schon angefangen haben, wird sie bei Matthäus nicht blos in der Instructionsrede, sondern eigentlich schon in der Berg predigt (7, 22 und 23) vorausgesetzt, was eine Entwicklung im Sinne Keim's geradezu aufhebt. Wenn so die eigentlichen Leidensweissagungen bei Marcus eine deutlich abgestuftere Leiter bilden , als bei Matthäus , so müssen wir, gestützt auf das zweite Evangelium, andererseits auch wieder behaup ten, dass Manches, was nach Keim's Darstellung als Resultat einer Entwicklung in den, von den Synoptikern geschilderten, letzten Theil des Lebens Jesu hereinfällt, in Wirklichkeit schon im Anfange des synoptischen Lebensbildes zu einem Abschlüsse gelangt war, so dass die Entwicklung für uns, die wir überhaupt nur wenige Lichtpunkte aus Jesu letzter Lebenszeit vor uns haben, unsichtbar sein und bleiben wird. So fällt das »erste dunkle Wort vom scheidenden Bräutigam « der Wirk lichkeit nach (Mr. 2, 20) ziemlich an den Anfang der synoptischen Darstellung, allerdings aber vorbereitet durch das schnelle Offenbar werden des unversöhnlichen Gegensatzes (2, 1 — 17). Was Keim über das , hierbei in Anschlag zu bringende , Vorbildliche des Leidens des Täufers sagt,1 ist richtig; während aber seine beiden Matthäusstellen 4, 12. 17, 12 ihre Parallelen in Mr. 1, 14. 9, 12 und 13 haben, darf die Stelle Mt. 14, 13 als offenbare Zusammenarbeitung von Mr. 6, 29 und 30 (S. 190 f.) gar nicht herbeigezogen werden. Dass Jesus vom Tode des Täufers an unstät wanderte, ist richtig ; aber auch bei Marcus führt er alsbald seine Jünger in die Wüste (6, 31), um sodann im Lande Ge nezareth zu wirken, bald westlich nach Tyrus , bald auch wieder in die Dekapolis und bis gen Cäsarea Philippi zu wandern. Nur einmal , un mittelbar vor der letzten Reise, finden wir ihn wieder in seinem Hause zu Kapernaum (9, 33), ganz wie bei Matthäus 17 , 24. Ganz eigenthümlich erscheint schliesslich auch Marcus, wenn wir den Inhalt seiner Redepartien in's Auge fassen. Bald nachdem sich Jesus vom Mutterboden des Hauses in ausge sprochener Weise losgerissen hat (3, 31 — 35), sehen wir den, anfangs in schäumendem Fall sich ergiessenden, Strom in ruhigeren Wellen da- 1) S. 31. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 493 hin treiben. Ein geordnetes Lehren mit absichtlich gewählter Methode und Form (4, 33) bildet fortan sein eigentliches Tagewerk (10, 1). Die erste Predigt (1, 15), wie sie auch von seinen Jüngern geübt wurde (6, i 2), entsprach noch der des Täufers , ähnlich wie das ganze ursprüngliche Auftreten. Die. erfüllungsschwangere Zeit, wo die Reiche dieser Welt aufgehen sollen im Reiche Gottes, ist da; wie sie mit ihrer Mahnung zu ernster, fester Gründung laste auf Aller Herzen, das will er den Menschen zum Bewusstsein bringen; auf sittlichen Umschwung lautet durchweg sein Beruf (2, 15 — 17). Während daher bei Matthäus schon gleich im ersten Lehrstück das »Ich« des Herrn in seiner ganzen spe cifischen Bedeutung hervortritt (5, 11. 22. 28. 32. 34. 39. 44), so hat bei Marcus die Predigt Jesu in erster Linie nicht sowohl seine Person zum Mittelpunkte, als vielmehr sein Werk, sein Reich, seine Gemein schaft; von den sittlichen Bedingungen des Eintritts in seine Gemeinde wird gehandelt. » Er fing nicht damit an, sich laut als den rechten Kö nig des Gottesreiches zu beschreiben; er begann vielmehr damit, das Reich mit eigener Mühe und Arbeit zu gründen, sich selbst als den er sten vollkommenen Bürger desselben zu bewähren. « • Mehr und mehr aber tritt aus der Fülle der Ueberzeugung von dem Werk, was geschehen muss, auch die Stärke des Selbstbewusstseins des sen hervor, der eben sich, und sich allein, mit diesem Werke betraut weiss und daher auch über alle Furcht vor einem, etwa zu frühen, durch Naturgewalten herbeigeführten Ende erhaben ist (4, 38). Zum ersten mal wird ein solches eigenthümliches Wissen um seine Person ange deutet in der SteUe 2, 1 0 , wo er sich selbst mit dem Ausdrucke » Men schensohn« bezeichnet, welcher dann auch später der gewöhnliche bleibt (2, 28. 8, 31. 38. 9, 9. 12. 31. 10, 33. 45. 13, 26. 14, 21. 41. 62). Dass er dabei an den Messias im Danierschen Sinne dachte, geht aus 13, 26. 14, 62 ebenso sicher hervor, als andererseits schon um der Geschichte 8, 27 — 30 willen angenommen werden muss, dass mit dem Namen »Menschensohn« für das Bewusstsein der Jünger noch keineswegs von Anfang an der Begriff der Messianität gegeben war. Eben weil Jesus zunächst nur für seine Person, nicht für seine An sprüche auf Messianität Glauben suchte, nannte er sich »Menschen söhn« in mehr andeutender Weise. Mit Recht sieht auch Strauss andern eigenthümlichen Gebrauch, den Jesus von dieser Bezeichnung macht, jene, nunmehr veraltete, Vermuthung scheitern, derzufolge man in dem gesammten messianischen Auftreten Jesu eine verunglückte poli tische Unternehmung erkennen wollte.2 Nichtsdestoweniger schloss diese blos andeutende Selbstbezeichnung wenigstens »den stiUen Vorbe- 1) Ewald: Evangelien, S. 270. — 2) Reimarus, S. 199. 494 Fünftes Capitel. halt in sich, die Messiasidee für sich in Anspruch zu nehmen, und so bald sie in ihrer höheren Bedeutung hinlänglich vorbereitet und be gründet war, mit ihr hervorzutreten. « x Dieser Zeitpunkt war gekom men für sein Verhältniss zu den Jüngern 8, 29. Seither fängt er nicht blos an, sich selbst Christus zu nennen (9, 41), sondern auch den damit Hand in Hand gehenden Titel des Sohnes Gottes auf sich anzuwenden und mit dem anderen Ausdruck (Menschensohn) als Dasselbe besagend zusammenzufassen. Uebrigens verstehen unter dem »Sohn Gottes« die Juden nach herkömmlicher Weise den Messias (14, 61), die Heiden einen Heros (15, 39), während Jesus, der sich mit dem Ausdruck »Men schensohn« als »einen der Himmlischen « zuerkennen gibt,2 auch an solche Stellen des alten Testaments zu denken scheint, in welchen En gel, als unmittelbar aus Gott hervorgegangen, » Söhne Gottes « genannt werden (vgl. namentlich 13, 32, auch 8, 38); daher denn der Ursprung des »Einen geliebten Sohnes« (12, 6) aus Gott der Davidischen Her kunft entgegengesetzt wird (12, 35 — 37). Während des Wandels Jesu auf Erden scheint aber den Jüngern der Ausdruck »Sohn Gottes« nicht geläufig geworden zu sein. In unserem Evangelium nennen ihn blos die Dämonischen den »Heiligen Gottes« (1, 24 = Lc. 4, 34 aus Ps. 16, 1 0) und den » Sohn Gottes (des Höchsten),« vergl. 3, 1 1. 5, 7, dagegen die Jünger fortwährend »Meister «(4,38. 9,38. 10,35. 13, 1), seltener »Herr«, welcher letztere Ausdruck zunächst nur Dasselbe bedeuten sollte, wie der erstere (vergl. 11,3 mit 14, 14), doch aber von Jesus selbst in Be ziehung zur messianischen Würde gesetzt wird (12, 35 — 37. 13, 35). Abgeschlossen ist dieses messianische Bewusstsein in den letzten Reden (vergl. die entgegenstehenden Bekenntnisse 13, 6. 21); wie ja dieser gewonnene Ausblick in die Zukunft als schlechthin nothwendige Voraus setzung ein ausgebildetes und vollendetes Bewusstsein davon postulirt, dass die Vergangenheit der Menschheit abgeschlossen , der Mittelpunkt alles Werdens und Geschehens erreicht ist. Daher der plötzliche Um schwung, der dem Urchristenthum seine eschatologische Richtung gab. Aber gerade diese prophetische Rede zeigt, wie der Herr sich auch dessen vollkommen klar bewusst ist, dass seine, von Andern nimmer zu erreichende, Stellung als Repräsentant Gottes in der Welt doch keines wegs sein Wissen und Wollen unmittelbar mit demjenigen Gottes zu sammenfallen lässt. Unser Evangelium allein hat vielmehr, was das Wissen anlangt, einen Unterscheidungspunkt in Bezug auf die ganz nahe gedachte (9, 1.13, 30) Wiederkunft ausgedrückt; und mit Bezug auf die Willensentwicklung hat Marcus ja jenes, schon dem ersten 1) Baur : Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie,'1860, S. 280. — 2) Hitzig: Joh. Marcus, S. 133. Lebensbild Jesu nach der Quelle A. 495 Evangelisten bedenklich erschienene, Wort vom allein Guten unbe denklich beibehalten (10, 18). Auf diese Stelle, nicht aber auf Mt. 19, 17, hätte sich daher auch Keim berufen müssen, wo er von dem inne ren Kampfe spricht, welcher Jesu sittliche Lebensaufgabe bildete, im Hinblick auf welchen er daher den Ehrennamen, der Gute zu sein, von sich ab und auf Gott wies. * Aber schlechterdings unbegreiflich ist es, wie eine neuere Theologie sich aus rein dogmatischen Gründen gegen dieses so offen vorliegende textkritische Resultat geradezu zu verschlies- sen vermochte. 2 Dieses sein Selbstbewusstsein, Menschensohn und Gottessohn in Ei nem zu sein, der Welt zu vermitteln, den eigenen geistigen Gehalt in die Welt überzuleiten, war Sache der Jünger. Nichts ist aber charakteristi scher, als das, aus dieser Aufgabe der Jünger entspringende, Verhältniss, in welches Jesus sich zu ihnen setzte. Es ist dies völlig das Verhältniss der Familiarität. Gemeinsam sind daher die, nicht gerade ärmlich vorzu stellenden (14, 4 — 7), äusseren Glücksgüter.3 Als Hausvater spricht er bei Tische das übliche Dankgebet (8, 6, 14, 23). In diesem Kreise fin det er seine Familie — oder, um das Höhere im höheren Bilde auszu drücken, er weilt darin, wie der Bräutigam unter seinen fröhlichen Gästen (2, 19). Keine Spur daher von förmlicher Einübung und Ein schulung, wie solches von anderen Religionsstiftern erzählt wird. Viel mehr ist sein Einwirken auf die Jünger gerade nach der einen Seite hin ein acht familiäres gewesen , als er in der Regel sie blos zuhören lässt, wenn und was er das Volk lehrte, wie und wo er den Widersachern antwortete. So enthält auch die feierliche Aussendungsrede gar nichts, was über das rein sittliche Maass, wornach jede gewonnene Kraft sich seiner Zeit auch entfalten muss, hinausginge und auf irgend welche Aus- staffirung der Jünger zu Sectenhäuptern und Cliquenmeistern hinwiese. Nur das Vorrecht haben die Jünger vor dem Volke , dass der Herr — im bestimmten Gegensatze zu seiner Behandlungs weise der Masse* — sich darum kümmert, ob seine Rede von ihnen verstanden worden ist, oder nicht (Mr. 4, 24. 25, wornach Matthäus sachlich richtig die Frage 13, 51 bildet; vgl. auch Mr. 7, 14), dass sie ihn darum auch um die Bedeutung dieser -oder jener Rede fragen dürfen (Mr. 4,10. 34). So ist die Pflege, die er diesem geistigen Familienkreise angedeihen lässt, ganz die tragende Langmuth und sanftmüthige Zurechtweisung, die selbst bei peinlich berührendem Begegnen der Jünger doch nur aus den Mitteln der erziehenden Liebe ihre Zuchtmittel wählt (10, 38; vgl. auch 1) S. 44. — 2) Julius Müller: Lehre von der Sünde, I, 1844, S. 110 f. — Vgl. dagegen Weisse: Evangelienfrage, S. 165 ff. — 3) Bau: Unde Jesus Christus alimenta vitae acceperit, 1794. 95. — 4) Vgl. Kanon und Tradition, S. 437 f. 496 Fünftes Capitel. Lc. 9, 54. 10, 41), so dass das wahre Menschengefühl auch durch die Form, in welche die Strafe eingekleidet wird, nur lieblich angesprochen wird (Mr. 9, 36. 37. 10, 13. 14). Nur da bricht der gewohnte Umgangs ton der Freundlichkeit plötzlich scharf ab, wenn der Fehl der Jünger zugleich etwas für ihn persönlich Versuchliches in sich birgt (Mr. 8, 33), so dass die ebenso scharfsichtige, wie nachsichtige Liebe es zu aller erst sich selbst schuldig ist, auch ebenso starkmüthig, wie sanftmüthig zu sein. Halten wir mit diesen zarten und milden Kräften die oben wahr genommenen scharfen und ätzenden zusammen, und erinnern uns zu gleich alles Dessen, was dieser und der vorhergehende §. von charakte ristischen Zügen an den Tag treten Hessen , so gewinnen wir allerdings das Bild einer Klarheit und Harmonie Dessen , was den vollkräftigen Menschen ausmacht, ein stetes Zusammengehen von Verstand, Gefühl, Anschauung, Ahnung, eine gediegene Einfachheit und Einfalt, in der die unerreichbarste Allseitigkeit mit einer so wunderbaren Kraft zusam mengeschlossen wird, wie sie sonst empirisch nicht nachweisbar ist. Dieses Specifische im Charakter Jesu ist es, was der neueren Theologie vorschwebt, wenn sie demselben die individuelle Bestimmtheit ab spricht. Eben damit aber ist der verhängnissvolle Schritt aus dem Ter rain des Historischen, des ad oculos zu Demonstrirenden in das luftige Gebiet dogmatischer Velleitäten vollzogen. Gerade die Quelle A liefert sehr bestimmte Anhaltspunkte für eine temperamentsmässige Färbung des Handelns Jesu, und wenn dieselben mehr auf die früheren Partien des Lebensganges fallen (S. 477), so ist ja auch Dies nur der normale Gang der Entwicklung, dass die, ursprünghch in specifischen Einseitig keiten auftretenden, Seelenkräfte in einem unausgesetzt fortarbeitenden Durchdringungs - und Vermittlungsprocesse unter einander begriffen sind. Ist man einmal mit Recht soweit gegangen, die nationale Be stimmtheit des Charakters Jesu entschieden anzuerkennen,1 hat man die volle geschichtliche Wirklichkeit seiner Persönlichkeit von der Seite festgestellt, so liegt durchaus kein Grund mehr vor, die individuelle Be stimmtheit zu leugnen,2 ja erst mit ihrer Anerkennung werden wir auf dem errungenen Boden uns ganz sicher fühlen , sicher auch gegenüber der, von ernster Seite gewagten, Ausflucht, als ob die Idealität des sitt lichen Charakters Jesu anerkannt werden könnte , ohne dass man dess halb an seine historische Wirklichkeit zu glauben brauche.3 1) Baumgarten (Geschichte Jesu, S. 239 ff.), Schleiermacher (S. 107). — 2) Vgl. meine Bemerkungen gegen Dorner in Schenkel's »Allgemeiner kirchli cher Zeitschrift,« 1862, S. 579 f. — 3) Benan: Etudes d'histoire religieuse, S. 214: »La peinture d'un sublime caractere ne gagne rien ä sa conformite' avec un höros r6el.« Die synoptischen Wunderberichte. 497 §. 30. Die synoptischen Wunderberichte. Barthold Georg Niebuhr hat eine Zeit gehabt, da ihm fest stand »die Unmöglichkeit, kritisch auch nur eine haltbare Geschichte des Lebens Jesu zu entwerfen, « während er sich gleichwohl der Wahr nehmung nicht verschliessen konnte, dass Der, dessen Leben in unse ren Evangehen geschildert werden soll, vollkommen geschichtliche Existenz, dass seine Geschichte Realität haben müsse, auch wenn sie in keinem einzigen Punkte buchstäblich genau erzählt wäre. ' Wie nun seit dem Jahre 1812, wo jene Worte geschrieben wurden, ein halbes Jahrhundert auch über das Gebiet der evangelischen Geschichtsfor schung nicht vergeblich dahingegangen, erweist sich unter Anderem auch daraus, dass jenes erstangeführte Urtheil über die Unmöglichkeit, ein rein historisches Licht auf die Person Jesu fallen zu lassen , heutzu tage nur noch als ein Vorurtheil betrachtet werden kann. Verhält es sich wirklich so, dass über das Maass der Glaubwürdigkeit jedes einzel nen Synoptikers bestimmte, aus seiner Behandlungsweise der Quellen abstrahirte, Normen existiren (§. 27), dass über die Entstehungsverhält nisse der Quellen selbst und ihr Verhältniss zu dem, durch sie reflectir- ten, Object genaue Erkenntnisse zu gewinnen sind (§. 28), und dass das Bild, welches aus ihnen zu construiren ist, in seiner geschichtsmä'ssigen Lebendigkeit und Naturtreue so überraschend hervorragt über jede, aus den drei Sammelwerken kritiklos und auf's Gerathewohl versuchte, Composition (§. 29) : so~ sollten wir denken, alle Prämissen erreicht zu haben , um zu dem Schlüsse gelangen zu dürfen , dass heutzutage die Verzweiflung an der Möglichkeit, ein Leben Jesu kritisch aufzustellen, durch alle Instanzen hindurch als voreilig und ungerechtfertigt verur- theilt werden muss. Wenn dessen ungeachtet auf nicht-theologischer Seite eine so ge ringe Bereitwilligkeit vorhanden ist, die Hebel und Werkzeuge zu handhaben, die in Folge fortgesetzter kritischer Bearbeitung des synop tischen Textes zu gewinnen waren : so gilt diese Scheu, wenn wir nicht irren, in erster Linie einer bestimmten Seite des historischen Objects, welches vermittelst jener Instrumente berührt und betastet werden soll; wir meinen den Charakter des Wunderbaren, bezüglich dessen man an nimmt , dass er keinenfalls von dem Grossen und Ganzen der berichte ten Erzählung abgestreift werden kann. Ob und wieweit man mit dieser Voraussetzung im Recht ist, und welchen Eintrag ein etwa bejahendes Resultat der Geschichtlichkeit des synoptischen Berichtes thut, wäre nun noch schliesslich zu untersuchen. Dabei bemerken wir ausdrück- 1) Lebensnachrichten über B. G. Niebuhr, I, S. 470. Holtzmann. 32 498 Fünftes Capitel. lieh, dass hier eine lediglich historische Aufgabe zu erledigen ist, wir uns desshalb aller Schlüsse enthalten, die man, sei es aus allgemeinen naturhistorischen Gesichtspunkten gegen, sei es vom aUgemein ethi schen oder religiösen Standpunkte aus für die in Rede stehende Sache hier anzubringen gewohnt ist. Indem wir daher von den, in's Maasslose angewachsenen, Acten des entbrannten Streites absehen, können wir als unmittelbare Ergebnisse der bisher gewonnenen Resultate Folgendes geltend machen : 1) Lassen wir die bunte Reihe der synoptischen Wunder rasch vor unserem Auge vorüberziehen, so unterscheiden sich diese Bilder nach ihrem Colorit von selbst in zwei Classen. Jeder fühlt den Contrast zwi schen den Heilungen und Exorcismen , die der umherziehende Prophet nicht ohne eigene Ermüdung in's Werk setzt — eine Aufgabe, die er Abends nur einstellt, um sie Morgens wieder in's Unabsehbare ange wachsen zu finden — und einer Anzahl anderer, dem Gesetze der Schwere weniger unterliegender, ja geradezu entnommener, Erschei nungen, die, wie das Wandeln auf dem Meer oder gar die Verklärung, einen mehr oder weniger ästhetischen Charakter an sich tragen. Es be ruht daher auf einer inneren Differenz der Sache selbst, wenn neuer dings Ewald1 und Weisse2 so bestimmt zwischen den täglich vor kommenden Heilwundern und jenen wenigen Erzählungen unterschie den haben, die der Erstere in halb mythischer Weise, der Andere mehr allegorisch, als verdunkelte Erinnerungen von Parabeln Jesu auffasste. Halten wir uns zunächst an jene erste Classe, so wird sie constituirt durch eine Reihe von Heilungen, welche sich durchweg als Werke der barmherzigen, auf die Erlösung gerichteten, Liebe charakterisiren, mo tivirt durch einen, von Jesu anerkannten, innerlichen Zusammenhang von physischem und sittlichem Elend (Mr. 2, 5 — 11. Lc. 13, 1 — 5), so dass sie schon durch diesen ihren, nirgends verleugneten, sittlichen Charakter einen bestimmten Contrast bilden gegen allen , von der my thenbildenden Phantasie jemals producirten, Theatereffect. Allen synop tischen Berichten und Jesu eigenen Aeusserungen zufolge (Mt. 11, 21 = Lc. 10, 13) muss die Zahl dieser, von ihm selbst (Lc. 13, 32) in die Cla ssen der Heilwunder im Allgemeinen und der, auf besondere psychische Störungen sich beziehenden, Exorcismen eingetheilten , Werke als eine ziemlich grosse angenommen werden. Sie verdienen daher jedenfalls eine sehr aufmerksame Beobachtung, und es lässt sich, wie wir sehen werden, in diesem Betreff wenigstens ein gewisser Grad historischer Evidenz erreichen. 1) Geschichte Christus, S. 196. — 2) Evangelische Geschichte, I, S. .369. Evangelienfrage, S. 249 ff. Die synoptischen Wunderberichte. 499 Schwerer will ein wissenschaftliches Verständniss gelingen hin sichtlich der anderen Gattung. Wenn Jesus sonst' (Mt. 12, 39 = Lc. 1 1, 29) die epideiktischen Wunder verwirft, und die Versuchungssage diese Praxis als auf bestimmtem sittlichem Entschluss beruhend darstellen will, wenn daher die grosse Mehrzahl aller »Zeichen« in Heilungswun dern besteht : so bilden Geschichten , wie vom wunderbaren Fischzuge des Petrus, oder vom Stater im Maul des Fisches, dazu allerdings einen auffallenden Contrast; und wir finden in diesem Umstände einen Grund mehr, bei unserem Urtheil über die sagenhafte Beschaffenheit der beiden angeführten Erzählungen stehen zu bleiben (vgl. S. 195. 2 1 7). Vorsichtiger muss man sein in Bezug auf die andern hierher ge hörigen Fälle. Was zunächst die beiden, von Strauss in das fabelhafte Gebiet der Meerwunder versetzten,1 Erzählungen Mr. 4, 36 — 41. 6, 45 — 53 betrifft, so sind dieselben zwar einerseits durch die Mr. 4, 37. 6, 48 deutlich zu lesende Zweckangabe vor jeder Verwechselung mit blosen Schauwundern hinlänglich geschützt, wie Dies ebenso auf der Hand liegt hinsichtlich der, schon durch die doppelte Form, in der sie in der Erinnerung haften blieb , sehr nach einem geschichtlichen Kern weisenden, Speisungsgeschichte; andererseits aber lassen sich allerdings die eben berührten Erzählungen leichter als sinnige, grossartige Bilder idealer Wahrheiten auffassen, und diese, neuerdings besonders durch Weisse empfohlene,2 ästhetische Betrachtung gipfelt vollends in der Transfiguration. »Wir können nicht mehr sagen, aus welchen niederen Stoffen diese Darstellung sich herangebildet hat;«3 nur das Eine ist unter allen Umständen gewiss, dass sie das Rafael'sche Bild mit dersel ben Nothwendigkeit hervorbringen musste, mit welcher ein acht lyri scher Text seinen Componisten findet, dass also hier ohne Sinn für die Poesie nichts auszurichten ist. Wieder etwas anders steht es mit der Verfluchung des Feigenbaums, die nun einmal schlechtweg nur als sym bolischer Act aufgefasst werden kann, dessen Geschichtlichkeit aber gerade durch die, von Strauss so fein nachgewiesene, Klimax von Gnome, Parabel und Handlung4 an Wahrscheinlichkeit eher zu gewin nen scheint; eben weil der verdorrende Baum ein geläufiges Bild der symbolischen Redeweise Jesu bildete, lag es nahe, auch zu irgend einer symbolischen Handlung fortzuschreiten. B Auf alle Fälle aber wird der Historiker auf diesem ganzen Gebiete ein schhessiiches Haud liquet nur mit Zuhülfenahme von dogmatischen Entscheidungsmomenten umgehen 1) Leben Jesu, II, S. 162 ff. — 2) Evangelienfrage, S.33ff. 250ff. — 3) Ewald: Evangelien, S. 271. — 4) Leben Jesu, II, S. 235 f. — 5) Derselbe Fortschritt vom symbolischen Wort zum symbolischen Act liegt zwischen Joh. 6 und der Abendmahls institution. 32* •500 Fünftes Capitel. können ; d. h. es wird sich fragen, ob für ihn der Thatbestand jenes Charakterbildes mit in die Wagschale fällt, »welches in seiner lebendi gen Wahrheit nur durch eine, von einem Princip religiösen Glau bens schon ergriffene und beflügelte, Anschauungsweise erfasst werden kann,«1 oder ob er lediglich mit denjenigen Kennzeichen historischer Glaubwürdigkeit rechnet, welche nach Abzug jenes Thatbestandes übrig bleiben. Oder sollte vielleicht von einer andern Seite her die Untersuchung wieder auf rein historischen Boden zu bringen sein ? So fern nämlich unsere ganze zweite Reihe von Wundern auf der Voraus setzung einer übermenschlichen Energie, womit Jesus auch auf die äussere Natur wirkte, beruht, scheint sie ihren wahren Abschluss und Gipfelpunkt in der Auferstehung zu finden; und es würde sich schliess lich die ganze Untersuchung zusammendrängen in die Frage, welche Stellung eine unbefangene, quellenmässige Geschichtsforschung zu die sem hervorragendsten Factum einzunehmen habe. Hiermit sind wir aber auf ein Gebiet getreten , auf welchem wir uns mit den Mitteln, die aus der Betrachtung der drei ersten Evangelien sich darbieten, in keiner Weise hinlänglich zu orientiren vermögen.2 Es kann nämlich einer unbefangenen Betrachtungsweise nicht ent gehen, dass die drei Auferstehungsberichte unserer synoptischen Evan gelien in ähnlicher Weise differiren , wie die beiden Geburtsgeschichten des Matthäus und Lucas. Nicht blos, dass Matthäus nur Erscheinungen in Galiläa, Lucas blos solche in Judäa kennt, und dass der einzige Ab schnitt, in dem alle drei noch zusammengehen Mr. 16, 1 — 8. Mt. 28, 1. 5—8. Lc. 24, 1. 2. 9. 10 (von den Frauen am Grab) doch alsbald in völlig unverkennbarer Weise dreifach divergirt : sondern auch Das muss hervorgehoben werden, dass Matthäus das Seine dazu thut, um das subjec tive Moment der Befestigung des Glaubens der Jünger möglichst zu zurücktreten zu lassen hinter dem Objectiven und Thatsächlichen. Das Erdbeben, die Herabkunft des Engels, die Wegwälzung des Grabsteins durch denselben geschieht sowohl vor den Augen der Wache (4 änö öi xov cpoßov iosiadrjaav ol xrjqovvxsg), wie der herbeikommenden Frauen (I rjXdev dewqfjaat xöv xäcpov. 5 änoxqidelg öi b ayysXog sinsv zalg yv- vatgiv); die Thatsache, dass nicht etwa die Jünger Jesu Leichnam ent wendet (13), sondern das Grab durch ein Wunder geöffnet worden ist, soll auf diese Weise als möglichst constatirt für die Soldaten nicht blos, sondern auch für die, von ihnen alsbald benachrichtigte (11), Hierar chie dargestellt werden. — Im erkennbaren Gegensatze zu dieser Dar stellung ist bei Lucas das subjective Moment die Hauptsache. Ueberall 1) Weisse: Evangelienfrage, S. 198. — 2) Gegen Güder: Die Thatsächlich- fceit der Auferstehung Christi, 1862, S. 10. Die synoptischen Wunderberichte. 50'| wird die Unfähigkeit der Frauen und der Jünger betont, sich von der Auferstehung eine bestimmte Vorstellung zu machen (11. 23), wodurch dann die handgreiflichsten Beweise erforderlich gemacht sind. ] Tritt so, was Matthäus und Marcus betrifft, zu der Verschieden heit des geographischen Bodens auch eine Verschiedenheit der Gesichts punkte, unter welche die Erscheinungen des Auferstandenen gestellt werden , so fördert uns auch das zweite Evangelium in dieser Sache keinen Schritt weiter, da es eben dort abreisst, wo eine Erscheinung des Auferstandenen hätte berichtet werden müssen, und da der ur sprüngliche Schluss von A nicht mehr mit Sicherheit von dem des Mat thäus unterschieden werden kann (S. 99). Es ist mithin indicirt, den synoptischen Berichten vom Schlüsse der evangelischen Geschichte den selben Grad von historischer Undurchsichtigkeit zu vindiciren, wie den beiden synoptischen Geburtsgeschichten. Mithin müssen alle ferneren Erörterungen über die Auferstehung ihren Ausgangspunkt nehmen ent weder von einer, auf sichern Grundlagen erbauten, Kritik der johan neischen Geschichtserzählung, oder aber, so lang es eine solche noch nicht gibt, von der Prüfung des paulinischen Zeugnisses 1. Kor. 15,1 — ll.2 Nur auf diesem Wege kann der Historiker eine Entscheidung darüber gewinnen, ob die — so oder anders zu bestimmende — Realität einer Auferstehung als ausreichender Impuls der betreffenden weltge schichtlichen Entwicklung mit Nothwendigkeit anzunehmen ist, oder man sich aber bei einer Erklärung beruhigen kann, wie sie Baur an die Spitze seiner Geschichtswerke gestellt hat: »Was die Auferstehung an sich ist, liegt ausserhalb des Bereiches der geschichtlichen Untersu chung. Die geschichtliche Betrachtung hat sich nur daran zu halten, dass für den Glauben der Jünger die Auferstehung Jesu zur festesten und unumstösslichsten Gewissheit geworden ist. « 3 » Was für die Ge schichte die nothwendige Voraussetzung für alles Folgende ist, ist nicht sowohl das Factische der Auferstehung Jesu selbst, als vielmehr der Glaube an dieselbe. « 4 Bei Entscheidung dieser Frage bricht nun aber die Beweiskraft der synoptischen Evangelien , die wir hier absichtlich völlig isolirt auffassen, schlechterdings ab. Wir wenden uns desshalb zu der anderen Classe von synoptischen Wunderberichten, ob sich hin sichtlich ihrer ein bestimmteres Resultat aufstellen lasse. 2) Schon Wilke hat mit Recht bemerkt, dass, wofern in unseren Evangelien Entartungen der Sage vorauszusetzen wären, die gemein same Grundschrift als ein Ausscheidbares gar nicht nachgewiesen wer- 1) Köstlin, S. 211 ff. — 2) Vgl. hierüber meine Ansicht in Schenkels »All gemeiner kirchlicher Zeitschrift,« 1862, S. 203 ff. — 3) Christenthum der drei ersten Jahrhunderte, 1860, S. 39. — 4) A. a.' O. S. 40. 502 Fünftes Capitel. den könnte.1 Zwar ist richtig, dass auch die Wunderberichte aus A hier und da modificirt erscheinen bei unseren Synoptikern. Namentlich ist es Lucas, der durch freie und ungefähre Darstellung das Wunderbare an einzelnen Thatsachen öfters zu steigern weiss (vgl. in §. 13, Nr. 7. 9. 12. 14. 32. 33. 34. 39. 40. 131), aber in diesen Fällen sind doch die, von ihm alterirten, Grundfacta nicht von der Art, dass sie dem natür lichen Hergang um einen entscheidenden Schritt näher gerückt erschie nen. Nur darin besteht der Unterschied, dass die Wunder bei Marcus als individuelle Lebenserscheinungen einer an sich singulären Kraft auftreten , daher auch von der historischen Forschung nicht nach einem zu allgemeinen Maassstabe beurtheilt werden dürfen, während man sich in Bezug auf Lucas — besonders in den von ihm selbstständig berich teten Erzählungen §. 13, Nr. 1. 16. 26. 67. 122. 133. 135— vieleherauf die Beihülfe einer , mit orientalischem Mythenstoff gesättigten , Phan tasie berufen darf. Aehnliche Bemerkungen lassen sich aber auch im Matthäus machen, wenn man Amplificationen von A, wie §. 12, Nr. 20. 23. 24. 27. 46. 50. 55. 74. 89. 100. 101 oder selbstständige Zusätze, wie §. 12, Nr. 2. 28. 58. 103. 106 in's Auge fasst. -Auf die angegebe nen Fälle beschränkt sich aber die ganze Abwandlung, welche der synoptische Geschichtsinhalt in den 10 bis 20 Jahren erfahren hat, die zwischen A und Lucas in der Mitte Hegen. Wollte man diese geringe Abbiegung etwa als das deutlich zu erkennende Fragment eines my- thenbüdenden Processes benutzen , dessen Linie man nur nach den ge gebenen Anhaltspunkten weiter zurückführen dürfe, um auf den histo rischen Kern der Sache zu stossen : so würde eine gesunde Wahrschein lichkeitsrechnung diesen Kern, falls derselbe nämlich alles Dessen, was den Charakter des Wunderbaren constituirt, völlig entblösst sein sollte, sicherlich um ein Gutes weiter rückwärts in die Vergangenheit verlegen müssen, als Dies in der That angeht. Von der festen Thatsache aus, dass alle unsere Evangelien um das Jahr 70 geschrieben sind, dass A und A schon circa zehn Jahre früher vorhanden gewesen sein [müssen (S. 412), lässt sich vielmehr mit aller Bestimmtheit behaupten, dass die historische Entfernung zwischen Factum und Bericht eine zu geringe ist, um einen Reflex von so tausendfach individuell gefärbtem Lichte hervorzubringen. So sieht sich selbst die Tübinger Kritik, indem sie ihre älte sten Quellen bis auf die fünfziger Jahre und auf Augenzeugen zurück führt, auf einen Punkt gedrängt, wo ihr keine Wahl bleibt, als ent weder mit Stülschweigen über die sich mächtig aufdrängende Frage nach der Objectivität der Wunderberichte hinwegzugehen, oder das et- 1) Urevangelist, ST 155. Die synoptischen Wunderberichte. 503 was verschämte Bekenntniss durchschimmern zu lassen, Wunder seien eben überhaupt nicht so absolut zu leugnen, dass in Folge dieser Negation das durchgehend wunderbare Gepräge selbst der ältesten und glaubhaf testen Quellen historisch unbegreiflich würde. Baur überbietet sich in Versicherungen für die Glaubwürdigkeit des ersten Evangeliums, dessen Kern ja unmittelbar apostolischer Herkunft sein soll, und sieht. sich in der Lage, als Advocat der Geschichtlichkeit gegen Strauss auftreten und den Frieden wo möglich mit einigen Concessionen erkau fen zu müssen. Zwar »dass die evangelische Geschichte auch mythi sche Elemente enthält, kann, wenn nicht alle Grundsätze der historisch kritischen Forschung bei unseren Evangelien aufgegeben werden sollen, nicht geleugnet werden, a1 »Alle Zugeständnisse aber, welche man der mythischen Ansicht machen muss, sowie alles Dasjenige, was auf die Rechnung des dem Evangelisten eigenen Pragmatismus kommen mag, alles Dies kann den substantiellen geschichtlichen Grundcharakter des Evangeliums auf keine Weise in Frage stellen;«2 und so bescheidet er sich dann mit der Erklärung, es sei nicht glaubhaft, dass die, im Mat thäus erzählten, Wunder Jesu »alle schlechthin so geschehen sind, wie sie hier erzählt werden.«3 Hilgenfeld vollends führt die Mt. 3, 13—4, 11. 8, 1—4. 14—9, 34. 15, 21—39. 17, 1—27. 20, 29—34. 21, 17 — 22. 18, 1—10. 16—20 erzählten Wunder, sammt den bezeichnenden Erklärungen der Pharisäer 9, 32 — 34. 12, 24 und Jesu selbst 10, 1. 11, 5 unmittelbar auf den Apostel Matthäus zurück,4 indem er etwaige Bedenken wegen des wunderbaren Charakters jener Berichte niederschlägt mit den beiden splitternackt dastehenden Phra sen : » Dass ein Augenzeuge die Geschichte Jesu ohne Wunder erzählt hätte, wäre bei der Ausdehnung des Wunderglaubens in jener Zeit weit wunderbarer, als die Wunder selbst. Wie kann man also von dem Apo stel Matthäus eine Vermeidung alles Wunderbaren nur erwarten, zu mal wo er selbst nicht zugegen war, wie bei der Taufe und Versu chung?«5 — Aber Taufe und Versuchung machen ja auch uns in Beziehung auf den wunderbaren Charakter wenig zu schaffen, da die Letztere auf einem Mythus, die Erstere auf Objectivirung einer Vision beruht. Wohl aber fragen wir, ob jener Mantel der Liebe, den Hil genfeld über die historischen Schwächen seines apostolischen Ge währsmannes ausbreitet, weit genug ist, um solche Berichte zu decken, wie die Heilung des Aussätzigen, des Gichtbrüchigen, der Schwieger mutter des Petrus, der Blutflüssigen, der Kananäerin, des Mondsüchti gen, der Blinden, Geschichten ferner , wie die von den Gadarenischen 1) Evangelien, S. 603. — 2) A. a. O. S. 604. — 3) A. a. O. S. 603. — 4) Evan gelien, S. 106 ff. 115. — 5) Evangelien, S. 115. 504 Fünftes Capitel. Besessenen, von der Tochter des Jairus, von der Verfluchung des Fei genbaums, gar nicht zu reden von der Stillung des Sturms, von der Speisung der Viertausend, von der Verklärung, von der Auferstehung. Hat dies Alles — wie Hilgenfeld annimmt, nicht wir — ein un mittelbarer Augenzeuge mitgetheilt, so haben wir ein Recht, von der Kritik, die uns Solches glauben machen und dabei selbstverständlich hoch über der Paulus'schen Wundererklärung stehen will, zu verlan gen, dass sie offen ausspreche: entweder dass jener Matthäus nicht blos Augenzeuge, sondern auch mente captus gewesen ist, oder aber, dass die Rechtfertigung seines unerhört seltsamen Protocolls nur in dem ganz eigenthümlichen Charakter des Factums selbst gesucht werden kann, auf welches es sich bezieht. — Aber auch nach unseren Voraussetzun gen rührt von dem Augenzeugen Matthäus zwar nicht das erste Evange lium, wohl aber die Quelle A her. Diese berichtet nun zwar blos Reden Jesu, aber gerade auch solche, welche entweder durch geschehene Wun derthaten veranlasst waren, wie Lc. 10, 13 — 15 = Mt. 11, 21 — 24. Lc. 10, 17. Lc. 11, 14—16. = Mt. 12, 22—24. 38, oder welche eine — auch auf Andere übertragbare — Wunderkraft dem Redner in der prononcirtesten Weise zuerkennen Lc. 7, 22 =Mt. 11, 5. Lc. 10, 9 = Mt. 10, 8. Lc. 10, 19. — Die andere Quelle aber steht nicht blos, der Zeit und dem Orte ihrer Entstehung zufolge, dem Factum selbst so nahe, sondern sie ist auch insonderheit durch ihre Beziehungen zu einem an dern Apostel, dem Petrus, so sehr gesichert, dass — so viel vermöge des S. 44 5 ff. an die Hand gegebenen Maassstabes auch von ihren Wunder berichten in Abzug gebracht werden mag — doch immer noch ein be deutender, unauflöslicher Rest zurückbleibt von einer so materiellen Dichtigkeit und Härte, dass, falls er doch schliesslich nur einen Nieder schlag von Mythendunst darstellen sollte, für diesen Process vielleicht ebensoviel Jahrzehnte aufzubieten wären, als Jahre zwischen der Abfas sung von A und dem Factum selbst verflossen sind. Dass dem Livius die alte Geschichte Roms in einer grossartigen Reihe mythischer Bilder erschien, ist bei der entsprechenden Entfernung ebenso sachgemäss , als es einfach unhistorisch und willkürlich ist, dasselbe Verhältniss hier stattfinden zu lassen, wo wir es mit einem anno 30 aufgeflammten und anno 60 in der Literatur reflectirten Lichte zu thun haben. 3) Hat sich uns §. 29 der synoptische Geschichtspragmatismus im Grossen und Ganzen als ein Erweis für die Realität der evangelischen Geschichte dargestellt, so ist nun weiter zu erwägen , ob die Wunderer zählungen als ein integrirendes Mittelglied desselben zu betrachten sind. Als anerkannt gilt in dieser Beziehung zunächst das ganz Allge meine, dass von jedem hervorragenden Propheten, vor Allem vom Mes sias selbst, Wunder erwartet, daher also auch von Jesu geradezu ver- Die synoptischen Wunderberichte. 505 langt wurden, AMr. 8, 11. AMt. 12, 38 = Lc. 11, 16. Aber die citirten Stellen selbst, wie auch die Tradition Lc. 23, 8. 9, scheinen auch das Andere zu beweisen, dass er auf solche Forderungen ableh nend zu antworten pflegte. x Indessen zeigt schon die Versuchungsge schichte, dass die erste christliche Gemeinde die Wunderthätigkeit Jesu als den geraden Gegensatz zu aller poetischen Ostentation auffasste, wie auch Lucas jedes einzelne Wunder weniger als That Jesu, denn als unmittelbares Eingreifen Gottes selbst betrachtet 9, 43. 18, 43. Inson derheit aber lohnt es sich, auch in dieser Beziehung die Darstellung der Quelle A in ihren charakteristischen Zügen in's Auge zu fassen und aus den, in's Allgemeinere malenden , Berichten der Bearbeiter heraus zuheben. Neuerdings hat man mit Recht darauf hingewiesen, wie gerade bei Marcus recht eigentlich zu Hause ist die Zusammengehörigkeit von Lehre und Wunder,2 vgl. 1, 38. 39. 3, 14. 15. 6, 2. 7. 12. 13 (16, 20). Dabei erscheint aber das Lehren und Predigen doch unverkennbar als das Primäre, wie denn gerade in A gewisse allgemeine Bemerkungen dazu dienen, den hohen Werth des prophetischen Amtes zu betonen, vgl. 1, 14. 15 (unvollständig Lc. 4,15. Mt. 4, 17). 21. 22 (= Lc. 4, 31. 32. Mt. 7, 28. 29). 2, 2 (= Lc. 5, 17). 13. 4, 1 (= Lc. 5, 3). 6, 2 (= Mt. 13, 54 = Lc. 4, 22). 6. 34 (= Lc. 9, 11). 10, 1. So wird Mr. 1, 22 auch früher von der Lehre, als von den Wundern Jesu geredet und das erregte Aufsehen in erster Linie auf das Wort zurück geführt;3 ja dieses erste Wunder (A Nr. 7) wird durchaus so erzählt, dass Jesus seiner Wunderkraft mehr nur gelegentlich inne wird. Der Besessene schreit ihn so lange an, bis Jesus, gehoben vom Bewusstsein geistiger Ueberlegenheit, ihn gebieterisch verstummen heisst. Der au genblickliche Erfolg erst bringt dann die Leute dazu, Abends ihm ihre Kranken zu bringen, und verleiht ihm die Sicherheit des weiteren Vor gehens. Gelegentlich dieses ersten, an einem Dämonischen vollbrach ten, Wunders ist nicht ausser Acht zu lassen, wie überhaupt die ausge bildete Vorstellung von den Dämonischen ausschliessliches Eigenthum von A ist.4 Solcher Vorgänge bemächtigte sich Gedächtniss sowohl, wie Phantasie des Volkes Zuallererst. Ganz ohne Parallelen sind die Stel len Mr. 1, 39. 3, 15. 6, 13. Dagegen theilt A die Hervorhebung die ser Heilungsarten , die als Höhepunkte von Jesu Wundern erscheinen, 1, 23 mit Lc. 4, 3'3, ferner 1, 32. 34 mit Mt. 8,16, ferner 3, 11 mit Lc. 6, 18, ferner 6, 7 mit Mt. 10, 1 = Lc. 9, 1, doch so, dass die Sei- 1) Strauss: Leben Jesu, II, S. 3 f. — 2) Hilgenfeld: Evangelien, S. 127. — 3) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 375. — 1) Vgl. jedoch Weiss, S. 651. 653. 506 Fünftes Capitel. tenrefenten andere Krankheiten daneben nennen, ferner 7, 29 mit Mt. 15, 22. Dazu kommen die zwei grossen Dämonenheilungen, die allen drei Evangelisten gemeinsam, bei Marcus aber am eigenthümlich- sten und anschaulichsten erzählt sind : Mr. 5 , 1 — 20 = Mt. 8 , 28 — 34 = Lc. 8, 26 — 39 und Mr. 9, 14—29 = Mt. 17, 14-21 = Lc. 9, 37—42. Von Wundererzählungen, die ausserhalb A verzeichnet waren, könnte höchstens Lc. 13, 10 — 17 sich anzureihen scheinen, aber welch ein ganz anderes nvsvfia ist das nvsvfia äadsvsiag Lc. 1 3, 1 1, als die schreienden und gewaltthätigen Dämonen in A, und welch andere Satanologie liegt Lc. 13, 16 zu Grunde! Sonst kann man noch auf Lc. 10, 17 — 20 ver weisen, wo die Jünger sich ihrer Macht über die Dämonen rühmen; aber Christus sieht eben darin nichts Rühmenswerthes und warnt vor der Ueberschätzung solcher Wunder. Man mag nun aber über das, den Dämonenheilungen zu Grunde liegende, Thatsächliche denken, wie man will : der Umstand, dass gerade nur bei Marcus gleich die erste Heilung Jesu, die von Matthäus ausgelassen, von Lucas umgesteUt wird, eine Dämonenheilung ist, beweist schon den Werth, den er auf derartige Heilungen legt. Der weitere Umstand, dass Matthäus und Lucas solche Berichte nur hier und da aufnehmen, stets aber in, mit Marcus parallelen, Abschnitten, beweist ferner, dass sie, bei denen diese Eigenthümlichkeit nur sporadisch vorkommt, die abhängigen, und dass Marcus, bei dem sie constant ist, der ursprünglichere Bericht ist, wie denn er auch den merkwürdigen Umstand hervorhebt, wornach Jesus von Seite der Dämonischen zuerst in seiner messianischen Würde er kannt wurde (S.'432). Dieses Bekenntniss der Dämonen hat Mr. 1, 24. 34. 5, 7. 8. 9, 20, und im ersten Capitel theilt es noch Lucas, im fünf ten Lucas und Matthäus mit ihm. Ueberhaupt ist in A die Form dieser Schilderungen eine ganz stereotype. Wenn die Dämonen ausfahren, schreien die Kranken und fallen in Krämpfe (1, 23. 26. 9, 26); das di recte Beschwörungswort Jesu steht nur 1, 25. 5, 8. 9, 25; den Eindruck endlich, welchen diese Wunder machen, hat ebenfalls Marcus in einer gewissen stereotypen Form, vgl. 1, 27. 2, 12 (= Lc. 5, 26). 4, 41 (= Mt. 8, 27. Lc. 8, 25). 5, 20. 42 (= Lc. 8, 56). 6, 51 (= Mt. 14, 33). 7, 37 (= Mt. 15, 31). Dabei steht Jesus mit den damaligen Exor- cisten (vgl. Mr. 9, 38 = Lc. 9, 49. Mt. 12, 27. Act. 19, 13) insofern auf einer Linie , als er , die Realität eines transcendenten Grundes des Uebels anerkennend, theoretische Unterweisungen und praktische Auf träge hinsichtlich der Dämonenaustreibung gibt; andererseits aber unter scheidet ihn von der Praxis jener Menschenclasse die stillschweigende Verwerfung der herkömmlichen Zaubermittel (vgl. Act. 19,1 9), so dass die Art und Weise, wie in solchen Fällen Jesus gegen die Wahnsinni gen verfährt, niemals den Eindruck eines magischen Wirkens, sondern Die synoptischen Wunderberichte. 507 vielmehr auf's Allerbestimmteste den gegentheiligen eines öfters gewalt sam werdenden, geistigen Kampfes macht, dessen historische Realität wir darum noch lange nicht verwerfen dürfen, weil wir uns keine em pirische Vorstellung von seinem inneren Hergang bilden können. Wird es somit, ohne dass illegitime Mittel angewandt werden, einer hi storischen Auffassung niemals gelingen, sich gewisser irrationaler Thatsa chen im Leben Jesu zu entledigen, so liegt es doch andererseits in der Aufgabe der historischen Kritik, diese Thatsachen unter allen denjeni gen näheren Bestimmungen zu constatiren, die vielleicht geeignet sind, für weitere Forschungen richtige Fingerzeige abzugeben. Hier muss nun vor Allem notirt werden die Art und Weise, wie nach A die Wun der Jesu öfters unter gewissen Vermittlungen vollbracht werden, sei es, dass sie von den Jüngern (6, 13), oder vom Herrn selbst (7, 33. S, 23. 25) ausgehen. Dass die Dämonen nur dem Fasten weichen (Mr. 9, 29 = Mt. 17, 21), dass Kranke durch blose Berührung der Hand (5, 23. 7, 32. 8, 22), ja des Gewandes Jesu geheut werden (Mr. 3, 10. 11 = Lc. 6, 19. Mr. 6, 56 = Mt. 14, 36), dass Jesus selbst den Kraft- ausfluss auf sinnlich empfindliche Weise bemerkt (Mr. 5, 27 — 29 = Mt. 9, 20—22 = Lc. 8, 44 — 47), dass eine solche Kraft auch auf An dere übertragen (Mr. 3, 15. 6, 7 = Mt. 10, 1 = Lc. 9, l),1 ja von Un berufenen als Raub an sich gerissen werden kann (Mr. 9, 38 = Lc. 9, 49), dass endlich der Wunderact selbst als ein, stufenweise sich voll ziehender, organischer Process , dargestellt wird (Mr. 8, 22 — 26), wo durch er aber den Charakter augenblicklicher Einwirkung nicht ver liert (anhaltende Behandlungsweise kommt nicht vor; vgl. im Gegen theil Mr. 5, IS. 19): alle diese Züge, welche die Wundergabe gleichsam als angeborenes Talent, als eine specifisch bestimmte Ausrüstung erscheinen lassen, sind zwar öfters schon als Sonderbarkeiten des Epitomators, und damit zugleich als Merkzeichen späterer Auffassung geltend ge macht worden; in der That aber sind sie Eigenthümlichkeiten nicht des Marcus, sondern der Quelle A, legen daher in ihrem Zusammensein ebenso sehr ein Zeugniss für die Realität dieser ersten Urkunde ab, wie sie andererseits, eben um dieses ihres Ursprungs willen, für concretere, anschaulichere und sachgemässere, von den späteren Evangelisten, wo sie selbstständig erzählen, öfters verallgemeinerte, Darstellungsformen gelten müssen. Wir mögen die Reihe der Heilwunder in A verfolgen so weit wir wollen, immer laufen die Hebel, womit Einwirkungen auf die Naturseite der Menschen hervorgebracht werden, in erkennbarer, 1) Ewald (Evangelien, S. 247) weist daraufhin, dass in dem Ausdruck V$ovota tcov nvivfidrcov jedenfalls auch »gewisse Handthierungen , die nur nicht leicht be sehrieben werden können,« angedeutet seien. 508 Fünftes Capitel. ja absichtlich angedeuteter Weise zurück auf dieses unvergleichlich mächtige Selbstbewusstsein Jesu, auf die eigenthümliche Energie seines Geistes. Anders bei Matthäus und Lucas, wo von Anfang an Engel und Himmelsboten auftreten, und wohl auch Wunder geschehen, die mit der Person Jesu in nur historischem Zusammenhange stehen. Diesen Ein druck helfen noch höchst charakteristische Notizen der Quelle A ver mehren , wornach Jesus , um die organische und psychische Hemmung zu besiegen, sich concentrirt in sich selbst, zugleich aber zum Ursprung aller Kraft aufblickt (Mr. 7, 34) und betet (Mr. 6, 41. 8, 7), ja wor nach die, im Wunderzeichen sich manifestirende, Uebermacht des Geistes bald auf einen nur allmälig und schwer (Mr. 9, 14 — 29), bald auf einen gar nicht zu überwindenden Widerstand stösst; vgl. Mr. 1, 34: noX Xovg} In einem der letztangedeuteten Fälle geräth Jesus selbst einmal in Erstaunen darüber Mr. 6, 5. 6, wie er überhaupt seiner Wunder kraft nicht als einer auf jede Sollicitation unfehlbar reagirenden be wusst ist, sondern das jedesmalige Eintreten des Erfolgs auf Gott zu rückführt Mr. 5, 19 = Lc. 8, 39. Dass übrigens schon Matthäus einen derartigen Gedanken aus A herausgelesen hat, wornach der Herr nicht blos durch Lehre und Predigt, sondern noch mehr durch Helfen und Heilen körperlich angestrengt und erschöpft wurde , hat er in dem, öf ters missverstandenen und daher als unpassend beanstandeten, Citat 8, 17 hinlänglich angedeutet. Daher denn auch jenes tiefempfundene Be dürfniss nach Ruhe, worauf A so unmissverständlich hinweist (S. 478). Endlich aber dient die zuletzt aus Marcus angezogene Stelle und die, von allen Synoptikern bezeugte, Thatsache, dass der Glaube der Hülfe Suchenden (doch nicht immer des Kranken selbst, vgl. namentlich Mr. 2, 5) den unentbehrlichen Anhaltspunkt für Jesu Heilungen ge bildet habe, auch ihrerseits dazu, die psychologische Vermittlung des Problems wenigstens ein Paar Schritte weit zu führen ; wobei u. A. zu beachten ist, dass in denjenigen beiden Fällen, wo Grösse, Zähigkeit und Demuth des Glaubens ganz besonders hervortreten, auch die Heil kraft eine ungewöhnliche Tragweite gewinnt (Mt. 8, 5 — 13 = Lc. 7, 1—10. Mr. 7, 24—30). 4) Fast die gesammte, an die Tübinger Kritik sich anschliessende, Theologie hat neuerdings anerkannt, dass auch die rastlose Energie des paulinischen Geistes nicht ausreicht, die Entstehung des Christenthums zu erklären, wenn nicht hinter ihm, und ihn selbst bewegend, eine Per sönlichkeit von übermächtiger, Alles überwältigender Kraft stand, die Persönlichkeit Jesu selbst. »Dass sein Leben einen tiefen Eindruck auf das Gemüth des jüdischen Volkes gemacht hatte, beweist die Stärke J) Meyer: Zu Marcus und Lucas, S. 21 : »Also nicht alle.« Die synoptischen Wunderberichte. 509 der Leidenschaften, welche er für sich wie gegen sich entzündete, die Katastrophe, in welcher er dem Hasse seiner Gegner erlag, der Glaube, dessen Zuversicht seinen Kreuzestod überdauerte. « x Nun lässt uns aber schon der Anfang unserer Hauptquelle (Mr. 1, 45. 2, 2) darüber nicht im Zweifel, dass eben die stetig und andauernd geübte Wunderkraft es war, durch welche das Volk sich fortdauernd angezogen fühlte, wie das selbe denn auch die Wunder Jesu als seine messianische Legitimation betrachtete (A Mt. 9, 33), was Jesus nicht blos nicht zurückweist, son dern ausdrücklich bestätigt (A Mr. 2, 10). Ueberhaupt ist der religiös sittliche Charakter Jesu bei der ganzen Sache auf das Stärkste be theiligt. »Dieselbe Alternative wird es immer sein, bei welcher derVer- dacht gegen seine sittliche Reinheit und Vollkommenheit anlangen muss: dass er, wenn Sünder trotz seiner Selbstaussagen von sich, nicht etwa doch noch ein ausgezeichnet Frommer und Reiner heissen kann, sondern nur das Dilemma bleibt, das den Pharisäern vorlag, da sie am Rande der Sünde wider den heiligen Geist angelangt waren: Einzig und wunderbar übermenschlich entweder im Bösen , oder im Guten. « 2 Aber eben diese, für den sittlichen Charakter Jesu so bezeichnende und von beiden Quellen beglaubigte Erzählung von den Pharisäern, die sich genöthigt sehen, dämonische Kräfte in Jesu vorauszusetzen, eben jene höchst charakteristische Apologie , die Jesus in A sowohl, als in A ge gen eine derartige Zumuthung richtet, musste ja völlig in der Luft schweben, wenn die Voraussetzung, darauf Alles basirt, das factische Vorkommen wunderbarer Heilungen, nicht zugegeben werden dürfte. Wir wussten in der That nicht, was historisches Gepräge ist, was sagen haftes, wenn eine Argumentation, wie A Mr. 3, 24 — 29 (vgl. jedoch S. 79) in der mythenschwangern Luft der späteren apostolischen Zeit aus Nichts entstanden sein sollte. Auch Strauss erkennt daher die Geschichtlichkeit jener Beschuldigung sowohl, als der Verantwortung Jesu im Wesentlichen an, ohne sich über die Folgerungen , die hieraus gegen seine Voraussetzungen erwachsen, weiter zu äussern.3 Aehnliche Verhältnisse kehren aber auf Schritt und Tritt wieder. Falls die Wun dererzählungen als selbstverständlich mythischer Natur aus dem, für die Geschichte verwendbaren, Erzählungsstoffe gestrichen werden dürfen, werden auch gleichzeitig die meisten Farben ausgewischt, mittelst deren jenes so individuelle und lebenskräftige Bild der Persönlichkeit und des prophetischen Wirkens Jesu gezeichnet werden konnte. Die Wundererzählungen bilden nämlich so sehr die Substanz des synoptischen Berichtes, dass, sobald man sie herausbricht, die ganze 1) Holsten: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1861, S. 265. — 2) Dor ner: Ueber Jesu sündlose Vollkommenheit, 1862, S. 4 f. — 3) Leben Jesu, I, S. 712. 510 Fünftes Capitel. Mosaikarbeit jeden erkennbaren Plan, alle verständliche Zeichnung ver liert. Besonders Ewald1 und Weisse2 haben das Verdienst, auf die sen Charakter der Wunder als täglicher Werke (vgl. Lc. 13, 32), auf die Stetigkeit, die Christus in Ausübung dieser Tagesarbeit beweist und auf die sachliche Nothwendigkeit gerade eines derartigen Tagewerkes für einen Messias aufmerksam gemacht zu haben. Es ist sein Tagesbe ruf, in dessen Ausübung der Herr gezeichnet wird in den synoptischen Evangelien, und nur in dieser Verbindung treten uns auch jene eigen thümlichen Charakterzüge seiner Persönlichkeit aus unsern Schriften entgegen. Wenn es keine Täuschung war, die uns aus dem gegebenen Material ein un erfindbares, in scharfen Umrissen hervortretendes, Per sonbild erkennen liess, so wird eine nüchterne Forschung sich ebenso wenig der weiteren Ueberlegung entziehen können , dass gerade die Wundererzählungen es sind, welche uns den Herrn in jener Eigen thümlichkeit des Redens und Handelns zeigen, aus welcher wir auf sei nen Charakter zurückschliessen , oder — anders ausgedrückt — dass gerade jene individuellen Züge, deren überraschendes Zusammentreffen den höchsten Grad von historischer Evidenz hervorbringt, nur im eng sten, unablöslichsten Zusammenhange mit den Wundererzählungen auf uns gekommen sind. Der Historiker, der es für erlaubt hält, diese letz teren in Bausch und Bogen zu verwerfen , während er die unverwisch bar gezeichneten Züge des Angesichts Jesu als historische Realität aner kennt, ist im Falle, reife Früchte geknüpft und genossen zu haben von Sträuchen und Bäumen, deren Existenz er leugnet. Es wird daher ein solches Resultat an Ueberzeugungskraft stets zurückbleiben hinter der consequenteren Negation Derjenigen, die sowohl Gärten, als Aepfel der Hesperiden als im Fabelland befindlich erkannt haben. Ohne Aner kennung täglich vorkommender, wunderbarer Heilungen gibt es schlech terdings keine evangelische Geschichte ; wer sie entfernt, trägt von der Tafel, zu der er einlädt, gleich von vornherein das tägliche Brod ab und wird leicht gar nichts mehr übrig lassen, was irgendwie genügen könnte. 5) Es Hegen somit dafür, dass ein »Wunder« zu Stande komme, die inneren Bedingungen theils in der eigenthümlichen Geistesorgani sation Jesu, theils in der Seelenstimmung und Richtung der zu Heilen den; von diesen Bedingungen selbst können wir freilich nur mit Ritschl sagen, dass sie »für uns geschichtlich unmessbar sind , und daraus folgt für die wissenschaftliche Betrachtung des Urchristenthums, dass man die specifische Unerkennbarkeit dieser Seite der Urgeschichte, 1) Geschichte Christus, S. ISO. — 2) Evangelische Geschichte, I, S. 334—368. Evangelienfrage, S. 31. 217 ff. Die synoptischen Wunderberichte. 511 nicht aber ihre durchgängige Unwahrheit constatirt. a1 Ueberhaupt aber gilt wenigstens von dieser Classe von Wundern , was derselbe Theologe richtig hervorhebt, 2 dass sie um so weniger in erster Linie als von den Naturursachen unabhängig betrachtet werden dürfen, als ihre Berichter statter von dem, was wir Naturgesetze nennen, gar keine Vorstellung haben. Als Historiker hat man also einfach dabei stehen zu bleiben, das seltsame Phänomen als der Hauptsache nach sattsam beglaubigt zu verzeichnen, wobei wir überdies allen apriorischen Einwendungen ge gen die Möglichkeit des Wunders die Forderung entgegenhalten dür fen, man möge uns im Hinblick auf so manche, heute noch unerklär bare, Erscheinungen des Natur- und Seelenlebens entweder eine hin reichend beglaubigte Liste Dessen vorlegen , was auf diesem Gebiet überhaupt möglich ist, was unmöglich , oder aber unsere Berechtigung anerkennen, die Frage nach der Möglichkeit ganz aus dem Spiele zu lassen und blos darauf unser Augenmerk zu richten, was nach allen, sonst als probehaltig erfundenen, Gesetzen historischer Forschung als Wirklichkeit resultirt. Eben weil wir es hier blos mit geschichtli cher Untersuchung zu thun haben, lassen wir auch alle jene, oft ange stellten, Betrachtungen zur Seite, welchen zufolge in diesen Wunder erzählungen blos der alles Andere überstrahlenden geistigen Erscheinung Christi ein entsprechendes Moment des leiblichen Daseins zur Seite ge treten wäre, d. h. ein solches Moment, in welchem auch die Naturbe dingungen dieser Erscheinung zu Tage kommen, die Wurzeln, die sie in das Gebiet der Natur, diesen fruchtbaren Boden alles Geisteslebens, hineingetrieben hat.3 Konnten wir auch in diesen Bemerkungen selbstverständlich auf Einzelheiten uns nicht einlassen, so schlagen wir es doch als einen höchst schätzbaren Fortschritt an, wenn das wunderbare Gepräge der evangelischen Geschichte an und für sich nicht mehr als ein Hemm- niss empfunden werden kann für ihre Aufnahme in den grossen Zusam menhang der wissenschaftlich verarbeiteten Menschheitsgeschichte. Ist doch Aehnliches im Grunde bereits anerkannt auch von Solchen , die sonst am entschiedensten den Standpunkt der Immanenz vertreten. »Wie manche von diesen Wundererzählungen auch der späteren dich tenden und ausschmückenden Sage angehören mögen, das darf doch der kühnste Zweifel, wenn er noch auf ernster Wissenschaft ruht, nicht in Abrede stellen, dass eine Reihe wunderbarer Krankenheilungen und trostbringender Hülfeleistungen von Christus ausgegangen , die die Menge von weither an ihn heranzogen und auch der Ungläubigen 1) Jahrbücher für-deutsehe Theologie, 1861 , S. 442. — 2) A. a. O. S. 440. 3) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 338. 5x2 Fünftes Capitel. Blicke zuerst auf ihn lenkten. « 1 Wenn aber neuerdings der geistreichste und ernsteste Vertreter des religiösen Pantheismus — ErnstRenan — nur bei einem psychologischen Existenzrecht dieser Wunder, das er den Forderungen des bon sens gegenüber vertheidigt, stehen bleiben zu müssen glaubt,2 wenn er die Trennung der Sache der Religion von allem wunderbaren und übernatürlichen Beigeschmack geradezu als sein Programm aufstellt : 3 so mag man über die zugleich damit berührte philosophische Frage denken, wie man will, aber die strenge historische Forschung darf sich durch einen solchen Machtspruch nicht präjudici- ren lassen, und es ist sehr erfreulich, dass auch der liberale französische Protestantismus, so sicher er im Allgemeinen Ren an's Standpunkt ver tritt, dagegen Einsprache erhoben hat.4 Freilich giebt es, neben nur vornehmen Absprechern, für deren falsch berühmte Genialität jegliches mühsame Detailstudium überflüs sig ist, auch immer noch eine träge und dumpfe Erbaulichkeit, die allen kritischen Resultaten nicht blos, sondern auch dem ganzen historischen Interesse, daraus sie entsprungen sind, den Rücken kehren und uns einer Behandlung dieser Dinge beschuldigen wird, in Folge deren mit absoluter Gewissheit niemals zu erweisen sei, wer denn eigentlich Jesus gewesen, was er gethan, was er wirklich gesprochen habe. Für Solche konnten wir nicht schreiben ; und, nachdem schon so viel wohlmeinende 1) Schwarz: Predigten aus der Gegenwart. Zweite Sammlung, 1862, S. 139. — 2) Etudes d'histoire religieuse, S. 177: »Les miracles de l'Evangile sont en general concus suivant des analogies naturelles et ne bravent pas trop les lois de la physique, eomme le merveilleux des mythologies indo-europgennes.« — »Le seul episode de l'hi- stoire du Christ qui ait un caractere epique, la descente aux enfers, n'est pas men- tionne' dans les evangiles canoniques.« — S. 198 f. : »Pour comprendre Je'sus, il faut etre endurci aux miracles : il faut s' elever au-dessus de notre äge de rSfiexion et de lente analyse pour contempler les facultas de l'äme dans cet 6tat de f£conde et naive libertö ou dädaignant nos penibles combinaisons , elles atteignaient leur objet sans se regarder elles-memes.« — S. 203 : »Le merveilleux de l'Evangile n'est que le plus sobre bon sens si on le place entre les apocryphes d' original juive et le Talmud. Faut-il £tre surpris qu'au milieu d'un si Strange mouvement, on ait vu reparaitre en quelque Sorte les prodiges des premiers jours de l'humanit^, et l'une de ces manifestations pro- fondes dont la g^neration öchappe ä l'observateur quine s'eleve pas au-dessus de l'ex- pörience vulgaire ? « — 3) La chaire d'he"breu au College de France , 1 862. — 4) Le Lien, 1S62, Nr. 35, S. 273 : »La these de M. Benan nous semble tres-hasardöe ; eile a le tort grave de ne pas tenir compte de la sinc^rite' ou de l'universalitä des temoignages des spectateurs du fait räpute' miraculeux ; eile a le tort plus grave encore de repous- ser par un ä priori aussi inacceptable que celui de 1' Orthodoxie dogmatique, des faits difficiles sans doute ä expliquer dans les conditions actuelles de la science, mais qui peuvent avoir leur cause dans le concours naturel de differentes lois de 1' ordre phy sique ou dans une action mysterieuse de l'esprit sur la matiere. Le miracle nous sem- blerait prouver la liberte' humaine plutdt que la liberte' divine. « Die synoptischen Wunderberichte. 5 ] 3 Worte an sie erfolglos gesprochen sind, hat jeder Theologe, der auf die Würde seiner Wissenschaft etwas hält, künftighin sich aller Transac- tionen mit den, nach juristischen Beweisen in Processen geistiger Art verlangenden, Unverbesserlichen zu entschlagen. Wem dagegen die evangelische Geschichte nicht der Anhaltspunkt für eine launen hafte Superstition ist, wer im redlichen Glauben an das Licht, das siegreich auch durch die Dunkelheiten der Berichterstattung dringt, mit Ernst und Treue nach wirklicher, nach geschichtlicher Wahrheit ringt, wer, um es kurz zu sagen, in der allein sittlichen Weise dieselbe zum Gegenstand seines Studiums macht : der wird mit uns — gleich viel, ob er alle unsere Resultate theilt oder nicht — anerkennen müssen , dass zwar auf jede mikrologische Pragmatik einer detaillirten Biographie, wie die Harmonistik sie erstrebte, hier zu verzichten ist, dass aber der Mangel solcher Bestimmbarkeit eben auf diesem Höhepunkte der Men schengeschichte kein Mangel, sondern dem Gesammteindruck dieses concretesten Charakterbildes nur förderlich ist; dass wir in der That eine so vollständige, so wahrheitsgetreue Erkenntniss von dem Ge- sammtinhalte des Lebens Jesu Christi besitzen , als Dies im richtig ver standenen religiösen und wissenschaftlichen Interesse nur zu wünschen ist. Für den geschulten Historiker glauben wir genug gesagt zu haben. Bei weitem den grösseren Theil von Allem , was wir geschichtlich zu wissen glauben , finden wir bei nüchterner Betrachtung auf Zeugnissen beruhend, die weder in umfassenderem Sinn, als unsere Synoptiker, auf eine Unmittelbarkeit ihres Verhältnisses zu dem Factum Anspruch machen können, noch auch freier zu sprechen sind von jenen dunkeln Resten, deren Auflösung Sache der historischen Kritik ist. x Was ein richtig begrenztes Bedürfniss fordern mag, so viel Material liegt that sächlich vor; und wir glauben den Beweis geleistet zu haben, dass sich dieses Material auch behufs wissenschaftlicher Verwerthung ordnen und organisiren lässt. Möge nur die theologische Arbeit — vielfacher ewig eitler Bemühungen vergessend — den besten Theil der zu Gebot stehen den Energie mehr und mehr auf möglichst genaue Erfassung Dessen verwenden, was sich aus diesen Stoffen mit Mitteln rein geschichtlicher Forschung als ewig denkwürdige Wirklichkeit herausstellen lässt! Was dann auf Grund von solchen kritischen Untersuchungen zerstört wird, das ist allerdings jenes, aller geschichtlichen Vermittlungen, aller menschlichen^ Analogien sich entschlagende, auch nur ganz im All gemeinen mit den Prädicaten der Sündlosigkeit, Gottgleichheit, in nern und äussern Harmonie u. s. w. zu beschreibende, Heiligenbild auf Goldgrund, wie es zu den Requisiten einer, mehr der Wärme, als 1) Weisse: Evangelische Geschichte, I, S. 94. Evangelienfrage, S. 93. Holtzmann. QQ 514 Fünftes Capitel. des Lichts bedürftigen , Erbaulichkeit gehört hat. Was aber anderer seits gewonnen und auferbaut wird, das ist ein frisches, aller Auflö sung in mythische Nebelgespinnste durch sein unerreichbar concretes Leben spottendes, dabei aber auch, um es offen herauszusagen , ein an wahrhafter Geistesgrösse, an positiver Heiligkeit, an in Kampf und Schmerz bewährter Hoheit, jenem Heüigenbilde ungleich überlege nes, jeder gereiften Religiosität verständlicheres und entsprechenderes, Christusbild. Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.